Vanitas - Der Herzog von Grafton
von Jaxxi
Kurzbeschreibung
SPOILERWARNUNG: SPIELT NACH DEM VIERTEN BAND! Die Mitarbeiter von Lockwood und Company haben sich zwar geschworen, das Geheimnis der mächtigsten Frau Londons aufzudecken, doch natürlich muss sich die Agentur auch über Wasser halten. Da kommt der neue Klient, der sich als Herzog von Grafton vorstellt, doch gerade recht. Ein scheinbar einfacher Fall nimmt eine überraschende Wendung und plötzlich stehen Lockwood, Lucy, George, Holly und Kipps einem alten Bekannten gegenüber.
GeschichteMystery, Übernatürlich / P12 / Gen
Anthony Lockwood
Der Schädelgeist
George Cubbins
Holly Munro
Lucy Carlyle
Qill Kipps
22.12.2016
22.04.2017
9
25.472
3
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19.04.2017
1.590
„Okay“, sagte Lockwood und unterbrach die entstandene, überraschte Stille, „Es ist jetzt wirklich wichtig, dass wir keine Panik bekommen“
Kipps lachte freudlos und die Wände warfen seine Stimme zurück, sodass es sich anhörte, als wären wir von hunderten ehemaligen Fittes Beratern umgeben: „Wow Tony, so viel Scharfsinn hätte ich dir gar nicht zugetraut!“
Im Schein seiner Taschenlampe konnte ich erkennen, dass Lockwoods aufmunterndes Lächeln leicht verrutscht war. Holly zog den Kragen ihrer Jacke hoch, als fröstelte sie es. Schnell warf ich einen Blick auf Georges phosphoreszierendes Thermometer, stellte aber fest, dass sich die Temperatur nicht verändert hatte. Das merkwürdige Summen war auch verstummt. Ich hörte nichts mehr außer den Atemzügen der anderen.
Geistesabwesend ließ ich meine Finger über die steinerne Wand streifen. Meine Finger glitten über unebene Kuhlen, Kanten und plötzlich stieß ich auf etwas Weiches, Kaltes. Kurz zuckte ich zurück, dann nahm ich meine eigene Taschenlampe vom Gürtel und leuchtete das glibberige Etwas an.
Es war ein grüner, feuchter Klumpen. Ich runzelte die Stirn. Das ganze Haus strotzte nur so vor Sauberkeit, selbst der Keller war höchstens ansatzweise staubig, aber vor allem eins: an keiner Stelle feucht.
Als neben mir ein Licht aufleuchtete, zuckte ich zusammen und meine Hand lag schon fast auf meinem Degenknauf, da klopfte mir jemand beruhigend auf die Schulter.
„Sehr gut gemacht Luce“, sagte Lockwood und beugte sich hinter mir vor. Seine langen Finger strichen über den Moosklumpen. Dann nahm er die Abblende seiner Taschenlampe heraus und ließ den vergrößerten Strahl über die ganze Kellerwand gleiten.
Jetzt konnten wir erkennen, dass von der Decke überall kleine Rinnsale aus Wasser an der Wand herabliefen und damit das Moos befeuchteten, das sich in jeder Ritze angesiedelt hatte. Somit wirkte die Wand wie eine Landkarte, auf der die Dörfer wild durcheinander entstanden waren.
George pfiff leise durch die Zähne: „Wir sind irgendwie in einen anderen Teil des Kellers gelangt, Tatsache“
„Das kann aber nicht sein“, hielt Kipps dagegen, doch wirklich überzeugt sah er nicht aus, „Wir haben doch noch gehört, wie die Tür, die in den Keller führt, zugefallen ist“
„Waren wir uns nicht eben noch sicher, dass das Geräusch von einem Poltergeist stammt?“, warf Holly ein und ich konnte ein leichtes Zittern aus ihrem hellen Stimmchen heraushören. Ich musste mich zusammenreißen um nicht laut zu schnauben: „Denk doch mal nach Holly, wenn es wirklich einer wäre, hätte er uns hören und verfolgen müssen!“
„Eine Möglichkeit wäre es aber noch immer“, sagte Lockwood und hob beschwichtigend die Arme. Da er im Halbdunkel stand, wirkte er in der Pose wie ein abtrünniger Priester, der versucht, einen bösen Dämon zu beschwören.
