Dark Salvation
von mara-van-deen
Kurzbeschreibung
Viele Jahre waren vergangen, seit Sarah jene Worte gesprochen und damit ihren kleinen Bruder verwunschen hatte; sie überwand jede Gefahr, um ihn aus den Fängen des verführerischen Koboldkönigs, der sich in das Mädchen verliebt hatte, zu befreien - und vergaß, was geschehen war, bis sie sich erneut im Untergrund wiederfindet und feststellen muss, dass sich vieles verändert hat. Schon bald muss sie erkennen, dass das Böse nicht schläft und sie beobachtet...
GeschichteHorror, Liebesgeschichte / P18 / Gen
Hoggle
Jareth
Lubo
Sarah
Sir Didymus
31.08.2016
15.04.2023
43
56.915
9
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10.03.2017
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In kindlich-trotziger Manier schlugen die geballten Fäuste auf ihre Decken, so als könnte Sarah damit ihren Schmerz verschwinden lassen; in dieser Sekunde erhellte erneut ein Blitz das Zimmer, so als würde der Himmel ihre Wut noch unterstreichen wollen. Diesmal dauerte das Lichtspiel ungewöhnlich lange, bevor der darauffolgende Donner das Haus erbeben ließ. Es war so laut und plötzlich, dass Sarah vor Schreck aufschrie und zitternd noch einmal Schutz unter ihrer Decke suchte. Jemand war in dem Zimmer.
Sarahs Herz raste in ihrer Brust. Kurz bevor der Blitz erlosch und das Zimmer wieder in Dunkelheit tauchte, war da jemand – oder etwas – gewesen, eine Bewegung, die sich jedoch in den Schatten verlor. Die Tränen brannten in ihren Augen, doch sie wagte es nicht, sich zu bewegen; ihre Angst lähmte sie. Nervös leckte sie sich die Lippen. Vielleicht hatte sie sich diese große, unheimliche Silhouette ja auch nur eingebildet? Ihr Vater und ihre Tanten und Onkel hatten immerhin schon oft genug darüber gesprochen, wie lebendig ihre Fantasie doch wäre und Sarah kam nicht umhin zu bemerken, dass eine tiefe Sehnsucht dabei darin gelegen hatte …?
Als die alten Holzdielen leise, aber doch hörbar knauerten, sog sie die wenige Luft hörbar ein und legte dabei die Hand über ihren Mund, um das Geräusch zu unterdrücken. Sie sah nichts als die dünne Decke über ihrem Gesicht und das gelegentliche Aufflackern eines Blitzes; es verging Zeit. Wie viel, vermochte Sarah nicht zu sagen. Es fühlte sich für sie wie eine Ewigkeit an, in der sie versuchte, den Sturm auszublenden und auf ungewöhnliche Geräusche zu achten. Sie glaubte, jeden Augenblick von einem Monster überfallen zu werden, eins, das sich vielleicht in ihrem Schrank versteckt gehalten hatte und jetzt auf den passenden Moment wartete. Die kleinen Finger krallten sich in die Decke, zogen sie unendlich langsam nach unten. Die Furcht saß immer noch in ihren Knochen, doch sie brauchte dringend frische Luft – und ihre Neugier nagte noch schlimmer an ihr.
Vorsichtig lugte sie hervor; sofort stieg ihr ein merkwürdig benebelnder Duft in die Nase - einer, den sie sicher nicht von ihrem Vater kannte, und dennoch …
Langsam setzte sie sich auf und starrte konzentriert in den einzig dunkel bleibenden Winkel ihres Zimmers.
„Hallo, Sarah.“
Ihr Mund öffnete sich, als sie ihren Namen hörte; es war eine tiefe, melodisch klingende Stimme. Was als Nächstes geschah, verstand das kleine Mädchen nicht. Es trat niemand plötzlich aus dem finsteren Eck ihres Zimmers; vielmehr schien es, als würde sich die Gestalt aus der Dunkelheit lösen und diese mit sich nehmen. Sie sollte schnell begreifen, dass der lange Umhang auf den Schultern des Wesens eben jenen Winkel des Raums in eine merkwürdige Schwärze getaucht hatte, die nicht einmal vom grellsten Blitz erhellt worden war.
