Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

Vanitas - Der Herzog von Grafton

von Jaxxi
Kurzbeschreibung
GeschichteMystery, Übernatürlich / P12 / Gen
Anthony Lockwood Der Schädelgeist George Cubbins Holly Munro Lucy Carlyle Qill Kipps
22.12.2016
22.04.2017
9
25.472
3
Alle Kapitel
14 Reviews
Dieses Kapitel
2 Reviews
 
06.01.2017 1.520
 
So, ich war über Silvester beschäftigt und bin nicht zum Schreiben gekommen… Aber jetzt geht es natürlich weiter! Btw, die Informationen über Euston Hall entsprechen größtenteils der Wahrheit! Wenn also jemand Lust hat, sich die englische Wikipedia Seite dazu durchzulesen, tut euch keinen Zwang an xD

Kapitel 3

Die ganze Agentur Lockwood und Co. versammelte sich erst am nächsten Morgen wieder in der Küche zum Brunchen. Holly und ich waren zwar schon um zehn Uhr wieder in der Portland Row angekommen, aber ich hatte über zehn Stunden lang durchgeschlafen. Die freien Tage ließen noch grüßen.

George war laut seinem Bericht erst um zwei Uhr morgens aus dem Archiv wieder heimgekehrt und brachte (wieder laut ihm) spannende Neuigkeiten mit.

Lockwood hatte sich bis drei Uhr nachts mit dem Toten unter dem Kinderzimmerfenster herumschlagen müssen. Der Mann hatte zwar eigentlich nur herumgestanden, auf einer Harfe herumgezupft und die Lippen bewegt, aber Lockwood hatte den halben Garten des Hauses umgraben müssen, um an seine Quelle zu kommen.
Dann war sogar noch ein zweiter Geist aufgetaucht, der dem ersten aufgelauert hatte und war sogar fast in den Chef unserer Agentur hineingelaufen. Lockwood hatte sich jedoch mit einem olympiareifen Sprung ins Gemüsebeet vor den dürren Armen des Besuchers retten können. Anschließend hatte er laut seinen Erzählungen, während er den zweiten Geist gebannt hatte, die Quelle des ersten, eine fast komplett verwitterte Lyra, die halb mit einem Baum verwachsen gewesen war, versiegelt. Danach hatte er die Gebeine des zweiten Besuchers hinter dem Komposthaufen entdeckt.

Diese Erzählungen, gepaart mit Georges zusätzlichen Recherchen, hatten ergeben, dass es sich bei diesen beiden Geistern um zwei Männer des neunzehnten Jahrhunderts gehandelt hatte, die beide in die gleiche Frau (die Tochter des Bürgermeisters) verliebt gewesen waren.

Ihr Geliebter hatte ihr jeden Tag um Mitternacht ein Liebeslied unter ihrem Fenster vorgesungen (was wohl die Nachbarn davon gehalten hatten?). Aber ein Neider, der Sohn des Schmieds, hatte den Jüngling eines Nachts erschlagen, während er sein Ständchen vorgetragen hatte. In der Hoffnung, nun selbst der Geliebte der Tochter des Bürgermeisters zu werden, hatte er sich in ihren Garten gewagt, wo sie ihn schon erwartet hatte. Zwei kräftige Schläge mit dem Nudelholz hatten anscheinend gereicht, um auch dem Neider den Gar aus zu machen.

Zwar hatte ich der zusammengebastelten Geschichte nur mit halben Ohr zugehört, aber dennoch hegte ich eine gewisse Bewunderung für die Bürgermeistertochter. Zwei Schläge waren wirklich nicht übel! Sie musste eine gute Rückhand gehabt haben.

„Gut, dass du Ruhe bewahrt hast Lockwood“, sagte Holly gerade besorgt und holte mich damit in die Gegenwart zurück, „Falsche Aussagen der Klienten haben schon oft zum Tod von Agenten beigetragen. Als ich damals noch bei Rotwell gearbeitet habe, gab es über ein Duzend Fälle jedes Jahr“

„Wieso hat dieses blöde Kind auch nie aus dem anderen Fenster seines Zimmers geschaut?“, brummte Lockwood nur als Antwort. Er war gestern Nacht nicht zum Duschen gekommen, weshalb noch immer ein gewisser Komposthaufen Geruch an ihm klebte. Deshalb hatte er heute den Platz am Kopfende des Tisches abbekommen, an dem normalerweise nur Holly saß, da man von dort aus perfekt zum Lappen an der Spüle hechten konnte, wenn ein Tröpfchen Soße auf die Tischdecke spritzte.

