War in Black and White [Kalender 2017]
von RamonaXX
Kurzbeschreibung
„War in Black and White“ ist eine Art Kalender. Zu zwölf ausgewählten Fotographien sind zwölf bewegende One-Shots geschrieben worden. Die Fotographien zeigen Soldaten im Kriegseinsatz und die One-Shots erzählen von ihren Gedanken, ihren Sorgen, ihren Nöten… [Geschichtensammlung mit Schwarzweiß-Bildern aus dem Vietnamkrieg]
OneshotDrama, Schmerz/Trost / P16 / Gen
01.01.2017
31.12.2017
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01.01.2017
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Es war später Nachmittag und die Strahlen der tiefstehenden Sonne fielen gestochen scharf durch die hohen Baumkronen. Milliarden von Dunsttröpfchen tanzten in dem Licht und gaben ihm eine trübe Färbung. Dort wo die Sonnenstrahlen auf den Waldboden trafen, formten sie zusammen mit Blättern und kleinen Zweigen unregelmäßige Muster aus hellen und dunklen Flecken.
Die Natur schwieg in Anbetracht ihrer eigenen Schönheit und nur die dreißig knatschenden Stiefelpaare vom zweiten Zug der Delta-Kompanie, die sich raschelnd über das dichte Laub zum Sammelplatz fortbewegten, waren zu hören.
Linus war bereits am Sammelplatz. Er hockte auf einem Baumstamm, hatte das schwere Funkgerät abgesetzt und unmittelbar vor seinen Füßen auf den laubbedeckten Boden gestellt. Die Ellenbogen auf den Knien aufgestützt, hielt Linus sich die Hände vors Gesicht und versuchte zu begreifen was vor nicht einmal einer halben Stunde geschehen war.
Direkt vor Linus’ Nase saß Cordwell. Der große, blonde Gruppenführer hatte seinen Helm neben sich abgelegt und wirkte in seiner reglosen Haltung fast schon apathisch. Wie versteinert saß Cordwell im Schneidersitz da. Er hatte die Arme in einer Geste des Trotzes vor seiner Brust verschränkt und den Blick auf einen unsichtbaren Punkt vor seinen Füßen gerichtet.
Ein Fehler, ein dummer Fehler, hatte zwei seiner besten Leute das Leben gekostet und die steife, trotzige Haltung war seine Art die Toten zu bedauern. Cordwell war wütend. Cordwell war sauer. Cordwell war enttäuscht. Und all diese Emotionen tobten durch sein Inneres, während sein Äußeres stumm blieb.
Durch den Schleier seiner eigenen Betroffenheit nahm Linus wahr, dass Second Lieutenant Rogers, der vor Cordwells Füßen stand und sein Gewehr locker über die Schulter geschwungen hatte, in seine Richtung sprach. Es brauchte einen Moment bis Linus klar wurde, dass die Worte des Zugführers nicht ihm galten, sondern seinem Kameraden Higgs, der neben ihm auf dem Baumstamm hockte.
Halbherzig schnappte Linus Fetzen ihres Gespräches auf und war entsetzt mit welcher Routine Rogers von den beiden Toten sprach. Es klang fast so, als wäre es für den erfahrenen Lieutenant eine alltägliche Lappalie, dass zwei Männer seines Zuges von einer Tellermine in die Luft gesprengt worden waren.
Vielleicht war aber Linus mit seinen drei Monaten einfach noch nicht lange genug in Vietnam, um solche Ereignisse mit einer derart professionellen Nüchternheit hinzunehmen. Andererseits wollte er so abgestumpft auch gar nicht werden. Für ihn war der plötzliche Tod von Dickinson und Murphy keine simple Kopfrechenaufgabe, die „minus zwei“ lautete. Es ging ihm nah und ähnlich wie Cordwell, schaffte auch Linus es nicht seine Bestürzung zu verbergen.
Das Hauptquartier war über Funk von den Verlusten unterrichtet worden – dort wurden Dickinson und Murphy tatsächlich wie zwei belanglose Zahlen in einer großen Rechnung behandelt. Die angeforderten Hubschrauber würden erst in zwei Stunden kommen, um die Leichen abzuholen. Alles was sie bis dahin tun konnten, war sitzen und warten.
Ein Rascheln, begleitet von leisem Getuschel weckte Linus aus seinen Gedanken. Zwischen den Bäumen tauchten andere Männer des Zuges auf. Sie trugen die Überreste ihrer Kameraden zu großen Paketen in deren Regenponchos verschnürt und an lange Bambusstangen festgebunden zum Sammelpatz.