Rehkind
von Cheza
Kurzbeschreibung
Als Shikanosuke ungewollt fliehen muss, stellt sich ein junges Reh als sein Retter heraus.
OneshotFreundschaft / P12 / Gen
20.02.2017
20.02.2017
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4.514
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Hallo Zusammen
Eine Weile nun lag der Oneshot angefangen auf meinem PC, und endlich konnte ich ihn abschliessen.
Shikanosuke ist hier vielleicht eher unbekannt, weil Sengoku Basara 4 hier leider nie erschienen ist. Doch als ich das Spiel gespielt habe, wurde er sofort einer meiner liebsten Charaktere, und ich kam nicht darum, eine Geschichte zu ihm zu verfassen.
Ich wünsche euch viel Spass beim Lesen.
Liebe Grüsse
Cheza
Rehkind
Dunkelheit lag über einem kleinen Dorf am Rande eines dichten Laubwaldes. Selbst der sichelförmige Mond wurde von ein paar wenigen Wolken fast komplett verdeckt. Doch die Stille, die über dem Dorf lag, würde nicht mehr lange währen. Schon bald wurde sie vom Hufgeklapper herannahender Pferde durchbrochen. Eine Bande von Plünderern näherte sich rasch dem friedlichen Dorf. Keiner der Dorfbewohner hörte oder sah sie kommen, sie schliefen weiter ohne etwas zu ahnen. In ihrem abgelegenen Dorf am Waldrand hatten sie sich in Sicherheit gewiegt und keine Wachen postiert. Das würde ihnen nun zum Verhängnis werden.
Auf das Zeichen ihres Anführers hin legten einige der Männer Pfeile in ihre Bogen und entzündeten deren Spitzen. Sie spannten die Sehnen und liessen die brennenden Pfeile auf ein Haus am Dorfrand niederregnen. Das Holzdach fing sofort Feuer, welches sich rasch über die ganze Fläche ausbreitete. Der nächste Pfeilregen traf ein Haus näher am Zentrum des Dorfes. Danach warteten die Plünderer ab.
Die Reaktion der Dorfbewohner liess nicht lange auf sich warten. Schon bald ertönten die ersten Schreie der Bewohner aus den brennenden Häusern. Davon alarmiert entzündeten sich nach und nach Lichter in umliegenden Häuser. Noch bevor die ersten Menschen auf den Strassen erschienen ging der Funke auf die nächsten Häuser über. Durch das Ausbleiben des Regens in der letzten Zeit konnte sich das Feuer rasch und ungehindert weiter im Dorf ausbreiten. Panisch flüchteten die Menschen aus ihren Häusern und versuchten verzweifelt, das Feuer zu löschen. Diese Panik nutzten die Plünderer aus und stürmten ins Dorf, auf der Suche nach Beute. Dabei schlugen sie jeden nieder, der sich ihnen dabei in den Weg stellte.
In Mitten des Getümmels stand ein kleiner Junge mit strahlend blauen Augen und hielt verzweifelt Ausschau nach seinen Eltern. Beide waren nach Draussen gerannt um den anderen zu helfen. Sie hatten ihm zwar eingeschärft, auf sie zu warten und das Haus nur zu verlassen wenn es anfangen würde zu brennen, doch er hatte einfach zu viel Angst gehabt um weiter alleine zu warten. Also hatte er sich auf die Suche gemacht.
„Shikanosuke!“, ertönte eine männliche Stimme hinter ihm. Der kleine Junge drehte sich um und wurde sogleich von seinem Vater in die Arme geschlossen.
„Was machst du hier draussen? Ich hab dir doch gesagt, du sollst auf mich warten!“, fragte er, während er seinen Sohn fest an sich drückte.
„Ich hab dich gesucht“, sagte er weinerlich mit Tränen in den Augen. „Ich hatte Angst.“
Kaum hatte er zu Ende gesprochen brach ein brennendes Haus in der Nähe mit einem lauten Krachen in sich zusammen. Funken stoben und Holzfragmente wurden in alle Richtungen geschleudert. Erschreckt klammerte sich Shikanosuke fester an seinen Vater.
„Ich hab solche Angst“, wimmerte er.
„Alles wird gut, Shikanosuke“, sagte sein Vater und hob ihn in seine Arme.
„Wo ist Mama?“, fragte Shikanosuke und sah seinen Vater erwartungsvoll an. Dieser gab ihm keine Antwort sondern setzte seinen Weg so schnell es die Umstände zuliessen fort, den Dorfrand als Ziel vor Augen.
Die Schreie der Dorfbewohner, das Knacken der brechenden Holzbalken und das Knistern des Feuers verängstigten den kleinen Jungen immer mehr. Da half auch die Tatsache nichts, dass sein Vater bei ihm war. Dieser bahnte sich immer noch mühsam den Weg durch das Durcheinander der Strassen.
Plötzlich wurde er von jemandem an der Schulter gepackt und harsch herumgerissen. Überrascht davon fiel er auf die Knie und liess seinen Sohn dabei unabsichtlich los. Vor ihm stand einer der Plünderer, in der Hand ein langes Schwert. Bedrohlich lächelte der Angreifer.
Mittlerweile hatte sich Shikanosuke, der etwas entfernt unsanft auf dem Boden aufgekommen war, wieder aufgerappelt und sah sich nach seinem Vater um. Als er ihn erblickte konnte er sehen, wie der Mann vor ihm die Waffe hob.
„Papa!“, rief Shikanosuke und wollte schon zu ihm laufen.
„Nein, Shikanosuke, lauf weg! So weit wie nur möglich. Bring dich in Sicherheit!“, schrie dieser als er sah, dass sein Sohn zu ihm rennen wollte. Shikanosuke zögerte.
„Lauf! So schnell du kannst!“, rief sein Vater erneut. Widerwillig drehte sich der Junge nun doch um und rannte davon, in dieselbe Richtung, in die sein Vater hatte gehen wollen. Wenn sein Vater sagte er sollte rennen, dann musste er es auch tun. Seine Mutter sagte immer, dass er ein braver Junge sei.
Keiner der Menschen schenkte ihm Beachtung, was zu grossen Teilen wohl daran lag, das er in diesem ganzen Durcheinander aufgrund seiner geringen Grösse unterging. So erreichte er den Dorfrand ohne dabei aufgehalten zu werden. Er sah noch einmal kurz auf das Inferno, das einst ein Dorf gewesen war. Er fragte sich ob das schon weit genug war. Er sah zum Wald. Sein Vater hatte gesagt so weit wie möglich. Also sollte er auch in den Wald rennen, das war ja möglich. Er rannte also weiter, tiefer in den Wald hinein. Von nun an rannte er ohne noch einmal zu halten oder langsamer zu werden weiter. Er bremste sich erst wieder als das Licht des Feuers den Wald nicht mehr erhellte und nun von Dunkelheit umgeben war. Vorsichtig tastete er sich weiter. Ständig stiess er gegen einen Baum oder stolperte über eine Wurzel im Boden. Schliesslich verhedderte er sich mit seiner Kleidung in den Ästen eines Gebüsches und fiel unsanft hin. Das reichte damit er anfing hemmungslos zu weinen. Eine Zeitlang blieb er einfach liegen und weinte nur noch. Vom Sturz schmerzten ihm das Handgelenk und die Knie. Und er hatte Angst. Er war alleine und wusste nicht wie er wieder zurückfinden sollte.
„Papa“, schluchzte er während er weinte. Irgendwann war er vom Weinen und vorigen Rennen so erschöpft, dass ihm die Augen zufielen und er einschlief.
Am nächsten Morgen wurde er von der aufgehenden Sonne geweckt. Langsam schlug er die Augen auf und blinzelte. Er lag noch immer alleine im Wald an der Stelle, an der er hingefallen war. Jetzt sah er auch, dass seine Knie aufgeschürft und sein Handgelenk leicht geschwollen war. Es schmerzte bei jeder noch so kleinen Bewegung. Sofort stiegen ihm wieder die Tränen in die Augen und bahnten sich ihren Weg über seine Wangen.