Aber auch wenn er zum Himmel stank und mit ungewaschenen Haaren und müdem Gesichtsausdruck am Tisch saß, sah er dabei gut aus. Ich fragte mich, wie lange er wohl nicht duschen müsste, um Georges Aussehen Konkurrenz zu machen. Wahrscheinlich mehrere Jahre.

Als wir schließlich zuende gefrühstückt und den Tisch abgeräumt hatten, begann George, seine Mitschriften und Kopien aus dem Archiv über das weise Tuch auszubreiten.

„So“, er rieb sich die Hände und rückte seine Brille zurecht. In seinen Augen konnte ich das typische Glitzern erkennen, das bei normalen Jungen auftauchte, wenn sie leicht bekleidete Frauen auf der anderen Straßenseite erblickten.
„Hier seht ihr die komplette Zusammenfassung der Geschichte Euston Halls“, sagte er und in seiner Stimme schwang ein Anflug von Stolz mit, „Ebenso wie die Biografien und Skandale der auffälligsten Herzöge“

Auf dem Tisch lagen mindestens dreißig verschiedene Blätter, die in sauberster Handschrift alle Informationen preisgaben, die wir für unseren Fall benötigen würden. Beeindruckt sah ich zu George hinüber und Lockwood klopfte ihm anerkennend auf die Schulter: „Bitte, gib uns doch eine Zusammenfassung“
George raffte einige Papiere zusammen und blickte Lockwood und mich missbilligend an: „Wozu schreibe ich das alles eigentlich auf, wenn es sich doch nie einer von euch durchließt?“

„Damit du es dir besser merkst und es uns umso besser erklären kannst“, sagte ich strahlend und nahm mir einen Keks vom Teller. Holly verteilte Tee an uns alle und wir nahmen gespannt am Esstisch Platz. George tat immer nur so eingeschnappt. In Wirklichkeit genoss er es, uns Vorträge über die Vergangenheit zu halten.
„Also“, begann er umständlich und zog eine schwarz-weiß Kopie eines alten Gebäudes unter dem Papierstapel hervor, „Euston Hall taucht im Jahre 1087 das erste Mal im Domesday Buch auf –!“

Prompt wurde er von Holly unterbrochen: „Was ist denn das Domesday Buch?“

George sah sie ungläubig an: „Das ist das wohl bekannteste Grundbuch Englands -!“

„Was ist ein Grundbuch?“, fragte ich und als Reaktion kniff sich George mit den Fingern in den Nasenrücken. „Nicht jeder ist so ein Geschichtsfanatiker wie du“, setzte ich beleidigt hinzu.

„Ein Grundbuch ist ein öffentliches Register, in dem Grundstücke und ihre jeweiligen Eigentümer über die Jahre hinweg verzeichnet sind“, erklärte George penibel und Holly und ich lächelten ihn besänftigend an.

„Wie dem auch sei“, fuhr er fort, „Jedenfalls ist Euston Hall ursprünglich als Kloster der Abtei Bury St. Edmunds erbaut worden. Bis ins sechszehnte Jahrhundert blieb es auch ein Gotteshaus, als die Ländereien jedoch vom damaligen Königshaus aufgekauft wurden, fiel es natürlich in den Besitz von Königen Elizabeth der Ersten. Diese hat es zu einem Landsitz umbauen lassen. Allerdings hat sie Euston Hall nur einmal besucht, nämlich 1578 auf ihrem Weg nach Norwich.“

Ich spürte, wie meine Aufmerksamkeit rapide nachließ und ich warf einen Blick auf meine Mit-Zuhörer. Lockwoods Augen fielen beinahe zu und Holly knibbelte an einem Fleck auf der Tischdecke.

