Die Bürde der schwarzen Magier III - Das Heiligtum von Yukai
von Lady Sonea
Kurzbeschreibung
Anderthalb Jahre nach dem Massaker von Arvice ist Sonea noch immer gebrochen von ihrer Erfahrung mit Marika. Sachaka steht derweil gebeutelt von Kämpfen am Rande des Ruins. Als die Situation eskaliert und Kyralia erneut in Gefahr gerät, sind sich die Anführer der Kriegsparteien einig, dass nur noch Verhandlungen den Konflikt beenden können. Als Vermittler fordern sie den Mann, dessen Ruf sich bis über die Grenzen der Verbündeten Länder hinaus verbreitet hat: Auslandsadministrator Dannyl. Gegen den Willen des Hohen Lords entscheidet Sonea, Dannyl zum Ort der Verhandlungen, einem alten Tempel in der Wüste von Duna, zu eskortieren. Doch die Konferenz wirft ihre Schatten voraus und das nicht nur, weil Sonea sich wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert sieht. Schon bald bemerken sie und Dannyl, dass jede Partei ihr eigenes Spiel spielt, und sie müssen die richtigen Verbündeten finden, um zu die drohende Katastrophe zu verhindern …
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P18 / Mix
Hoher Lord Akkarin
Lord Dannyl
Lord Dorrien
Lord Rothen
Regin
Sonea
02.08.2016
04.06.2019
56
813.938
87
Alle Kapitel
290 Reviews
290 Reviews
Dieses Kapitel
4 Reviews
4 Reviews
10.07.2018
16.373
Hallo ihr Lieben, in diesem Kapitel passieren einige Dinge, auf die einige von euch sicher schon gewartet habt – sei es bewusst oder unbewusst. In jedem Fall wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen! :)
Ganz lieben Dank an Black Glitter, Lady Kadala, Emmi und Lady Alanna für die Reviews zum letzten Kapitel <3 Leider habe ich es in der kurzen Zeit noch nicht geschafft, alle zu beantworten. Ich versuche es im Laufe der Woche :)
Die Gildentore schwangen zurück, als die Gruppe von Reitern darauf zuhielt. Die beiden dort postierten Krieger grüßten respektvoll, als Sonea und Akkarin sie passierten, gefolgt von Lady Vinara, Dannyl und seinem Assistenten. Amüsiert bemerkte Sonea, wie die Krieger die kleine Gruppe aus in Pferdeleder gekleideten Männern und Frauen betrachtete, die ihnen folgte. Die übrigen Magier, die Akkarin zum Fort begleitet hatten, bildeten den Schluss.
Während des letzten Stücks ihrer Reise hatte Sonea ihre Ungeduld, endlich nach Hause zu kommen, kaum zügeln können. Jetzt erreichte ihre Vorfreude indes einen ungeahnten Höhepunkt. Für ihren Geschmack war sie viel zu lange fort gewesen. Die letzten drei Monate kamen ihr wie ein halbes Leben vor, was nicht nur an dem lag, was ihr und Dannyl in dieser Zeit widerfahren war, sondern auch an all den Dingen, die währenddessen in ihr vorgegangen waren.
Vor den Stufen der Universität hatte sich eine größere Gruppe Menschen versammelt, die meisten davon in Magierroben. Unter ihnen entdeckte Sonea jedoch auch einige Frauen gekleidet in die neuste kyralische Mode und mehrere Diener.
Sonea tauschte einen Blick mit Akkarin. In diesem Augenblick verstand sie mehr denn je, warum er die Gilde so gern als seine Familie bezeichnete.
Als sie auf den weiten Platz ritten, erschienen Diener, um ihnen die Pferde abzunehmen. Sonea und Akkarin saßen ab und schritten dann auf ihr Begrüßungskomitee zu.
Administrator Osen trat vor. „Hoher Lord, Lady Sonea. Willkommen zuhause.“
„Ich danke Euch, Administrator“, erwiderte Akkarin.
„Es ist schön, wieder zuhause zu sein“, fügte Sonea hinzu.
Osen schenkte ihr ein kurzes Lächeln und wandte sich dann ab, um Dannyl und Tayend zu begrüßen.
Dann fiel sein Blick zu den Duna.
„Kriegsherr Arikhai, nehme ich an?“
„Mein Volk danken für Einladung“, antwortete der Duna in gebrochenem Kyralisch und kreuzte die Fäuste vor der Brust.
Der Administrator erwiderte die Geste. „Ich bin Lord Osen, der Administrator der Gilde“, stellte er sich vor. „Ich werde Euch die Gilde zeigen und stehe Euch während Eures Besuchs als Ansprechpartner zur Verfügung. Lady Vinara wird Euch zudem zeigen, wozu unsere Heiler fähig sind.“
„Das sein sehr freundlich.“
Mit sichtlichem Unbehagen neigte Osen den Kopf. „Mir wurde gesagt, dass Ihr das Leben in Zelten vorzieht. Wir haben Euch dazu eine Fläche auf unserem Gelände bereitgestellt.“
Die von den Duna entsandten Novizen würden jedoch im Novizenquartier leben. Zumindest, sofern Arikhai nach seinem Besuch in der Gilde noch immer wollte, dass einige seiner Leute zu Heilern ausgebildet wurden. Sie warf einen Blick zu den Duna. Der Kriegsherr und sein ältester Berater schienen beeindruckt von dem Gebäude, während Taki und Tarrekh selbiges Furcht einzuflößen schien. Sonea konnte verstehen, warum sie so empfanden. Nach Monaten in der Wüste und den Ödländern, kam ihr Kyralia zu grün und zu eng vor.
Nachdem Osen einen Diener angewiesen hatte, den Duna ihre Zeltfläche zu zeigen und sich der Begrüßung der anderen Magier zugewandt hatte, fand Sonea sich Rothen gegenüber. Er grüßte Akkarin mit einigen wenigen Worten und einem Lächeln, das sowohl Respekt als auch eine verhaltene Zuneigung ausdrückte, dann schloss er sie in seine Arme.
„Schön, dass du wieder da bist“, sagte er. „Du wirst kaum glauben, was hier während deiner Abwesenheit los war!“
„Oh, ich glaube, das kann ich mir sehr gut vorstellen!“, rief Sonea.
„Es hätte mich auch wahrhaftig gewundert, hätte dein Mann dich nicht auf dem Laufenden gehalten“, entgegnete Rothen mit einem Blick zu Akkarin.
„Bei Soneas Neugier war dies nahezu unmöglich“, erwiderte der Hohe Lord trocken.
Sonea verdrehte die Augen. Obwohl die beiden Männer einander schon vor langer Zeit akzeptiert hatten, konnte sie sich nicht daran gewöhnen, dass sie sich hin und wieder auf ihre Kosten amüsierten. „Also wirklich!“, rief sie. „Das war alles, was ich in den letzten beiden Monaten von zuhause hatte!“
„Also hattest du Heimweh.“
„Ein wenig. Schließlich musste ich alles, was ich liebe, zurücklassen.“ Akkarin legte einen Arm um ihre Taille und ihr Herz machte einen Sprung. Sie wünschte, sie würde nie aufhören, so für ihn zu empfinden.
Aber es war nicht nur Akkarin gewesen, den sie zurückgelassen hatte.
Sonea sah sich um. „Wo ist Lorlen?“
„Takan hat ihn heute Morgen vor meinem Unterricht abgeholt. Ich nehme an, er wollte das erledigt haben, bevor er mit den Vorbereitungen für eure Rückkehr anfing.“
Das sah Takan ähnlich. Wahrscheinlich war er schon den ganzen Tag über damit beschäftigt, ein Festessen für sie und Akkarin zu kochen. Ob er bereits weiß, dass wir noch ein Baby bekommen?, fragte Sonea sich, sich daran erinnernd, wie er reagiert hatte, als sie mit Lorlen schwanger gewesen war. Wenn Takan sich vorher schon überfürsorglich um die Frau seines Meisters gekümmert hatte, dann hatte er sie von da an fast mit seiner Hingabe erstickt.
„War Lorlen denn braver als beim letzten Mal?“, fragte sie.
„Er ist ein höchst vorbildliches Baby“, erwiderte Rothen ernsthaft. „Aber länger als zwei Wochen würde ich ihn nicht hüten wollen.“
„Seit er laufen kann, ist er noch lebhafter als zuvor“, fügte Akkarin hinzu.
„Wahrhaftig!“, rief Rothen. „’Lebhaft’ ist eine ziemliche Beschönigung!“
Sonea lachte. „Danke, dass du auf ihn aufgepasst hast, Rothen.“
„Jederzeit wieder.“ Ihr ehemaliger Mentor lächelte. „Aber mehr als ein paar Tage muss es nicht sein.“
Sonea lachte erneut und etwas in ihrer Brust zog sich beinahe schmerzhaft zusammen. „Jetzt haben wir so viel über Lorlen geredet, dass ich unbedingt nach Hause möchte, um ihn zu sehen.“
Rothen winkte ab. „Geht nur. Dann kann ich auch endlich Dannyl begrüßen.“
„Lass dich nicht aufhalten“, erwiderte sie. „Sobald ich Zeit habe, komme ich auf einen Sumi vorbei.“
Ihm ein letztes Lächeln schenkend folgte sie Akkarin um die Menschentraube herum, die sich vor den Stufen der Universität gebildet hatte. Sie waren noch nicht weit gekommen, als Trassia völlig aufgelöst vor ihnen stand.
„Wo ist er?“, fragte sie atemlos.
Sonea runzelte die Stirn.
„Ich gehe schon einmal vor“, murmelte Akkarin.
„Oh, Verzeihung, Hoher Lord“, stammelte Trassia. Zu Soneas Erheiterung wollte sie sich verneigen. „Ich wollte Euch und Eure Frau nicht stören.“
„Das tut Ihr nicht. Eure Angelegenheit kann offensichtlich nicht warten.“ Er strich kurz über Soneas Wange.
- Bis gleich.
Kaum, dass er sich abgewandt hatte, fiel ihre Freundin Sonea um den Hals. „Es tut so mir leid, ich wollte eigentlich bei eurer Ankunft dabei sein, doch ich musste noch einen Patienten zu Ende behandeln!“
„Es ist in Ordnung, Trassia“, erwiderte Sonea. „Ich freue mich, dass du es trotzdem geschafft hast.“ Sie löste sich ein Stück von ihrer Freundin, weil der Geruch ihres Haares Erinnerungen an Danyara auslöste. „Aber ich wäre dir auch nicht böse gewesen, hätten wir uns erst morgen gesehen. Ich bin entsetzlich müde von der Reise.“
Trassia lächelte, doch es wirkte irgendwie gequält.
„Was ist los?“, fragte Sonea besorgt.
„Ich konnte Regin nicht unter den Kriegern finden. Warum ist er nicht hier?“
Sonea betrachtete ihre Freundin nachdenklich. Sie liebt ihn noch immer. Trotz allem. Und Regin liebt sie. Und aus diesem Grund durfte sie ihr nicht sagen, was er gerade tat.
„Er hat noch etwas zu erledigen“, sagte sie daher. „In ein paar Tagen wird er zurück sein. Aber es geht ihm gut.“
„Was hat er zu erledigen?“
Seine Taten wiedergutzumachen. Und deine Familie aufsuchen. Sonea setzte einen neutralen Gesichtsausdruck auf. Ich hätte nie gedacht, dass meine Maske mir einmal in einer solchen Situation zugutekommt, fuhr es ihr durch den Kopf. „Es ist nichts Schlimmes“, antwortete sie. „Wenn dem so wäre, dann würde ich es dir sagen.“
Trassia betrachtete sie zweifelnd. „Wirklich?“
Sonea schenkte ihr ein zuversichtliches Lächeln. „Wirklich.“
Erleichtert schüttelte Trassia den Kopf. Ein paar ihrer dunklen Locken fielen aus ihrer Frisur. „Für einen verrückten Moment habe ich geglaubt, er sei bei der Schlacht gestorben.“
„Das ist er nicht.“ Sonea legte eine Hand auf den Arm ihrer Freundin. „Das hättest du längst erfahren. Tatsächlich hat er sich sogar recht gut geschlagen. Aber es ist nicht meine Aufgabe, dir von seinen ...“, sie unterdrückte ein Schnauben, „ … Heldentaten zu berichten.“
„Nein.“ Trassia lächelte. „Geh zu deinem Mann und deinem kleinen Sohn und komm erst einmal zuhause an.“
Sonea nickte. „Ich …“, sie hielt inne, unsicher, ob sie es ihrer Freundin sagen sollte, aber es würde sowieso die Runde machen. „Trassia … bevor du es von den Waschweibern erfährst, solltest du es von mir erfahren.“
„Was?“
Sonea schloss die Augen. „Ich bin wieder schwanger. Deswegen fühle ich mich so erschöpft.“
„Oh!“, machte Trassia. „Dann gratuliere ich dir!“
Nichtsdestotrotz wirkte ihre Freude erzwungen. Sonea konnte es ihr nicht verübeln. An ihrer Stelle hätte sie nicht anders empfunden.
Mit einem schiefen Lächeln drückte sie ihre Freundin an sich. „Ich komme vorbei, sobald ich mich ausgeruht habe.“
„Danke.“ Trassia seufzte. „Ich muss auch wieder zurück zu meinen Patienten. Also bis dann.“
„Bis dann.“
Sonea sah ihr nach, wie sie in Richtung des Heilerquartiers verschwand, dann machte sie sich auf den Weg nach Hause.
Akkarin wartete dort, wo der Weg zur Residenz des Hohen Lord abzweigte. „Regin weiß gar nicht, wie viel Glück er mit ihr hat“, bemerkte er. Er streckte eine Hand nach ihr aus.