„Papa? Mama? Wo seid ihr?“, wimmerte er leise. Natürlich erhielt er keine Antwort.
Er war so verängstigt, dass er nicht einmal merkte, dass sich ihm etwas näherte. Es knackte zwar einige Äste und Blätter raschelten, doch er nahm es gar nicht wahr.
Plötzlich merkte er, dass etwas sanft seine Schultern anstupste. In freudiger Erwartung wandte er den Kopf in der Hoffnung, seine Eltern zu sehen. Doch anstatt ins Gesicht seines Vaters oder seiner Mutter zu blicken, schaute er in zwei grosse, braune Augen eines jungen Rehs. Einen Moment starrten sich die beiden bloss an. Shikanosuke war so überrascht, dass er einfach bewegungslos sitzen blieb.
Schliesslich ging das Reh um ihn herum, so dass es nun vor ihm stand und auf ihn herabsehen konnte. Dabei liess Shikanosuke das Reh keinen Moment aus den Augen. Nicht, dass er sich vor ihm fürchtete. Es war bloss das erste Mal, dass ihm ein wildes Tier so nahe kam.
Aufmerksam musterte ihn das Reh. Zögerlich schnupperte es an ihm und stupste ihn dabei hin und wieder an. Seinen Verletzungen schenkte es etwas mehr Aufmerksamkeit und beäugte diese genauer. Letztendlich packte es ihn mit den Zähnen die Kleidung an seiner Schulter und zog daran, um ihn zum Aufstehen zu bewegen.
Schnell gehorchte er und stand mühsam auf. Kaum stand er halbwegs stabil aufrecht, sprang das Reh hinter ihn und stiess ihm mit seinem Kopf sanft in den Rücken.
„Ich geh ja schon“, sagte er etwas trotzig, da ihn das Reh herumkommandierte und er eigentlich gar nicht wusste was genau das Tier von ihm wollte. Als er allerdings ein paar Schritte gegangen war, hüpfte das Reh wieder vor ihn und ging voraus.
„Ach so, du willst, dass ich dir folge?“, fragte er. Das Reh gab ein quiekendes Geräusch von sich, was wohl zustimmend klingen sollte. Ohne sich weiter zu weigern folgte er dem schlanken Tier. Ob es ihn wohl zu seinen Eltern brachte? Seine ganze Hoffnung beruhte darauf.
Das Reh legte ein zügiges Tempo vor und kam auch ohne Probleme durch das Dickicht des Waldes voran. Shikanosuke jedoch hatte da mehr Mühe. Er kam nur langsam voran und hatte ständig Angst, das zutrauliche Tier aus den Augen zu verlieren. Das Reh aber wartete immer wieder auf ihn, damit er aufholen konnte, bevor es wieder seinen Weg fortsetzte.
Nach einiger Zeit, der Junge konnte nicht einschätzten wie lange oder wie weit sie schon gelaufen waren, wurde er von dem anstrengenden Marsch müde.
„Können wir eine Pause machen?“, jammerte er schwer atmend. Das Reh schaute zwar kurz zurück, dachte aber nicht daran für eine Weile stehen zu bleiben. Ein Bisschen kämpfte sich der Junge noch weiter, aber schliesslich liess er sich trotzig auf den Boden fallen. Er wollte und konnte jetzt nicht mehr weiter gehen.
Bald merkte das Tier, dass Shikanosuke ihm nicht mehr folgte und ging wieder zu ihm zurück. Es packte ihn erneut an der Kleidung und wollte ihn auf die Beine ziehen, doch der Junge weigerte sich strickt.
„Ich bin müde und hungrig und Durst hab ich auch. Ich will nicht mehr weiter“, klagte er und verschränkte die Arme dabei. Das Reh hörte trotz seiner Beschwerden nicht auf, ihn auf die Beine zu bringen. Schliesslich gab er nach und erhob sich wieder, das Ziehen des Rehes machte seine Situation nicht besser. Er wollte das Tier auch nicht verärgern, schliesslich war es sein einziger Begleiter hier im tiefen Wald. Würde es beleidigt davongehen, wäre er wieder ganz alleine, und alleine sein war das letzte, was er jetzt wollte.
Von nun an ging das Reh neben Shikanosuke her, damit dieser nicht mehr zurückfallen konnte oder noch einmal auf die Idee kam, sich hinzusetzen. Jedes Mal wenn er es wagte, etwas langsamer zu werden, stupste es ihn wieder an. Shikanosuke fand es richtig gemein, dass das Reh ihn so antrieb, aber er wollte sich nicht beklagen, auch wenn ihm seine aufgeschürften Knie furchtbar brannten. Er hatte Angst, dass das Reh ihn dann zurücklassen würde und er dann doch ganz alleine in diesem grossen, bedrohlichen Wald sein musste.
Irgendwann hallte das Plätschern eines Baches durch den Wald. Erfreut schaute sich der Junge um. Endlich Wasser! Er hatte versucht zu verdrängen, wie durstig er war da er gedacht hatte, es würde das Reh sowieso nicht interessieren. Doch jetzt merkte er, dass es das Reh sehr wohl interessierte, wie es ihm ging und es ihn direkt zu einem Bach geführt hatte. Als er den Bach auch endlich sehen konnte, ging er von selbst schneller darauf zu und kniete sich hin. Gierig trank er aus dem klaren Bach.
Der Bach war nicht tief, Shikanosuke würde höchstens bis zu den Knien im Wasser versinken, doch das Reh schien sich trotzdem Sorgen zu machen. Während er trank packte es ihn sanft am Kragen, damit er in seiner Überstürzung nicht noch ins Wasser fiel. Als er fertig war und das Reh ihn loslassen konnte, trank es selbst noch einige Schlucke aus dem Bach und sah ihn dann aufmerksam an. Etwas unsicher sah er dem Reh in die Augen. Er hatte keine Ahnung was es jetzt von ihm wollte. Das wurde auch dem Reh bald klar und es entschloss sich, ihm etwas auf die Sprünge zu helfen. Es zog am Ärmel des Armes, an dem er sich das Handgelenk verletzt hatte, bis seine Hand im Wasser landete. Das kalte Wasser fühlte sich gut an an der verletzten Stelle.
„Ach so, jetzt versteh ich!“, rief er freudig aus. Das Reh liess seinen Arm los und trat ein paar Schritte zurück, während er sein Handgelenk weiter kühlte.
Eine Weile kühlte er sein Gelenk weiter und achtete nicht auf seine Umgebung. Als er sich jedoch umwandte, um zu schauen was das Reh machte, musste er mit Entsetzten feststellen, dass es nicht mehr da war. Erschrocken schaute er um sich. Das Reh war nicht mehr da, er konnte es einfach nicht mehr entdecken. Hatte es ihn nun etwa doch alleine gelassen? Doch kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, hörte er ein Rascheln und das Reh kam zurück. In seinem Maul trug es den Ast eines Busches, an welchem einige Beeren hingen. Es kam zu ihm und legte ihm den Ast vor die Füsse.
„Für mich?“, fragte er mit grossen Augen. Er konnte kaum glauben wie lieb das Reh zu ihm war. Das Reh nickte eifrig und schob den Ast noch etwas näher. Shikanosuke ging etwas vom Ufer Weg und hockte sich auf den Boden, um die Beeren zu essen. Das Reh hatte sich derweilen neben ihm niedergelassen und sah ihm dabei zu, damit er auch ja alle Beeren ass. Viele waren es nicht, aber es war besser als gar nichts.
Als er fertig war setzten die beiden ihren Weg fort. Der Junge wusste nicht, wohin ihn das Reh führen würde, doch er wusste nicht, was er sonst tun sollte. Er hatte keine Ahnung, wo seine Eltern waren und auch nicht den geringsten Schimmer, in welcher Richtung das Dorf lag. Ausserdem war das Reh bis jetzt so fürsorglich zu ihm gewesen, dass er sich sicher war, dass es ihm nichts Böses wollte. Vielleicht brachte es ihn ja sogar zurück?
