Dark Salvation
von mara-van-deen
Kurzbeschreibung
Viele Jahre waren vergangen, seit Sarah jene Worte gesprochen und damit ihren kleinen Bruder verwunschen hatte; sie überwand jede Gefahr, um ihn aus den Fängen des verführerischen Koboldkönigs, der sich in das Mädchen verliebt hatte, zu befreien - und vergaß, was geschehen war, bis sie sich erneut im Untergrund wiederfindet und feststellen muss, dass sich vieles verändert hat. Schon bald muss sie erkennen, dass das Böse nicht schläft und sie beobachtet...
GeschichteHorror, Liebesgeschichte / P18 / Gen
Hoggle
Jareth
Lubo
Sarah
Sir Didymus
31.08.2016
15.04.2023
43
56.915
9
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13.04.2017
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Sie würde mit ihm kommen, und er würde ihr das Leben geben, das sie sich wünschte. Er log nicht; wenn sie mit ihm käme, würde der Untergrund sie willkommen heißen und nur darauf warten, von ihr erkundet zu werden. Sein Reich gehorchte seinem Willen, sodass er es jederzeit beliebig verändern konnte oder es oftmals seiner eigenen Magie überließ, die auch ihn mit so mancher Veränderung noch zu überraschen schaffte. Dennoch gefiel ihm der Gedanke, nicht länger alleine in Gestalt einer Eule über die Weiten des Labyrinths, dem Herzstück des Reichs, zu gleiten oder die tiefen Wälder, die beinahe so alt wie er waren, zu erkunden. Die verlorenen Kinder boten ihm zwar Gesellschaft, doch schon bald verwandelten sie sich in Heerscharen an Kobolden, deren … gesellschaftliches Treiben im Sinne der Völlerei und Trinkerei ihn immer öfter zu langweilen begannen. Sarah würde sich nicht in einen von ihnen verwandeln – zumindest nicht so schnell.
Die spitzen Augenbrauen zogen sich leicht überrascht zusammen, als der König das kaum merkliche Kopfschütteln des Mädchens bemerkte, gefolgt von dem Zurückziehen der kleinen Hand. „Ich … kann nicht.“ Ihre Stimme war leise, fast zerbrechlich.
Ein Blitz erfüllte den Raum mit einem grellen, weißen Licht, so als würde er Sarahs Worten noch einmal Nachdruck verleihen wollen. Ihre Finger krallten sich verkrampft in die Decke.
Als jene Worte über ihre Lippen kamen, den Blick starr auf das Laken gerichtet, schloss der König für einen Augenblick die Augen, ehe er sich wieder besann.
„Sieh mich an, Sarah.“ Langsam hob sie ihren Blick, obwohl sie es kaum wagte, ihn anzusehen … Die stechenden, ungewöhnlichen Augen waren auf sie gerichtet; sie vermochten etwas Herrschaftliches auszustrahlen und angsteinflößend wirken, doch in diesem Augenblick lag darin eine Wärme, die Sarah nicht erwartet hatte. „Fürchte dich nicht vor mir, denn du hast nichts zu befürchten“, sagte er, senkte den Blick kurz auf den Kristall, ehe er ihn mit einer überraschend schnellen Bewegung, der das Mädchen nicht folgen konnte, verschwinden ließ; dabei raschelte der Stoff seines Umhangs, der sich wie ein schwarzer See unter ihm ausbreitete. „Ich spüre die Entschlossenheit in deiner Stimme, aber auch in deinem Herzen; dennoch höre ich Wehmut darin. Ich werde dich gewiss nicht zwingen, mit mir zu kommen und deine Entscheidung akzeptieren, doch sag mir eins, bevor ich gehe, Sarah – warum willst du nicht glücklich sein?“
Sarah spürte, wie sich ihr Hals zuschnürte, es ihr erschwerte, zu sprechen; ihre Wangen würden gleich wieder von warmen Tränen benetzt werden. Es fiel ihr so unendlich schwer, doch es erschien ihr die einzig richtige Lösung zu sein. „Das möchte ich“, flüsterte Sarah. „Mehr als alles andere auf dieser Welt, aber ich kann nicht.“ Ihr Blick wanderte zu dem Nachtkästchen neben ihrem Bett; sie streckte sich nach etwas, das darauf gelegen hatte und dem König bisher nicht aufgefallen war. Mit einem leisen Schaben glitt der Bilderrahmen, der umgedreht darauf gelegen hatte, über das Holz, bis Sarah ihn mit beiden Händen umklammert hielt, so als befürchte sie, ihn verlieren zu können. Sie starrte darauf, solange, bis eine Träne hörbar darauf tropfte, die sie dann hastig mit dem Ärmel fortwischte. „Ich kann … nicht.“
Das Bild zeigte ein lächelndes, junges Paar in einem Park; offensichtlich frisch verliebt hatten sie die Arme umeinander gelegt, während der Kopf der Frau entspannt an der Brust des Mannes ruhte und sie beide fröhlich in die Kamera lachten. Sie wirkten so unglaublich glücklich, doch das war längst vergangen. Sarah ließ wortlos passieren, als Handschuh den Rahmen umfasste und ihn ihr sanft entzog.
