Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

My Romantic Dream, Your Deepest Wish

Kurzbeschreibung
GeschichteSchmerz/Trost, Liebesgeschichte / P18 / MaleSlash
Oliver Sykes
13.12.2016
17.01.2017
9
32.094
3
Alle Kapitel
6 Reviews
Dieses Kapitel
2 Reviews
 
 
13.12.2016 3.441
 
Das kommt dabei raus, wenn man in einem weniger lichten Moment eine Idee hat, diese Idee sich in einem lichteren Moment wiederholt und man daraufhin paralysiert stundenlang auf die Laptoptastatur einhämmert.
Die Story ist fertiggestellt und wird wöchentlich geupdated.


Kapitel 1

Eigentlich war ich ein sehr umgänglicher Mensch.
Jedenfalls war ich der festen Überzeugung, dass dem so war. Doch es gab durchaus auch Momente, bestimmte Momente, in meinem Leben, die mich schon in eine eher ungesinnte Stimmung brachten, bevor diese Momente überhaupt angefangen hatten.
Alleine der Gedanke an diese Momente reichte, um mich in Kotzlaune zu bringen. Sicherlich hätte ich das alles irgendwie überspielen können, doch ich sah keinen großen Sinn darin, es überhaupt zu versuchen. Immerhin müsste derjenige, dem diese Laune gleich zuteil werden würde, etwas länger mit meinen wankenden Stimmungen klarkommen. Oder er würde sich einfach darauf verstehen sämtliche Situationen geschickt zu vermeiden, die mich in eine solche Stimmung bringen könnten. Und da es von diesen Situationen so einige gab, tippte ich auf Ersteres.
Schon genervt von dem Umstand, dass der gewisse Jemand es nicht geschafft hatte, eine genaue Angabe zu seiner Ankunft zu machen, zog ich lustlos mit einem Finger Kreise über den Küchentisch, an dem ich saß.
Vormittags. Was war das denn für eine Zeitangabe? Das konnte genauso gut zehn Uhr, aber auch elf Uhr oder Viertel vor zwölf sein. Und der Umstand, dass es mittlerweile fünf nach zwölf war, nervte mich noch mehr. Fünf nach zwölf war nicht mehr Vormittags, fünf nach zwölf war Mittags.
Menschen in meinem Umfeld schrieben mir als Gegensatz zu meinem Erscheinungsbild gerne mal einen Stock im Arsch zu und ich wollte nicht einmal verneinen, dass dem so war. Und wenn es um Pünktlichkeit ging, dann traf das sowieso zu. Ausgenommen von mir selbst. Ich hatte meistens immer Zeitprobleme. Doch wenn andere sich das erlaubten, wurde ich grantig.
Da half auch der Blick aus dem Küchenfenster nichts. Er offenbarte mir zwar, dass es ein sonniger Tag war und ich mochte die Sonne eigentlich auch, aber weil ich gerade genervt war, mochte ich die Sonne eben nicht.
Ein gequältes Seufzen entfuhr mir und ich fing an lustlos mit dem Stuhl zu kippeln.
Meine letzte Hoffnung blieb mein Vermieter. Er war ein ziemlich cooler Kerl. Wenn irgendetwas mit der Wohnung nicht stimmte, war er ansprechbar und das Problem innerhalb kürzester Zeit behoben. Außerdem zahlte man bei ihm faire Preise und nicht wie bei so vielen anderen Vermietern überteuerte Preise. Sicher, teuer war es immer noch, immerhin war es das überall in London, aber warum mehr zahlen, wenn man genau dasselbe auch etwas billiger haben konnte?
Und weil er auch sonst ein ziemlich sympathischer Mensch war, setzte ich einfach darauf, dass er mir einen Mitbewohner ausgesucht hatte, mit dem es sich irgendwie aushalten ließ.
Kaum hatte ich den Gedanken gefasst, blickte ich auf, weil sich außerhalb des Fensters etwas bewegte. Schnell fanden meine Augen das Ziel und kaum hatte ich realisiert, was sich dort seinen Weg zur Haustür bahnte, zog ich eine Augenbraue hoch und fand mich in dem Gedankenspalt zwischen Interesse und schon einmal vorsorglicher Abscheu wieder.