Der Rest des Tages bestand nur noch aus sturem Weitergehen, allerdings in einem gemächlicheren Tempo als zuvor. Das Reh schien gemerkt zu haben, dass der Junge mit seinen kurzen Beinen nur langsam vorankam und kaum Schritthalten konnte. Ausserdem war er auch nicht geübt im Marsch durch den Wald, was das Ganze noch umständlicher gestaltete. Jetzt, da sie langsamer gingen, folgte Shikanosuke auch ohne zu murren. Das Reh legte sogar hin und wieder eine kurze Pause ein, damit er sich erholen konnte.
Erst gegen Abend, als er wirklich keine Kraft mehr hatte und es ohnehin anfing zu dämmern, fing sich Shikanosuke an zu sträuben.
„Ich kann nicht mehr laufen. Ich will nicht mehr“, sagte er und setzte sich trotzig auf den Boden. Das Reh sah zu ihm zurück und legte den Kopf schief um ihn zu mustern. Danach liess es den Blick über die Umgebung schweifen. Es kam zu ihm zurück und zog an seinem Ärmel.
„Hast du mir überhaupt zugehört?“, fragte Shikanosuke, als er sich widerwillig vom schlanken Tier in eine Richtung ziehen liess. Es gab darauf nur ein quiekendes Geräusch und schob ihn in den Schutz der Wurzeln eines hohen Baumes.
„Ach so, jetzt verstehe ich.“ Die Miene des Jungen hellte sich etwas auf. In dieser Einbuchtung zu schlafen war bestimmt viel angenehmer als zwischen dornigen Büschen wie in seiner vorherigen Nacht. Er rutschte ein bisschen hin und her, bis er eine einigermassen bequeme Schlafposition gefunden hatte und schloss die Augen. Er wäre viel lieber zu Hause in seinem warmen Bett, wo er sich, wenn er schlecht schlief, auch zu seinen Eltern ins Bett schleichen konnte. Beim Gedanken an sie kamen ihm die Tränen.
Kaum hatte er sich in eine halbwegs bequeme Schlafposition gebracht gehabt, so gut es eben ging, liess sich das Reh dicht neben ihm nieder und schmiegte sich leicht an ihn. Das warme Fell des Tieres, das sich erstaunlich weich anfühlte, hatte eine tröstende Wirkung auf den Jungen. Nach kurzem Zögern kuschelte er sich richtig an den Rücken des Tieres und fing hemmungslos zu weinen an. Auch wenn wenigstens das Reh bei ihm war, er fühlte sich so furchtbar einsam. Er vermisste seine Eltern so sehr und er hatte keine Ahnung, wie er sie jemals wiederfinden sollte.
Dass das Reh wirklich sehr um ihn besorgt war, zeigte es wenig später, als es ihm tröstend über den Haarschopf leckte. Nach einer Weile begannen seine Tränen, nach und nach zu versiegen und nur noch wenige Schluchzer entschlüpftem ihm. Allerdings rückte er nicht mehr vom Reh weg, sondern blieb eng an es geschmiegt liegen. Dem Reh schien das jedoch nichts auszumachen, denn es legte vorsichtig seinen Kopf auf Shikanosukes Rücken, um ihm so vermutlich noch etwas mehr Sicherheit zu geben.
Am nächsten Morgen wurde Shikanosuke von seinem Begleiter geweckt. Das Reh stupste ihn so lange an, bis er aus seinem Schlaf erwachte. Im ersten Moment war er ziemlich verwirrt weil er nicht wusste, wo er sich befand. Seine Erinnerungen kehrten jedoch schnell zurück. Er richtete sich etwas auf, wobei ihm sein Körper schmerzhaft mitteilte, dass das Schlafen auf dem Boden, selbst wenn er an ein Reh gekuschelt lag, nicht die angenehmste Art zu schlafen war. Das Reh musterte ihn kurz bevor es sich ebenfalls erhob. Es streckte seinen Kopf nach Draussen und sah sich einen Moment um, bevor es wohl entschied, dass es sicher war und sie weitergehen konnten. So sprang es aus der Einbuchtung und gab einen Laut von sich, wohl um ihm zu verstehen zu geben, dass sie sich wieder auf den Weg machten.
Der Junge gab ein schweres Seufzen von sich. Ihm tat alles weh vom letzten Tag und am liebsten wäre er heute gar nicht weiter gegangen. Da er aber leider keine wirkliche Wahl hatte, folgte er schliesslich der Aufforderung und stand auf, um dem Reh zu folgen.
Die nächsten Tage verbrachten sie ebenso wie den Tag davor. Das Reh trieb Shikanosuke den Tag über zum Laufen an, erlaubte ihm nur eine Pause zu machen, wenn es einsah, dass er wirklich keine Kraft mehr hatte, und suchte ihm etwas zu essen und Wasserquellen um zu trinken. Mittlerweile zweifelte der Junge stark daran, dass ihn das Reh wieder nach Hause bringen würde. Soweit konnte er in einer Nacht unmöglich vom Dorf weggelaufen sein. Allerdings traute er sich nicht, sich zu beschweren, nach wie vor aus Angst, das Reh würde ihn alleine lassen, auch wenn es sich bis jetzt so gut um ihn gekümmert hatte. Das Reh hingegen schien ziemlich zielstrebig zu sein und wusste genau, wohin es wollte. Vielleicht wusste das Tier ja mehr als er selber? Vielleicht hatten seine Eltern ja auch weglaufen müssen, und waren jetzt an einem ganz anderen Ort, von dem das Reh musste. Mit diesem Gedanken fühlte er sich dann doch wieder etwas ruhiger. Mittlerweile hatte er das Tier auch sehr in sein Herz geschlossen. Es passte so gut auf ihn auf, sorgte sich um ihn und liess ihn in der Nacht an sein weiches Fell gekuschelt schlafen. Wohin auch immer das Reh ihn brachte, es schien es gut mit ihm zu meinen.
Nach ein paar Tagen wurde der Wald langsam lichter. Die Bäume standen nicht mehr so dicht beieinander und das Sonnenlicht konnte jetzt auch besser durch das Blätterdacht bis zum Waldboden dringen. Über diese Tatsache freute sich das Reh ziemlich, denn es ging nun zügiger wie die Tage zuvor und liess ihn auch weniger Pause machen, was Shikanosuke hingegen ziemlich unfair fand. Er war langsam einfach nur noch müde, egal wie lange sie schliefen. Zwar hatte er sich mittlerweile an das ständige Laufen gewöhnen können, aber um sich richtig zu erholen reichte ein bisschen Schlafen einfach nicht vollständig aus.
Schon am nächsten Tag fanden sie sich am Waldrand wieder. Der Wald ging aber nicht wie Shikanosuke es erwartet hatte, in eine grosse Wiese oder ähnliches über, ganz im Gegenteil. Während die Bäume immer weniger wurden und nur noch vereinzelt wuchsen, wich der schlammige Waldboden mehr und mehr einem sandigen Untergrund. Neugierig blieb Shikanosuke stehen und bückte sich, um den Sand zu erfühlen und etwas davon in seine Hand zu nehmen. Er hatte noch nie von jemandem gehört, dass es nur ein paar Tagesmärsche entfernt eine Wüste gab. Aber vielleicht hatten sie es auch einfach nicht gewusst, soweit sich Shikanosuke erinnern konnte, verliess selten jemand das Dorf, geschweige denn fanden Reisende ihren Weg in seine Heimat. Als dem Reh auffiel, dass er stehen geblieben war, kam es verärgert die paar Schritte zu ihm zurück und gab ihm mit einem nicht sehr sanften Stoss in den Rücken zu verstehen, dass er weiterlaufen soll.