Der König betrachtete, was für das Mädchen offenbar von allergrößtem Wert war; sein Blick fiel sogleich auf die Mutter. Die Ähnlichkeit war nahezu erstaunlich. Sarah hatte dieselben weichen Gesichtszüge und das dunkle lange Haar, lediglich die grünen Augen hatte sie vom Vater geerbt. Seine Sinne waren weit ausgeprägter als die eines Menschen, sodass, wenn er die Augen schloss, er das Lachen des Pärchens sowie den Duft des frischen grünen Grases an jenem herrlichen Sommertag wahrnehmen konnte. Eine Erinnerung, die jedoch mit der Zeit verblasst war und etwas Intensiverem wich, das der König – ähnlich einem Raubtier – wie eine Fährte aufnahm und ihn in das Hier und Jetzt zurückholte; da war es wieder. Für ihn süßer als jeder Wein, ein lockender Ruf, der keiner Worte bedurft hatte. Die Traurigkeit, die das Mädchen ausstrahlte, zog ihn förmlich in den Bann. Es überraschte ihn jedoch, dass sie ihm nun direkt in die Augen blickte, von den Tränen gerötet. „Ich kann Daddy nicht alleine lassen“, sprach sie mit fester Stimme, „es würde ihm das Herz brechen, wenn ich auch noch … wenn ich nicht mehr hier wäre. Er braucht mich, verstehst du?“
Der Koboldkönig legte den Bilderrahmen zur Seite. „Bist du dir mit dieser Entscheidung ganz sicher, Sarah?“
Ohne es zu bemerken, hatte sie ihre Hände erneut zu Fäusten geballt; ihre Finger kribbelten seltsam und fühlten sich taub an. Sie fühlte den Widerstand ihres Herzens, eine Empörung über die Entscheidung, die sie nun für sich getroffen hatte und für sie in jenem Augenblick die einzig richtige war. Es war ein leises, heiser gehauchtes Ja, das über ihre trockenen Lippen kam, sodass sie sich zuerst nicht sicher war, ob er verstanden hatte.
Ein eiskalter Schauder erfasste Sarah, als sie bemerkte, dass sein stechender Blick auf ihr ruhte; für einen kurzen Augenblick glaubte sie, Zorn in seinen Augen aufblitzen zu sehen, doch sie konnte nicht wissen, dass sie sich irrte. Die Züge des Königs waren ernst geworden, nun, da Sarah Williams ihren Wunsch geäußert hatte, nicht wissend, dass dies erst der Anfang von etwas sein würde, das bisher noch nicht geschehen war, dass es die Dinge änderte; und dennoch, sie hatte ihre endgültige Entscheidung getroffen, und er musste ihrem Wunsch Folge leisten. Es hätte so einfach, so wunderbar sein können. Der König – wer oder was er auch immer sein mochte – erhob sich völlig unerwartet; hinter ihm schien sich wieder die Dunkelheit auszubreiten, aus der er getreten war.