Ich setzte gerade dazu an, mich bei Holly für meinen etwas unangemessenen Kommentar zu entschuldigen, da ertönte ein eindringliches Flüstern von unten: „Leute! Kommt mal schnell her!“
Nun mucksmäuschenstill und hintereinander wie eine Gruppe Lemminge huschten wir die Treppe wieder hinunter, bis Lockwood, der vorangegangen war, abrupt stehen blieb. Ich hatte damit nicht gerechnet und lief in ihn hinein, Holly und Kipps dicht auf den Fersen. Um nicht hinzufallen, hielt sich unsere Sekretärin an meinem Rucksack fest, indem natürlich noch immer das verschlossene Geisterglas schlummerte. Ein unglücklicher Handgriff von ihr löste aber offensichtlich den Hebel und die ewig nörgelnde Geisterstimme ertönte beinahe sofort.
„Wieso lauft ihr denn die ganze Zeit im Kreis?“, der Schädel schien zu frohlocken, „Habt ihr euch etwa ganz allein im gruseligen Keller verlaufen? Soll ich eure Eltern rufen? Die Agentengruppe von Lockwood & Co. möchte bitte aus dem Kinderparadies abgeholt werden!“, ahmte er eine Kaufhausansage nach.
Genervt atmete ich tief ein und aus. Was für Tipps gegen Aggression standen noch mal im Handbuch für Agenten? Richtig: langsam atmen, bis zehn zählen, an etwas Schönes denken. Meiner Meinung nach der mit Abstand bescheuertste Rat, den ich je gehört hatte. Diese Technik klappte genauso wenig, wie um einzuschlafen Schäfchen zu zählen.
Plötzlich schnippte mir jemand mit Fingern vor dem Gesicht herum: „Luce, das musst du dir ansehen!“, George wies aufgeregt auf die Wand links neben sich.
Mein Ärger war noch nicht gänzlich verschwunden, außerdem war das leise Summen wieder da, wie ein immer wieder kehrender Zahnschmerz. Deshalb antwortete ich pampig: „Wow, spannend“
George ignorierte diesen Kommentar beflissen und zeigte statt einer Antwort auf den Boden. Ich folgte seinem Finger und bemerkte so die kleinen Steinbrocken, die sich quer über den kleinen Treppenabsatz, auf den wir uns alle quetschten, erstreckten.
Ich stutzte: „Das sieht ja fast so aus, als ob –!“
„Die Wand hier von oben heruntergelassen wurde“, beendete Lockwood meinen Satz und leuchtete erneut mit seiner Taschenlampe den Stein an, „Das würde auch den lauten Knall von eben erklären. Oh – und seht mal! Wenn man genau hinschaut, kann man eine schmale Ritze zwischen diesen beiden Wandteilen erkennen!“
Jetzt sahen wir es auch. Ein schmaler Riss, mit dem Auge kaum zu erkennen, zog sich vom Boden, bis zur Decke. Die herunterfahrbare Wand passte fast perfekt in die Mauerung des eigentlichen Kellers.
„Da hat euch jemand aber schön hereingelegt!“, der Schädel klang, als hätte er gerade ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk bekommen. Ich war noch zu verblüfft, um meinem Rucksack einen unauffälligen Klapps zu geben.
Wortlos schob sich jemand zwischen Lockwood und mir hindurch und hockte sich auf den Boden. Quill Kipps kramte in seinem Gürtel und brachte schließlich eine Streichholzpackung zum Vorschein. Ein leises Ratschen ertönte, als er es entzündete, nur um es sofort wieder auszupusten. Der Rauch verzog sich allerdings nicht wie sonst nach oben, sondern verschwand in der Ritze zwischen den verschiedenen Wänden.
Kipps blickte zu uns hoch: „Die Mauer schließt uns nicht komplett vom anderen Gang ab!“, sagte er aufgeregt.
„Vielleicht können wir sie ja hochstemmen“, meinte George, kratzte sich am Oberarm und blickte die Steinwand zweifelnd an, „Es wäre möglich, dass sie von innen hohl ist“
„Du bist hier eher der Hohlkopf Cubbins!“, wetterte der Schädel schadenfroh, „Bei dem Knall kann das Ding doch gar nicht leicht sein!“ Ich musste widerwillig zugeben, dass ich dem Schädel in diesem Punkt zustimmte.
Lockwood legte derweil seine Ausrüstung auf den Boden und zog seinen Mantel aus, um die Arme freier bewegen zu können. Sein dunkles Hemd darunter war makellos und wahrscheinlich von Holly frisch gebügelt: „Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert“, er krempelte die Ärmel hoch, strich sich das Haar aus der Stirn und knipste ein strahlendes Lächeln an. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Wieder einmal hatte er es geschafft, uns mit seinem Tatendrang anzustecken und glauben zu lassen, das Unmögliche möglich zu machen.
„George, Kipps, ihr packt mit an!“, dirigierte er und schob Holly und mich die Treppe hinauf.
Ich wollte gerade den Einwand vorbringen, dass Kipps‘ streichholzdürre Arme bei dieser Aktion wahrscheinlich eher durchbrachen, als irgendetwas anzuheben, doch Lockwood hatte sich so plötzlich zu mir gebeugt, dass mir meine Worte in der Kehle stecken blieben. Unwillkürlich hielt ich die Luft an und blickte zu ihm herauf. Sein Gesicht war auf einmal keine zwanzig Zentimeter mehr von meinem entfernt. Sein Lächeln hatte sich nicht verändert und er blickte auf eine Stelle, neben meinem rechten Auge.
„Du hast hier noch Moos“, unentwegt lächelnd fischte er einen dunkelgrünen Klumpen hinter meinem Ohr hervor und schnippte ihn weg. Dann drehte er sich um, holte ein Brecheisen aus seiner Sporttasche hervor und klemmte es zwischen George und Kipps, die beide am Boden kauerten, bereit, zu ziehen.
Währenddessen war ich dankbar, dass Lockwoods Taschenlampe auf die Wand vor uns gerichtet, war, sodass Holly und ich im Schatten standen. Ständen auch wir im Licht, würde sie mein mit Sicherheit knallrotes Gesicht sehen. Aber ich machte mir nichts vor, wahrscheinlich hörte sie sowieso das Trommeln meines Herzens, das wohl dachte, es würde gerade vor einer Blutrippe davonlaufen.
Um mich abzulenken raunte ich Holly zu: „Ich wette um zehn Pfund, dass sie es nicht schaffen“
„Ich erhöhe um zwanzig!“, gab der Schädel seinen Senf dazu und unsere Sekretärin kicherte: „Sie hätten bessere Chancen, wenn du an Quills Stelle ziehen würdest“
Ich fing an zu grinsen und schon zählte Lockwood einen Countdown herunter: „Ich fange auf drei an, hochzustemmen. Zieht mit! Drei, zwei eins …“
Lockwood stützte sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf den kurzen Hebel und George und Kipps versuchten ächzend, die Wand zu heben.
Unglücklicherweise rutschte die Hose unseres Archivars dabei gefährlich tief herunter, sodass Holly und ich beide gleichzeitig scharf Luft einsogen und die Köpfe drehten, um lieber den dunklen Gang rechts neben den Jungen zu betrachten.
Ich blickte in Hollys verstört schauendes Gesicht: „Keine Sorge, irgendwann gewöhnst du dich an den Anblick“
„Ich schätze darauf kann ich verzichten“, erwiderte sie und schüttelte sich kurz, „Ehrlich gesagt, ich –!“
„Warte mal!“, unterbrach ich und sie verstummte sofort. Das Summen war wieder lauter geworden. Es klang wie hunderte Bienen, die sich im Schwarm auf uns zu bewegten. Das Geräusch kam definitiv auf uns zu. Das war definitiv beunruhigend.
„Meinst du das Surren?“, fragte Holly plötzlich und ich wandte ihr überrascht den Kopf zu: „Wie jetzt? Du kannst es hören?“
„Ja, aber nur ganz leise“
„Von wegen leise! Es ist viel lauter geworden!“, suchend tastete ich an meinem Gürtel herum. Meine Angst wich Interesse. Wenn Holly das Geräusch auch hörte, konnte es nicht von etwas Übernatürlichem kommen.