„Jetzt hetz mich doch nicht“, maulte er trotzig und verschränkte die Arme. Das Reh gab ein verärgertes Geräusch von sich, es klang so als wollte es ihm seine Meinung über sein Verhalten mitteilen. Als das Reh einfach nicht aufhörte, an ihm zu ziehen und ihn zu schubsen, stampfte er mit einem Fuss auf.
„In die Wüste geh ich ganz bestimmt nicht, das ist gefährlich und ausserdem viel zu heiss“, begründete er sein trotziges Verhalten und dachte nicht daran, weiterzulaufen. Das Reh sah ihn einen Moment durchdringend an, ehe es kehrt machte und hocherhobenen Hauptes geradewegs in die Wüste hineinstolzierte. Einen Moment blieb Shikanosuke weiterhin trotzig stehen, bis ihm klar wurde, dass das Reh dieses Mal nicht mehr zurückkommen würde und ihn alleine liess. Auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubte, gab er seine trotzige Haltung schliesslich auf und rannte dem Reh nach.
„Oyassan, warte doch!“, rief er ihm nach und versuchte aufzuholen. Es war das erste Mal, dass er das Reh so nannte, aber irgendwie war es ihm rausgerutscht und er wollte doch, dass das Reh merkte das er es brauchte. Als das Reh seine Stimme hörte, blieb es tatsächlich stehen und wandte seinen Kopf nach ihm um. Geduldig wartete es, bis der Junge aufgeholt hatte und keuchend neben ihm stehen blieb.
„Ich bin jetzt auch ganz brav, aber lass mich nicht alleine“, sagte er reumütig und mit wässrigen Augen. Das Tier rieb aufmunternd seinen Kopf an seiner Schulter, wohl um ihm zu zeigen, dass es ihm verzieh.
Shikanosuke wusste nicht, wie lange sie schon durch die Wüste gelaufen waren, ihm kam es jedenfalls wie eine Ewigkeit vor, als er das Reh wieder ansprach. Die letzten Bäume des Waldes waren mittlerweile auch nicht mehr zu sehen.
„Ist es noch weit? Ich habe durst“, jammerte er. Hier war es ihm viel zu warm, und ausserdem hatte er mittlerweile sehr viel Sand in den Schuhen, was ziemlich unangenehm beim Gehen war. Ausziehen wollte er sie aber nicht, da der Sand auf ihn ziemlich heiss wirkte.
Das Reh schüttelte den Kopf und schaute mit einem Laut wieder nach vorne, um seine Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Dort konnte man gar nicht mehr so weit entfernt eine Burg in der Wüste ausmachen.
„Da bringst du mich hin?“, fragte er aufgeregt als er den Bau erblickte. Er hatte noch nie eine Burg mit eigenen Augen gesehen. Das Reh nickte auf seine Frage hin, und wollte gerade den Weg fortsetzen, als sich unweit vor ihnen ein Loch im Wüstensand auftat. Erschrocken ging Shikanosuke ein paar Schritte rückwärts und fiel dabei hin, als er eine Person aus dem Loch springen sah. Der junge Mann, der vor ihnen zu stehen kam, war in auffällig pinke Kleidung gehüllt und blickte auf das ungleiche Duo.
„Ah, du bist ja doch zurückgekommen. Ich dachte schon, ich sehe dich gar nicht mehr“, sprach er das Reh an. „Wie geht es deinem Bein?“
Das Tier gab einen freudigen Laut von sich und sprang dann einige Male um den jungen Mann, wohl um ihm zu zeigen, dass alles in Ordnung war. Es schien ihn ganz offensichtlich zu kennen und mochte ihn wohl auch ziemlich, denn es rieb seinen Kopf an seiner Seite. Er tätschelte dem Reh kurz den Kopf
„Wer ist denn dein kleiner Freund?“, fragte er und sein Blick wanderte zu Shikanosuke, der immer noch ziemlich ängstlich auf dem Boden sass. Das Reh liess von dem jungen Mann ab und ging stattdessen wieder auf Shikanosuke zu, um ihn mit einem Schubser zum Aufstehen zu bewegen. Artig folgte er der Aufforderung und klopfte sich den Sand von den Kleidern. Mit einem quäkenden Geräusch und einem Stoss in den Rücken gab es ihm zu verstehen, dass er antworten sollte.
„Ich bin Shikanosuke. Yamanaka Shikanosuke“, antwortete er und sah den jungen Mann an.
„Shikanosuke“, wiederholte er und er warf kurz einen Blick auf das Reh. „Von wo kommst du? Hast du dich verlaufen?“ Shikanosuke schüttelte den Kopf.
„Ich weiss nicht genau, ich bin einfach mit dem Reh mitgelaufen. Aber wenn man durch die Wüste läuft und dann durch den Wald, kommt man da hin wo ich wohne“, erklärte er schüchtern. Der junge Mann sah ihn etwas überrascht an.
„So weit seid ihr gelaufen? Na kein Wunder das du so lange weg warst“, sagte er an das Tier gewandt. „Durch meine Wüste und dann durch den Wald“, fügte er leiser und mehr zu sich selbst hinzu. Er schien nachzudenken. Nach einer Weile konnte man ihm ansehen, dass er sich plötzlich an etwas erinnerte.
„Jetzt verstehe ich warum du ihn mitgebracht hast.“ Der junge Mann strich sich kurz über den Kopf und seufzte. Währenddessen rieb das Reh seinen Kopf wieder an Shikanosukes Schulter, wohl um dem jungen Mann zu zeigen, dass es den Jungen ins Herz geschlossen hatte.
„Schon gut, du hast mich ja überzeugt. Ich bin ja auch kein Unmensch“, sagte er zu dem Reh. Shikanosuke hingegen wusste nicht genau, was da gerade vor sich ging.
„Bringst du mich jetzt nach Hause?“, traute sich der Junge schliesslich zu fragen. Etwas anderes wollte ihm als Grund nicht einfallen, warum das Reh ihn zu diesem jungen Mann gebracht hatte. Vielleicht wusste er ja den Weg zurück zu seinem Zuhause.
Dieser sah ihn mit einer eher traurigen Miene an, als er die Frage hörte. Shikanosuke konnte sich nicht erklären, warum sich seine Stimmung so plötzlich geändert hatte. Er hatte doch nur gefragt, ob er ihn nach Hause bringen könne.
„Komm erst Mal mit zu mir nach Hause. Ich wohne da drüben in der Burg“, sagte er und wollte Shikanosuke an der Hand nehmen, doch dieser wich einen Schritt zurück.
„Ich soll nicht mit Fremden mitgehen, das hat mir meine Mutter immer gesagt“, sagte er als er sah, dass der junge Mann nicht ganz verstand, warum er vor ihm zurückwich. Dieser lachte daraufhin kurz.
„Da hat deine Mutter auch vollkommen Recht. Aber wie du siehst, kennt mich das Reh hier ziemlich gut und hat dich nicht grundlos hierher gebracht, ich denke, da darfst du mal eine Ausnahme machen.“
Shikanosuke war hin und her gerissen, einerseits wollte er das machen, was seine Eltern ihm immer gesagt haben, andererseits schien der junge Mann wirklich nicht böse zu sein, dann würde das Reh ihn ja nicht mögen. Und dass er dem Reh trauen konnte wusste er, schliesslich hatte es gut auf ihn aufgepasst. Zudem würde er vielleicht endlich etwas zu trinken bekommen, wenn er mit zur Burg ging.
„Also gut, aber nur ausnahmsweise“, willigte er schliesslich ein, gab ihm seinen Hand aber trotzdem nicht. Schliesslich war er alt genug das er alleine laufen konnte, und verloren gehen konnte er in der flachen Wüste ja ohnehin nicht.
„Das freut mich. Komm, du hast doch bestimmt auch durst wenn ihr vom Wald bis hierher gelaufen seid“, sagte der junge Mann daraufhin, legte ihm eine Hand auf die Schulter und deutete ihm mit leichtem Druck gegen die Schulter loszulaufen.