„Nun … so sei es, Sarah.“ Seine weiche, melodische Stimme hallte in ihren Ohren wieder, und sie war sich nicht sicher, ob sie sich das Schwindelgefühl nur einbildete. Sie blinzelte, versuchte, die plötzliche Müdigkeit und die sich drehende Umgebung zu verscheuchen. Das Wetterleuchten erhellte immer wieder das bleiche Gesicht, ließ die kleinen Kristalle seiner Kleidung schimmern; seine schlanke Gestalt schien in die Länge zu wachsen. Langsam sank sie in ihre Kissen zurück, fühlte, wie sich ihr Körper ihrem Willen entzog und entspannte.
Alles um sie herum schien an Konturen und Schärfe zu verlieren, als ihre Lider immer schwerer wurden; sie drohte, in einen tiefen Schlaf zu fallen, und war sich auch nicht mehr sicher, ob sie tatsächlich seine tiefe Stimme vernahm – oder das kühle Leder seines Handschuhs, das sanft über ihre Wange strich. Sie sah seine Augen vor sich, stechend blau und kühl, die sie in ihren Bann zogen. „Höre meine Worte: du wirst in einen traumlosen Schlaf fallen und dich nicht an diese Nacht erinnern; dein Herz jedoch wird nicht vergessen, und wenn der Zeitpunkt gekommen ist, wirst du mich rufen. Nun lasse ich dich gehen, doch an jenem Tag wirst du dich an mich erinnern und mit mir im Untergrund leben – für alle Ewigkeit. Das ist der Preis, den ich fordere.“
Seine Worte wiederholten sich wie ein Mantra in ihrem Kopf; sie erkannte noch seine Hand, unmittelbar vor ihrem Gesicht, die sich dann öffnete und ein plötzlicher, sanfter Luftzug ihr Gesicht streifte, bevor sie seiner Magie endgültig erlag und in jenen tiefen Schlaf verfiel, von dem der schöne Fremde gesprochen hatte. Bis zuletzt versuchte sie sich dagegen zu wehren, sich dieses magische Wesen einzuprägen. Winzig kleine, bunt funkelnde Kristalle regneten auf das schlafende Mädchen in seinem Bett nieder; die Finger des Koboldkönigs schlossen sich, die Lippen bildeten wieder eine schmale Linie.
Er betrachtete das Kind vor sich. Sie wirkte so friedlich, und dennoch wusste er um die Traurigkeit und den Schmerz, eine Last, die ein junges Leben wie ihres nicht tragen sollte. Der König wusste, dass ihr Leben – bis zu ihrem Wiedersehen, wann immer es sein mochte – kein Glückseliges und Sorgenfreies sein würde.
Mit lautlosen Schritten näherte er sich ihr noch einmal, beugte sich tief zu ihr hinab und strich mit dem Finger eine lose Strähne ihres dunklen Haars aus dem Gesicht. „Er soll dir ein Freund sein und Trost spenden, wenn du einsam bist.“ Behutsam legte er den Arm der kleinen Sarah um ein letztes, kleines Geschenk, das sich für sie als wertvoller herausstellen sollte als gedacht.
Zum Abschied hauchten seine Lippen einen Kuss auf die weiche Stirn des Kindes, bevor er in der nächsten Sekunde verschwunden war und das Zimmer in Stille und Dunkelheit zurück ließ, so, als ob nichts geschehen wäre; im selben Augenblick fiel die Eingangstür ins Schloss, und das Quietschen der Reifen auf der regennassen Straße verriet, dass das Kindermädchen zurück gekehrt war.