„Du hast eben die besseren Ohren von uns beiden“, sagte Holly leicht eingeschnappt, „Aber jetzt ist es wirklich lauter geworden!“
Das war dezent ausgedrückt, denn inzwischen wäre man wohl taub, wenn man das Surren nicht hören würde.
Endlich hatte ich meine Taschenlampe gefunden, zog sie vom Gürtel, richtete sie vor Holly und mich, zählte in Gedanken bis drei und knipste sie dann an.
Ich weiß bis heute nicht, wer lauter geschrien hat, Holly oder ich.
Kipps lachte freudlos und die Wände warfen seine Stimme zurück, sodass es sich anhörte, als wären wir von hunderten ehemaligen Fittes Beratern umgeben: „Wow Tony, so viel Scharfsinn hätte ich dir gar nicht zugetraut!“
Im Schein seiner Taschenlampe konnte ich erkennen, dass Lockwoods aufmunterndes Lächeln leicht verrutscht war. Holly zog den Kragen ihrer Jacke hoch, als fröstelte sie es. Schnell warf ich einen Blick auf Georges phosphoreszierendes Thermometer, stellte aber fest, dass sich die Temperatur nicht verändert hatte. Das merkwürdige Summen war auch verstummt. Ich hörte nichts mehr außer den Atemzügen der anderen.
Geistesabwesend ließ ich meine Finger über die steinerne Wand streifen. Meine Finger glitten über unebene Kuhlen, Kanten und plötzlich stieß ich auf etwas Weiches, Kaltes. Kurz zuckte ich zurück, dann nahm ich meine eigene Taschenlampe vom Gürtel und leuchtete das glibberige Etwas an.
Es war ein grüner, feuchter Klumpen. Ich runzelte die Stirn. Das ganze Haus strotzte nur so vor Sauberkeit, selbst der Keller war höchstens ansatzweise staubig, aber vor allem eins: an keiner Stelle feucht.
Als neben mir ein Licht aufleuchtete, zuckte ich zusammen und meine Hand lag schon fast auf meinem Degenknauf, da klopfte mir jemand beruhigend auf die Schulter.
„Sehr gut gemacht Luce“, sagte Lockwood und beugte sich hinter mir vor. Seine langen Finger strichen über den Moosklumpen. Dann nahm er die Abblende seiner Taschenlampe heraus und ließ den vergrößerten Strahl über die ganze Kellerwand gleiten.
Jetzt konnten wir erkennen, dass von der Decke überall kleine Rinnsale aus Wasser an der Wand herabliefen und damit das Moos befeuchteten, das sich in jeder Ritze angesiedelt hatte. Somit wirkte die Wand wie eine Landkarte, auf der die Dörfer wild durcheinander entstanden waren.
George pfiff leise durch die Zähne: „Wir sind irgendwie in einen anderen Teil des Kellers gelangt, Tatsache“
„Das kann aber nicht sein“, hielt Kipps dagegen, doch wirklich überzeugt sah er nicht aus, „Wir haben doch noch gehört, wie die Tür, die in den Keller führt, zugefallen ist“
„Waren wir uns nicht eben noch sicher, dass das Geräusch von einem Poltergeist stammt?“, warf Holly ein und ich konnte ein leichtes Zittern aus ihrem hellen Stimmchen heraushören. Ich musste mich zusammenreißen um nicht laut zu schnauben: „Denk doch mal nach Holly, wenn es wirklich einer wäre, hätte er uns hören und verfolgen müssen!“
„Eine Möglichkeit wäre es aber noch immer“, sagte Lockwood und hob beschwichtigend die Arme. Da er im Halbdunkel stand, wirkte er in der Pose wie ein abtrünniger Priester, der versucht, einen bösen Dämon zu beschwören.
Ich setzte gerade dazu an, mich bei Holly für meinen etwas unangemessenen Kommentar zu entschuldigen, da ertönte ein eindringliches Flüstern von unten: „Leute! Kommt mal schnell her!“
Nun mucksmäuschenstill und hintereinander wie eine Gruppe Lemminge huschten wir die Treppe wieder hinunter, bis Lockwood, der vorangegangen war, abrupt stehen blieb. Ich hatte damit nicht gerechnet und lief in ihn hinein, Holly und Kipps dicht auf den Fersen. Um nicht hinzufallen, hielt sich unsere Sekretärin an meinem Rucksack fest, indem natürlich noch immer das verschlossene Geisterglas schlummerte. Ein unglücklicher Handgriff von ihr löste aber offensichtlich den Hebel und die ewig nörgelnde Geisterstimme ertönte beinahe sofort.