„Wie heisst du eigentlich?“, fragte Shikanosuke schon nach ein paar Schritten und sah zu ihm auf. Der junge Mann sah kurz zu ihm hinunter.
„Du kannst mich Haru nennen.“
Eine Weile nun lag der Oneshot angefangen auf meinem PC, und endlich konnte ich ihn abschliessen.
Shikanosuke ist hier vielleicht eher unbekannt, weil Sengoku Basara 4 hier leider nie erschienen ist. Doch als ich das Spiel gespielt habe, wurde er sofort einer meiner liebsten Charaktere, und ich kam nicht darum, eine Geschichte zu ihm zu verfassen.
Ich wünsche euch viel Spass beim Lesen.
Liebe Grüsse
Cheza
Rehkind
Dunkelheit lag über einem kleinen Dorf am Rande eines dichten Laubwaldes. Selbst der sichelförmige Mond wurde von ein paar wenigen Wolken fast komplett verdeckt. Doch die Stille, die über dem Dorf lag, würde nicht mehr lange währen. Schon bald wurde sie vom Hufgeklapper herannahender Pferde durchbrochen. Eine Bande von Plünderern näherte sich rasch dem friedlichen Dorf. Keiner der Dorfbewohner hörte oder sah sie kommen, sie schliefen weiter ohne etwas zu ahnen. In ihrem abgelegenen Dorf am Waldrand hatten sie sich in Sicherheit gewiegt und keine Wachen postiert. Das würde ihnen nun zum Verhängnis werden.
Auf das Zeichen ihres Anführers hin legten einige der Männer Pfeile in ihre Bogen und entzündeten deren Spitzen. Sie spannten die Sehnen und liessen die brennenden Pfeile auf ein Haus am Dorfrand niederregnen. Das Holzdach fing sofort Feuer, welches sich rasch über die ganze Fläche ausbreitete. Der nächste Pfeilregen traf ein Haus näher am Zentrum des Dorfes. Danach warteten die Plünderer ab.
Die Reaktion der Dorfbewohner liess nicht lange auf sich warten. Schon bald ertönten die ersten Schreie der Bewohner aus den brennenden Häusern. Davon alarmiert entzündeten sich nach und nach Lichter in umliegenden Häuser. Noch bevor die ersten Menschen auf den Strassen erschienen ging der Funke auf die nächsten Häuser über. Durch das Ausbleiben des Regens in der letzten Zeit konnte sich das Feuer rasch und ungehindert weiter im Dorf ausbreiten. Panisch flüchteten die Menschen aus ihren Häusern und versuchten verzweifelt, das Feuer zu löschen. Diese Panik nutzten die Plünderer aus und stürmten ins Dorf, auf der Suche nach Beute. Dabei schlugen sie jeden nieder, der sich ihnen dabei in den Weg stellte.
In Mitten des Getümmels stand ein kleiner Junge mit strahlend blauen Augen und hielt verzweifelt Ausschau nach seinen Eltern. Beide waren nach Draussen gerannt um den anderen zu helfen. Sie hatten ihm zwar eingeschärft, auf sie zu warten und das Haus nur zu verlassen wenn es anfangen würde zu brennen, doch er hatte einfach zu viel Angst gehabt um weiter alleine zu warten. Also hatte er sich auf die Suche gemacht.
„Shikanosuke!“, ertönte eine männliche Stimme hinter ihm. Der kleine Junge drehte sich um und wurde sogleich von seinem Vater in die Arme geschlossen.
„Was machst du hier draussen? Ich hab dir doch gesagt, du sollst auf mich warten!“, fragte er, während er seinen Sohn fest an sich drückte.
„Ich hab dich gesucht“, sagte er weinerlich mit Tränen in den Augen. „Ich hatte Angst.“
Kaum hatte er zu Ende gesprochen brach ein brennendes Haus in der Nähe mit einem lauten Krachen in sich zusammen. Funken stoben und Holzfragmente wurden in alle Richtungen geschleudert. Erschreckt klammerte sich Shikanosuke fester an seinen Vater.
„Ich hab solche Angst“, wimmerte er.
„Alles wird gut, Shikanosuke“, sagte sein Vater und hob ihn in seine Arme.
„Wo ist Mama?“, fragte Shikanosuke und sah seinen Vater erwartungsvoll an. Dieser gab ihm keine Antwort sondern setzte seinen Weg so schnell es die Umstände zuliessen fort, den Dorfrand als Ziel vor Augen.
Die Schreie der Dorfbewohner, das Knacken der brechenden Holzbalken und das Knistern des Feuers verängstigten den kleinen Jungen immer mehr. Da half auch die Tatsache nichts, dass sein Vater bei ihm war. Dieser bahnte sich immer noch mühsam den Weg durch das Durcheinander der Strassen.
Plötzlich wurde er von jemandem an der Schulter gepackt und harsch herumgerissen. Überrascht davon fiel er auf die Knie und liess seinen Sohn dabei unabsichtlich los. Vor ihm stand einer der Plünderer, in der Hand ein langes Schwert. Bedrohlich lächelte der Angreifer.
Mittlerweile hatte sich Shikanosuke, der etwas entfernt unsanft auf dem Boden aufgekommen war, wieder aufgerappelt und sah sich nach seinem Vater um. Als er ihn erblickte konnte er sehen, wie der Mann vor ihm die Waffe hob.
„Papa!“, rief Shikanosuke und wollte schon zu ihm laufen.
„Nein, Shikanosuke, lauf weg! So weit wie nur möglich. Bring dich in Sicherheit!“, schrie dieser als er sah, dass sein Sohn zu ihm rennen wollte. Shikanosuke zögerte.
„Lauf! So schnell du kannst!“, rief sein Vater erneut. Widerwillig drehte sich der Junge nun doch um und rannte davon, in dieselbe Richtung, in die sein Vater hatte gehen wollen. Wenn sein Vater sagte er sollte rennen, dann musste er es auch tun. Seine Mutter sagte immer, dass er ein braver Junge sei.
Keiner der Menschen schenkte ihm Beachtung, was zu grossen Teilen wohl daran lag, das er in diesem ganzen Durcheinander aufgrund seiner geringen Grösse unterging. So erreichte er den Dorfrand ohne dabei aufgehalten zu werden. Er sah noch einmal kurz auf das Inferno, das einst ein Dorf gewesen war. Er fragte sich ob das schon weit genug war. Er sah zum Wald. Sein Vater hatte gesagt so weit wie möglich. Also sollte er auch in den Wald rennen, das war ja möglich. Er rannte also weiter, tiefer in den Wald hinein. Von nun an rannte er ohne noch einmal zu halten oder langsamer zu werden weiter. Er bremste sich erst wieder als das Licht des Feuers den Wald nicht mehr erhellte und nun von Dunkelheit umgeben war. Vorsichtig tastete er sich weiter. Ständig stiess er gegen einen Baum oder stolperte über eine Wurzel im Boden. Schliesslich verhedderte er sich mit seiner Kleidung in den Ästen eines Gebüsches und fiel unsanft hin. Das reichte damit er anfing hemmungslos zu weinen. Eine Zeitlang blieb er einfach liegen und weinte nur noch. Vom Sturz schmerzten ihm das Handgelenk und die Knie. Und er hatte Angst. Er war alleine und wusste nicht wie er wieder zurückfinden sollte.
„Papa“, schluchzte er während er weinte. Irgendwann war er vom Weinen und vorigen Rennen so erschöpft, dass ihm die Augen zufielen und er einschlief.
Am nächsten Morgen wurde er von der aufgehenden Sonne geweckt. Langsam schlug er die Augen auf und blinzelte. Er lag noch immer alleine im Wald an der Stelle, an der er hingefallen war. Jetzt sah er auch, dass seine Knie aufgeschürft und sein Handgelenk leicht geschwollen war. Es schmerzte bei jeder noch so kleinen Bewegung. Sofort stiegen ihm wieder die Tränen in die Augen und bahnten sich ihren Weg über seine Wangen.