Betty wand sich aus der triefend nassen Jacke, die sie rasch in der Garderobe verstaute. Das Haus lag völlig still, was für sie nur Gutes bedeuten konnte. Die Kleine war also trotz des heftigen Gewitters nicht aufgewacht, so wie sie es befürchtet hatte und ihr Date vorzeitig aufgrund ihres schlechten Gewissens beendet hatte. Sehnsüchtig schielte sie in die Küche auf den Wasserkocher; sie fror, und würde sich eine Tasse Tee zu einem Sandwich gönnen, um sich aufzuwärmen. Zunächst wollte sie jedoch nach Sarah sehen. Sie nahm zwei Treppen auf einmal, um das Knarren der Holzstufen ein wenig zu mindern; Betty wusste, dass es lächerlich war, Angst zu haben – schließlich war das nur etwas für Kinder, und sie war keines mehr – doch das große, dunkle Haus und die Blitze, die es immer wieder in ein fahles Licht tauchten, waren unheimlich. Sie wusste nicht, warum sie nicht einfach das Licht einschaltete, aber sie befürchtete, dadurch irgendwie das kleine Mädchen aufwecken zu können. Sie schnappte sich im Vorbeigehen am Bad noch schnell ein Handtuch, mit dem sie sich dürftig das nasse Gesicht und Haar trocknete, bevor sie schließlich vor der weiß lackierten Tür zu Sarahs Zimmer stand.
Sie befürchtete, dass die Kleine panisch im Haus umher gelaufen war und ihrem Vater von Bettys Abwesenheit erzählen würde, und diese dann den überaus gut bezahlten Job als Babysitter verlor. Der Knauf drehte sich langsam und sie öffnete die Tür mit klopfendem Herzen, um dann den Kopf erst einmal durch den Spalt zu stecken und vorsichtig hinein zu spähen. Im Raum war es hell genug, dass sie das dunkle wallende Haar Sarahs erkennen konnte; das kleine Mädchen hatte sich zur Seite gedreht und schlief offenbar tief und fest. Ihre Arme hielten etwas umschlungen, das der Babysitterin zuvor noch nicht aufgefallen war, als sie Sarah zu Bett gebracht hatte. Ein dünner Strahl des fahlen Mondlichts fiel genau darauf, sodass Betty unwillkürlich die Stirn runzelte. Sie wusste nicht, was es war, doch irgendetwas war seltsam daran; das Knurren ihres Magens riss sie aus ihren Gedanken, und sie musste lächelnd den Kopf über sich selbst schütteln. Es war doch nur ein altmodisches Spielzeug, wie es beinahe jedes Kind besaß. Langsam und bedacht, keinen Lärm zu verursachen, zog sie erleichtert die Tür hinter sich zu. Dumpfe, leiser werdende Schritte verrieten, dass sie nach unten ging.
Sarah drückte unterdessen das weiche, braune Fell noch fester an sich, atmete unbewusst den Duft des Lavendels ein, den sie nicht vergessen würde. Die dunklen Kulleraugen spiegelten das helle Licht als winzige Punkte, während die Schleife um den Hals des Teddybären in leuchtendem Rot erstrahlte. Wenn sie am nächsten Morgen erwachte, würde Sarah ihn voller Stolz ihrem Vater als das, was er für viele Jahre sein würde - ihren treuen Freund und Gefährten – vorstellen: Lanzelot.
Die spitzen Augenbrauen zogen sich leicht überrascht zusammen, als der König das kaum merkliche Kopfschütteln des Mädchens bemerkte, gefolgt von dem Zurückziehen der kleinen Hand. „Ich … kann nicht.“ Ihre Stimme war leise, fast zerbrechlich.
Ein Blitz erfüllte den Raum mit einem grellen, weißen Licht, so als würde er Sarahs Worten noch einmal Nachdruck verleihen wollen. Ihre Finger krallten sich verkrampft in die Decke.
Als jene Worte über ihre Lippen kamen, den Blick starr auf das Laken gerichtet, schloss der König für einen Augenblick die Augen, ehe er sich wieder besann.