„Nein, das weiß er nicht.“ Sonea ergriff seine Hand. „Und er hat sie nicht verdient.“
„Das bleibt abzuwarten. Er hat nicht nur als Krieger Potential. Er hat sich bereits bezüglich dir geändert. Wenn er in der Lage ist, eine Freundschaft aufzubauen, wird er auch lernen, eine ernsthafte Liebesbeziehung aufzubauen.“
„Das hoffe ich“, sagte Sonea. „Denn wenn er weiter so mit meinen Freunden umgeht, werde ich ihn eines Tages doch noch zu Asche verbrennen!“
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Ich würde dich nicht davon abhalten.“
Gemeinsam schritten sie den von Bäumen gesäumten Weg entlang. Als sie nur noch wenige Schritte vom Eingang entfernt waren, ging die Tür auf und Takan trat heraus mit Lorlen auf dem Arm. Am Fuße der Treppe setzte er das Baby vorsichtig ab, bis es auf seinen winzigen Füßchen stand.
„Da!“, rief Lorlen glücklich, und als Takan ihn losließ, rannte er auf seinen kurzen pummeligen Beinchen los.
Sonea ging in die Hocke und fing ihren Sohn auf. „Hallo, mein kleiner Schatz“, flüsterte sie und hob ihn hoch. Ihre Augen begannen zu brennen und sie hatte Mühe, ihre Stimme zu kontrollieren.
„Da!“, rief Lorlen erneut und griff nach ihren Haaren. „Nea!“
Sonea küsste ihn auf die Wange und drückte ihn an sich. Mit einem Mal war sie den Tränen gefährlich nahe. Sie bemerkte kaum, dass Takan wieder einmal vor seinem Meister auf die Knie ging und Akkarin ihn dafür leise schalt.
Erst, als Akkarin einen Arm um ihre Schultern legte, brachte sie das wieder in die Gegenwart zurück.
„Was meinst du, Sonea?“, fragte er. „Baden, eine Runde mit Lorlen spielen und dann widmen wir uns den Erwachsenenspielen?“
Sie sah zu ihm auf und begegnete seinen dunklen Augen. „Klingt gut. Aber ich muss auch dringend schlafen.“
- Wobei ich nichts dagegen hätte, aus dem Spiel etwas Ernsteres zu machen.
- Dann garantiere ich für nichts mehr.
- Gut. Denn dann werde ich mich auch nicht so bald langweilen.
- Wir werden sehen.
- Allerdings, sandte sie sich an ihr Gespräch mit Asara erinnernd.
„Du wirst mich noch verfluchen“, murmelte er. Dann führte er sie die Stufen hinauf in ihr Zuhause.
Die Strahlen der Nachmittagssonne fielen in breiten, gelben Balken durch das Blätterdach des Waldes, der den sanft abfallenden Berghang bedeckte. Das Laub hoch oben in den Wipfeln raschelte in einer lauen Brise. In der prallen Sonne brachte sie kurzzeitige Erleichterung von der Hitze des Tages, hier unter den Bäumen war es indes angenehm kühl.
Nichtsdestotrotz schwitzte Regin, während er auf einen Gehstock gestützt den Waldweg entlang ging. Lord Kiano hatte ihm erklärt, dass es Zeit wurde, sein Bein wieder an die Bewegung zu gewöhnen, der Stock diente dabei zur Entlastung.
Er ist nur ein dummer Nichtmagier, rief er sich ins Gedächtnis. Er sollte Angst vor mir haben!
Doch das war nicht ganz richtig. Er war es, der etwas von diesem Mann wollte und das würde er nicht erreichen, indem er seinen Status als Magier benutzte, um ihm Angst einzujagen.
„Die Menschen in den Bergen sind tapfere und ehrbare Leute“, hatte Kayan gesagt. „Auch wenn sie sich inzwischen an die Magier gewöhnt haben, fürchten sie uns noch immer. Begegne ihnen mit Respekt, wenn du etwas bei ihnen erreichen willst.“
Auf Regins Drängen hin hatte Kayan ihm schließlich den Weg zur Reberfarm von Vianas Familie beschrieben. Jedoch erst, nachdem sie eine hitzige Diskussion über die Bloßstellung von Kayans Freund Dorrien geführt hatten. Regin hatte sich wiederholt entschuldigt und Kayan versichert, dass er Wiedergutmachung leisten würde.
„Das ist auch das mindeste“, hatte Kayan grimmig erklärt. „Sei froh, dass ich nicht allzu nachtragend bin und anderen ihre Fehler nachsehe, wenn sie bereit sind, daraus zu lernen und sich zu bessern. Denn sonst wäre unsere Freundschaft beendet.“
„Und weil ich Besserung beabsichtige, brauche ich deine Hilfe. Denn nur so kann ich es wiedergutmachen.“
Regin hätte sich nie träumen lassen, wie viel es ihm bedeutete, dass Kayan ihm eine zweite Chance gab. Bevor Sonea ihm am Nordpass die Meinung gesagt hatte, war er gar nicht auf die Idee gekommen, sich auch den Zorn des Kriegers eingehandelt zu haben. Für eine Weile hatte er sich der Vorstellung hingegeben, mit Kayan gemeinsam auf Patrouille zu gehen. Würde Balkan noch leben, so hätte Regin ihn gebeten, ihn für eine Weile zum Südpass zu versetzen. Die Auszeit von der Gilde hatte ihm schon einmal gutgetan. Gewiss würde sie das ein zweites Mal.
Aber Balkan war tot. Und Regin würde möglicherweise dessen Nachfolge antreten. In diesem Fall würde er die Gilde so bald nicht mehr verlassen. Und er würde Trassia nicht mehr aus dem Weg gehen können.
Bei der Erinnerung an die Frau, die fast zwei Jahre lang seine Freundin gewesen war, zog sich etwas in ihm schmerzvoll zusammen. Was auch immer er getan hatte, von allen Menschen, die er verletzt hatte, hatte er sie am meisten verletzt.
Und damit sich selbst.
Was für ein Idiot bin ich doch gewesen!, dachte er. Musste ich sie erst verlieren, um zu erkennen, dass ich sie mehr liebe als jeden anderen Menschen auf der Welt?
Aber sie würde ihn nur zurückwollen, wenn er sich änderte. Oberhaupt der Krieger zu werden war keine Lösung, weil Trassia nicht zu den Frauen gehörte, die Männer auf Grund von Macht oder Ansehen attraktiv fanden. Er wusste nicht einmal, ob sie ihn zurückwollte, wenn es ihm gelang, ein besserer Mensch zu werden. Wenigstens würde er sich dann nicht vorwerfen müssen, es nicht versucht zu haben. Aber es ging um mehr als das.
Nachdem es eine halbe Meile bergab gegangen war, lichtete sich der Wald. Der Weg führte einen grasbewachsenen Hang entlang zu einer kleinen Kate, die ähnlich einfach und schmucklos wie die übrigen Häuser in dieser Gegend war. Daneben befand sich ein großer Stall. Ein Stück hangabwärts graste eine Herde Reber.
Das muss es sein, dachte Regin. Die anderen Reberfarmen in der Umgebung lagen in andere Richtungen. Auf dem Weg, auf dem er das Dorf verlassen hatte, war diese jedoch die einzige. Vor der Tür strich er Haare und Robe glatt, dann klopfte er.
Ein kleines Mädchen öffnete ihm. „Hallo“, sagte sie und sah mit großen Augen zu ihm auf. „Ich kenne dich.“
Regin betrachtete sie unbehaglich. „Wahrscheinlich hast du mich gesehen, als du im Frühjahr in der Gilde warst“, sagte er.
„Du hast gegen Akkarin und Sonea gekämpft!“
„Das habe ich.“
„Und hast verloren.“
„Nun, sie sind schwarze Magier“, erwiderte Regin zähneknirschend.
Das Mädchen betrachtete ihn lauernd, den Kopf auf die Seite gelegt. „Was willst du?“
„Ich will deinen Vater sprechen“, antwortete Regin.
„Da ist bei den Rebern.“ Das Mädchen lümmelte sich im Türrahmen, eine Hand auf dem Knauf. „Aber meine Ma ist da.“
Und jetzt?, dachte Regin hilflos. Er wollte Kullen sprechen, nicht seine Frau. Oder noch besser: mit beiden zusammen.
„Kannst du ihn holen?“, fragte er. „Dann kann ich mit ihm und deiner Ma sprechen.“
„Lina, wer ist da?“, rief eine Frauenstimme aus dem Innern der Kate.
„Ein Magier!“, antwortete Lina fröhlich. „Er will mit Da reden.“
Schritte erklangen und eine rundliche Frau mit schwarzen Haaren trat in die Tür. „Mylord?“, sagte sie fragend und verneigte sich nicht sonderlich elegant.
„Mein Name ist Lord Regin“, stellte Regin sich vor. „Ich bin gekommen, um mich mit dir und deinem Mann zu unterhalten.“
Die Frau erbleichte. „Geht es um Viana?“
Er nickte.
„Lina, geh Da holen“, sagte die Frau.
„Ja-a!“, rief das Mädchen und rannte los.
„Lord Regin, bitte kommt herein“, forderte die Frau ihn auf.
„Danke“, erwiderte Regin sich an seine Manieren erinnernd und folgte ihr in einen Raum, der aus einer Kochstelle, einem Tisch mit zwei großen Bänken und einem Alkoven bestand. Unter einem Fenster standen ein Spinnrad und ein Webstuhl.
„Setzt Euch“, sagte die Frau mit einer Geste auf die Sitzecke. „Möchtet Ihr etwas trinken? Raka? Bol? Wasser?“
„Ich denke, ich nehme das Wasser“, antwortete Regin, während er sich vorsichtig auf der hölzernen Bank niederließ. Das Holz knarrte unter seinem Gewicht und sein Bein begann zu pieksen. Er schätzte weder Bol, noch das bittere Getränk, das für die einfache Bevölkerung das war, was für die Magier und die Häuser Sumi war.
„Es ist von unserem Brunnen. In diesem Berg befindet sich eine Quelle. Es ist also ganz sauber.“
Und wenn nicht, wüsste ich, wie ich es reinigen könnte.
„Danke“, sagte Regin höflich, als die Frau einen tönernen Becher vor ihm abstellte. Vorsichtig trank er einen Schluck. Das Wasser war klar und eiskalt.
Die Frau goss sich einen Becher mit einer dampfenden und stinkenden Flüssigkeit – Raka – auf, setzte sich auf die Bank auf der anderen Seite des Tisches und musterte Regin. Ein unbehagliches Schweigen breitete sich aus. Regin wusste nicht, wie er mit einem Menschen Konversation betreiben sollte, der den gesellschaftlichen Stand eines Dieners hatte. Oh hoffentlich, kommt ihr Mann bald!
Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich und Regin hatte alle Mühe, die Wartezeit mit dem gelegentlichen Nippen an seinem Getränk zu überbrücken. Was hatte ihn getrieben, als er den Entschluss gefasst hatte, herzukommen? Was wollte er damit außer einer Selbstdemütigung bezwecken?
Endlich ging die Tür auf und ein großer vierschrötiger Mann trat ein, dicht gefolgt von Lina. Als Regin ihn erblickte, wusste er sofort, von wem die beiden Mädchen ihr tennblondes Haar geerbt hatten.
„Guten Tag, Kullen“, grüßte Regin und erhob sich. „Mein Name ist Lord Regin, ich war während der letzten Monate ein Lehrer Eurer Tochter und bin gekommen, um mit Euch über sie zu sprechen.“
„Guten Tag, Mylord“, erwiderte Kullen und verneigte sich steif. Dann nahm er neben seiner Frau platz. „Was ist mit Viana? Ist ihr etwas passiert?“
„Es geht ihr gut“, antwortete Regin. „Abgesehen von dem Leid, das ihr auf Grund des Wechsels ihres Mentors widerfahren ist.“
Das Gesicht des Reberhirten verfinsterte sich. „Lina, geh draußen spielen!“
„Aber ich will dabei sein!“
„Raus!“, wiederholte Kullen. „Sonst gehst du heute ohne Abendessen ins Bett!“
Linas Augen weiteten sich und sie beeilte sich, das Haus zu verlassen.
„Also, Lord Regin“, kam Vianas Vater wieder auf das Gespräch zurück. „Was wollt Ihr?“
Regin holte tief Luft. Jetzt würde es unangenehm werden. „Wie ich bereits sagte, habe ich eure Tochter während der letzten beiden Monate in Kriegskunst unterrichtet. Viana hat viel Geschick bewiesen, sie lernt schnell und ist ehrgeizig, obwohl ihr Interesse der Heilkunst gilt.“
„Und was soll uns das sagen?“, fragte Kullen unwirsch.
Er ist sehr direkt, bemerkte Regin. Besonders dafür, dass Nichtmagier sich für gewöhnlich vor Magiern fürchteten. Doch entweder hatte der Dorfheiler ihnen diese Furcht abgewöhnt oder die schlechte Laune des Mannes siegte über seinen Respekt. „Dass Viana eine hervorragende Novizin ist und du und deine Frau stolz auf sie sein solltet.“
„Das war ich, bis sie und Lord Dorrien angefangen haben, sich wie zwei junge Reber in der Paarungszeit zu verhalten.“ Eine Ader auf Kullens Schläfe begann zu pochen. „Und jetzt darf ich sie nicht mehr sehen, weil ich meine Reber nicht lange genug alleine lassen kann, um in die Stadt zu reisen.“
„Kullen“, sagte Regin sich zu seiner vollen Größe aufrichtend. „Dass Lord Dorrien das Recht verloren hat, Viana zu unterrichten, und sie bis zum Ende ihres Studiums in Imardin bleiben muss, ist meine Schuld. Ich möchte dir und deiner Frau deswegen meine Entschuldigung aussprechen und Euch bitten, nicht eure Tochter und Lord Dorrien zu verurteilen, sondern mich. Lord Dorrien hat sich sehr engagiert um ihre Ausbildung gekümmert und dafür gesorgt, dass sie in Imardin von den besten Lehrern unterrichtet wird. Ihre Noten liegen im oberen Durchschnitt, was nicht der Fall wäre, wenn ihre Beziehung sich schlecht auf ihr Studium auswirken würde.“
Er machte eine bedeutungsvolle Pause. Kullen starrte ihn mit unbewegter Miene an, während seine Frau die Stirn gerunzelt hatte. Regin fragte sich, ob der Reberhirt ihm so furchtlos begegnete, weil er den Umgang mit Magiern gewöhnt war, oder ob sein Zorn seine Furcht überstieg.