Was bitte war das, was dort seinen Koffer ziemlich rücksichtslos und energisch vor sich hertrat? Allzu viel sah man noch nicht von dem Ankömmling, der ohne jeden Zweifel mein neuer Mitbewohner sein musste, doch mir reichte schon, was ich sah. Dieser Mensch trug nicht nur einen schrecklich anmutenden Hut, sondern zu seinen über Schulter langen, lockigen Haaren, die eher aussahen wie die Haare von einem Weib, auch noch eine Felljacke. Vor allem diese Felljacke irritierte mich so dermaßen, dass ich erst wieder aus meinem perplexen Starren gerissen wurde, als die Klingel die Stille zerriss.
Dementsprechend zuckte ich zusammen und beschwerte mich direkt über die Tatsache, warum er so laut klingeln musste. Vielleicht hätte ich mir nochmal überlegt die Tür einfach gar nicht zu öffnen, wenn nicht nach einigen Sekunden schon wieder die Klingel ertönen würde.
„Herr...ja!“, fluchte ich und schlurfte auf die Wohnungstür zu. Ich hatte mir vor einiger Zeit schon vorgenommen das Wort Gott nicht mehr in meinem Wortschatz zu benutzen, doch gerade solche Fluchfloskeln hatten sich so tief in meinem Kopf verankert, dass es schwer wurde sie loszuwerden. Und so ärgerte ich mich einfach weiter, dieses Mal über mich selbst.
Bevor ich die Wohnungstür aufschloss und öffnete, betätigte ich den Türöffner für die Haustür, die nicht unweit von meiner Wohnungstür lag.
Meiner Meinung nach war es ein absoluter Vorteil dieser Wohnung, dass sie im Erdgeschoss lag. Ich hasste nichts mehr als Treppen zu steigen oder meine Zeit mit Aufzugfahren zu vergeuden. Ich überließ es zu gerne Studenten und anderen jungen Leuten die oberen Geschosse zu bewohnen. Meine Nächstenliebe in Form von Rücksicht auf das Alter beim Unterschreiben von Mietverträgen hielt sich da sehr in Grenzen.
Erneut seufzend lehnte ich mich in den Türrahmen, noch schnell und vorsorglich den Gedanken fassend, dass Jacken schon nicht so viel über einen Menschen aussagen würden. Aber ich wusste es eigentlich besser. Jacken sagten alles über einen Menschen aus. Wirklich alles. Und Felljacken gehörten nicht gerade zu den Jacken, denen ich positive Eigenschaften ihres Trägers zuschrieb. Auch nicht dann, wenn sie nicht aus echtem Fell bestanden.
Umso weniger überrascht war ich, als der Felljackenträger mit einer fast schon ekelhaften Eleganz durch die Tür trat und als ergänzenden Stilbruch zu seinem Auftreten seinem Koffer einen weiteren Tritt verpasste, so dass dieser äußerst energisch auf mich zurollte.
Der Koffer wurde gestoppt von der Fußmatte, die vor der Tür lag und schwankte kurz ein wenig, blieb dann aber stehen. Zweimal kurz blinzelnd blickte ich wieder hoch auf seinen Besitzer, der auch schon vor mir stand. Und meiner Meinung nach tat er das viel zu nah, so dass ich demonstrativ einen Schritt nach hinten auswich.
„Hi“, begrüßte er mich ohne Umschweife und grinste mich breit an. „Wartest du auf mich?“
Prompt starrten mich durch sein Grinsen eine ganze Reihe schneeweißer Zähne an. Und das brachte mich dermaßen aus dem Konzept, dass ich seine blöde Frage einfach überging und eine Weile brauchte, bis ich mich von dem Anblick seiner Zähne losreißen und ihm normal entgegen schauen konnte. Doch auch da verschlug es mir unerwartet die Sprache. Hatte der Kerl verdammt nochmal die Wimpern getuscht?
„Hi“, brachte ich irgendwann dann doch zögerlich als Antwort raus und war immer noch dermaßen perplex, dass ich wie von selbst zur Seite trat und 'Komm rein' als kurze Aufforderung nuschelte. Unfähig irgendetwas zu tun, sah ich ihm dabei zu, wie er den Koffer über die Türschwelle hob, um ihn dann mitten im Flur stehen zu lassen. Zu meiner großen Erleichterung zog er wenigstens die Felljacke aus und setzte den Hut ab. Auch wenn mich seine Erscheinung immer noch irritierte, konnte ich ohne Hut und in T-Shirt dann doch mehr mit seinem Erscheinungsbild anfangen. Selbst über die getuschten Wimper schaffte ich halbwegs hinwegzusehen.