„Sieh mich an, Sarah.“ Langsam hob sie ihren Blick, obwohl sie es kaum wagte, ihn anzusehen … Die stechenden, ungewöhnlichen Augen waren auf sie gerichtet; sie vermochten etwas Herrschaftliches auszustrahlen und angsteinflößend wirken, doch in diesem Augenblick lag darin eine Wärme, die Sarah nicht erwartet hatte. „Fürchte dich nicht vor mir, denn du hast nichts zu befürchten“, sagte er, senkte den Blick kurz auf den Kristall, ehe er ihn mit einer überraschend schnellen Bewegung, der das Mädchen nicht folgen konnte, verschwinden ließ; dabei raschelte der Stoff seines Umhangs, der sich wie ein schwarzer See unter ihm ausbreitete. „Ich spüre die Entschlossenheit in deiner Stimme, aber auch in deinem Herzen; dennoch höre ich Wehmut darin. Ich werde dich gewiss nicht zwingen, mit mir zu kommen und deine Entscheidung akzeptieren, doch sag mir eins, bevor ich gehe, Sarah – warum willst du nicht glücklich sein?“
Sarah spürte, wie sich ihr Hals zuschnürte, es ihr erschwerte, zu sprechen; ihre Wangen würden gleich wieder von warmen Tränen benetzt werden. Es fiel ihr so unendlich schwer, doch es erschien ihr die einzig richtige Lösung zu sein. „Das möchte ich“, flüsterte Sarah. „Mehr als alles andere auf dieser Welt, aber ich kann nicht.“ Ihr Blick wanderte zu dem Nachtkästchen neben ihrem Bett; sie streckte sich nach etwas, das darauf gelegen hatte und dem König bisher nicht aufgefallen war. Mit einem leisen Schaben glitt der Bilderrahmen, der umgedreht darauf gelegen hatte, über das Holz, bis Sarah ihn mit beiden Händen umklammert hielt, so als befürchte sie, ihn verlieren zu können. Sie starrte darauf, solange, bis eine Träne hörbar darauf tropfte, die sie dann hastig mit dem Ärmel fortwischte. „Ich kann … nicht.“
Das Bild zeigte ein lächelndes, junges Paar in einem Park; offensichtlich frisch verliebt hatten sie die Arme umeinander gelegt, während der Kopf der Frau entspannt an der Brust des Mannes ruhte und sie beide fröhlich in die Kamera lachten. Sie wirkten so unglaublich glücklich, doch das war längst vergangen. Sarah ließ wortlos passieren, als Handschuh den Rahmen umfasste und ihn ihr sanft entzog.
Der König betrachtete, was für das Mädchen offenbar von allergrößtem Wert war; sein Blick fiel sogleich auf die Mutter. Die Ähnlichkeit war nahezu erstaunlich. Sarah hatte dieselben weichen Gesichtszüge und das dunkle lange Haar, lediglich die grünen Augen hatte sie vom Vater geerbt. Seine Sinne waren weit ausgeprägter als die eines Menschen, sodass, wenn er die Augen schloss, er das Lachen des Pärchens sowie den Duft des frischen grünen Grases an jenem herrlichen Sommertag wahrnehmen konnte. Eine Erinnerung, die jedoch mit der Zeit verblasst war und etwas Intensiverem wich, das der König – ähnlich einem Raubtier – wie eine Fährte aufnahm und ihn in das Hier und Jetzt zurückholte; da war es wieder. Für ihn süßer als jeder Wein, ein lockender Ruf, der keiner Worte bedurft hatte. Die Traurigkeit, die das Mädchen ausstrahlte, zog ihn förmlich in den Bann. Es überraschte ihn jedoch, dass sie ihm nun direkt in die Augen blickte, von den Tränen gerötet. „Ich kann Daddy nicht alleine lassen“, sprach sie mit fester Stimme, „es würde ihm das Herz brechen, wenn ich auch noch … wenn ich nicht mehr hier wäre. Er braucht mich, verstehst du?“
Der Koboldkönig legte den Bilderrahmen zur Seite. „Bist du dir mit dieser Entscheidung ganz sicher, Sarah?“
Ohne es zu bemerken, hatte sie ihre Hände erneut zu Fäusten geballt; ihre Finger kribbelten seltsam und fühlten sich taub an. Sie fühlte den Widerstand ihres Herzens, eine Empörung über die Entscheidung, die sie nun für sich getroffen hatte und für sie in jenem Augenblick die einzig richtige war. Es war ein leises, heiser gehauchtes Ja, das über ihre trockenen Lippen kam, sodass sie sich zuerst nicht sicher war, ob er verstanden hatte.
Ein eiskalter Schauder erfasste Sarah, als sie bemerkte, dass sein stechender Blick auf ihr ruhte; für einen kurzen Augenblick glaubte sie, Zorn in seinen Augen aufblitzen zu sehen, doch sie konnte nicht wissen, dass sie sich irrte. Die Züge des Königs waren ernst geworden, nun, da Sarah Williams ihren Wunsch geäußert hatte, nicht wissend, dass dies erst der Anfang von etwas sein würde, das bisher noch nicht geschehen war, dass es die Dinge änderte; und dennoch, sie hatte ihre endgültige Entscheidung getroffen, und er musste ihrem Wunsch Folge leisten. Es hätte so einfach, so wunderbar sein können. Der König – wer oder was er auch immer sein mochte – erhob sich völlig unerwartet; hinter ihm schien sich wieder die Dunkelheit auszubreiten, aus der er getreten war.
„Nun … so sei es, Sarah.“ Seine weiche, melodische Stimme hallte in ihren Ohren wieder, und sie war sich nicht sicher, ob sie sich das Schwindelgefühl nur einbildete. Sie blinzelte, versuchte, die plötzliche Müdigkeit und die sich drehende Umgebung zu verscheuchen. Das Wetterleuchten erhellte immer wieder das bleiche Gesicht, ließ die kleinen Kristalle seiner Kleidung schimmern; seine schlanke Gestalt schien in die Länge zu wachsen. Langsam sank sie in ihre Kissen zurück, fühlte, wie sich ihr Körper ihrem Willen entzog und entspannte.
Alles um sie herum schien an Konturen und Schärfe zu verlieren, als ihre Lider immer schwerer wurden; sie drohte, in einen tiefen Schlaf zu fallen, und war sich auch nicht mehr sicher, ob sie tatsächlich seine tiefe Stimme vernahm – oder das kühle Leder seines Handschuhs, das sanft über ihre Wange strich. Sie sah seine Augen vor sich, stechend blau und kühl, die sie in ihren Bann zogen. „Höre meine Worte: du wirst in einen traumlosen Schlaf fallen und dich nicht an diese Nacht erinnern; dein Herz jedoch wird nicht vergessen, und wenn der Zeitpunkt gekommen ist, wirst du mich rufen. Nun lasse ich dich gehen, doch an jenem Tag wirst du dich an mich erinnern und mit mir im Untergrund leben – für alle Ewigkeit. Das ist der Preis, den ich fordere.“
Seine Worte wiederholten sich wie ein Mantra in ihrem Kopf; sie erkannte noch seine Hand, unmittelbar vor ihrem Gesicht, die sich dann öffnete und ein plötzlicher, sanfter Luftzug ihr Gesicht streifte, bevor sie seiner Magie endgültig erlag und in jenen tiefen Schlaf verfiel, von dem der schöne Fremde gesprochen hatte. Bis zuletzt versuchte sie sich dagegen zu wehren, sich dieses magische Wesen einzuprägen. Winzig kleine, bunt funkelnde Kristalle regneten auf das schlafende Mädchen in seinem Bett nieder; die Finger des Koboldkönigs schlossen sich, die Lippen bildeten wieder eine schmale Linie.
Er betrachtete das Kind vor sich. Sie wirkte so friedlich, und dennoch wusste er um die Traurigkeit und den Schmerz, eine Last, die ein junges Leben wie ihres nicht tragen sollte. Der König wusste, dass ihr Leben – bis zu ihrem Wiedersehen, wann immer es sein mochte – kein Glückseliges und Sorgenfreies sein würde.