„Wieso lauft ihr denn die ganze Zeit im Kreis?“, der Schädel schien zu frohlocken, „Habt ihr euch etwa ganz allein im gruseligen Keller verlaufen? Soll ich eure Eltern rufen? Die Agentengruppe von Lockwood & Co. möchte bitte aus dem Kinderparadies abgeholt werden!“, ahmte er eine Kaufhausansage nach.
Genervt atmete ich tief ein und aus. Was für Tipps gegen Aggression standen noch mal im Handbuch für Agenten? Richtig: langsam atmen, bis zehn zählen, an etwas Schönes denken. Meiner Meinung nach der mit Abstand bescheuertste Rat, den ich je gehört hatte. Diese Technik klappte genauso wenig, wie um einzuschlafen Schäfchen zu zählen.
Plötzlich schnippte mir jemand mit Fingern vor dem Gesicht herum: „Luce, das musst du dir ansehen!“, George wies aufgeregt auf die Wand links neben sich.
Mein Ärger war noch nicht gänzlich verschwunden, außerdem war das leise Summen wieder da, wie ein immer wieder kehrender Zahnschmerz. Deshalb antwortete ich pampig: „Wow, spannend“
George ignorierte diesen Kommentar beflissen und zeigte statt einer Antwort auf den Boden. Ich folgte seinem Finger und bemerkte so die kleinen Steinbrocken, die sich quer über den kleinen Treppenabsatz, auf den wir uns alle quetschten, erstreckten.
Ich stutzte: „Das sieht ja fast so aus, als ob –!“
„Die Wand hier von oben heruntergelassen wurde“, beendete Lockwood meinen Satz und leuchtete erneut mit seiner Taschenlampe den Stein an, „Das würde auch den lauten Knall von eben erklären. Oh – und seht mal! Wenn man genau hinschaut, kann man eine schmale Ritze zwischen diesen beiden Wandteilen erkennen!“
Jetzt sahen wir es auch. Ein schmaler Riss, mit dem Auge kaum zu erkennen, zog sich vom Boden, bis zur Decke. Die herunterfahrbare Wand passte fast perfekt in die Mauerung des eigentlichen Kellers.
„Da hat euch jemand aber schön hereingelegt!“, der Schädel klang, als hätte er gerade ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk bekommen. Ich war noch zu verblüfft, um meinem Rucksack einen unauffälligen Klapps zu geben.
Wortlos schob sich jemand zwischen Lockwood und mir hindurch und hockte sich auf den Boden. Quill Kipps kramte in seinem Gürtel und brachte schließlich eine Streichholzpackung zum Vorschein. Ein leises Ratschen ertönte, als er es entzündete, nur um es sofort wieder auszupusten. Der Rauch verzog sich allerdings nicht wie sonst nach oben, sondern verschwand in der Ritze zwischen den verschiedenen Wänden.
Kipps blickte zu uns hoch: „Die Mauer schließt uns nicht komplett vom anderen Gang ab!“, sagte er aufgeregt.
„Vielleicht können wir sie ja hochstemmen“, meinte George, kratzte sich am Oberarm und blickte die Steinwand zweifelnd an, „Es wäre möglich, dass sie von innen hohl ist“
„Du bist hier eher der Hohlkopf Cubbins!“, wetterte der Schädel schadenfroh, „Bei dem Knall kann das Ding doch gar nicht leicht sein!“ Ich musste widerwillig zugeben, dass ich dem Schädel in diesem Punkt zustimmte.
Lockwood legte derweil seine Ausrüstung auf den Boden und zog seinen Mantel aus, um die Arme freier bewegen zu können. Sein dunkles Hemd darunter war makellos und wahrscheinlich von Holly frisch gebügelt: „Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert“, er krempelte die Ärmel hoch, strich sich das Haar aus der Stirn und knipste ein strahlendes Lächeln an. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden. Wieder einmal hatte er es geschafft, uns mit seinem Tatendrang anzustecken und glauben zu lassen, das Unmögliche möglich zu machen.