„Schuhe aus!“, quetschte ich zwischen den Zähnen hervor, als er Anstalten machte einfach in die Wohnung hineinzulaufen. Der Blick, den er mir zuwarf, war irritiert, doch mein Blick wohl überzeugend genug, dass er ein 'Sorry' murmelte und sich die Stiefel von den Füßen zog.
Ich verkniff mir, mich zu bedanken, denn meiner Meinung nach war es eine Selbstverständlichkeit nicht mit Schuhen in fremde oder seine eigene Wohnung oder Häuser zu spazieren und bedurfte keinesfalls einer Aufforderung. Stattdessen baute ich mich vor ihm auf, streckte ihm meine Hand hin und sagte dann ganz förmlich: „Hi, ich bin Oli. Und ja, ich habe auf dich gewartet. Zwei Stunden und sieben Minuten, um genau zu sein.“
„Uhm, sind jetzt die zwei Stunden oder die sieben Minuten das Problem?“, gab mein Gegenüber, von dem ich immer noch nicht seinen Namen wusste, zurück.
Voller Güte antwortete ich: „Nichts davon. Jetzt bist du ja da.“
Ich meinte so ziemlich das Gegenteil von dem, was ich sagte, denn das eigentliche Problem waren sowohl die zwei Stunden, als auch die sieben Minuten, aber irgendwo erinnerte ich mich doch noch an ein bisschen Erziehung, die ich genossen hatte und manchmal gab es eben Momente, in denen ich sie gerne herausholte.
Ich zwang mir dazu noch ein Lächeln ins Gesicht, dass aber nicht annähernd mit seinem Zahnpastawerbungsgrinsen mithalten konnte. Besser war wohl, ich ließ es direkt ganz.
„Michael“, war seine Reaktion darauf und er ergriff meine Hand. „Tut mir leid, der Flug hatte Verspätung und dann war der Taxistand auch noch so überfüllt...“
„Habe ich gemerkt“, entgegnete ich trotz guter Erziehung ziemlich schnippisch und konnte dann nicht anders, als direkt einmal interessiert seine Arme zu beäugen. Sie waren genauso zutätowiert wie meine, nur egal wie lange meine Augen über sie glitten, das Einzige, was ich primär sah, waren Grabsteine oder zombieanmutende Wesen. Hatte der Typ sich etwa einen ganzen Friedhof tätowieren lassen?
„Nett. So idyllisch“, musste ich es einfach kommentieren. Besagter Michael grinste kurz über meine Worte und dann fiel sein Blick auf meinen geschwärzten rechten Arm.
„Danke. Und bei dir... ist da schon alles verloren?“
Ich konnte nicht anders, als zu ungläubig zu schnauben.
„Mitkommen“, befahl ich spontan und deutlich schlechter gelaunt, als zuvor schon. Ich mochte es nicht, wenn man mir das Wort abdrehte und dann auch noch dachte, man sei lustig dabei. Ergo, ich mochte ihn nicht. Dieser Felljackenträger hatte in den ersten Minuten schon deutliche Minuspunkte bei mir gesammelt und es war, als wenn er das im Folgenden noch ausbauen wollte.
Als Erstes geleitete ich ihn in die Küche.
„Das hier ist die Küche“, erklärte ich überflüssigerweise in relativ gelangweiltem Ton. „Unter dem Waschbecken sind die Putzsachen für die Küche. Einmal die Woche wird geputzt. Alles. Abwechselnd. Bis auf dein Zimmer, da ist es mir scheißegal, was du damit machst. Ansonsten wird auch geputzt, wenn du kochst oder was weiß ich hier veranstaltest. Ich koche nicht, aber ich steh auf Sauberkeit.“
„Ja, Hygiene ist ein absolut wichtiger Faktor“, warf Michael ein und grinste mich dabei so dreckig, aber irgendwie auch liebevoll an, dass ich einige Augenschläge brauchte, um den Sinn hinter seinen Worten zu ergreifen. Was hatte der gesagt? Was sollte das heißen? Hatte der mich gerade billig angemacht?
