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Dark Salvation

Kurzbeschreibung
GeschichteHorror, Liebesgeschichte / P18 / Gen
Hoggle Jareth Lubo Sarah Sir Didymus
31.08.2016
15.04.2023
43
56.915
9
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Dieses Kapitel
1 Review
 
03.09.2016 1.782
 
Wieder einmal hatte Mary Williams es geschafft, ihre Stieftochter zur Verzweiflung zu bringen; die Tränen brannten in Sarahs Augen, doch sie wollte dieser schrecklichen Frau nicht die Genugtuung geben. Sie war doch kein Kind mehr.
Sarah löschte das Licht im Zimmer. Anschließend tappte sie in das zugehörige kleine Bad und gönnte sich eine ausgiebige heiße Dusche, als könnte sie damit ihre Probleme fortspülen. Danach wickelte sie sich in ihren weichen Morgenmantel und ging zu ihrem Bett, wo sie das kleine Lämpchen einschaltete. Dann ließ sie sich mit einem langen, erlösenden Seufzer darauf fallen, und verharrte eine Weile so.

Sie würde noch ein wenig lesen, bevor sie sich schlafen legte; es würde ihr wenigstens ein bisschen Ablenkung bringen. Sie überkreuzte die Beine in der Luft und tastete nach dem Buch, bis sie es zu fassen bekam. Hatte es einen Ledereinband, so war er ihr zuvor nicht aufgefallen. Sie zog es näher zu sich, betrachtete es mit gerunzelter Stirn. Sie war sich sicher, dass sie ein anderes Werk zuvor gewählt und auf dem Bett hinterlassen hatte, nicht dieses.

Sarah fühlte, wie sich ihre Nackenhaare sträubten, als sie den tiefroten Einband betrachtete, der durch die Zeit in Mitleidenschaft gezogen worden war. The Labyrinth, prangte in goldenen Lettern darauf. „Wie kommt es hierher?“, flüsterte sie leise, drehte und wendete es in ihren Händen. „Ich … ich habe es bestimmt seit zehn Jahren nicht mehr gesehen, hatte es vollkommen vergessen.“ Sie schloss die Augen. „Durch unsägliche Gefahren und unzählige Widerstände habe ich mir meinen Weg erkämpft bis zu diesem Schloss am Rande der Koboldstadt, um das Kind zurück zu holen, das du gestohlen hast. Denn mein Wille …“, zitierte sie leise, „mein Wille … verdammt noch mal. Ein unheimliches Werk.“

Sarah fegte das Büchlein vom Bett, kroch unter die Decke und lauschte dem Gewitter, das nun auch ihre Heimatstadt zu erreichen schien. Es war furchtbar warm darunter, aber sie fühlte sich – so kindisch das klang – sicherer. Wie hatte sie es nur geschafft, das alles zu vergessen? Nein, schalt sie sich. Das waren bloß die Hirngespinste einer verzweifelten Minderjährigen, nichts davon war je real. Ja, so musste es einfach sein – schließlich hatte sie diese seltsamen Wesen nur in jener Nacht gesehen und danach nie wieder; vermutlich imaginäre Freunde, weil sie sich einsam und verletzlich gefühlt hatte. Dann waren die Jahre ins Land gezogen, andere Dinge waren wichtiger geworden und hatten sie vergessen lassen. „Ich werde es morgen wegwerfen“, versprach Sarah sich leise selbst, bevor sie nun auch dieses Licht löschte, ehe sie sich einrollte und in einen unruhigen Schlaf fiel.

Da war ein kleinwüchsiger, merkwürdig aussehender Mann mit grauen, buschigen Augenbrauen; seine großen Glupschaugen starrten etwas, das Sarah jedoch nicht ausmachen konnte, angsterfüllt an.
„Nein, nein“, flüsterte er kopfschüttelnd, „bitte. Wir wissen nichts.“ Er faltete die Hände flehentlich, ging in die Knie. Wovor fürchtete er sich so sehr? Er schien Worten zu lauschen, die Sarah nicht hören konnte, und ließ schließlich resigniert den Kopf hängen.
Im nächsten Augenblick schien sie wie ein Vogel über den Himmel zu gleiten; was sie sah, erinnerte sie an eine verwüstete, verlassene Stadt, inmitten einer Wüste. Verfallene Häuser und Mauern, sowie die Ruinen eines Schlosses und überall dieser blutrote Sand.
Sie kannte diesen Ort ...
Sarah, Sarah, Sarah, Sarah ... SARAH.

Ein Donnergrollen, so laut, dass die Fensterscheiben vibrierten, ließ sie hochfahren; der Baum vor ihrem Fenster knarrte und ächzte unter dem Sturm. Sie schwang sich aus dem Bett, eilte zu dem noch geöffneten Fenster und tappte in einen nassen Fleck im Teppich, den der Regen hinterlassen hatte. Nachdem sie es geschlossen hatte, kehrte sie zu ihrem Bett zurück - und stutzte. Das kleine Buch lag fein säuberlich auf ihrem Kopfkissen. Wurde sie verrückt? „Sehr witzig“, murmelte sie, nahm es und schleuderte es in ein dunkles Eck ihres Zimmers, bevor sie unter die Decke kroch und den Arm vor die Augen legte. Wie sollte sie jetzt noch an Schlaf denken können?

Ein dumpfes Geräusch ertönte, und es schien unter dem Bett hervorzukommen, sodass Sarah aufrecht, mit rasendem Herzen, darin saß. Beruhig dich, dachte sie, es ist ein altes Haus, das nun mal atmet. Trotzdem ließ es sie nicht los, sodass sie sich langsam aus dem Bett lehnte, den Kopf darunter steckte - und nichts Ungewöhnliches entdecken konnte. Blitze erhellten den Raum immer wieder; sie war allein. Sie konnte nicht sagen, was es war, das sie aufblicken ließ, doch sie erstarrte mit geöffnetem Mund.
Aus dem hintersten, dunklen Winkel ihres Zimmers kam etwas lautlos auf das Bett zugerollt, bis es auf ihrer Seite zu liegen kam; es schimmerte und glänzte verführerisch. Sie streckte ihre Hand danach aus, zögerte. Vermutlich eine Schneekugel, die aus einem der Regale geplumpst war. Ihre Hand umschloss die Kugel, die sich angenehm kühl und seltsam leicht anfühlte. Es war nichts darin zu sehen, und dennoch übte sie eine faszinierende Wirkung auf Sarah aus.

Im Augenwinkel erkannte sie einen Schatten, der an Größe zunahm, sodass sie die Kugel erschrocken fallen ließ und sich die Decke zum Schutz über den Kopf zog, die Augen fest geschlossen und die Hand vor dem Mund, um nicht zu laut zu atmen. Es geschah nichts. Langsam löste sich die Spannung aus ihrem Körper, und sie ermahnte sich, dass sie kein Kind mehr war und sich endgültig zusammenreißen musste.

Am nächsten Morgen musste Sarah sich zwingen, aus dem wohlig warmen Bett zu kriechen. Der ganze Trubel und die Aufregung hatten sie erst spät einschlafen lassen, noch dazu war da dieser unheimliche Traum gewesen, der sich sehr real angefühlt hatte; doch als sie erwacht war, war die Kugel fort, und sie war - wie nicht anders erwartet - alleine. Kopfschüttelnd hatte sie sich ein Sweatshirt und alte Jeans geschlüpft und das Zimmer verlassen; der Duft frisch gekochten Kaffees stieg ihr in die Nase und ließ sie den Traum vergessen.
Sie fuhr sich durch das lange Haar, als sie die Küche betrat und ihre Stiefmutter im eleganten Kostümchen sah, wie sie in einer Pfanne mit Eiern herumkratzte. Ihr Vater saß an seinem üblichen Platz am Tisch und widmete sich der Zeitung, während Toby klobige Kopfhörer auf den Ohren hatte und an seinem Walkman herumdrückte.

Mary wandte sich um und Sarah bemühte sich, nicht zu lachen. Sie trug ihr üblich schrilles Make-up mit blauem Lidschatten und knalligem roten Lippenstift. Mit aufgerissenen Augen begrüßte sie Sarah. „Oh, guten Morgen. Ach Sarah, zieh dich doch bitte rasch um und pack ein paar Dinge ein. Hast du denn kein gutes Kleid mitgenommen? Falls nicht, kannst du eins von meinen haben-“ Ja, natürlich, als würde ich eins dieser pastelfarbenen Kostüme anziehen. „- wir fahren doch dann für ein paar Tage zu Tante Kathy, hast du vergessen? Dein Vater hat dir das sicher gesagt.“ Noch bevor Sarah etwas sagen konnte, drang es hinter der Zeitung kleinlaut hervor: „Hab' ich nicht. Tut mir Leid, Mary.“
Mary rollte mit den Augen, klatschte allen eine Portion dessen auf den Teller, was einmal Ei gewesen sein mochte, und schrubbte dann energisch den Herd sauber, während sie ihrem Mann eine Moralpredigt hielt. Sarah kicherte leise, schlich zu der Kaffeemaschine und goss sich etwas von der dampfenden Flüssigkeit in eine Tasse.
„Setz dich und iss“, forderte Mary sie auf und deutete mit einem roten Fingernagel auf den freien Stuhl, „Toby, gib das Ding runter. Ich hasse diese neumodischen Dinger. Also, nimmst du eins von meinen, Sarah, ich denke, das Mintgrüne würde dir stehen ... “

Sarah schüttelte sofort den Kopf, bemühte sich dann, nicht ganz so energisch zu wirken und verzog dann gespielt leidend das Gesicht. „Weißt du, ich denke, ich bleibe lieber hier. Die Reise und der ganze Stress haben mich ganz schön mitgenommen.“ Irgendwie musste sich die jahrelange Schauspielausbildung ja bezahlt machen. Mary nickte, wenn auch nicht unbedingt begeistert. „Na schön. Wir fahren nach dem Frühstück, und ich weiß nicht, wann wir zurück sein werden. Toby begleitet uns natürlich.“ Ihr Bruder rollte mit den Augen. Ihr Vater zwinkerte ihr über den Rand seiner Zeitung zu. Sarah lächelte. Es machte ihr nichts aus, erneut alleine zu sein - sie war seit langer Zeit endlich wieder in ihrer kleinen Heimatstadt, und es tat gut, eine Weile in ihrem Elternhaus zu sein. Es würde ihr sicher helfen, einen klaren Kopf zu bekommen.

Sie leerte den bitteren Kaffee, der dennoch Wirkung zeigte und die Müdigkeit vertrieb, hinunter und nahm mehrere Treppen nach oben, wo sie den Rest ihrer Sachen verstaute, bis sie ihren Vater sie rufen hörte; die Verabschiedung lief so, wie sie immer lief: kurz und ohne viele Worte, und sie seufzte erleichtert, als die Tür endlich ins Schloss fiel und sie nichts als das Ticken der Standuhr hörte.
Sarah ließ den Tag tatsächlich ruhig passé gehen; sie las ein wenig, schlief dabei ein paar Mal ein und stellte dann überrascht fest, dass es bereits fünf Uhr nachmittags war, als sie erwachte. Sie brauchte dringend ein wenig frische Luft. Schnell streifte sie alte Sportschuhe über, kramte ihren eigenen Walkman hervor, den sie am Jeansbund befestigte, und verließ das Haus; wie nicht anders erwartet, traf sie auf viele Leute, die sie von früher kannten. Sie wimmelte sie immer wieder erfolgreich ab, indem sie so tat, als hätte sie es furchtbar eilig.

Ihr war momentan nicht danach, über die Durststrecke in ihrem Leben zu reden. Ihr Weg sollte sie zu ihrer alten Lieblingseisdiele führen, doch als sie an dem Park mit dem kleinen Schloss vorbei lief, verharrte sie. Konnte ja nicht schaden, eine Abkürzung zu nehmen, und sie betrat das gepflegte Gras. Sie erreichte die Brücke, die den mit Wasser gefüllten Graben überspannte und runzelte grinsend die Stirn. Hier hatte sie doch früher immer geprobt, auch wenn es nur zu ihrer eigenen Unterhaltung gewesen war. Die Eisdiele war vergessen.
Ein heiserer Schrei ließ sie zusammenzucken und sie wandte sich mit wirbelnden Haaren um. Niemand war zu sehen, jedoch lenkte ein heller Fleck inmitten der mächtigen, grünen Tanne ihre Aufmerksamkeit auf sich. Eine Eule beobachtete sie, drehte neugierig den Kopf. Es war ein wunderschönes Tier, aber war es nicht noch zu früh, sie jetzt schon zu sehen? Vielleicht lag es auch daran, dass die Tage bereits kürzer wurden und die Nächte länger; ein Ende dieses gewitterreichen Sommers.

Sie wusste nicht warum, aber sie lächelte das Tier an und kam sich dabei unglaublich dumm vor; ein Glück, dass niemand hier war, und sie sehen konnte.
Der Wind nahm allmählich zu und ließ die Baumkronen leise rascheln, und die Laternen gingen flackernd an. Die Eule reckte ihren Hals. Das helle Gefieder erinnerte Sarah an etwas ...
Dann sah sie jemanden, weit abseits von ihr stehend. Sie konnte niemanden erkennen, sondern sah nur diese große schwarze Silhouette, die sich nicht regte. Wie lange diese Person bereits da gestanden hatte, vermochte Sarah nicht zu sagen, doch ein ungutes Gefühl beschlich sie, und just in diesem Augenblick bewegte sich der Fremde.
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