„Papa? Mama? Wo seid ihr?“, wimmerte er leise. Natürlich erhielt er keine Antwort.
Er war so verängstigt, dass er nicht einmal merkte, dass sich ihm etwas näherte. Es knackte zwar einige Äste und Blätter raschelten, doch er nahm es gar nicht wahr.
Plötzlich merkte er, dass etwas sanft seine Schultern anstupste. In freudiger Erwartung wandte er den Kopf in der Hoffnung, seine Eltern zu sehen. Doch anstatt ins Gesicht seines Vaters oder seiner Mutter zu blicken, schaute er in zwei grosse, braune Augen eines jungen Rehs. Einen Moment starrten sich die beiden bloss an. Shikanosuke war so überrascht, dass er einfach bewegungslos sitzen blieb.
Schliesslich ging das Reh um ihn herum, so dass es nun vor ihm stand und auf ihn herabsehen konnte. Dabei liess Shikanosuke das Reh keinen Moment aus den Augen. Nicht, dass er sich vor ihm fürchtete. Es war bloss das erste Mal, dass ihm ein wildes Tier so nahe kam.
Aufmerksam musterte ihn das Reh. Zögerlich schnupperte es an ihm und stupste ihn dabei hin und wieder an. Seinen Verletzungen schenkte es etwas mehr Aufmerksamkeit und beäugte diese genauer. Letztendlich packte es ihn mit den Zähnen die Kleidung an seiner Schulter und zog daran, um ihn zum Aufstehen zu bewegen.
Schnell gehorchte er und stand mühsam auf. Kaum stand er halbwegs stabil aufrecht, sprang das Reh hinter ihn und stiess ihm mit seinem Kopf sanft in den Rücken.
„Ich geh ja schon“, sagte er etwas trotzig, da ihn das Reh herumkommandierte und er eigentlich gar nicht wusste was genau das Tier von ihm wollte. Als er allerdings ein paar Schritte gegangen war, hüpfte das Reh wieder vor ihn und ging voraus.
„Ach so, du willst, dass ich dir folge?“, fragte er. Das Reh gab ein quiekendes Geräusch von sich, was wohl zustimmend klingen sollte. Ohne sich weiter zu weigern folgte er dem schlanken Tier. Ob es ihn wohl zu seinen Eltern brachte? Seine ganze Hoffnung beruhte darauf.
Das Reh legte ein zügiges Tempo vor und kam auch ohne Probleme durch das Dickicht des Waldes voran. Shikanosuke jedoch hatte da mehr Mühe. Er kam nur langsam voran und hatte ständig Angst, das zutrauliche Tier aus den Augen zu verlieren. Das Reh aber wartete immer wieder auf ihn, damit er aufholen konnte, bevor es wieder seinen Weg fortsetzte.
Nach einiger Zeit, der Junge konnte nicht einschätzten wie lange oder wie weit sie schon gelaufen waren, wurde er von dem anstrengenden Marsch müde.
„Können wir eine Pause machen?“, jammerte er schwer atmend. Das Reh schaute zwar kurz zurück, dachte aber nicht daran für eine Weile stehen zu bleiben. Ein Bisschen kämpfte sich der Junge noch weiter, aber schliesslich liess er sich trotzig auf den Boden fallen. Er wollte und konnte jetzt nicht mehr weiter gehen.
Bald merkte das Tier, dass Shikanosuke ihm nicht mehr folgte und ging wieder zu ihm zurück. Es packte ihn erneut an der Kleidung und wollte ihn auf die Beine ziehen, doch der Junge weigerte sich strickt.
„Ich bin müde und hungrig und Durst hab ich auch. Ich will nicht mehr weiter“, klagte er und verschränkte die Arme dabei. Das Reh hörte trotz seiner Beschwerden nicht auf, ihn auf die Beine zu bringen. Schliesslich gab er nach und erhob sich wieder, das Ziehen des Rehes machte seine Situation nicht besser. Er wollte das Tier auch nicht verärgern, schliesslich war es sein einziger Begleiter hier im tiefen Wald. Würde es beleidigt davongehen, wäre er wieder ganz alleine, und alleine sein war das letzte, was er jetzt wollte.
Von nun an ging das Reh neben Shikanosuke her, damit dieser nicht mehr zurückfallen konnte oder noch einmal auf die Idee kam, sich hinzusetzen. Jedes Mal wenn er es wagte, etwas langsamer zu werden, stupste es ihn wieder an. Shikanosuke fand es richtig gemein, dass das Reh ihn so antrieb, aber er wollte sich nicht beklagen, auch wenn ihm seine aufgeschürften Knie furchtbar brannten. Er hatte Angst, dass das Reh ihn dann zurücklassen würde und er dann doch ganz alleine in diesem grossen, bedrohlichen Wald sein musste.
Irgendwann hallte das Plätschern eines Baches durch den Wald. Erfreut schaute sich der Junge um. Endlich Wasser! Er hatte versucht zu verdrängen, wie durstig er war da er gedacht hatte, es würde das Reh sowieso nicht interessieren. Doch jetzt merkte er, dass es das Reh sehr wohl interessierte, wie es ihm ging und es ihn direkt zu einem Bach geführt hatte. Als er den Bach auch endlich sehen konnte, ging er von selbst schneller darauf zu und kniete sich hin. Gierig trank er aus dem klaren Bach.
Der Bach war nicht tief, Shikanosuke würde höchstens bis zu den Knien im Wasser versinken, doch das Reh schien sich trotzdem Sorgen zu machen. Während er trank packte es ihn sanft am Kragen, damit er in seiner Überstürzung nicht noch ins Wasser fiel. Als er fertig war und das Reh ihn loslassen konnte, trank es selbst noch einige Schlucke aus dem Bach und sah ihn dann aufmerksam an. Etwas unsicher sah er dem Reh in die Augen. Er hatte keine Ahnung was es jetzt von ihm wollte. Das wurde auch dem Reh bald klar und es entschloss sich, ihm etwas auf die Sprünge zu helfen. Es zog am Ärmel des Armes, an dem er sich das Handgelenk verletzt hatte, bis seine Hand im Wasser landete. Das kalte Wasser fühlte sich gut an an der verletzten Stelle.
„Ach so, jetzt versteh ich!“, rief er freudig aus. Das Reh liess seinen Arm los und trat ein paar Schritte zurück, während er sein Handgelenk weiter kühlte.
Eine Weile kühlte er sein Gelenk weiter und achtete nicht auf seine Umgebung. Als er sich jedoch umwandte, um zu schauen was das Reh machte, musste er mit Entsetzten feststellen, dass es nicht mehr da war. Erschrocken schaute er um sich. Das Reh war nicht mehr da, er konnte es einfach nicht mehr entdecken. Hatte es ihn nun etwa doch alleine gelassen? Doch kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, hörte er ein Rascheln und das Reh kam zurück. In seinem Maul trug es den Ast eines Busches, an welchem einige Beeren hingen. Es kam zu ihm und legte ihm den Ast vor die Füsse.
„Für mich?“, fragte er mit grossen Augen. Er konnte kaum glauben wie lieb das Reh zu ihm war. Das Reh nickte eifrig und schob den Ast noch etwas näher. Shikanosuke ging etwas vom Ufer Weg und hockte sich auf den Boden, um die Beeren zu essen. Das Reh hatte sich derweilen neben ihm niedergelassen und sah ihm dabei zu, damit er auch ja alle Beeren ass. Viele waren es nicht, aber es war besser als gar nichts.
Als er fertig war setzten die beiden ihren Weg fort. Der Junge wusste nicht, wohin ihn das Reh führen würde, doch er wusste nicht, was er sonst tun sollte. Er hatte keine Ahnung, wo seine Eltern waren und auch nicht den geringsten Schimmer, in welcher Richtung das Dorf lag. Ausserdem war das Reh bis jetzt so fürsorglich zu ihm gewesen, dass er sich sicher war, dass es ihm nichts Böses wollte. Vielleicht brachte es ihn ja sogar zurück?