Das Gesicht über diesen Gedanken verziehend, drehte ich mich ohne ein Wort um und ging auf das Badezimmer zu.
„Das da“, fing ich ohne Umschweife an und deutete auf die Badezimmertüröffnung, „gibt es nur einmal in dieser Wohnung. Heißt Wimpern getuscht und Nase gepudert wird da nicht drin, erst recht nicht morgens oder sonst wann, wenn ich schnell ins Bad muss, weil ich es eilig habe. Und ich habe es oft eilig. Also auch alles andere, was außerhalb des Bades machbar ist, bitte dahin verlegen.“
„Ja, das Musikerleben ist nicht so entspannend, wie so manch einer denkt“, seufzte Michael und betrachtete mich mit einem Blick, der mir gar nicht gefiel. So verständnisvoll. „Ich bin übrigens auch Musiker. Dein Vermieter hat mir schon Bescheid gesagt, wer mich als Mitbewohner erwarten würde und hat mich wohl ausgewählt, weil er wohl meinte wir würden uns gut verstehen.“
„Schön, ich kenne dich aber nicht“, beendete ich seinen Monolog ruppig. „Und wenn deine Musik so perspektivvoll ist wie deine Tattoos, will ich die auch nicht kennen.“  
Es interessierte mich keinen Hauch, was er von mir wusste, geschweige denn wer er war oder was ich über ihn wissen sollte. Das Einzige, was er hier tun sollte, war still zu existieren, mich nicht zu nerven und seine Mieten zu zahlen. Und genau das versuchte ich ihm auch zu vermitteln. Leider schien das nicht ganz zu klappen.
„Ich schreibe gerne über Liebe“, schien seine unerfragte Erklärung für seine Musik zu sein. „Die ist jetzt nicht so perspektivlos.“
„Aha, finde ich nicht“, grummelte ich und unterdrückte den Drang ihm spontan an die Kehle zu springen. Hatte er gerade noch Minuspunkte gesammelt, sammelte er jetzt ganze Krater.
„Ach, stimmt ja, du hast dich ja vor kurzem erst von deiner Frau getrennt. Tut mir leid, das hatte ich vergessen.“
Das Schlimmste an seinen Worten war, dass sie ehrlich mitleidig klangen und dementsprechend röstete ihn auch mein Blick. Scheinbar offensichtlich genug, dass er es dabei beließ und nur noch sagte: „Verstanden. Keine ausgedehnten Badezimmersessions.“
Ich nickte nur und deutete auf eine verschlossene Tür auf dem Gang. „Dein Zimmer.“ Dann deutete ich auf die andere verschlossene Tür. „Mein Zimmer. Absolute Sperrzone. Bist du da drin, bist du im nächsten Moment raus. Aus der Wohnung. Mit sämtlichen Sachen. Viel Spaß.“
Dann ließ ich ihn einfach auf dem Gang stehen, riss die Tür von meinem Zimmer auf, knallte sie wieder hinter mir zu und ließ mich auf mein Bett fallen, mein Gesicht in den Händen vergrabend. Da dachte man gerade, man hätte das allerschlimmste überstanden und dann kam von irgendwoher so ein Freak spaziert, der direkt mal mit dem Finger in deiner aktuell tiefsten Wunder herumpulte. Ich hätte kotzen können. Das Leben konnte manchmal doch nur scheiße sein.

Später am Tag hatte ich mich wieder soweit in meiner Stimmung aufgebaut, dass ich mich traute mein Zimmer zu verlassen, um kurz in das Bad zu gehen. Dabei realisierte ich als Erstes, dass der Koffer immer noch mitten im Flur stand.
Genervt stöhnend versuchte ich es zu ignorieren, wollte die Tür vom Bad aufreißen und hielt inne, als sich nichts tat.
War das sein Ernst? Dieser Mensch war gerade einmal wenige Stunden in dieser Wohnung und schaffte es schon mich durchgängig anzupissen.
„Sofoooort!“, schallte es durch die Tür aus dem Bad und ich warf gestresst einen Blick auf die Uhr an der Wand. Ich war so schon viel zu spät, weil ich viel zu lange in meinem Selbstmitleid versunken war und wenn ich jetzt noch warten müsste, bis dieser amerikanische Arsch sich aus meinem Badezimmer bewegt hatte, wäre ich endgültig und unwiderruflich zu spät zu unserer angesetzten Bandprobe gekommen. Und das würde den sowieso schon innerhalb der Band herrschenden Spannungen alles andere als gut tun. Das wiederum würde meine eh schon strapazierten Nerven weiter angreifen und alles nur noch schlimmer machen. Somit kehrte ich auf dem Absatz um, stürmte in mein Zimmer und riss unnachsichtig einen meiner Hoodies hervor, um ihn überzuwerfen. Ein Blick in den Spiegel im Flur ließ mich bei dem Anblick meiner Haare besser nach einer Mütze an der Garderobe greifen, sie aufsetzen und zur Sicherheit noch die Kapuze hinüberschieben.
Am besten wäre es wohl gewesen, wenn ich mir noch einen Schal um mehr als die Hälfte meines zerstört dreinblickenden Gesichts gewickelt hätte, aber dabei hätte ich mich dann doch etwas lächerlich gefühlt. Also ließ ich es bleiben, schlüpfte in meine Sneakers und zog die Wohnungstür genau in dem Moment hinter mir zu, in dem sich die Badezimmertür öffnete. Dem Schutz meines Stresslevels zu Gute kommend, bekam ich das nicht mehr mit. Sofort war eben immer noch zu spät.

Automatisch rümpfte ich die Nase, als ich vor das Haus in den Nieselregen trat. War es gerade nicht noch sonnig gewesen? Hatte ich die Sonne da nicht gehasst? Jetzt hasste ich dann halt den Regen. Generell das verdammte britische Wetter. Fast jeden Tag nahm ich mir vor auszuwandern, hatte es bis jetzt aber noch nicht gemacht. Wobei mich nun wirklich nichts mehr hindern würde. Wer sollte schon was sagen? Meine tolle, wegen allem nervende und herumzickende Band? Wen interessierte denn überhaupt noch wie es mir ging? Umso mehr interessierte sie, was ich tat. Und tat ich nicht, was sie wollten, wurde Druck von allen Seiten ausgeübt. Manchmal wünschte ich mich zurück in den beschissenen Keller, den wir vor einigen Jahren für maximal fünfzehn Zuschauer oder manchmal auch nur uns selbst mit Deathcore beschallt hatten. Da hatte es keine verdammte Sau interessiert, wie ich mich benahm, was ich sagte oder was an Tönen ich verhaute. Und wenn ich ganze Songs hintereinander scheiße sang, es juckte keinen. Jetzt wurde bei dem kleinsten Ton schon herumgenörgelt.
Manchmal fragte ich mich, wo da der ganze Spaß an der Sache blieb, doch irgendwo zog ich immer meine Motivation heraus. Irgendetwas fand ich immer und es war keine Option aufzugeben. Das war es für mich noch nie gewesen. Ich war ein Kämpfer, schon immer gewesen und das würde auch diese verdammte Musikindustrie nicht ändern.
Ich verabscheute sie bis auf den Grund meines Herzens und doch brauchte ich sie, sonst würde ich mit meiner Musik ziemlich alleine auf weiter Flur stehen. Es war eine explosive Mischung und ich hoffte, dass der Tag, an dem sie wirklich explodieren würde, niemals kommen würde.
Auf der anderen Seite wusste ich, dass ich es manchmal ziemlich provozierte. Doch meiner Ansicht nach, wären wir ohne diesen Antrieb und all diese Kontroversen schon lange verloren gewesen. Und was wäre ich für ein beschissenes Vorbild für Millionen junge Fans, wenn ich einfach so den Löffel abgeben und mich unterkriegen lassen würde.
Aus diesen Gedanken, mit denen ich mich immer wieder selber zu motivieren versuchte und es oftmals auch schaffte, riss mich der schlichte Umstand, dass ich an meinem Ziel angekommen war. Und die scheiß Kirchenglocke im Hintergrund ließ mich sogar wissen, dass ich pünktlich war.
Ich schloss die Tür auf und trat in den Flur, an den unser Proberaum grenzte. Die Tür stand offen und noch auf dem Weg den Flur herunter, pellte ich mich aus meinem feuchten Hoodie.
Es grenzte manchmal an Selbstvergewaltigung sich auf britischem Boden, dem britischen Wetter ausgesetzt, vehement gegen so Sachen wie Regenjacken zu weigern, vor allem weil deine ganze Band und dein Manager dich wieder zusammenscheißen würden, weil du erneut erkältet bist und keine Stimme hast. Aber wie ich schon vorab festgestellt hatte, sagten Jacken alles über den Menschen, der sie trägt, aus. Und ich wollte die Aussage, die eine Regenjacke so unweigerlich hatte, auf keinen Fall auf mich projiziert wissen. Mit dem absoluten Wissen, das, hätte ich die Wahl, ich die Regenjacke der Felljacke noch vorziehen würde.
„Moin“, ließ ich verlauten, als ich den Proberaum betrat, bevor ich bemerkte, wem die Begrüßung galt. Nur Jordan war schon da, was mich allerdings keineswegs wunderte. Er war der Pünktlichste von uns und auch wenn ich ständig zu spät kam, war ich oft derjenige, der mit ihm zusammen als Letzter das Studio wieder verließ.
Er erwiderte meine Begrüßung und scannte mich dann mit demselben Blick, mit dem er es immer tat. Er schien ein abnormales Verständnis von meiner aktuell zugegenen Stimmung zu haben und sie mit einem Blick erfassen zu können. Meine jetzige Stimmung erachtete er wohl als positiv genug, um weiter mit mir zu sprechen.
„Alles gut?“
„Jo. Gerade noch mein neuen Mitbewohner eingewiesen. Verdammter Freak ist das.“
Jordan war im Moment der Einzige aus der Band, mit dem ich überhaupt sprechen wollte. Der Rest nervte mich ziemlich an. Es klappte gut genug, um zusammen zu arbeiten, aber wie Freundschaft fühlte sich das schon lange nicht mehr an.
„Was ziehst du auch in eine beschissene WG?“, warf Jordan mir mehr vor, als dass er es fragte. „Ist doch klar, dass das nur im Drama enden kann. Wer hat schon Bock auf sowas.“
Ich zuckte lediglich die Schultern und verkniff mir die Erklärung, dass ich es im Moment wohl schlimmer fände, ständig alleine zu sein, als einen Freak zu ertragen. So gut war meine Beziehung zu Jordan dann auch nicht, als wenn ich mit ihm über so etwas reden würde. Eigentlich redete ich niemals mit jemandem über solche Sachen. Warum denn auch. Ich war der Ansicht, das würde wenig bringen und ich müsse und könne schon alleine mit meinen Problemen klarkommen.
„Kannst du das neue Zeug?“, wechselte Jordan das Thema.
Wieder zuckte ich die Schulter.
„Wenn Lee den Scheiß dieses Mal auf die Reihe bekommt, bestimmt.“
Den vorwurfsvollen Blick von Jordan ignorierte ich. Ich wusste selbst, dass Lee nicht an meinem Hänger die letzten Monate Schuld war, aber es half mir eben wenigstens ein bisschen davon auf ihn abzuwälzen. Und da er neben mir die letzten Wochen das schwächste Glied in der Band war, schien er wie geschaffen dafür zu sein.
Jordan war wohl erleichtert, dass jegliche meiner Anschuldigungen, von denen ich selbst wusste wie sinnfrei sie waren, verstummten, als die anderen eintrudelten. Und das so zeitig, dass wir wirklich pünktlich anfangen konnten und auch der Rest der Probe nicht zu einer vollen Katastrophe wurde. Im Moment war alleine das schon ein Erfolg für uns.
Das wir überhaupt noch zusammen waren, war wohl dem Management, dem Geld, einigen gemeinsamen Erfahrungen aus der Vergangenheit und nicht zuletzt auch Jordan geschuldet. Er schlichtete nicht nur sämtliche Streitereien, sondern nahm auch oft genug Dinge auf sich, auch wenn er sie gar nicht verbüßt hatte, nur damit Ruhe in unsere Gemeinschaft kehrte. Alles war so wirr und komisch im Moment. Selbst die schönen Sachen, wie unserer steiler Erfolg, waren so neu und ungewohnt, dass wenn ich darüber nachdachte, ich echt schon überlegte, ob ich mir nicht doch auch einfach bei Zeiten mal einen Friedhof tätowieren lassen sollte.
Review schreiben
 
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast