Die Bürde der schwarzen Magier III - Das Heiligtum von Yukai
von Lady Sonea
Kurzbeschreibung
Anderthalb Jahre nach dem Massaker von Arvice ist Sonea noch immer gebrochen von ihrer Erfahrung mit Marika. Sachaka steht derweil gebeutelt von Kämpfen am Rande des Ruins. Als die Situation eskaliert und Kyralia erneut in Gefahr gerät, sind sich die Anführer der Kriegsparteien einig, dass nur noch Verhandlungen den Konflikt beenden können. Als Vermittler fordern sie den Mann, dessen Ruf sich bis über die Grenzen der Verbündeten Länder hinaus verbreitet hat: Auslandsadministrator Dannyl. Gegen den Willen des Hohen Lords entscheidet Sonea, Dannyl zum Ort der Verhandlungen, einem alten Tempel in der Wüste von Duna, zu eskortieren. Doch die Konferenz wirft ihre Schatten voraus und das nicht nur, weil Sonea sich wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert sieht. Schon bald bemerken sie und Dannyl, dass jede Partei ihr eigenes Spiel spielt, und sie müssen die richtigen Verbündeten finden, um zu die drohende Katastrophe zu verhindern …
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P18 / Mix
Hoher Lord Akkarin
Lord Dannyl
Lord Dorrien
Lord Rothen
Regin
Sonea
02.08.2016
04.06.2019
56
813.938
87
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Dieses Kapitel
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24.07.2018
19.285
Hallo ihr Lieben,
Das hier ist das letzte Kapitel, aber noch nicht das Ende der Geschichte. In zwei Wochen folgt noch der Epilog, in dem noch eine Überraschung auf euch wartet. Und in vier Wochen dürfen sich alle Dorrien-Fans über das Bonuskapitel mit den rausgestrichenen Szenen freuen.
Ganz lieben Dank an Black Glitter, Lady Alanna und Emmi für die Reviews zum letzten Kapitel <3
Viel Spaß beim Lesen!
Das Pflaster auf der Nordstraße glänzte noch von dem vorherbstlichen Regenguss, der am Morgen niedergegangen war. Wasser spritzte aus einer Pfütze, als eine Kutsche Sonea und ihren Begleitern auswich. Die Passanten auf der anderen Straßenseite schimpften lautstark und machten rüde Gesten, die der Fahrer der Kutsche mindestens ebenso rüde erwiderte.
Sonea verkniff sich ein Lächeln. Ja, sie war wieder zuhause.
„Das ist nicht der Weg zum Markt“, sagte Jonna. „Dazu hätten wir in die andere Richtung gehen müssen.“
„Richtig“, sagte Sonea.
„Sonea, wo führst du uns hin?“, fragte Ranel. „Als du vorhin plötzlich vor der Tür standest, dachten wir, du wolltest uns besuchen, nachdem du so lange fort warst. Und jetzt scheuchst du uns durch die Stadt? Was sollen wir im Nordviertel?“
Sonea wandte sich um. „Oh, ihr werdet schon sehen.“
„Meine Füße tun weh!“, klagte Hania. „Müssen wir noch weit laufen?“
„Nein, es ist nicht mehr weit.“ Sonea hob das kleine Mädchen hoch. „Und ich kann dich den Rest des Weges tragen. Auch wenn du ganz schön schwer geworden bist.“
„Sie ist dieses Jahr ziemlich gewachsen“, sagte Jonna stolz. „Mit dem Geld, das du uns schickst, können wir besseres Essen besorgen und unser Geschäft läuft auch recht gut.“
„Damit hat sie gute Chancen, größer als ich zu werden“, bemerkte Sonea.
„Ja, groß werden!“, krähte Hania.
„Aber du wirst immer kleiner bleiben als ich“, sagte ihr Bruder.
„Kerrel, du wirst immer älter als deine Schwester sein. Aber wer von euch beiden größer wird, werdet wir erst sehen, wenn ihr ausgewachsen seid“, sagte Jonna streng. „Also keinen Streit deswegen.“
„Du hast deine Kinder gut unter Kontrolle“, bemerkte Sonea. „Ich wünschte, ich könnte so streng mit Lorlen sein. Er ist einfach zu süß.“
„Er braucht eine sanfte Mutter, da er bereits einen strengen Vater hat“, entgegnete Jonna. „Und wenn du mit ihm trotzdem nicht klarkommst, sag mir bescheid.“ Ihr Blick fiel auf Soneas Bauch, der sich unter ihrer Robe abzeichnete, als ihr ein Windstoß entgegenkam „Ganz besonders, wenn ihr bald zwei Kinder habt. Es ist wichtig, dass ihr beiden viel Liebe zukommen lasst, ohne dass eines sich vernachlässigt fühlt.“
„Natürlich, Tante Jonna“, brummte Sonea. Ihre Tante sollte nicht denken, sie habe ihr Kind nicht im Griff oder würde an einem zweiten scheitern.
„Wie alt ist Lorlen jetzt?“, fragte Jonna. „Ein Jahr?“
„Ja.“
„Kann er endlich laufen?“
„Ja.“
Jonna nickte wie zu sich selbst. „Dann wird es nicht mehr lange dauern, bis er schwierig wird.“
„Warum?“, verlangte Sonea zu wissen.
„Kinder wollen entdecken. Jetzt, wo er laufen kann, wird er noch mehr entdecken wollen, weil er mehr Möglichkeiten hat.“
Das verhieß nichts Gutes für die nächsten Jahre. Doch Sonea war sicher, sie und Akkarin würden das irgendwie schaffen.
Sie atmete innerlich auf, als die Straße einen Knick machte, und sie vor einem Haus, dessen Fassade ein wenig schmuckloser als die der anderen Häuser in der Straße war, hielten, und das Thema Kinder vorerst beendet war. Im Obergeschoss waren zwei kleine Türmchen, das schiefhängende Schild über dem Ladenfenster schaukelte im Wind hin und her. Davor wartete ein Mann in der Kleidung eines Kaufmanns.
„Wir sind da“, sagte Sonea.
Ihre Tante und ihr Onkel sahen sich um. „Was soll hier sein?“
Sonea wies auf das Haus vor ihnen. „Wir haben hier eine Verabredung.“
„Und wer ist dieser Mann?“, fragte Ranel.
„Das“, sagte Sonea. „Ist Berryl von Torar, Haus Korin.“
„Er ist aus einem Haus?“, entfuhr es Jonna.
„Ja“, antwortete Sonea. „So wie Akkarin. Nur, dass er kein Magier ist. Er ist Makler.“
Inzwischen hatte der Mann sie erblickt. „Guten Tag, Lady Sonea“, grüßte er und verneigte sich unterwürfig.
„Berryl von Torar“, erwiderte Sonea. „Darf ich Euch meine Tante Jonna und meinen Onkel Ranel mit ihren beiden Kindern Kerrel und Hania vorstellen?“
„Sehr erfreut“, erwiderte Berryl und neigte den Kopf. „Ihr seid also die Leute, die diese wunderbare Lady großgezogen haben.“
Jonnas Wangen färbten sich rosa. „Ach, so viel Erziehung war bei ihr gar nicht nötig“, winkte sie ab.
„Dann muss es in der Familie liegen.“
Das Rosa vertiefte sich zu einem kräftigen Rot. Sonea bedeckte ihren Mund mit einer Hand und wandte sich ab.
„Nun, denn“, sagte Berryl. „Vielleicht sollten wir einfach nach drinnen gehen.“
Sonea lächelte. „Eine gute Idee.“
Der Makler zog einen großen Schlüsselbund aus seiner Tasche und sperrte die Tür auf. „Tretet ein“, forderte er sie mit einer Geste in den dunklen Flur auf.
Sonea schuf eine Lichtkugel und sandte sie nach drinnen. „Geht vor“, sagte sie zu ihrer Familie.
Mit Gesichtern, auf denen sich Neugier und Verwirrung widerspiegelten, betraten Jonna und Ranel das Haus. Sonea und Berryl folgten ein wenig langsamer.
„So ein großes Haus“, hörte sie Kerrels andächtiges Flüstern. „Ich war noch nie in einem so großen Haus! Das ist so wild!“
„Und jetzt?“, fragte ihre Tante, als sie sich im Empfangsraum versammelt hatten. „Das Haus ist ja ganz leer!“
„Sein Besitzer hat es verkauft, um ins Südviertel zu ziehen“, sagte Sonea.
„Also ist es nicht Euer Haus?“, fragte Ranel den Makler.
„Ich verkaufe es nur weiter.“
Sonea seufzte. „Seht euch doch einfach um. Schaut euch den Laden an. Die Küche und die privaten Räume sind im Obergeschoss. Es gibt sogar einen Keller.“
Ihre Tante bedachte sie mit einem vielsagenden Blick, dann nickte sie. Kerrel und Hania hatten bereits die Treppe entdeckt und waren ins Obergeschoss gelaufen. Sonea konnte das Getrappel ihrer kleinen Füße hören, als sie durch die Zimmer liefen. „Da! Ma! Kommt hoch! Das müsst ihr sehen!“
„Wir kommen!“, rief Ranel und erklomm ächzend die Stufen.
Obwohl Sonea das Haus schon besichtigt hatte, folgte sie ihnen in einigem Abstand. „Was meint Ihr?“, fragte Berryl, während sie Jonna und Ranel folgten. „Werden sie es nehmen?“
„Wenn sie es nicht wollen, dann nehme ich es“, antwortete Sonea.
Die Augen des Mannes weiteten sich. „Was wollt Ihr mit einem Stadthaus, Mylady?“
Auf der obersten Stufe hielt Sonea inne. Zu ihrer Erheiterung war Berryl jetzt mit ihr auf Augenhöhe. „Es vermieten.“
Über das Gesicht des Mannes huschte ein Lächeln. „Ich verstehe.“
Sie fand ihre Familie an dem großen Fenster im vorderen Dachgiebel versammelt. Kerrel und Hania waren auf die niedrige Fensterbank geklettert und bestaunten das Treiben auf der Straße. „Also was sagt ihr?“, fragte sie.
Jonna bedachte sie mit einem finsteren Blick, die Arme vor der Brust verschränkt. Es war indes Ranel, der sprach. „Dieses Haus ist groß, gut gearbeitet und in gutem Zustand. Es ist nicht übermäßig luxuriös, aber es ist sehr viel luxuriöser als das Haus, in dem wir wohnen.“
„Aber?“
„Es ist zu teuer, Sonea.“
„Wer hat gesagt, dass ihr es kaufen sollt?“, fragte sie. „Das Haus gehört euch, wenn ihr wollt. Hier oben könnte euer Wohnzimmer sein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Unten könntet ihr einen Laden eröffnen, in dem ihr eure Dienste anbietet. Ranel müsste mit seinem schlimmen Bein nicht mehr zu den Kunden laufen. Und“, fügte sie hinzu, „den Kindern gefällt es.“
„Trotzdem, Sonea“, sagte ihre Tante. „Das können wir nicht annehmen.“
„Ich schenke es euch.“
Jonna verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein!“, sagte sie überraschend schroff. „Du hast genug für uns getan. Wir sind glücklich, wo wir leben. Es ist schon demütigend genug, dass du uns jeden Monat etwas Geld schickst. Wir werden kein Haus von dir annehmen.“
„Jonna“, sagte Sonea geduldig. „Mein Geld bedeutet mir nichts. Das hat es noch nie. Ich lebe in der Gilde, ich habe Robenpflicht. Ich habe keinen Nutzen davon. Aber wenn ich es verwenden kann, um etwas Gutes zu tun, dann bedeutet mir das alles.“
„Es gibt tausende Hüttenmenschen, denen es schlechter geht.“
Sonea verdrehte die Augen. Musste sie jetzt auch mit ihrer Tante die Diskussion führen, die sie einst mit Rothen geführt hatte? „Ich kann mit meinem Geld entweder nur vielen kurzzeitig helfen, oder wenigen langzeitig. Der König und die Gilde tun bereits viel, um die Situation im Äußeren Ring zu verbessern. Aber denkt doch einmal an euch. Ihr werdet nicht jünger. Wollt ihr mit Ranels schlimmem Bein den Rest eures Lebens in einem Haus leben, in dem es zieht und bei Dauerregen feucht wird? Und was ist mit euren Kindern? Wollt ihr ihnen nicht ein gutes Leben bieten?“
„Wenn sie in ein paar Jahren zur Gilde gehen, wird es ihnen gutgehen.“
„Das wird noch mehr als zehn Jahre dauern.“
„Wir werden nicht immer in diesem Haus bleiben. Es ist besser als die meisten Hütten, aber wir werden etwas Besseres finden.“
Entnervt breitete Sonea die Arme aus. „Das hier ist etwas Besseres!“
„Aber wir können es nicht annehmen“, wiederholte ihre Tante.
Hilfesuchend warf Sonea einen Blick zu ihrem Onkel. „Und was hast du dazu zu sagen?“
Ranel seufzte. „Sonea, glaub nicht, deine Tante und ich wissen deine Geste nicht zu schätzen. Doch das ist zu viel. Wir können das nicht annehmen.“
Sonea schob ihr Kinn vor. „Doch, das könnt ihr.“ Sie wandte sich zu Berryl. „Ich nehme es.“
„Aber was willst du damit, Kind?“, fragte Jonna. „Denkst du, wir ziehen hier ein, nur weil du es gekauft hast?“
Sonea begegnete dem Blick ihrer Tante. „Nein. Ihr werdet hier einziehen, weil ihr mir Miete zahlen werdet.“
„Aber …“, begann ihre Tante erneut.
„Kommt jetzt bloß nicht auf die Idee, dass das auch an eurem Stolz kratzt“, sagte Sonea streng. Sie hätte das Haus so oder so gekauft. Aber sie hätte es ihrer Familie lieber geschenkt. „Es wird nicht viel sein. Wenn der Laden richtig läuft, werdet ihr das Geld doppelt und dreifach wieder reinholen. Zahlt es mir irgendwann zurück oder lasst es bleiben, es ist mir egal.“
Protestierend öffnete Jonna den Mund.
Beschwichtigend legte Ranel einen Arm um ihre Schultern. „Sie hat recht“, murmelte er. „Wir sollten diese Chance annehmen.“
„Hm“, machte Jonna. „Aber die Sturheit kann sie nur von ihrem Vater haben.“
Sonea schnaubte leise und drehte sich wieder zu Berryl. „Ihr habt sie gehört.“
Berryl nickte. Er löste mehrere Schlüssel von seinem Schlüsselbund und reichte sie Ranel. „Ich gratuliere Euch zu dieser Entscheidung“, sagte er.
Fast fünfzehn Jahre waren vergangen, seit Rothen für einen Novizen eine kleine Abschlussfeier in seinem Apartment veranstaltet hatte. Farand hatte nun endlich seine Magierroben und Rothen hatte jeden eingeladen, zu dem der junge Elyner in irgendeiner Weise ein freundschaftliches Verhältnis pflegte. Darunter die beiden Alchemisten Genel und Jarend und den Krieger Dayend. Und natürlich Sonea mit ihrem Mann und Dannyl und den Mann, den sich als dessen Gefährten vorzustellen Rothen noch immer schwerfiel.
Auf Farands Bitte hatte er auch Luzille eingeladen.
„Ein wenig Zerstreuung könnte ihr guttun“, hatte Farand erklärt. „Außerdem ist sie sehr nett.“
Obwohl Rothen annahm, dass ein Teil von Luzilles Friedfertigkeit von ihrer Trauer rührte, hatte er nachgegeben. Die junge Elynerin war eigenwillig und herrisch, aber sie hatte auch ein gutes Herz. Der Gedanke, sie mit ihrem Leid allein zu lassen, war Rothen unerträglich. Er wusste, Sonea und ihre Freundin Trassia kümmerten sich um sie, doch sie konnten nicht andauernd für sie da sein. Seit der Trauerfeier hatte jedoch auch Farand begonnen, Zeit mit ihr zu verbringen. Rothen hatte die beiden hin und wieder bei einem Spaziergang durch den Park gesehen.
„Sie erinnert mich an meine Schwester“, hatte er Rothen anvertraut. „Kaslie ist noch immer nicht über den Tod ihres Mannes hinweg und ich kann nichts für sie tun, außer Briefe zu schreiben. Aber für Luzille kann ich etwas tun.“
„Nun, jetzt wo du deinen Abschluss hast, könntest du für ein paar Wochen nach Elyne fahren und sie besuchen“, hatte Rothen erwidert. „Das Verbot, die Gilde zu verlassen, wurde aufgehoben.“
„Vielleicht werde ich den Winter dort verbringen. Doch im Augenblick kann ich mehr für Luzille tun.“
Und tatsächlich wirkte Luzille weniger blass und elend, als noch zwei Wochen zuvor. „Ich habe entschieden, noch eine Weile in Kyralia zu bleiben“, teilte sie ihnen mit, als Tania das Dessert servierte. „Ich habe entfernte Verwandte in der Stadt, bei denen ich vorerst wohnen werde.“
Als Nichtmagierin musste Luzille das Magierquartier verlassen, doch die Gilde hatte ihr erlaubt, solange dort zu wohnen, wie sie brauchte, um ihre Angelegenheiten zu regeln.
„Das ist wunderbar!“ Sonea nahm ihr Dessertschälchen entgegen. „Trassia und ich würden dich sonst sehr vermissen.“
„Ich kann doch nicht unsere wöchentlichen Sumikränzchen aufgeben“, erwiderte die junge Elynerin mit einem schiefen Lächeln. „Auch wenn dieses Land so unglaublich konservativ und prüde ist, so habe ich hier inzwischen mehr Freunde als in Elyne.“ Ihr Blick huschte flüchtig zu Farand, der ihr ein scheues Lächeln schenkte. „Und dann ist da noch meine Arbeit im Krankenhaus.“
„Aber solltest du eines Tages doch entscheiden, in deine Heimat zurückzukehren, so wäre das in Ordnung“, sagte Sonea. „Zumal der Hohe Lord dann einen weiteren Grund hätte, sein Versprechen einzulösen und ein paar Wochen dort mit mir zu verbringen.“
„Du solltest aufpassen, was du dir wünschst, Sonea“, sagte Akkarin.
Die beiden tauschten einen überaus intimen Blick. „Oh, ich weiß sehr gut, was ich will.“
„Elyne ist ein sehr schönes Land“, sagte Dannyl.
„Und der Wein erst“, fiel Tayend ein. „Meine Schwester besitzt ein großes Weingut. Ihr Wein wird sogar an den Hof zu Capia verkauft. Er ist wirklich hervorragend.“ Er hob sein Glas. „Nichts gegen Anurischen Dunkelwein.“
„Aber es gibt so viel mehr zu sehen“, fügte Dannyl hinzu. „Wenn du Bücher magst, solltest du unbedingt die Große Bibliothek aufsuchen und Capia muss man gesehen haben. Es ist eine atemberaubende Stadt.“
„Und die Landschaft ist unglaublich idyllisch. In den Bergen gibt es alte Ruinenstädte von Kulturen, die mehr als eintausend Jahre alt sind.“
„Ich kann dir nur empfehlen, einmal dorthin zu reisen. Du wärst überrascht, was dieses Land alles zu bieten hat.“
Nicht nur du, dachte Rothen. Der Gedanke, dass Dannyl eine heimliche Liebesbeziehung mit seinem Assistenten führte, war noch immer gewöhnungsbedürftig. Wann immer er die beiden zusammen sah, konnte er in ihnen nicht mehr seinen Freund, den Auslandsadministrator, und dessen Assistenten sehen. Er sah ein Paar, das er seltsamer nicht hätte finden können. Aber es war da. In jedem gesprochenen Wort, jeder noch so kleinen Geste und in jedem Blick, den die beiden tauschten.
Ich war so unglaublich blind, dachte er. Dabei ist es so offensichtlich, wenn man es weiß.
„Meine Mutter stammt aus Elyne“, erzählte Lord Jarend. „Als Kind war ich einmal in dem Ort, in dem sie aufgewachsen ist. Liebliche Weinberge, kleine lichte Wälder und nur ein Stück weiter das Meer. Wäre ich noch mit Trisha verlobt, so hätte ich den Sommer mit ihr dort verbracht.“
„Du hast etwas Besseres verdient, als Lady Trisha“, gab Farand zurück.
„Sie ist nicht so ein Biest wie Veila es war“, verteidigte Genel seinen Freund.
Sonea hüstelte in ihr Wasserglas und tauschte einen wissenden Blick mit Rothen. Während Jarend und Genel einst ihr nachgestellt hatten, hatten Trisha, Veila und Genels Frau Yannia ihr das Leben schwergemacht, weil sie es auf Akkarin abgesehen hatten. Sie waren wie Soneas einstige Verehrer in Rothens Vertiefungskurs gewesen und hatten kurz vor Beginn des Krieges ihren Abschluss gemacht, wobei sie einander nähergekommen waren.
Manchmal war es bemerkenswert, wie die Dinge sich änderten. Und es war bemerkenswert, wie klein die Gilde war.
„Wo wir schon beim Thema Biester sind“, begann Luzille so schnippisch, wie sie nur war, wenn das Gespräch auf einige ausgewählte Personen kam. „Ich hoffe doch sehr, dass ihr alle bei der Gildenversammlung nicht für Lord Regin stimmen werdet. Mein Mann mag große Stücke auf ihn gehalten haben, aber in dieser Hinsicht lag er schlichtweg falsch.“
„Oh nein“, murmelte Farand. „Das wird die erste Gildenversammlung, bei der ich etwas zu sagen habe. Nicht, dass meine Stimme die Gilde ins Verderben stürzt!“
„Das schafft die Gilde auch ohne dich“, murmelte Rothen.
„Solange du nicht Regin wählst, machst du alles richtig“, fügte Luzille hinzu.
„Luzille!“, entfuhr es Sonea.
„Oh komm schon, Süße! Du kannst mir nicht erzählen, dass du ihm seine Stimme geben wirst, nach allem, was er sich in der letzten Zeit geleistet hat.“
„Was glaubst du?“, gab Sonea zurück.
„Ohne Lord Regin hätten wir die Schlacht am Nordpass nicht so gut überstanden, nachdem es Balkan getroffen hatte“, sagte Dayend. „Man kann über ihn sagen, was man will, doch seine kriegerischen Fähigkeiten sind bemerkenswert.“
„Es wäre mir lieber, hätte es ihn getroffen, anstatt meinen armen Bovar“, sagte Luzille hart und Rothen kam nicht umhin, ihre Meinung zu teilen.
„Das verspricht, eine spannende Gildenversammlung zu werden“, bemerkte Dannyl. „Die Frage, wer Oberhaupt der Krieger wird, hat das Potential, die Gilde ähnlich zu spalten, wie einige gewisse Veränderungen es nach der Invasion der Ichani taten.“
„Da habt Ihr absolut recht, Auslandsadministrator“, stimmte Luzille zu.
„Und das, obwohl Euer Mann damals Hoher Lord war?“, fragte Tayend.
Die junge Elynerin hob die Schultern. „Nun, wir alle wissen, wer die besseren Kompetenzen für dieses Amt besitzt“, erwiderte sie mit einem Blick zu Akkarin. „Dieses eine Jahr war das Schlimmste in unserer Ehe.“
Sonea unterdrückte ein Gähnen. Der Hohe Lord leerte sein Glas und erhob sich. „Meine Frau und ich werden uns nun zurückziehen“, sagte er. „Ich wünsche allen eine gute Nacht.“
Sonea erhob sich ebenfalls. „Danke für die Einladung, Rothen.“ Sie sah in die Runde. „Habt noch einen wunderschönen Abend. Ganz besonders du, Farand.“ Sie lächelte, aber Rothen konnte die Müdigkeit hinter ihrem Lächeln sehen.
Er lächelte zurück. „Dann schlaf gut“, sagte er. „Wir sehen uns bei der Gildenversammlung.“
Sonea schnitt eine Grimasse. „Erinnere mich nicht daran.“
„Die Gilde hat ein Talent dafür, sich in ihr eigenes Unglück zu stürzen“, bemerkte Luzille, woraufhin die anderen drei Elyner bestätigend nickten. „Zu schade, dass ich kein magisches Potential besitze. Sonst hätten hier einige sehr bald nichts mehr zu lachen.“ Sie zwinkerte Sonea zu. „Schlaf gut, Süße.“
„Mit Euch würden einige Diskussionen sehr viel kürzer ausfallen, was so manche Entscheidung beschleunigen würde.“ Akkarin legte eine Hand zwischen Soneas Schulterblätter und nickte Luzille und den anderen zu.
Kaum, dass sich die Tür hinter den beiden schwarzen Magiern geschlossen hatte, erhoben sich auch die anderen von ihren Plätzen.
„Ihr wollt schon gehen?“, fragte Rothen überrascht.
„Yannia erwartet mich zurück“, antwortete Genel und Dayend sagte: „Ich gebe gleich zur ersten Stunde eine Doppelstunde in der Arena.“
„Krankenhaus“, erklärte Luzille. Sie leerte ihr Weinglas und lächelte. „Aber es war ein wunderschöner Abend. Ich bin froh, dass ich kommen durfte.“
Rothen winkte ab. „Bedankt Euch bei Farand“, erwiderte er, woraufhin Farand der Elynerin ein scheues Lächeln schenkte.
„Ich bringe Euch noch zu Eurem Quartier“, erklärte Rothens ehemaliger Novize und stand auf.
„Wenn sich da nicht etwas anbahnt“, murmelte Dannyl, als die beiden fort waren.
Mit einem Mal bemerkte Rothen, dass er mit Dannyl, seinem Gefährten und Viana zurückgeblieben war.
„Wie kommst du darauf?“, fragte er.
„Ich komme nicht oft her, Rothen. Aber es würde mich sehr wundern, wenn Farand aufgehört hätte, so verschlossen zu sein. Und Luzille blüht auf, obwohl die Beerdigung ihres Mannes noch nicht lange her ist.“
„Luzille ist unverwüstlich.“
„Du glaubst doch nicht etwa, sie würde nur wegen ihrer Freundinnen und ihrer Arbeit im Krankenhaus in Kyralia bleiben!“, rief Dannyl.
„Nun“, begann Rothen unbehaglich und griff nach seinem Weinglas. „Vielleicht hast du recht. In der letzten Zeit habe ich zu häufig feststellen müssen, dass meine Menschenkenntnis mich immer wieder im Stich gelassen hat.“
Mit einem Mal wurde Dannyl sehr ernst. „Es tut mir leid, dass ich dazu beigetragen habe, alter Freund.“
Die Spannung im Raum wurde so unerträglich, dass Rothen überzeugt war, Tayend und Viana mussten sie ebenfalls spüren.
„Du kannst nichts dafür“, sagte er sich ein Lächeln abringend. „Du bist, wie du bist, Dannyl. Und ich bin so, wie ich bin. Das müssen wir akzeptieren.“
„Ja“, sagte Dannyl mit einem traurigen Lächeln. „Das müssen wir.“ Er schob seinen Stuhl zurück. „Ich denke, es ist besser, wenn ich nun gehe“, sagte und schritt zur Tür, gefolgt von Tayend. „Gute Nacht, Rothen.“
„Gute Nacht, Euch beiden“, zwang Rothen sich zu sagen. Es war nicht das erste Mal, dass Dannyl und sein Assistent nach einem gemeinsamen Abend zusammen verschwanden. Aber es war das erste Mal, dass Rothen anders darüber dachte. Warum, wenn es bei Sonea und Akkarin nicht seltsam war?
„Habt Ihr Euch mit Auslandsadministrator Dannyl gestritten?“
Rothen fuhr herum. Viana hatte ihren Pachisaft mit beiden Händen umschlossen, ihre braunen Augen blickten ihn scheu wie ein Jari an.
„So etwas in der Art“, sagte er ein Seufzen unterdrückend.
„Das tut mir leid. Er ist Euer bester Freund. Vielleicht solltet Ihr Euch einmal aussprechen.“
Ja, dachte Rothen. Das wäre wohl das Beste. Sobald ich es kann.
„Ich denke, es ist besser, wenn ich dann auch gehe“, sagte Viana. „Ich habe zwar Ferien, aber Lady Trassia nimmt mich morgen früh wieder mit ins Krankenhaus.“
„Dann will ich dich nicht aufhalten“, erwiderte Rothen, das Gefühl des Verlassenseins beiseiteschiebend. „Ich bringe dich noch zur Tür.“
Viana schenkte ihm ein scheues Lächeln und stand auf. Kaum, dass Rothen die Tür öffnen wollte, kam ihm diese entgegen. Eine grüngewandete Gestalt stand darin, die braunen Locken zerzaust, die Augen, die so blau wie die Rothens waren, erstrahlten in einem fiebrigen Glanz.
An Rothens Seite schnappte Viana leise nach Luft.
„Hallo, Vater“, sagte Dorrien. „Viana. Ich bin zurück.“
Obwohl Asara die ersten zwanzig Jahre ihres Lebens in der Zuflucht verbracht hatte, war sie in all dieser Zeit nur einmal in diesen Gemächern gewesen. Nachdem sie nach Arvice gezogen war, waren es immerhin ganze drei Mal gewesen. Und obwohl sie nun schon seit mehr als einer Woche in ihnen wohnte, fühlte sie sich darin noch immer wie ein Gast.
Ob ich mich je daran gewöhnen werde?, fragte sie sich. Sie ließ den Blick durch ihr Schlafgemach schweifen. Das aus Parraholz gefertigte Bett war beinahe noch größer als ihres in Arvice. Perfekt für heiße Liebesnächte und Spiele mit drei oder mehr Personen. Für eine einzelne Person war es indes viel zu groß. Sie fragte sich, ob Savedra dort mit anderen geschlafen hatte. Ihr ganzes Leben lang hatte Asara geglaubt, die Große Mutter hätte keine Männer gehabt und dass ihre Tochter Savara aus einer einmaligen Geschichte mit einem bei den Verrätern lebenden Mann entstanden war. Nach allem, was sie nun wusste, hätte Savedra in ihren Gemächern jedoch regelmäßig Cachikas mit mehreren Männern oder Frauen feiern können.
Oder mit Illara und Talaria.
Asara würde indes auf unbestimmte Zeit alleine schlafen. Sie hatte kein Interesse daran, sich einen Mann oder eine ihrer Schwestern ins Bett zu holen. Die einzige Person, mit der sie dieses Bett geteilt hätte, weilte noch immer in Arvice.
Es gab kaum etwas, wonach es Asara mehr verlangte, als Vikacha in die Zuflucht zu holen. Aber sie brauchte Vikacha in der Stadt, um das Netzwerk wieder aufzubauen. Auch wenn die Verräter nun offiziell an der Politik Sachakas Anteil hatten, konnten sie nicht auf die Informationen verzichten, die ihre Leute im ganzen Land sammelten. Sachaka existierte seit mehr als einem Jahrtausend in seiner gegenwärtigen Form und das war etwas, das sich so bald nicht ändern würde.
Aber ich werde Vikacha herbeordern, sobald ich kann.
Ihr Blick wanderte über die Pflanzen, die in Nischen in den Felswänden wuchsen, die Regale aus Parraholz und die großen Türen, die zum Balkon führten. Die Aussicht über das Tal war atemberaubend. Im Tal reihten sich Felder mit reifem Getreide an Gorin- und Reberweiden und die Weinreben auf den Nordhängen bogen sich unter der Last ihrer Früchte. In einem oder zwei Monaten würde sich das Laub verfärben und in einem weiteren Monat würde der erste Schnee die Hänge bedecken – etwas, das es in Arvice seit Jahrhunderten nicht mehr gegeben hatte, wenn man den Aufzeichnungen Glauben schenkte.
Seufzend wandte Asara den Blick ab und betrachtete ihre Garderobe. Sie hasste die langen, fließenden Gewänder, die Näherinnen für sie angefertigt hatten. Wer überhaupt hatte entschieden, dass die Große Mutter Kleider tragen musste?
Eine Grimasse schneidend stieg Asara in ihre hautenge Hose, streifte eine frische, weite Bluse darüber, die sie mit einem Gürtel auf der Taille raffte und schlüpfte in ihre Stiefel. Mit ihrem juwelenbesetzten Dolch und der feingliedrigen Kette auf ihrer Stirn fand sie sich imposant genug.
Dann verließ sie die Gemächer.
„Guten Morgen, Meisterin Asara“, wurde sie von zwei hellen Stimmen begrüßt, als sie auf den Flur trat.
„Es heißt Große Mutter oder meinetwegen auch Ehrwürdige Mutter“, korrigierte sie die beiden jungen Frauen, von denen Asara es aufgegeben hatte, sie zu unterscheiden, geduldig. „Oder einfach nur Asara. Aber nicht Meisterin.“
Die Zwillinge kicherten. „Aber Meisterin trifft es so viel besser“, sagte Mavara. „Besonders jetzt, wo du die Meisterin aller Verräter bist.“
„Und das macht dich noch ehrfurchtgebietender“, fügte ihre Schwester hinzu.
Asara widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. Sie war alles andere als ehrfurchtgebietend. Anstatt zum Morgenmahl, wählte Asara den Weg zum Hohen Zimmer. Es gab viel zu erledigen und zu organisieren. Die Zwillinge folgten ihr wie Schatten und Asara war dankbar, dass sie ausnahmsweise einmal nicht miteinander tuschelten.
Seit ihrer Rückkehr in die Zuflucht hatte sie eine unangenehme Aufgabe nach der nächsten erledigt. In der Versammlung, die noch am selben Abend stattgefunden hatte, war sie von ihren Schwestern zur neuen Anführerin gewählt worden. Am nächsten Tag hatten sie über Savedras Schicksal und das ihres überlebenden Schatten debattiert. Asara war die unerfreuliche Aufgabe zugefallen, die Frau, zu der sie so lange aufgesehen hatte, hinzurichten, weil ihre Schwestern einstimmig entschieden hatten, dass ihre Vergehen nur so bestraft werden konnten. Eine Wahrheitslesung Illaras hatte enthüllt, dass sie und Talaria von Savedras Plänen gewusst und sie diesbezüglich beraten hatten. Obwohl Illaras Anteil weniger schwer wog, waren alle sich einig gewesen, dass sie Savedra auch über den Tod hinaus ergeben genug war, als dass sie lebend und selbst mit blockierten Kräften eine zu große Gefahr darstellte. Takedo war derweil mit einer Eskorte auf dem Weg nach Arvice, um sich vor dem neuen König zu verantworten.
Vor dem Hohen Zimmer stellten sich die Zwillinge in zwei Nischen, wo sie warten würden, bis Asara den Raum wieder verließ. Noch waren sie keine höheren Magierinnen, doch Asara hatte erklärt, sie könnten bis zu ihrer Initialisierung zum nächsten Erntefest austesten, ob ihnen ihre Aufgabe als Leibwächterinnen zusagte. Asara hätte getrost auf zwei ihr überall hinfolgende Schatten – egal ob kichernd oder nicht – verzichten können, würde nicht erwartet, dass sie zwei Leibwächterinnen hatte. Also warum nicht zwei junge Frauen, die andernfalls auf ewig der Schrecken aller Männer in diesem Tal sein würden?
Varala und Lenyaka, betraten den Raum. Die Frauen, die ihnen folgten, kannte Asara indes nur flüchtig. Nachdem die Sprecherinnen der verschiedenen Regionen Sachakas in Yukai ums Leben gekommen waren, hatte Asara die Posten neu vergeben. Ishaka hatte ihnen als Dank für ihre Zusammenarbeit über das Land verteilt Anwesen zur Verfügung gestellt. Diese würden den Verrätern als Basis für ihre neue Arbeit und als Anlaufstellen für misshandelte Frauen dienen. Lenyaka vertrat in dieser kleinen Runde die neue Söldnergruppe, die ihre Dienste wie am Nordpass ausgehandelt, dem neuen Herrscher Sachakas zur Verfügung gestellt hatte.
„Anjiaka hört per Blutjuwel zu“, teilte Asara den Frauen mit, nachdem alle an dem großen Tisch Platz genommen hatten. „Also können wir beginnen. Und bitte lasst diesen grauenhaften Titel weg.“
Die anderen Frauen lachten nervös und Asara fragte sich, wie viel Zeit vergehen würde, bis sie sich an sie gewöhnt hatten. Die Rebellin sprach als Erste. „Asara, meine Leute und ich haben den Wunsch, wieder zu den Verrätern zu gehören. Wir sind bereit, uns deinen Regeln zu unterwerfen und deinen Befehlen zu gehorchen.“
Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Lenyaka diesen Wunsch aussprach. „Was gibt mir die Sicherheit, dass ihr euch nicht erneut gegen unsere Regeln auflehnt, sobald meine Entscheidungen nicht mehr in eurem Sinne sind?“, fragte Asara kühl.