Der Rest des Tages bestand nur noch aus sturem Weitergehen, allerdings in einem gemächlicheren Tempo als zuvor. Das Reh schien gemerkt zu haben, dass der Junge mit seinen kurzen Beinen nur langsam vorankam und kaum Schritthalten konnte. Ausserdem war er auch nicht geübt im Marsch durch den Wald, was das Ganze noch umständlicher gestaltete. Jetzt, da sie langsamer gingen, folgte Shikanosuke auch ohne zu murren. Das Reh legte sogar hin und wieder eine kurze Pause ein, damit er sich erholen konnte.
Erst gegen Abend, als er wirklich keine Kraft mehr hatte und es ohnehin anfing zu dämmern, fing sich Shikanosuke an zu sträuben.
„Ich kann nicht mehr laufen. Ich will nicht mehr“, sagte er und setzte sich trotzig auf den Boden. Das Reh sah zu ihm zurück und legte den Kopf schief um ihn zu mustern. Danach liess es den Blick über die Umgebung schweifen. Es kam zu ihm zurück und zog an seinem Ärmel.
„Hast du mir überhaupt zugehört?“, fragte Shikanosuke, als er sich widerwillig vom schlanken Tier in eine Richtung ziehen liess. Es gab darauf nur ein quiekendes Geräusch und schob ihn in den Schutz der Wurzeln eines hohen Baumes.
„Ach so, jetzt verstehe ich.“ Die Miene des Jungen hellte sich etwas auf. In dieser Einbuchtung zu schlafen war bestimmt viel angenehmer als zwischen dornigen Büschen wie in seiner vorherigen Nacht. Er rutschte ein bisschen hin und her, bis er eine einigermassen bequeme Schlafposition gefunden hatte und schloss die Augen. Er wäre viel lieber zu Hause in seinem warmen Bett, wo er sich, wenn er schlecht schlief, auch zu seinen Eltern ins Bett schleichen konnte. Beim Gedanken an sie kamen ihm die Tränen.
Kaum hatte er sich in eine halbwegs bequeme Schlafposition gebracht gehabt, so gut es eben ging, liess sich das Reh dicht neben ihm nieder und schmiegte sich leicht an ihn. Das warme Fell des Tieres, das sich erstaunlich weich anfühlte, hatte eine tröstende Wirkung auf den Jungen. Nach kurzem Zögern kuschelte er sich richtig an den Rücken des Tieres und fing hemmungslos zu weinen an. Auch wenn wenigstens das Reh bei ihm war, er fühlte sich so furchtbar einsam. Er vermisste seine Eltern so sehr und er hatte keine Ahnung, wie er sie jemals wiederfinden sollte.
Dass das Reh wirklich sehr um ihn besorgt war, zeigte es wenig später, als es ihm tröstend über den Haarschopf leckte. Nach einer Weile begannen seine Tränen, nach und nach zu versiegen und nur noch wenige Schluchzer entschlüpftem ihm. Allerdings rückte er nicht mehr vom Reh weg, sondern blieb eng an es geschmiegt liegen. Dem Reh schien das jedoch nichts auszumachen, denn es legte vorsichtig seinen Kopf auf Shikanosukes Rücken, um ihm so vermutlich noch etwas mehr Sicherheit zu geben.
Am nächsten Morgen wurde Shikanosuke von seinem Begleiter geweckt. Das Reh stupste ihn so lange an, bis er aus seinem Schlaf erwachte. Im ersten Moment war er ziemlich verwirrt weil er nicht wusste, wo er sich befand. Seine Erinnerungen kehrten jedoch schnell zurück. Er richtete sich etwas auf, wobei ihm sein Körper schmerzhaft mitteilte, dass das Schlafen auf dem Boden, selbst wenn er an ein Reh gekuschelt lag, nicht die angenehmste Art zu schlafen war. Das Reh musterte ihn kurz bevor es sich ebenfalls erhob. Es streckte seinen Kopf nach Draussen und sah sich einen Moment um, bevor es wohl entschied, dass es sicher war und sie weitergehen konnten. So sprang es aus der Einbuchtung und gab einen Laut von sich, wohl um ihm zu verstehen zu geben, dass sie sich wieder auf den Weg machten.
Der Junge gab ein schweres Seufzen von sich. Ihm tat alles weh vom letzten Tag und am liebsten wäre er heute gar nicht weiter gegangen. Da er aber leider keine wirkliche Wahl hatte, folgte er schliesslich der Aufforderung und stand auf, um dem Reh zu folgen.
Die nächsten Tage verbrachten sie ebenso wie den Tag davor. Das Reh trieb Shikanosuke den Tag über zum Laufen an, erlaubte ihm nur eine Pause zu machen, wenn es einsah, dass er wirklich keine Kraft mehr hatte, und suchte ihm etwas zu essen und Wasserquellen um zu trinken. Mittlerweile zweifelte der Junge stark daran, dass ihn das Reh wieder nach Hause bringen würde. Soweit konnte er in einer Nacht unmöglich vom Dorf weggelaufen sein. Allerdings traute er sich nicht, sich zu beschweren, nach wie vor aus Angst, das Reh würde ihn alleine lassen, auch wenn es sich bis jetzt so gut um ihn gekümmert hatte. Das Reh hingegen schien ziemlich zielstrebig zu sein und wusste genau, wohin es wollte. Vielleicht wusste das Tier ja mehr als er selber? Vielleicht hatten seine Eltern ja auch weglaufen müssen, und waren jetzt an einem ganz anderen Ort, von dem das Reh musste. Mit diesem Gedanken fühlte er sich dann doch wieder etwas ruhiger. Mittlerweile hatte er das Tier auch sehr in sein Herz geschlossen. Es passte so gut auf ihn auf, sorgte sich um ihn und liess ihn in der Nacht an sein weiches Fell gekuschelt schlafen. Wohin auch immer das Reh ihn brachte, es schien es gut mit ihm zu meinen.
Nach ein paar Tagen wurde der Wald langsam lichter. Die Bäume standen nicht mehr so dicht beieinander und das Sonnenlicht konnte jetzt auch besser durch das Blätterdacht bis zum Waldboden dringen. Über diese Tatsache freute sich das Reh ziemlich, denn es ging nun zügiger wie die Tage zuvor und liess ihn auch weniger Pause machen, was Shikanosuke hingegen ziemlich unfair fand. Er war langsam einfach nur noch müde, egal wie lange sie schliefen. Zwar hatte er sich mittlerweile an das ständige Laufen gewöhnen können, aber um sich richtig zu erholen reichte ein bisschen Schlafen einfach nicht vollständig aus.
Schon am nächsten Tag fanden sie sich am Waldrand wieder. Der Wald ging aber nicht wie Shikanosuke es erwartet hatte, in eine grosse Wiese oder ähnliches über, ganz im Gegenteil. Während die Bäume immer weniger wurden und nur noch vereinzelt wuchsen, wich der schlammige Waldboden mehr und mehr einem sandigen Untergrund. Neugierig blieb Shikanosuke stehen und bückte sich, um den Sand zu erfühlen und etwas davon in seine Hand zu nehmen. Er hatte noch nie von jemandem gehört, dass es nur ein paar Tagesmärsche entfernt eine Wüste gab. Aber vielleicht hatten sie es auch einfach nicht gewusst, soweit sich Shikanosuke erinnern konnte, verliess selten jemand das Dorf, geschweige denn fanden Reisende ihren Weg in seine Heimat. Als dem Reh auffiel, dass er stehen geblieben war, kam es verärgert die paar Schritte zu ihm zurück und gab ihm mit einem nicht sehr sanften Stoss in den Rücken zu verstehen, dass er weiterlaufen soll.
„Jetzt hetz mich doch nicht“, maulte er trotzig und verschränkte die Arme. Das Reh gab ein verärgertes Geräusch von sich, es klang so als wollte es ihm seine Meinung über sein Verhalten mitteilen. Als das Reh einfach nicht aufhörte, an ihm zu ziehen und ihn zu schubsen, stampfte er mit einem Fuss auf.