Mit lautlosen Schritten näherte er sich ihr noch einmal, beugte sich tief zu ihr hinab und strich mit dem Finger eine lose Strähne ihres dunklen Haars aus dem Gesicht. „Er soll dir ein Freund sein und Trost spenden, wenn du einsam bist.“ Behutsam legte er den Arm der kleinen Sarah um ein letztes, kleines Geschenk, das sich für sie als wertvoller herausstellen sollte als gedacht.
Zum Abschied hauchten seine Lippen einen Kuss auf die weiche Stirn des Kindes, bevor er in der nächsten Sekunde verschwunden war und das Zimmer in Stille und Dunkelheit zurück ließ, so, als ob nichts geschehen wäre; im selben Augenblick fiel die Eingangstür ins Schloss, und das Quietschen der Reifen auf der regennassen Straße verriet, dass das Kindermädchen zurück gekehrt war.
Betty wand sich aus der triefend nassen Jacke, die sie rasch in der Garderobe verstaute. Das Haus lag völlig still, was für sie nur Gutes bedeuten konnte. Die Kleine war also trotz des heftigen Gewitters nicht aufgewacht, so wie sie es befürchtet hatte und ihr Date vorzeitig aufgrund ihres schlechten Gewissens beendet hatte. Sehnsüchtig schielte sie in die Küche auf den Wasserkocher; sie fror, und würde sich eine Tasse Tee zu einem Sandwich gönnen, um sich aufzuwärmen. Zunächst wollte sie jedoch nach Sarah sehen. Sie nahm zwei Treppen auf einmal, um das Knarren der Holzstufen ein wenig zu mindern; Betty wusste, dass es lächerlich war, Angst zu haben – schließlich war das nur etwas für Kinder, und sie war keines mehr – doch das große, dunkle Haus und die Blitze, die es immer wieder in ein fahles Licht tauchten, waren unheimlich. Sie wusste nicht, warum sie nicht einfach das Licht einschaltete, aber sie befürchtete, dadurch irgendwie das kleine Mädchen aufwecken zu können. Sie schnappte sich im Vorbeigehen am Bad noch schnell ein Handtuch, mit dem sie sich dürftig das nasse Gesicht und Haar trocknete, bevor sie schließlich vor der weiß lackierten Tür zu Sarahs Zimmer stand.
Sie befürchtete, dass die Kleine panisch im Haus umher gelaufen war und ihrem Vater von Bettys Abwesenheit erzählen würde, und diese dann den überaus gut bezahlten Job als Babysitter verlor. Der Knauf drehte sich langsam und sie öffnete die Tür mit klopfendem Herzen, um dann den Kopf erst einmal durch den Spalt zu stecken und vorsichtig hinein zu spähen. Im Raum war es hell genug, dass sie das dunkle wallende Haar Sarahs erkennen konnte; das kleine Mädchen hatte sich zur Seite gedreht und schlief offenbar tief und fest. Ihre Arme hielten etwas umschlungen, das der Babysitterin zuvor noch nicht aufgefallen war, als sie Sarah zu Bett gebracht hatte. Ein dünner Strahl des fahlen Mondlichts fiel genau darauf, sodass Betty unwillkürlich die Stirn runzelte. Sie wusste nicht, was es war, doch irgendetwas war seltsam daran; das Knurren ihres Magens riss sie aus ihren Gedanken, und sie musste lächelnd den Kopf über sich selbst schütteln. Es war doch nur ein altmodisches Spielzeug, wie es beinahe jedes Kind besaß. Langsam und bedacht, keinen Lärm zu verursachen, zog sie erleichtert die Tür hinter sich zu. Dumpfe, leiser werdende Schritte verrieten, dass sie nach unten ging.
Sarah drückte unterdessen das weiche, braune Fell noch fester an sich, atmete unbewusst den Duft des Lavendels ein, den sie nicht vergessen würde. Die dunklen Kulleraugen spiegelten das helle Licht als winzige Punkte, während die Schleife um den Hals des Teddybären in leuchtendem Rot erstrahlte. Wenn sie am nächsten Morgen erwachte, würde Sarah ihn voller Stolz ihrem Vater als das, was er für viele Jahre sein würde - ihren treuen Freund und Gefährten – vorstellen: Lanzelot.