Zu ihrer Befriedigung wurde Lenyaka nervös. „Als wir die Verräter verließen, lag dies an einigen Entscheidungen Savedras. Wir haben uns von unseren Schwestern gelöst, weil wir nicht in diesen Krieg involviert werden wollten und die damit verbundene Veränderung unsere Stellung gefährdet hätte.“
„Aber die Verräter sind noch immer mit der Gilde verbündet und haben den Vertrag mit dem König so weit geändert, dass wir nun offiziell aktiv in die Geschicke Sachakas eingreifen können“, sagte Asara. „Und ihr arbeitet nun für Ishaka. Um dies zu tun, müsst Ihr nicht unserem Volk angehören.“
„Der Krieg hat unsere Meinung geändert. Die Ereignisse in Yukai haben gezeigt, dass wir zusammenarbeiten sollten und dass der Feind oft dort lauert, wo man ihn am wenigsten erwartet. Wir wollen tun, was der schöne Gildenmagier von Anfang an vorgeschlagen hat: Die neuen Gesetze in Sachaka durchsetzen.“
Asara musterte ihre ehemalige Schwester. In Yukai hatten sie sich bei ihren wenigen privaten Begegnungen gut verstanden und auch davor hatte sie keinen Groll gegen Lenyaka oder eine der anderen Frauen, die von den Rebellen noch am Leben waren, gehegt. Doch sie war noch unsicher, ob sie ihrem Anliegen zustimmen sollte.
„Allein dafür, dass die Rebellen den Frieden in Yukai gestört und Schaden am Tempel angerichtet haben, sollte ich deine Bitte abweisen“, sagte sie hart. „Euretwegen hat das gute Verhältnis, das ich während der Konferenz zu Arikhai gepflegt habe, gelitten. Arikhai wird nicht begeistert sein, wenn ich euch wieder aufnehme.“
„Auch Arikhai unterlag einem Irrtum“, sagte Lenyaka. „Er wird verstehen, dass wir es auch taten.“ Ihr Blick wurde so bettelnd wie der eines Yeel-Welpen. „Bitte, Asara. Gib uns diese Chance. Die aggressivsten unserer Mitglieder sind tot. Wir haben Fehler gemacht, ja. Doch wir wollen wieder nach Hause. Wir werden versuchen, es wieder gutzumachen.“
Ich wäre eine schlechte Anführerin, würde ich ihren Wunsch ignorieren, dachte Asara ein Seufzen unterdrückend. Lenyaka und ihre Rebellen würden nicht die Ersten sein, denen sie verzieh.
„Savedra hat euch damals freigestellt, die Verräter zu verlassen“, sprach sie. „Doch seitdem ist viel geschehen. Ich werde über dein Gesuch nachdenken und Ishaka konsultieren, über eure Wiederaufnahme werden jedoch die Verräter abstimmen.“
Lenyaka senkte den Kopf. „Meine Schwestern und ich stehen in deiner Schuld, Asara.“
Asara nickte. „Nachdem Lenyakas Anliegen vorerst geklärt wäre, will ich die neusten Entwicklungen in Arvice diskutieren. Denn diese sind von noch größerer Bedeutung als die Rückkehr unserer abtrünnigen Schwestern.“
Die anderen beugten sich neugierig vor.
„König Ishaka hat die ersten am Fort der Kyralier beschlossenen Gesetze erlassen“, teilte sie den anderen mit. „Die Gesetze zur Sklavenhaltung wurden verschärft. Damit verlagert sich unsere Hauptaufgabe vom Befreien von Sklaven zur Überwachung ihres Wohls. Sklaven, die sich uns anschließen wollen, dürfen von ihren Meistern nicht davon abgehalten werden. In den nächsten Wochen werde ich vermehrt mit ihm darüber sprechen, wie dies im Detail aussieht.
„Während ich Ishaka vertraue, vertraue ich den Ashaki jedoch umso weniger. Deswegen muss das Netzwerk erhalten und an seinen Schwachpunkten gestärkt werden. Daher brauchen wir weiterhin Leute, die im Geheimen operieren. Doch zunächst möchte ich die Posten für unsere offiziellen Standorte verteilen.“ Ihr Blick fiel auf Lenyaka. „Wie wäre es? Eine deiner Schwestern in den Roten Hügeln, eine in Arvice und eine dritte in den fruchtbaren Regionen?“
Lenyakas Augen weiteten sich. „Sollte das dein Wunsch sein, so werden wir uns dem beugen.“
Asara nickte. „Warten wir ab, was die Abstimmung bringt. Sollte es dazu kommen, werde ich Ishaka neue Söldnerinnen zur Verfügung stellen.“ Mit einem süffisanten Lächeln lehnte sie sich zurück. „Und jetzt möchte ich euch von einem persönlichen Erfolg berichten.“
„Oh?“, machte Varala.
„Als Anjiaka im Frühjahr in die Stadt kam, haben wir eine Informantin, die nach der Schlacht von Arvice von einem Stadt-Ashaki aufgegriffen, und als Sklavin in dessen Haushalt geriet, durch eine List bei Ashaki Tarko eingeschleust. Wir hatten mehrere Kandidaten zur Auswahl, doch sie wollte unbedingt zu ihm. Tarko sammelt hübsche Sklavinnen wie andere Enrasa-Karten. Schon bald waren die beiden so besessen voneinander, dass er sie überall hin mitnahm. Leider flog sie auf, als sie half, unsere Leute bei der Schlacht in den fruchtbaren Regionen zu retten. Für einige Wochen wussten wir nicht, ob sie überhaupt noch lebt, doch dann stellte sich heraus, dass sie noch immer bei Tarko ist und die beiden sind anscheinend überglücklich.“
„Also spioniert sie jetzt weiter für uns?“
Asara schüttelte den Kopf. „Ich habe Anjiaka erklärt, dass sie Mivara dort herausholen soll, weil sie ansonsten einen herben Verlust für unser Volk darstellt.“ Sie machte eine Pause und sah ihre Schwestern an. „Mivara ist vorläufig bei Anjiaka untergekommen, nachdem sie zur Vernunft gekommen ist. Sie wird dort bleiben, bis in der Stadt alles geregelt ist und Anjiaka mit ihren Leuten das neue Anwesen bezogen hat. Dann wird sie mit Vikacha herkommen und sich zur Magierin ausbilden lassen.“
„Es passiert nicht oft, dass eine Verräterin sich wieder umstimmen lässt, hat sie sich erst einmal freiwillig einem Ashaki unterworfen“, bemerkte Varala. „Dass Mivara diese Stärke besitzt, spricht sehr für sie.“
Asara nickte. Sie war erleichtert, dass Mivara zu ihnen zurückgekehrt war. Auch wenn sie nach ihren Gesprächen mit Sonea nachvollziehen konnte, was ihre Informantin an dem Ashaki fand. Ob sie es geschafft hat?, fragte Asara sich, an ihre neue Freundin denkend. Sie würde es spätestens, wenn sie in die Gilde reiste, um das neue Bündnis offiziell zu besiegeln und Akkarin ein Blutjuwel zu überreichen, herausfinden.
„Doch wo wir schon bei Mivara und Vikacha sind“, fuhr sie zu ihren Schwestern gewandt fort. „Es ist an der Zeit, einige Regeln zu ändern. Wenn die Ashaki sich mäßigen, dann müssen wir es ihnen gleichtun. Nur so können wir einander näherkommen und Groll begraben.“
„Und was schwebt dir da vor?“, fragte Lenyaka.
Asara lächelte. Ihre Entscheidung würde für einen Aufschrei sorgen. Aber sie war längst überfällig. „Ich will, dass wir anfangen, Männer in niederer Magie zu unterweisen. Mit der Option, sie auch höhere Magie zu lehren.“
Obwohl der Herbst allmählich näher rückte, war es noch einmal richtig heiß geworden. Die Sonne brannte von einem gnadenlos blauen Himmel und die Luft flimmerte in den Straßen von Imardin. In den Bergen vergaß er oft, wie heiß die Sommer in der Stadt waren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Luft in der Flussmündung feucht und schwül wurde und die ersten Gewitter die Stadt heimsuchten, bevor es für einige Tage abkühlte und die Hitze zurückkehrte. Der Baum, unter dem die Parkbank auf der er sich niedergelassen hatte, stand, spendete indes angenehmen Schatten.
Das Knirschen von Kies erklang. Eine kleine schwarzgewandete Gestalt schritt über den von Hecken gesäumten Weg auf ihn zu.
Sonea.
Sie sah anders aus, als bei ihrer letzten Begegnung, irgendwie besser. Doch er hätte nicht sagen können, warum.
„Dorrien!“, rief sie überrascht. „Was machst du hier?“
Lachend erhob Dorrien sich und schloss seine Freundin in die Arme. „Dich treffen.“
„Ich wusste gar nicht, dass du hier bist. Wann bist du gekommen?“
„Spät am gestrigen Abend.“
Sonea löste sich von ihm und musterte ihn mit ihren dunklen Augen. „Und dann willst du ausgerechnet mich sehen? Anstatt direkt zu mir zu kommen, schickst du mir eine dubiose Nachricht, dich im Park zu treffen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich mich fragen, was in dich gefahren ist.“
„Wäre es dir lieber geworden, mich an der Quelle zu treffen?“
Sie schnaubte leise.
Dorrien betrachtete sie erheitert. Sie brauchte nicht wissen, dass er nur ihrem Mann aus dem Weg gehen wollte. Was ihn betraf, so war er noch immer nicht gut auf den Hohen Lord zu sprechen. Der Gedanke an den schwarzen Magier brachte ihn indes dazu, wieder ernst zu werden. „Ich muss mit dir reden.“ Er sah sich um. „Aber nicht hier.“
„Also zur Quelle?“
Er nickte.
Sie verließen den Park und wandten sich zum Wald hinter den Universitätsgebäuden. „Du siehst gut aus“, sagte Dorrien, als sie unter die Bäume eintauchten.
„Danke. Aber das wird nicht von Dauer sein.“
„Denkst du, es verschwindet, wenn die Freude, wieder in den Verbündeten Ländern zu sein, verflogen ist?“
Sie hielt inne und wandte sich ihm zu. „Dorrien, ich bin wieder schwanger.“
Das war es also gewesen! Dorrien ärgerte sich über sich selbst, weil es ihm nicht sofort aufgefallen war. Allerdings sah er Sonea nicht mit seinem Heilerblick.
Als er sie jedoch näher betrachtete, konnte er die Wölbung ihres Bauches unter der weiten Robe sehen, wenn sie sich bewegte.
Er lächelte. „Ich gratuliere“, sagte er. „Aber sehr weit kannst du noch nicht sein.“
„Es passierte kurz vor meiner Reise nach Yukai. Aber ich habe es erst gemerkt, als wir schon fast in Duna waren.“ Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. „Ich hoffe, dieses Mal wird es ein Mädchen.“
„Das hat Akkarin sicher nicht gefallen.“
„Nein. Deswegen habe ich es ihm auch erst gesagt, nachdem ich wieder zurück war.“
Dorrien nickte. Es war besser, wenn sich die werdende Mutter nicht allzu großen Strapazen aussetzte. Das schloss körperliche Anstrengungen jeder Art sowie Reisen in barbarische Länder und magische Kämpfe aus. Obwohl er einsah, dass Soneas Mission zu wichtig gewesen war, um abgebrochen zu werden, musste er in diesem einen Punkt ihrem verfluchten Mann recht geben.
„Du hast sicher dein ganzes Heilkunstwissen anwenden müssen, um das Baby zu behalten“, sagte er.
„Ich habe mich mindestens drei Mal täglich untersucht, meine Erschöpfung geheilt und hin und wieder Blutungen. Bei Kämpfen habe ich mich zusätzlich mit einem inneren Schild geschützt.“
Dorrien nickte anerkennend. „Sehr vernünftig. Magst du mir von deinem und Dannyls Abenteuer erzählen?“
„Das sollte ich wohl, bevor du die ganzen haarsträubenden Übertreibungen, die in der Gilde kursieren, hörst“, erwiderte sie mit einem Anflug von Erheiterung.
Während sie durch den Wald wanderten, berichtete Sonea von ihrer und Dannyls Reise, der Konferenz mit den Verrätern, den Duna und den Sachakanern, von dem Mord an ihrer Eskorte und von dem Zwischenfall in Yukai, den sie und Dannyl nur knapp überlebt hatten. Das eine oder andere hatte Dorrien bereits von den Kriegern am Fort gehört, andere Dinge waren ihm dagegen neu.
„Das hört sich unglaublich spannend an“, sagte er anerkennend. „Dannyl kann sich glücklich schätzen, dass du ihn begleitet hast.“
„Akkarin hat alles getan, um mich auf diese Mission vorzubereiten.“
Das konnte Dorrien sich vorstellen. An der Stelle des schwarzen Magiers hätte er nicht anders gehandelt. „Hast du bei der Konferenz auch alte Bekannte getroffen?“
Sie nickte finster. „Aber es war nicht so schlimm, wie ich dachte. Es ist etwas anderes, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.“
Und trotzdem war das Wiedersehen keine angenehme Erfahrung für sie. Vielleicht lag es nicht an den Sachakanern, die sie wiedergesehen hatte, sondern vielmehr an denen, die nicht dort gewesen waren oder an den Erinnerungen, welche das Wiedersehen möglicherweise ausgelöst hatte.
„Tatsächlich hat mir die Reise sehr gut getan“, fuhr sie fort. „Manchmal muss man fortgehen, um zu sich selbst zu finden.“
Allerdings, dachte Dorrien.
Schweigend erklommen sie das letzte Stück ihres Weges. Die Felsen lagen im Schatten der Bäume, nur einige Sonnentaler tanzten auf dem Stein, als eine lause Brise durch die Wipfel raschelte. Dorrien ließ sich auf einem Felsen nieder, die Beine gekreuzt. Sonea setzte sich neben ihn.
„Also, Dorrien“, begann sie. „Worüber wolltest du mit mir reden?“
Dorrien warf einen Blick auf ihren Ring. „Sind wir ungestört?“
Sie hob die Augenbrauen. „Ja.“
Dorrien betrachtete den Ring missbilligend. „Er hört auch ganz sicher nicht zu?“
„Nein.“
„Sonea ich weiß nicht …“
Sie verdrehte die Augen, dann glitt ihr Blick ins Leere. Schließlich nickte sie wie zu sich selbst, streifte den Blutring mit einem missbilligenden Stirnrunzeln von ihrem Finger und legte ihn auf den Stoff ihrer Robe in ihrem Schoß. „Du kannst ihn immer noch nicht leiden, nicht wahr?“
„Er ist ein Ungeheuer, das sich nicht einmal an sein eigenes Wort hält“, knurrte Dorrien.
„Wann hat Akkarin sich jemals nicht an sein Wort gehalten?“
„Du weißt es nicht, nicht wahr?“
„Nein.“ Ihre dunklen Augen blickten ihn verständnislos an. „Bitte erkläre es mir.“
Einen tiefen Atemzug nehmend sammelte Dorrien sich. „Aber versprich mir, dass du mir deswegen nicht den Kopf wäschst.“
„Dorrien, es ist nichts Neues für mich, dass du nicht mit Akkarin klarkommst“, entgegnete sie ungehalten.
Wohl wahr … „Als ich mich dafür eingesetzt habe, dass Viana der Gilde beitreten darf und meine Novizin wird, hat Akkarin sich dafür ausgesprochen, mir diese Chance zu geben, weil er in mir sah, dass meine Absichten ernsthaft und ehrenhaft sind“, sagte er. „Er wusste, dass Viana und ich damals bereits ein Paar waren, doch er war bereit darüber hinwegzusehen, solange dies nicht Vianas Leistungen negativ beeinflusst. Trotzdem hat er mir seine Unterstützung bei der Anhörung verwehrt.“
„Weil Eure Beziehung begonnen hatte, Vianas Studium zu beeinträchtigen“, sagte Sonea streng.
„Nein!“ Dorrien schüttelte den Kopf. „Zu keiner Zeit hat es das. Aber jetzt, wo ich nicht mehr ihr Mentor bin, wird es ihr Studium beeinflussen.“
„Dorrien, es geschah in dem Moment, in dem eure Beziehung aufflog“, erwiderte Sonea sanft. „Ein solcher Skandal lässt keinen Novizen unberührt. Die Lehrer und Novizen behandeln einen anders. Glaub mir, ich musste das auch durchmachen, als Regin Gerüchte über eine Beziehung zwischen mir und deinem Vater in die Welt gesetzt hat.“
„Aber als du mit Akkarin zusammen warst, war das nicht so.“
„Akkarin ist ein schwarzer Magier. Die Gilde fürchtet ihn viel zu sehr, als dass sie das wagen würden.“
„Trotzdem ist es zum Teil seine Schuld, dass ich Viana verloren habe.“
„Dorrien, das ist Unsinn.“
„Er hätte dafür sorgen können, dass sie meine Novizin bleibt.“
„Auch der Hohe Lord ist an die Regeln der Gilde gebunden.“
„Und biegt sie sich zurecht, wo es ihm gefällt.“
„Wäre es dir lieber gewesen, er hätte sich Viana angenommen, anstelle deines Vaters?“
„Nein!“
„Dorrien“, sagte Sonea. Ihre Stimme klang entnervt. „Bist du nur gekommen, um mit mir zu streiten?“
„Nein.“ Er seufzte. „Ich brauche deine Hilfe, Sonea..“
Das ist doch alles völlig verrückt, dachte er. Jetzt sitze ich hier mit der Frau, die ich einst geliebt und verloren habe und spreche mit ihr über die Frau, die ich gerade liebe und dabei bin, zu verlieren. Doch es war niemand anderes als Sonea gewesen, mit dem er hatte sprechen wollen. Sie brachte weder dumme Sprüche, noch hielt sie ihm seine eigenen Fehler vor. Sie hörte zu und versuchte, sich in seine Situation hineinzuversetzen. Plötzlich wurde Dorrien sich bewusst, dass sie seine beste Freundin war.
„Sie liebt dich noch immer Dorrien.“
„Aber wie lange noch, Sonea?“ Frustriert fuhr Dorrien sich über die Stirn. „Es ist das zweite Mal, dass er mir die Frau weggenommen hat, die ich liebe.“
Sonea verdrehte die Augen. „Dorrien, Akkarin hat mich dir nie weggenommen, weil ich dir nie gehört habe. Und er hat dir auch Viana nicht weggenommen. Er hat überhaupt kein Interesse an ihr und sie nicht an ihm.“
„Das habe ich auch gar nicht unterstellt.“ Frustriert ballte er die Fäuste. „Bis zu ihrem Abschluss könnte sie sich in jeden verlieben. Alles, was ich damals wegen dir durchgemacht habe, ist dabei sich zu wiederholen. Ich wusste damals, wir würden keine Chance haben, weil du noch vier Jahre deines Studiums vor dir hattest und andere Männer kennenlernen würdest.“
„Oh Dorrien!“, rief Sonea. Sie streckte eine Hand aus und strich über seinen Arm. „Das damals mit uns … sicher wusstest du, dass wir keine Chance haben, weil ein Teil von dir bereits instinktiv wusste, dass du etwas begehrst, das nicht für dich bestimmt ist. Aber mit Viana wird dir das nicht passieren, da bin ich ganz sicher.“
Dorrien sah auf. „Und was macht dich da so sicher?“
Ihre dunklen Augen blitzten verärgert. „Ist das denn nicht offensichtlich? Seid ihr Männer so blind, dass man euch auf alles mit der Nase stoßen muss?“
„Ich weiß nicht, was du meinst?“
Sie gab ihm einen unwirschen Klaps. „Das Mädchen ist völlig verrückt nach dir, Dorrien! Dazu brauche ich nicht einmal ihre Gedanken gelesen zu haben. Jeder sieht das. Solange du nicht eine absolute Dummheit anstellt, kannst du dir ihrer sicher sein.“
Dorriens Herz machte einen Sprung. Dennoch konnte er das kaum glauben. „Ist das so?“, fragte er.
„Ja!“ Sonea schüttelte den Kopf. „Viana liebt dich, Dorrien. Hör endlich auf, dich so zu quälen. Sie wird dir nicht weglaufen. Vielmehr wird eure Trennung sie dazu anspornen, ihren Abschluss bald zu machen, damit ihr zusammen sein könnt. Sie wird sich in ihr Studium stürzen, um die langen Zeiten zu überbrücken, in denen ihr euch nicht seht. Also hör endlich auf, dir Sorgen zu machen.“
Allmählich drangen ihre Worte zu ihm durch. Er spürte, wie sich etwas in ihm löste und er öffnete seine Fäuste.
„Danke“, sagte er. „Du bist eine wunderbare Freundin.“
Sonea schnaubte leise. „Irgendjemand muss dir ja den Kopf gerade rücken“, gab sie zurück.
„Hmpf,“ machte Dorrien. Er war dumm gewesen, Viana nicht zu vertrauen. Tatsächlich lag es jedoch nicht an Viana, sondern an ihm selbst, weil er immerzu fürchtete, die Frau, die er liebte zu verlieren. Und dieses Wissen bestärkte ihn darin, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Ob dieser Anblick jemals ganz seine Bedrohlichkeit verlieren wird?, fragte Dannyl sich mit einem Blick auf das Haus am Ende des von Hecken gesäumten Weges. Nur unweit dahinter ragten die ersten Bäume des Waldes auf. Wenn man Bäume mochte, dann war hier zu leben mit Sicherheit traumhaft, sofern man entweder der Besitzer war, oder diesen nicht fürchten brauchte. Allerdings hatte er so eine Ahnung, dass die übrigen Bewohner den Hausherrn jeder auf seine Weise fürchteten.
Dannyl selbst würde seine Furcht vor diesem Mann niemals vollständig ablegen. Manchmal glaubte er, je mehr er über diesen Mann erfuhr, desto mehr Grund sollte er haben, ihn zu fürchten.
Ich hätte Tayend mitnehmen sollen, fuhr es ihm durch den Kopf. Und fand sich albern, nachdem er Ashaki, Duna und rachsüchtige Rebellen überlebt hatte. Zudem hegte sein Gefährte eine kleine Schwärmerei für den Anführer der Gilde.
Einen tiefen Atemzug nehmend hielt Dannyl auf den Eingang zu. Die Tür schwang unter seiner Berührung auf und er trat in die Empfangshalle, wo er von Akkarins Diener erwartet wurde. „Der Hohe Lord erwartet Euch, Auslandsadministrator“, sagte Takan mit einer tiefen Verneigung.
„Danke“, erwiderte Dannyl. „Bring mich zu ihm.“
Der Hohe Lord saß hinter einem Schreibtisch und las in einer Mappe, die Dannyl als die seine erkannte. Sonea saß in einem Sessel davor und las in einem Buch. Als Dannyl eintrat, hob sie den Kopf und ein strahlendes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
„Hallo Dannyl“, sagte sie.
„Hallo Sonea“, erwiderte er mit einem Augenzwinkern.
„Hoher Lord, Auslandsadministrator Dannyl ist hier“, verkündete Takan mit einer tiefen Verneigung.
Also ein offizieller Anlass, dachte Dannyl. Im Privaten sprach Takan den Hohen Lord oft mit ’Meister’ an. Sogar bei nicht-formalen Abendessen, zu denen Dannyl in der Vergangenheit eingeladen gewesen war.
„Danke, Takan“, sagte Akkarin, ohne aufzusehen. „Bring uns Sumi und dann lass uns allein.“
„Sehr wohl, Hoher Lord“, erwiderte der Diener und zog sich zurück.
Akkarin schloss die Mappe und hob den Kopf. „Guten Tag, Auslandsadministrator.“ Seine behandschuhte Hand wies auf den Sessel vor seinem Schreibtisch. „Setzt Euch.“
Dankend nahm Dannyl Platz. Sonea legte ihr Buch zur Seite und rückte ihren Sessel zurecht.
„Ich habe Euren Bericht ausführlich studiert“, begann der Hohe Lord. „Und ich bin beeindruckt. Ihr habt die Verhandlungen mit äußerster Ruhe und Geschicklichkeit moderiert, die Teilnehmer an den richtigen Stellen zur Besinnung gebracht oder in Aufruhr versetzt. Ganz besonders hat mir jedoch das Verhältnis, das Ihr zu den Gesprächsführern der Duna und der Imperialisten aufgebaut habt, imponiert. Ohne dieses, so wie ohne Asaras eigene Bemühungen um jene beiden Männer, hätte der Kampf am Fort möglicherweise ein anderes Ende gefunden.“
Dannyl neigte den Kopf. „Ich danke Euch, Hoher Lord. Doch das ist nicht nur mein Verdienst. Sonea hat mir nicht nur geholfen, meine Gedanken zu ordnen, sondern auch mir die fremden Kulturen nähergebracht. Sie war mir bei den schwierigeren Kandidaten eine große Unterstützung und hatte oft gute Ideen und Einwände.“
„Ich weiß“, sagte Akkarin mit einem Blick zu seiner Frau.
Die beiden schwarzen Magier tauschten einen langen, höchst intimen Blick, dann wandte Sonea sich zu Dannyl. „Der Hohe Lord hat bereits mit mir darüber gesprochen“, sagte er.
Natürlich hatte er das. Sich ein Lächeln verkneifend sah Dannyl zu Akkarin. „Hätte Sonea mich nicht beschützt, wäre ich nicht mehr am Leben und dafür bin ich zutiefst dankbar.“
Sonea schenkte ihm ein zuneigungsvolles Lächeln. „Ich würde es jederzeit wieder tun, Dannyl.“
„Also bist du meiner nach mehr als drei Monaten noch nicht überdrüssig?“
„Wie könnte ich?“, rief Sonea
Dannyl lachte. „Trotzdem hoffe ich, dass ich so schnell nicht wieder nach Sachaka oder Duna reisen muss.“
„Nicht in nächster Zeit, doch als Auslandsadministrator werdet Ihr von nun an auch in Kontakt mit diesen Ländern stehen“, sprach Akkarin. „Doch zunächst muss die Gilde Diplomaten finden, die dauerhaft in Arvice und bei den Verrätern bleiben wollen.“
Die Verräter hatten ein Haus in Arvice erhalten, von dem aus sie in der Politik mitmischen und die neuen Gesetze durchsetzen würden. Der Botschafter, den die Gilde zum Aufbau diplomatischer Beziehungen zu Sachaka dauerhaft in Arvice stationieren wollte, würde dort residieren.
„Würde es vielleicht vorerst genügen, dass der Botschafter zu Arvice unsere Interessen bei den Verrätern und den Ashaki vertritt?“, fragte Dannyl. „Es wird schwierig genug sein, diesen einen Posten zu besetzen.“
„Das wäre eine gute Übergangslösung“, stimmte der Hohe Lord zu. „Der oder diejenige würde zwar nicht direkt mit der neuen Großen Mutter kommunizieren, hätte jedoch die Möglichkeit, auf beide einzuwirken. Zudem werde ich ebenfalls mit Asara in Kontakt stehen, sobald das Bündnis offiziell besiegelt ist.“
Dannyl schluckte. „Sollte sich niemand für den Posten in Arvice finden, so wäre ich bereit, vorübergehend dorthin zu gehen.“ Auch wenn er dafür mit Tayend in einer Stadt schwarzer Magier leben musste.
„Tatsächlich wärt Ihr unser bester Mann für diese Aufgabe, doch Ihr seid für die Angelegenheiten der Gilde innerhalb der Verbündeten Länder unabkömmlich.“
„Sollte die Gilde meine Anwesenheit in Sachaka oder Duna erfordern, so werde ich dennoch zur Verfügung stehen“, sagte Dannyl.
Akkarin nickte, als habe er nichts anderes erwartet. „Sonea hat sich bereit erklärt, Euch erneut zu eskortieren, sofern Ihr das wünscht. Allerdings hat auch Asara erklärt, Leute zu Eurem Geleitschutz zur Verfügung zu stellen.“
Dannyl lächelte. „Ich muss gestehen, ich bin nicht überrascht.“
„Ich würde mitkommen, sollte sich die Reise als gefährlich erweisen“, fügte Sonea hinzu. „Aber nur, wenn es nicht anders geht, da ich mit anderen Aufgaben betraut wurde.“
Überrascht hob Dannyl die Augenbrauen. „Sind dir Privatstunden in der Arena, das Krankenhaus und dein Kellerlabor nicht mehr genug?“
„Ich werde mich um die Kinder kümmern, die die Duna uns schicken werden.“
Dannyl pfiff leise durch die Zähne. „Das ist großartig“, sagte er und sie lächelte. Er wandte sich wieder ihrem Mann zu. „Hat noch niemand Interesse an einem Botschafter-Posten in Sachaka und Duna bekundet?“, fragte er.
Die Tür ging auf und Takan brachte ein Tablett mit dampfendem Sumi und Gebäck. Er stellte das Tablett auf dem Schreibtisch ab und zog sich wieder zurück. Dannyl wartete, bis Akkarin sich eine Tasse genommen hatte, und nahm sich die zweite, während Sonea nach dem Glas mit dem Quellwasser griff. Irgendetwas schien sie zu erheitern und Dannyl begriff, dass er sich noch immer so verhielt, als sei er unter Sachakanern.
„Die höheren Magier haben mehrere Kandidaten vorgeschlagen, die sich anhand ihrer Fähigkeiten eignen würden“, sagte Akkarin. „Die Frage ist jedoch, ob sie sich überzeugen lassen. Tatsächlich erweist es sich als einfacher, einen Botschafter bei den Verrätern zu stationieren. Lady Vinara hat dafür mehrere Heilerinnen vorgeschlagen, die allesamt gewillt wären, dauerhaft dort zu leben.“
Dannyl nippte an seinem Sumi. „Das wird Asara gewiss freuen“, sagte er. Dass seine Freundin bei den Verrätern die Führung übernommen hatte, hatte in ihm die Hoffnung geweckt, dass die Verräter zu ihren ursprünglichen Zielen zurückfinden und diese auf friedliche Weise realisieren würden. „Nur, dass uns dann jemand in Arvice fehlt.“
„Erzählt Dannyl, was Ihr noch von Asara erfahren habt“, forderte Sonea ihren Hohen Lord auf.
„Vor zwei Tagen hat Ishaka den Thron bestiegen. Als Zeichen, keine weiteren Invasionspläne zu hegen, hat er Sachaka wieder zu einer Monarchie gemacht.“
Dannyls Herz machten einen Sprung. Damit war ein erster Schritt in die richtige Richtung getan. Die Veränderung würde langwierig und mit Rückschlägen verbunden sein, aber es war ein Anfang.
„Aber das ist noch nicht alles“, sagte Sonea. Sie sah zu ihrem Mann. „Sag es ihm, Hoher Lord.“
„Ich denke, das solltest du tun.“
„Wie Ihr wünscht.“ Mit dem winzigsten Anzeichen einer Grimasse wandte Sonea sich zu Dannyl. „Ishaka hat seine ersten Berater ernannt. Tarko wird sein politischer Berater, Takiro bleibt bei der Wirtschaft und Palastmeister Ivasako bei den Finanzen. Ein militärischer Berater wird noch gesucht, bis jetzt ist Hakaro im Gespräch, weil dieser die Armee in den fruchtbaren Regionen geführt hat. Doch das Beste ist: Der fünfte Berater soll von den Verrätern gestellt werden.“
Fast hätte Dannyl sich an seinem Sumi verschluckt. „Also wenn das keine Überraschung ist!“
Dann wurde Dannyl jedoch wieder ernst. Eine von fünf konnte leicht überstimmt werden. Aber es war ein Anfang. Ishaka hatte in Yukai genug Bereitschaft gezeigt, was Dannyl glauben ließ, dass diese Verräterin nicht auf verlorenem Posten kämpfen würde. Zudem wusste er aus leidiger Erfahrung, wie stur diese Frauen sein konnten.
„Ihr und Sonea habt viel riskiert, damit Sachaka diesen Weg beschreitet“, sprach der Hohe Lord. „Und damit meine ich nicht nur Euer Verhandlungsgeschick.“
„Ich verstehe“, sagte Dannyl.
„Die anderen Teilnehmer zu provozieren hätte leicht fehlschlagen und auf Euch zurückfallen können. Soneas Aushorchen von Ishakas Bettsklavin hätte das Leben jener Frau und ihr eigenes gefährden können. Doch ich und die höheren Magier erkennen an, dass ihr beide die für einen Frieden nötigen Opfer gebracht habt.“
„Sari auszuhorchen war meine und Asaras Idee“, sagte Sonea. „Dannyl war von meiner Beteiligung nicht sehr erfreut, doch wir waren die ganze Zeit so sicher, dass Ishaka sich gegen den Imperator verschworen hat.“
„Womit ihr recht hattet“, sagte Akkarin. „Die gesamte Mission war gefährlich, da waren die Risiken, denen ihr euch zusätzlich ausgesetzt habt, vergleichsweise gering.“
Dannyl nahm sich einen der kleinen Kuchen. Obwohl er nicht erst seit gestern zurück war, erfreute er sich an diesen Köstlichkeiten. Die Küche der Duna war auf ihre exotische und einfache Weise hervorragend gewesen, doch sie konnte nicht die Kegelkuchen ersetzen. Ob Takiro sich dafür einsetzen würde, dass der Handel mit Delikatessen gestärkt wird? Ah, aber ich will nicht derjenige sein, der diesen anregt!
„Habt Ihr noch Fragen zu meinem Bericht, Hoher Lord?“, fragte er.
„Nein.“ Akkarins lange Finger trommelten leicht auf den Einband der Mappe. „Sollten noch Fragen aufkommen, werde ich nach Euch schicken.“
„Ich werde zu Eurer Verfügung stehen.“
Der Anflug eines Lächelns huschte über die harschen Züge des Hohen Lords.
„Sonea, lass uns allein.“
„Ja, Hoher Lord.“ In einer fließenden Bewegung erhob Sonea sich aus ihrem Sessel. „Ruft mich, wenn Ihr mich braucht. Ich werde nach Lorlen sehen. Sein Nachmittagsschlaf muss allmählich vorbei sein.“
„Tu das.“ Akkarins dunkle Augen bohrten sich in ihre und folgten ihrer kleinen Gestalt, bis sich die Türen der Bibliothek hinter ihr geschlossen hatten.
Dannyl unterdrückte ein unwillkürliches Schaudern. Was das auch immer zwischen den beiden schwarzen Magiern war, es hatte sich nach Yukai noch vertieft.
„Ich wünsche, dass Ihr die Vermittlung zwischen den zerstrittenen Stämmen in Lan wieder aufnehmt“, begann Akkarin, bevor Dannyl sich fragen konnte, was nun folgte. „Nach den Berichten, die Botschafter Salyk in den vergangenen Monaten geschickt hat, zu urteilen, hat sich die Lage nicht entspannt. Mit Euren in Yukai gewonnenen Erfahrungen sollte eine Lösung jedoch möglich sein.“
Dannyl nickte. „Das denke ich auch.“
„Ich erwarte, dass Ihr im nächsten Frühjahr erneut dorthin reist. Nehmt Euch bis dahin Urlaub und bringt Eure Beziehung auf die nächsthöhere Ebene. Ihr habt es Euch verdient.“
„Die nächsthöhere Ebene?“
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Den Urlaub. Ihr habt Großes in Yukai geleistet. Nicht nur für einen Frieden zwischen Kyralia, Sachaka und Duna, Ihr wart auch Sonea ein guter Freund.“
„Ich danke Euch, Hoher Lord“, erwiderte Dannyl zutiefst bewegt, während er nicht aufhören konnte, sich zu fragen, was Akkarin mit ’nächsthöherer Ebene’ meinte. Er hatte die Worte mit einer seltsamen Betonung gesprochen. Sicher meinte er damit nicht, dass er und Tayend sich öffentlich zu ihrer Liebe bekennen sollten. Es schien sich vielmehr um eine emotionale Ebene zu handeln. Aber wie sollte er seine Liebe zu Tayend noch vertiefen, wenn sie bereits tiefer als alles war, was zu empfinden er fähig war?
„Ich habe hier die Berichte von Botschafter Salyk“, sprach Akkarin und reichte Dannyl eine zweite Mappe. „Sie sind sehr ausführlich, Ihr solltet sie zur Vorbereitung lesen. Sie erhalten außerdem eine Zusammenfassung über König Val-Tons Regierungsstil der vergangenen Monate, seiner weiteren Reaktion auf den Konflikt und der Gesetze, die er in der Zwischenzeit erlassen hat. Dieses Wissen könnte Euch bei der Vorbereitung Eurer neuen Aufgabe helfen. Salyk ist angewiesen, weitere Berichte zur Botschaft von Capia zu schicken, da ich davon ausgehe, dass Ihr Euren Urlaub in Elyne verbringen werdet.“
„Ja“, antwortete Dannyl mit einem Lächeln. „Das hatte ich vor.“ Sie würden Tayends Schwester besuchen. In wenigen Wochen würde dort die Weinlese beginnen und sie konnten dabei zusehen oder sich daran beteiligen. Anschließend konnten sie weiter nach Arvina reisen und in der Bucht von Bel Fiores Anwesen baden. So weit im Norden war das Meer selbst im Winter warm. Gewiss würden sie dort auf ihre Freundin treffen. Die letzte Begegnung lag eine ganze Weile zurück.