Mit offenem Mund starrte sie in ein blasses Gesicht, das von einer ungezähmten blonden Mähne umrahmt wurde. Sie wusste, dass ein fremder Mann vor ihrem Bett verharrte, aber nichts an ihm erinnerte auch nur im Geringsten an die Erwachsenen, die sie bisher kennen gelernt hatte. Lautlosen Schrittes näherte er sich Sarah, hielt jedoch inne, als er sah, dass sie zusammenzuckte. Stattdessen lehnte er sich an den hölzernen Pfeiler ihres Betts; ein Lächeln umspielte die schmalen Lippen.
Irgendetwas hinderte sie daran, schreiend davon zu laufen, obwohl sein Anblick ihr fürchterliche Angst einjagte.
Dennoch konnte sie ihren Blick nicht abwenden und starrte ihn unverhohlen an; das schmale Gesicht war von markanten Wangenknochen geprägt und die stechenden Augen von dunklen Mustern umrahmt.
„Wer … wer bist du?“, fragte Sarah heiser, nicht ohne ihre Decke fest zu umklammern. „Und wie bist du in das Haus gekommen?“ Sie erinnerte sich an die Regel ihres Vaters, nicht mit Fremden zu sprechen, doch er war nicht hier und würde es auch nie erfahren … ihre Finger kribbelten vor Aufregung. Als hätte der unheimliche Fremde ihre Gedanken gelesen, schmunzelte er.
„Ein Freund“, antwortete er unerwartet sanft und die harten Gesichtszüge erschienen plötzlich weicher. „Fürchte dich nicht.“ Langsam löste er sich aus seiner Haltung, und ließ sich am Fuße des Bettes nieder, Sarah dabei im Blick behaltend. Sie war derart überrascht und von seiner Erscheinung überwältigt, dass sie nicht einmal dagegen protestierte.
„Aber ich kenne dich nicht“, kam es geradewegs aus Sarahs Mund, und sie war absolut ehrlich. Sie konnte sich nicht erinnern, ihm je begegnet zu sein …
Zu ihrer Überraschung schmunzelte der Fremde. Er kreuzte die Finger ineinander. „Bist du dir sicher?“, hakte er nach. „Vielleicht nicht hier, aber möglicherweise in der Welt deiner Träume.“ Dann schwieg er, betrachtete das Mädchen und lächelte wissend.
Doch woher konnte er davon wissen? Ihre Pupillen weiteten sich und unwillkürlich hielt sie den Atem an. Manchmal, aber besonders seit dem Tod ihrer Mutter, hatte sie verrückte Dinge geträumt; von prachtvollen Schlössern und wunderbaren Bällen, die dort gefeiert wurden, von bunten lebensfrohen Kreaturen und einer Welt, in der nichts unmöglich zu sein schien. So wunderbar diese sich ständig verändernden Welten auch waren, war doch nichts wichtiger, als dass sie dort niemals einsam war: da waren die Lebewesen, die sie wie eine Prinzessin behandelten und mit ihr durch ihr Reich zogen, und stets eine Eule, die sie überall hin begleitete. Es waren eben jene Träume, die Sarah auch tagsüber immer wieder die graue, triste Realität vergessen ließen. Sie hatte niemals jemandem davon erzählt, und musste nicht einmal die Frage nicht einmal aussprechen, die ihr auf der Zunge lag.
Der weiche Stoff ihrer Bettlacken raschelte leise, als der Fremde ein wenig näher rückte und es sich mit einem leisen Seufzen auch offensichtlich gemütlicher machte, bevor er Sarah wieder mit dem selben Lächeln wie zuvor bedachte. Die Selbstverständlichkeit, mit der er all das tat, irritierte das Mädchen, aber seltsamerweise war ihre Furcht nicht mehr allzu groß. „Ich bin der König der Kobolde“, erklärte er, „und Herrscher über den Untergrund.“ Dabei führte er eine ausschweifende Bewegung mit seiner Hand aus, um die Größe seines Reiches zu veranschaulichen; dabei bemerkte Sarah die schwarz glänzenden Handschuhe, die er trug, was lächerlich erschien angesichts dessen, was er gerade gesagt hatte. Der König der Kobolde.
In ihren Träumen hatte sie stets das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden. Natürlich gab es in ihrer Traumwelt auch einen Prinzen, dessen Gesicht sie jedoch niemals sah, sondern einfach nur wusste, dass er existieren musste – schließlich brauchte jede Fantasiewelt auch einen Herrscher, in ihrem Fall einen Prinzen, der sich unumgänglich in das sterbliche Mädchen verlieben musste. Peinlich berührt von dem Lächeln des Fremden, verscheuchte sie ihre Gedanken ebenso schnell wieder, wie sie gekommen waren. Ein König jedoch war weit mehr, als sie erwartet hatte; und er hatte nichts mit jenen Prinzen gemeinsam, die in ihren Märchen aufgetaucht waren.
Warum …-?
„… ich hier bin?“, vollendete er sanft. Sacht richtete er den Sitz seiner Handschuhe zurecht und kreuzte dann die Finger ineinander. „Nun, ich hatte gehofft, du würdest mir mehr darüber erzählen.“
Sarah biss sich auf ihre Unterlippe. „Ich … aber … ich verstehe nicht …“ Suchend blickte sie auf das Blumenmuster ihrer Decke, so als würde sie darin die Antwort finden können. Mit großen Augen blickte sie ihn an, als sie sein leises Lachen hörte, das ebenso hypnotisierend wirkte wie seine Augen. „Keine Angst, Sarah. Du hast nichts Unrechtes getan, und ich bin nicht hier, um dich zu bestrafen, nein … ich bestrafe niemals die Kinder. Nur diejenigen, die mich ihretwillen riefen. Umso interessanter ist es, dass gerade du mich gerufen hast.“
„A-a … aber ich habe dich nicht gerufen“, brachte Sarah gerade noch mühsam hervor; ihre Zunge fühlte sich so unglaublich schwer an, und ihr Verstand wollte einfach nicht richtig funktionieren. Schlug ihre Fantasie gerade über die Stränge … ?
Sie war so sehr in Gedanken versunken, dass sie nicht einmal bemerkte, wie sich eine Strähne des dunklen Haars löste und in ihr Gesicht fiel; erst, als sie kühles Leder auf ihrer Wange fühlte, kehrte sie zurück und blickte geradewegs in diese Augen, die definitiv nicht die eines Menschen waren. Bewusst langsam strich der Fremde, der sich selbst Koboldkönig nannte, sie ihr hinter das Ohr – mit demselben Lächeln wie zuvor, doch mit einem Mal und so plötzlich, dass es Sarah kalt den Rücken hinab lief, wurde seine Miene ernst. „Es bedarf offenbar nicht immer nur Worten“, sprach der König leise, „um mich zu rufen und seinen Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen. Ich bin hier, weil ich deine unglaubliche Traurigkeit gespürt habe; dein Schmerz umgibt dich wie ein dunkler Schleier. Wenn ich in deine Augen blicke, sehe ich eine Leere. Du bist anders, Sarah.“
Während er sprach, hing das Mädchen an seinen Lippen; jedes seiner Worte erschien sinnvoll und wahr, und die Wahrheit schmerzte unglaublich. Sie war schrecklich einsam, seit ihre Mutter gestorben war. Es war nicht fair, dass sie ihre Tochter einfach zurückgelassen hatte, während ihre ganze Welt über ihr zusammenstürzte. Ein Kloß schnürte ihren Hals zusammen, bis sich die ersten Tränen ihren Weg bahnten und die Mauer, die Sarah um sich errichtet hatte, schließlich brach. Schluchzend schlug sie die Hände vor das Gesicht, damit der Fremde ihren Zusammenbruch und ihre geröteten Augen nicht sehen konnte. „ Wie kannst du das alles nur wissen? Ich … vermisse sie so sehr.“
Sie zuckte zusammen, als sie fühlte, wie sich ein Arm um sie legte und sacht zu sich zog; eine kleine, tröstliche Geste. In jenem Augenblick verflog auch der letzte Rest Furcht vor dem mysteriösen Fremden und zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Mutter war Sarah wieder das, was sie sein sollte – ein Kind. Es war ihr vollkommen egal, was der König über sie dachte, als sie ihre Arme um seine Mitte schlang und sich einfach hemmungslos weinend an seine Brust drückte. Er verströmte einen Hauch von Lavendel, den Sarah so gerne mochte und einen lauen Sommerabend erinnerte. Sie hatte erwartet, dass er sich irgendwann aus ihrer Umarmung winden würde, so wie ihr Vater es meist tat, völlig überfordert mit den Problemen seiner Tochter – doch er tat es nicht.
Stattdessen verharrte er still, während Sarah sich langsam beruhigte, indem sie mit geschlossenen Augen dem Schlagen seines Herzens lauschte und jene Wärme genoss, die er ausstrahlte; etwas, das ihr viel zu lange verwehrt geblieben war. Langsam zog sie sich zurück und wischte sich beschämt mit dem Ärmel über das tränennasse Gesicht.
„Du bist nicht schwach, nur weil du weinst, Sarah.“ Er übte einen sanften Druck aus, als er ihr Kinn zwischen seine Finger nahm und anhob, sodass sie direkt in seine eisblauen Augen blickte. „Im Gegenteil, du hast deine Trauer viel zu lange für dich behalten und musstest schnell erwachsen werden. Du bist ein außergewöhnliches, kleines Mädchen … und ich habe ein Geschenk für dich.“
Die schmalen Lippen kräuselten sich erneut zu einem Lächeln, als er zu Sarahs Erstaunen plötzlich aus dem Nichts eine einfache, dennoch wundervoll schimmernde Kristallkugel hervor holte und scheinbar spielend einfach zwischen Handfläche und –rücken hin- und hergleiten ließ. Das Mädchen verfolgte das Schauspiel mit offenem Mund und konnte ein leises Oh nicht unterdrücken, als er die Kugel schließlich zwischen beiden Händen umhergleiten ließ, so als wären sie Teil seines Körpers. „Sie ist wunderschön, nicht wahr?“, fragte er, den Blick darauf gesenkt, sodass die Musterungen um seine Augen noch besser zur Geltung kamen. Er hatte etwas merkwürdig graziles und schönes an sich, obwohl er gleichermaßen angsteinflößend sein konnte.
„Ein Kristall, nicht mehr und nicht weniger. Dennoch kann er dein Leben zum Besseren verändern; komm mit mir in mein Reich, und du wirst nie wieder einsam oder traurig sein.“
***
//Ich hoffe, dass euch dieses Kapitel nach einer doch etwas längeren Pause gefällt. Die Uni nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, weshalb ich in nächster Zeit wohl eher wenig hochladen werde, weil mir Zeit & Fantasie fehlen - dennoch würde mich eure Meinung dazu sehr interessieren. //
Sarahs Herz raste in ihrer Brust. Kurz bevor der Blitz erlosch und das Zimmer wieder in Dunkelheit tauchte, war da jemand – oder etwas – gewesen, eine Bewegung, die sich jedoch in den Schatten verlor. Die Tränen brannten in ihren Augen, doch sie wagte es nicht, sich zu bewegen; ihre Angst lähmte sie. Nervös leckte sie sich die Lippen. Vielleicht hatte sie sich diese große, unheimliche Silhouette ja auch nur eingebildet? Ihr Vater und ihre Tanten und Onkel hatten immerhin schon oft genug darüber gesprochen, wie lebendig ihre Fantasie doch wäre und Sarah kam nicht umhin zu bemerken, dass eine tiefe Sehnsucht dabei darin gelegen hatte …?
Als die alten Holzdielen leise, aber doch hörbar knauerten, sog sie die wenige Luft hörbar ein und legte dabei die Hand über ihren Mund, um das Geräusch zu unterdrücken. Sie sah nichts als die dünne Decke über ihrem Gesicht und das gelegentliche Aufflackern eines Blitzes; es verging Zeit. Wie viel, vermochte Sarah nicht zu sagen. Es fühlte sich für sie wie eine Ewigkeit an, in der sie versuchte, den Sturm auszublenden und auf ungewöhnliche Geräusche zu achten. Sie glaubte, jeden Augenblick von einem Monster überfallen zu werden, eins, das sich vielleicht in ihrem Schrank versteckt gehalten hatte und jetzt auf den passenden Moment wartete. Die kleinen Finger krallten sich in die Decke, zogen sie unendlich langsam nach unten. Die Furcht saß immer noch in ihren Knochen, doch sie brauchte dringend frische Luft – und ihre Neugier nagte noch schlimmer an ihr.
Vorsichtig lugte sie hervor; sofort stieg ihr ein merkwürdig benebelnder Duft in die Nase - einer, den sie sicher nicht von ihrem Vater kannte, und dennoch …
Langsam setzte sie sich auf und starrte konzentriert in den einzig dunkel bleibenden Winkel ihres Zimmers.
„Hallo, Sarah.“
Ihr Mund öffnete sich, als sie ihren Namen hörte; es war eine tiefe, melodisch klingende Stimme. Was als Nächstes geschah, verstand das kleine Mädchen nicht. Es trat niemand plötzlich aus dem finsteren Eck ihres Zimmers; vielmehr schien es, als würde sich die Gestalt aus der Dunkelheit lösen und diese mit sich nehmen. Sie sollte schnell begreifen, dass der lange Umhang auf den Schultern des Wesens eben jenen Winkel des Raums in eine merkwürdige Schwärze getaucht hatte, die nicht einmal vom grellsten Blitz erhellt worden war.
Mit offenem Mund starrte sie in ein blasses Gesicht, das von einer ungezähmten blonden Mähne umrahmt wurde. Sie wusste, dass ein fremder Mann vor ihrem Bett verharrte, aber nichts an ihm erinnerte auch nur im Geringsten an die Erwachsenen, die sie bisher kennen gelernt hatte. Lautlosen Schrittes näherte er sich Sarah, hielt jedoch inne, als er sah, dass sie zusammenzuckte. Stattdessen lehnte er sich an den hölzernen Pfeiler ihres Betts; ein Lächeln umspielte die schmalen Lippen.
Irgendetwas hinderte sie daran, schreiend davon zu laufen, obwohl sein Anblick ihr fürchterliche Angst einjagte.
Dennoch konnte sie ihren Blick nicht abwenden und starrte ihn unverhohlen an; das schmale Gesicht war von markanten Wangenknochen geprägt und die stechenden Augen von dunklen Mustern umrahmt.
„Wer … wer bist du?“, fragte Sarah heiser, nicht ohne ihre Decke fest zu umklammern. „Und wie bist du in das Haus gekommen?“ Sie erinnerte sich an die Regel ihres Vaters, nicht mit Fremden zu sprechen, doch er war nicht hier und würde es auch nie erfahren … ihre Finger kribbelten vor Aufregung. Als hätte der unheimliche Fremde ihre Gedanken gelesen, schmunzelte er.
„Ein Freund“, antwortete er unerwartet sanft und die harten Gesichtszüge erschienen plötzlich weicher. „Fürchte dich nicht.“ Langsam löste er sich aus seiner Haltung, und ließ sich am Fuße des Bettes nieder, Sarah dabei im Blick behaltend. Sie war derart überrascht und von seiner Erscheinung überwältigt, dass sie nicht einmal dagegen protestierte.
„Aber ich kenne dich nicht“, kam es geradewegs aus Sarahs Mund, und sie war absolut ehrlich. Sie konnte sich nicht erinnern, ihm je begegnet zu sein …
Zu ihrer Überraschung schmunzelte der Fremde. Er kreuzte die Finger ineinander. „Bist du dir sicher?“, hakte er nach. „Vielleicht nicht hier, aber möglicherweise in der Welt deiner Träume.“ Dann schwieg er, betrachtete das Mädchen und lächelte wissend.
Doch woher konnte er davon wissen? Ihre Pupillen weiteten sich und unwillkürlich hielt sie den Atem an. Manchmal, aber besonders seit dem Tod ihrer Mutter, hatte sie verrückte Dinge geträumt; von prachtvollen Schlössern und wunderbaren Bällen, die dort gefeiert wurden, von bunten lebensfrohen Kreaturen und einer Welt, in der nichts unmöglich zu sein schien. So wunderbar diese sich ständig verändernden Welten auch waren, war doch nichts wichtiger, als dass sie dort niemals einsam war: da waren die Lebewesen, die sie wie eine Prinzessin behandelten und mit ihr durch ihr Reich zogen, und stets eine Eule, die sie überall hin begleitete. Es waren eben jene Träume, die Sarah auch tagsüber immer wieder die graue, triste Realität vergessen ließen. Sie hatte niemals jemandem davon erzählt, und musste nicht einmal die Frage nicht einmal aussprechen, die ihr auf der Zunge lag.
Der weiche Stoff ihrer Bettlacken raschelte leise, als der Fremde ein wenig näher rückte und es sich mit einem leisen Seufzen auch offensichtlich gemütlicher machte, bevor er Sarah wieder mit dem selben Lächeln wie zuvor bedachte. Die Selbstverständlichkeit, mit der er all das tat, irritierte das Mädchen, aber seltsamerweise war ihre Furcht nicht mehr allzu groß. „Ich bin der König der Kobolde“, erklärte er, „und Herrscher über den Untergrund.“ Dabei führte er eine ausschweifende Bewegung mit seiner Hand aus, um die Größe seines Reiches zu veranschaulichen; dabei bemerkte Sarah die schwarz glänzenden Handschuhe, die er trug, was lächerlich erschien angesichts dessen, was er gerade gesagt hatte. Der König der Kobolde.
In ihren Träumen hatte sie stets das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden. Natürlich gab es in ihrer Traumwelt auch einen Prinzen, dessen Gesicht sie jedoch niemals sah, sondern einfach nur wusste, dass er existieren musste – schließlich brauchte jede Fantasiewelt auch einen Herrscher, in ihrem Fall einen Prinzen, der sich unumgänglich in das sterbliche Mädchen verlieben musste. Peinlich berührt von dem Lächeln des Fremden, verscheuchte sie ihre Gedanken ebenso schnell wieder, wie sie gekommen waren. Ein König jedoch war weit mehr, als sie erwartet hatte; und er hatte nichts mit jenen Prinzen gemeinsam, die in ihren Märchen aufgetaucht waren.
Warum …-?
„… ich hier bin?“, vollendete er sanft. Sacht richtete er den Sitz seiner Handschuhe zurecht und kreuzte dann die Finger ineinander. „Nun, ich hatte gehofft, du würdest mir mehr darüber erzählen.“
Sarah biss sich auf ihre Unterlippe. „Ich … aber … ich verstehe nicht …“ Suchend blickte sie auf das Blumenmuster ihrer Decke, so als würde sie darin die Antwort finden können. Mit großen Augen blickte sie ihn an, als sie sein leises Lachen hörte, das ebenso hypnotisierend wirkte wie seine Augen. „Keine Angst, Sarah. Du hast nichts Unrechtes getan, und ich bin nicht hier, um dich zu bestrafen, nein … ich bestrafe niemals die Kinder. Nur diejenigen, die mich ihretwillen riefen. Umso interessanter ist es, dass gerade du mich gerufen hast.“
„A-a … aber ich habe dich nicht gerufen“, brachte Sarah gerade noch mühsam hervor; ihre Zunge fühlte sich so unglaublich schwer an, und ihr Verstand wollte einfach nicht richtig funktionieren. Schlug ihre Fantasie gerade über die Stränge … ?