„In die Wüste geh ich ganz bestimmt nicht, das ist gefährlich und ausserdem viel zu heiss“, begründete er sein trotziges Verhalten und dachte nicht daran, weiterzulaufen. Das Reh sah ihn einen Moment durchdringend an, ehe es kehrt machte und hocherhobenen Hauptes geradewegs in die Wüste hineinstolzierte. Einen Moment blieb Shikanosuke weiterhin trotzig stehen, bis ihm klar wurde, dass das Reh dieses Mal nicht mehr zurückkommen würde und ihn alleine liess. Auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubte, gab er seine trotzige Haltung schliesslich auf und rannte dem Reh nach.
„Oyassan, warte doch!“, rief er ihm nach und versuchte aufzuholen. Es war das erste Mal, dass er das Reh so nannte, aber irgendwie war es ihm rausgerutscht und er wollte doch, dass das Reh merkte das er es brauchte. Als das Reh seine Stimme hörte, blieb es tatsächlich stehen und wandte seinen Kopf nach ihm um. Geduldig wartete es, bis der Junge aufgeholt hatte und keuchend neben ihm stehen blieb.
„Ich bin jetzt auch ganz brav, aber lass mich nicht alleine“, sagte er reumütig und mit wässrigen Augen. Das Tier rieb aufmunternd seinen Kopf an seiner Schulter, wohl um ihm zu zeigen, dass es ihm verzieh.
Shikanosuke wusste nicht, wie lange sie schon durch die Wüste gelaufen waren, ihm kam es jedenfalls wie eine Ewigkeit vor, als er das Reh wieder ansprach. Die letzten Bäume des Waldes waren mittlerweile auch nicht mehr zu sehen.
„Ist es noch weit? Ich habe durst“, jammerte er. Hier war es ihm viel zu warm, und ausserdem hatte er mittlerweile sehr viel Sand in den Schuhen, was ziemlich unangenehm beim Gehen war. Ausziehen wollte er sie aber nicht, da der Sand auf ihn ziemlich heiss wirkte.
Das Reh schüttelte den Kopf und schaute mit einem Laut wieder nach vorne, um seine Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Dort konnte man gar nicht mehr so weit entfernt eine Burg in der Wüste ausmachen.
„Da bringst du mich hin?“, fragte er aufgeregt als er den Bau erblickte. Er hatte noch nie eine Burg mit eigenen Augen gesehen. Das Reh nickte auf seine Frage hin, und wollte gerade den Weg fortsetzen, als sich unweit vor ihnen ein Loch im Wüstensand auftat. Erschrocken ging Shikanosuke ein paar Schritte rückwärts und fiel dabei hin, als er eine Person aus dem Loch springen sah. Der junge Mann, der vor ihnen zu stehen kam, war in auffällig pinke Kleidung gehüllt und blickte auf das ungleiche Duo.
„Ah, du bist ja doch zurückgekommen. Ich dachte schon, ich sehe dich gar nicht mehr“, sprach er das Reh an. „Wie geht es deinem Bein?“
Das Tier gab einen freudigen Laut von sich und sprang dann einige Male um den jungen Mann, wohl um ihm zu zeigen, dass alles in Ordnung war. Es schien ihn ganz offensichtlich zu kennen und mochte ihn wohl auch ziemlich, denn es rieb seinen Kopf an seiner Seite. Er tätschelte dem Reh kurz den Kopf
„Wer ist denn dein kleiner Freund?“, fragte er und sein Blick wanderte zu Shikanosuke, der immer noch ziemlich ängstlich auf dem Boden sass. Das Reh liess von dem jungen Mann ab und ging stattdessen wieder auf Shikanosuke zu, um ihn mit einem Schubser zum Aufstehen zu bewegen. Artig folgte er der Aufforderung und klopfte sich den Sand von den Kleidern. Mit einem quäkenden Geräusch und einem Stoss in den Rücken gab es ihm zu verstehen, dass er antworten sollte.
„Ich bin Shikanosuke. Yamanaka Shikanosuke“, antwortete er und sah den jungen Mann an.
„Shikanosuke“, wiederholte er und er warf kurz einen Blick auf das Reh. „Von wo kommst du? Hast du dich verlaufen?“ Shikanosuke schüttelte den Kopf.
„Ich weiss nicht genau, ich bin einfach mit dem Reh mitgelaufen. Aber wenn man durch die Wüste läuft und dann durch den Wald, kommt man da hin wo ich wohne“, erklärte er schüchtern. Der junge Mann sah ihn etwas überrascht an.
„So weit seid ihr gelaufen? Na kein Wunder das du so lange weg warst“, sagte er an das Tier gewandt. „Durch meine Wüste und dann durch den Wald“, fügte er leiser und mehr zu sich selbst hinzu. Er schien nachzudenken. Nach einer Weile konnte man ihm ansehen, dass er sich plötzlich an etwas erinnerte.
„Jetzt verstehe ich warum du ihn mitgebracht hast.“ Der junge Mann strich sich kurz über den Kopf und seufzte. Währenddessen rieb das Reh seinen Kopf wieder an Shikanosukes Schulter, wohl um dem jungen Mann zu zeigen, dass es den Jungen ins Herz geschlossen hatte.
„Schon gut, du hast mich ja überzeugt. Ich bin ja auch kein Unmensch“, sagte er zu dem Reh. Shikanosuke hingegen wusste nicht genau, was da gerade vor sich ging.
„Bringst du mich jetzt nach Hause?“, traute sich der Junge schliesslich zu fragen. Etwas anderes wollte ihm als Grund nicht einfallen, warum das Reh ihn zu diesem jungen Mann gebracht hatte. Vielleicht wusste er ja den Weg zurück zu seinem Zuhause.
Dieser sah ihn mit einer eher traurigen Miene an, als er die Frage hörte. Shikanosuke konnte sich nicht erklären, warum sich seine Stimmung so plötzlich geändert hatte. Er hatte doch nur gefragt, ob er ihn nach Hause bringen könne.
„Komm erst Mal mit zu mir nach Hause. Ich wohne da drüben in der Burg“, sagte er und wollte Shikanosuke an der Hand nehmen, doch dieser wich einen Schritt zurück.
„Ich soll nicht mit Fremden mitgehen, das hat mir meine Mutter immer gesagt“, sagte er als er sah, dass der junge Mann nicht ganz verstand, warum er vor ihm zurückwich. Dieser lachte daraufhin kurz.
„Da hat deine Mutter auch vollkommen Recht. Aber wie du siehst, kennt mich das Reh hier ziemlich gut und hat dich nicht grundlos hierher gebracht, ich denke, da darfst du mal eine Ausnahme machen.“
Shikanosuke war hin und her gerissen, einerseits wollte er das machen, was seine Eltern ihm immer gesagt haben, andererseits schien der junge Mann wirklich nicht böse zu sein, dann würde das Reh ihn ja nicht mögen. Und dass er dem Reh trauen konnte wusste er, schliesslich hatte es gut auf ihn aufgepasst. Zudem würde er vielleicht endlich etwas zu trinken bekommen, wenn er mit zur Burg ging.
„Also gut, aber nur ausnahmsweise“, willigte er schliesslich ein, gab ihm seinen Hand aber trotzdem nicht. Schliesslich war er alt genug das er alleine laufen konnte, und verloren gehen konnte er in der flachen Wüste ja ohnehin nicht.
„Das freut mich. Komm, du hast doch bestimmt auch durst wenn ihr vom Wald bis hierher gelaufen seid“, sagte der junge Mann daraufhin, legte ihm eine Hand auf die Schulter und deutete ihm mit leichtem Druck gegen die Schulter loszulaufen.
„Wie heisst du eigentlich?“, fragte Shikanosuke schon nach ein paar Schritten und sah zu ihm auf. Der junge Mann sah kurz zu ihm hinunter.
„Du kannst mich Haru nennen.“