„Nicht nur in Lan hat sich während des Sommers viel ereignet“, sprach der Hohe Lord. „Der Abtreibungsfall in Lonmar hat einige weitere unerfreuliche Konsequenzen nach sich gezogen. Vaulen kümmert sich bereits darum, doch Ihr tätet gut daran, vor Eurer Reise nach Lan dort nach dem Rechten zu sehen.“
Dannyl nickte, ein Stöhnen unterdrückend. Die Konferenz hatte ihn so sehr in Atem gehalten, dass seine Verpflichtungen innerhalb der Verbündeten Länder in den Hintergrund gedrängt worden waren. Lieber hätte er sich nach seinem Urlaub damit befasst, doch vermutlich würde er vorher nicht nach Imardin kommen.
„Bitte setzt mich ins Bild, Hoher Lord.“
Akkarin lehnte sich zurück. „Sehr gern, Auslandsadministrator.“
Während der nächsten Stunde sprachen sie über Angelegenheiten, die Dannyl nach Yukai kleinlich und unbedeutend vorkamen. Doch das bedeutete auch, dass er über sich hinaus gewachsen war. Von nun an würde er jeden Konflikt der Dems und Bels, der großen Clans in Lonmar, oder der wilden Stämme in Lan lösen können.
„Es ist spät geworden.“ Akkarin schloss die Mappe mit Vaulens Bericht und stützte seine Unterarme auf die Tischplatte, seine dunklen Augen musterten Dannyl eingehend. „Ihr könnt mit uns zu Abend speisen, meine Frau wird das freuen. Selbstverständlich wäre das Dinner rein informell.“
„Ich …“, begann Dannyl für einen Augenblick zu überrascht, um sich zu artikulieren. Eine Einladung des Hohen Lords schlug man nicht aus, doch sie kollidierte mit seinen eigenen Plänen für den Abend „Das ist sehr freundlich von Euch. Doch ich fürchte, Zerrend erwartet mich zum Dinner in seinem Haus.“
Akkarins Mundwinkel zuckten leicht. „Wir können offen sprechen, Dannyl. Ich verstehe, dass Ihr Zeit mit Eurem Gefährten verbringen wollt. Was spricht dagegen, eine Kutsche in den Inneren Ring zu schicken und ihn herzubringen?“
„Nichts“, antwortete Dannyl seine Fassung wiedererlangend. „Ich danke Euch vielmals für das Angebot.“
Der Anflug eines Lächelns huschte über die harschen Züge des Hohen Lords. „Ich informiere Takan, dass er zwei weitere Personen einplanen soll.“
„Es wird Zeit zu reden, Vater.“
Rothen hielt inne. Er hatte gespürt, dass etwas mit Dorrien anders war, doch es hatte einen ganzen Tag gebraucht, bis dieser sich dazu durchgerungen hatte, mit ihm mehr als die zur Kommunikation unweigerlich notwendigen Worte zu sprechen.
„Also gut“, sagte er sich in seinem Lieblingssessel niederlassend. Ein letzter Rest Abendrot hing über der Stadt und die ersten Sterne blinzelten träge von einem dunkelblauen Himmel. Er wies auf einen zweiten Sessel. „Setz dich.“
„Danke“, lehnte Dorrien ab. „Später vielleicht.“
„Wie du meinst.“ Rothen betrachtete seinen Sohn, während er sich fragte, was das hier werden sollte. „Sag mir, was du zu sagen hast.“
„Ich habe Dummheiten gemacht, Vater“, begann Dorrien mit sichtlichem Unbehagen. „Ich habe Viana und ihr Studium gefährdet, indem ich in der Gilde mit ihr Intimitäten ausgetauscht habe. Ich hätte auf Abstand gehen müssen und es auf die Gelegenheiten in deinem Apartment beschränken sollen. Doch anscheinend geht etwas mit mir durch, wenn ich sie längere Zeit nicht sehe.“
Du hättest sie niemals in der Gilde anrühren dürfen, dachte Rothen. Auch nicht bei mir. Am besten, du hättest sie niemals angerührt. „Du fürchtest sie zu verlieren, so wie dir nicht nur einst Sonea weggenommen wurde, sondern auch deine Mutter“, sagte er stattdessen.
Dorrien zuckte zusammen und seine blauen Augen weiteten sich. Und Rothen wusste, er hatte einen wunden Punkt getroffen. Er selbst hatte lange gebraucht, um dahinter zu kommen, wäre vermutlich nie darauf gekommen, hätte Akkarin nicht etwas Entsprechendes gesagt. Dabei war es so offensichtlich gewesen. Rothen hatte indes begriffen, dass er zu blind für Offensichtlichkeiten war.
„Das kann nicht sein“, sagte Dorrien tonlos. „Was hat Mutter damit zu tun?“
„Auch sie hat dich einfach verlassen. Das quält dich bis heute. Und deswegen klammerst du dich an jede Frau, in die du dich verliebst.“
Sein Sohn sank in einem Sessel zusammen. „Ich hatte Angst, Viana zu verlieren. Jetzt, wo sie nicht mehr meine Novizin ist, noch mehr denn je. Aber ich weiß, dass sie mich bedingungslos liebt.“
Rothen unterdrückte ein Seufzen. „Sollte sie sich eines Tages in einen anderen verlieben, würdest du es dennoch nicht verhindern können.“ Unter seinen Worten zuckte Dorrien erneut zusammen. „Doch solange du die Beziehung nicht mit deiner Eifersucht zerstörst, gehört sie dir für den Rest deines Lebens.“
Sein Sohn sah auf. „Das glaubst du?“
Rothen nickte. „Das glaube ich nicht nur, das weiß ich mit großer Sicherheit.“ Dorriens Augenbrauen zogen sich nachdenklich zusammen. „Deine Mutter kam nie zurück. Und das projizierst du auf Viana, Sonea oder wen auch immer du gerade liebst. Du fürchtest, sie könnten dich auch eines Tages verlassen, doch je mehr du dich an einen Menschen klammerst, desto sicherer wirst du ihn verlieren. Also lass los. Du musst lernen, dass nicht jeder Abschied ein Abschied für immer ist. Du musst lernen, zu vertrauen.“
Dorrien nahm diese Worte in sich auf. Er schüttelte seine braunen Locken. „Soll das heißen, ich habe die letzten drei Jahre nur durchgemacht, weil Mutter gestorben ist? Nur wegen ihr habe ich Akkarin die Schuld gegeben, dass er Sonea verdorben hat, und habe meine Novizin verloren?“
„Ja.“ Stirnrunzelnd sah Rothen in seinen Sumi. „Nun, nicht direkt.“ Der Hohe Lord hatte Sonea verdorben. Aber Rothen hatte damit seinen Frieden gemacht. Sonea gehörte zu diesem Mann, so wie Viana zu Dorrien gehörte. „Du weißt, dass Sonea nie für dich bestimmt war.“
„Und deswegen wusste ich, sie würde mich verlassen und deswegen habe ich mich noch verzweifelter an sie geklammert, so wie damals als Mutter krank war.“ Dorrien fuhr sich über die Stirn. „Ich bin so ein dummer Enka. Warum wird mir das alles erst jetzt klar?“
„Ich habe selbst lange gebraucht, um es zu sehen.“ Rothen lächelte schief. „All die Jahre dachte ich, es läge daran, dass du ohne Mutter erwachsen werden musstest. Ich dachte, das würde sich legen, wenn du eine Frau findest. Aber ich lag falsch.“
„Nicht ganz falsch. Aber trotzdem nicht richtig.“
„Nein. Es tut mir leid, Dorrien. Hätte ich es erkannt, hätte ich dir früher helfen können. Es hätte uns beiden so viel Ärger erspart.“
Sein Sohn hob den Kopf. „Es braucht dir nicht leidtun, Vater“, sagte er. „Ich bin derjenige, der die Dummheiten angestellt hat und ich bin gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen, weil ich dir so viel Ärger bereitet habe. Und ich verzeihe dir deine harten Worte von neulich. Du hattest mit jeden von ihnen recht. Du hast alles getan, um die Katastrophe einzudämmen. Doch es hat nicht gereicht.“
Rothen spürte, wie sich etwas in ihm löste. „Es braucht dir nicht leidtun“, sagte er mit belegter Stimme. „Wir beide haben Fehler gemacht. Wichtig ist nur, dass wir es nicht einander nachtragen.“
Ein Lächeln huschte über Dorriens Gesicht. „Danke, dass du das so siehst.“ Eine Weile starrte er auf seine Hände, die Augenbrauen zusammengezogen. „Ich habe meine Entscheidung getroffen, Vater.“
Rothen erstarrte. Er kannte diese sture Entschlossenheit nur allzu gut. „Also gehst du zu den Verrätern“, sagte er.
„Ja.“
„Weiß Viana schon davon?“
Dorrien schüttelte den Kopf. „Ich wollte zunächst mit dir sprechen. Die Dorfbewohner sind nicht sonderlich angetan, aber das wären sie auch nicht, würde ich in dieses andere Dorf gehen, das die Gilde mir zur Wahl gestellt hat. An Viana will ich gar nicht denken. Aber es muss sein.
„Es sind nur drei Jahre, Dorrien. Die Zeit wird für euch beide schnell vergehen. Und danach kannst du sie heiraten und mit ihr in die Berge zurückkehren.“
Das Blau in Dorriens Augen strahlte auf. „Würdest du uns deinen Segen geben?“
Rothen lächelte. „Natürlich würde ich das. Ihr zwei gehört zusammen. Aber“, er hob warnend einen Finger, „nur unter der Bedingung, dass du ihr bis zu ihrem Abschluss keinen weiteren Ärger bereitest.“
„Wahrhaftig!“, rief Dorrien. „Ich werde in Sachaka sein!“
„Ich traue dir auch das zu.“
„Ich brauche deinen Segen nicht. Ich darf heiraten, wen ich will.“
„Wahrhaftig!“, rief Rothen. „Dann brauchst du dich hier aber auch nicht mehr blicken lassen.“
„Dann hätte ich auch keinen Grund mehr, nach Imardin zu kommen.“ Dorriens Augen wanderten auf einen Punkt jenseits des Fensters. „Weißt du, nach ihrem Studium könnten Viana und ich zu den Verrätern gehen und ganz dort bleiben. So weit ich weiß, ist der Posten eines Botschafters noch offen. Und die Position wäre dauerhaft.“
„Deine Selbstlosigkeit in allen Ehren, aber dein diplomatisches Geschick ist … nun, reden wir nicht darüber.“
Dorrien schnaubte leise. „Ich kann sehr charmant sein, wenn ich will.“
„Ja, und zwar immer dann, wenn du eine Frau umwirbst.“
„Da wir gerade beim Thema sind: Wann ist Viana zurück?“
„Sie ist es wahrscheinlich schon längst.“
Mit einem Lächeln stand Dorrien auf. „Dann werde ich draußen auf sie warten.“
„Leg dich nicht mit Lord Ahrind an.“
Dorrien lachte. „Ich weiß, wie man mit mürrischen Kriegern umgeht“, sagte er und eilte zur Tür.
„Du kannst nicht immer davonlaufen, Dorrien.“
„Ich laufe nicht fort, Vater. Manchmal muss man fortgehen, um zu sich selbst zu finden.“
Mit diesen Worten verließ er das Apartment und ließ Rothen frustriert und verzweifelt zurück. Sie alle verschwanden aus seinem Leben, sie alle hatten ihre Eskapaden und er war derjenige, der immer zurückblieb.
Wenigstens konnte ich mich mit meinem Sohn aussprechen, dachte er. Er fragte sich, wie Viana die Nachricht aufnehmen würde, dass ihr Geliebter für den Rest ihres Studiums nach Sachaka gehen würde. Aber er begriff, dass Dorrien das tun musste, um erwachsen zu werden. Und Rothen begriff, er musste ihn ziehen lassen.
Manchmal muss man fortgehen, um zu sich selbst zu finden.
Auch Sonea hatte das getan. Und Dannyl, als er fünf Jahre zuvor nach Elyne aufgebrochen war.
Und bald würde er erneut auf unbestimmte Zeit verschwinden.
Mit einem Mal hielt Rothen es in seinem Apartment nicht mehr aus. Er stürmte nach draußen und zu einer Tür im Erdgeschoss am Ende eines Flures. Die Magier, denen er auf seinem Weg begegnete, warfen ihm verwirrte und verstörte Blicke zu. Er wollte klopfen, doch dann erklang eine vertraute Stimme hinter ihm.
„Welch seltener Besuch!“
Rothen fuhr herum. Ein Magier in purpurfarbenen Roben kam den Flur entlang. Vor Rothen blieb er stehen. „Ich bin überrascht, dich hier zu sehen.“
Obwohl die Worte fröhlich und unbeschwert klangen, zuckte Rothen schuldbewusst zusammen. Er konnte heraushören, dass Dannyl nicht mit seinem Besuch gerechnet hatte. Und er wusste, warum.
„Ich kann das zwischen uns nicht ungeklärt lassen“, brachte er hervor. „Nicht, wenn du bald wieder abreist.“ Als er die Worte sprach, schlug ihm sein Herz bis in den Hals. Die Überwindung hätte nie größer sein können und er erkannte, er war nicht weniger stur und verbohrt als sein eigener Sohn. „Ich will alles wissen. Ich will es verstehen.“
Dannyls Augen weiteten sich für einen Moment. „Dann komm“, sagte er. „Ich habe noch eine Flasche Wein. Nicht, dass ich für heute nicht schon genug getrunken hätte, doch bei dieser lässt es sich leichter reden.“
Allmählich hob sich der Schleier der Müdigkeit, wischte die Betäubung des Schlafes hinfort und brachte Sonea von dem fernen Ort, an dem ihr Geist verweilt hatte, zurück in das Hier und Jetzt. Sie lag auf dem Bauch, ein Bein angewinkelt, was ihre Position auch mit ihrem allmählich größer werdenden Bauch bequem machte. Obwohl die dunkle Seide ihrer Decke bis auf ihre Hüfte hinabgerutscht war, fror sie nicht.
Ein seliges Glücksgefühl verspürend öffnete sie die Augen.
„Guten Morgen, Hoher Lord“, flüsterte sie.
Akkarin hatte sich neben ihr auf die Seite gerollt, den Kopf aufgestützt und musterte sie mit einem Blick, der, obwohl er nichts von seinen Gedanken preisgab, eine Zuneigung ausdrückte, die Sonea schwindeln ließ.
„Hast du gut geschlafen?“
Sonea nickte und gähnte. Ihre Halsmuskeln stießen gegen einen Widerstand und ihre Hand fuhr zu ihrem Hals. Als sie das Metall spürte, das unter der Wärme ihres Körpers nicht mehr kühl war, kehrten die Erinnerungen an den vergangenen Abend zurück.
Mit einem Schaudern erinnerte sie sich, wie willig sie das Halsband angenommen hatte. Es war eine völlig neue Erfahrung gewesen – erfüllt von Furcht und dunklem Verlangen – und hatte auf eine überraschende Weise ihre ersten Erfahrungen mit diesen Dingern korrigiert.
Mit Akkarin fühlte es sich richtig an.
„Ich habe von uns geträumt.“
„So?“, fragte er eine Augenbraue hebend. „Was hast du geträumt?“
„Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur, dass es sehr schön war. Und sehr unanständig.“
Akkarin hatte mehrere Tage gebraucht, um sich über einige Dinge klarzuwerden, und sie hatten einen langen Abend über ihre Wünsche und Vorstellungen gesprochen und Regeln aufgestellt, die Akkarin offenkundig als Absicherung brauchte. Doch schon in dieser kurzen Zeit war die Veränderung spürbar gewesen. Behutsam hatte er damit begonnen, sie zu einem ’willigen Spielzeug’ zu machen, wie er sich ausgedrückt hatte, und erklärt, dass er dazu noch einige ’Besorgungen’ machen musste – was so viel bedeutete, wie dass er Takan geschickt hatte. Sonea versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass dieser wusste, was wirklich zwischen ihr und Akkarin lief. Aber sie begriff auch, dass sie ihn als Komplizen brauchten. Er war Akkarins Vertrauter, er hatte miterlebt, wie er sich durch Sachaka verändert hatte und wenn Sonea bis zu ihrer ersten Nacht in der Arran-Residenz zurückdachte, ahnte sie Takan hatte die ganze Zeit bescheid gewusst.
„Welch ein Jammer.“ Seine behandschuhte Hand strich eine Strähne aus ihrem Gesicht.
„Ich habe noch viele andere Phantasien, die wir umsetzen können.“
„Wir haben alle Zeit der Welt.“
Sofern der Frieden anhält, dachte Sonea. Sie wollte noch immer nicht glauben, dass der Krieg endlich ein Ende gefunden hatte. In Sachaka musste es noch Magier geben, die ihren und Akkarins Tod wollten. Und was, wenn ihnen die Begrünung der Ödländer zu langsam voranschritt oder die Sachakaner auf die Idee kamen, dass das von Dannyl ausgehandelte Angebot zu sehr an ihrem Stolz kratzte?
Sie entschied, diese Fragen konnten warten. Für den Augenblick war sie viel zu sehr daran interessiert, die Neuartigkeit ihrer Beziehung zu Akkarin auszukosten.
„Und wie habt Ihr geschlafen, Hoher Lord?“
„Traumlos, aber gut.“
„Wie lange beobachtet Ihr mich schon?“
Er bedachte sie mit seinem Halblächeln. „Eine Weile.“
So wie er das sagte, musste es eine lange Weile gewesen sein. Sonea blinzelte zu den dunkelblauen Papierblenden an den Fenstern. Durch das Muster, das die winzigen Löcher des in das Papier gestanzten Incals der Gilde bildeten, fiel helles Tageslicht.
„Warum habt Ihr mich nicht geweckt?“
„Weil es gestern Abend spät geworden ist.“ Sein Finger strich die Konturen ihrer Augenbrauen entlang und den Rücken ihrer Nase hinab. Sonea lächelte und er hakte seinen Finger in den Ring an ihrem Halsband und zog sie zu sich. „Und es spielt auch keine Rolle“, raunte er in ihr Ohr und jagte damit einen weiteren Schauer ihren Rücken hinab. „Ich kann mir jederzeit nehmen, was ich will.“
„Ich werde mich Euch nicht verweigern“, flüsterte Sonea, obwohl es ihr danach verlangte, die Konsequenzen für ihren Ungehorsam auszutesten. Akkarin war sehr talentiert darin, eine Strafe wirklich zu einer Strafe zu machen. Und erschreckend kreativ. Sonea fragte sich, ob sie dennoch ihre Befriedigung darin finden würde und was er dann tun würde, um ihr diese auszutreiben. Doch das würde warten müssen, bis ihr Kind geboren war.
Er zog sie noch näher und küsste sie behutsam. Soneas Puls beschleunigte sich. Wie machte er das, dass er sie selbst dann, wenn er sanft war, spüren ließ, wie sehr sie ihm gehörte?
Akkarin rollte sich auf den Rücken und lehnte sich in die Kissen am Kopfende. „Küss meinen Oberkörper“, befahl er und zog sie, den Finger noch immer in ihr Halsband gehakt, zu sich.
Die Nase gegen sein Brustbein gedrückt verkniff Sonea sich ein Lächeln. Anscheinend hatte er das perfekte Spielzeug gefunden.
Während sie jeden Zoll seiner Haut mit innigen Küssen bedeckte, konnte Sonea nicht aufhören sich zu fragen, wie lange, diese Idee schon in ihm geschlummert hatte. Was ihre Gespräche ihr über ihn offenbart hatten, konnte es durchaus seit Sachaka sein.
Akkarins gesunde Hand schloss sich um ihren Nacken und führte sie zu den Stellen, die geküsst werden wollten. Das Leder seines Handschuhs fuhr ihren Rücken hinab, strich über die Wölbung ihres Gesäßes und spielte mit dem Schmuck in ihrem Schoß. Obwohl sie noch wund von der vergangenen Nacht war, verfehlte die Berührung ihre Wirkung nicht.
Plötzlich erstarrte er. Bevor Sonea es wirklich begreifen konnte, hatte die Hand in ihrem Nacken sie fester gepackt und ihren Kopf zurückgezogen.
„Lorlen ist aus seinem Bett geklettert und buddelt gerade die Zimmerpflanze aus. Takan ist überfordert.“
Sonea brauchte eine Weile, um seine Worte zu begreifen.
„Er tut was?“
„Du hast richtig gehört.“ Akkarin erhob sich und zog sie mit sich. Er schlüpfte in seinen Morgenmantel, dann nahm er ihr das Halsband ab. Sonea verzog das Gesicht. Sie hatte nicht damit gerechnet, so jäh von Sonea-der-Bettsklavin-des-Hohen-Lords wieder zu Sonea-der-Mutter-von-Akkarins-rebellischem-Sohn zu werden. Doch es war keine Zeit sich daran zu gewöhnen, wenn ihr einjähriger Sohn gerade damit beschäftigt war, in seinem Zimmer Gärtner zu spielen.
Wie soll das erst mit zwei Kindern werden?, fragte sie sich. Würden sie eine Dienerin brauchen, die sich Tag und Nacht um die beiden kümmerte? Oder würden sie nur noch miteinander intim sein, wenn die Kinder bei Rothen waren? Und wie oft konnten sie Rothen das zumuten?
Oder müssen wir allen Spaß einstellen, bis sie erwachsen sind?
Mit einem leisen Seufzen streifte sie ihr Nachthemd über und folgte Akkarin über den Flur.
In Lorlens Zimmer herrschte ein Chaos, als hätte dort ein mittelschwerer magischer Kampf gewütet. Die große Topfpflanze lag auf dem Boden, Erde und Wurzeln waren überall verteilt. Lorlen saß inmitten des Drecks und pulte fröhlich glucksend weitere Wurzelstücke aus dem Ballen, während Takan völlig aufgelöst in einen Sessel gesunken war.
Als sie eintraten, erhob sich der Diener und verneigte sich unterwürfig. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Meister. Ich habe versucht, ihn dort wegzuholen. Daraufhin fing er so an zu weinen, dass ich ihn wieder loslassen musste, woraufhin er weitermachte.“
„Schon gut“, winkte Akkarin ab. „Es ist nicht deine Schuld, Takan.“
Sonea ging neben ihrem Sohn in die Hocke. „Was hast du schon wieder angestellt, mein kleiner Schatz?“, fragte sie und zog ihn in ihre Arme.
„Blume“, sprudelte er glücklich hervor.
„Ja das ist … war“, korrigierte sich Sonea mit einem Blick auf den zerfetzten Wurzelballen, „eine Blume. Aber jetzt wird sie sterben.“
„Blume“, wiederholte Lorlen freudig als wolle er für seine Schandtat gelobt werden. Kopfschüttelnd hob Sonea ihn hoch und stand auf. „Wie hat er das gemacht?“, fragte sie. Das Bettchen hatte ein Gitter und hing in einer Schaukel drei Fuß über dem Boden. Lorlen musste sich beim Herunterklettern weh getan haben. Und doch hatte ihn das nicht davon abgehalten … „und wie hat er die Pflanze umgestoßen?“
„Er ist unser Sohn, Sonea“, sagte Akkarin nur.
„Du glaubst doch nicht etwa, er hat Magie benutzt?“
„Dafür ist er zu klein.“ Akkarins dunkle Augen musterten das kleine Bett und huschten dann zu der Verwüstung auf dem Fußboden. „Er braucht keine Magie, um Unsinn zu machen.“
„Meister“, begann Takan. „Soll ich einen Besen holen und den Dreck auffegen?“
„Danke, Takan. Das ist nicht nötig. Geh und bereite das Frühstück vor. Und hole Caria her. Lady Sonea und ich werden uns um die Unordnung kümmern.“
„Ja, Meister“, erwiderte Takan. Seine Wangen färbten sich rosa. „Es tut mir leid, die ganze Unordnung.“
„Hör auf dich zu grämen“, wies Akkarin ihn zurecht. „Du kannst nichts dafür.“
„Ja, Meister. Ich stehe in Eurer Schuld.“ Mit einer weiteren Verneigung verließ Takan den Raum.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Sonea. „Wie können wir ihm verständlich machen, dass wir ein solches Verhalten nicht dulden?“
„Er ist in dem Alter, in dem er seine Grenzen austestet, Sonea. Wir können nicht mehr tun, als ihm diese aufzuzeigen und unnachgiebig zu bleiben.“
Wie alt ist Lorlen jetzt?
Ein Jahr.
Dann wird es nicht mehr lange dauern, bis er schwierig wird.
Sonea unterdrückte ein Seufzen. Ihre Tante hatte wie so oft recht behalten. Die Probleme hatten gerade erst angefangen. Auf ihrem Arm begann Lorlen zu quengeln. „Nein, Lorlen“, sagte sie und drückte einen Kuss auf seine Stirn. „Ich lasse dich nicht wieder zu deinem neuen Spielzeug.“
Das Quengeln wurde lauter.
„Gib ihn mir.“ Akkarins Stimme war ruhig, aber voll Autorität.
Wortlos reichte Sonea ihm ihren Sohn. Akkarin nahm ihn entgegen und hob ihn hoch. „Pflanzen im Haus sind keine Spielzeuge“, sagte er streng. „Wenn du unbedingt Pflanzen ausgraben willst, gehen wir mit dir in den Wald hinter unserem Haus. Dort kannst du ausbuddeln, was du willst.“
Lorlen gluckste.
„Du kannst von Glück sagen, dass du noch so klein bist. In ein paar Jahren dürftest du das alleine aufräumen.“
Lorlen gluckste noch mehr.
Sich ein Grinsen verkneifend streckte Sonea ihren Willen aus. Sie stellte die Topfpflanze wieder auf und ließ die verstreute Erde zurück in den Topf schweben. Mit einem Besen hätte Takan für dieselbe Arbeit sehr viel länger gebraucht. „Vielleicht sollten wir eine Barriere um die Pflanze machen“, schlug sie vor.
Akkarin betrachtete sie erheitert. „Damit er sich als nächstes den Sessel oder die Simba-Matte vornimmt?“
„Dann eben um das Bett.“
„Er muss lernen, dass solches Verhalten nicht ohne Konsequenzen bleibt.“ Akkarins Blick fiel auf den Stoffharrel, der noch immer in Lorlens Bettchen lag. „Nimm ihn mit.“
Sonea starrte ihn an. „Er wird das nicht mögen.“
„Das soll er auch nicht.“
Wortlos nahm Sonea den Stoffharrel. Lorlen streckte seine Ärmchen danach aus und brabbelte „Harrel, Harrel“, doch Akkarin sagte: „Du bekommst deinen Harrel nach dem Frühstück wieder.“
Lorlen begann zu weinen.
„Sonea, bring den Harrel ins Schlafzimmer.“
Begleitet von dem Geschrei ihres Sohnes eilte Sonea mit dem Stoffharrel ins Schlafzimmer und legte ihn auf einem Sessel ab. Sie fand, Akkarin war zu hart. Lorlen war noch viel zu klein, um sein Verhalten zu begreifen. Sie hätte indes auch nicht gewusst, wie sie ihm begreiflich machen sollten, dass er ungezogen gewesen war. Jonna wird es wissen, dachte sie. Aber wollte sie ihrer Tante gegenüber wirklich zugeben, dass sie ihr einjähriges Kleinkind nicht unter Kontrolle hatte?
Als sie zurückkehrte, saß Akkarin mit seinem Sohn in dem Sessel am Fenster, Lorlen hatte sich auf seinem Schoß zusammengerollt wie ein kleiner Zill. „Wie machst du das immer?“, fragte sie.
Er hob die Schultern. „Sonea, du sollst wissen, dass ich ihm sein Spielzeug nicht weggenommen habe, um ihn zu quälen.“
Sie nickte.
„Es wird nicht helfen, ihm zu sagen, was falsch war. Er muss begreifen, dass unerwünschtes Handeln Konsequenzen hat.“
Natürlich musste er das. „Aber bis nach dem Frühstück?“
„Eine umgeworfene Pflanze rechtfertigt wohl kaum, ihm seinen Harrel bis zum Abend wegzunehmen.“
Sonea streckte den Willen nach einem Kissen aus und ließ sich zu seinen Füßen nieder. „Lorlen kommt jetzt in eine Phase, in der er anfängt, seine Umgebung zu entdecken. Zumindest sagt Jonna, dass Kinder das irgendwann tun. So wie er als Baby war, wird er uns noch jede Menge Ärger bereiten, fürchte ich.“
„Wir werden einen Weg finden, damit umzugehen“, versprach Akkarin. „Vielleicht solltest du deine Tante konsultieren.“
„Ich will nicht, dass sie erfährt, wie schwierig er ist.“
„Das muss sie auch nicht.“
Sonea schnaubte. „Sie wird es sich denken können. Schließlich hat sie seine Mutter großgezogen.“
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Und wovor schämst du dich dann, Sonea?“, fragte er sanft.
Sie hob die Schultern. „Ich weiß es nicht.“
„Das alte Problem“, bemerkte er. „Du wirst dich dem stellen.“
Ein Schaudern verspürend sah sie hoch und begegnete seinen dunklen Augen. „Ja, Hoher Lord.“ Der Anflug eines Lächelns huschte über Akkarins Gesicht und er streckte eine Hand nach ihrem Haar aus. Sie lehnte den Kopf gegen seine Beine und schloss die Augen. „Aber Lorlen wird uns von nun an vielleicht auch öfter stören so wie vorhin.“
„Wir werden auch dafür eine Lösung finden, Sonea. Wir sind nicht die einzigen Eltern, die von ihren Kindern im Bett gestört werden.“
„Aber die Einzigen, die dabei derart unanständig sind. Zumindest in Kyralia.“
„Das ist wahrscheinlich.“ Akkarin erhob sich und streckte eine Hand nach ihr aus. „Was hältst du von einem Bad vor dem Frühstück?“, fragte er.
Sonea ließ sich von ihm auf die Füße ziehen. „Du meinst, um nachzuholen, wobei wir vorhin unterbrochen wurden?“
Seine Augen bohrten sich in ihre. „Ja.“
„Und Lorlen?“
„Caria wird gleich hier sein und sich um ihn kümmern.“
„Können wir ihn nicht mitnehmen? Er ist zu klein, um zu begreifen, was wir da tun. Und sollte es ernst werden, lenken wir ihn ab, wie damals als wir diesen Ausflug gemacht haben.“
„Damit er für seine gärtnerischen Fähigkeiten eine Belohnung erhält?“
„Er ist ein Baby, Akkarin. Du kannst mich mit Liebesentzug bestrafen, aber nicht ihn. Ich kann damit umgehen, weil wir das abgesprochen haben. Er nicht.“
Akkarins Miene wurde ein wenig weicher. „Du hast recht“, sagte er. „Also nehmen wir ihn mit.“
Sonea lächelte zufrieden.
„Allein wegen solcher Situationen werde ich dir deine Sturheit niemals austreiben“, bemerkte er, als sie auf den Flur traten.
Sonea lachte. Sie hatte ihm erlaubt, ihr alles abzuerziehen, was ihr Selbstbewusstsein störte. Aber sie wusste auch, dass er keine Freude mehr an ihr haben würde, wenn er ihr gewisse Eigenheiten außerhalb des Schlafzimmers abzugewöhnen versuchte.
Auf halbem Weg zum Bad kam ihnen Caria entgegen. „Hoher Lord, Lady Sonea“, brachte sie hervor und verneigte sich atemlos. „Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.“
„Danke, Caria“, erwiderte Akkarin. „Doch wir werden Lorlen mit ins Bad nehmen. Du kannst dich später um ihn kümmern.“
„Ja, Hoher Lord.“
„Sieh nach, wie weit Takan mit dem Frühstück ist, und geh ihm wenn nötig zur Hand.“
Ein Hauch von Rosa flog über ihre Wangen und sie zog sich zurück.
„Seltsam. Selbst wenn sie gerannt ist, hat sie es nie im Leben so schnell vom Dienerquartier hierher geschafft“, bemerkte Sonea.
„Weil sie schon hier war.“
„Wie das?“
Akkarin betrachtete sie amüsiert. „Du hast es noch nicht mitbekommen, nicht wahr?“
Sie schüttelte verwirrt den Kopf. „Was?“
„Caria und Takan haben ein gemeinsames Interesse jenseits des Wohls der beiden Magier, denen sie dienen.“
Sonea starrte ihn an. „Und das sagst du mir erst jetzt? Caria ist meine Amme!“
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Ich sehe keinen Grund, wieso sich ihre Gefühle negativ auf ihre Aufgabe auswirken würden.“ Er senkte die Stimme. „Zudem ist Takan die Sache offenkundig unangenehm. Du warst bereits eine Weile in Yukai, als es mir auffiel. Er hat sich zurückgehalten, als fürchte er, ich würde ihre Beziehung verbieten wollen. Die arme Caria war deswegen völlig am Ende. Ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass er tun und lassen kann, was er will, sofern er darüber seine Arbeit nicht vernachlässigt. Andernfalls wären er und Caria für den Rest ihres Lebens wie zwei hungrige Limeks umeinander herumgeschlichen.“
„Aber …“, begann Sonea verwirrt. „Sie streiten doch andauernd.“
Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr konnte sie sich jedoch für diese Idee erwärmen. Caria hatte ihr eigenes Kind bei der Geburt verloren. Es würde ihr guttun, eine Beziehung zu haben. Zudem würde sie dann ebenfalls in die Residenz ziehen und konnte helfen, Lorlen und das zweite Baby aufzuziehen.
Erheitert legte Akkarin einen Arm um ihre Schultern. „Manche Paare brauchen Reibungspunkte, um ihre Beziehung spannend zu halten. Neben meinem Wunsch nach einem willigen Spielzeug und jemandem, der mir wenn nötig Einhalt gebietet, ist das ein weiterer Grund, warum ich deine Sturheit so schätze.“
Sonea schnaubte leise. „Ob Takan das auch so sehen wird?“
„Er ist viel zu sanftmütig, um eine Beziehung wie die unsere für sich und Caria überhaupt in Erwägung zu ziehen, Sonea. Zumindest, solange es nicht ums Kochen geht. Vielmehr würde Caria ihn herumscheuchen.“
Sonea lachte. „Das kann ich mir wiederum sehr gut vorstellen!“
„Damit wäre das Ergebnis eindeutig.“ Administrator Osen löste seinen Blick von den unter der Decke schwebenden Lichtkugeln. Fast alle hatten sich rot gefärbt, einige waren jedoch weiß geblieben. Regin hatte so eine Ahnung, wessen Lichtkugeln das waren.
„Lord Regin ist unser neues Oberhaupt der Krieger.“
Einige Magier applaudierten. Nach und nach stimmten weitere mit ein. Zögerlich. So als wollten sie Regin diesen Triumph nicht gönnen. Wenn er ehrlich zu sich war, dann war dieses Gefühl auch vorher schon nicht dagewesen.
Die Wahl war nur eine durch Regeln vorgegebene Formalität gewesen. Es war üblich, dass wenn ein höherer Magier in den Ruhestand ging oder starb, dessen Assistent das Amt übernahm. Gab es keinen Assistenten, so wurde unter den Magiern nach einem Nachfolger gesucht. Dies wäre auch geschehen, hätte weniger als die Hälfte der Magier für Regin als Balkans Nachfolger gestimmt.
Regin wusste, er hatte die Wahl nur auf Grund Balkans hoher Meinung gewonnen. Und weil sein ehemaliger Mentor ihn während der letzten beiden Jahre auf diesen Tag vorbereitet hatte. Durch die Bloßstellung des Dorfheilers und seiner Novizin hatte er einen Großteil seiner Beliebtheit eingebüßt, während andere Magier ihn vermutlich für zu jung und unerfahren hielten.
Damit schmeckte dieser Sieg schal.
Es liegt an mir, ihnen zu beweisen, dass ich dieser Aufgabe würdig bin, dachte Regin. Balkan hätte gewollt, dass ich ihm alle Ehre mache. Er hätte nicht gewollt, dass ich versage, so wie mein Onkel es getan hat.
„Lord Regin, nehmt Ihr die Wahl an?“
Regin schluckte und sah zur Empore, wo er von nun an zwischen Lady Vinara und Lord Peakin sitzen würde. Acht Augenpaare starrten ihn erwartungsvoll an, doch es war Osen, dessen Blick Regin standhielt.
„Ja, Administrator“, sagte er.
Falls das den Administrator freute, so zeigte er es nicht. Wahrscheinlich hat er nur Balkan geschätzt und hält mich für eine Katastrophe, fuhr es Regin durch den Kopf.
„Ihr werdet neue Roben erhalten. Am nächsten Ersttag werdet Ihr Lord Balkans Apartment beziehen.“
„Ich danke Euch, Administrator“, erwiderte Regin und neigte den Kopf. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, doch es war kein angenehmes Gefühl.
Osen schlug auf seinen Gong und erklärte die Gildenversammlung für beendet. Roben raschelten, als die Magier sich von ihren Plätzen erhoben und zum Ausgang strömten. Die höheren Magier stiegen von der Empore herab und kamen auf Regin zu.
Lady Vinara war die Erste. „Ich gratuliere“, sagte sie. „Möget Ihr Balkan ein würdiger Nachfolger sein.“ Für Regin bedeutete das so viel wie ’ein würdigerer Nachfolger als Eurer Onkel’.
„Auf eine gute Zusammenarbeit“, wünschte Peakin.
„Ich freue mich, einen weiteren Vertreter von Ordnung und Disziplin in unserer Runde begrüßen zu dürfen“, erklärte Jerrik, während Osen und Lady Kinla ihm eher kühl ihre Glückwünsche aussprachen. Damit war er vermutlich der einzige.
Dann fand Regin sich einem schon etwas betagten Magier in Alchemistenroben gegenüber. Rothen.
„Es heißt, jeder bekommt, was er verdient“, sagte der Alchemist. „Und auch wenn ich nicht der Meinung bin, dass Ihr diesen Posten verdient habt, so hoffe ich, dass die neuen Aufgaben Euch erwachsen werden lassen.“
Glaub mir, dafür habe ich in so ziemlich jeder anderen Hinsicht bekommen, was ich verdiene, dachte Regin trocken.
„Ich werde mir jede erdenkliche Mühe geben“, versprach er. „Allein Balkan zuliebe.“
Lord Rothen hob nur fragend die Augenbrauen und machte Platz für die übrigen Gratulanten.
Zuletzt waren Sonea und ihr unheimlicher Mann an der Reihe. „Meinen Glückwunsch“, sprach Akkarin. „Ihr werdet Eure neuen Aufgaben als herausfordernd und zuweilen undankbar empfinden, doch Ihr werdet daran wachsen.“
„Ich danke Euch, Hoher Lord“, erwiderte Regin. „Auch für Eure Unterstützung.“
Sonea war weniger diplomatisch. „Ich bin bereit, dir eine Chance zu geben und dir zu glauben, wenn du sagst, dass du deine neuen Aufgaben meistern wirst. Aber glaube nicht, ich würde dir nicht das Leben zur Hölle machen, wenn du deine Macht ausnutzt oder in die Fußstapfen deines Onkels trittst.“
Der Hohe Lord warf ihr einen Blick zu, der sowohl Erheiterung als auch eine gewisse Strenge ausdrückte.
„Dann wird mir nichts passieren“, sagte Regin ein charmantes Lächeln aufsetzend. „Bevor ich den Respekt der Magier verliere, weil ich mich von dir in der Arena verprügeln lasse, sehe ich lieber zu, dass ich mein Wort halte.“
„Den Respekt musst du dir erst einmal verdienen.“
„Ja“, sagte Regin nur.
„Komm, Sonea“, sagte Akkarin. „Verderben wir Lord Regin nicht seinen Triumph. Zudem wartet in der Residenz Arbeit.“
Sonea nickte. Als sie zu ihrem Mann aufsah, funkelten ihre Augen und Regin ahnte, sie führten nebenbei eine private Unterhaltung über ihre Blutjuwelen.
„Also Regin“, sagte sie. „Wir sehen uns spätestens zur nächsten Besprechung der höheren Magier.“
„Einen schönen Tag noch, Hoher Lord und Lady Sonea“, wünschte Regin. Dann legte Akkarin eine Hand zwischen die Schulterblätter seiner kleinen, kratzbürstigen Frau und führte sie nach draußen.
Einen leisen Neid verspürend sah Regin ihnen nach. Das war es, was er auch wollte. Und was ihm mit der Frau, die er liebte, auf immer verwehrt bleiben würde.
Vor der Gildehalle wartete eine grüngewandete Gestalt. Trassia.
„Ich nehme an, du hast nicht auf mich gewartet, um mir deine Glückwünsche auszusprechen?“, fragte Regin mit einem Blick auf ihre Miene.
Sie schüttelte den Kopf. „Wie fühlt es sich an, deinen Traum erfüllt zu sehen, während du alles andere verloren hast?“
Ihre Worte versetzten Regin einen Stich. Er befand, es war besser, sich nichts anmerken zu lassen. „Wie fühlt es sich an, nicht die Frau des Oberhauptes der Krieger zu sein?“
„Überraschenderweise gut.“ Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, sich dann jedoch eines Besseren besann. „Regin, eigentlich sollte ich dir alles Gute wünschen, aber das kann ich nicht. Was auch immer du tust, es wird mich die nächsten beiden Jahre nicht mehr kümmern.“
„Warum?“, fragte Regin das Schlimmste ahnend.
„Weil ich zu den Verrätern gehe. Mit Indria.“
Regins Herz setzte einen Schlag aus. „Aber warum?“, brachte er hervor.
„Weil es mein Wunsch ist.“
„Hast du meinen Antrag deswegen abgelehnt?“
„Lady Vinara hat mir heute Morgen ihre Zustimmung gegeben.“
„Und warum dann?“
„Weil ich mit einem Mann wie dir nicht verheiratet sein will.“
Mit diesen Worten wandte sie sich ab und schritt davon. Regin wartete, bis ihre Schritte verhallt waren, und ging zum Ausgang. Ich habe sie endgültig verloren, konnte er nicht aufhören zu denken. Er hätte es wissen müssen, doch ein absurder Teil von ihm hatte sich nach ihrer Abfuhr im Heilerquartier an die Hoffnung geklammert, dass diese Wahl etwas ändern würde. Dass sie zu den Verrätern ging, zog ihm jedoch den Boden unter den Füßen weg. Zwei Jahre! Das war eine halbe Ewigkeit! Was, wenn sie sich in der Zwischenzeit in einen Mann der Verräter verliebte und entschied, dort zu bleiben? Jemand, der ein besserer Mensch war als er.
Und Regin begriff, dass es nichts gab, was ihm Trassia zurückbringen würde.
Du kommst so nach deinem Vater! Und nach deinem Onkel! Ich dachte, du wärst anders … dass du dich geändert hättest.
Flavia erwartete ihn in seinem Wohnzimmer in der düsteren Wohnung im Erdgeschoss des Magierquartiers. Nur noch wenige Nächte, dann kann ich endlich umziehen, dachte Regin. Luzille würde in den nächsten Tagen zu Verwandten in der Stadt ziehen, da sie offenkundig entschieden hatte, in Kyralia zu bleiben. Wahrscheinlich würden sie und Sonea ihre wöchentlichen Sumikränzchen fortsetzen und über Männer lästern. So gesehen war es gut, dass Luzille die Gilde verlassen würde.
„Mylord“, begrüßte seine Dienerin ihn mit einer Verneigung. „Ich gratuliere zu Eurem neuen Posten.“
„Danke“, erwiderte Regin. „Wie hast du so schnell davon erfahren?“
„Vorhin kam jemand, um Euch neue Roben zu bringen. Ich habe sie in Euren Schrank gehangen. Und“, sie deutete auf den festlich gedeckten Esstisch, „Euer Festmahl ist fast fertig.“
„Obwohl du erst seit wenigen Minuten davon weißt?“
„Ich wusste, Ihr würdet die Wahl gewinnen.“ Mit einem anzüglichen Lächeln trat sie vor. „Jetzt seid Ihr noch imposanter.“
„Dann solltest du mich erst in meinen neuen Roben sehen.“ Regin schritt zum Schlafzimmer und öffnete seinen Kleiderschrank. Dort hingen mehrere rote Roben mit schwarzer Schärpe feinsäuberlich aufgehangen. Seine alten Roben waren verschwunden. Rasch wechselte er in das neue Gewand. Als er ins Wohnzimmer zurückgehen wollte, stand plötzlich Flavia hinter ihm.
Sie hatte ihre Uniform ausgezogen und stand in dem rosafarbenen Etwas vor ihm, das Regin im hintersten Winkel seines Kleiderschranks verstaut hatte. Wie hatte sie es gefunden?
„Ihr seht tatsächlich noch imposanter aus, Mylord“, brachte sie hervor.
Die hauchfeine Spitze spannte sich verheißungsvoll über ihren Brüsten und Regin konnte die zartrosa Knospen darunter sehen. Es hätte Regin gefallen müssen. Aber es war falsch.
Flavia machte einen Schritt auf ihn zu, wollte ihn küssen, doch er schob sie von sich.
„Was ist, Mylord?“, fragte Flavia verstört.
„Ich kann das nicht mehr, Flavia.“ Regin musste sich zwingen, sie anzusehen. Er wollte kein Feigling sein. „Ich bin jetzt Oberhaupt der Krieger. Ich kann dieser Verantwortung nur gerecht werden, wenn ich mich wie ein Erwachsener verhalte. Doch das kann ich nicht, wenn ich mich mit einer Frau über eine andere hinwegtröste.“
Flavia betrachtete ihn verstört. „Aber das macht mir nichts aus, Mylord.“
„Ich benutze dich nur.“ Regin spürte, wie sich etwas in ihm verhärtete. In einer raschen Bewegung riss er ihr das Nachthemd vom Leib. Wo ihn der Anblick wenige Augenblicke zuvor erregt hatte, konnte er ihn jetzt nicht mehr ertragen. „Ich benutze jede Frau. Sogar die, die ich liebe. Das hier fortzuführen, ist dir gegenüber nicht fair.“
„Heißt das, Ihr schickt mich fort?“
Regin betrachtete sie. Er wollte sie in seinem Bett. Jede Nacht. Mit ihr konnte er Dinge tun, mit denen Trassia nicht einverstanden gewesen wäre. Und doch hatte er auch Trassia irgendwie benutzt. Er war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt fähig war, zu lieben. Aber wenn er Flavia behielt, um für ihn zu kochen und sein Apartment sauber zu halten, dann tat er weder ihr noch sich selbst einen Gefallen. Denn solange sie am selben Ort verweilten, solange würden sie einander begehren.
„Ja“, sagte er hart. „Genau das heißt es.“
Die trockenen Blätter in den Baumwipfeln raschelten in einer lauen Spätsommerbrise und die Quelle plätscherte leise vor sich hin. Es war der letzte Tag der Ferien und Dorrien hatte es bis dahin aufgeschoben, die Sache endgültig zu machen. Er hatte Vianas Hand genommen und sie hierher geführt. Ohne Wein, ohne Delikatessen und ohne Früchte.
Und das war die richtige Entscheidung gewesen.
Viana stand vor ihm, in Tränen aufgelöst, die blonden Zöpfe hingen leblos herab, und Dorrien beschlich das ungute Gefühl, eine erneute Dummheit begangen zu haben.
„Du kannst nicht fortgehen“, sagte sie. „Was soll dann aus mir werden?“
Behutsam nahm Dorrien ihr Gesicht zwischen beide Hände und wischte die Tränen fort. „Du wirst dein Studium beenden, ohne von mir abgelenkt zu sein. Du wirst sehen, die Zeit wird schneller vergehen, als du denkst. Zu deinem Abschluss bin ich zurück und dann wird uns nichts mehr trennen.“
„Was, wenn dir etwas passiert? Es ist immerhin Sachaka, wohin du gehst.“
„Mach dir keine Sorgen, kleine Viana.“ Dorrien lächelte so zuversichtlich, wie es ihm angesichts dieser Aussicht möglich war. „Es herrscht jetzt Frieden und für den Notfall bekomme ich einen Speicherstein und Rothens Waffen. Außerdem werde ich in Begleitung einer Verräterin unterwegs sein. Mir wird nichts passieren.“
Das schien sie zu beruhigen. Trotzdem wirkte sie nicht glücklicher als zuvor.
„Was ist?“, fragte er sanft.
„Warum, Dorrien? Warum tust du das? Mein Vater hat dir verziehen. Warum kannst du nicht in das Dorf gehen, das die Gilde dir als Alternative angeboten hat? Wir würden uns immerhin sehen, wenn du Lady Vinara Bericht erstattest.“
„Weil man manchmal fortgehen muss, um zu sich selbst zu finden.“
Sie betrachtete ihn verständnislos.
„Viana, ich will mein Leben mit dir verbringen. Aber mein Vater hat recht. Ich bin weder in der Lage, Verantwortung zu übernehmen, noch bin ich in irgendeiner Form erwachsen. Meine einzigen Qualitäten bestehen darin, ein guter Heiler zu sein und dieses Wissen zu vermitteln. Ich muss das tun. Für mich, für uns. Damit du den Mann bekommst, den du verdienst.“
Die Tränen rannen noch immer über ihr Gesicht. Der Schmerz in ihren Augen traf Dorrien wie ein Dolch ins Herz. Andere Frauen hätten ihm an dieser Stelle eine Szene gemacht. Aber nicht Viana. Sie war stärker als das.
Wenn er Imardin am nächsten Tag verließ, dann würde er erst wieder zu Vianas Abschlussfeier zurückkehren. Lady Vinara war einverstanden, dass er bis dahin als Heiler durch Sachaka reiste. „Ihr seid der Erste, der sich freiwillig meldet“, hatte sie gesagt. „Und ich würde Trassia und Indria lieber in der Zuflucht sehen.“
So wie Dorrien das strenge Oberhaupt der Heiler kannte, war sie erleichtert, ihn dort zu wissen, wo er weder ihr noch Viana Ärger bereiten konnte. Und vielleicht hoffte auch sie, dass er endlich erwachsen wurde.
„Werde ich erfahren, wie es dir geht?“
„Briefe wären unpraktisch, da ich viel umherreisen werde. Es wäre möglich, sie an das Haus der Verräter in Arvice zu schicken, doch es kann Wochen bis Monate dauern, bis sie mich erreichen. Aber“, Dorrien lächelte schief, „der Hohe Lord hat mir ein Blutjuwel gegeben. Jeder Gildenmagier, der sich in Sachaka aufhält, muss eines tragen. Er hat eingewilligt, dass wir hin und wieder direkt darüber kommunizieren, wenn ich ihm Bericht erstatte.“
„Also hast du ihm verziehen?“
Eine Grimasse schneidend nickte Dorrien. „Ich fürchte, das alles war meine Schuld. Er hat richtig gehandelt, ich wollte es nur nicht wahrhaben.“
Sein erster Fehler war gewesen, Viana trotz seiner persönlichen Gefühle zu seiner Novizin zu machen. Sein zweiter Fehler war gewesen, sein Versprechen gegenüber dem Hohen Lord nicht zu halten. Dieser schien Dorrien die Sache jedoch nicht nachzutragen und hatte Dorriens Entschuldigung mit einem Nicken akzeptiert, bevor er ihm das Blutjuwel überreicht hatte. Dorrien hatte begriffen, dass seine mangelnde Verantwortung schon angefangen hatte, als er Viana nicht in die Obhut eines anderen Magiers gegeben hatte. Weil er nicht erwachsen genug für eine solche Aufgabe war. Weil er nicht erwachsen genug war, die Novizin von der Geliebten zu trennen.
Vianas tironussbraune Augen blickten ihn groß und rund an.
„Ich muss lernen das, was ich liebe, loszulassen“, fuhr Dorrien fort. „Nur dann werde ich eine verantwortungsbewusste Beziehung führen können.“ Er strich die Konturen ihrer Brauen nach. „Verstehst du jetzt, warum ich fortgehen muss?“
Viana nickte traurig. „Also ist das kein Abschied für immer“, folgerte sie.
„Nein, kleine Viana.“ Dorrien beugte sich zu ihr herab und küsste sie. „Niemals. Und deswegen habe ich etwas für dich.“ Er zog einen kleinen Lederbeutel aus seiner Robe und öffnete ihn. Darin befand sich ein winziger Ring, den er über Vianas schlanke Finger streifte.
„Dieser Ring ist zugleich ein Versprechen“, sagte er. „Ein Versprechen, dass ich zurückkommen und dich zu meiner Frau nehmen werde. Die Gilde kann mir die Aufsicht über dich entziehen, aber sie kann uns nicht auseinanderbringen. Und auch Sachaka wird uns nicht auseinanderbringen. Aber wenn ich zurückkomme, dann werde ich den Segen unserer Väter verdient haben.“
Viana begann erneut zu weinen. „Oh Dorrien!“, rief sie und fiel ihm um den Hals. „Ich werde liebend gern deine Frau!“
Dorrien hielt sie fest, strich über ihren Rücken und wappnete sich für seine nächsten Worte. Schließlich schob er sie mit einem tiefen Atemzug von sich.
„Ich werde nie aufhören, dich zu lieben, kleine Viana. Aber wenn du dich in den nächsten Jahren in einen anderen verliebst, dann werde ich das akzeptieren.“
Sie erstarrte und schüttelte heftig den Kopf. „Das wird nicht passieren, Dorrien. Es ist nicht passiert, als du im Krieg warst, obwohl ich Loken für eine Weile sogar fast in Betracht gezogen hätte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Zukunft passiert.“
„Vielleicht nicht“, sagte Dorrien. „Aber manchmal ist das der Lauf der Dinge. Ich habe die letzte Frau, die ich geliebt habe, nicht freigegeben. Es hat mich einige qualvolle Jahre gekostet. Ich werde denselben Fehler kein zweites Mal machen.“
Er verschwieg, was dies mit dem Tod seiner Mutter zu tun hatte. Es genügte, wenn er sich selbst darüber im Klaren war, wie sehr ihm das sein Leben erschwert hatte. Das bloße Wissen war erleichternd und befreiend und Dorrien wusste, er war nun endlich dabei, sein Leben auf den richtigen Weg zu lenken. In diesem Wissen fiel ihm der Abschied leicht, auch wenn er nicht weniger schmerzhaft war.
Die nächsten drei Jahre würden für ihn und Viana nicht leicht werden. Aber wenn er je eine reife Beziehung führen wollte, dann musste er das tun.
„Mein König, Ihr habt mich rufen lassen?“ In einer fließenden Bewegung warf Ivasako sich im Raum des Meisters, der nun Ishaka gehörte, zu Boden.
„Ja. Steht auf und kommt mit.“
Nichts an Ishakas Stimme ließ darauf schließen, dass er erst vor wenigen Tagen den Thron bestiegen hatte. Irgendwie lag das Talent zu führen in seinem Wesen. Wo andere mit Gewalt herrschten, verschaffte er sich mit seiner Autorität Respekt. Er war Marika nicht unähnlich. Er war nur ruhiger und besonnener.
Der Palastmeister kam auf die Füße und folgte seinem neuen König in dessen Arbeitszimmer. Rotgoldenes Licht fiel durch die großen Fenster und trotz der lauen Brise, die in den Raum strömte, war die Luft behaglich warm.
„Ivasako, setzt Euch“, sagte Ishaka auf einen gepolsterten Hocker vor dem Schreibtisch deutend. Sofort eilte ein Sklave mit einem zweiten Hocker herbei und stellte ihn so, dass Ishaka dem Palastmeister gegenübersitzen konnte. Ivasako nahm Platz mit Yakari zu seinen Füßen. Von irgendwo erschien eine Sklavin mit zwei Weinkelchen, reichte Ivasako den einen und kniete sich dann zu Ishakas Seite.
„Wenn Ihr wünscht, kann Euch ein Sklave bedienen“, sprach der König. „Doch ich nehme an, so ist es Euch lieber.“
„Ja, mein König“, erwiderte Ivasako überrascht über so viel Informalität. Doch so eng. wie sie die vergangenen Monate über zusammengearbeitet hatten, war es vermutlich angemessen.
„Ich habe Euch rufen lassen, weil ich einige Dinge mit Euch zu besprechen habe, Ivasako“, begann Ishaka ohne Umschweife.
„Ich hoffe, es geht nicht um die Finanzen des Palasts?“
„Nein. Auch wenn mich die momentane Situation nicht erfreut, so vertraue ich Eurem Können, dass sich der Palast davon bald erholt.“
„Es liegt am Krieg, mein König“, sagte Ivasako.
„Ich weiß. Die Einnahmen sollten sich in den nächsten ein bis zwei Jahren verbessern.“
Der Palastmeister nickte. „Ich bin zu derselben Ansicht gelangt.“
Lächelnd streichelte Ishaka über die Halsbeuge seiner neuen Sklavin. „In der nächsten Woche wird sich entscheiden, wen die Verräter als meinen fünften Berater schicken“, sagte er. „Ich hoffe, es macht Euch nichts aus, dass dies eine Frau ist.“
Ivasako schüttelte den Kopf. „Frauen haben oft andere Ansichten und ihre Meinung ist daher überaus wertvoll“, sagte er. „Wusstet Ihr, dass Marika sich oft Rat bei Ienara eingeholt hat, bevor er mich oder Euch und die anderen Berater gefragt hat?“
Ishaka wirkte nur mäßig überrascht. „Seine erste Lieblingssklavin?“
„Genau die. Und ich erinnere mich an eine gewisse andere Lieblingssklavin, die mir geholfen hat, die Steuereinnahmen des Palasts zu verbessern und für eine größere Gerechtigkeit im Steuersystem gesorgt hat.“
„Ich erinnere mich“, sagte Ishaka trocken. „Sie mag unseren letzten König getötet haben, aber ihr Körper und ihre Unterwürfigkeit sind nicht das Einzige, das an ihr schätzenswert ist.“
Ivasako spürte, wie ein vertrauter Zorn in ihm aufstieg, und schob ihn beiseite. Es war nicht die Zeit für Vergeltung. Aber sie würde kommen.
„Nein, das waren nicht ihre einzigen Vorzüge.“
„Ich frage mich“, sagte Ishaka, „ob die Verräter wirklich einen ihrer Leute erwählen müssen oder ob sie nicht von einer Frau mit Verstand vertreten werden könnten. Ihr sagtet Ienara hätte Marika oft beraten. Sie ist intelligent, sie könnte diese Aufgabe übernehmen.“
Das war etwas, womit Ivasako nicht gerechnet hatte. Ienara hatte nicht einmal zu den Verrätern gehen wollen, als diese Chance sich ihr geboten hatte. Bei der Vorstellung scheiterte er jedoch hoffnungslos.
„Euer Angebot ehrt mich, mein König“, sagte er. „Doch ich weiß nicht, ob das in ihrem Sinne wäre.“
„Fragt sie. Ansonsten könnte ich mir Mivara gut in dieser Rolle vorstellen.“
„Mivara?“, entfuhr es Ivasako. „Verzeiht mir, mein König. Doch sie ist Tarkos Bettsklavin!“
Ishaka lachte leise. „Sie ist viel mehr als das.“ Seine Hand schloss sich beinahe zärtlich um den Nacken seines neuen Spielzeuges. „Sie hat viel bewirkt, um den Krieg gegen Kachiros Anhänger zu unseren Gunsten zu wenden und die Zusammenarbeit mit jenen Verrätern zu stärken, mit denen wir nun ein gemeinsames Ziel verfolgen.“
„So weit ich weiß, hat sie Tarko verlassen.“
„Und so weit ich weiß, ist sie noch in Arvice. Sie würde sich hervorragend für diesen Posten eignen, während die Verräterin, der sie untersteht, ein wenig jähzornig ist, wie ich mir habe sagen lassen.“
„Wenn Ihr Mivara zu Eurer Beraterin macht, wird das einen Skandal auslösen“, warnte Ivasako.
„Vielleicht. Doch angesichts der Tatsache, dass die Gesetze für Sklaverei nun schärfer sind und die Sklaven dank der Verräter mehr Mitspracherechte haben, wäre das ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Wenn auch ein sehr revolutionärer.“
„Ich frage mich, ob das alles in Marikas Interesse gewesen wäre“, überlegte Ivasako laut.
„Die Gesetze zur Lockerung der Sklaverei waren es gewiss ebenso wenig wie das Mitwirken der Verräter“, sagte Ishaka. „Doch wenn Ihr damit nicht einverstanden seid, steht es Euch frei, mich zu meucheln. Es würde mich jedoch wundern, wenn Ihr das tätet, weil ich weiß, dass Ihr mit Marika in diesem Punkt niemals einer Meinung wart. Ihr mögt sein Andenken höher halten, als jeder andere Sachakaner, doch zugleich wünscht Ihr Euch mehr Gerechtigkeit und bessere Bedingungen für die Sklaven.“
„Das tue ich“, sagte Ivasako. „Verzeiht, meine Direktheit mein König. Doch warum tut Ihr das? Erhofft Ihr Euch davon einen politischen Vorteil?“
„Nein.“ Ishaka trank einen Schluck Wein und drehte das Glas in seinen Händen. „Der Eindruck mag entstehen, da ich selbst zutiefst konservativ in dieser Hinsicht bin. Doch ich muss einsehen, diesem Land damit keinen Gefallen zu tun. Tatsächlich war es Sonea, die mich daran erinnert hat, was passieren kann, wenn Sklaven zu schlecht behandelt werden. Dieses System hat lange Zeit funktioniert, doch das konnte es nur, weil Sachaka entweder ein riesiges Imperium oder isoliert vom Rest der Welt war. Dieses Land kann jedoch nur zu dauerhaftem Wohlstand und Frieden gelangen, wenn es sich dem Rest der Welt öffnet. Und dazu müssen wir uns in gewissem Maße anpassen.“
Damit wäre Marika gewiss nicht einverstanden gewesen. Aber Ivasako durfte nicht nur daran denken, was sein Meister gewollt hätte, sondern was Sachaka brauchte. Und in dieser Hinsicht waren er und Ishaka sich einig. Sein Gewissen bezüglich Marika blieb indes ruhig. Sie hatten getan, was Marika auch getan hätte, hätte er sich einem ebenbürtigen Feind gegenübergesehen. Und selbst wenn Marika anders gehandelt hätte, so hätte er Sachaka niemals zugunsten eines sinnlosen Krieges in den Ruin getrieben.
Dank seines eigenen und Ashaki Tarkos Handeln waren die Ashaki über den Machtwechsel und die mit der Gilde und den Verrätern eingegangenen Kompromisse weniger verärgert, als der Palastmeister befürchtet hatte. Wenn man Takiro Glauben schenkte, dann begrüßten viele die Veränderung sogar. Und auch an den neuen Gesetzen zur Sklaverei gab es weniger Protest als erwartet. Die meisten Stadt-Ashaki pflegten ihre Sklaven gut, wenn auch selten respektvoll zu behandeln. Auf dem Land sah die Situation dagegen anders aus, doch die Verräter würden für die Einhaltung der Gesetze sorgen.
Die neuen Gesetze zum Haushalt eines Ashaki, der ohne einen Erben zu hinterlassen starb, sorgten für wenig Protest. Die Ashaki pflegten sich aufzuregen, wenn ihnen etwas genommen wurde, das ihnen rechtmäßig zustand, doch sie hatten oft keine Verwendung für so viel zusätzliche Sklaven und selten wurden alle benötigt, um ein zweites Anwesen instand zu halten.
„Ich gedenke, mir eine Cachira zuzulegen“, riss der König ihn aus seinen Gedanken. „Zu Unterhaltungszwecken versteht sich. Nach Saris Tod wäre etwas anderes nicht angemessen. Zudem sollte ich mich als König mit meiner Frau präsentieren. Ich nehme an, es wäre in Ienaras Sinne, die Cachira zu leiten und zu beaufsichtigten.“
Also war die Sklavin zu seinen Füßen nichts als ein Spielzeug. Es hätte Ivasako jedoch gewundert, hätte Ishaka so schnell einen Ersatz für Sari gefunden. Ivasako bezweifelte, dass eine andere Sklavin Sari jemals ersetzen konnte.
„Ich bin sicher, das wird sie freuen“, sagte er. „Wo sollen sie wohnen?“
„Das wollte ich mit Euch besprechen.“ Gedankenverloren zog Ishaka den Kopf seiner Sklavin zu sich und strich über ihr Haar. „Ich dachte daran, sie im Haus der Cachira wohnen zu lassen. Es ist groß genug und bietet genug Platz. Da ich sie nur zu Unterhaltungszwecken brauche, wäre das ausreichend.“
„Es gibt genug leerstehende Zimmer im Palast, die umgebaut werden könnten“, sagte Ivasako.
„Ich will die Mädchen nicht im Palast haben. Doch Ihr als Palastmeister könntet eine halbe Etage für Euch, Ienara und Euren kleinen Assistenten erhalten, wenn Ihr das wünscht. Oder ich lasse Euch ein Haus im Palastgarten errichten. Das Haus des Palastmeisters. Wäre das angemessen?“
Ivasako dachte über die Worte des anderen Mannes nach. Es ehrte ihn, dass Ishaka ihm ein eigenes Haus auf dem Palastgelände errichten lassen wollte, doch er war nicht sicher, ob er das annehmen konnte.
Du bist zu bescheiden, Ivasako, hörte er die Stimme seines Meisters in seinem Kopf. Wie so oft hatte Marika damit recht gehabt. Doch er war ein Sklave gewesen. Wie konnte er nicht bescheiden sein?
„Falls es Euch bei der Entscheidungsfindung hilft, so hätte ich ein weiteres Angebot an Euch, Ivasako“, sprach Ishaka.
Überrascht sah Ivasako auf. Was würde jetzt kommen?
„Ich habe einige in Magie unterwiesene Sklaven, die mir seit Jahren treue Dienste leisten. Doch habe ich das Gefühl, das Ihr mir in den vergangenen beiden Jahren zu einer Art Freund geworden seid. Wir haben nicht nur dieselben Ziele, ich würde Euch mein Leben anvertrauen.“ Seine Augen begegneten denen Ivasakos. „Ich würde mich freuen, würdet Ihr Euch bereit erklären, mein neuer Leibwächter zu sein.“
Ivasako öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Er war überwältigt und von Furcht erfüllt zugleich.
„Als mein Leibwächter wäre es mir lieber, würdet Ihr im Palast wohnen“, fuhr Ishaka fort. „Ich würde Euch eigene Sklaven zuteilen, sofern Ihr Sklaven wollt. Solltet Ihr mit meinem Führungsstil nicht mehr einverstanden sein und mich meucheln wollen, so würde Euch dies auch ohne das gelingen. Nein, ich frage Euch, weil ich Euch schätze und weil ich das Gefühl habe, dass wir beide eine gute gemeinsame Basis haben. Es ist nur ein Angebot. Ich werde Euch nicht schlechter betrachten, wenn Ihr es ablehnt.“
„Euer Angebot ehrt mich, mein König“, erwiderte der Palastmeister. „Doch ich muss mir dies durch den Kopf gehenlassen. Nachdem ich gescheitert bin, Marika mit meinem Leben zu beschützen, weiß ich nicht, ob ich das noch einmal verantworten kann.“
„Jeder wäre an Eurer Stelle gescheitert“, sprach Ishaka. „Ihr standet unter dem Einfluss einer starken Schlafdroge. Wie sehr Ihr es auch gewollt habt, Ihr hättet nichts für Euren Meister tun können.“
„Das versuche ich mir auch immer wieder zu sagen.“
„Ich verstehe, dass Euch die Entscheidung nicht leichtfällt. Nehmt Euch so viel Zeit wie Ihr wollt. Ich freue mich, wenn Ihr zusagt, doch ich erwarte nicht, dass Ihr es tut.“
Ivasako warf sich zu Boden. „Ich stehe in Eurer Schuld, weil Ihr mir dieses Angebot überhaupt unterbreitet, mein König“, sprach er.
„Nach allem, was wir beide in den vergangenen Monaten vollbracht haben, erschien es mir angemessen.“ Ishaka bedeutete ihm, aufzustehen „Ihr mögt es nicht glauben, doch ich halte sehr viel von Euch Palastmeister. Wärt Ihr nicht so bescheiden und würde Eure Herkunft dem nicht widersprechen, so wärt Ihr selbst ein guter König geworden.“
„Ich habe genug Einfluss auf den Herrscher dieses Landes, dass ich dieser Ehre nicht bedarf.“ Ivasako leerte seinen Weinkelch und stellte ihn auf den Boden. „Falls das alles war, so würde ich mich gerne zurückziehen.“
„Selbstverständlich. Ihr seid entlassen.“
Ivasako schritt zum Zugang.
„Da wäre noch eine Sache, Palastmeister.“
Ivasako wandte sich um.
„Ja, mein König?“
„Lange Zeit konnte ich mir keinen Reim darauf machen, woher die Auslieferungsforderungen an die Gildenmagier kamen. Als ich erstmals in Yukai davon erfuhr, habe ich jedoch mitgespielt, weil es mir gelegen kam.“
Ivasako spürte, wie ihm heiß und kalt zugleich wurde.
„Ihr habt diese Briefe geschrieben, nicht wahr?“
„Ja, mein König.“ Ivasako schluckte. „Es steht Euch frei, mich zu bestrafen.“
Der König von Sachaka winkte ab. „Mich interessiert nur, warum Ihr das getan habt.“
„Um die Gildenmagier nicht vergessen zu lassen.“
Ishaka betrachtete ihn nachdenklich, dann lächelte er. „Eine geruhsame Nacht, Ivasako.“
Der Palasthof lag in tiefen Schatten, als Ivasako aus dem großen Eingangsportal trat. Über den Stufen hing noch immer ein Rest der Wärme des Tages, doch als er den offenen Hof erreichte,wurde die Luft rasch kühler. Und wieder einmal geht der lange Sommer zu Ende, dachte er. Doch dieses Mal wird es zum ersten Mal seit drei Jahren wieder ein gutes Ende sein.
Sachaka würde sich erholen und zu neuer Blüte gelangen, so wie Marika sich das gewünscht hatte. Es würde Frieden herrschen und das Leben der Sklaven würde sich verbessern.
Es hätte zu schön sein können, um wahr zu sein. Wäre da nicht eine Sache, die kein gutes Ende gefunden hatte.
Alles rächte sich irgendwann. Und wenn es an der Zeit war, dann würde Ivasako endlich seine Rache nehmen. Er würde einen Weg finden. Und er hatte auch schon ein paar Ideen, wie er seine Pläne in die Tat umsetzen konnte.
Mit diesem Gedanken stieg der die Stufen zur Cachira hinauf und trat ein.
Ienara lag auf einem Diwan und las in einem Buch. „Er hat dich lange dabehalten“, bemerkte sie, als Ivasako ihr einen Kuss gab.
„Nun, es gab viel zu besprechen.“ Ivasako ließ sich am anderen Ende des Diwans nieder und legte ihre Füße auf seinen Schoß.
„Wirst du mir auch erzählen, worum es dabei ging?“
„Ishaka hatte mehrere Ideen, die dich betreffen.“
„Oh“, machte Ienara. „Er will mich doch hoffentlich nicht in seiner neuen Cachira? Ich bin viel zu alt für ihn.“
„Das nicht, aber etwas so ähnliches“, erwiderte Ivasako lachend. „Er will sich eine kleine Cachira rein zu Unterhaltungszwecken zulegen und er würde sich freuen, wenn du dich um die Mädchen kümmerst.“
„Das wäre wunderbar. Doch ich muss darüber nachdenken. Es ist zwei Jahre her, dass ich zuletzt eine Cachira beaufsichtigt habe und jetzt habe ich zudem dich und Jorika. Das geruhsame Leben wäre vorbei.“
„Nun, du würdest mit mir leben und sie tagsüber unterrichten“, sagte Ivasako. „Oder würdest du lieber die Interessen der Verräter vertreten wollen?“
„Wie soll ich denn das tun? Ich habe keinerlei Verbindungen zu diesen Leuten. Ich heiße einige ihrer Aufgaben gut, doch wenn ich mit ihnen zusammenarbeiten wollte, so hätte ich mich damals den Mädchen angeschlossen.“
„Das habe ich Ishaka auch gesagt. Er ist nur der Meinung, eine Sklavin oder jemand, die das einst war, würde sich für diese Aufgabe besser eignen. Er und die Große Mutter werden sonst eine andere Kandidatin finden.“
„Dann sollen sie das tun“, sagte Ienara. „Sicher meint Ishaka das als nette Geste, doch ich eigne mich nicht dafür.“
„Du bist sehr intelligent. Ohne deinen Rat wären wir heute vielleicht nicht hier.“
„Ich war mein Leben lang eine Sklavin, Ivasako. Ich denke noch immer so. Und ich kann schlecht Gerechtigkeit durchsetzen, wenn ich selbst immer ein erfülltes und glückliches Leben hatte. Aber“, sie lächelte und ihre mandelförmigen Augen funkelten, „ich wäre glücklich, dich weiterhin mit meinem Rat zu unterstützen. Damit lenke ich die Geschicke des Reiches mehr als gut für mich ist.“
Ivasako betrachtete sie erheitert. „Ist das dein letztes Wort?“
Sie nickte feierlich. „Und jetzt erzähl mir, was er noch von dir wollte“, verlangte sie.
Für einen Moment schob Ivasako seine Rachepläne beiseite.
„Ah“, machte er. „Das wirst du nie für möglich halten!“
Fragen zum Kapitel
Wie findet ihr die Lösung, die Sonea für ihre Familie findet?
Könnte sich zwischen Luzille und Farand wirklich etwas anbahnen?