„George, Kipps, ihr packt mit an!“, dirigierte er und schob Holly und mich die Treppe hinauf.
Ich wollte gerade den Einwand vorbringen, dass Kipps‘ streichholzdürre Arme bei dieser Aktion wahrscheinlich eher durchbrachen, als irgendetwas anzuheben, doch Lockwood hatte sich so plötzlich zu mir gebeugt, dass mir meine Worte in der Kehle stecken blieben. Unwillkürlich hielt ich die Luft an und blickte zu ihm herauf. Sein Gesicht war auf einmal keine zwanzig Zentimeter mehr von meinem entfernt. Sein Lächeln hatte sich nicht verändert und er blickte auf eine Stelle, neben meinem rechten Auge.
„Du hast hier noch Moos“, unentwegt lächelnd fischte er einen dunkelgrünen Klumpen hinter meinem Ohr hervor und schnippte ihn weg. Dann drehte er sich um, holte ein Brecheisen aus seiner Sporttasche hervor und klemmte es zwischen George und Kipps, die beide am Boden kauerten, bereit, zu ziehen.
Währenddessen war ich dankbar, dass Lockwoods Taschenlampe auf die Wand vor uns gerichtet, war, sodass Holly und ich im Schatten standen. Ständen auch wir im Licht, würde sie mein mit Sicherheit knallrotes Gesicht sehen. Aber ich machte mir nichts vor, wahrscheinlich hörte sie sowieso das Trommeln meines Herzens, das wohl dachte, es würde gerade vor einer Blutrippe davonlaufen.
Um mich abzulenken raunte ich Holly zu: „Ich wette um zehn Pfund, dass sie es nicht schaffen“
„Ich erhöhe um zwanzig!“, gab der Schädel seinen Senf dazu und unsere Sekretärin kicherte: „Sie hätten bessere Chancen, wenn du an Quills Stelle ziehen würdest“
Ich fing an zu grinsen und schon zählte Lockwood einen Countdown herunter: „Ich fange auf drei an, hochzustemmen. Zieht mit! Drei, zwei eins …“
Lockwood stützte sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf den kurzen Hebel und George und Kipps versuchten ächzend, die Wand zu heben.
Unglücklicherweise rutschte die Hose unseres Archivars dabei gefährlich tief herunter, sodass Holly und ich beide gleichzeitig scharf Luft einsogen und die Köpfe drehten, um lieber den dunklen Gang rechts neben den Jungen zu betrachten.
Ich blickte in Hollys verstört schauendes Gesicht: „Keine Sorge, irgendwann gewöhnst du dich an den Anblick“
„Ich schätze darauf kann ich verzichten“, erwiderte sie und schüttelte sich kurz, „Ehrlich gesagt, ich –!“
„Warte mal!“, unterbrach ich und sie verstummte sofort. Das Summen war wieder lauter geworden. Es klang wie hunderte Bienen, die sich im Schwarm auf uns zu bewegten. Das Geräusch kam definitiv auf uns zu. Das war definitiv beunruhigend.
„Meinst du das Surren?“, fragte Holly plötzlich und ich wandte ihr überrascht den Kopf zu: „Wie jetzt? Du kannst es hören?“
„Ja, aber nur ganz leise“
„Von wegen leise! Es ist viel lauter geworden!“, suchend tastete ich an meinem Gürtel herum. Meine Angst wich Interesse. Wenn Holly das Geräusch auch hörte, konnte es nicht von etwas Übernatürlichem kommen.
„Du hast eben die besseren Ohren von uns beiden“, sagte Holly leicht eingeschnappt, „Aber jetzt ist es wirklich lauter geworden!“
Das war dezent ausgedrückt, denn inzwischen wäre man wohl taub, wenn man das Surren nicht hören würde.
Endlich hatte ich meine Taschenlampe gefunden, zog sie vom Gürtel, richtete sie vor Holly und mich, zählte in Gedanken bis drei und knipste sie dann an.
Ich weiß bis heute nicht, wer lauter geschrien hat, Holly oder ich.