„Es mag Eure Schuld sein, dass Lord Dorrien meine Tochter nicht mehr unterrichten darf, Mylord“, sprach Kullen schließlich. „Aber das alles wäre nie passiert, wenn die beiden sich nicht so dämlich benommen hätten.“ Er schlug mit einer Faust auf den Tisch. „Verdammt! Ich war von Anfang an dagegen, dass er sie unterrichtet oder mit ihr ins Bett geht!“
Seine Frau legte eine Hand auf seinen Arm. „Kullen“, sagte sie leise. „Der Magier versucht gerade, alles wieder richtigzustellen. Es ist nicht Dorriens und Vianas Schuld. Du hast doch gehört, was er über die beiden gesagt hast.“
Das war so nicht ganz richtig, aber Regin zog es vor, sie nicht zu korrigieren.
Der Reberhirt verzog unwillig das Gesicht. „Schön, das sehe ich ja ein“, brummte er. „Aber was haben wir davon? Wird Viana wieder hier studieren dürfen?“
„Das ist leider nicht möglich“, antwortete Regin. „Doch die Ausbildung, die ihr in Imardin zuteilwird, wird Lord Dorriens Unterricht in nichts nachstehen. Da Viana so fleißig ist, wird sie ihren Abschluss möglicherweise bereits früher machen können. Insbesondere, wenn sie nicht ständig zwischen Windbruch und Imardin hin und her reisen muss. Ich werde mich persönlich darum kümmern.“
Mit Rothen als Mentor, der sie in Alchemie unterrichtete und Sonea als Lehrerin für Kriegskunst hatte Viana bereits zwei Lehrer, die sich gut für die junge Frau eigneten. In Heilkunst war sie nach Regins Wissen von Lady Kinla unterrichtet worden, die vermutlich bald von Lady Indria abgelöst werden würde.
„Ich werde Euch das wohl einfach glauben müssen, Mylord“, sagte Kullen. „Ob das richtig war, wird sich zeigen, wenn Viana ihr Studium beendet hat.“
„Ihr könnt auf mein Wort vertrauen. Doch es gibt noch eine Sache, die ich von dir und deiner Frau erwarte und die mir persönlich am Herzen liegt. Tatsächlich ist sie der eigentliche Grund meines Besuchs.“
Kullen runzelte die Stirn. „Was?“, fragte er unwirsch.
„Ich will, dass ihr Dorrien und Viana euren Segen gebt.“
Nachdem sie ausgeschlafen, sich ihrem Mann hingegeben, mit ihrem kleinen Sohn gespielt und etwas gegessen hatte, verließ Sonea die Residenz. Nach so langer Zeit war es seltsam, wieder zuhause zu sein. Verglichen mit der trockenen Hitze Dunas und der Ödländer war die Luft in Imardin kühl, feucht und schwer. Auf ihrem Rückweg vom Fort war das herrliche Sommerwetter umgeschlagen und seitdem regnete es allenthalben. Trotz aller Freude, wieder zuhause zu sein, drückte dies Soneas Stimmung nieder und verstärkte das Gefühl von Fremdheit.
Oder liegt es daran, dass ich nicht mehr nach Kyralia passe?
Sei nicht albern, schalt sie sich dann. Sachaka mag dich und Akkarin verändert haben, aber keiner von euch würde dort leben wollen.
In der Eingangshalle des Heilerquartiers kam ihr eine Gruppe Novizen entgegen. Sie grüßten Sonea ehrfürchtig und eilten dann weiter. Sonea schüttelte den Kopf. Eine schwarze Robe, ein paar Heldentaten und ein mächtiger Ehemann genügten offenkundig, um gefürchtet und respektiert zu werden. Seltsamerweise hatte es jedoch begonnen, sie zu amüsieren, wo es ihr einst unangenehm gewesen war.
Der Unterschied liegt darin, dass ich zu mir selbst gefunden habe, erkannte sie. Dass ich nicht mehr damit hadere, was ich bin, oder das Gefühl habe, der Welt jenseits meines Zuhauses nicht mehr trotzen zu können.
Ihre Reise nach Yukai hatte sie stärker gemacht. All die Wochen bis Imardin hatte sie es nicht bemerkt. Jetzt, wo sie wieder hier war, spürte sie den Unterschied jedoch deutlich. Sie hatte aufgehört, sich zerbrechlich zu fühlen. Und das Gefühl, zu zerbrechen, war in Yukai zurückgeblieben.
Was Marika ihr angetan hatte, würde niemals ganz heilen. Es konnte nicht mehr so werden, wie es einst gewesen war. Aber sie hatte damit ihren Frieden gemacht und akzeptiert, was es aus ihr gemacht hatte. Und ironischerweise passte sie damit nun besser zu Akkarin denn je.
Wenn Ihr gefunden habt, wonach Ihr sucht, dann wird das auch Euch mit Stolz erfüllen.
Ein unwillkürliches Lächeln auf den Lippen durchquerte Sonea die Eingangshalle und stieg hinauf in die höheren Stockwerke des Heilerquartiers.
Ihre Freundin begrüßte sie an der Tür ihres neuen Quartiers mit einer innigen Umarmung, als hätten sie einander nicht erst vor wenigen Stunden gesehen.
„Du hast mir so gefehlt“, schluchzte ihre Freundin.
„Ich weiß“, sagte Sonea über Trassias Rücken streichend. „Es tut mir so leid. Regin ist so ein Mistkopf.“
„Ich dachte, ich könnte ihm vertrauen. Ich habe ihn geliebt. Er war meine erste wirklich große Liebe. Und dann macht er so etwas. Ich hasse ihn!“
Darauf wusste Sonea nichts zu erwidern. Regin hatte auch sie getäuscht und sie war noch immer nicht damit einverstanden, dass die Gilde ihn als Oberhaupt der Krieger in Erwägung zog. Du solltest ihm eine Chance geben, Sonea.
Als Oberhaupt der Krieger vielleicht. Aber nicht in Bezug auf meine beste Freundin. Da hat er eindeutig eine Grenze überschritten.
„Es tut mir leid, dass ich ausgerechnet jetzt ein zweites Kind erwarte“, sagte sie.
„Zuerst war es ein kleiner Schock, aber ich wusste ja, dass ihr daran arbeitet.“ Trassia lächelte schief. „Selbst, wenn ich noch mit Regin zusammen wäre, würde das nicht bedeuten, dass wir auch Kinder hätten.“
„Ja.“ Sonea holte tief Luft und schob Trassia von sich, so dass sie einander ansehen konnten. „Du hast einen besseren Mann als Regin verdient, egal was du für ihn empfinden magst. Einen Mann, der bereit ist, mit dir Kinder zu zeugen.“ Regin hatte von Wiedergutmachung gesprochen, aber sie hatte entschieden, das erst zu glauben, wenn sie es sah. Und so wie sie ihn kannte, ahnte Sonea, seine Niedertracht würde sich nur ein anderes Ziel suchen.
„Ich weiß. Und das ist alles, was mich davon abhält, zu ihm zurückzukehren.“
„Es ist mehr als genug.“ Sonea zog ihre Freundin in deren Apartment und ließ sich mit ihr auf ein Sofa sinken. „Es tut mir leid, dass ich nicht hier war.“
„Du hast mitgeholfen, dass dieser Krieg ein Ende findet.“
„Trotzdem. Wäre ich hier gewesen …“
„... dann hättest du Regin eine Lektion erteilt.“
Sonea verkniff sich ein Lächeln. „Das ist wahr und das habe ich bereits.“ Sie runzelte die Stirn. „Das heißt, so gut es mir angesichts der Situation möglich war. Wenn du magst, mache ich ihn bei der nächsten Gelegenheit in der Arena fertig.“
Trassia lachte unter Tränen. „Das würde ich liebend gern sehen.“
Sonea zog ein Taschentuch aus ihrer Robe und tupfte ihrer Freundin die Tränen ab. „Sobald er zurück ist, können wir uns ihn auch gerne gemeinsam vornehmen.“
„Wenn die Gilde ihn zum Oberhaupt der Krieger machen will, wird er meine Stimme nicht bekommen.“
„Auf meine wird er auch verzichten müssen“, sagte Sonea. „Allerdings habe ich Akkarin mein Wort gegeben, mich um ihn zu kümmern, sollte er gewählt werden.“
„Und ihm die Meinung sagen, wenn er es zu weit treibt?“
Sonea lächelte grimmig. „Das ist das mindeste!“
Erneut fiel Trassia ihr um den Hals. „Wie froh ich bin, dass du zurück bist!“
„Ich auch“, sagte Sonea. Das Gefühl gebraucht zu werden, machte die Gilde wieder ein kleines Stück mehr zu ihrem Zuhause. Sie hatte nicht viel Gelegenheit gehabt, ihre Freundinnen zu vermissen. Jetzt, wo sie wieder zuhause war, erkannte sie erst wirklich, wie sehr ihr Trassia gefehlt hatte.
„Wenn du magst, kannst du mir alles erzählen, worüber du dich bei Regin aufregst, bis ich ihn ebenfalls hasse“, bot sie an.
Ihre Freundin den Kopf. „Es wieder und wieder zu erzählen, macht es auch nicht besser“, sagte sie. „Außerdem finde ich, dass Luzille unsere Unterstützung im Augenblick mehr gebrauchen kann.“
Luzille! Das plötzliche Schuldgefühl war überwältigend. Über ihre Rückkehr und Trassias Liebeskummer hatte Sonea nicht mehr an ihre andere Freundin gedacht. Und das, obwohl sie am besten wusste, wie entsetzlich es war, die Liebe seines Lebens zu verlieren.
Sie fühlte sich hin und her gerissen. Sie wollte für Trassia da sein, aber Luzille hatte den größeren Verlust erlitten.
Sonea betrachtete ihre Freundin zweifelnd. „Bist du sicher, dass du nicht reden willst?“, fragte sie.
Trassia nickte. „Wenn ich mich wieder über Regin aufrege oder er zurückkommt, kannst du dir meinen ganzen Zorn gerne anhören.“
„Ich werde da sein.“ Sonea nickte zur Tür. „Dann komm.“
Nachdem Trassia ihre Tränen getrocknet hatte, verließen sie das Heilerquartier und schritten zu den Quartieren der Magier. Trassia hatte sich bei Sonea eingehakt und sie gingen unter einem gemeinsamen Wärmeschild.
„Das sollten wir öfter machen“, sagte Trassia.
Sonea spannte sich unwillkürlich an. „Gerne“, erwiderte sie ein Lächeln aufsetzend.
Sie ist nicht Dany. Sie erinnert mich nur manchmal an sie.
„Eine Sache verstehe ich nicht, Sonea“, sagte ihre Freundin.
„Was?“
„Warum war ich so besorgt um Regin, als er nicht mit dir, deinem Mann und den anderen zurückgekommen ist, wenn ich ihn doch so sehr hasse?“
Weil ein Teil von dir ihn noch liebt …
Mit einem leisen Seufzen schob Sonea ihre Erinnerungen beiseite. Es war egal, ob ein verdrehter Teil von ihr Marika geliebt hatte oder nicht. Sie war zu dem Punkt gelangt, an dem er aufgehört hatte, Macht über sie zu besitzen. Weil er aufgehört hatte, ihr etwas zu bedeuten.
Weil sie Akkarin gehörte.
„Weil Hass ein ähnlich starkes Gefühl wie Liebe ist“, antwortete sie. „Solange du einen Menschen hasst, hat dieser noch Macht über dich. Aber das ist in Ordnung. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung.“
„Und dann?“, fragte Trassia.
„Der Hass wird nachlassen. Du wirst zu verstehen beginnen, dass ein Teil davon gegen dich selbst gerichtet war. Du wirst erkennen, dass er es nicht wert war, geliebt zu werden. Und dann kannst du loslassen.“
„Klingt nach einer Sache, die sehr viel Zeit braucht“, sagte Trassia.
„Ja. Aber du musst das nicht alleine durchstehen.“
Statt einer Antwort drückte Trassia nur ihren Arm.
Im Obergeschoss hielt Sonea inne. „Was, wenn Luzille nicht zuhause ist?“
„Sie wird zuhause sein.“ Trassias senkte ihre Stimme. „Seit sie die Nachricht erhalten hat, hat sie ihr Apartment nicht mehr verlassen. Ich habe jeden Tag nach ihr gesehen, doch sie schien kein Interesse an Besuchern zu haben.“
Sonea spürte, wie sich etwas in ihrer Brust schmerzhaft zusammenzog. Ich hatte geglaubt, Luzille wäre stärker.
Aber wie sollte sie, wenn Sonea selbst einst an dem scheinbaren Verlust ihres Mannes zerbrochen war?
Luzille saß in einem Sessel und starrte auf das Gelände der Universität, einen kalten Becher Sumi selbstvergessen in ihren Händen haltend. Ihr Anblick zerriss Sonea das Herz.
Und ich mache mir Sorgen um ein Baby und darum, wie ich meine Beziehung dorthin bringen kann, wo ich mich mit Akkarin sehe, während meine beiden besten Freundinnen die Liebe ihres Lebens verloren haben.
Ihre Augen begannen zu brennen. Trassia mit sich ziehend schritt sie zum Fenster. Dann ließen sie sich zu Luzilles Seiten nieder, umarmten sie und trauerten mit ihr.