Habt ihr damit gerechnet, dass Asara doch noch große Mutter wird? Was haltet ihr von ihren ersten Entscheidungen?
Was haltet ihr von Dorriens Erkenntnis bezüglich seiner Verlustängste? Wie kommt es, dass Rothen nach diesem Gespräch noch einmal mit Dannyl sprechen will? Was glaubt ihr, kommt dabei raus?
Habt ihr damit gerechnet, dass Trassia nach Sachaka geht? Oder dass Regin Flavia fortschickt?n Was steckt dahinter?
Und habt ihr damit gerechnet, dass Ivasako die Auslieferungsforderungen geschrieben hat?
Das hier ist das letzte Kapitel, aber noch nicht das Ende der Geschichte. In zwei Wochen folgt noch der Epilog, in dem noch eine Überraschung auf euch wartet. Und in vier Wochen dürfen sich alle Dorrien-Fans über das Bonuskapitel mit den rausgestrichenen Szenen freuen.
Ganz lieben Dank an Black Glitter, Lady Alanna und Emmi für die Reviews zum letzten Kapitel <3
Viel Spaß beim Lesen!
***
Kapitel 51 – Neue Wege beschreiten
Das Pflaster auf der Nordstraße glänzte noch von dem vorherbstlichen Regenguss, der am Morgen niedergegangen war. Wasser spritzte aus einer Pfütze, als eine Kutsche Sonea und ihren Begleitern auswich. Die Passanten auf der anderen Straßenseite schimpften lautstark und machten rüde Gesten, die der Fahrer der Kutsche mindestens ebenso rüde erwiderte.
Sonea verkniff sich ein Lächeln. Ja, sie war wieder zuhause.
„Das ist nicht der Weg zum Markt“, sagte Jonna. „Dazu hätten wir in die andere Richtung gehen müssen.“
„Richtig“, sagte Sonea.
„Sonea, wo führst du uns hin?“, fragte Ranel. „Als du vorhin plötzlich vor der Tür standest, dachten wir, du wolltest uns besuchen, nachdem du so lange fort warst. Und jetzt scheuchst du uns durch die Stadt? Was sollen wir im Nordviertel?“
Sonea wandte sich um. „Oh, ihr werdet schon sehen.“
„Meine Füße tun weh!“, klagte Hania. „Müssen wir noch weit laufen?“
„Nein, es ist nicht mehr weit.“ Sonea hob das kleine Mädchen hoch. „Und ich kann dich den Rest des Weges tragen. Auch wenn du ganz schön schwer geworden bist.“
„Sie ist dieses Jahr ziemlich gewachsen“, sagte Jonna stolz. „Mit dem Geld, das du uns schickst, können wir besseres Essen besorgen und unser Geschäft läuft auch recht gut.“
„Damit hat sie gute Chancen, größer als ich zu werden“, bemerkte Sonea.
„Ja, groß werden!“, krähte Hania.
„Aber du wirst immer kleiner bleiben als ich“, sagte ihr Bruder.
„Kerrel, du wirst immer älter als deine Schwester sein. Aber wer von euch beiden größer wird, werdet wir erst sehen, wenn ihr ausgewachsen seid“, sagte Jonna streng. „Also keinen Streit deswegen.“
„Du hast deine Kinder gut unter Kontrolle“, bemerkte Sonea. „Ich wünschte, ich könnte so streng mit Lorlen sein. Er ist einfach zu süß.“
„Er braucht eine sanfte Mutter, da er bereits einen strengen Vater hat“, entgegnete Jonna. „Und wenn du mit ihm trotzdem nicht klarkommst, sag mir bescheid.“ Ihr Blick fiel auf Soneas Bauch, der sich unter ihrer Robe abzeichnete, als ihr ein Windstoß entgegenkam „Ganz besonders, wenn ihr bald zwei Kinder habt. Es ist wichtig, dass ihr beiden viel Liebe zukommen lasst, ohne dass eines sich vernachlässigt fühlt.“
„Natürlich, Tante Jonna“, brummte Sonea. Ihre Tante sollte nicht denken, sie habe ihr Kind nicht im Griff oder würde an einem zweiten scheitern.
„Wie alt ist Lorlen jetzt?“, fragte Jonna. „Ein Jahr?“
„Ja.“
„Kann er endlich laufen?“
„Ja.“
Jonna nickte wie zu sich selbst. „Dann wird es nicht mehr lange dauern, bis er schwierig wird.“
„Warum?“, verlangte Sonea zu wissen.
„Kinder wollen entdecken. Jetzt, wo er laufen kann, wird er noch mehr entdecken wollen, weil er mehr Möglichkeiten hat.“
Das verhieß nichts Gutes für die nächsten Jahre. Doch Sonea war sicher, sie und Akkarin würden das irgendwie schaffen.
Sie atmete innerlich auf, als die Straße einen Knick machte, und sie vor einem Haus, dessen Fassade ein wenig schmuckloser als die der anderen Häuser in der Straße war, hielten, und das Thema Kinder vorerst beendet war. Im Obergeschoss waren zwei kleine Türmchen, das schiefhängende Schild über dem Ladenfenster schaukelte im Wind hin und her. Davor wartete ein Mann in der Kleidung eines Kaufmanns.
„Wir sind da“, sagte Sonea.
Ihre Tante und ihr Onkel sahen sich um. „Was soll hier sein?“
Sonea wies auf das Haus vor ihnen. „Wir haben hier eine Verabredung.“
„Und wer ist dieser Mann?“, fragte Ranel.
„Das“, sagte Sonea. „Ist Berryl von Torar, Haus Korin.“
„Er ist aus einem Haus?“, entfuhr es Jonna.
„Ja“, antwortete Sonea. „So wie Akkarin. Nur, dass er kein Magier ist. Er ist Makler.“
Inzwischen hatte der Mann sie erblickt. „Guten Tag, Lady Sonea“, grüßte er und verneigte sich unterwürfig.
„Berryl von Torar“, erwiderte Sonea. „Darf ich Euch meine Tante Jonna und meinen Onkel Ranel mit ihren beiden Kindern Kerrel und Hania vorstellen?“
„Sehr erfreut“, erwiderte Berryl und neigte den Kopf. „Ihr seid also die Leute, die diese wunderbare Lady großgezogen haben.“
Jonnas Wangen färbten sich rosa. „Ach, so viel Erziehung war bei ihr gar nicht nötig“, winkte sie ab.
„Dann muss es in der Familie liegen.“
Das Rosa vertiefte sich zu einem kräftigen Rot. Sonea bedeckte ihren Mund mit einer Hand und wandte sich ab.
„Nun, denn“, sagte Berryl. „Vielleicht sollten wir einfach nach drinnen gehen.“
Sonea lächelte. „Eine gute Idee.“
Der Makler zog einen großen Schlüsselbund aus seiner Tasche und sperrte die Tür auf. „Tretet ein“, forderte er sie mit einer Geste in den dunklen Flur auf.
Sonea schuf eine Lichtkugel und sandte sie nach drinnen. „Geht vor“, sagte sie zu ihrer Familie.
Mit Gesichtern, auf denen sich Neugier und Verwirrung widerspiegelten, betraten Jonna und Ranel das Haus. Sonea und Berryl folgten ein wenig langsamer.
„So ein großes Haus“, hörte sie Kerrels andächtiges Flüstern. „Ich war noch nie in einem so großen Haus! Das ist so wild!“
„Und jetzt?“, fragte ihre Tante, als sie sich im Empfangsraum versammelt hatten. „Das Haus ist ja ganz leer!“
„Sein Besitzer hat es verkauft, um ins Südviertel zu ziehen“, sagte Sonea.
„Also ist es nicht Euer Haus?“, fragte Ranel den Makler.
„Ich verkaufe es nur weiter.“
Sonea seufzte. „Seht euch doch einfach um. Schaut euch den Laden an. Die Küche und die privaten Räume sind im Obergeschoss. Es gibt sogar einen Keller.“
Ihre Tante bedachte sie mit einem vielsagenden Blick, dann nickte sie. Kerrel und Hania hatten bereits die Treppe entdeckt und waren ins Obergeschoss gelaufen. Sonea konnte das Getrappel ihrer kleinen Füße hören, als sie durch die Zimmer liefen. „Da! Ma! Kommt hoch! Das müsst ihr sehen!“
„Wir kommen!“, rief Ranel und erklomm ächzend die Stufen.
Obwohl Sonea das Haus schon besichtigt hatte, folgte sie ihnen in einigem Abstand. „Was meint Ihr?“, fragte Berryl, während sie Jonna und Ranel folgten. „Werden sie es nehmen?“
„Wenn sie es nicht wollen, dann nehme ich es“, antwortete Sonea.
Die Augen des Mannes weiteten sich. „Was wollt Ihr mit einem Stadthaus, Mylady?“
Auf der obersten Stufe hielt Sonea inne. Zu ihrer Erheiterung war Berryl jetzt mit ihr auf Augenhöhe. „Es vermieten.“
Über das Gesicht des Mannes huschte ein Lächeln. „Ich verstehe.“
Sie fand ihre Familie an dem großen Fenster im vorderen Dachgiebel versammelt. Kerrel und Hania waren auf die niedrige Fensterbank geklettert und bestaunten das Treiben auf der Straße. „Also was sagt ihr?“, fragte sie.
Jonna bedachte sie mit einem finsteren Blick, die Arme vor der Brust verschränkt. Es war indes Ranel, der sprach. „Dieses Haus ist groß, gut gearbeitet und in gutem Zustand. Es ist nicht übermäßig luxuriös, aber es ist sehr viel luxuriöser als das Haus, in dem wir wohnen.“
„Aber?“
„Es ist zu teuer, Sonea.“
„Wer hat gesagt, dass ihr es kaufen sollt?“, fragte sie. „Das Haus gehört euch, wenn ihr wollt. Hier oben könnte euer Wohnzimmer sein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Unten könntet ihr einen Laden eröffnen, in dem ihr eure Dienste anbietet. Ranel müsste mit seinem schlimmen Bein nicht mehr zu den Kunden laufen. Und“, fügte sie hinzu, „den Kindern gefällt es.“
„Trotzdem, Sonea“, sagte ihre Tante. „Das können wir nicht annehmen.“
„Ich schenke es euch.“
Jonna verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein!“, sagte sie überraschend schroff. „Du hast genug für uns getan. Wir sind glücklich, wo wir leben. Es ist schon demütigend genug, dass du uns jeden Monat etwas Geld schickst. Wir werden kein Haus von dir annehmen.“
„Jonna“, sagte Sonea geduldig. „Mein Geld bedeutet mir nichts. Das hat es noch nie. Ich lebe in der Gilde, ich habe Robenpflicht. Ich habe keinen Nutzen davon. Aber wenn ich es verwenden kann, um etwas Gutes zu tun, dann bedeutet mir das alles.“
„Es gibt tausende Hüttenmenschen, denen es schlechter geht.“
Sonea verdrehte die Augen. Musste sie jetzt auch mit ihrer Tante die Diskussion führen, die sie einst mit Rothen geführt hatte? „Ich kann mit meinem Geld entweder nur vielen kurzzeitig helfen, oder wenigen langzeitig. Der König und die Gilde tun bereits viel, um die Situation im Äußeren Ring zu verbessern. Aber denkt doch einmal an euch. Ihr werdet nicht jünger. Wollt ihr mit Ranels schlimmem Bein den Rest eures Lebens in einem Haus leben, in dem es zieht und bei Dauerregen feucht wird? Und was ist mit euren Kindern? Wollt ihr ihnen nicht ein gutes Leben bieten?“
„Wenn sie in ein paar Jahren zur Gilde gehen, wird es ihnen gutgehen.“
„Das wird noch mehr als zehn Jahre dauern.“
„Wir werden nicht immer in diesem Haus bleiben. Es ist besser als die meisten Hütten, aber wir werden etwas Besseres finden.“
Entnervt breitete Sonea die Arme aus. „Das hier ist etwas Besseres!“
„Aber wir können es nicht annehmen“, wiederholte ihre Tante.
Hilfesuchend warf Sonea einen Blick zu ihrem Onkel. „Und was hast du dazu zu sagen?“
Ranel seufzte. „Sonea, glaub nicht, deine Tante und ich wissen deine Geste nicht zu schätzen. Doch das ist zu viel. Wir können das nicht annehmen.“
Sonea schob ihr Kinn vor. „Doch, das könnt ihr.“ Sie wandte sich zu Berryl. „Ich nehme es.“
„Aber was willst du damit, Kind?“, fragte Jonna. „Denkst du, wir ziehen hier ein, nur weil du es gekauft hast?“
Sonea begegnete dem Blick ihrer Tante. „Nein. Ihr werdet hier einziehen, weil ihr mir Miete zahlen werdet.“
„Aber …“, begann ihre Tante erneut.
„Kommt jetzt bloß nicht auf die Idee, dass das auch an eurem Stolz kratzt“, sagte Sonea streng. Sie hätte das Haus so oder so gekauft. Aber sie hätte es ihrer Familie lieber geschenkt. „Es wird nicht viel sein. Wenn der Laden richtig läuft, werdet ihr das Geld doppelt und dreifach wieder reinholen. Zahlt es mir irgendwann zurück oder lasst es bleiben, es ist mir egal.“
Protestierend öffnete Jonna den Mund.
Beschwichtigend legte Ranel einen Arm um ihre Schultern. „Sie hat recht“, murmelte er. „Wir sollten diese Chance annehmen.“
„Hm“, machte Jonna. „Aber die Sturheit kann sie nur von ihrem Vater haben.“
Sonea schnaubte leise und drehte sich wieder zu Berryl. „Ihr habt sie gehört.“
Berryl nickte. Er löste mehrere Schlüssel von seinem Schlüsselbund und reichte sie Ranel. „Ich gratuliere Euch zu dieser Entscheidung“, sagte er.
***
Fast fünfzehn Jahre waren vergangen, seit Rothen für einen Novizen eine kleine Abschlussfeier in seinem Apartment veranstaltet hatte. Farand hatte nun endlich seine Magierroben und Rothen hatte jeden eingeladen, zu dem der junge Elyner in irgendeiner Weise ein freundschaftliches Verhältnis pflegte. Darunter die beiden Alchemisten Genel und Jarend und den Krieger Dayend. Und natürlich Sonea mit ihrem Mann und Dannyl und den Mann, den sich als dessen Gefährten vorzustellen Rothen noch immer schwerfiel.
Auf Farands Bitte hatte er auch Luzille eingeladen.
„Ein wenig Zerstreuung könnte ihr guttun“, hatte Farand erklärt. „Außerdem ist sie sehr nett.“
Obwohl Rothen annahm, dass ein Teil von Luzilles Friedfertigkeit von ihrer Trauer rührte, hatte er nachgegeben. Die junge Elynerin war eigenwillig und herrisch, aber sie hatte auch ein gutes Herz. Der Gedanke, sie mit ihrem Leid allein zu lassen, war Rothen unerträglich. Er wusste, Sonea und ihre Freundin Trassia kümmerten sich um sie, doch sie konnten nicht andauernd für sie da sein. Seit der Trauerfeier hatte jedoch auch Farand begonnen, Zeit mit ihr zu verbringen. Rothen hatte die beiden hin und wieder bei einem Spaziergang durch den Park gesehen.
„Sie erinnert mich an meine Schwester“, hatte er Rothen anvertraut. „Kaslie ist noch immer nicht über den Tod ihres Mannes hinweg und ich kann nichts für sie tun, außer Briefe zu schreiben. Aber für Luzille kann ich etwas tun.“
„Nun, jetzt wo du deinen Abschluss hast, könntest du für ein paar Wochen nach Elyne fahren und sie besuchen“, hatte Rothen erwidert. „Das Verbot, die Gilde zu verlassen, wurde aufgehoben.“
„Vielleicht werde ich den Winter dort verbringen. Doch im Augenblick kann ich mehr für Luzille tun.“
Und tatsächlich wirkte Luzille weniger blass und elend, als noch zwei Wochen zuvor. „Ich habe entschieden, noch eine Weile in Kyralia zu bleiben“, teilte sie ihnen mit, als Tania das Dessert servierte. „Ich habe entfernte Verwandte in der Stadt, bei denen ich vorerst wohnen werde.“
Als Nichtmagierin musste Luzille das Magierquartier verlassen, doch die Gilde hatte ihr erlaubt, solange dort zu wohnen, wie sie brauchte, um ihre Angelegenheiten zu regeln.
„Das ist wunderbar!“ Sonea nahm ihr Dessertschälchen entgegen. „Trassia und ich würden dich sonst sehr vermissen.“
„Ich kann doch nicht unsere wöchentlichen Sumikränzchen aufgeben“, erwiderte die junge Elynerin mit einem schiefen Lächeln. „Auch wenn dieses Land so unglaublich konservativ und prüde ist, so habe ich hier inzwischen mehr Freunde als in Elyne.“ Ihr Blick huschte flüchtig zu Farand, der ihr ein scheues Lächeln schenkte. „Und dann ist da noch meine Arbeit im Krankenhaus.“
„Aber solltest du eines Tages doch entscheiden, in deine Heimat zurückzukehren, so wäre das in Ordnung“, sagte Sonea. „Zumal der Hohe Lord dann einen weiteren Grund hätte, sein Versprechen einzulösen und ein paar Wochen dort mit mir zu verbringen.“
„Du solltest aufpassen, was du dir wünschst, Sonea“, sagte Akkarin.
Die beiden tauschten einen überaus intimen Blick. „Oh, ich weiß sehr gut, was ich will.“
„Elyne ist ein sehr schönes Land“, sagte Dannyl.
„Und der Wein erst“, fiel Tayend ein. „Meine Schwester besitzt ein großes Weingut. Ihr Wein wird sogar an den Hof zu Capia verkauft. Er ist wirklich hervorragend.“ Er hob sein Glas. „Nichts gegen Anurischen Dunkelwein.“
„Aber es gibt so viel mehr zu sehen“, fügte Dannyl hinzu. „Wenn du Bücher magst, solltest du unbedingt die Große Bibliothek aufsuchen und Capia muss man gesehen haben. Es ist eine atemberaubende Stadt.“
„Und die Landschaft ist unglaublich idyllisch. In den Bergen gibt es alte Ruinenstädte von Kulturen, die mehr als eintausend Jahre alt sind.“
„Ich kann dir nur empfehlen, einmal dorthin zu reisen. Du wärst überrascht, was dieses Land alles zu bieten hat.“
Nicht nur du, dachte Rothen. Der Gedanke, dass Dannyl eine heimliche Liebesbeziehung mit seinem Assistenten führte, war noch immer gewöhnungsbedürftig. Wann immer er die beiden zusammen sah, konnte er in ihnen nicht mehr seinen Freund, den Auslandsadministrator, und dessen Assistenten sehen. Er sah ein Paar, das er seltsamer nicht hätte finden können. Aber es war da. In jedem gesprochenen Wort, jeder noch so kleinen Geste und in jedem Blick, den die beiden tauschten.
Ich war so unglaublich blind, dachte er. Dabei ist es so offensichtlich, wenn man es weiß.
„Meine Mutter stammt aus Elyne“, erzählte Lord Jarend. „Als Kind war ich einmal in dem Ort, in dem sie aufgewachsen ist. Liebliche Weinberge, kleine lichte Wälder und nur ein Stück weiter das Meer. Wäre ich noch mit Trisha verlobt, so hätte ich den Sommer mit ihr dort verbracht.“
„Du hast etwas Besseres verdient, als Lady Trisha“, gab Farand zurück.
„Sie ist nicht so ein Biest wie Veila es war“, verteidigte Genel seinen Freund.
Sonea hüstelte in ihr Wasserglas und tauschte einen wissenden Blick mit Rothen. Während Jarend und Genel einst ihr nachgestellt hatten, hatten Trisha, Veila und Genels Frau Yannia ihr das Leben schwergemacht, weil sie es auf Akkarin abgesehen hatten. Sie waren wie Soneas einstige Verehrer in Rothens Vertiefungskurs gewesen und hatten kurz vor Beginn des Krieges ihren Abschluss gemacht, wobei sie einander nähergekommen waren.
Manchmal war es bemerkenswert, wie die Dinge sich änderten. Und es war bemerkenswert, wie klein die Gilde war.
„Wo wir schon beim Thema Biester sind“, begann Luzille so schnippisch, wie sie nur war, wenn das Gespräch auf einige ausgewählte Personen kam. „Ich hoffe doch sehr, dass ihr alle bei der Gildenversammlung nicht für Lord Regin stimmen werdet. Mein Mann mag große Stücke auf ihn gehalten haben, aber in dieser Hinsicht lag er schlichtweg falsch.“
„Oh nein“, murmelte Farand. „Das wird die erste Gildenversammlung, bei der ich etwas zu sagen habe. Nicht, dass meine Stimme die Gilde ins Verderben stürzt!“
„Das schafft die Gilde auch ohne dich“, murmelte Rothen.
„Solange du nicht Regin wählst, machst du alles richtig“, fügte Luzille hinzu.
„Luzille!“, entfuhr es Sonea.
„Oh komm schon, Süße! Du kannst mir nicht erzählen, dass du ihm seine Stimme geben wirst, nach allem, was er sich in der letzten Zeit geleistet hat.“
„Was glaubst du?“, gab Sonea zurück.
„Ohne Lord Regin hätten wir die Schlacht am Nordpass nicht so gut überstanden, nachdem es Balkan getroffen hatte“, sagte Dayend. „Man kann über ihn sagen, was man will, doch seine kriegerischen Fähigkeiten sind bemerkenswert.“
„Es wäre mir lieber, hätte es ihn getroffen, anstatt meinen armen Bovar“, sagte Luzille hart und Rothen kam nicht umhin, ihre Meinung zu teilen.
„Das verspricht, eine spannende Gildenversammlung zu werden“, bemerkte Dannyl. „Die Frage, wer Oberhaupt der Krieger wird, hat das Potential, die Gilde ähnlich zu spalten, wie einige gewisse Veränderungen es nach der Invasion der Ichani taten.“
„Da habt Ihr absolut recht, Auslandsadministrator“, stimmte Luzille zu.
„Und das, obwohl Euer Mann damals Hoher Lord war?“, fragte Tayend.
Die junge Elynerin hob die Schultern. „Nun, wir alle wissen, wer die besseren Kompetenzen für dieses Amt besitzt“, erwiderte sie mit einem Blick zu Akkarin. „Dieses eine Jahr war das Schlimmste in unserer Ehe.“
Sonea unterdrückte ein Gähnen. Der Hohe Lord leerte sein Glas und erhob sich. „Meine Frau und ich werden uns nun zurückziehen“, sagte er. „Ich wünsche allen eine gute Nacht.“
Sonea erhob sich ebenfalls. „Danke für die Einladung, Rothen.“ Sie sah in die Runde. „Habt noch einen wunderschönen Abend. Ganz besonders du, Farand.“ Sie lächelte, aber Rothen konnte die Müdigkeit hinter ihrem Lächeln sehen.
Er lächelte zurück. „Dann schlaf gut“, sagte er. „Wir sehen uns bei der Gildenversammlung.“
Sonea schnitt eine Grimasse. „Erinnere mich nicht daran.“
„Die Gilde hat ein Talent dafür, sich in ihr eigenes Unglück zu stürzen“, bemerkte Luzille, woraufhin die anderen drei Elyner bestätigend nickten. „Zu schade, dass ich kein magisches Potential besitze. Sonst hätten hier einige sehr bald nichts mehr zu lachen.“ Sie zwinkerte Sonea zu. „Schlaf gut, Süße.“
„Mit Euch würden einige Diskussionen sehr viel kürzer ausfallen, was so manche Entscheidung beschleunigen würde.“ Akkarin legte eine Hand zwischen Soneas Schulterblätter und nickte Luzille und den anderen zu.
Kaum, dass sich die Tür hinter den beiden schwarzen Magiern geschlossen hatte, erhoben sich auch die anderen von ihren Plätzen.
„Ihr wollt schon gehen?“, fragte Rothen überrascht.
„Yannia erwartet mich zurück“, antwortete Genel und Dayend sagte: „Ich gebe gleich zur ersten Stunde eine Doppelstunde in der Arena.“
„Krankenhaus“, erklärte Luzille. Sie leerte ihr Weinglas und lächelte. „Aber es war ein wunderschöner Abend. Ich bin froh, dass ich kommen durfte.“
Rothen winkte ab. „Bedankt Euch bei Farand“, erwiderte er, woraufhin Farand der Elynerin ein scheues Lächeln schenkte.
„Ich bringe Euch noch zu Eurem Quartier“, erklärte Rothens ehemaliger Novize und stand auf.
„Wenn sich da nicht etwas anbahnt“, murmelte Dannyl, als die beiden fort waren.
Mit einem Mal bemerkte Rothen, dass er mit Dannyl, seinem Gefährten und Viana zurückgeblieben war.
„Wie kommst du darauf?“, fragte er.
„Ich komme nicht oft her, Rothen. Aber es würde mich sehr wundern, wenn Farand aufgehört hätte, so verschlossen zu sein. Und Luzille blüht auf, obwohl die Beerdigung ihres Mannes noch nicht lange her ist.“
„Luzille ist unverwüstlich.“
„Du glaubst doch nicht etwa, sie würde nur wegen ihrer Freundinnen und ihrer Arbeit im Krankenhaus in Kyralia bleiben!“, rief Dannyl.
„Nun“, begann Rothen unbehaglich und griff nach seinem Weinglas. „Vielleicht hast du recht. In der letzten Zeit habe ich zu häufig feststellen müssen, dass meine Menschenkenntnis mich immer wieder im Stich gelassen hat.“
Mit einem Mal wurde Dannyl sehr ernst. „Es tut mir leid, dass ich dazu beigetragen habe, alter Freund.“
Die Spannung im Raum wurde so unerträglich, dass Rothen überzeugt war, Tayend und Viana mussten sie ebenfalls spüren.
„Du kannst nichts dafür“, sagte er sich ein Lächeln abringend. „Du bist, wie du bist, Dannyl. Und ich bin so, wie ich bin. Das müssen wir akzeptieren.“
„Ja“, sagte Dannyl mit einem traurigen Lächeln. „Das müssen wir.“ Er schob seinen Stuhl zurück. „Ich denke, es ist besser, wenn ich nun gehe“, sagte und schritt zur Tür, gefolgt von Tayend. „Gute Nacht, Rothen.“
„Gute Nacht, Euch beiden“, zwang Rothen sich zu sagen. Es war nicht das erste Mal, dass Dannyl und sein Assistent nach einem gemeinsamen Abend zusammen verschwanden. Aber es war das erste Mal, dass Rothen anders darüber dachte. Warum, wenn es bei Sonea und Akkarin nicht seltsam war?
„Habt Ihr Euch mit Auslandsadministrator Dannyl gestritten?“
Rothen fuhr herum. Viana hatte ihren Pachisaft mit beiden Händen umschlossen, ihre braunen Augen blickten ihn scheu wie ein Jari an.
„So etwas in der Art“, sagte er ein Seufzen unterdrückend.
„Das tut mir leid. Er ist Euer bester Freund. Vielleicht solltet Ihr Euch einmal aussprechen.“
Ja, dachte Rothen. Das wäre wohl das Beste. Sobald ich es kann.
„Ich denke, es ist besser, wenn ich dann auch gehe“, sagte Viana. „Ich habe zwar Ferien, aber Lady Trassia nimmt mich morgen früh wieder mit ins Krankenhaus.“
„Dann will ich dich nicht aufhalten“, erwiderte Rothen, das Gefühl des Verlassenseins beiseiteschiebend. „Ich bringe dich noch zur Tür.“
Viana schenkte ihm ein scheues Lächeln und stand auf. Kaum, dass Rothen die Tür öffnen wollte, kam ihm diese entgegen. Eine grüngewandete Gestalt stand darin, die braunen Locken zerzaust, die Augen, die so blau wie die Rothens waren, erstrahlten in einem fiebrigen Glanz.
An Rothens Seite schnappte Viana leise nach Luft.
„Hallo, Vater“, sagte Dorrien. „Viana. Ich bin zurück.“
***
Obwohl Asara die ersten zwanzig Jahre ihres Lebens in der Zuflucht verbracht hatte, war sie in all dieser Zeit nur einmal in diesen Gemächern gewesen. Nachdem sie nach Arvice gezogen war, waren es immerhin ganze drei Mal gewesen. Und obwohl sie nun schon seit mehr als einer Woche in ihnen wohnte, fühlte sie sich darin noch immer wie ein Gast.
Ob ich mich je daran gewöhnen werde?, fragte sie sich. Sie ließ den Blick durch ihr Schlafgemach schweifen. Das aus Parraholz gefertigte Bett war beinahe noch größer als ihres in Arvice. Perfekt für heiße Liebesnächte und Spiele mit drei oder mehr Personen. Für eine einzelne Person war es indes viel zu groß. Sie fragte sich, ob Savedra dort mit anderen geschlafen hatte. Ihr ganzes Leben lang hatte Asara geglaubt, die Große Mutter hätte keine Männer gehabt und dass ihre Tochter Savara aus einer einmaligen Geschichte mit einem bei den Verrätern lebenden Mann entstanden war. Nach allem, was sie nun wusste, hätte Savedra in ihren Gemächern jedoch regelmäßig Cachikas mit mehreren Männern oder Frauen feiern können.
Oder mit Illara und Talaria.
Asara würde indes auf unbestimmte Zeit alleine schlafen. Sie hatte kein Interesse daran, sich einen Mann oder eine ihrer Schwestern ins Bett zu holen. Die einzige Person, mit der sie dieses Bett geteilt hätte, weilte noch immer in Arvice.
Es gab kaum etwas, wonach es Asara mehr verlangte, als Vikacha in die Zuflucht zu holen. Aber sie brauchte Vikacha in der Stadt, um das Netzwerk wieder aufzubauen. Auch wenn die Verräter nun offiziell an der Politik Sachakas Anteil hatten, konnten sie nicht auf die Informationen verzichten, die ihre Leute im ganzen Land sammelten. Sachaka existierte seit mehr als einem Jahrtausend in seiner gegenwärtigen Form und das war etwas, das sich so bald nicht ändern würde.
Aber ich werde Vikacha herbeordern, sobald ich kann.
Ihr Blick wanderte über die Pflanzen, die in Nischen in den Felswänden wuchsen, die Regale aus Parraholz und die großen Türen, die zum Balkon führten. Die Aussicht über das Tal war atemberaubend. Im Tal reihten sich Felder mit reifem Getreide an Gorin- und Reberweiden und die Weinreben auf den Nordhängen bogen sich unter der Last ihrer Früchte. In einem oder zwei Monaten würde sich das Laub verfärben und in einem weiteren Monat würde der erste Schnee die Hänge bedecken – etwas, das es in Arvice seit Jahrhunderten nicht mehr gegeben hatte, wenn man den Aufzeichnungen Glauben schenkte.
Seufzend wandte Asara den Blick ab und betrachtete ihre Garderobe. Sie hasste die langen, fließenden Gewänder, die Näherinnen für sie angefertigt hatten. Wer überhaupt hatte entschieden, dass die Große Mutter Kleider tragen musste?
Eine Grimasse schneidend stieg Asara in ihre hautenge Hose, streifte eine frische, weite Bluse darüber, die sie mit einem Gürtel auf der Taille raffte und schlüpfte in ihre Stiefel. Mit ihrem juwelenbesetzten Dolch und der feingliedrigen Kette auf ihrer Stirn fand sie sich imposant genug.
Dann verließ sie die Gemächer.
„Guten Morgen, Meisterin Asara“, wurde sie von zwei hellen Stimmen begrüßt, als sie auf den Flur trat.
„Es heißt Große Mutter oder meinetwegen auch Ehrwürdige Mutter“, korrigierte sie die beiden jungen Frauen, von denen Asara es aufgegeben hatte, sie zu unterscheiden, geduldig. „Oder einfach nur Asara. Aber nicht Meisterin.“
Die Zwillinge kicherten. „Aber Meisterin trifft es so viel besser“, sagte Mavara. „Besonders jetzt, wo du die Meisterin aller Verräter bist.“
„Und das macht dich noch ehrfurchtgebietender“, fügte ihre Schwester hinzu.
Asara widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. Sie war alles andere als ehrfurchtgebietend. Anstatt zum Morgenmahl, wählte Asara den Weg zum Hohen Zimmer. Es gab viel zu erledigen und zu organisieren. Die Zwillinge folgten ihr wie Schatten und Asara war dankbar, dass sie ausnahmsweise einmal nicht miteinander tuschelten.
Seit ihrer Rückkehr in die Zuflucht hatte sie eine unangenehme Aufgabe nach der nächsten erledigt. In der Versammlung, die noch am selben Abend stattgefunden hatte, war sie von ihren Schwestern zur neuen Anführerin gewählt worden. Am nächsten Tag hatten sie über Savedras Schicksal und das ihres überlebenden Schatten debattiert. Asara war die unerfreuliche Aufgabe zugefallen, die Frau, zu der sie so lange aufgesehen hatte, hinzurichten, weil ihre Schwestern einstimmig entschieden hatten, dass ihre Vergehen nur so bestraft werden konnten. Eine Wahrheitslesung Illaras hatte enthüllt, dass sie und Talaria von Savedras Plänen gewusst und sie diesbezüglich beraten hatten. Obwohl Illaras Anteil weniger schwer wog, waren alle sich einig gewesen, dass sie Savedra auch über den Tod hinaus ergeben genug war, als dass sie lebend und selbst mit blockierten Kräften eine zu große Gefahr darstellte. Takedo war derweil mit einer Eskorte auf dem Weg nach Arvice, um sich vor dem neuen König zu verantworten.
Vor dem Hohen Zimmer stellten sich die Zwillinge in zwei Nischen, wo sie warten würden, bis Asara den Raum wieder verließ. Noch waren sie keine höheren Magierinnen, doch Asara hatte erklärt, sie könnten bis zu ihrer Initialisierung zum nächsten Erntefest austesten, ob ihnen ihre Aufgabe als Leibwächterinnen zusagte. Asara hätte getrost auf zwei ihr überall hinfolgende Schatten – egal ob kichernd oder nicht – verzichten können, würde nicht erwartet, dass sie zwei Leibwächterinnen hatte. Also warum nicht zwei junge Frauen, die andernfalls auf ewig der Schrecken aller Männer in diesem Tal sein würden?
Varala und Lenyaka, betraten den Raum. Die Frauen, die ihnen folgten, kannte Asara indes nur flüchtig. Nachdem die Sprecherinnen der verschiedenen Regionen Sachakas in Yukai ums Leben gekommen waren, hatte Asara die Posten neu vergeben. Ishaka hatte ihnen als Dank für ihre Zusammenarbeit über das Land verteilt Anwesen zur Verfügung gestellt. Diese würden den Verrätern als Basis für ihre neue Arbeit und als Anlaufstellen für misshandelte Frauen dienen. Lenyaka vertrat in dieser kleinen Runde die neue Söldnergruppe, die ihre Dienste wie am Nordpass ausgehandelt, dem neuen Herrscher Sachakas zur Verfügung gestellt hatte.
„Anjiaka hört per Blutjuwel zu“, teilte Asara den Frauen mit, nachdem alle an dem großen Tisch Platz genommen hatten. „Also können wir beginnen. Und bitte lasst diesen grauenhaften Titel weg.“
Die anderen Frauen lachten nervös und Asara fragte sich, wie viel Zeit vergehen würde, bis sie sich an sie gewöhnt hatten. Die Rebellin sprach als Erste. „Asara, meine Leute und ich haben den Wunsch, wieder zu den Verrätern zu gehören. Wir sind bereit, uns deinen Regeln zu unterwerfen und deinen Befehlen zu gehorchen.“
Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Lenyaka diesen Wunsch aussprach. „Was gibt mir die Sicherheit, dass ihr euch nicht erneut gegen unsere Regeln auflehnt, sobald meine Entscheidungen nicht mehr in eurem Sinne sind?“, fragte Asara kühl.
Zu ihrer Befriedigung wurde Lenyaka nervös. „Als wir die Verräter verließen, lag dies an einigen Entscheidungen Savedras. Wir haben uns von unseren Schwestern gelöst, weil wir nicht in diesen Krieg involviert werden wollten und die damit verbundene Veränderung unsere Stellung gefährdet hätte.“
„Aber die Verräter sind noch immer mit der Gilde verbündet und haben den Vertrag mit dem König so weit geändert, dass wir nun offiziell aktiv in die Geschicke Sachakas eingreifen können“, sagte Asara. „Und ihr arbeitet nun für Ishaka. Um dies zu tun, müsst Ihr nicht unserem Volk angehören.“
„Der Krieg hat unsere Meinung geändert. Die Ereignisse in Yukai haben gezeigt, dass wir zusammenarbeiten sollten und dass der Feind oft dort lauert, wo man ihn am wenigsten erwartet. Wir wollen tun, was der schöne Gildenmagier von Anfang an vorgeschlagen hat: Die neuen Gesetze in Sachaka durchsetzen.“
Asara musterte ihre ehemalige Schwester. In Yukai hatten sie sich bei ihren wenigen privaten Begegnungen gut verstanden und auch davor hatte sie keinen Groll gegen Lenyaka oder eine der anderen Frauen, die von den Rebellen noch am Leben waren, gehegt. Doch sie war noch unsicher, ob sie ihrem Anliegen zustimmen sollte.