„Da sich nach diesem Besuch niemand mehr um das Anwesen kümmerte, verfiel es mit der Zeit“, ratterte George seinen Text herunter, „Aber 1666 wurde es von Henry Bennet, dem Graf von Arlington aufgekauft und restauriert.“, er zog den Grundriss des Grundstücks aus den Tiefen seiner Notizen hervor und wedelte damit dicht vor meiner Nase herum, „Der Graf war ein besonderer Gartenliebhaber, weshalb er sich vier verschieden aussehende Pavillons auf ein mehrere Hektar großes Grundstück hat bauen lassen. Für jede Himmelsrichtung einen“

„George“, unterbrach Lockwood unseren Archivar, wofür er sofort einen gekränkten Blick erntete, „Die kurze Kurzfassung bitte!“

„Ich habe fünfundzwanzig Seiten zu dem Thema aufgeschrieben“, sagte George entrüstet und deutete beleidigt auf die auf dem Tisch verteilten Seiten.

„Na dann ist es doch bestimmt eine klasse Herausforderung, uns diese in sagen wir mal zehn Minuten zu erklären. Ich muss dringend duschen“, zur Bestätigung roch Lockwood an seinem Hemdsärmel und kniff die Augen zusammen.

„Na schön“, George schob sich etwas enttäuscht die Brille wieder den Nasenrücken hoch, „Auf jeden Fall ist das Anwesen seitdem noch immer im Besitz der Königsfamilie. Beziehungsweise im Besitz von Verwandten der Königin“, er zog ein fotokopiertes Portrait aus dem Papierstapel. Es zeigte zwei Kinder, ich schätzte sie beide zwischen zehn und dreizehn Jahre alt, in Hochzeitsgewändern. Beide wirkten, so kam es mir vor, nicht gerade glücklich auf den Betrachter.

„Das hier sind Henry Fitzroy der Erste und Isabella Bennet, nach diesem Tag Isabella Fitzroy“, erklärte George, während wir anderen das Foto herumgaben, „Henry ist einer der illegitimen Söhne von König Charles dem zweiten und Isabella die damals höchste Tochter, die nicht aus der Königsfamilie stammte. Die Hochzeit zwischen diesen beiden großen Adelshäusern fand 1672 statt. Damals wurde dem kleinen Henry der neu eingeführte Titel Duke, also Herzog, verliehen. Bis heute sind alle Herzöge Englands irgendwie auf illegitime Art und Weise mit dem Königshaus verwandt und stehen über den Marquess, Grafen, Viscounts und Baronen.“

Überrascht blickten wir alle auf. Das würde ja bedeuten, dass…

„Also ist unser Henry Fitzroy, der wie vielte auch immer er ist, ein Verwandter der Königin?“, fragte Lockwood, um sich zu vergewissern, dass wir auch ja nichts falsch verstanden hatten.

George nickte grinsend. Er freute sich offensichtlich darüber, dass diese Nachricht den erhofften Effekt nicht verfehlt hatte.

„Deshalb war er so überheblich“, sagte ich nur trocken und stellte fest, dass ich ihn auf Anhieb noch weniger leiden konnte, als vorher.

George zuckte als Antwort nur mit den Schultern: „Alle Adeligen sind so“

„Und nicht nur die“, sagte Lockwood düster. Plötzlich sah er gar nicht mehr verschlafen aus. Seine Augen blitzen und sahen aus dem Fenster in die Ferne. Ich kannte das schon. Das war eben Lockwoods nachdenklicher Blick. Allerdings konnte nie jemand sagen, worüber er genau nachdachte. Er hatte nämlich die meiner Meinung etwas nervige Angewohnheit, einem seine Gedanken erst mitzuteilen, wenn er von allein auf die Lösung gekommen war. Bei so etwas ließ sich der Anführer unserer Agentur nicht gern helfen.

„Ich habe das Gefühl, wir müssen in diesem Fall vorsichtig sein“, murmelte er nach einer Weile und wir drei sahen ihn überrascht an, „Ich denke, wir holen noch einen zusätzlichen Agenten an Bord“
Review schreiben
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast