Lose Enden
von cucumber
Kurzbeschreibung
Vor mehr als eineinhalb Jahren hat Elena Eichhorn Leipzig verlassen - überstürzt, unüberlegt. Rolf Kaminski hat seine Krankheit überlebt. Und weitergemacht, irgendwie. Keiner der beiden hatte bisher den Mut, wirklich innezuhalten und sich mit den Ereignissen auseinanderzusetzen. Aber nun, kurz vor Weihnachten, ist zumindest eine Entscheidung gefallen...
GeschichteAllgemein / P16 / Het
08.12.2016
30.01.2017
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53.138
7
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Dieses Kapitel
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08.12.2016
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Kapitel 1
Es ist die dritte Rückkehr nach Leipzig. Bei Dezemberwetter, Nieselregen. Die Wolkendecke ist so dicht, dass der Himmel nach unten zu drücken scheint. Es riecht nach Menschen in nassen Jacken in der Straßenbahn, die vom Flughafen in die Innenstadt fährt.
Elena lehnt sich zurück, die Füße auf dem großen Koffer. Sie ist müde, aber dennoch angespannt. Sie ist außerdem allein und es ist das erste Mal, dass sie ungebunden in diese Stadt zurückkehrt. Das, ermahnt sie sich selbst, ist etwas Positives, denn sie hat es so gewollt, entschieden und geplant. Und der Plan ist gut.
Vorausgesetzt, natürlich, er geht so auf, wie sie sich das erhofft. Natürlich gibt es da noch einige unberechenbare Faktoren, aber ist das nicht immer so? Sie runzelt die Stirn. Sie wird sich jetzt nicht verrückt machen, sondern eins nach dem anderen angehen. Und das erste ist auch das zunächst Wichtigste: die neue Wohnung. Gespannt ist sie, sogar sehr gespannt.
Und diese Spannung hat sich fast ins Unermessliche gesteigert, als sie eine Stunde später mit dem Schlüssel in der Hand vor der Wohnungstür steht. Sie denkt daran, wie sie damals, nach der Rückkehr aus Indien, genau das Gleiche getan hatte: von weit weg etwas über das Internet gemietet, danach der Einzug, ohne die Wohnung vorher gesehen zu haben. Damals hatte sie Glück, da wäre es ja Wahnsinn, wenn das noch einmal der Fall wäre. Sie atmet tief durch und öffnet die Tür. Das Schloss ist ganz schön schwergängig, aber – so, jetzt.
Ihr Blick fällt in den Flur. Oh, wie scheußlich. Blümchentapete und Teppichboden. Andererseits – irgendwie charmant. Nur, ob sie es wirklich innerhalb von zwei Wochen schafft, es hier einigermaßen wohnlich aussehen zu lassen? Sie stellt den schweren Koffer und die Tasche im Flur ab und öffnet nacheinander alle Türen, die von dem rechteckigen Flur abgehen. Die Zimmer sind groß und hell. Die Küche ist scheußlich, das Wohnzimmer hat Holzfußboden. In eines der Zimmer, die nach hinten hinaus gehen, fallen ein paar Strahlen einer fahlen Wintersonne, und eine große Kastanie steht direkt vor dem Fenster. „Sophie!“ denkt Elena. Plötzlich spürt sie eine klare und durchdringende Freude. Sie ist angekommen, der erste Schritt ist getan, und alles andere wird sich finden.
Zur gleichen Zeit hämmert Rolf Kaminski im Ärztezimmer der Sachsenklinik zunehmend irritiert auf die Computertasten ein. Der Cursor hängt, nichts tut sich. Mit einem Pling wird der Bildschirm dunkel, die Aufnahmen sind verschwunden. Auch die Schreibtischlampe knistert einmal kurz, flackert, und ist aus.
„Pah!“ stößt Kaminski verärgert hervor, „was sind das eigentlich für Arbeitsbedingungen? Nichts funktioniert hier, und dieser Dilettant von EDV-Heini ist wieder einmal abgetaucht. Ständig schmiert der Computer ab und nichts wird repariert.“
„Regen Sie sich nicht auf, Herr Kollege“, kommt eine Stimme aus dem hinteren Teil des Ärztezimmers, „die Computer sollen doch nächste Woche ausgetauscht werden. Möchten Sie eine Tasse Kaffee, um wieder runterzukommen?“
„Netter Versuch, Frau Kollegin“, antwortet Kaminski, „Gebräu aus der Karzinombohne? Vielen Dank, ich verzichte, ich muss noch in den Praxis.“ Er verschwindet im Umkleideraum, die Spindtür knallt, und kurz darauf verlässt er mit wehendem Mantel das Ärztezimmer, die abgewetzte braune Aktentasche unter dem Arm.
Kathrin Globisch seufzt einmal, schüttelt den Kopf und nimmt einen Schluck Kaffee. „Bah, widerlich“, denkt sie. „Manchmal hat er doch Recht.“
In der Nacht fährt Elena aus dem Schlaf hoch. Herzklopfen, ein Anflug von Panik, Orientierungslosigkeit und Jetlag lassen sie hektisch nach dem Handy suchen und auf die Uhr sehen. Drei Uhr. Du meine Güte. In Australien ist es jetzt Nachmittag. Was Sophie wohl macht? Ach, bald wird sie hier sein.
Elena dreht sich um und wieder zurück, auf einmal ist ihr zu warm, das Bett ist fremd. Irgendwann kommt der Schlaf zurück, unruhig, aber immerhin. In den nächsten Tagen wird viel zu tun sein.
Als sie am nächsten Morgen aufwacht, ist das Gefühl der Orientierungslosigkeit verschwunden. Einen Moment noch erlaubt sie es sich, liegenzubleiben und über ihre Pläne nachzudenken.
Die Entscheidung für Leipzig fühlt sich besser an als beim letzten Mal. Aber ist sie das wirklich? Elena runzelt die Stirn. Nun, sie hat diesmal eine vielversprechende neue Stelle, Sophie wird bald bei ihr sein und hier zur Schule gehen. Christoph ist erreichbar, aber andererseits weit genug weg, damit er ihr nicht auf die Nerven geht.
Die Erleichterung darüber, dass diese Sache sich endlich gelöst zu haben scheint, ist unbeschreiblich. Elena seufzt. Dem Himmel sei Dank dafür, dass diese Frau – aus Berlin! – in Christophs Leben getreten ist und ihn dazu gebracht hat, Australien den Rücken zu kehren. Da ist es egal, was sie selbst von ihr hält. Christoph muss schließlich mit ihr leben, nicht sie.
Elena streckt sich noch einmal und schwingt die Beine aus dem Bett. Gähnend und ihre Haare mit der Hand glättend geht sie langsam hinüber zum Fenster und schaut hinunter auf „ihre“ neue Straße. Bäume gibt es, das konnte sie gestern in der Abenddämmerung nicht sehen. Und freundlich sieht es aus. Da sind Schulkinder auf ihrem morgendlichen Weg, ein alter Mann mit Hund.
Elena lächelt. Es fühlt sich richtig an. Sie macht sich auf den Weg ins Bad, auf einmal erwartungsvoll optimistisch, und voller Freude sich auf das Treffen mit ihrer Freundin Lydia, die ihr Renovierungshilfe und Unterstützung zugesagt hat.
Wenn sie jetzt bloß noch wüsste, in welcher Tasche ihre Zahnbürste… Und, oh je, Handtücher! Daran hat sie ja gar nicht gedacht.
Es ist die dritte Rückkehr nach Leipzig. Bei Dezemberwetter, Nieselregen. Die Wolkendecke ist so dicht, dass der Himmel nach unten zu drücken scheint. Es riecht nach Menschen in nassen Jacken in der Straßenbahn, die vom Flughafen in die Innenstadt fährt.
Elena lehnt sich zurück, die Füße auf dem großen Koffer. Sie ist müde, aber dennoch angespannt. Sie ist außerdem allein und es ist das erste Mal, dass sie ungebunden in diese Stadt zurückkehrt. Das, ermahnt sie sich selbst, ist etwas Positives, denn sie hat es so gewollt, entschieden und geplant. Und der Plan ist gut.
Vorausgesetzt, natürlich, er geht so auf, wie sie sich das erhofft. Natürlich gibt es da noch einige unberechenbare Faktoren, aber ist das nicht immer so? Sie runzelt die Stirn. Sie wird sich jetzt nicht verrückt machen, sondern eins nach dem anderen angehen. Und das erste ist auch das zunächst Wichtigste: die neue Wohnung. Gespannt ist sie, sogar sehr gespannt.
Und diese Spannung hat sich fast ins Unermessliche gesteigert, als sie eine Stunde später mit dem Schlüssel in der Hand vor der Wohnungstür steht. Sie denkt daran, wie sie damals, nach der Rückkehr aus Indien, genau das Gleiche getan hatte: von weit weg etwas über das Internet gemietet, danach der Einzug, ohne die Wohnung vorher gesehen zu haben. Damals hatte sie Glück, da wäre es ja Wahnsinn, wenn das noch einmal der Fall wäre. Sie atmet tief durch und öffnet die Tür. Das Schloss ist ganz schön schwergängig, aber – so, jetzt.
Ihr Blick fällt in den Flur. Oh, wie scheußlich. Blümchentapete und Teppichboden. Andererseits – irgendwie charmant. Nur, ob sie es wirklich innerhalb von zwei Wochen schafft, es hier einigermaßen wohnlich aussehen zu lassen? Sie stellt den schweren Koffer und die Tasche im Flur ab und öffnet nacheinander alle Türen, die von dem rechteckigen Flur abgehen. Die Zimmer sind groß und hell. Die Küche ist scheußlich, das Wohnzimmer hat Holzfußboden. In eines der Zimmer, die nach hinten hinaus gehen, fallen ein paar Strahlen einer fahlen Wintersonne, und eine große Kastanie steht direkt vor dem Fenster. „Sophie!“ denkt Elena. Plötzlich spürt sie eine klare und durchdringende Freude. Sie ist angekommen, der erste Schritt ist getan, und alles andere wird sich finden.
Zur gleichen Zeit hämmert Rolf Kaminski im Ärztezimmer der Sachsenklinik zunehmend irritiert auf die Computertasten ein. Der Cursor hängt, nichts tut sich. Mit einem Pling wird der Bildschirm dunkel, die Aufnahmen sind verschwunden. Auch die Schreibtischlampe knistert einmal kurz, flackert, und ist aus.
„Pah!“ stößt Kaminski verärgert hervor, „was sind das eigentlich für Arbeitsbedingungen? Nichts funktioniert hier, und dieser Dilettant von EDV-Heini ist wieder einmal abgetaucht. Ständig schmiert der Computer ab und nichts wird repariert.“
„Regen Sie sich nicht auf, Herr Kollege“, kommt eine Stimme aus dem hinteren Teil des Ärztezimmers, „die Computer sollen doch nächste Woche ausgetauscht werden. Möchten Sie eine Tasse Kaffee, um wieder runterzukommen?“
„Netter Versuch, Frau Kollegin“, antwortet Kaminski, „Gebräu aus der Karzinombohne? Vielen Dank, ich verzichte, ich muss noch in den Praxis.“ Er verschwindet im Umkleideraum, die Spindtür knallt, und kurz darauf verlässt er mit wehendem Mantel das Ärztezimmer, die abgewetzte braune Aktentasche unter dem Arm.
Kathrin Globisch seufzt einmal, schüttelt den Kopf und nimmt einen Schluck Kaffee. „Bah, widerlich“, denkt sie. „Manchmal hat er doch Recht.“
In der Nacht fährt Elena aus dem Schlaf hoch. Herzklopfen, ein Anflug von Panik, Orientierungslosigkeit und Jetlag lassen sie hektisch nach dem Handy suchen und auf die Uhr sehen. Drei Uhr. Du meine Güte. In Australien ist es jetzt Nachmittag. Was Sophie wohl macht? Ach, bald wird sie hier sein.
Elena dreht sich um und wieder zurück, auf einmal ist ihr zu warm, das Bett ist fremd. Irgendwann kommt der Schlaf zurück, unruhig, aber immerhin. In den nächsten Tagen wird viel zu tun sein.
Als sie am nächsten Morgen aufwacht, ist das Gefühl der Orientierungslosigkeit verschwunden. Einen Moment noch erlaubt sie es sich, liegenzubleiben und über ihre Pläne nachzudenken.
Die Entscheidung für Leipzig fühlt sich besser an als beim letzten Mal. Aber ist sie das wirklich? Elena runzelt die Stirn. Nun, sie hat diesmal eine vielversprechende neue Stelle, Sophie wird bald bei ihr sein und hier zur Schule gehen. Christoph ist erreichbar, aber andererseits weit genug weg, damit er ihr nicht auf die Nerven geht.
Die Erleichterung darüber, dass diese Sache sich endlich gelöst zu haben scheint, ist unbeschreiblich. Elena seufzt. Dem Himmel sei Dank dafür, dass diese Frau – aus Berlin! – in Christophs Leben getreten ist und ihn dazu gebracht hat, Australien den Rücken zu kehren. Da ist es egal, was sie selbst von ihr hält. Christoph muss schließlich mit ihr leben, nicht sie.
Elena streckt sich noch einmal und schwingt die Beine aus dem Bett. Gähnend und ihre Haare mit der Hand glättend geht sie langsam hinüber zum Fenster und schaut hinunter auf „ihre“ neue Straße. Bäume gibt es, das konnte sie gestern in der Abenddämmerung nicht sehen. Und freundlich sieht es aus. Da sind Schulkinder auf ihrem morgendlichen Weg, ein alter Mann mit Hund.
Elena lächelt. Es fühlt sich richtig an. Sie macht sich auf den Weg ins Bad, auf einmal erwartungsvoll optimistisch, und voller Freude sich auf das Treffen mit ihrer Freundin Lydia, die ihr Renovierungshilfe und Unterstützung zugesagt hat.
Wenn sie jetzt bloß noch wüsste, in welcher Tasche ihre Zahnbürste… Und, oh je, Handtücher! Daran hat sie ja gar nicht gedacht.