An diesem Abend hatten Rothens Novizen sich schon früh für die Nacht zurückgezogen, was Rothen seit Wochen die erste Gelegenheit bot, den Abend mit einer Tasse Sumi und einem Buch in seinem Lieblingssessel zu verbringen. Da die Oberhäupter der Disziplinen Alchemie und Heilkunst zurück waren, würde Farand am nächsten Tag seine Abschlussprüfungen in diesen Kursen haben. Viana hatte an diesem Tag ihre letzte Prüfung für dieses Jahr hinter sich gebracht und hatte sich dementsprechend müde und erschöpft in Quartier zurückgezogen.
Ich kann kaum glauben, dass er bald nicht mehr mein Novize sein wird, dachte Rothen. Die Zeit ist so schnell vergangen. Sobald Balkans Assistent von wo auch immer zurückkehrte, würde Farand auch seine Prüfung in Kriegskunst ablegen und dann fehlte nur noch die Abschlusszeremonie, um es endgültig zu machen. Rothen glaubte jetzt schon, dass ihm dann etwas fehlen würde.
Aber ich habe noch immer Viana ...
Als es klopfte, hob er den Kopf. „Herein!“, rief er und streckte seinen Willen nach der Tür aus.
„Guten Abend, alter Freund“, erklang eine vertraute Stimme mit einem feixenden Unterton vom Flur aus.
Rothens Herz machte einen Sprung. Er legte das Buch zur Seite und er erhob sich. „Alter Freund, wahrhaftig!“, rief er und schritt auf Dannyl zu.
„Dann eben alter Feind.“
Lachend umarmten sie einander zum zweiten Mal an diesem Tag und Rothen fand, es war gut, dass manche Dinge sich niemals änderten.
„Komm herein“, sagte Rothen. „Der Wein, den du mir aus Elyne schickst, ist zwar aufgetrunken, aber ich habe einen hervorragenden drei Jahre alten Anurischen Dunkelwein.“
Dannyl hob leicht die Augenbrauen. „So alt wie dieser Krieg?“
„Ironischerweise ja. Doch ich denke, er wird auch geschmacklich deinen Ansprüchen genügen.“
„Ansprüche?“ Erheitert ließ Dannyl sich in einen der Sessel am Fenster sinken. „Wirklich, Rothen. Nach drei Monaten fernab jeder Zivilisation käme selbst der billigste Fusel einer Delikatesse gleich. Und Anurischer Dunkelwein ist dagegen alles andere als Fusel!“
„Und am Fort hattest du keinen Wein?“
„Ah, der war verwässert.“
Kopfschüttelnd entkorkte Rothen eine Flasche und befüllte zwei Gläser. „Ich nehme an, du bist nicht gekommen, um etwas über mein langweiliges Leben in der Gilde in Erfahrung zu bringen?“, fragte er.
Dannyl nahm sein Glas entgegen. „Eigentlich wollte ich mit meinen Reisen prahlen, doch tatsächlich hätte ich nichts gegen ein wenig Normalität.“
„Normal“ war für Rothen an zwei Novizen, einem schreienden Baby, absurden Gildenversammlungen und einem neuerlichen Skandal seines eigenen Sohnes rein gar nichts. Dennoch erzählte er seinem Freund während der nächsten halben Stunde, was sich in der Gilde während der vergangenen Monate ereignet hatte. Dannyl lauschte aufmerksam und lachte hin und wieder und bemitleidete Rothen.
„Was macht dein Ödländer-Projekt?“, fragte sein Freund dann.
„Es wächst und gedeiht, wenn man das so sagen kann.“
„Hast du bei den Bodenproben schon etwas herausgefunden?“
„Tatsächlich habe ich meine Klasse darauf angesetzt. Sie haben die Proben auf ihre Inhaltsstoffe analysiert, da sie das nötige alchemistische Wissen bis auf einige Ausnahmen schon hatten. Den Rest habe ich ihnen beigebracht.“
Leise pfiff Dannyl durch die Zähne. „Damit hast du ihnen nicht nur einen Vorgeschmack auf das, was sie erwartet, gegeben, sondern auch deine Arbeit auf geschickte Weise weiter delegiert.“
„Mit zwei Novizen und einem Baby war das auch bitter nötig!“
„Und hat die Novizenarbeit wenigstens eine Erleuchtung gebracht?“
„Ich habe nun eine Vorstellung von der Art und Weise, wie eine starke Einwirkung von Magie den Boden vergiftet und welche Abbauprodukte dabei entstehen“, antwortete Rothen. „Dennoch würde ich das gerne mit Proben aus den Ödländern vergleichen, um sicherzugehen.“
„Aber du würdest die Sache noch immer als durchführbar einschätzen?“
„Ja. Und ich habe nun eine bessere Vorstellung davon, was getan werden muss.“ Rothen trank einen Schluck Wein und sah zu Dannyl. „Doch nun erzähle du von deiner Reise. Und untersteh dich bloß mit Übertreibungen! Aufregung hatte ich in den letzten Wochen wahrhaftig genug.“
„Dann werde ich alles Spannende weglassen und dir nur den langweiligen Teil erzählen“, gab Dannyl zurück. „Doch das könnte dich einschläfern.“
Rothen unterdrückte ein Schnauben. „Tu, was du nicht lassen kannst.“
Er hat so unglaublich gute Laune. Die Reise hat seinem Selbstbewusstsein gut getan.
Nein, dachte er dann. Es ist mehr als das. Er ist nahezu aufgedreht.
„Du hast wirklich einiges an Abenteuern erlebt“, sagte er, als Dannyl seinen Bericht beendet hatte. „Ich könnte mich aufregen, weil du dich dabei andauernd in Lebensgefahr begeben hast, aber ich gönne dir, dass du auf diese Weise so viel von der Welt und ihren Kulturen sehen konntest. Und ich bin froh, dass Sonea auf dich aufgepasst hat.“
„Du hast mir nie erzählt, wie stur sie sein kann“, erwiderte Dannyl.
„Beim nächsten Mal warne ich dich vor“, sagte Rothen augenzwinkernd.
Sie lachten.
„Tatsächlich ist mir auf dieser Reise einiges klargeworden“, sagte Dannyl dann. „Ich hätte es nie für möglich gehalten, doch Sonea war nicht die Einzige, die in Yukai ihre Vergangenheit bewältigt hat.“
Rothen runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“
„Nachdem die Konferenz gescheitert ist, habe ich mich als Versager gefühlt.“ Dannyls Stimme war leise, aber frei von der Unsicherheit, mit der er früher über seine Probleme gesprochen hatte. „Es war wie damals nach der Sache mit Arrend.“ Er machte eine Pause und nippte an seinem Wein. „Ich habe dir das nie erzählt. Es war kurz, bevor du mein Mentor wurdest und ich wollte über diese Dinge nicht reden. Doch damals hat mein Vater mir ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass ich eine Enttäuschung für die Familie bin. So habe ich mich nach Yukai gefühlt. Und damals nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Marika.“
Mit einem Mal verstand Rothen vieles, was ihm nie ganz bewusst geworden war. Dannyl konnte sehr verschlossen sein. Er verstand, warum jener Vorfall in Arvice so an Dannyls Selbstbewusstsein gekratzt hatte und warum er anschließend so versessen darauf gewesen war, mit den Verrätern zu verhandeln. Und dann hatte er auch dieses Bündnis brechen sehen.
„Aber am Ende hattest du Erfolg“, sagte er. „Du hast sie vereint und für Frieden gesorgt.“
Über Dannyls Gesicht huschte ein schiefes Lächeln. „Das habe ich, nicht wahr?“ Nachdenklich schwenkte er den Wein in seinem Glas. „Aber bevor es am Nordpass schließlich dazu kam, habe ich erkannt, dass manche Dinge in der Natur des Menschen nicht zu ändern sind. Und das sogar auf eine noch andere Weise, als ich bisher dachte.“
„Nein“, stimmte Rothen zu. „Die Weisheit liegt darin, diese zu akzeptieren.“
Der Blick, mit dem Dannyl ihn daraufhin bedachte, wusste Rothen nicht zu deuten.
„Das Faszinierende an dieser Sache ist nur, dass die eigenen Wertevorstellungen einem diese Weisheit oft versperren.“
„Du meinst, wenn es darum geht, die Sitten anderer Völker zu akzeptieren?“
Dannyl nickte. „Das auch.“
„Ich fand es gewöhnungsbedürftig, dass einige Duna an unserer Universität Heilkunst studieren dürfen“, sagte Rothen. „Doch als ich sie heute gesehen habe … sie wirken wild und barbarisch und doch glaube ich, dass sie gute Menschen sind. Und das nicht nur, weil du das glaubst.“
„Du wirst es nicht glauben, doch das gilt auch für manch einen Sachakaner.“
„Nein“, sagte Rothen. „Das glaube ich wirklich nicht.“
„Das hätte ich auch nicht, hätte man mir das erzählt.“
Rothen betrachtete seinen Freund anerkennend. Dannyl hatte es nicht nur in seiner Karriere weit gebracht. Er war auch geistig an seinen Erfahrungen gereift. Seine Arbeit hatte ihn toleranter gemacht, als man es von einem Kyralier erwartete. Eine ähnliche Aufgeschlossenheit kannte Rothen nur von Elynern wie Farand oder Luzille.
„Dein Verhältnis zu deinem Assistenten hat sicher erheblich dazu beigetragen“, sagte er. „Trotz allem seid ihr ziemlich enge Freunde geworden.“
„Du glaubst gar nicht, wie viel es dazu beigetragen hat!“ Dannyls Augen funkelten wie sie es nur taten, wenn er Flausen im Kopf hatte. „Tayend ist das Beste, was mir je passieren konnte.“
„Nach allem, was ich von ihm mitbekommen habe, als er Akkarin mit den Schilddieben assistiert hat, ist er ein ziemlich guter Assistent“, sagte Rothen.
„Er ist mehr als das, Rothen.“
Rothen erstarrte. Da war ein Ton in Dannyls Stimme, der ihm augenblicklich klarmachte, was dies zu bedeuten hatte. Und mit einem Mal wurden ihm auch Dinge klar, die er in den vergangenen Jahren für merkwürdig befunden hatte. Und er begriff, er war blind gewesen, weil er nur gesehen hatte, was er sehen wollte.
„Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll“, brachte er hervor.
„Du brauchst nichts sagen. Noch erwarte ich, dass du es verstehst. Doch ich würde mich freuen, wenn du es akzeptierst.“
„Ich weiß nicht, ob ich das kann“, sagte Rothen. Seine gesamte Welt schien gerade zusammenzubrechen. Nachdem er bereits Dorrien und Sonea jeden auf seine Weise verloren hatte, spürte er, dass er gerade dabei war, auch Dannyl zu verlieren. Seinen längsten und ältesten Freund, der noch am Leben war. Seinen einzigen Freund. „Ich kann dir nur versprechen, dass ich Stillschweigen bewahren werde.“
„Das bedeutet mir sehr viel.“ Dannyl leerte sein Weinglas. „Ich weiß, dass ich dir damit sehr viel zumute, besonders nach allem, was du gerade mit Dorrien hinter dir hast. Aber ich kann es dir nicht länger verschweigen, Rothen. Du bist mein längster und bester Freund. Ich bin es leid, mich vor den Menschen zu verstecken, die mir etwas bedeuten. Und Tayend bedeutet mir alles. Es ist schwer, das nicht mit dir teilen zu können.“
Rothen konnte nur nicken. Er begriff, dass er diesen Schock erst einmal verarbeiten musste. Aber wusste nicht, ob es helfen würde. Er wusste nicht einmal, warum es ihn so schockierte. Seit er Dannyl zu sich genommen hatte, hatte er es irgendwie gewusst. Er hatte nur die Augen davor verschlossen, bis es zu einem absurden Gedanken geworden war.
Er unterdrückte ein Seufzen, dann sah er Dannyl an.
„Ich fürchte, ich werde Zeit brauchen, mich daran zu gewöhnen, Dannyl.“
Sein Freund lächelte schief.
„Du hast alle Zeit der Welt, Rothen. Wenn ich Imardin verlasse, in jedem Fall mehrere Monate.“
Sonea war erst spät in die Residenz des Hohen Lords zurückgekehrt. Sie hatte Trassia bei Luzille gelassen, nachdem es ihnen gelungen war, die junge Elynerin zum Reden zu bringen. Sonea fühlte sich wie eine schlechte Freundin, weil sie sich schließlich verabschiedet hatte, aber sie war noch immer erschöpft von ihrer Reise. Und sie erwartete ein Kind. Sie hatte Luzille jedoch versprochen, am nächsten Tag nach ihr zu sehen.
Als sie Akkarin beim Essen gegenübersaß, konnte sie jedoch nicht aufhören, über ihre Strategie nachzudenken, ihn für die Vertiefung gewisser Aspekte ihrer Beziehung zu gewinnen. Seine Worte bei ihrer Rückkehr am Mittag ließen ihr dabei keine Ruhe.
Du wirst mich noch verfluchen.
Was hatte er damit gemeint? Dass sie ihn verfluchen würde, wenn sie das in die Tat umsetzten? Oder weil er nicht bereit war, sich darauf einzulassen?
Sie hatte gelernt, dass ein ’wir werden sehen’ kein Versprechen war. Bei Akkarin war es sogar oft ein beschönigender Ausdruck für ’Nein’.
Was ihre Strategie betraf, so war Sonea erleichtert, dass sie den Geheimniswahrer noch immer besaß. Jetzt, wo sie wieder in der Gilde waren, wollte sie jedoch nichts lieber, als dieses Artefakt endlich loszuwerden. Sie würde auch danach noch Gelegenheit haben, an ihrer Strategie zu feilen. Akkarin hatte Besseres zu tun, als den ganzen Tag ihre Oberflächengedanken durch den Blutring zu lesen. Sie war sicher, sie würde sich in dieser Sache durchsetzen können. Auch wenn sie ihm dazu solange auf die Nerven gehen musste, bis er wütend wurde und die Sache selbst in die Hand nahm.
Aber wollte sie seine dunkle Seite wirklich auf diese Art entfesseln?
„Du bist heute Abend so nachdenklich.“
Sonea sah von ihrem Kuchen auf. Der Teig war mit den ersten Pachi des Jahres gespickt und hatte eine herrlich knusprige Kruste aus gehackten und karamellisierten Tironüssen. Sie wusste nicht, ob es daran lag, dass sie so lange fort gewesen war oder dass Takan sich an diesem Abend selbst übertroffen hatte – Sonea glaubte, noch nie in ihrem Leben einen so köstlichen Kuchen gegessen zu haben.
Sie sah auf. „Es ist seltsam wieder zuhause zu sein“, sagte sie. „Es ist so … zivilisiert. Und konservativ.“
„Allerdings.“ Akkarin lachte leise in sein Weinglas. „Während man Ersteres vermisst, wird Letzteres einem schmerzlich bewusst, wenn man wieder hierher kommt.“
Es ist keine Anspielung, sagte Sonea sich. Akkarin mochte sich nach außen hin konservativ geben, doch in seinem Herzen war er genau so ein Rebell wie sie.
„Aber man merkt dann auch erst, was sich verändert hat“, sagte sie.
Seine dunklen Augen bohrten sich in ihre. „Wie meinst du das?“
Für einen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken, ihren Nachmittag mit Trassia und Luzille als Argument einzubringen, entschied dann jedoch, dass es besser war, das Thema zu forcieren. „Es gibt Veränderungen, die positiv sind, aber es gibt auch solche, wo man den alten Zustand lieber wiederherstellen möchte.“
„Sofern das möglich ist.“
„Ja.“ Sonea faltete ihre Serviette und legte ihr Besteck darauf ab. „Und deswegen gehen wir jetzt in den Keller.“
Akkarin runzelte die Stirn. „Was willst du dort?“
„Komm einfach mit.“
Wortlos erhob er sich und folgte ihr nach draußen. Auf den Stufen zum Keller war er so dicht hinter ihr, dass sie zum ersten Mal seit langem ein leises Unbehagen verspürte. Das hier hatte das Potential unangenehm zu werden.
Sie stieß die Tür auf und trat zu dem Tisch, der die Mitte des Raumes ausfüllte. Dort angekommen wandte sie sich um.
„Ich will, dass du mir den Geheimniswahrer entfernst.“
Akkarin betrachtete sie kühl, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Nein.“
„Warum nicht?“, verlangte Sonea zu wissen.
„Weil er dich schützt.“
Sonea hatte dieses Argument bereits vorausgeahnt. Ihre Sicherheit hatte für Akkarin eine ähnlich hohe Priorität wie die von Kyralia und der Gilde. „Momentan besteht keine Gefahr, dass einer unserer Feinde meine Gedanken lesen könnte“, sagte sie. „Sollte sich das eines Tages ändern, kannst du ihn mir wieder einsetzen. Doch bis dahin will ich dieses Ding nicht in mir haben. Es verleitet mich dazu, Geheimnisse vor dir zu haben. Und das will ich nicht.“
„Du brauchst den Geheimniswahrer nicht vor mir einzusetzen, das weißt du, nicht wahr?“
„Wenn er da ist, verleitet er mich zu Heimlichtuerei. Ich will das nicht, Akkarin. Ich will, dass du wieder uneingeschränkten Einlass in meine Gedanken hast. Ich vermisse die Vertrautheit. Ich vermisse uns.“ Er öffnete den Mund, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Du kannst nicht behaupten, dass dir das nicht fehlt.“
Akkarin antwortete nicht. Seine Miene hatte sich verfinstert und er starrte an einen Punkt an der Wand. Sonea hoffte, sie würde ihm nicht damit drohen müssen, es selbst zu versuchen. Auch mit dem nötigen Wissen über Heilkunst wollte sie nicht mit einem Messer in ihrem Nacken fuhrwerken.
Schließlich ging er zu der alten Truhe und holte schweigend Dakovas Dolch heraus.
„Also schön“, sagte er. „Du sollst deinen Willen haben. Aber glaube nicht, ich wüsste nicht, was du damit bezwecken willst. Es gibt Dinge, für die brauche ich keine Magie.“
Sonea unterdrückte ein Schnauben. „Dann mach ihn endlich weg.“
Akkarin wies zum Tisch. „Beug dich nach vorne.“
Sonea gehorchte wortlos. Hinter sich konnte sie seine Schritte näherkommen hören. Seine behandschuhte Hand strich ihr langes Haar nach vorne.
„Du kennst das Spiel.“
Statt einer Antwort blockierte sie die Nerven in jener Region. Die Klinge und seine Finger in ihrem Fleisch waren nur dumpf zu spüren. Doch als sie etwas umfassten und hinauszogen, sog sie scharf die Luft ein.
„Entschuldige“, sagte Akkarin. „Scheint, als habe ich ihn damals etwas unglücklich positioniert. Sollte Dannyl seinen Geheimniswahrer ebenfalls entfernt haben wollen, so würde ich ihn vorher darauf hinweisen.“
„Ich glaube vielmehr, dass Dannyl dankbar ist, gewisse intime Dinge dort zu verwahren“, erwiderte Sonea, während sie dem Drang widerstand, sich zu kratzen, als Akkarin die Wunde heilte.
Nachdem er fertig war, wandte sie sich um. Einen tiefen Atemzug nehmend zwang sie sich, in seine Augen zu sehen.
„Und jetzt mach mir ein Blutjuwel, das sich nicht mehr entfernen lässt.“
Akkarin wischte seine blutverschmierte Hand an einem Tuch sauber.
„Nein.“
„Warum nicht?“, verlangte Sonea zu wissen.
„Weil das eine Grenze ist, die ich nicht überschreiten werde.“
„Es wäre nicht so viel anders als mit dem Ring. Nur mit dem Unterschied, dass ihn mir niemand wegnehmen könnte.“
„Du könntest ein solches Blutjuwel nicht mehr ablegen.“
Sonea zuckte die Schultern. „Dann sage ich dir, wenn du nicht zusehen sollst.“
„Nein.“
„Aber Takan …“, begann sie.
„Das mit Takan ist etwas anderes“, entgegnete Akkarin hart. „Sonea, wir hatten dieses Thema bereits.“
„Sollten die Sachakaner mich eines Tages erneut gefangen nehmen, wäre ein solches Blutjuwel sicherer, so wie der Geheimniswahrer. Ich könnte beides gleichzeitig tragen, ohne dass der Geheimniswahrer gegenüber dir wirken kann.“
„Dann würde es auch genügen, dir ein Blutjuwel zu implantieren, sollten die Sachakaner wieder zu einer Bedrohung werden.“
Sonea verdrehte die Augen. Sie fand, ihre Motive unterschieden sich nicht allzu sehr von denen Takans. Sie wollte ihm ganz gehören. Warum sperrte er sich bei ihr so sehr dagegen?
„Hoher Lord“, sagte sie. „Die Sachakaner geben ihren Sklaven ein solches Blutjuwel nicht nur, um die ungehorsamen zu kontrollieren, sondern auch jenen, die eine besondere Position innehaben.“
Akkarin betrachtete sie eine Weile mit ausdrucksloser Miene und Sonea begann sich zu fragen, was wohl in seinem Kopf vorging. Schließlich seufzte er.
„Sonea, ich weiß, worauf du hinaus willst, aber das kann ich dir nicht geben.“
Marika hätte es getan, wollte sie ihm vorwerfen und kam sich zugleich undankbar vor. Marika hatte ihr nie eine Wahl gelassen. Er war gegen ihren Willen mit ihr verfahren und sie respektlos behandelt. Wenn Akkarin sich über ihren Willen hinwegsetzte, dann war es stets zu ihrem Besten, und wenn es das nicht war oder er sich irrational verhielt, dann sorgte Sonea dafür, dass er ihr nachgab. Sie hätte zu gerne geglaubt, dass seine Entscheidung dieses Mal auch zu ihrem Besten war.
„Wenn du so sehr darauf bestehst, ein Blutjuwel von mir dauerhaft zu tragen, dann wirst du deinen Ring von heute an nicht mehr ablegen“, sagte er leise. „In bestimmten Situationen wirst du mich darum bitten dürfen, es zu tun, aber wenn ich deine Bitte ablehne, wirst du darauf vertrauen müssen, dass ich dich nicht beobachte.“
Sonea erschauderte ob der Autorität, mit der er die Worte sprach. Indem er ihr die Möglichkeit ließ, sein Blutjuwel abzulegen, unterwarf er sie nicht seinem Willen, sondern brachte sie dazu, es selbst zu tun. Zugleich ließ er sich damit die Option für Konsequenzen offen, sollte sie den Ring unerlaubt ablegen. Sie musste zugeben, dass dies einen gewissen Reiz hatte. Marika hatte ihre Ergebenheit eingefordert, doch indem sie die Wahl hatte, machte sie ihrem Mann ein viel größeres Geschenk.
Sie wusste, damit hatte sie noch lange nicht, was sie von ihm wollte, doch es fühlte sich wie ein kleiner Sieg an.
Entschlossen sah sie zu ihm auf. „Dann werde ich diesen Ring mit Stolz tragen.“
Mivara betrachtete das Bündel auf ihrem Bett. Es enthielt mehrere Kleider, die Tarko ihr hatte schneidern lassen, so wie den Schmuck, den er ihr geschenkt hatte. Faktisch waren diese Sachen sein Eigentum, doch Tarko hatte sie ihr zur alleinigen Verwendung gegeben. Keine andere Sklavin würde diese Sachen jemals tragen, weil Tarko sie nur an ihr hatte sehen wollen.
Und damit gehörten sie in gewisser Weise Mivara.
Die Tür ging auf und vertraute schwere Stiefelschritte näherten sich.
„Du gehst also.“
Es war keine Frage. Es war eine Feststellung.
„Ja“, antwortete Mivara, unfähig den Kopf zu heben und ihn anzusehen. „Es muss sein.“
„Mivara, sieh mich an.“
Zögernd gehorchte sie. Sein Anblick schmerzte sie und machte es ihr schwer zu tun, was nötig war.
„Du musst nicht zu deinen Schwestern zurück, wenn du das nicht willst. Ich weiß, du möchtest lieber bei mir bleiben.“
„Ich kann nicht“, sagte sie leise. „Wir wissen beide, dass ich nicht mehr hierher gehöre.“
Einige Tage zuvor war Anjiaka zu Tarko gekommen. Mivara war mit den anderen Sklavinnen aus Tarkos Cachira im Badehaus gewesen, doch Tarko hatte ihr das Gespräch anschließend gezeigt.
„Die Verräter fordern Mivara zurück“, hatte Anjiaka zornig erklärt.
„Die Verräter können Mivara noch so sehr fordern, ich werde sie Euch nicht geben“, hatte Tarko erwidert.
„Sie ist aufgeflogen, ihr Auftrag ist beendet und sie wird anderweitig gebraucht. Ihr solltet Euch gut überlegen, ob Ihr so kurz, nachdem wir Frieden geschlossen haben, einen erneuten Krieg mit uns wollt.“
„Vielleicht hat Mivara gar kein Interesse daran, zu Euch zurückzukehren“, hatte Tarko gesagt. „Vielleicht gefällt es ihr bei mir besser.“
„Das ist mir auch schon zu Ohren gekommen. Was habt Ihr mit ihr getan?“
„Ich biete Mivara alles, wovon eine Sklavin träumen kann. Es ergeht ihr gut bei mir und sie ist glücklich.“
„Mivara ist keine Sklavin! Sie ist eine Informantin der Verräter!“
„Mit der Neigung sich zu unterwerfen. Ihr könnt sie nicht dafür verurteilen, wenn Ihr dazu beigetragen habt, sie bei mir einzuschleusen.“
Anschließend war Tarko zu Mivara gekommen und hatte ihr gesagt, dass es ihr frei stand zu gehen, wenn das ihr Wunsch war. In einem Anflug von Zuneigung und sexueller Besessenheit hatte Mivara dies jedoch kategorisch abgelehnt. „Würde ich gehen wollen, so hätte ich Euch schon längst darum gebeten“, hatte sie gesagt. „Und vielleicht gibt es sogar einen Weg, wie ich meinem Volk bei Euch nützlich sein kann.“
„Und wie stellst du dir das vor?“
„Ich dachte an unsere zukünftige Zusammenarbeit. Zudem weiß außer Euch und Euren Freunden niemand, dass ich für die Verräter arbeite.“
Offenkundig erleichtert, weil sie beschlossen hatte zu bleiben, hatten sie ein paar Tage voll Leidenschaft und dem süßen Gefühl von Macht und Unterwerfung verbracht. Doch als Mivara am vergangenen Abend in Tarkos Armen gelegen hatte, hatte der Schlaf nicht kommen wollen.
Und sie hatte begriffen, dass es Zeit war, zu gehen.
Sie hatte versucht, einen Weg zu finden, wie sie ihrem Volk in Tarkos Haushalt weiterhin nützlich sein konnte – und war zu keinem brauchbaren Ergebnis gekommen. Mit Tarko zu schlafen und zu seinen Füßen zu knien hatte angefangen, seinen Reiz zu verlieren und Mivara musste einsehen, dass sie sich in den vergangenen Wochen etwas vorgemacht hatte.
Sie hätte gehen sollen, als Tarko sie zur Rede gestellt hatte. Sie hatte nur nicht wahrhaben wollen, dass es vorbei war. Die Wahrheit war heraus, diese äußerst befriedigende Meister-Sklavin-Beziehung konnte nicht mehr funktionieren.
„Ich kann dich nicht mit Gewalt hier behalten, Mivara“, sprach Tarko. „Selbst, wenn deine Schwestern mir dann keinen Ärger bereiten würden, wäre das falsch.“ Er streckte eine Hand aus und berührte ihre Wange. „Aber ich kann den Gedanken, dich zu verlieren, kaum ertragen.“
Mivara schloss die Augen, dem Drang widerstehend, sich in die Wölbung seine Handfläche zu schmiegen. Sie würde das hier sonst nicht können. „Ich fürchte, Ihr müsst mich gehenlassen, Meister.“
„Nein“, sagte er. „Das kann ich nicht.“
Das Brennen in ihren Augen war absurd. Er war nur ein Auftrag gewesen. „Doch. Das musst du. Es ist das Beste.“
Ihr Meister ließ von ihr ab und begann in ihrem Gemach auf und ab zu tigern. „Was muss ich tun, damit du bei mir bleibst, Mivara? Soll ich deine Magie entfesseln und zu meiner Leibwächterin ausbilden? Soll ich dich zu meiner Frau nehmen?“
Mivara schüttelte stumm den Kopf. Das würde alles nur noch seltsamer machen. „Magie kann ich bei meinem Volk lernen. Dort würde ich keinerlei Einschränkungen unterliegen.“
„Also war es das“, sagte er. „Du willst zurück zu deinem Volk.“
Etwas Heißes rann ihre Wangen hinab. Mivara nickte stumm, weil ihre Stimme plötzlich versagte.
Tarko trat auf sie zu und schloss sie in seine Arme. Es fühlte sich seltsam an. Unbeholfen. Mivara wusste jedoch auch nicht, was er stattdessen hätte tun können. In ihren Herzen wussten sie beide, dass er nicht mehr ihr Meister war. Und das schätzte sie an ihm. Ein anderer Ashaki hätte sie behalten und sie gebrochen. Aber so war Tarko nicht. Und sie hatte so eine Ahnung, dass er angefangen hatte, sie zu respektieren.
Einen tiefen Atemzug nehmend löste sie sich von ihm.
„Ich werde zu meinem Volk zurückgehen“, sagte sie eine Hand auf seine Wange legend. „Aber wir werden uns wiedersehen. Und dann werden wir wirklich auf derselben Seite stehen.“
Dann schritt sie an ihm vorbei zur Tür.
Als Regin das Heilerquartier betreten hatte, war er sofort in eines der höheren Stockwerke zu Trassias Apartment gestiegen. Auf sein Klopfen hin hatte jedoch niemand geöffnet. Und so war er zurück in die Eingangshalle gegangen und hatte sich nach ihr durchgefragt.
„Lady Trassia assistiert bei einer Operation“, hatte ihm ein junger Heiler mitgeteilt. Für Regins Geschmack hatte der Mann viel zu gut ausgesehen. Was, wenn Trassia sich in ihn verliebt hatte, während er am Nordpass um sein Leben gekämpft hatte? Hatte sie inzwischen schon einen anderen? „Ihr könnt jedoch hier auf sie warten.“
„Dann werde ich das tun“, hatte Regin gesagt und dem Mann widerstrebend gedankt.
Doch auch eine Stunde später war noch weit und breit keine Spur von ihr. Hatte der Heiler ihr überhaupt bescheid gesagt? Hatte er Regin die Wahrheit gesagt? Vielleicht war er ja doch ihr neuer Liebhaber. Der Mann hatte ihm so einen wissenden Blick zugeworfen.
Je länger Regin wartete, desto größer wurde seine Unruhe. Er begann in der Empfangshalle auf und ab zu schreiten. Er hatte gegen Sachakaner gekämpft. Er hatte sich einigen unbequemen Menschen gestellt. Warum fiel das hier ihm so schwer?
Ich werde warten, bis sie hier durchkommt. Und wenn es die ganze Nacht dauert.
Endlich eilten vertraute Schritte aus einem der Korridore, dann betrat Trassia mit wehenden Roben die Empfangshalle. Regin stieß leise die Luft aus, die er angehalten hatte. Sie war allein.
Zuerst sah sie ihn nicht, doch als er ein paar Schritte auf sie zu machte, weiteten sich ihre Augen. Dann verlor sie die Kontrolle über ihre Mimik. „Regin!“, rief sie und eilte auf ihn zu. „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!“
Sie flog ihn um den Hals. Unter dem medizinischen Geruch von Desinfektionsmitteln und Heilkräutern duftete ihr Haar so gut, wie er es in Erinnerung hatte.
„Ich freue mich auch, dich zu sehen, liebste Trassia“, erwiderte er lachend.
„Als ich hörte, was am Nordpass geschehen ist, war ich ganz außer mir. Ich hatte niemanden außer Indria, um mich zu beruhigen. Erst als Sonea zurückgekehrt ist, wusste ich, dass es dir gutgeht.“
Also hatte Kayan wieder einmal recht behalten. Sich in Gefahr zu begeben, besänftigte auch die wütendste Frau. Aber er war noch nicht sicher, ob er sie wieder für sich gewonnen hatte. „Es geschah, als ich mich heldenhaft für die Gilde geopfert habe“, sagte er. „Aber Lord Vorels Strategie war erfolgreich.“
„Oh Regin, das freut mich! Wenn jemandem das gelingt, dann dir.“
„Ich weiß“, erwiderte Regin augenzwinkernd. Dann wurde er ernst. „Trassia“, sagte er und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. „Ich bin gekommen, weil ich mich bei dir entschuldigen möchte. Ich habe einen großen Fehler gemacht; ich war ein solcher Idiot, dass es dafür keine Worte gibt. Ich habe alles getan, ihn wieder geradezubiegen. Ich war bei Dorrien, Vianas Eltern und Kayan. Nach meiner Rückkehr war ich bei Lord Rothen und Viana. Das war sehr unangenehm, aber ich habe es getan. Sie alle waren nicht sehr erfreut, mich zu sehen. Aber sie haben meine Entschuldigung angenommen. Jetzt fehlt nur noch eine Person: du.“ Er machte eine Pause und sah in ihre dunklen Augen. „Kannst du mir verzeihen, liebste Trassia?“
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ich habe dir bereits verziehen, als ich hörte, dass du am Nordpass dein Leben riskiert hast“, sagte sie. „Und ich begrüße, dass du dich bei allen entschuldigt hast, die unter deiner Intrige gelitten haben.“
Regins Herz machte einen Sprung. Also hatte Kayan auch hier recht behalten. Trassia hatte ihm verziehen, endlich stand nichts mehr zwischen ihnen.
Er löste sich von ihr und trat einen Schritt zurück. Dann nahm er ihre Hände zwischen seine und ging auf die Knie. Einen tiefen Atemzug nehmend sammelte er sich für seine nächsten Worte. Er hatte lange deswegen mit sich gehadert, doch jetzt war er bereit.
„Liebste Trassia, willst du meine Frau werden?“, fragte er und schob den feinen Goldring, den er in seiner Tasche verborgen hatte, auf ihren Finger.
Sie sog laut die Luft ein. „Regin“, hauchte sie. „Hast du eine Ahnung, wie lange schon ich mir das gewünscht habe?“
„Anscheinend so lange, dass du nun völlig aufgelöst bist“, bemerkte er erheitert, während ihm das Herz bis in den Hals schlug.
Sie konnte nur nicken.
„Also was sagst du?“
Sie zog ihre Hand zurück. „Nein.“
Regin erstarrte. „Was nein?“
„Nein, ich will nicht deine Frau werden.“
„Aber …“, begann er. „Ich dachte, das wäre dein größter Wunsch?“
„Das war es auch. Bis du Dorrien und Viana das angetan hast.“
„Aber ich habe mich bei allen entschuldigt. Ich habe mich bei dir entschuldigt. Du hast mir verziehen. Was willst du noch?“
Zu seiner Verwirrung rannen Tränen über Trassias Wangen. „Dass du gehst.“
„Aber warum?“, brach es aus ihm hervor.
„Weil ich dir nicht mehr vertrauen kann. Ich habe gedacht, du wärst ein feiner Kerl, Regin. Aber was du Dorrien und Viana angetan hast, war einfach nur abscheulich. Du bist noch immer so schlimm wie früher.“ Sie schüttelte ihre dunklen Locken. „Nein, schlimmer.“
Ihre Worte versetzen ihm einen Stich. Er hatte alles getan, damit sie ihm verzieh, und sich sogar dazu durchgerungen, ihr ihren größten Wunsch zu erfüllen. Sie hatte bereits einmal mit ihm Schluss gemacht. Sie konnte nicht noch einmal mit ihm Schluss machen. „Ich habe mich gebessert. Bitte, liebste Trassia. Nimm mich zurück.“
„Es tut mir leid, Regin.“ Trassia zog den Ring von ihrem Finger und gab ihn Regin zurück. „Ich bin bereit, mit dir befreundet zu sein. Aber mehr kann ich dir nicht geben.“
Mit diesen Worten wandte sie sich um und schritt zur Treppe. Alles in Regin schrie danach, ihr hinterherzueilen und ihr nachzurufen, wie leid es ihm tat, doch er war wie gelähmt. Die Endgültigkeit ihrer Worte sprach eine deutliche Sprache: Er hatte sie verloren.
Voll Scham starrte er auf den Ring in seiner Hand. Er hatte ein kleines Vermögen dafür ausgegeben. Ein absurder Teil von ihm wollte ihn behalten, falls sie zurückkehrte und ihre Meinung änderte, doch er wusste, das würde sie nicht.
Kayan hatte sich geirrt. Es war vorbei.
Seine Augen begannen zu brennen. Erst als ein grüner Ärmel seine Schulter fasste und jemand fragte: „Lord Regin, geht es Euch gut?“, kam er wieder zur Besinnung.
„Ja“, stammelte er und kam auf die Beine. Ein Stöhnen unterdrückend bemerkte er die Männer und Frauen in grünen Roben, die sich in der Eingangshalle versammelt hatten. Für die nächsten Wochen und Monate würde er das Lieblingsthema im Abendsaal sein. Und wahrscheinlich hatte er auch genau das verdient. „Es geht mir gut, danke.“
Dann beeilte er sich, das Heilerquartier zu verlassen.
Seit Farand seinen Abschluss hatte, verbrachte er nur noch wenig Zeit in Rothens Apartment. Viana half über die Sommerferien im Krankenhaus aus und somit gab es auch keine Tests zu korrigieren oder Prüfungsaufgaben vorzubereiten. Die Nachmittagssonne schien warm durch die geöffneten Fenster. Wenn Rothen nicht an die Eskapaden seines Sohnes oder Dannyls Geständnis dachte, dann konnte er sogar so etwas wie Glückseligkeit verspüren.
Es war zu spät, Dorrien zur Vernunft zu erziehen. Und sein bester Freund hatte zwanzig Jahre lang ein so wichtiges Detail über sich zurückbehalten. Rothen begriff, warum Dannyl das getan hatte. Nichtsdestotrotz fühlte er sich betrogen.
Es ist mir egal, was die Waschweiber der Gilde reden oder ob es der Wahrheit entspricht, hatte er zu dem verunsicherten Novizen, der Dannyl damals gewesen war, gesagt. Rothen hatte die Gerüchte angezweifelt, tief in seinem Herzen hatte er jedoch gewusst, dass sie wahr waren.
Insofern war der Besuch der jungen Frau, um die er sich auf seine eigene Weise zu sorgen nicht aufhören konnte und für die er weniger da sein konnte, als ihm lieb war, eine willkommene Abwechslung.
„Ich nehme an, du weißt, wie töricht es war, Dannyl schwanger nach Duna zu begleiten“, sagte er. „Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, wie das hätte enden können.“
Sonea verdrehte die Augen. „Rothen, es genügt, dass Akkarin und Lady Vinara mich deswegen gescholten haben“, sagte sie streng. „Ich musste es tun. Für die Gilde. Und für viele andere Menschen. Anstatt darüber zu schimpfen, solltest du dich lieber freuen, dass du zum zweiten Mal Großvater wirst.“
Rothen hob abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut!“, rief er. „Ich höre schon auf!“
Oh hoffentlich wird das Baby nicht so anstrengend wie Lorlen, dachte er. Aber kann ein Kind von solchen Eltern überhaupt ein umgängliches Kind sein? Dennoch freute er sich für seine Ziehtochter. Sie hatte so viel durchlitten, sie hatte es verdient, glücklich zu sein.
„Das solltest du auch“, sagte sie finster. „Denn ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass man Schwangere nicht reizen sollte.“
„Wahrhaftig!“, rief er. „Das wollte ich hören!“
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht und sie hob ihre Tasse an die Lippen. „Der Raka in Yukai war besser“, bemerkte sie. Sie griff nach einem der kleinen Kuchen auf dem Teller zwischen ihnen und biss hinein. „Allerdings war es der feinste Raka, den Sachaka zu bieten hat, wenn man Takiro Glauben schenkt.“
„Nun, ab demnächst sollte es leichter sein, an sachakanischen Raka zu gelangen, wenn dir so viel daran liegt“, erwiderte Rothen.
Sonea lachte. „Also wenn das keine Verbesserung ist, die Dannyl erwirkt hat!“
Er betrachtete sie versonnen. Sie hatte sich verändert. Die düstere Aura war noch immer da, aber sie wirkte zugleich stärker, selbstbewusster. Trotz aller Schwierigkeiten schien Duna ihr gutgetan zu haben.
„Du sieht glücklich aus“, sagte er.
„Das liegt nur an der Schwangerschaft. In ein paar Monaten werde ich aussehen, als wenn ich kurz davor wäre, zu platzen.“
„Ich will nicht hoffen, dass du platzt. Wer soll mich sonst beim Entnehmen der Proben begleiten?“
Asara hatte der Gilde zugesagt, ihre Leute in die Ödländer zu schicken und herauszufinden, wo die Zerstörung einst stattgefunden hatte. Bald würde Rothen gemeinsam mit Farand für einige Wochen nach Sachaka reisen und dort und aus einigen anderen Stellen in den Ödländern Bodenproben nehmen. Obwohl die Verräter Geleitschutz zugesagt hatten, war Rothen wohler dabei, wenn jemand aus der Gilde ihn begleitete. Lord Sarrin hatte sich sofort bereit erklärt und auch Sonea hatte Interesse bekundet, weil sie sich davon neue Erkenntnisse für ihre eigene Forschung erhoffte.
„Rothen, ich werde nicht mitkommen“, sagte sie. „So gerne ich würde – nachdem ich die ersten Monate meiner Schwangerschaft solchen Strapazen ausgesetzt war, hat Lady Vinara mir so ziemlich alles verboten, was Spaß macht. Außerdem habe ich meine Familie lange genug vernachlässigt.“
„Was auch vernünftig ist“, sagte Rothen seine Enttäuschung beiseiteschiebend. Mit Sonea hätte er sich bei dieser Expedition wohler gefühlt. Es wäre ein Abenteuer, das sie gemeinsam bestritten hätten. Doch er würde auch bei den Verrätern sicher sein. „Außerdem ist Lord Larkin dann nicht mit dem Vorbereitungskurs alleine“, fügte er augenzwinkernd hinzu.
Sonea schenkte ihm ein schiefes Lächeln. „Nur, dass wir ihn schon wieder nicht gemeinsam halten können.“
„Nein. Aber dafür den Kurs für die nächsten Sommernovizen.“ Rothen runzelte die Stirn. Der Sommer hatte einige Wendungen mit sich gebracht, die in seine Pläne auf die eine oder andere Weise interveniert hatten. „Für Viana wäre ein erneuter Lehrerwechsel in Kriegskunst nicht förderlich.“ Er hielt inne. „Oder hat Lady Vinara dir auch verboten zu unterrichten?“
„Ich darf unterrichten. Ich darf nur nicht selbst kämpfen.“ Sonea verzog das Gesicht. „Dafür wird ein Novize, der in etwa auf Vianas Niveau ist, aushelfen.“
Rothen betrachtete sie nachdenklich. Sie nahm diese Aufgabe wirklich ernst. „Ich will, dass du dich um Viana kümmerst, wenn ich in Sachaka bin“, sagte er.
Ihre Augen weiteten sich. „Rothen, ich darf keinen Novizen haben, der nicht ein potentieller Nachfolger sein könnte.“
„Sie soll ja auch nicht deine Novizin werden. Du vertrittst mich nur, so wie ich einst Dorrien vertreten habe. Es ist nur für ein paar Wochen.“
Den Aufzeichnungen zufolge, die der Vernichtung der Gilde entgangen waren, als sie schwarze Magie verboten hatten, war das Gebiet, das sich jenseits der Ettkriti-Ebene über mehrere Tagesreisen nach Osten, Norden und Süden erstreckte, am stärksten in Mitleidenschaft gezogen worden. Ein Magier, der über den Krieg gegen die Sachakaner dem Wahnsinn verfallen war, hatte einen Speicherstein zerstört und sich dabei selbst getötet. Zumindest war es das, was die Aufzeichnungen vermuteten. Die frühe Gilde hatte jenes Gebiet damals nur mit rudimentärem Wissen untersucht und Vermutungen angestellt, während die Sachakaner es für einen Vergeltungsakt gehalten hatten. Nachdem die kyralischen Magier seinerseits in Sachaka geplündert und gemordet hatten, konnte Rothen ihnen diese Unterstellung nicht einmal verübeln.
„Und was ist mit Alchemie?“
„Das wird Lord Larkin übernehmen.“
Sonea schüttelte den Kopf. „Das wird Dorrien nicht gefallen“, sagte sie.
„Das mag sein.“ Rothen grinste unvermittelt. „Aber er hat nun kein Mitspracherecht mehr.“
Ihre dunklen Augen musterten ihn nachdenklich. „Also ist es entschieden. Du gehst nach Sachaka.“
Rothen nickte „Wird Zeit, dass ich auf meine alten Tage auch ein Abenteuer erlebe, nicht wahr?“
„Nicht, dass du dann nicht mehr zurückkommst, weil du die Welt da draußen spannender findest als das Unterrichten von Novizen!“, rief Sonea.
„Niemals! Doch ein kurzer Blick kann nicht schaden.“
„Das haben schon andere gesagt“, sagte sie mit einem wissenden Blick. Sie langte nach einem neuen Kuchen und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. „Dieses Ödländer-Projekt ist wichtig. Nicht nur für Sachaka. Speichersteine zählen zu den niederen Formen schwarzmagischen Wissens, auch wenn das meiste alchemistischer Natur ist. Die Magie, die in ihnen steckt, hat ein unglaubliches Zerstörungspotential. Wir können nicht verhindern, was dieses anrichtet, wir können uns nur um ihre Folgen kümmern. Und“, sie biss von ihrem Kuchen ab, „alles hat eine gute und eine schlechte Seite. Man tut gut daran, beide zu kennen, bevor man sich ein Urteil anmaßt.“
Rothen betrachtete sie anerkennend. „Du und Dannyl hattet anscheinend einen guten Einfluss aufeinander“, bemerkte er.
„Das kann man so sagen“, erwiderte sie mit einem versonnenen Lächeln. „Manchmal tut es gut, völlig neue Ansichten zu hören. Sie helfen einem, die eigenen zu überdenken. Doch Dannyl war nicht der Einzige, der mich dazu gebracht hat, die eine oder andere Ansicht zu überdenken. Ich habe mich mit einigen Sachakanerinnen und einigen Duna angefreundet.“
„Die Verräter nehme ich an?“
Sonea nickte kauend. „Und die Sklavin eines Ashaki.“ Ihre Miene verdüsterte sich. „Alle bis auf Asara sind entweder in Yukai oder danach gestorben.“
„Das ist bedauerlich“, erwiderte Rothen. „Wie kommt es, dass du dich mit einer Sklavin angefreundet hast?“
„Ich habe Asara geholfen, über sie an Ishaka heranzukommen. Wegen der angeblichen Verschwörung gegen Kachiro. Ich … es war sehr interessant. Ich dachte immer, sie würde ihrem Meister nur dienen, weil sie keine andere Wahl hat. Tatsächlich wollte sie es.“
Rothen runzelte die Stirn. „Warum sollte sie das wollen?“
„Weil sie ihn liebt.“ Er konnte sehen, wie Sonea erschauderte. „Weil er ihre Erfüllung ist. Nicht jeder Sachakaner behandelt seine Sklaven schlecht, Rothen. Aber es gibt genug, die es tun. Doch das wird sich nun ändern.“
„Es wäre besser, die Sklaverei ganz abzuschaffen“, sagte Rothen hart. „Aber ich verstehe auch, warum das schwierig ist.“
„Mit den Gesetzen, die Dannyl durchgesetzt hat, wird es den Sklaven viel besser ergehen, Rothen. Mehr können wir im Augenblick nicht tun.“
Akkarin hatte in etwa dasselbe gesagt. Und auch Dannyl schien das so zu sehen. Wenn Sonea und ihr unheimlicher Mann so dachten, würde das seine Gründe haben. Und Rothen erkannte, dass er viel zu wenig über die Welt jenseits der Gilde wusste.
„Was hältst du von den Duna?“, fragte er.
Soneas Miene hellte sich auf. „Sie sind ein faszinierendes Volk. Wild und mit ungewöhnlichen Sitten und Beziehungsmodellen, aber dann auch wieder fortschrittlich und sie besitzen ein ausgeprägtes Verständnis, was falsch und was richtig ist. Und sie sind überaus ehrenhaft.“
„Inwiefern sind ihre Sitten und Beziehungen ungewöhnlich?“
„Ein Krieger ist oft mit mehreren Frauen verheiratet. Der Anführer teilt seine Frauen manchmal mit seinen engsten Kriegern. Aber was bei den Sachakanern Zwang bedeutet, ist bei den Duna eine Lebenseinstellung. Die Frauen, die Magie beherrschen, sind selbst Kriegerinnen. Sie betrachten es als Ehre, von angesehenen Kriegern begehrt zu werden. Dahinter steckt jedoch ein Nutzen für ihr Volk: Sie pflanzen sich mit jenen fort, die die besten Voraussetzungen für starke Nachkommen haben.“
„Das klingt ein wenig wie bei den Tieren“, bemerkte Rothen.
„In gewisser Weise, ja. Das Wohl des Stammes und ihrer Familie steht im Vordergrund. Bei einem Kampf zweier Stämme wird der Überlegene deswegen als Sieger akzeptiert. Und das ganz ohne dass sie deswegen lange Groll gegeneinander hegen.“
„Und doch führen sie Krieg gegeneinander?“
„Bei diesen Kriegen geht es um Territorien. Weder die Wüste von Duna noch die Aschenwüste bietet viel zum Leben. Das macht es nicht immer leicht, einen ganzen Stamm zu ernähren.“
„Seltsam, dass sie sich nicht woanders ansiedeln.“
Sonea hob die Schultern. „Sie wollen nicht sesshaft werden. In Sachaka fühlen sie sich außer in den Ödländern unwohl. Es ist nicht ihre Welt.“
„Was dies betrifft, so bin ich gespannt, wie ihre Novizen sich hier einleben werden. Es werden Kinder sein, nicht wahr?“
„Halbwüchsige, die etwa in dem Alter unserer Novizen sind. Sie werden Heilkunst erlernen, bevor sie die Rituale des Erwachsenwerdens bei ihrem Stamm absolvieren.“
„Wobei sie zu schwarzen Magiern werden.“
„Ja.“ Sonea leerte ihren Raka und erhob sich. „Es wird Zeit“, sagte sie. „Lorlen erwacht bald von seinem Mittagsschlaf und ich wollte ein wenig mit ihm im Garten hinter der Residenz spielen.“
„Dann wird er heute Nacht gewiss durchschlafen.“
Seine ehemalige Novizin lächelte auf diese seltsam verstohlene Weise. „Das hoffe ich.“
Sie umarmte Rothen und schritt zur Tür.
„Sonea?“
Sie wandte sich um. „Ja, Rothen?“
„Deine Reise nach Duna scheint dir über deine Erlebnisse in Sachaka hinweggeholfen zu haben.“
Sie bedachte ihn mit dem seltsamsten Blick. „Ich werde niemals über Sachaka hinwegkommen, Rothen. Sachaka verändert einen auf immer. Ich habe nur einen Weg gefunden, damit zu leben.“
Er runzelte die Stirn. „Was ist es dann?“
„Ich habe zu mir selbst gefunden.“
„Das freut mich zu hören“, erwiderte Rothen ehrlich, obwohl er nicht wusste, wie er das verstehen sollte.
Und allmählich begann er sich ernsthaft zu fragen, ob er überhaupt noch irgendeinen Menschen verstand.
Als sie fort war, lehnte er sich nachdenklich zurück, die Sumitasse in seinen Händen. Der Umgang mit Dannyl schien ihr gutgetan zu haben. Ob sie die Wahrheit kannte? Sie hatte einige Dinge gesagt, die Rothen zum Nachdenken über seinen Freund gebracht hatten. Dannyl war nicht nur ein herausragender Diplomat, er war auch ein guter Freund. Rothen wünschte, er könnte den Rest vergessen, um sich wieder an das zu erinnern, was er an Dannyl schätzte. Waren seine sexuellen Vorlieben und Neigungen nicht unerheblich für die Frage, was für ein Mensch er war, solange er damit niemandem schadete? Rothen wollte das glauben. Zwanzig Jahre lang hatte er Dannyl in dem Glauben gekannt, kein Interesse an Männern zu haben. Oder besser gesagt: sich das eingeredet.
Was hatte diese Eröffnung verändert? Hätte Dannyl ihm an jenem Abend gesagt, dass er Sumi verabscheute und er ihn nur aus Höflichkeit trank, hätte das Rothen zwar überrascht, aber er wäre auch nicht schockiert gewesen.
Und war das nicht eigentlich dasselbe?
Die Versammlung auf der Waldlichtung war eine höchst traurige. In regelmäßigen Abständen reihten sich kleine Steinplatten aneinander, vor einigen lagen Blumen. Dort, wo das Gras noch unberührt war, hatten Magier fünfzehn Gruben ausgehoben. Vor diesen standen nun fünfzehn Särge aus Holz.
Es ist leichter, wenn man keine persönliche Bindung zu einem von ihnen hatte.
Zumindest war es das, was Dannyl glauben wollte. Wenn er in sich ging, dann kam ihm das wie eine Lüge vor. Von den Opfern der Schlacht am Nordpass hatte er nur Balkan näher gekannt. Er hatte Balkan sein ganzes Leben gekannt, jedoch nie viel mit ihm zu tun gehabt. Hin und wieder beruflich, nachdem Dannyl nach Elyne gegangen war. Und er hatte Balkan und seine elynische Frau bei dem einen oder anderen Abendessen bei Akkarin und Sonea privat erlebt.
Doch am Ende hatte Dannyl eine ebenso wenig persönliche Bindung zu ihm gehabt, wie zu Lorlen seinerzeit.
Er warf einen Blick zu Tayend. Passend zum Anlass trug der Gelehrte ein schlichtes, kyralisches Gewand in dunklen Farben mit einem dazu passenden Hut. Sein leuchtend rotes Haar war das einzig lebendige an seiner Gestalt. Dannyl rechnete seinem Gefährten hoch an, dass er ihn zu dieser Veranstaltung begleitete, war er selbst doch nur gekommen, weil es als höherer Magier seine Pflicht war.
Den einzigen Tod, den Dannyl wirklich betrauerte, war der Nirilis – der Verräterin, die ihn und Sonea fast den gesamten Weg nach Yukai und zurück begleitet hatte.
Jedoch nicht so, wie die Wahrheit über Savedra zu erfahren.
Vielleicht sollte ich die Gelegenheit nutzen, um mich von der Savedra zu verabschieden, die ich kennen und schätzen gelernt habe.
Und vielleicht tue ich besser daran, mich von dem einzigen Freund zu verabschieden, den ich hier je hatte.
Seit dem Abend seiner Rückkehr hatte er nicht mehr mit Rothen gesprochen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Rothen über diese Offenbarung in Begeisterung ausbrechen würde. Doch eine Predigt wäre ihm lieber gewesen, als … das. Dannyl wusste nicht, was er daraus machen sollte und er wagte auch nicht, Rothen zu fragen. Er begriff nicht einmal, was er sich dabei gedacht hatte. Er hatte seinen alten Freund nur besucht, um zu plaudern. Doch kaum, dass er durch die Tür gekommen war, hatte er gewusst, dass die Zeit reif war.