„Allein dafür, dass die Rebellen den Frieden in Yukai gestört und Schaden am Tempel angerichtet haben, sollte ich deine Bitte abweisen“, sagte sie hart. „Euretwegen hat das gute Verhältnis, das ich während der Konferenz zu Arikhai gepflegt habe, gelitten. Arikhai wird nicht begeistert sein, wenn ich euch wieder aufnehme.“
„Auch Arikhai unterlag einem Irrtum“, sagte Lenyaka. „Er wird verstehen, dass wir es auch taten.“ Ihr Blick wurde so bettelnd wie der eines Yeel-Welpen. „Bitte, Asara. Gib uns diese Chance. Die aggressivsten unserer Mitglieder sind tot. Wir haben Fehler gemacht, ja. Doch wir wollen wieder nach Hause. Wir werden versuchen, es wieder gutzumachen.“
Ich wäre eine schlechte Anführerin, würde ich ihren Wunsch ignorieren, dachte Asara ein Seufzen unterdrückend. Lenyaka und ihre Rebellen würden nicht die Ersten sein, denen sie verzieh.
„Savedra hat euch damals freigestellt, die Verräter zu verlassen“, sprach sie. „Doch seitdem ist viel geschehen. Ich werde über dein Gesuch nachdenken und Ishaka konsultieren, über eure Wiederaufnahme werden jedoch die Verräter abstimmen.“
Lenyaka senkte den Kopf. „Meine Schwestern und ich stehen in deiner Schuld, Asara.“
Asara nickte. „Nachdem Lenyakas Anliegen vorerst geklärt wäre, will ich die neusten Entwicklungen in Arvice diskutieren. Denn diese sind von noch größerer Bedeutung als die Rückkehr unserer abtrünnigen Schwestern.“
Die anderen beugten sich neugierig vor.
„König Ishaka hat die ersten am Fort der Kyralier beschlossenen Gesetze erlassen“, teilte sie den anderen mit. „Die Gesetze zur Sklavenhaltung wurden verschärft. Damit verlagert sich unsere Hauptaufgabe vom Befreien von Sklaven zur Überwachung ihres Wohls. Sklaven, die sich uns anschließen wollen, dürfen von ihren Meistern nicht davon abgehalten werden. In den nächsten Wochen werde ich vermehrt mit ihm darüber sprechen, wie dies im Detail aussieht.
„Während ich Ishaka vertraue, vertraue ich den Ashaki jedoch umso weniger. Deswegen muss das Netzwerk erhalten und an seinen Schwachpunkten gestärkt werden. Daher brauchen wir weiterhin Leute, die im Geheimen operieren. Doch zunächst möchte ich die Posten für unsere offiziellen Standorte verteilen.“ Ihr Blick fiel auf Lenyaka. „Wie wäre es? Eine deiner Schwestern in den Roten Hügeln, eine in Arvice und eine dritte in den fruchtbaren Regionen?“
Lenyakas Augen weiteten sich. „Sollte das dein Wunsch sein, so werden wir uns dem beugen.“
Asara nickte. „Warten wir ab, was die Abstimmung bringt. Sollte es dazu kommen, werde ich Ishaka neue Söldnerinnen zur Verfügung stellen.“ Mit einem süffisanten Lächeln lehnte sie sich zurück. „Und jetzt möchte ich euch von einem persönlichen Erfolg berichten.“
„Oh?“, machte Varala.
„Als Anjiaka im Frühjahr in die Stadt kam, haben wir eine Informantin, die nach der Schlacht von Arvice von einem Stadt-Ashaki aufgegriffen, und als Sklavin in dessen Haushalt geriet, durch eine List bei Ashaki Tarko eingeschleust. Wir hatten mehrere Kandidaten zur Auswahl, doch sie wollte unbedingt zu ihm. Tarko sammelt hübsche Sklavinnen wie andere Enrasa-Karten. Schon bald waren die beiden so besessen voneinander, dass er sie überall hin mitnahm. Leider flog sie auf, als sie half, unsere Leute bei der Schlacht in den fruchtbaren Regionen zu retten. Für einige Wochen wussten wir nicht, ob sie überhaupt noch lebt, doch dann stellte sich heraus, dass sie noch immer bei Tarko ist und die beiden sind anscheinend überglücklich.“
„Also spioniert sie jetzt weiter für uns?“
Asara schüttelte den Kopf. „Ich habe Anjiaka erklärt, dass sie Mivara dort herausholen soll, weil sie ansonsten einen herben Verlust für unser Volk darstellt.“ Sie machte eine Pause und sah ihre Schwestern an. „Mivara ist vorläufig bei Anjiaka untergekommen, nachdem sie zur Vernunft gekommen ist. Sie wird dort bleiben, bis in der Stadt alles geregelt ist und Anjiaka mit ihren Leuten das neue Anwesen bezogen hat. Dann wird sie mit Vikacha herkommen und sich zur Magierin ausbilden lassen.“
„Es passiert nicht oft, dass eine Verräterin sich wieder umstimmen lässt, hat sie sich erst einmal freiwillig einem Ashaki unterworfen“, bemerkte Varala. „Dass Mivara diese Stärke besitzt, spricht sehr für sie.“
Asara nickte. Sie war erleichtert, dass Mivara zu ihnen zurückgekehrt war. Auch wenn sie nach ihren Gesprächen mit Sonea nachvollziehen konnte, was ihre Informantin an dem Ashaki fand. Ob sie es geschafft hat?, fragte Asara sich, an ihre neue Freundin denkend. Sie würde es spätestens, wenn sie in die Gilde reiste, um das neue Bündnis offiziell zu besiegeln und Akkarin ein Blutjuwel zu überreichen, herausfinden.
„Doch wo wir schon bei Mivara und Vikacha sind“, fuhr sie zu ihren Schwestern gewandt fort. „Es ist an der Zeit, einige Regeln zu ändern. Wenn die Ashaki sich mäßigen, dann müssen wir es ihnen gleichtun. Nur so können wir einander näherkommen und Groll begraben.“
„Und was schwebt dir da vor?“, fragte Lenyaka.
Asara lächelte. Ihre Entscheidung würde für einen Aufschrei sorgen. Aber sie war längst überfällig. „Ich will, dass wir anfangen, Männer in niederer Magie zu unterweisen. Mit der Option, sie auch höhere Magie zu lehren.“
***
Obwohl der Herbst allmählich näher rückte, war es noch einmal richtig heiß geworden. Die Sonne brannte von einem gnadenlos blauen Himmel und die Luft flimmerte in den Straßen von Imardin. In den Bergen vergaß er oft, wie heiß die Sommer in der Stadt waren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Luft in der Flussmündung feucht und schwül wurde und die ersten Gewitter die Stadt heimsuchten, bevor es für einige Tage abkühlte und die Hitze zurückkehrte. Der Baum, unter dem die Parkbank auf der er sich niedergelassen hatte, stand, spendete indes angenehmen Schatten.
Das Knirschen von Kies erklang. Eine kleine schwarzgewandete Gestalt schritt über den von Hecken gesäumten Weg auf ihn zu.
Sonea.
Sie sah anders aus, als bei ihrer letzten Begegnung, irgendwie besser. Doch er hätte nicht sagen können, warum.
„Dorrien!“, rief sie überrascht. „Was machst du hier?“
Lachend erhob Dorrien sich und schloss seine Freundin in die Arme. „Dich treffen.“
„Ich wusste gar nicht, dass du hier bist. Wann bist du gekommen?“
„Spät am gestrigen Abend.“
Sonea löste sich von ihm und musterte ihn mit ihren dunklen Augen. „Und dann willst du ausgerechnet mich sehen? Anstatt direkt zu mir zu kommen, schickst du mir eine dubiose Nachricht, dich im Park zu treffen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich mich fragen, was in dich gefahren ist.“
„Wäre es dir lieber geworden, mich an der Quelle zu treffen?“
Sie schnaubte leise.
Dorrien betrachtete sie erheitert. Sie brauchte nicht wissen, dass er nur ihrem Mann aus dem Weg gehen wollte. Was ihn betraf, so war er noch immer nicht gut auf den Hohen Lord zu sprechen. Der Gedanke an den schwarzen Magier brachte ihn indes dazu, wieder ernst zu werden. „Ich muss mit dir reden.“ Er sah sich um. „Aber nicht hier.“
„Also zur Quelle?“
Er nickte.
Sie verließen den Park und wandten sich zum Wald hinter den Universitätsgebäuden. „Du siehst gut aus“, sagte Dorrien, als sie unter die Bäume eintauchten.
„Danke. Aber das wird nicht von Dauer sein.“
„Denkst du, es verschwindet, wenn die Freude, wieder in den Verbündeten Ländern zu sein, verflogen ist?“
Sie hielt inne und wandte sich ihm zu. „Dorrien, ich bin wieder schwanger.“
Das war es also gewesen! Dorrien ärgerte sich über sich selbst, weil es ihm nicht sofort aufgefallen war. Allerdings sah er Sonea nicht mit seinem Heilerblick.
Als er sie jedoch näher betrachtete, konnte er die Wölbung ihres Bauches unter der weiten Robe sehen, wenn sie sich bewegte.
Er lächelte. „Ich gratuliere“, sagte er. „Aber sehr weit kannst du noch nicht sein.“
„Es passierte kurz vor meiner Reise nach Yukai. Aber ich habe es erst gemerkt, als wir schon fast in Duna waren.“ Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. „Ich hoffe, dieses Mal wird es ein Mädchen.“
„Das hat Akkarin sicher nicht gefallen.“
„Nein. Deswegen habe ich es ihm auch erst gesagt, nachdem ich wieder zurück war.“
Dorrien nickte. Es war besser, wenn sich die werdende Mutter nicht allzu großen Strapazen aussetzte. Das schloss körperliche Anstrengungen jeder Art sowie Reisen in barbarische Länder und magische Kämpfe aus. Obwohl er einsah, dass Soneas Mission zu wichtig gewesen war, um abgebrochen zu werden, musste er in diesem einen Punkt ihrem verfluchten Mann recht geben.
„Du hast sicher dein ganzes Heilkunstwissen anwenden müssen, um das Baby zu behalten“, sagte er.
„Ich habe mich mindestens drei Mal täglich untersucht, meine Erschöpfung geheilt und hin und wieder Blutungen. Bei Kämpfen habe ich mich zusätzlich mit einem inneren Schild geschützt.“
Dorrien nickte anerkennend. „Sehr vernünftig. Magst du mir von deinem und Dannyls Abenteuer erzählen?“
„Das sollte ich wohl, bevor du die ganzen haarsträubenden Übertreibungen, die in der Gilde kursieren, hörst“, erwiderte sie mit einem Anflug von Erheiterung.
Während sie durch den Wald wanderten, berichtete Sonea von ihrer und Dannyls Reise, der Konferenz mit den Verrätern, den Duna und den Sachakanern, von dem Mord an ihrer Eskorte und von dem Zwischenfall in Yukai, den sie und Dannyl nur knapp überlebt hatten. Das eine oder andere hatte Dorrien bereits von den Kriegern am Fort gehört, andere Dinge waren ihm dagegen neu.
„Das hört sich unglaublich spannend an“, sagte er anerkennend. „Dannyl kann sich glücklich schätzen, dass du ihn begleitet hast.“
„Akkarin hat alles getan, um mich auf diese Mission vorzubereiten.“
Das konnte Dorrien sich vorstellen. An der Stelle des schwarzen Magiers hätte er nicht anders gehandelt. „Hast du bei der Konferenz auch alte Bekannte getroffen?“
Sie nickte finster. „Aber es war nicht so schlimm, wie ich dachte. Es ist etwas anderes, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.“
Und trotzdem war das Wiedersehen keine angenehme Erfahrung für sie. Vielleicht lag es nicht an den Sachakanern, die sie wiedergesehen hatte, sondern vielmehr an denen, die nicht dort gewesen waren oder an den Erinnerungen, welche das Wiedersehen möglicherweise ausgelöst hatte.
„Tatsächlich hat mir die Reise sehr gut getan“, fuhr sie fort. „Manchmal muss man fortgehen, um zu sich selbst zu finden.“
Allerdings, dachte Dorrien.
Schweigend erklommen sie das letzte Stück ihres Weges. Die Felsen lagen im Schatten der Bäume, nur einige Sonnentaler tanzten auf dem Stein, als eine lause Brise durch die Wipfel raschelte. Dorrien ließ sich auf einem Felsen nieder, die Beine gekreuzt. Sonea setzte sich neben ihn.
„Also, Dorrien“, begann sie. „Worüber wolltest du mit mir reden?“
Dorrien warf einen Blick auf ihren Ring. „Sind wir ungestört?“
Sie hob die Augenbrauen. „Ja.“
Dorrien betrachtete den Ring missbilligend. „Er hört auch ganz sicher nicht zu?“
„Nein.“
„Sonea ich weiß nicht …“
Sie verdrehte die Augen, dann glitt ihr Blick ins Leere. Schließlich nickte sie wie zu sich selbst, streifte den Blutring mit einem missbilligenden Stirnrunzeln von ihrem Finger und legte ihn auf den Stoff ihrer Robe in ihrem Schoß. „Du kannst ihn immer noch nicht leiden, nicht wahr?“
„Er ist ein Ungeheuer, das sich nicht einmal an sein eigenes Wort hält“, knurrte Dorrien.
„Wann hat Akkarin sich jemals nicht an sein Wort gehalten?“
„Du weißt es nicht, nicht wahr?“
„Nein.“ Ihre dunklen Augen blickten ihn verständnislos an. „Bitte erkläre es mir.“
Einen tiefen Atemzug nehmend sammelte Dorrien sich. „Aber versprich mir, dass du mir deswegen nicht den Kopf wäschst.“
„Dorrien, es ist nichts Neues für mich, dass du nicht mit Akkarin klarkommst“, entgegnete sie ungehalten.
Wohl wahr … „Als ich mich dafür eingesetzt habe, dass Viana der Gilde beitreten darf und meine Novizin wird, hat Akkarin sich dafür ausgesprochen, mir diese Chance zu geben, weil er in mir sah, dass meine Absichten ernsthaft und ehrenhaft sind“, sagte er. „Er wusste, dass Viana und ich damals bereits ein Paar waren, doch er war bereit darüber hinwegzusehen, solange dies nicht Vianas Leistungen negativ beeinflusst. Trotzdem hat er mir seine Unterstützung bei der Anhörung verwehrt.“
„Weil Eure Beziehung begonnen hatte, Vianas Studium zu beeinträchtigen“, sagte Sonea streng.
„Nein!“ Dorrien schüttelte den Kopf. „Zu keiner Zeit hat es das. Aber jetzt, wo ich nicht mehr ihr Mentor bin, wird es ihr Studium beeinflussen.“
„Dorrien, es geschah in dem Moment, in dem eure Beziehung aufflog“, erwiderte Sonea sanft. „Ein solcher Skandal lässt keinen Novizen unberührt. Die Lehrer und Novizen behandeln einen anders. Glaub mir, ich musste das auch durchmachen, als Regin Gerüchte über eine Beziehung zwischen mir und deinem Vater in die Welt gesetzt hat.“
„Aber als du mit Akkarin zusammen warst, war das nicht so.“
„Akkarin ist ein schwarzer Magier. Die Gilde fürchtet ihn viel zu sehr, als dass sie das wagen würden.“
„Trotzdem ist es zum Teil seine Schuld, dass ich Viana verloren habe.“
„Dorrien, das ist Unsinn.“
„Er hätte dafür sorgen können, dass sie meine Novizin bleibt.“
„Auch der Hohe Lord ist an die Regeln der Gilde gebunden.“
„Und biegt sie sich zurecht, wo es ihm gefällt.“
„Wäre es dir lieber gewesen, er hätte sich Viana angenommen, anstelle deines Vaters?“
„Nein!“
„Dorrien“, sagte Sonea. Ihre Stimme klang entnervt. „Bist du nur gekommen, um mit mir zu streiten?“
„Nein.“ Er seufzte. „Ich brauche deine Hilfe, Sonea..“
Das ist doch alles völlig verrückt, dachte er. Jetzt sitze ich hier mit der Frau, die ich einst geliebt und verloren habe und spreche mit ihr über die Frau, die ich gerade liebe und dabei bin, zu verlieren. Doch es war niemand anderes als Sonea gewesen, mit dem er hatte sprechen wollen. Sie brachte weder dumme Sprüche, noch hielt sie ihm seine eigenen Fehler vor. Sie hörte zu und versuchte, sich in seine Situation hineinzuversetzen. Plötzlich wurde Dorrien sich bewusst, dass sie seine beste Freundin war.
„Sie liebt dich noch immer Dorrien.“
„Aber wie lange noch, Sonea?“ Frustriert fuhr Dorrien sich über die Stirn. „Es ist das zweite Mal, dass er mir die Frau weggenommen hat, die ich liebe.“
Sonea verdrehte die Augen. „Dorrien, Akkarin hat mich dir nie weggenommen, weil ich dir nie gehört habe. Und er hat dir auch Viana nicht weggenommen. Er hat überhaupt kein Interesse an ihr und sie nicht an ihm.“
„Das habe ich auch gar nicht unterstellt.“ Frustriert ballte er die Fäuste. „Bis zu ihrem Abschluss könnte sie sich in jeden verlieben. Alles, was ich damals wegen dir durchgemacht habe, ist dabei sich zu wiederholen. Ich wusste damals, wir würden keine Chance haben, weil du noch vier Jahre deines Studiums vor dir hattest und andere Männer kennenlernen würdest.“
„Oh Dorrien!“, rief Sonea. Sie streckte eine Hand aus und strich über seinen Arm. „Das damals mit uns … sicher wusstest du, dass wir keine Chance haben, weil ein Teil von dir bereits instinktiv wusste, dass du etwas begehrst, das nicht für dich bestimmt ist. Aber mit Viana wird dir das nicht passieren, da bin ich ganz sicher.“
Dorrien sah auf. „Und was macht dich da so sicher?“
Ihre dunklen Augen blitzten verärgert. „Ist das denn nicht offensichtlich? Seid ihr Männer so blind, dass man euch auf alles mit der Nase stoßen muss?“
„Ich weiß nicht, was du meinst?“
Sie gab ihm einen unwirschen Klaps. „Das Mädchen ist völlig verrückt nach dir, Dorrien! Dazu brauche ich nicht einmal ihre Gedanken gelesen zu haben. Jeder sieht das. Solange du nicht eine absolute Dummheit anstellt, kannst du dir ihrer sicher sein.“
Dorriens Herz machte einen Sprung. Dennoch konnte er das kaum glauben. „Ist das so?“, fragte er.
„Ja!“ Sonea schüttelte den Kopf. „Viana liebt dich, Dorrien. Hör endlich auf, dich so zu quälen. Sie wird dir nicht weglaufen. Vielmehr wird eure Trennung sie dazu anspornen, ihren Abschluss bald zu machen, damit ihr zusammen sein könnt. Sie wird sich in ihr Studium stürzen, um die langen Zeiten zu überbrücken, in denen ihr euch nicht seht. Also hör endlich auf, dir Sorgen zu machen.“
Allmählich drangen ihre Worte zu ihm durch. Er spürte, wie sich etwas in ihm löste und er öffnete seine Fäuste.
„Danke“, sagte er. „Du bist eine wunderbare Freundin.“
Sonea schnaubte leise. „Irgendjemand muss dir ja den Kopf gerade rücken“, gab sie zurück.
„Hmpf,“ machte Dorrien. Er war dumm gewesen, Viana nicht zu vertrauen. Tatsächlich lag es jedoch nicht an Viana, sondern an ihm selbst, weil er immerzu fürchtete, die Frau, die er liebte zu verlieren. Und dieses Wissen bestärkte ihn darin, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
***
Ob dieser Anblick jemals ganz seine Bedrohlichkeit verlieren wird?, fragte Dannyl sich mit einem Blick auf das Haus am Ende des von Hecken gesäumten Weges. Nur unweit dahinter ragten die ersten Bäume des Waldes auf. Wenn man Bäume mochte, dann war hier zu leben mit Sicherheit traumhaft, sofern man entweder der Besitzer war, oder diesen nicht fürchten brauchte. Allerdings hatte er so eine Ahnung, dass die übrigen Bewohner den Hausherrn jeder auf seine Weise fürchteten.
Dannyl selbst würde seine Furcht vor diesem Mann niemals vollständig ablegen. Manchmal glaubte er, je mehr er über diesen Mann erfuhr, desto mehr Grund sollte er haben, ihn zu fürchten.
Ich hätte Tayend mitnehmen sollen, fuhr es ihm durch den Kopf. Und fand sich albern, nachdem er Ashaki, Duna und rachsüchtige Rebellen überlebt hatte. Zudem hegte sein Gefährte eine kleine Schwärmerei für den Anführer der Gilde.
Einen tiefen Atemzug nehmend hielt Dannyl auf den Eingang zu. Die Tür schwang unter seiner Berührung auf und er trat in die Empfangshalle, wo er von Akkarins Diener erwartet wurde. „Der Hohe Lord erwartet Euch, Auslandsadministrator“, sagte Takan mit einer tiefen Verneigung.
„Danke“, erwiderte Dannyl. „Bring mich zu ihm.“
Der Hohe Lord saß hinter einem Schreibtisch und las in einer Mappe, die Dannyl als die seine erkannte. Sonea saß in einem Sessel davor und las in einem Buch. Als Dannyl eintrat, hob sie den Kopf und ein strahlendes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
„Hallo Dannyl“, sagte sie.
„Hallo Sonea“, erwiderte er mit einem Augenzwinkern.
„Hoher Lord, Auslandsadministrator Dannyl ist hier“, verkündete Takan mit einer tiefen Verneigung.
Also ein offizieller Anlass, dachte Dannyl. Im Privaten sprach Takan den Hohen Lord oft mit ’Meister’ an. Sogar bei nicht-formalen Abendessen, zu denen Dannyl in der Vergangenheit eingeladen gewesen war.
„Danke, Takan“, sagte Akkarin, ohne aufzusehen. „Bring uns Sumi und dann lass uns allein.“
„Sehr wohl, Hoher Lord“, erwiderte der Diener und zog sich zurück.
Akkarin schloss die Mappe und hob den Kopf. „Guten Tag, Auslandsadministrator.“ Seine behandschuhte Hand wies auf den Sessel vor seinem Schreibtisch. „Setzt Euch.“
Dankend nahm Dannyl Platz. Sonea legte ihr Buch zur Seite und rückte ihren Sessel zurecht.
„Ich habe Euren Bericht ausführlich studiert“, begann der Hohe Lord. „Und ich bin beeindruckt. Ihr habt die Verhandlungen mit äußerster Ruhe und Geschicklichkeit moderiert, die Teilnehmer an den richtigen Stellen zur Besinnung gebracht oder in Aufruhr versetzt. Ganz besonders hat mir jedoch das Verhältnis, das Ihr zu den Gesprächsführern der Duna und der Imperialisten aufgebaut habt, imponiert. Ohne dieses, so wie ohne Asaras eigene Bemühungen um jene beiden Männer, hätte der Kampf am Fort möglicherweise ein anderes Ende gefunden.“
Dannyl neigte den Kopf. „Ich danke Euch, Hoher Lord. Doch das ist nicht nur mein Verdienst. Sonea hat mir nicht nur geholfen, meine Gedanken zu ordnen, sondern auch mir die fremden Kulturen nähergebracht. Sie war mir bei den schwierigeren Kandidaten eine große Unterstützung und hatte oft gute Ideen und Einwände.“
„Ich weiß“, sagte Akkarin mit einem Blick zu seiner Frau.
Die beiden schwarzen Magier tauschten einen langen, höchst intimen Blick, dann wandte Sonea sich zu Dannyl. „Der Hohe Lord hat bereits mit mir darüber gesprochen“, sagte er.
Natürlich hatte er das. Sich ein Lächeln verkneifend sah Dannyl zu Akkarin. „Hätte Sonea mich nicht beschützt, wäre ich nicht mehr am Leben und dafür bin ich zutiefst dankbar.“
Sonea schenkte ihm ein zuneigungsvolles Lächeln. „Ich würde es jederzeit wieder tun, Dannyl.“
„Also bist du meiner nach mehr als drei Monaten noch nicht überdrüssig?“
„Wie könnte ich?“, rief Sonea
Dannyl lachte. „Trotzdem hoffe ich, dass ich so schnell nicht wieder nach Sachaka oder Duna reisen muss.“
„Nicht in nächster Zeit, doch als Auslandsadministrator werdet Ihr von nun an auch in Kontakt mit diesen Ländern stehen“, sprach Akkarin. „Doch zunächst muss die Gilde Diplomaten finden, die dauerhaft in Arvice und bei den Verrätern bleiben wollen.“
Die Verräter hatten ein Haus in Arvice erhalten, von dem aus sie in der Politik mitmischen und die neuen Gesetze durchsetzen würden. Der Botschafter, den die Gilde zum Aufbau diplomatischer Beziehungen zu Sachaka dauerhaft in Arvice stationieren wollte, würde dort residieren.
„Würde es vielleicht vorerst genügen, dass der Botschafter zu Arvice unsere Interessen bei den Verrätern und den Ashaki vertritt?“, fragte Dannyl. „Es wird schwierig genug sein, diesen einen Posten zu besetzen.“
„Das wäre eine gute Übergangslösung“, stimmte der Hohe Lord zu. „Der oder diejenige würde zwar nicht direkt mit der neuen Großen Mutter kommunizieren, hätte jedoch die Möglichkeit, auf beide einzuwirken. Zudem werde ich ebenfalls mit Asara in Kontakt stehen, sobald das Bündnis offiziell besiegelt ist.“
Dannyl schluckte. „Sollte sich niemand für den Posten in Arvice finden, so wäre ich bereit, vorübergehend dorthin zu gehen.“ Auch wenn er dafür mit Tayend in einer Stadt schwarzer Magier leben musste.
„Tatsächlich wärt Ihr unser bester Mann für diese Aufgabe, doch Ihr seid für die Angelegenheiten der Gilde innerhalb der Verbündeten Länder unabkömmlich.“
„Sollte die Gilde meine Anwesenheit in Sachaka oder Duna erfordern, so werde ich dennoch zur Verfügung stehen“, sagte Dannyl.
Akkarin nickte, als habe er nichts anderes erwartet. „Sonea hat sich bereit erklärt, Euch erneut zu eskortieren, sofern Ihr das wünscht. Allerdings hat auch Asara erklärt, Leute zu Eurem Geleitschutz zur Verfügung zu stellen.“
Dannyl lächelte. „Ich muss gestehen, ich bin nicht überrascht.“
„Ich würde mitkommen, sollte sich die Reise als gefährlich erweisen“, fügte Sonea hinzu. „Aber nur, wenn es nicht anders geht, da ich mit anderen Aufgaben betraut wurde.“
Überrascht hob Dannyl die Augenbrauen. „Sind dir Privatstunden in der Arena, das Krankenhaus und dein Kellerlabor nicht mehr genug?“
„Ich werde mich um die Kinder kümmern, die die Duna uns schicken werden.“
Dannyl pfiff leise durch die Zähne. „Das ist großartig“, sagte er und sie lächelte. Er wandte sich wieder ihrem Mann zu. „Hat noch niemand Interesse an einem Botschafter-Posten in Sachaka und Duna bekundet?“, fragte er.
Die Tür ging auf und Takan brachte ein Tablett mit dampfendem Sumi und Gebäck. Er stellte das Tablett auf dem Schreibtisch ab und zog sich wieder zurück. Dannyl wartete, bis Akkarin sich eine Tasse genommen hatte, und nahm sich die zweite, während Sonea nach dem Glas mit dem Quellwasser griff. Irgendetwas schien sie zu erheitern und Dannyl begriff, dass er sich noch immer so verhielt, als sei er unter Sachakanern.
„Die höheren Magier haben mehrere Kandidaten vorgeschlagen, die sich anhand ihrer Fähigkeiten eignen würden“, sagte Akkarin. „Die Frage ist jedoch, ob sie sich überzeugen lassen. Tatsächlich erweist es sich als einfacher, einen Botschafter bei den Verrätern zu stationieren. Lady Vinara hat dafür mehrere Heilerinnen vorgeschlagen, die allesamt gewillt wären, dauerhaft dort zu leben.“
Dannyl nippte an seinem Sumi. „Das wird Asara gewiss freuen“, sagte er. Dass seine Freundin bei den Verrätern die Führung übernommen hatte, hatte in ihm die Hoffnung geweckt, dass die Verräter zu ihren ursprünglichen Zielen zurückfinden und diese auf friedliche Weise realisieren würden. „Nur, dass uns dann jemand in Arvice fehlt.“
„Erzählt Dannyl, was Ihr noch von Asara erfahren habt“, forderte Sonea ihren Hohen Lord auf.
„Vor zwei Tagen hat Ishaka den Thron bestiegen. Als Zeichen, keine weiteren Invasionspläne zu hegen, hat er Sachaka wieder zu einer Monarchie gemacht.“
Dannyls Herz machten einen Sprung. Damit war ein erster Schritt in die richtige Richtung getan. Die Veränderung würde langwierig und mit Rückschlägen verbunden sein, aber es war ein Anfang.
„Aber das ist noch nicht alles“, sagte Sonea. Sie sah zu ihrem Mann. „Sag es ihm, Hoher Lord.“
„Ich denke, das solltest du tun.“
„Wie Ihr wünscht.“ Mit dem winzigsten Anzeichen einer Grimasse wandte Sonea sich zu Dannyl. „Ishaka hat seine ersten Berater ernannt. Tarko wird sein politischer Berater, Takiro bleibt bei der Wirtschaft und Palastmeister Ivasako bei den Finanzen. Ein militärischer Berater wird noch gesucht, bis jetzt ist Hakaro im Gespräch, weil dieser die Armee in den fruchtbaren Regionen geführt hat. Doch das Beste ist: Der fünfte Berater soll von den Verrätern gestellt werden.“
Fast hätte Dannyl sich an seinem Sumi verschluckt. „Also wenn das keine Überraschung ist!“
Dann wurde Dannyl jedoch wieder ernst. Eine von fünf konnte leicht überstimmt werden. Aber es war ein Anfang. Ishaka hatte in Yukai genug Bereitschaft gezeigt, was Dannyl glauben ließ, dass diese Verräterin nicht auf verlorenem Posten kämpfen würde. Zudem wusste er aus leidiger Erfahrung, wie stur diese Frauen sein konnten.
„Ihr und Sonea habt viel riskiert, damit Sachaka diesen Weg beschreitet“, sprach der Hohe Lord. „Und damit meine ich nicht nur Euer Verhandlungsgeschick.“
„Ich verstehe“, sagte Dannyl.
„Die anderen Teilnehmer zu provozieren hätte leicht fehlschlagen und auf Euch zurückfallen können. Soneas Aushorchen von Ishakas Bettsklavin hätte das Leben jener Frau und ihr eigenes gefährden können. Doch ich und die höheren Magier erkennen an, dass ihr beide die für einen Frieden nötigen Opfer gebracht habt.“
„Sari auszuhorchen war meine und Asaras Idee“, sagte Sonea. „Dannyl war von meiner Beteiligung nicht sehr erfreut, doch wir waren die ganze Zeit so sicher, dass Ishaka sich gegen den Imperator verschworen hat.“
„Womit ihr recht hattet“, sagte Akkarin. „Die gesamte Mission war gefährlich, da waren die Risiken, denen ihr euch zusätzlich ausgesetzt habt, vergleichsweise gering.“
Dannyl nahm sich einen der kleinen Kuchen. Obwohl er nicht erst seit gestern zurück war, erfreute er sich an diesen Köstlichkeiten. Die Küche der Duna war auf ihre exotische und einfache Weise hervorragend gewesen, doch sie konnte nicht die Kegelkuchen ersetzen. Ob Takiro sich dafür einsetzen würde, dass der Handel mit Delikatessen gestärkt wird? Ah, aber ich will nicht derjenige sein, der diesen anregt!
„Habt Ihr noch Fragen zu meinem Bericht, Hoher Lord?“, fragte er.
„Nein.“ Akkarins lange Finger trommelten leicht auf den Einband der Mappe. „Sollten noch Fragen aufkommen, werde ich nach Euch schicken.“
„Ich werde zu Eurer Verfügung stehen.“
Der Anflug eines Lächelns huschte über die harschen Züge des Hohen Lords.
„Sonea, lass uns allein.“
„Ja, Hoher Lord.“ In einer fließenden Bewegung erhob Sonea sich aus ihrem Sessel. „Ruft mich, wenn Ihr mich braucht. Ich werde nach Lorlen sehen. Sein Nachmittagsschlaf muss allmählich vorbei sein.“
„Tu das.“ Akkarins dunkle Augen bohrten sich in ihre und folgten ihrer kleinen Gestalt, bis sich die Türen der Bibliothek hinter ihr geschlossen hatten.
Dannyl unterdrückte ein unwillkürliches Schaudern. Was das auch immer zwischen den beiden schwarzen Magiern war, es hatte sich nach Yukai noch vertieft.
„Ich wünsche, dass Ihr die Vermittlung zwischen den zerstrittenen Stämmen in Lan wieder aufnehmt“, begann Akkarin, bevor Dannyl sich fragen konnte, was nun folgte. „Nach den Berichten, die Botschafter Salyk in den vergangenen Monaten geschickt hat, zu urteilen, hat sich die Lage nicht entspannt. Mit Euren in Yukai gewonnenen Erfahrungen sollte eine Lösung jedoch möglich sein.“
Dannyl nickte. „Das denke ich auch.“
„Ich erwarte, dass Ihr im nächsten Frühjahr erneut dorthin reist. Nehmt Euch bis dahin Urlaub und bringt Eure Beziehung auf die nächsthöhere Ebene. Ihr habt es Euch verdient.“
„Die nächsthöhere Ebene?“
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Den Urlaub. Ihr habt Großes in Yukai geleistet. Nicht nur für einen Frieden zwischen Kyralia, Sachaka und Duna, Ihr wart auch Sonea ein guter Freund.“
„Ich danke Euch, Hoher Lord“, erwiderte Dannyl zutiefst bewegt, während er nicht aufhören konnte, sich zu fragen, was Akkarin mit ’nächsthöherer Ebene’ meinte. Er hatte die Worte mit einer seltsamen Betonung gesprochen. Sicher meinte er damit nicht, dass er und Tayend sich öffentlich zu ihrer Liebe bekennen sollten. Es schien sich vielmehr um eine emotionale Ebene zu handeln. Aber wie sollte er seine Liebe zu Tayend noch vertiefen, wenn sie bereits tiefer als alles war, was zu empfinden er fähig war?
„Ich habe hier die Berichte von Botschafter Salyk“, sprach Akkarin und reichte Dannyl eine zweite Mappe. „Sie sind sehr ausführlich, Ihr solltet sie zur Vorbereitung lesen. Sie erhalten außerdem eine Zusammenfassung über König Val-Tons Regierungsstil der vergangenen Monate, seiner weiteren Reaktion auf den Konflikt und der Gesetze, die er in der Zwischenzeit erlassen hat. Dieses Wissen könnte Euch bei der Vorbereitung Eurer neuen Aufgabe helfen. Salyk ist angewiesen, weitere Berichte zur Botschaft von Capia zu schicken, da ich davon ausgehe, dass Ihr Euren Urlaub in Elyne verbringen werdet.“
„Ja“, antwortete Dannyl mit einem Lächeln. „Das hatte ich vor.“ Sie würden Tayends Schwester besuchen. In wenigen Wochen würde dort die Weinlese beginnen und sie konnten dabei zusehen oder sich daran beteiligen. Anschließend konnten sie weiter nach Arvina reisen und in der Bucht von Bel Fiores Anwesen baden. So weit im Norden war das Meer selbst im Winter warm. Gewiss würden sie dort auf ihre Freundin treffen. Die letzte Begegnung lag eine ganze Weile zurück.
„Nicht nur in Lan hat sich während des Sommers viel ereignet“, sprach der Hohe Lord. „Der Abtreibungsfall in Lonmar hat einige weitere unerfreuliche Konsequenzen nach sich gezogen. Vaulen kümmert sich bereits darum, doch Ihr tätet gut daran, vor Eurer Reise nach Lan dort nach dem Rechten zu sehen.“
Dannyl nickte, ein Stöhnen unterdrückend. Die Konferenz hatte ihn so sehr in Atem gehalten, dass seine Verpflichtungen innerhalb der Verbündeten Länder in den Hintergrund gedrängt worden waren. Lieber hätte er sich nach seinem Urlaub damit befasst, doch vermutlich würde er vorher nicht nach Imardin kommen.
„Bitte setzt mich ins Bild, Hoher Lord.“
Akkarin lehnte sich zurück. „Sehr gern, Auslandsadministrator.“
Während der nächsten Stunde sprachen sie über Angelegenheiten, die Dannyl nach Yukai kleinlich und unbedeutend vorkamen. Doch das bedeutete auch, dass er über sich hinaus gewachsen war. Von nun an würde er jeden Konflikt der Dems und Bels, der großen Clans in Lonmar, oder der wilden Stämme in Lan lösen können.
„Es ist spät geworden.“ Akkarin schloss die Mappe mit Vaulens Bericht und stützte seine Unterarme auf die Tischplatte, seine dunklen Augen musterten Dannyl eingehend. „Ihr könnt mit uns zu Abend speisen, meine Frau wird das freuen. Selbstverständlich wäre das Dinner rein informell.“
„Ich …“, begann Dannyl für einen Augenblick zu überrascht, um sich zu artikulieren. Eine Einladung des Hohen Lords schlug man nicht aus, doch sie kollidierte mit seinen eigenen Plänen für den Abend „Das ist sehr freundlich von Euch. Doch ich fürchte, Zerrend erwartet mich zum Dinner in seinem Haus.“
Akkarins Mundwinkel zuckten leicht. „Wir können offen sprechen, Dannyl. Ich verstehe, dass Ihr Zeit mit Eurem Gefährten verbringen wollt. Was spricht dagegen, eine Kutsche in den Inneren Ring zu schicken und ihn herzubringen?“
„Nichts“, antwortete Dannyl seine Fassung wiedererlangend. „Ich danke Euch vielmals für das Angebot.“
Der Anflug eines Lächelns huschte über die harschen Züge des Hohen Lords. „Ich informiere Takan, dass er zwei weitere Personen einplanen soll.“
***
„Es wird Zeit zu reden, Vater.“
Rothen hielt inne. Er hatte gespürt, dass etwas mit Dorrien anders war, doch es hatte einen ganzen Tag gebraucht, bis dieser sich dazu durchgerungen hatte, mit ihm mehr als die zur Kommunikation unweigerlich notwendigen Worte zu sprechen.
„Also gut“, sagte er sich in seinem Lieblingssessel niederlassend. Ein letzter Rest Abendrot hing über der Stadt und die ersten Sterne blinzelten träge von einem dunkelblauen Himmel. Er wies auf einen zweiten Sessel. „Setz dich.“
„Danke“, lehnte Dorrien ab. „Später vielleicht.“
„Wie du meinst.“ Rothen betrachtete seinen Sohn, während er sich fragte, was das hier werden sollte. „Sag mir, was du zu sagen hast.“
„Ich habe Dummheiten gemacht, Vater“, begann Dorrien mit sichtlichem Unbehagen. „Ich habe Viana und ihr Studium gefährdet, indem ich in der Gilde mit ihr Intimitäten ausgetauscht habe. Ich hätte auf Abstand gehen müssen und es auf die Gelegenheiten in deinem Apartment beschränken sollen. Doch anscheinend geht etwas mit mir durch, wenn ich sie längere Zeit nicht sehe.“
Du hättest sie niemals in der Gilde anrühren dürfen, dachte Rothen. Auch nicht bei mir. Am besten, du hättest sie niemals angerührt. „Du fürchtest sie zu verlieren, so wie dir nicht nur einst Sonea weggenommen wurde, sondern auch deine Mutter“, sagte er stattdessen.
Dorrien zuckte zusammen und seine blauen Augen weiteten sich. Und Rothen wusste, er hatte einen wunden Punkt getroffen. Er selbst hatte lange gebraucht, um dahinter zu kommen, wäre vermutlich nie darauf gekommen, hätte Akkarin nicht etwas Entsprechendes gesagt. Dabei war es so offensichtlich gewesen. Rothen hatte indes begriffen, dass er zu blind für Offensichtlichkeiten war.
„Das kann nicht sein“, sagte Dorrien tonlos. „Was hat Mutter damit zu tun?“
„Auch sie hat dich einfach verlassen. Das quält dich bis heute. Und deswegen klammerst du dich an jede Frau, in die du dich verliebst.“
Sein Sohn sank in einem Sessel zusammen. „Ich hatte Angst, Viana zu verlieren. Jetzt, wo sie nicht mehr meine Novizin ist, noch mehr denn je. Aber ich weiß, dass sie mich bedingungslos liebt.“
Rothen unterdrückte ein Seufzen. „Sollte sie sich eines Tages in einen anderen verlieben, würdest du es dennoch nicht verhindern können.“ Unter seinen Worten zuckte Dorrien erneut zusammen. „Doch solange du die Beziehung nicht mit deiner Eifersucht zerstörst, gehört sie dir für den Rest deines Lebens.“
Sein Sohn sah auf. „Das glaubst du?“
Rothen nickte. „Das glaube ich nicht nur, das weiß ich mit großer Sicherheit.“ Dorriens Augenbrauen zogen sich nachdenklich zusammen. „Deine Mutter kam nie zurück. Und das projizierst du auf Viana, Sonea oder wen auch immer du gerade liebst. Du fürchtest, sie könnten dich auch eines Tages verlassen, doch je mehr du dich an einen Menschen klammerst, desto sicherer wirst du ihn verlieren. Also lass los. Du musst lernen, dass nicht jeder Abschied ein Abschied für immer ist. Du musst lernen, zu vertrauen.“
Dorrien nahm diese Worte in sich auf. Er schüttelte seine braunen Locken. „Soll das heißen, ich habe die letzten drei Jahre nur durchgemacht, weil Mutter gestorben ist? Nur wegen ihr habe ich Akkarin die Schuld gegeben, dass er Sonea verdorben hat, und habe meine Novizin verloren?“
„Ja.“ Stirnrunzelnd sah Rothen in seinen Sumi. „Nun, nicht direkt.“ Der Hohe Lord hatte Sonea verdorben. Aber Rothen hatte damit seinen Frieden gemacht. Sonea gehörte zu diesem Mann, so wie Viana zu Dorrien gehörte. „Du weißt, dass Sonea nie für dich bestimmt war.“
„Und deswegen wusste ich, sie würde mich verlassen und deswegen habe ich mich noch verzweifelter an sie geklammert, so wie damals als Mutter krank war.“ Dorrien fuhr sich über die Stirn. „Ich bin so ein dummer Enka. Warum wird mir das alles erst jetzt klar?“
„Ich habe selbst lange gebraucht, um es zu sehen.“ Rothen lächelte schief. „All die Jahre dachte ich, es läge daran, dass du ohne Mutter erwachsen werden musstest. Ich dachte, das würde sich legen, wenn du eine Frau findest. Aber ich lag falsch.“
„Nicht ganz falsch. Aber trotzdem nicht richtig.“
„Nein. Es tut mir leid, Dorrien. Hätte ich es erkannt, hätte ich dir früher helfen können. Es hätte uns beiden so viel Ärger erspart.“
Sein Sohn hob den Kopf. „Es braucht dir nicht leidtun, Vater“, sagte er. „Ich bin derjenige, der die Dummheiten angestellt hat und ich bin gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen, weil ich dir so viel Ärger bereitet habe. Und ich verzeihe dir deine harten Worte von neulich. Du hattest mit jeden von ihnen recht. Du hast alles getan, um die Katastrophe einzudämmen. Doch es hat nicht gereicht.“
Rothen spürte, wie sich etwas in ihm löste. „Es braucht dir nicht leidtun“, sagte er mit belegter Stimme. „Wir beide haben Fehler gemacht. Wichtig ist nur, dass wir es nicht einander nachtragen.“
Ein Lächeln huschte über Dorriens Gesicht. „Danke, dass du das so siehst.“ Eine Weile starrte er auf seine Hände, die Augenbrauen zusammengezogen. „Ich habe meine Entscheidung getroffen, Vater.“
Rothen erstarrte. Er kannte diese sture Entschlossenheit nur allzu gut. „Also gehst du zu den Verrätern“, sagte er.
„Ja.“
„Weiß Viana schon davon?“
Dorrien schüttelte den Kopf. „Ich wollte zunächst mit dir sprechen. Die Dorfbewohner sind nicht sonderlich angetan, aber das wären sie auch nicht, würde ich in dieses andere Dorf gehen, das die Gilde mir zur Wahl gestellt hat. An Viana will ich gar nicht denken. Aber es muss sein.
„Es sind nur drei Jahre, Dorrien. Die Zeit wird für euch beide schnell vergehen. Und danach kannst du sie heiraten und mit ihr in die Berge zurückkehren.“
Das Blau in Dorriens Augen strahlte auf. „Würdest du uns deinen Segen geben?“
Rothen lächelte. „Natürlich würde ich das. Ihr zwei gehört zusammen. Aber“, er hob warnend einen Finger, „nur unter der Bedingung, dass du ihr bis zu ihrem Abschluss keinen weiteren Ärger bereitest.“
„Wahrhaftig!“, rief Dorrien. „Ich werde in Sachaka sein!“
„Ich traue dir auch das zu.“
„Ich brauche deinen Segen nicht. Ich darf heiraten, wen ich will.“
„Wahrhaftig!“, rief Rothen. „Dann brauchst du dich hier aber auch nicht mehr blicken lassen.“
„Dann hätte ich auch keinen Grund mehr, nach Imardin zu kommen.“ Dorriens Augen wanderten auf einen Punkt jenseits des Fensters. „Weißt du, nach ihrem Studium könnten Viana und ich zu den Verrätern gehen und ganz dort bleiben. So weit ich weiß, ist der Posten eines Botschafters noch offen. Und die Position wäre dauerhaft.“
„Deine Selbstlosigkeit in allen Ehren, aber dein diplomatisches Geschick ist … nun, reden wir nicht darüber.“
Dorrien schnaubte leise. „Ich kann sehr charmant sein, wenn ich will.“
„Ja, und zwar immer dann, wenn du eine Frau umwirbst.“
„Da wir gerade beim Thema sind: Wann ist Viana zurück?“
„Sie ist es wahrscheinlich schon längst.“
Mit einem Lächeln stand Dorrien auf. „Dann werde ich draußen auf sie warten.“
„Leg dich nicht mit Lord Ahrind an.“
Dorrien lachte. „Ich weiß, wie man mit mürrischen Kriegern umgeht“, sagte er und eilte zur Tür.
„Du kannst nicht immer davonlaufen, Dorrien.“
„Ich laufe nicht fort, Vater. Manchmal muss man fortgehen, um zu sich selbst zu finden.“
Mit diesen Worten verließ er das Apartment und ließ Rothen frustriert und verzweifelt zurück. Sie alle verschwanden aus seinem Leben, sie alle hatten ihre Eskapaden und er war derjenige, der immer zurückblieb.
Wenigstens konnte ich mich mit meinem Sohn aussprechen, dachte er. Er fragte sich, wie Viana die Nachricht aufnehmen würde, dass ihr Geliebter für den Rest ihres Studiums nach Sachaka gehen würde. Aber er begriff, dass Dorrien das tun musste, um erwachsen zu werden. Und Rothen begriff, er musste ihn ziehen lassen.
Manchmal muss man fortgehen, um zu sich selbst zu finden.
Auch Sonea hatte das getan. Und Dannyl, als er fünf Jahre zuvor nach Elyne aufgebrochen war.
Und bald würde er erneut auf unbestimmte Zeit verschwinden.
Mit einem Mal hielt Rothen es in seinem Apartment nicht mehr aus. Er stürmte nach draußen und zu einer Tür im Erdgeschoss am Ende eines Flures. Die Magier, denen er auf seinem Weg begegnete, warfen ihm verwirrte und verstörte Blicke zu. Er wollte klopfen, doch dann erklang eine vertraute Stimme hinter ihm.
„Welch seltener Besuch!“
Rothen fuhr herum. Ein Magier in purpurfarbenen Roben kam den Flur entlang. Vor Rothen blieb er stehen. „Ich bin überrascht, dich hier zu sehen.“
Obwohl die Worte fröhlich und unbeschwert klangen, zuckte Rothen schuldbewusst zusammen. Er konnte heraushören, dass Dannyl nicht mit seinem Besuch gerechnet hatte. Und er wusste, warum.
„Ich kann das zwischen uns nicht ungeklärt lassen“, brachte er hervor. „Nicht, wenn du bald wieder abreist.“ Als er die Worte sprach, schlug ihm sein Herz bis in den Hals. Die Überwindung hätte nie größer sein können und er erkannte, er war nicht weniger stur und verbohrt als sein eigener Sohn. „Ich will alles wissen. Ich will es verstehen.“
Dannyls Augen weiteten sich für einen Moment. „Dann komm“, sagte er. „Ich habe noch eine Flasche Wein. Nicht, dass ich für heute nicht schon genug getrunken hätte, doch bei dieser lässt es sich leichter reden.“
***
Allmählich hob sich der Schleier der Müdigkeit, wischte die Betäubung des Schlafes hinfort und brachte Sonea von dem fernen Ort, an dem ihr Geist verweilt hatte, zurück in das Hier und Jetzt. Sie lag auf dem Bauch, ein Bein angewinkelt, was ihre Position auch mit ihrem allmählich größer werdenden Bauch bequem machte. Obwohl die dunkle Seide ihrer Decke bis auf ihre Hüfte hinabgerutscht war, fror sie nicht.
Ein seliges Glücksgefühl verspürend öffnete sie die Augen.
„Guten Morgen, Hoher Lord“, flüsterte sie.
Akkarin hatte sich neben ihr auf die Seite gerollt, den Kopf aufgestützt und musterte sie mit einem Blick, der, obwohl er nichts von seinen Gedanken preisgab, eine Zuneigung ausdrückte, die Sonea schwindeln ließ.
„Hast du gut geschlafen?“
Sonea nickte und gähnte. Ihre Halsmuskeln stießen gegen einen Widerstand und ihre Hand fuhr zu ihrem Hals. Als sie das Metall spürte, das unter der Wärme ihres Körpers nicht mehr kühl war, kehrten die Erinnerungen an den vergangenen Abend zurück.
Mit einem Schaudern erinnerte sie sich, wie willig sie das Halsband angenommen hatte. Es war eine völlig neue Erfahrung gewesen – erfüllt von Furcht und dunklem Verlangen – und hatte auf eine überraschende Weise ihre ersten Erfahrungen mit diesen Dingern korrigiert.
Mit Akkarin fühlte es sich richtig an.
„Ich habe von uns geträumt.“
„So?“, fragte er eine Augenbraue hebend. „Was hast du geträumt?“
„Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur, dass es sehr schön war. Und sehr unanständig.“
Akkarin hatte mehrere Tage gebraucht, um sich über einige Dinge klarzuwerden, und sie hatten einen langen Abend über ihre Wünsche und Vorstellungen gesprochen und Regeln aufgestellt, die Akkarin offenkundig als Absicherung brauchte. Doch schon in dieser kurzen Zeit war die Veränderung spürbar gewesen. Behutsam hatte er damit begonnen, sie zu einem ’willigen Spielzeug’ zu machen, wie er sich ausgedrückt hatte, und erklärt, dass er dazu noch einige ’Besorgungen’ machen musste – was so viel bedeutete, wie dass er Takan geschickt hatte. Sonea versuchte, nicht darüber nachzudenken, dass dieser wusste, was wirklich zwischen ihr und Akkarin lief. Aber sie begriff auch, dass sie ihn als Komplizen brauchten. Er war Akkarins Vertrauter, er hatte miterlebt, wie er sich durch Sachaka verändert hatte und wenn Sonea bis zu ihrer ersten Nacht in der Arran-Residenz zurückdachte, ahnte sie Takan hatte die ganze Zeit bescheid gewusst.
„Welch ein Jammer.“ Seine behandschuhte Hand strich eine Strähne aus ihrem Gesicht.
„Ich habe noch viele andere Phantasien, die wir umsetzen können.“
„Wir haben alle Zeit der Welt.“
Sofern der Frieden anhält, dachte Sonea. Sie wollte noch immer nicht glauben, dass der Krieg endlich ein Ende gefunden hatte. In Sachaka musste es noch Magier geben, die ihren und Akkarins Tod wollten. Und was, wenn ihnen die Begrünung der Ödländer zu langsam voranschritt oder die Sachakaner auf die Idee kamen, dass das von Dannyl ausgehandelte Angebot zu sehr an ihrem Stolz kratzte?
Sie entschied, diese Fragen konnten warten. Für den Augenblick war sie viel zu sehr daran interessiert, die Neuartigkeit ihrer Beziehung zu Akkarin auszukosten.
„Und wie habt Ihr geschlafen, Hoher Lord?“
„Traumlos, aber gut.“
„Wie lange beobachtet Ihr mich schon?“
Er bedachte sie mit seinem Halblächeln. „Eine Weile.“
So wie er das sagte, musste es eine lange Weile gewesen sein. Sonea blinzelte zu den dunkelblauen Papierblenden an den Fenstern. Durch das Muster, das die winzigen Löcher des in das Papier gestanzten Incals der Gilde bildeten, fiel helles Tageslicht.
„Warum habt Ihr mich nicht geweckt?“
„Weil es gestern Abend spät geworden ist.“ Sein Finger strich die Konturen ihrer Augenbrauen entlang und den Rücken ihrer Nase hinab. Sonea lächelte und er hakte seinen Finger in den Ring an ihrem Halsband und zog sie zu sich. „Und es spielt auch keine Rolle“, raunte er in ihr Ohr und jagte damit einen weiteren Schauer ihren Rücken hinab. „Ich kann mir jederzeit nehmen, was ich will.“
„Ich werde mich Euch nicht verweigern“, flüsterte Sonea, obwohl es ihr danach verlangte, die Konsequenzen für ihren Ungehorsam auszutesten. Akkarin war sehr talentiert darin, eine Strafe wirklich zu einer Strafe zu machen. Und erschreckend kreativ. Sonea fragte sich, ob sie dennoch ihre Befriedigung darin finden würde und was er dann tun würde, um ihr diese auszutreiben. Doch das würde warten müssen, bis ihr Kind geboren war.
Er zog sie noch näher und küsste sie behutsam. Soneas Puls beschleunigte sich. Wie machte er das, dass er sie selbst dann, wenn er sanft war, spüren ließ, wie sehr sie ihm gehörte?
Akkarin rollte sich auf den Rücken und lehnte sich in die Kissen am Kopfende. „Küss meinen Oberkörper“, befahl er und zog sie, den Finger noch immer in ihr Halsband gehakt, zu sich.
Die Nase gegen sein Brustbein gedrückt verkniff Sonea sich ein Lächeln. Anscheinend hatte er das perfekte Spielzeug gefunden.
Während sie jeden Zoll seiner Haut mit innigen Küssen bedeckte, konnte Sonea nicht aufhören sich zu fragen, wie lange, diese Idee schon in ihm geschlummert hatte. Was ihre Gespräche ihr über ihn offenbart hatten, konnte es durchaus seit Sachaka sein.
Akkarins gesunde Hand schloss sich um ihren Nacken und führte sie zu den Stellen, die geküsst werden wollten. Das Leder seines Handschuhs fuhr ihren Rücken hinab, strich über die Wölbung ihres Gesäßes und spielte mit dem Schmuck in ihrem Schoß. Obwohl sie noch wund von der vergangenen Nacht war, verfehlte die Berührung ihre Wirkung nicht.
Plötzlich erstarrte er. Bevor Sonea es wirklich begreifen konnte, hatte die Hand in ihrem Nacken sie fester gepackt und ihren Kopf zurückgezogen.
„Lorlen ist aus seinem Bett geklettert und buddelt gerade die Zimmerpflanze aus. Takan ist überfordert.“
Sonea brauchte eine Weile, um seine Worte zu begreifen.
„Er tut was?“
„Du hast richtig gehört.“ Akkarin erhob sich und zog sie mit sich. Er schlüpfte in seinen Morgenmantel, dann nahm er ihr das Halsband ab. Sonea verzog das Gesicht. Sie hatte nicht damit gerechnet, so jäh von Sonea-der-Bettsklavin-des-Hohen-Lords wieder zu Sonea-der-Mutter-von-Akkarins-rebellischem-Sohn zu werden. Doch es war keine Zeit sich daran zu gewöhnen, wenn ihr einjähriger Sohn gerade damit beschäftigt war, in seinem Zimmer Gärtner zu spielen.
Wie soll das erst mit zwei Kindern werden?, fragte sie sich. Würden sie eine Dienerin brauchen, die sich Tag und Nacht um die beiden kümmerte? Oder würden sie nur noch miteinander intim sein, wenn die Kinder bei Rothen waren? Und wie oft konnten sie Rothen das zumuten?
Oder müssen wir allen Spaß einstellen, bis sie erwachsen sind?
Mit einem leisen Seufzen streifte sie ihr Nachthemd über und folgte Akkarin über den Flur.
In Lorlens Zimmer herrschte ein Chaos, als hätte dort ein mittelschwerer magischer Kampf gewütet. Die große Topfpflanze lag auf dem Boden, Erde und Wurzeln waren überall verteilt. Lorlen saß inmitten des Drecks und pulte fröhlich glucksend weitere Wurzelstücke aus dem Ballen, während Takan völlig aufgelöst in einen Sessel gesunken war.
Als sie eintraten, erhob sich der Diener und verneigte sich unterwürfig. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Meister. Ich habe versucht, ihn dort wegzuholen. Daraufhin fing er so an zu weinen, dass ich ihn wieder loslassen musste, woraufhin er weitermachte.“
„Schon gut“, winkte Akkarin ab. „Es ist nicht deine Schuld, Takan.“
Sonea ging neben ihrem Sohn in die Hocke. „Was hast du schon wieder angestellt, mein kleiner Schatz?“, fragte sie und zog ihn in ihre Arme.
„Blume“, sprudelte er glücklich hervor.
„Ja das ist … war“, korrigierte sich Sonea mit einem Blick auf den zerfetzten Wurzelballen, „eine Blume. Aber jetzt wird sie sterben.“
„Blume“, wiederholte Lorlen freudig als wolle er für seine Schandtat gelobt werden. Kopfschüttelnd hob Sonea ihn hoch und stand auf. „Wie hat er das gemacht?“, fragte sie. Das Bettchen hatte ein Gitter und hing in einer Schaukel drei Fuß über dem Boden. Lorlen musste sich beim Herunterklettern weh getan haben. Und doch hatte ihn das nicht davon abgehalten … „und wie hat er die Pflanze umgestoßen?“
„Er ist unser Sohn, Sonea“, sagte Akkarin nur.
„Du glaubst doch nicht etwa, er hat Magie benutzt?“
„Dafür ist er zu klein.“ Akkarins dunkle Augen musterten das kleine Bett und huschten dann zu der Verwüstung auf dem Fußboden. „Er braucht keine Magie, um Unsinn zu machen.“
„Meister“, begann Takan. „Soll ich einen Besen holen und den Dreck auffegen?“
„Danke, Takan. Das ist nicht nötig. Geh und bereite das Frühstück vor. Und hole Caria her. Lady Sonea und ich werden uns um die Unordnung kümmern.“
„Ja, Meister“, erwiderte Takan. Seine Wangen färbten sich rosa. „Es tut mir leid, die ganze Unordnung.“
„Hör auf dich zu grämen“, wies Akkarin ihn zurecht. „Du kannst nichts dafür.“
„Ja, Meister. Ich stehe in Eurer Schuld.“ Mit einer weiteren Verneigung verließ Takan den Raum.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Sonea. „Wie können wir ihm verständlich machen, dass wir ein solches Verhalten nicht dulden?“
„Er ist in dem Alter, in dem er seine Grenzen austestet, Sonea. Wir können nicht mehr tun, als ihm diese aufzuzeigen und unnachgiebig zu bleiben.“
Wie alt ist Lorlen jetzt?
Ein Jahr.
Dann wird es nicht mehr lange dauern, bis er schwierig wird.
Sonea unterdrückte ein Seufzen. Ihre Tante hatte wie so oft recht behalten. Die Probleme hatten gerade erst angefangen. Auf ihrem Arm begann Lorlen zu quengeln. „Nein, Lorlen“, sagte sie und drückte einen Kuss auf seine Stirn. „Ich lasse dich nicht wieder zu deinem neuen Spielzeug.“
Das Quengeln wurde lauter.
„Gib ihn mir.“ Akkarins Stimme war ruhig, aber voll Autorität.
Wortlos reichte Sonea ihm ihren Sohn. Akkarin nahm ihn entgegen und hob ihn hoch. „Pflanzen im Haus sind keine Spielzeuge“, sagte er streng. „Wenn du unbedingt Pflanzen ausgraben willst, gehen wir mit dir in den Wald hinter unserem Haus. Dort kannst du ausbuddeln, was du willst.“
Lorlen gluckste.
„Du kannst von Glück sagen, dass du noch so klein bist. In ein paar Jahren dürftest du das alleine aufräumen.“
Lorlen gluckste noch mehr.
Sich ein Grinsen verkneifend streckte Sonea ihren Willen aus. Sie stellte die Topfpflanze wieder auf und ließ die verstreute Erde zurück in den Topf schweben. Mit einem Besen hätte Takan für dieselbe Arbeit sehr viel länger gebraucht. „Vielleicht sollten wir eine Barriere um die Pflanze machen“, schlug sie vor.
Akkarin betrachtete sie erheitert. „Damit er sich als nächstes den Sessel oder die Simba-Matte vornimmt?“
„Dann eben um das Bett.“
„Er muss lernen, dass solches Verhalten nicht ohne Konsequenzen bleibt.“ Akkarins Blick fiel auf den Stoffharrel, der noch immer in Lorlens Bettchen lag. „Nimm ihn mit.“
Sonea starrte ihn an. „Er wird das nicht mögen.“
„Das soll er auch nicht.“
Wortlos nahm Sonea den Stoffharrel. Lorlen streckte seine Ärmchen danach aus und brabbelte „Harrel, Harrel“, doch Akkarin sagte: „Du bekommst deinen Harrel nach dem Frühstück wieder.“
Lorlen begann zu weinen.
„Sonea, bring den Harrel ins Schlafzimmer.“
Begleitet von dem Geschrei ihres Sohnes eilte Sonea mit dem Stoffharrel ins Schlafzimmer und legte ihn auf einem Sessel ab. Sie fand, Akkarin war zu hart. Lorlen war noch viel zu klein, um sein Verhalten zu begreifen. Sie hätte indes auch nicht gewusst, wie sie ihm begreiflich machen sollten, dass er ungezogen gewesen war. Jonna wird es wissen, dachte sie. Aber wollte sie ihrer Tante gegenüber wirklich zugeben, dass sie ihr einjähriges Kleinkind nicht unter Kontrolle hatte?
Als sie zurückkehrte, saß Akkarin mit seinem Sohn in dem Sessel am Fenster, Lorlen hatte sich auf seinem Schoß zusammengerollt wie ein kleiner Zill. „Wie machst du das immer?“, fragte sie.
Er hob die Schultern. „Sonea, du sollst wissen, dass ich ihm sein Spielzeug nicht weggenommen habe, um ihn zu quälen.“
Sie nickte.
„Es wird nicht helfen, ihm zu sagen, was falsch war. Er muss begreifen, dass unerwünschtes Handeln Konsequenzen hat.“
Natürlich musste er das. „Aber bis nach dem Frühstück?“
„Eine umgeworfene Pflanze rechtfertigt wohl kaum, ihm seinen Harrel bis zum Abend wegzunehmen.“
Sonea streckte den Willen nach einem Kissen aus und ließ sich zu seinen Füßen nieder. „Lorlen kommt jetzt in eine Phase, in der er anfängt, seine Umgebung zu entdecken. Zumindest sagt Jonna, dass Kinder das irgendwann tun. So wie er als Baby war, wird er uns noch jede Menge Ärger bereiten, fürchte ich.“
„Wir werden einen Weg finden, damit umzugehen“, versprach Akkarin. „Vielleicht solltest du deine Tante konsultieren.“
„Ich will nicht, dass sie erfährt, wie schwierig er ist.“
„Das muss sie auch nicht.“
Sonea schnaubte. „Sie wird es sich denken können. Schließlich hat sie seine Mutter großgezogen.“
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Und wovor schämst du dich dann, Sonea?“, fragte er sanft.
Sie hob die Schultern. „Ich weiß es nicht.“
„Das alte Problem“, bemerkte er. „Du wirst dich dem stellen.“
Ein Schaudern verspürend sah sie hoch und begegnete seinen dunklen Augen. „Ja, Hoher Lord.“ Der Anflug eines Lächelns huschte über Akkarins Gesicht und er streckte eine Hand nach ihrem Haar aus. Sie lehnte den Kopf gegen seine Beine und schloss die Augen. „Aber Lorlen wird uns von nun an vielleicht auch öfter stören so wie vorhin.“
„Wir werden auch dafür eine Lösung finden, Sonea. Wir sind nicht die einzigen Eltern, die von ihren Kindern im Bett gestört werden.“
„Aber die Einzigen, die dabei derart unanständig sind. Zumindest in Kyralia.“
„Das ist wahrscheinlich.“ Akkarin erhob sich und streckte eine Hand nach ihr aus. „Was hältst du von einem Bad vor dem Frühstück?“, fragte er.
Sonea ließ sich von ihm auf die Füße ziehen. „Du meinst, um nachzuholen, wobei wir vorhin unterbrochen wurden?“
Seine Augen bohrten sich in ihre. „Ja.“
„Und Lorlen?“
„Caria wird gleich hier sein und sich um ihn kümmern.“
„Können wir ihn nicht mitnehmen? Er ist zu klein, um zu begreifen, was wir da tun. Und sollte es ernst werden, lenken wir ihn ab, wie damals als wir diesen Ausflug gemacht haben.“
„Damit er für seine gärtnerischen Fähigkeiten eine Belohnung erhält?“
„Er ist ein Baby, Akkarin. Du kannst mich mit Liebesentzug bestrafen, aber nicht ihn. Ich kann damit umgehen, weil wir das abgesprochen haben. Er nicht.“
Akkarins Miene wurde ein wenig weicher. „Du hast recht“, sagte er. „Also nehmen wir ihn mit.“
Sonea lächelte zufrieden.
„Allein wegen solcher Situationen werde ich dir deine Sturheit niemals austreiben“, bemerkte er, als sie auf den Flur traten.
Sonea lachte. Sie hatte ihm erlaubt, ihr alles abzuerziehen, was ihr Selbstbewusstsein störte. Aber sie wusste auch, dass er keine Freude mehr an ihr haben würde, wenn er ihr gewisse Eigenheiten außerhalb des Schlafzimmers abzugewöhnen versuchte.
Auf halbem Weg zum Bad kam ihnen Caria entgegen. „Hoher Lord, Lady Sonea“, brachte sie hervor und verneigte sich atemlos. „Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.“
„Danke, Caria“, erwiderte Akkarin. „Doch wir werden Lorlen mit ins Bad nehmen. Du kannst dich später um ihn kümmern.“
„Ja, Hoher Lord.“
„Sieh nach, wie weit Takan mit dem Frühstück ist, und geh ihm wenn nötig zur Hand.“
Ein Hauch von Rosa flog über ihre Wangen und sie zog sich zurück.
„Seltsam. Selbst wenn sie gerannt ist, hat sie es nie im Leben so schnell vom Dienerquartier hierher geschafft“, bemerkte Sonea.
„Weil sie schon hier war.“
„Wie das?“
Akkarin betrachtete sie amüsiert. „Du hast es noch nicht mitbekommen, nicht wahr?“
Sie schüttelte verwirrt den Kopf. „Was?“
„Caria und Takan haben ein gemeinsames Interesse jenseits des Wohls der beiden Magier, denen sie dienen.“
Sonea starrte ihn an. „Und das sagst du mir erst jetzt? Caria ist meine Amme!“
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Ich sehe keinen Grund, wieso sich ihre Gefühle negativ auf ihre Aufgabe auswirken würden.“ Er senkte die Stimme. „Zudem ist Takan die Sache offenkundig unangenehm. Du warst bereits eine Weile in Yukai, als es mir auffiel. Er hat sich zurückgehalten, als fürchte er, ich würde ihre Beziehung verbieten wollen. Die arme Caria war deswegen völlig am Ende. Ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass er tun und lassen kann, was er will, sofern er darüber seine Arbeit nicht vernachlässigt. Andernfalls wären er und Caria für den Rest ihres Lebens wie zwei hungrige Limeks umeinander herumgeschlichen.“
„Aber …“, begann Sonea verwirrt. „Sie streiten doch andauernd.“
Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr konnte sie sich jedoch für diese Idee erwärmen. Caria hatte ihr eigenes Kind bei der Geburt verloren. Es würde ihr guttun, eine Beziehung zu haben. Zudem würde sie dann ebenfalls in die Residenz ziehen und konnte helfen, Lorlen und das zweite Baby aufzuziehen.
Erheitert legte Akkarin einen Arm um ihre Schultern. „Manche Paare brauchen Reibungspunkte, um ihre Beziehung spannend zu halten. Neben meinem Wunsch nach einem willigen Spielzeug und jemandem, der mir wenn nötig Einhalt gebietet, ist das ein weiterer Grund, warum ich deine Sturheit so schätze.“
Sonea schnaubte leise. „Ob Takan das auch so sehen wird?“
„Er ist viel zu sanftmütig, um eine Beziehung wie die unsere für sich und Caria überhaupt in Erwägung zu ziehen, Sonea. Zumindest, solange es nicht ums Kochen geht. Vielmehr würde Caria ihn herumscheuchen.“
Sonea lachte. „Das kann ich mir wiederum sehr gut vorstellen!“
***
„Damit wäre das Ergebnis eindeutig.“ Administrator Osen löste seinen Blick von den unter der Decke schwebenden Lichtkugeln. Fast alle hatten sich rot gefärbt, einige waren jedoch weiß geblieben. Regin hatte so eine Ahnung, wessen Lichtkugeln das waren.
„Lord Regin ist unser neues Oberhaupt der Krieger.“
Einige Magier applaudierten. Nach und nach stimmten weitere mit ein. Zögerlich. So als wollten sie Regin diesen Triumph nicht gönnen. Wenn er ehrlich zu sich war, dann war dieses Gefühl auch vorher schon nicht dagewesen.
Die Wahl war nur eine durch Regeln vorgegebene Formalität gewesen. Es war üblich, dass wenn ein höherer Magier in den Ruhestand ging oder starb, dessen Assistent das Amt übernahm. Gab es keinen Assistenten, so wurde unter den Magiern nach einem Nachfolger gesucht. Dies wäre auch geschehen, hätte weniger als die Hälfte der Magier für Regin als Balkans Nachfolger gestimmt.
Regin wusste, er hatte die Wahl nur auf Grund Balkans hoher Meinung gewonnen. Und weil sein ehemaliger Mentor ihn während der letzten beiden Jahre auf diesen Tag vorbereitet hatte. Durch die Bloßstellung des Dorfheilers und seiner Novizin hatte er einen Großteil seiner Beliebtheit eingebüßt, während andere Magier ihn vermutlich für zu jung und unerfahren hielten.
Damit schmeckte dieser Sieg schal.
Es liegt an mir, ihnen zu beweisen, dass ich dieser Aufgabe würdig bin, dachte Regin. Balkan hätte gewollt, dass ich ihm alle Ehre mache. Er hätte nicht gewollt, dass ich versage, so wie mein Onkel es getan hat.
„Lord Regin, nehmt Ihr die Wahl an?“
Regin schluckte und sah zur Empore, wo er von nun an zwischen Lady Vinara und Lord Peakin sitzen würde. Acht Augenpaare starrten ihn erwartungsvoll an, doch es war Osen, dessen Blick Regin standhielt.
„Ja, Administrator“, sagte er.
Falls das den Administrator freute, so zeigte er es nicht. Wahrscheinlich hat er nur Balkan geschätzt und hält mich für eine Katastrophe, fuhr es Regin durch den Kopf.
„Ihr werdet neue Roben erhalten. Am nächsten Ersttag werdet Ihr Lord Balkans Apartment beziehen.“
„Ich danke Euch, Administrator“, erwiderte Regin und neigte den Kopf. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, doch es war kein angenehmes Gefühl.
Osen schlug auf seinen Gong und erklärte die Gildenversammlung für beendet. Roben raschelten, als die Magier sich von ihren Plätzen erhoben und zum Ausgang strömten. Die höheren Magier stiegen von der Empore herab und kamen auf Regin zu.
Lady Vinara war die Erste. „Ich gratuliere“, sagte sie. „Möget Ihr Balkan ein würdiger Nachfolger sein.“ Für Regin bedeutete das so viel wie ’ein würdigerer Nachfolger als Eurer Onkel’.
„Auf eine gute Zusammenarbeit“, wünschte Peakin.
„Ich freue mich, einen weiteren Vertreter von Ordnung und Disziplin in unserer Runde begrüßen zu dürfen“, erklärte Jerrik, während Osen und Lady Kinla ihm eher kühl ihre Glückwünsche aussprachen. Damit war er vermutlich der einzige.
Dann fand Regin sich einem schon etwas betagten Magier in Alchemistenroben gegenüber. Rothen.
„Es heißt, jeder bekommt, was er verdient“, sagte der Alchemist. „Und auch wenn ich nicht der Meinung bin, dass Ihr diesen Posten verdient habt, so hoffe ich, dass die neuen Aufgaben Euch erwachsen werden lassen.“
Glaub mir, dafür habe ich in so ziemlich jeder anderen Hinsicht bekommen, was ich verdiene, dachte Regin trocken.
„Ich werde mir jede erdenkliche Mühe geben“, versprach er. „Allein Balkan zuliebe.“
Lord Rothen hob nur fragend die Augenbrauen und machte Platz für die übrigen Gratulanten.
Zuletzt waren Sonea und ihr unheimlicher Mann an der Reihe. „Meinen Glückwunsch“, sprach Akkarin. „Ihr werdet Eure neuen Aufgaben als herausfordernd und zuweilen undankbar empfinden, doch Ihr werdet daran wachsen.“
„Ich danke Euch, Hoher Lord“, erwiderte Regin. „Auch für Eure Unterstützung.“
Sonea war weniger diplomatisch. „Ich bin bereit, dir eine Chance zu geben und dir zu glauben, wenn du sagst, dass du deine neuen Aufgaben meistern wirst. Aber glaube nicht, ich würde dir nicht das Leben zur Hölle machen, wenn du deine Macht ausnutzt oder in die Fußstapfen deines Onkels trittst.“
Der Hohe Lord warf ihr einen Blick zu, der sowohl Erheiterung als auch eine gewisse Strenge ausdrückte.
„Dann wird mir nichts passieren“, sagte Regin ein charmantes Lächeln aufsetzend. „Bevor ich den Respekt der Magier verliere, weil ich mich von dir in der Arena verprügeln lasse, sehe ich lieber zu, dass ich mein Wort halte.“
„Den Respekt musst du dir erst einmal verdienen.“
„Ja“, sagte Regin nur.
„Komm, Sonea“, sagte Akkarin. „Verderben wir Lord Regin nicht seinen Triumph. Zudem wartet in der Residenz Arbeit.“
Sonea nickte. Als sie zu ihrem Mann aufsah, funkelten ihre Augen und Regin ahnte, sie führten nebenbei eine private Unterhaltung über ihre Blutjuwelen.
„Also Regin“, sagte sie. „Wir sehen uns spätestens zur nächsten Besprechung der höheren Magier.“
„Einen schönen Tag noch, Hoher Lord und Lady Sonea“, wünschte Regin. Dann legte Akkarin eine Hand zwischen die Schulterblätter seiner kleinen, kratzbürstigen Frau und führte sie nach draußen.
Einen leisen Neid verspürend sah Regin ihnen nach. Das war es, was er auch wollte. Und was ihm mit der Frau, die er liebte, auf immer verwehrt bleiben würde.
Vor der Gildehalle wartete eine grüngewandete Gestalt. Trassia.
„Ich nehme an, du hast nicht auf mich gewartet, um mir deine Glückwünsche auszusprechen?“, fragte Regin mit einem Blick auf ihre Miene.
Sie schüttelte den Kopf. „Wie fühlt es sich an, deinen Traum erfüllt zu sehen, während du alles andere verloren hast?“
Ihre Worte versetzten Regin einen Stich. Er befand, es war besser, sich nichts anmerken zu lassen. „Wie fühlt es sich an, nicht die Frau des Oberhauptes der Krieger zu sein?“
„Überraschenderweise gut.“ Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, sich dann jedoch eines Besseren besann. „Regin, eigentlich sollte ich dir alles Gute wünschen, aber das kann ich nicht. Was auch immer du tust, es wird mich die nächsten beiden Jahre nicht mehr kümmern.“
„Warum?“, fragte Regin das Schlimmste ahnend.
„Weil ich zu den Verrätern gehe. Mit Indria.“
Regins Herz setzte einen Schlag aus. „Aber warum?“, brachte er hervor.
„Weil es mein Wunsch ist.“
„Hast du meinen Antrag deswegen abgelehnt?“
„Lady Vinara hat mir heute Morgen ihre Zustimmung gegeben.“
„Und warum dann?“
„Weil ich mit einem Mann wie dir nicht verheiratet sein will.“
Mit diesen Worten wandte sie sich ab und schritt davon. Regin wartete, bis ihre Schritte verhallt waren, und ging zum Ausgang. Ich habe sie endgültig verloren, konnte er nicht aufhören zu denken. Er hätte es wissen müssen, doch ein absurder Teil von ihm hatte sich nach ihrer Abfuhr im Heilerquartier an die Hoffnung geklammert, dass diese Wahl etwas ändern würde. Dass sie zu den Verrätern ging, zog ihm jedoch den Boden unter den Füßen weg. Zwei Jahre! Das war eine halbe Ewigkeit! Was, wenn sie sich in der Zwischenzeit in einen Mann der Verräter verliebte und entschied, dort zu bleiben? Jemand, der ein besserer Mensch war als er.
Und Regin begriff, dass es nichts gab, was ihm Trassia zurückbringen würde.
Du kommst so nach deinem Vater! Und nach deinem Onkel! Ich dachte, du wärst anders … dass du dich geändert hättest.
Flavia erwartete ihn in seinem Wohnzimmer in der düsteren Wohnung im Erdgeschoss des Magierquartiers. Nur noch wenige Nächte, dann kann ich endlich umziehen, dachte Regin. Luzille würde in den nächsten Tagen zu Verwandten in der Stadt ziehen, da sie offenkundig entschieden hatte, in Kyralia zu bleiben. Wahrscheinlich würden sie und Sonea ihre wöchentlichen Sumikränzchen fortsetzen und über Männer lästern. So gesehen war es gut, dass Luzille die Gilde verlassen würde.
„Mylord“, begrüßte seine Dienerin ihn mit einer Verneigung. „Ich gratuliere zu Eurem neuen Posten.“
„Danke“, erwiderte Regin. „Wie hast du so schnell davon erfahren?“
„Vorhin kam jemand, um Euch neue Roben zu bringen. Ich habe sie in Euren Schrank gehangen. Und“, sie deutete auf den festlich gedeckten Esstisch, „Euer Festmahl ist fast fertig.“
„Obwohl du erst seit wenigen Minuten davon weißt?“
„Ich wusste, Ihr würdet die Wahl gewinnen.“ Mit einem anzüglichen Lächeln trat sie vor. „Jetzt seid Ihr noch imposanter.“
„Dann solltest du mich erst in meinen neuen Roben sehen.“ Regin schritt zum Schlafzimmer und öffnete seinen Kleiderschrank. Dort hingen mehrere rote Roben mit schwarzer Schärpe feinsäuberlich aufgehangen. Seine alten Roben waren verschwunden. Rasch wechselte er in das neue Gewand. Als er ins Wohnzimmer zurückgehen wollte, stand plötzlich Flavia hinter ihm.
Sie hatte ihre Uniform ausgezogen und stand in dem rosafarbenen Etwas vor ihm, das Regin im hintersten Winkel seines Kleiderschranks verstaut hatte. Wie hatte sie es gefunden?
„Ihr seht tatsächlich noch imposanter aus, Mylord“, brachte sie hervor.
Die hauchfeine Spitze spannte sich verheißungsvoll über ihren Brüsten und Regin konnte die zartrosa Knospen darunter sehen. Es hätte Regin gefallen müssen. Aber es war falsch.
Flavia machte einen Schritt auf ihn zu, wollte ihn küssen, doch er schob sie von sich.
„Was ist, Mylord?“, fragte Flavia verstört.
„Ich kann das nicht mehr, Flavia.“ Regin musste sich zwingen, sie anzusehen. Er wollte kein Feigling sein. „Ich bin jetzt Oberhaupt der Krieger. Ich kann dieser Verantwortung nur gerecht werden, wenn ich mich wie ein Erwachsener verhalte. Doch das kann ich nicht, wenn ich mich mit einer Frau über eine andere hinwegtröste.“
Flavia betrachtete ihn verstört. „Aber das macht mir nichts aus, Mylord.“
„Ich benutze dich nur.“ Regin spürte, wie sich etwas in ihm verhärtete. In einer raschen Bewegung riss er ihr das Nachthemd vom Leib. Wo ihn der Anblick wenige Augenblicke zuvor erregt hatte, konnte er ihn jetzt nicht mehr ertragen. „Ich benutze jede Frau. Sogar die, die ich liebe. Das hier fortzuführen, ist dir gegenüber nicht fair.“
„Heißt das, Ihr schickt mich fort?“
Regin betrachtete sie. Er wollte sie in seinem Bett. Jede Nacht. Mit ihr konnte er Dinge tun, mit denen Trassia nicht einverstanden gewesen wäre. Und doch hatte er auch Trassia irgendwie benutzt. Er war sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt fähig war, zu lieben. Aber wenn er Flavia behielt, um für ihn zu kochen und sein Apartment sauber zu halten, dann tat er weder ihr noch sich selbst einen Gefallen. Denn solange sie am selben Ort verweilten, solange würden sie einander begehren.
„Ja“, sagte er hart. „Genau das heißt es.“
***
Die trockenen Blätter in den Baumwipfeln raschelten in einer lauen Spätsommerbrise und die Quelle plätscherte leise vor sich hin. Es war der letzte Tag der Ferien und Dorrien hatte es bis dahin aufgeschoben, die Sache endgültig zu machen. Er hatte Vianas Hand genommen und sie hierher geführt. Ohne Wein, ohne Delikatessen und ohne Früchte.
Und das war die richtige Entscheidung gewesen.
Viana stand vor ihm, in Tränen aufgelöst, die blonden Zöpfe hingen leblos herab, und Dorrien beschlich das ungute Gefühl, eine erneute Dummheit begangen zu haben.
„Du kannst nicht fortgehen“, sagte sie. „Was soll dann aus mir werden?“
Behutsam nahm Dorrien ihr Gesicht zwischen beide Hände und wischte die Tränen fort. „Du wirst dein Studium beenden, ohne von mir abgelenkt zu sein. Du wirst sehen, die Zeit wird schneller vergehen, als du denkst. Zu deinem Abschluss bin ich zurück und dann wird uns nichts mehr trennen.“
„Was, wenn dir etwas passiert? Es ist immerhin Sachaka, wohin du gehst.“
„Mach dir keine Sorgen, kleine Viana.“ Dorrien lächelte so zuversichtlich, wie es ihm angesichts dieser Aussicht möglich war. „Es herrscht jetzt Frieden und für den Notfall bekomme ich einen Speicherstein und Rothens Waffen. Außerdem werde ich in Begleitung einer Verräterin unterwegs sein. Mir wird nichts passieren.“
Das schien sie zu beruhigen. Trotzdem wirkte sie nicht glücklicher als zuvor.
„Was ist?“, fragte er sanft.
„Warum, Dorrien? Warum tust du das? Mein Vater hat dir verziehen. Warum kannst du nicht in das Dorf gehen, das die Gilde dir als Alternative angeboten hat? Wir würden uns immerhin sehen, wenn du Lady Vinara Bericht erstattest.“
„Weil man manchmal fortgehen muss, um zu sich selbst zu finden.“
Sie betrachtete ihn verständnislos.
„Viana, ich will mein Leben mit dir verbringen. Aber mein Vater hat recht. Ich bin weder in der Lage, Verantwortung zu übernehmen, noch bin ich in irgendeiner Form erwachsen. Meine einzigen Qualitäten bestehen darin, ein guter Heiler zu sein und dieses Wissen zu vermitteln. Ich muss das tun. Für mich, für uns. Damit du den Mann bekommst, den du verdienst.“
Die Tränen rannen noch immer über ihr Gesicht. Der Schmerz in ihren Augen traf Dorrien wie ein Dolch ins Herz. Andere Frauen hätten ihm an dieser Stelle eine Szene gemacht. Aber nicht Viana. Sie war stärker als das.
Wenn er Imardin am nächsten Tag verließ, dann würde er erst wieder zu Vianas Abschlussfeier zurückkehren. Lady Vinara war einverstanden, dass er bis dahin als Heiler durch Sachaka reiste. „Ihr seid der Erste, der sich freiwillig meldet“, hatte sie gesagt. „Und ich würde Trassia und Indria lieber in der Zuflucht sehen.“
So wie Dorrien das strenge Oberhaupt der Heiler kannte, war sie erleichtert, ihn dort zu wissen, wo er weder ihr noch Viana Ärger bereiten konnte. Und vielleicht hoffte auch sie, dass er endlich erwachsen wurde.
„Werde ich erfahren, wie es dir geht?“
„Briefe wären unpraktisch, da ich viel umherreisen werde. Es wäre möglich, sie an das Haus der Verräter in Arvice zu schicken, doch es kann Wochen bis Monate dauern, bis sie mich erreichen. Aber“, Dorrien lächelte schief, „der Hohe Lord hat mir ein Blutjuwel gegeben. Jeder Gildenmagier, der sich in Sachaka aufhält, muss eines tragen. Er hat eingewilligt, dass wir hin und wieder direkt darüber kommunizieren, wenn ich ihm Bericht erstatte.“
„Also hast du ihm verziehen?“
Eine Grimasse schneidend nickte Dorrien. „Ich fürchte, das alles war meine Schuld. Er hat richtig gehandelt, ich wollte es nur nicht wahrhaben.“
Sein erster Fehler war gewesen, Viana trotz seiner persönlichen Gefühle zu seiner Novizin zu machen. Sein zweiter Fehler war gewesen, sein Versprechen gegenüber dem Hohen Lord nicht zu halten. Dieser schien Dorrien die Sache jedoch nicht nachzutragen und hatte Dorriens Entschuldigung mit einem Nicken akzeptiert, bevor er ihm das Blutjuwel überreicht hatte. Dorrien hatte begriffen, dass seine mangelnde Verantwortung schon angefangen hatte, als er Viana nicht in die Obhut eines anderen Magiers gegeben hatte. Weil er nicht erwachsen genug für eine solche Aufgabe war. Weil er nicht erwachsen genug war, die Novizin von der Geliebten zu trennen.
Vianas tironussbraune Augen blickten ihn groß und rund an.
„Ich muss lernen das, was ich liebe, loszulassen“, fuhr Dorrien fort. „Nur dann werde ich eine verantwortungsbewusste Beziehung führen können.“ Er strich die Konturen ihrer Brauen nach. „Verstehst du jetzt, warum ich fortgehen muss?“
Viana nickte traurig. „Also ist das kein Abschied für immer“, folgerte sie.
„Nein, kleine Viana.“ Dorrien beugte sich zu ihr herab und küsste sie. „Niemals. Und deswegen habe ich etwas für dich.“ Er zog einen kleinen Lederbeutel aus seiner Robe und öffnete ihn. Darin befand sich ein winziger Ring, den er über Vianas schlanke Finger streifte.
„Dieser Ring ist zugleich ein Versprechen“, sagte er. „Ein Versprechen, dass ich zurückkommen und dich zu meiner Frau nehmen werde. Die Gilde kann mir die Aufsicht über dich entziehen, aber sie kann uns nicht auseinanderbringen. Und auch Sachaka wird uns nicht auseinanderbringen. Aber wenn ich zurückkomme, dann werde ich den Segen unserer Väter verdient haben.“
Viana begann erneut zu weinen. „Oh Dorrien!“, rief sie und fiel ihm um den Hals. „Ich werde liebend gern deine Frau!“
Dorrien hielt sie fest, strich über ihren Rücken und wappnete sich für seine nächsten Worte. Schließlich schob er sie mit einem tiefen Atemzug von sich.
„Ich werde nie aufhören, dich zu lieben, kleine Viana. Aber wenn du dich in den nächsten Jahren in einen anderen verliebst, dann werde ich das akzeptieren.“
Sie erstarrte und schüttelte heftig den Kopf. „Das wird nicht passieren, Dorrien. Es ist nicht passiert, als du im Krieg warst, obwohl ich Loken für eine Weile sogar fast in Betracht gezogen hätte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Zukunft passiert.“
„Vielleicht nicht“, sagte Dorrien. „Aber manchmal ist das der Lauf der Dinge. Ich habe die letzte Frau, die ich geliebt habe, nicht freigegeben. Es hat mich einige qualvolle Jahre gekostet. Ich werde denselben Fehler kein zweites Mal machen.“
Er verschwieg, was dies mit dem Tod seiner Mutter zu tun hatte. Es genügte, wenn er sich selbst darüber im Klaren war, wie sehr ihm das sein Leben erschwert hatte. Das bloße Wissen war erleichternd und befreiend und Dorrien wusste, er war nun endlich dabei, sein Leben auf den richtigen Weg zu lenken. In diesem Wissen fiel ihm der Abschied leicht, auch wenn er nicht weniger schmerzhaft war.
Die nächsten drei Jahre würden für ihn und Viana nicht leicht werden. Aber wenn er je eine reife Beziehung führen wollte, dann musste er das tun.
***
„Mein König, Ihr habt mich rufen lassen?“ In einer fließenden Bewegung warf Ivasako sich im Raum des Meisters, der nun Ishaka gehörte, zu Boden.
„Ja. Steht auf und kommt mit.“
Nichts an Ishakas Stimme ließ darauf schließen, dass er erst vor wenigen Tagen den Thron bestiegen hatte. Irgendwie lag das Talent zu führen in seinem Wesen. Wo andere mit Gewalt herrschten, verschaffte er sich mit seiner Autorität Respekt. Er war Marika nicht unähnlich. Er war nur ruhiger und besonnener.
Der Palastmeister kam auf die Füße und folgte seinem neuen König in dessen Arbeitszimmer. Rotgoldenes Licht fiel durch die großen Fenster und trotz der lauen Brise, die in den Raum strömte, war die Luft behaglich warm.
„Ivasako, setzt Euch“, sagte Ishaka auf einen gepolsterten Hocker vor dem Schreibtisch deutend. Sofort eilte ein Sklave mit einem zweiten Hocker herbei und stellte ihn so, dass Ishaka dem Palastmeister gegenübersitzen konnte. Ivasako nahm Platz mit Yakari zu seinen Füßen. Von irgendwo erschien eine Sklavin mit zwei Weinkelchen, reichte Ivasako den einen und kniete sich dann zu Ishakas Seite.
„Wenn Ihr wünscht, kann Euch ein Sklave bedienen“, sprach der König. „Doch ich nehme an, so ist es Euch lieber.“
„Ja, mein König“, erwiderte Ivasako überrascht über so viel Informalität. Doch so eng. wie sie die vergangenen Monate über zusammengearbeitet hatten, war es vermutlich angemessen.
„Ich habe Euch rufen lassen, weil ich einige Dinge mit Euch zu besprechen habe, Ivasako“, begann Ishaka ohne Umschweife.
„Ich hoffe, es geht nicht um die Finanzen des Palasts?“
„Nein. Auch wenn mich die momentane Situation nicht erfreut, so vertraue ich Eurem Können, dass sich der Palast davon bald erholt.“
„Es liegt am Krieg, mein König“, sagte Ivasako.
„Ich weiß. Die Einnahmen sollten sich in den nächsten ein bis zwei Jahren verbessern.“
Der Palastmeister nickte. „Ich bin zu derselben Ansicht gelangt.“
Lächelnd streichelte Ishaka über die Halsbeuge seiner neuen Sklavin. „In der nächsten Woche wird sich entscheiden, wen die Verräter als meinen fünften Berater schicken“, sagte er. „Ich hoffe, es macht Euch nichts aus, dass dies eine Frau ist.“
Ivasako schüttelte den Kopf. „Frauen haben oft andere Ansichten und ihre Meinung ist daher überaus wertvoll“, sagte er. „Wusstet Ihr, dass Marika sich oft Rat bei Ienara eingeholt hat, bevor er mich oder Euch und die anderen Berater gefragt hat?“
Ishaka wirkte nur mäßig überrascht. „Seine erste Lieblingssklavin?“
„Genau die. Und ich erinnere mich an eine gewisse andere Lieblingssklavin, die mir geholfen hat, die Steuereinnahmen des Palasts zu verbessern und für eine größere Gerechtigkeit im Steuersystem gesorgt hat.“
„Ich erinnere mich“, sagte Ishaka trocken. „Sie mag unseren letzten König getötet haben, aber ihr Körper und ihre Unterwürfigkeit sind nicht das Einzige, das an ihr schätzenswert ist.“
Ivasako spürte, wie ein vertrauter Zorn in ihm aufstieg, und schob ihn beiseite. Es war nicht die Zeit für Vergeltung. Aber sie würde kommen.
„Nein, das waren nicht ihre einzigen Vorzüge.“
„Ich frage mich“, sagte Ishaka, „ob die Verräter wirklich einen ihrer Leute erwählen müssen oder ob sie nicht von einer Frau mit Verstand vertreten werden könnten. Ihr sagtet Ienara hätte Marika oft beraten. Sie ist intelligent, sie könnte diese Aufgabe übernehmen.“
Das war etwas, womit Ivasako nicht gerechnet hatte. Ienara hatte nicht einmal zu den Verrätern gehen wollen, als diese Chance sich ihr geboten hatte. Bei der Vorstellung scheiterte er jedoch hoffnungslos.
„Euer Angebot ehrt mich, mein König“, sagte er. „Doch ich weiß nicht, ob das in ihrem Sinne wäre.“
„Fragt sie. Ansonsten könnte ich mir Mivara gut in dieser Rolle vorstellen.“
„Mivara?“, entfuhr es Ivasako. „Verzeiht mir, mein König. Doch sie ist Tarkos Bettsklavin!“
Ishaka lachte leise. „Sie ist viel mehr als das.“ Seine Hand schloss sich beinahe zärtlich um den Nacken seines neuen Spielzeuges. „Sie hat viel bewirkt, um den Krieg gegen Kachiros Anhänger zu unseren Gunsten zu wenden und die Zusammenarbeit mit jenen Verrätern zu stärken, mit denen wir nun ein gemeinsames Ziel verfolgen.“
„So weit ich weiß, hat sie Tarko verlassen.“
„Und so weit ich weiß, ist sie noch in Arvice. Sie würde sich hervorragend für diesen Posten eignen, während die Verräterin, der sie untersteht, ein wenig jähzornig ist, wie ich mir habe sagen lassen.“
„Wenn Ihr Mivara zu Eurer Beraterin macht, wird das einen Skandal auslösen“, warnte Ivasako.
„Vielleicht. Doch angesichts der Tatsache, dass die Gesetze für Sklaverei nun schärfer sind und die Sklaven dank der Verräter mehr Mitspracherechte haben, wäre das ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Wenn auch ein sehr revolutionärer.“
„Ich frage mich, ob das alles in Marikas Interesse gewesen wäre“, überlegte Ivasako laut.
„Die Gesetze zur Lockerung der Sklaverei waren es gewiss ebenso wenig wie das Mitwirken der Verräter“, sagte Ishaka. „Doch wenn Ihr damit nicht einverstanden seid, steht es Euch frei, mich zu meucheln. Es würde mich jedoch wundern, wenn Ihr das tätet, weil ich weiß, dass Ihr mit Marika in diesem Punkt niemals einer Meinung wart. Ihr mögt sein Andenken höher halten, als jeder andere Sachakaner, doch zugleich wünscht Ihr Euch mehr Gerechtigkeit und bessere Bedingungen für die Sklaven.“
„Das tue ich“, sagte Ivasako. „Verzeiht, meine Direktheit mein König. Doch warum tut Ihr das? Erhofft Ihr Euch davon einen politischen Vorteil?“
„Nein.“ Ishaka trank einen Schluck Wein und drehte das Glas in seinen Händen. „Der Eindruck mag entstehen, da ich selbst zutiefst konservativ in dieser Hinsicht bin. Doch ich muss einsehen, diesem Land damit keinen Gefallen zu tun. Tatsächlich war es Sonea, die mich daran erinnert hat, was passieren kann, wenn Sklaven zu schlecht behandelt werden. Dieses System hat lange Zeit funktioniert, doch das konnte es nur, weil Sachaka entweder ein riesiges Imperium oder isoliert vom Rest der Welt war. Dieses Land kann jedoch nur zu dauerhaftem Wohlstand und Frieden gelangen, wenn es sich dem Rest der Welt öffnet. Und dazu müssen wir uns in gewissem Maße anpassen.“
Damit wäre Marika gewiss nicht einverstanden gewesen. Aber Ivasako durfte nicht nur daran denken, was sein Meister gewollt hätte, sondern was Sachaka brauchte. Und in dieser Hinsicht waren er und Ishaka sich einig. Sein Gewissen bezüglich Marika blieb indes ruhig. Sie hatten getan, was Marika auch getan hätte, hätte er sich einem ebenbürtigen Feind gegenübergesehen. Und selbst wenn Marika anders gehandelt hätte, so hätte er Sachaka niemals zugunsten eines sinnlosen Krieges in den Ruin getrieben.
Dank seines eigenen und Ashaki Tarkos Handeln waren die Ashaki über den Machtwechsel und die mit der Gilde und den Verrätern eingegangenen Kompromisse weniger verärgert, als der Palastmeister befürchtet hatte. Wenn man Takiro Glauben schenkte, dann begrüßten viele die Veränderung sogar. Und auch an den neuen Gesetzen zur Sklaverei gab es weniger Protest als erwartet. Die meisten Stadt-Ashaki pflegten ihre Sklaven gut, wenn auch selten respektvoll zu behandeln. Auf dem Land sah die Situation dagegen anders aus, doch die Verräter würden für die Einhaltung der Gesetze sorgen.
Die neuen Gesetze zum Haushalt eines Ashaki, der ohne einen Erben zu hinterlassen starb, sorgten für wenig Protest. Die Ashaki pflegten sich aufzuregen, wenn ihnen etwas genommen wurde, das ihnen rechtmäßig zustand, doch sie hatten oft keine Verwendung für so viel zusätzliche Sklaven und selten wurden alle benötigt, um ein zweites Anwesen instand zu halten.
„Ich gedenke, mir eine Cachira zuzulegen“, riss der König ihn aus seinen Gedanken. „Zu Unterhaltungszwecken versteht sich. Nach Saris Tod wäre etwas anderes nicht angemessen. Zudem sollte ich mich als König mit meiner Frau präsentieren. Ich nehme an, es wäre in Ienaras Sinne, die Cachira zu leiten und zu beaufsichtigten.“
Also war die Sklavin zu seinen Füßen nichts als ein Spielzeug. Es hätte Ivasako jedoch gewundert, hätte Ishaka so schnell einen Ersatz für Sari gefunden. Ivasako bezweifelte, dass eine andere Sklavin Sari jemals ersetzen konnte.
„Ich bin sicher, das wird sie freuen“, sagte er. „Wo sollen sie wohnen?“
„Das wollte ich mit Euch besprechen.“ Gedankenverloren zog Ishaka den Kopf seiner Sklavin zu sich und strich über ihr Haar. „Ich dachte daran, sie im Haus der Cachira wohnen zu lassen. Es ist groß genug und bietet genug Platz. Da ich sie nur zu Unterhaltungszwecken brauche, wäre das ausreichend.“
„Es gibt genug leerstehende Zimmer im Palast, die umgebaut werden könnten“, sagte Ivasako.
„Ich will die Mädchen nicht im Palast haben. Doch Ihr als Palastmeister könntet eine halbe Etage für Euch, Ienara und Euren kleinen Assistenten erhalten, wenn Ihr das wünscht. Oder ich lasse Euch ein Haus im Palastgarten errichten. Das Haus des Palastmeisters. Wäre das angemessen?“
Ivasako dachte über die Worte des anderen Mannes nach. Es ehrte ihn, dass Ishaka ihm ein eigenes Haus auf dem Palastgelände errichten lassen wollte, doch er war nicht sicher, ob er das annehmen konnte.
Du bist zu bescheiden, Ivasako, hörte er die Stimme seines Meisters in seinem Kopf. Wie so oft hatte Marika damit recht gehabt. Doch er war ein Sklave gewesen. Wie konnte er nicht bescheiden sein?
„Falls es Euch bei der Entscheidungsfindung hilft, so hätte ich ein weiteres Angebot an Euch, Ivasako“, sprach Ishaka.
Überrascht sah Ivasako auf. Was würde jetzt kommen?
„Ich habe einige in Magie unterwiesene Sklaven, die mir seit Jahren treue Dienste leisten. Doch habe ich das Gefühl, das Ihr mir in den vergangenen beiden Jahren zu einer Art Freund geworden seid. Wir haben nicht nur dieselben Ziele, ich würde Euch mein Leben anvertrauen.“ Seine Augen begegneten denen Ivasakos. „Ich würde mich freuen, würdet Ihr Euch bereit erklären, mein neuer Leibwächter zu sein.“
Ivasako öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Er war überwältigt und von Furcht erfüllt zugleich.
„Als mein Leibwächter wäre es mir lieber, würdet Ihr im Palast wohnen“, fuhr Ishaka fort. „Ich würde Euch eigene Sklaven zuteilen, sofern Ihr Sklaven wollt. Solltet Ihr mit meinem Führungsstil nicht mehr einverstanden sein und mich meucheln wollen, so würde Euch dies auch ohne das gelingen. Nein, ich frage Euch, weil ich Euch schätze und weil ich das Gefühl habe, dass wir beide eine gute gemeinsame Basis haben. Es ist nur ein Angebot. Ich werde Euch nicht schlechter betrachten, wenn Ihr es ablehnt.“
„Euer Angebot ehrt mich, mein König“, erwiderte der Palastmeister. „Doch ich muss mir dies durch den Kopf gehenlassen. Nachdem ich gescheitert bin, Marika mit meinem Leben zu beschützen, weiß ich nicht, ob ich das noch einmal verantworten kann.“
„Jeder wäre an Eurer Stelle gescheitert“, sprach Ishaka. „Ihr standet unter dem Einfluss einer starken Schlafdroge. Wie sehr Ihr es auch gewollt habt, Ihr hättet nichts für Euren Meister tun können.“
„Das versuche ich mir auch immer wieder zu sagen.“
„Ich verstehe, dass Euch die Entscheidung nicht leichtfällt. Nehmt Euch so viel Zeit wie Ihr wollt. Ich freue mich, wenn Ihr zusagt, doch ich erwarte nicht, dass Ihr es tut.“
Ivasako warf sich zu Boden. „Ich stehe in Eurer Schuld, weil Ihr mir dieses Angebot überhaupt unterbreitet, mein König“, sprach er.
„Nach allem, was wir beide in den vergangenen Monaten vollbracht haben, erschien es mir angemessen.“ Ishaka bedeutete ihm, aufzustehen „Ihr mögt es nicht glauben, doch ich halte sehr viel von Euch Palastmeister. Wärt Ihr nicht so bescheiden und würde Eure Herkunft dem nicht widersprechen, so wärt Ihr selbst ein guter König geworden.“
„Ich habe genug Einfluss auf den Herrscher dieses Landes, dass ich dieser Ehre nicht bedarf.“ Ivasako leerte seinen Weinkelch und stellte ihn auf den Boden. „Falls das alles war, so würde ich mich gerne zurückziehen.“
„Selbstverständlich. Ihr seid entlassen.“
Ivasako schritt zum Zugang.
„Da wäre noch eine Sache, Palastmeister.“
Ivasako wandte sich um.
„Ja, mein König?“
„Lange Zeit konnte ich mir keinen Reim darauf machen, woher die Auslieferungsforderungen an die Gildenmagier kamen. Als ich erstmals in Yukai davon erfuhr, habe ich jedoch mitgespielt, weil es mir gelegen kam.“
Ivasako spürte, wie ihm heiß und kalt zugleich wurde.
„Ihr habt diese Briefe geschrieben, nicht wahr?“
„Ja, mein König.“ Ivasako schluckte. „Es steht Euch frei, mich zu bestrafen.“
Der König von Sachaka winkte ab. „Mich interessiert nur, warum Ihr das getan habt.“
„Um die Gildenmagier nicht vergessen zu lassen.“
Ishaka betrachtete ihn nachdenklich, dann lächelte er. „Eine geruhsame Nacht, Ivasako.“
Der Palasthof lag in tiefen Schatten, als Ivasako aus dem großen Eingangsportal trat. Über den Stufen hing noch immer ein Rest der Wärme des Tages, doch als er den offenen Hof erreichte,wurde die Luft rasch kühler. Und wieder einmal geht der lange Sommer zu Ende, dachte er. Doch dieses Mal wird es zum ersten Mal seit drei Jahren wieder ein gutes Ende sein.
Sachaka würde sich erholen und zu neuer Blüte gelangen, so wie Marika sich das gewünscht hatte. Es würde Frieden herrschen und das Leben der Sklaven würde sich verbessern.
Es hätte zu schön sein können, um wahr zu sein. Wäre da nicht eine Sache, die kein gutes Ende gefunden hatte.
Alles rächte sich irgendwann. Und wenn es an der Zeit war, dann würde Ivasako endlich seine Rache nehmen. Er würde einen Weg finden. Und er hatte auch schon ein paar Ideen, wie er seine Pläne in die Tat umsetzen konnte.
Mit diesem Gedanken stieg der die Stufen zur Cachira hinauf und trat ein.
Ienara lag auf einem Diwan und las in einem Buch. „Er hat dich lange dabehalten“, bemerkte sie, als Ivasako ihr einen Kuss gab.
„Nun, es gab viel zu besprechen.“ Ivasako ließ sich am anderen Ende des Diwans nieder und legte ihre Füße auf seinen Schoß.
„Wirst du mir auch erzählen, worum es dabei ging?“
„Ishaka hatte mehrere Ideen, die dich betreffen.“
„Oh“, machte Ienara. „Er will mich doch hoffentlich nicht in seiner neuen Cachira? Ich bin viel zu alt für ihn.“
„Das nicht, aber etwas so ähnliches“, erwiderte Ivasako lachend. „Er will sich eine kleine Cachira rein zu Unterhaltungszwecken zulegen und er würde sich freuen, wenn du dich um die Mädchen kümmerst.“
„Das wäre wunderbar. Doch ich muss darüber nachdenken. Es ist zwei Jahre her, dass ich zuletzt eine Cachira beaufsichtigt habe und jetzt habe ich zudem dich und Jorika. Das geruhsame Leben wäre vorbei.“
„Nun, du würdest mit mir leben und sie tagsüber unterrichten“, sagte Ivasako. „Oder würdest du lieber die Interessen der Verräter vertreten wollen?“
„Wie soll ich denn das tun? Ich habe keinerlei Verbindungen zu diesen Leuten. Ich heiße einige ihrer Aufgaben gut, doch wenn ich mit ihnen zusammenarbeiten wollte, so hätte ich mich damals den Mädchen angeschlossen.“
„Das habe ich Ishaka auch gesagt. Er ist nur der Meinung, eine Sklavin oder jemand, die das einst war, würde sich für diese Aufgabe besser eignen. Er und die Große Mutter werden sonst eine andere Kandidatin finden.“
„Dann sollen sie das tun“, sagte Ienara. „Sicher meint Ishaka das als nette Geste, doch ich eigne mich nicht dafür.“
„Du bist sehr intelligent. Ohne deinen Rat wären wir heute vielleicht nicht hier.“
„Ich war mein Leben lang eine Sklavin, Ivasako. Ich denke noch immer so. Und ich kann schlecht Gerechtigkeit durchsetzen, wenn ich selbst immer ein erfülltes und glückliches Leben hatte. Aber“, sie lächelte und ihre mandelförmigen Augen funkelten, „ich wäre glücklich, dich weiterhin mit meinem Rat zu unterstützen. Damit lenke ich die Geschicke des Reiches mehr als gut für mich ist.“
Ivasako betrachtete sie erheitert. „Ist das dein letztes Wort?“
Sie nickte feierlich. „Und jetzt erzähl mir, was er noch von dir wollte“, verlangte sie.
Für einen Moment schob Ivasako seine Rachepläne beiseite.
„Ah“, machte er. „Das wirst du nie für möglich halten!“
***
Fragen zum Kapitel
Wie findet ihr die Lösung, die Sonea für ihre Familie findet?
Könnte sich zwischen Luzille und Farand wirklich etwas anbahnen?
Habt ihr damit gerechnet, dass Asara doch noch große Mutter wird? Was haltet ihr von ihren ersten Entscheidungen?
Was haltet ihr von Dorriens Erkenntnis bezüglich seiner Verlustängste? Wie kommt es, dass Rothen nach diesem Gespräch noch einmal mit Dannyl sprechen will? Was glaubt ihr, kommt dabei raus?
Habt ihr damit gerechnet, dass Trassia nach Sachaka geht? Oder dass Regin Flavia fortschickt?n Was steckt dahinter?
Und habt ihr damit gerechnet, dass Ivasako die Auslieferungsforderungen geschrieben hat?