Sie war so sehr in Gedanken versunken, dass sie nicht einmal bemerkte, wie sich eine Strähne des dunklen Haars löste und in ihr Gesicht fiel; erst, als sie kühles Leder auf ihrer Wange fühlte, kehrte sie zurück und blickte geradewegs in diese Augen, die definitiv nicht die eines Menschen waren. Bewusst langsam strich der Fremde, der sich selbst Koboldkönig nannte, sie ihr hinter das Ohr – mit demselben Lächeln wie zuvor, doch mit einem Mal und so plötzlich, dass es Sarah kalt den Rücken hinab lief, wurde seine Miene ernst. „Es bedarf offenbar nicht immer nur Worten“, sprach der König leise, „um mich zu rufen und seinen Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen. Ich bin hier, weil ich deine unglaubliche Traurigkeit gespürt habe; dein Schmerz umgibt dich wie ein dunkler Schleier. Wenn ich in deine Augen blicke, sehe ich eine Leere. Du bist anders, Sarah.“
Während er sprach, hing das Mädchen an seinen Lippen; jedes seiner Worte erschien sinnvoll und wahr, und die Wahrheit schmerzte unglaublich. Sie war schrecklich einsam, seit ihre Mutter gestorben war. Es war nicht fair, dass sie ihre Tochter einfach zurückgelassen hatte, während ihre ganze Welt über ihr zusammenstürzte. Ein Kloß schnürte ihren Hals zusammen, bis sich die ersten Tränen ihren Weg bahnten und die Mauer, die Sarah um sich errichtet hatte, schließlich brach. Schluchzend schlug sie die Hände vor das Gesicht, damit der Fremde ihren Zusammenbruch und ihre geröteten Augen nicht sehen konnte. „ Wie kannst du das alles nur wissen? Ich … vermisse sie so sehr.“
Sie zuckte zusammen, als sie fühlte, wie sich ein Arm um sie legte und sacht zu sich zog; eine kleine, tröstliche Geste. In jenem Augenblick verflog auch der letzte Rest Furcht vor dem mysteriösen Fremden und zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Mutter war Sarah wieder das, was sie sein sollte – ein Kind. Es war ihr vollkommen egal, was der König über sie dachte, als sie ihre Arme um seine Mitte schlang und sich einfach hemmungslos weinend an seine Brust drückte. Er verströmte einen Hauch von Lavendel, den Sarah so gerne mochte und einen lauen Sommerabend erinnerte. Sie hatte erwartet, dass er sich irgendwann aus ihrer Umarmung winden würde, so wie ihr Vater es meist tat, völlig überfordert mit den Problemen seiner Tochter – doch er tat es nicht.
Stattdessen verharrte er still, während Sarah sich langsam beruhigte, indem sie mit geschlossenen Augen dem Schlagen seines Herzens lauschte und jene Wärme genoss, die er ausstrahlte; etwas, das ihr viel zu lange verwehrt geblieben war. Langsam zog sie sich zurück und wischte sich beschämt mit dem Ärmel über das tränennasse Gesicht.
„Du bist nicht schwach, nur weil du weinst, Sarah.“ Er übte einen sanften Druck aus, als er ihr Kinn zwischen seine Finger nahm und anhob, sodass sie direkt in seine eisblauen Augen blickte. „Im Gegenteil, du hast deine Trauer viel zu lange für dich behalten und musstest schnell erwachsen werden. Du bist ein außergewöhnliches, kleines Mädchen … und ich habe ein Geschenk für dich.“
Die schmalen Lippen kräuselten sich erneut zu einem Lächeln, als er zu Sarahs Erstaunen plötzlich aus dem Nichts eine einfache, dennoch wundervoll schimmernde Kristallkugel hervor holte und scheinbar spielend einfach zwischen Handfläche und –rücken hin- und hergleiten ließ. Das Mädchen verfolgte das Schauspiel mit offenem Mund und konnte ein leises Oh nicht unterdrücken, als er die Kugel schließlich zwischen beiden Händen umhergleiten ließ, so als wären sie Teil seines Körpers. „Sie ist wunderschön, nicht wahr?“, fragte er, den Blick darauf gesenkt, sodass die Musterungen um seine Augen noch besser zur Geltung kamen. Er hatte etwas merkwürdig graziles und schönes an sich, obwohl er gleichermaßen angsteinflößend sein konnte.
„Ein Kristall, nicht mehr und nicht weniger. Dennoch kann er dein Leben zum Besseren verändern; komm mit mir in mein Reich, und du wirst nie wieder einsam oder traurig sein.“
***
//Ich hoffe, dass euch dieses Kapitel nach einer doch etwas längeren Pause gefällt. Die Uni nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, weshalb ich in nächster Zeit wohl eher wenig hochladen werde, weil mir Zeit & Fantasie fehlen - dennoch würde mich eure Meinung dazu sehr interessieren. //