Vielleicht liegt es daran, dass ich erkannt habe, dass jedes Geheimnis eines Tages herauskommt, überlegte er. Oder es hat damit zu tun, wie sich mein Verhältnis zu Sonea verändert hat.
Es war nicht richtig, dass alle Menschen, die einem nahestanden, die Wahrheit kannten. Alle, bis auf den Freund, dem man bedeutsame Dinge zuerst erzählte.
Aber genau aus diesem Grund verschwieg man dieser Person gewisse Dinge am ehesten. Nichtsdestotrotz war das Gespräch überfällig gewesen. Yukai hatte etwas in ihm verändert, was irgendwie dazu geführt hatte, dass er nicht länger mit diesem Geheimnis gegenüber Rothen hatte leben können.
Nachdem Administrator Osen blass und verstört seine Rede gehalten hatte, trat eine Gruppe aus Heilern, Alchemisten und Kriegern vor und hob die Särge in die dafür vorgesehenen Gräber. Mit einem elendigen Gesichtsausdruck kehrte der Administrator zu den anderen höheren Magiern zurück und stellte sich neben den Hohen Lord und seine Frau.
Von allen Magiern war Osen vermutlich derjenige, der Balkans Tod am meisten betrauerte. Nun, da war noch Regin. Dannyl konnte sich jedoch nicht vorstellen, dass dieser zu derart tiefen Gefühlen fähig war.
„Das ist so bedrückend“, flüsterte Tayend.
„Ja“, murmelte Dannyl einer geistreichen Antwort verlegen. „Das ist es.“
Er war nahezu erleichtert, als sie sich in Bewegung setzten, um sich von den Toten zu verabschieden, allen voran der König, gefolgt Akkarin und Sonea. Dannyl und Tayend reihten sich mit Rothen und den anderen höheren Magiern hinter den beiden schwarzen Magiern ein. Als sie auf die Gräber zuschritten, erhaschte Dannyl einen Blick auf die junge Witwe, die Balkan zurückgelassen hatte. Ihre einst rosigen Wangen waren blass und eingefallen und ihre Augen lagen in dunklen Höhlen. Hätte Dannyl sie nicht gekannt, so hätte er nicht glauben können, dass sie früher so viel Lebensfreude versprüht hatte. Sie war in Begleitung einer anderen jungen Frau in der Uniform der Diener.
Als sie Balkans Grab erreichten, löste Sonea sich von der Seite ihres Mannes und trat zu Luzille. Dannyl beobachtete, wie sie einen Arm um die Schultern der Elynerin legte. Luzille gab ihr ein Stück aus bestickter Seide, auf dem Dannyl etwas großes Braunes eingestickt zu sehen glaubte, und Sonea ließ es ins Grab schweben. Dann warf Luzille sich an ihre Brust und weinte hemmungslos.
Nur unter gutem Zureden gelang es Sonea, die junge Witwe von den Gräbern fortzuführen, damit die übrigen Magier und die Angehörigen aus den Häusern ihre Runde machen konnten.
„Ich hoffe, das ist die letzte Veranstaltung dieser Art“, murmelte eine vertraute Stimme neben ihm. Rothen.
Überrascht wandte Dannyl den Kopf.
„Seit der Invasion der Ichani habe ich das Gefühl, dass es kein Ende nimmt.“
„Die Chancen, dass es so bald nicht mehr dazu kommt, stehen gut“, erwiderte Dannyl zuversichtlich.
Rothens Lächeln wirkte ein wenig gequält.
„Wir werden sehen.“ Mit undurchdringlicher Miene starrte Akkarin zu den übrigen Gräbern und Dannyl fragte sich, was in seinem Kopf vorging. Dachte er an seinen Freund Lorlen? Fühlte er sich für all das hier verantwortlich? Schließlich war es nur soweit gekommen, weil eine Handvoll Sachakaner durch ihn erfahren hatte, dass schwarze Magie in der Gilde verboten war.
Aber irgendwann hätten sie es auf anderem Wege herausgefunden, dachte Dannyl, während sie zu Sonea und Balkans Witwe schritten. Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen. Wahrheiten hatten die unangenehme Angewohnheit, irgendwann ans Licht zu kommen. Und vielleicht sollten wir dankbar sein, dass Akkarin seinen Eid gebrochen hat, um die Freiheit zu erlangen. Denn andernfalls hätten wir längst aufgehört zu existieren.
Oder wären ein Volk von Sklaven geworden.
Ein Schauer lief über seinen Rücken und er schüttelte sich.
Aus den Magiern, die ihnen folgten, lösten sich zwei grüngewandete Gestalten. Soneas Freundin Trassia und die junge Heilerin, die ihre Mentorin gewesen war. Die beiden Frauen umarmten Luzille, die in ihren Armen weiter schluchzte. Wenig später folgte Farand noch immer in Novizenroben, da die Abschlusszeremonie der Fünfjahresnovizen auf die nächste Woche verlegt worden war.
Der junge Elyner warf einen unsicheren Blick zu den Frauen, die offenkundig die Welt um sich herum vergessen hatten, und trat dann zu Dannyl, Rothen und dem Hohen Lord.
„Ich würde ihr gerne mein Beileid bekunden, doch ich fürchte, dann wird sie hysterisch“, sagte er leise zu Dannyl.
„Das könnte passieren“, sagte Dannyl ebenso leise. „Du kannst elynisches Temperament besser einschätzen.“
„Ich würde warten, bis sie etwas getrunken hat“, sagte Tayend.
Farand nickte unsicher. „Sie tut mir so leid. Sie ist viel zu jung, um Witwe zu sein.“
„Sie ist nicht zu alt, um sich wieder zu verlieben“, sagte Dannyl.
Der junge Elyner wandte seinen Blick zu dem das Geschehen vor den Gräbern. „Es ist eine seltsame Ironie, dass die Gilde über Jahrhunderte keine Magier zu begraben hatte. Seit ich hier bin, geschieht es jedoch mehrfach pro Jahr.“
„Das liegt nicht an dir“, sagte Dannyl. „Und wenn du an Zeichen glaubst, sieh deinen Abschluss als das Ende dieser Phase an.“
Ein schiefes Lächeln huschte über das Gesicht des blassen Elyners.
Weitere Magier strömten von den Gräbern zu ihnen und machten Platz für die Magier, die die Särge mit Erde bedecken würden – unter ihnen ein Krieger, der Dannyls Missfallen erregte.
Das Missfallen schlug in Verärgerung um, als der Krieger auf die kleine Gruppe zuhinkte.
„Hoher Lord“, grüßte Regin. „Auslandsadministrator und Lord Rothen.“
„Ich sehe, Euer Bein ist besser“, bemerkte Akkarin.
„Es ist noch ein wenig steif, aber die Bewegung hilft“, antwortete Regin. Sein Blick fiel auf Tayend, dann wandte er sich zu den Frauen, die sich um Luzille geschart hatten.
Das könnte interessant werden, dachte Dannyl, als Regin zu den Frauen hinkte.
„Luzille von Forlani“, sprach Regin. „Im Namen aller Krieger möchte ich Euch mein Beileid zum Tod Eures Mannes aussprechen. Er war ein außergewöhnlicher Krieger und sollte die Gilde mich zu seinem Nachfolger erklären, so werde ich sein Amt so weiterführen, wie er es gewollt hätte.“
Sonea, Trassia und Lady Indria ließen von Luzille ab. Ihre Blicke waren so vernichtend, dass sie das Potential hatten, Regin auf der Stelle zu Asche zu verbrennen. Luzille unternahm einen Versuch, auf ihn loszustürmen und ihm eine Ohrfeige zu geben, doch Sonea hielt sie zurück.
„Regin“, sagte sie eisig. „Verschwinde einfach.“
„Dann warte ich, bis die Ladies sich wieder beruhigt haben.“ Er deutete eine Verneigung an und verschwand zu einigen Kriegern.
„Sollte er tatsächlich Oberhaupt der Krieger werden, stehen der Gilde düstere Zeiten bevor“, murmelte Rothen an Dannyls Seite.
„Ah, aus sicherer Quelle weiß ich, dass eine gewisse schwarze Magierin dafür sorgen wird, dass er sich benimmt“, sagte Dannyl. War Rothen darüber hinweg oder versuchte er verzweifelt, so zu tun, als wäre noch alles beim Alten? Dannyl hätte es zu gerne gewusst und wollte es irgendwie doch nicht.
„Nun, dann stehen den höheren Magiern interessante Diskussionen bevor“, erwiderte Rothen.
„Zu schade, dass ich nur noch so selten nach Imardin komme. Ich werde so viel verpassen!“
„Mit Regin als höherem Magier tust du vielleicht besser daran, es nicht darauf anzulegen. Zumindest, bis er seine Niederträchtigkeiten abgelegt hat.“
„Ich glaube, bis dahin werden wir beide nicht mehr leben.“
Die Gilde hat zu viele Verluste eingesteckt, wenn es schon so weit ist, dass jemand wie Regin ein solch wichtiges Amt zugetragen bekommt, dachte Dannyl. Doch vielleicht war es tatsächlich so, wie Akkarin behauptete, dass man mit seinen Aufgaben wuchs.
Wenn Dannyl an sich selbst dachte, kam er zumindest nicht umhin, das zu glauben.
Nachdem sie an diesem Abend ein letztes Mal nach Lorlen gesehen hatte, überquerte Sonea den Flur zur Bibliothek der Residenz. Mit jedem Schritt schlug ihr Herz schneller und ihre Knie wurden weicher.
Sei nicht albern, schalt sie sich. Du hast es mit Ishaka und Divako über mehr als drei Wochen an einem Ort ausgehalten. Und du hast Marika ein ganzes halbes Jahr ertragen.
Aber das hier waren keine Sachakaner, die sie versklaven wollten. Das hier war Akkarin.
Einen tiefen Atemzug nehmend blieb sie vor der Tür stehen. Mehr als abgewiesen zu werden, kann dir nicht passieren, rief sie sich ins Gedächtnis. Und dann würde alles bleiben, wie es war. Dennoch wäre sie in diesem Augenblick vor Furcht fast gestorben. Allein der Gedanke, dieses Gespräch zu führen, versetzte sie in eine Panik, die sie ärgerte.
„Komm herein, Sonea“, erklang Akkarins Stimme von drinnen und die Tür schwang auf. In einer fahrigen Bewegung strich sie Haar und Robe glatt. Dann trat sie einen weiteren Atemzug nehmend ein.
Akkarin saß an seinem Schreibtisch und las in einer Mappe. Dannyls abschließender Bericht über die Konferenz, nahm Sonea an. Oder die absurden Projektideen eines Magiers, der sich in seiner Verzweiflung an das Oberhaupt der Gilde gewandt hatte, nachdem die höheren Magier die Förderung abgelehnt hatten. Oder es hatte etwas mit seinen Verbindungen zum König und den Häusern zu tun.
Als sie vor dem Schreibtisch haltmachte, sah er stirnrunzelnd auf. „Ich nehme an, du bist nicht hier, um mir zu sagen, dass Lorlen schläft?“
Sonea schüttelte stumm den Kopf. Mit einem Mal war sie wieder die furchtsame Novizin.
Akkarin schloss die Mappe und wies auf die Sesselgruppe. „Setz dich.“
Sonea gehorchte.
Das leise Rascheln von Roben erfüllte die Stille, als Akkarin aufstand und nahezu lautlos hinter seinem Schreibtisch hervor glitt und sich ihr gegenübersetzte, die Beine gekreuzt, seine Finger ein Dreieck bildend.
„Worüber möchtest du mit mir sprechen?“
Sonea schluckte, unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen. Sie hatte sich genau überlegt, was sie ihm sagen wollte. Doch unter seiner ehrfurchtgebietenden Ausstrahlung schrumpfte ihre Entschlossenheit.
Er kann nicht mehr tun, als Nein zu sagen, rief sie sich ins Gedächtnis. Und wenn er sich darauf einlässt, wird er von dir erwarten, dass du nicht zu einem willenlosen und unselbstständigen Spielzeug wirst. Zumindest glaubte sie, dass es das war, das er wollte.
Sie hatte sich dagegen entschieden, vor ihm auf die Knie zu gehen oder sich zu Boden zu werfen, auch wenn das die Wirkung ihrer Worte möglicherweise verstärkte. Sie konnte auf das Gefühl betrogen worden zu sein, wenn er sie zurückwies, verzichten. Sie hatte mehr Würde als das.
„Als ich gesagt habe, dass ich über Marika hinweg bin, habe ich nicht gelogen“, begann sie. „Aber ich habe dir etwas verschwiegen.“
Der Hohe Lord hob kaum merklich die Augenbrauen, blieb jedoch still.
Verunsichert senkte Sonea den Blick auf ihre Hände. Akkarin räusperte sich leise und sie hob zögernd den Kopf. „Ich habe mich Marika hingegeben, weil ich das Bedürfnis hatte, geliebt zu werden. Er hat meine dunkle Seite befriedigt, die du zum Leben erweckt hattest. Ich dachte immer, ich würde ihn begehren, aber das stimmt nicht. Ich habe ihn gehasst. Es ist richtig, ich habe ihn glorifiziert und es war erfüllend, mit ihm zu schlafen. Aber das alles hatte, wie ich jetzt weiß, nur einen einzigen Grund.“
Sie nahm einen tiefen Atemzug und zwang sich, in seine Augen zu sehen.
„Weil ich glaubte, dass der Mann, bei dem ich meine Erfüllung gefunden hatte, nicht mehr verfügbar ist.“
Nur eine winzige Regung in seinem Gesicht zeigte ihr, dass ihre Worte angekommen waren. Sonea betrachtete ihn voll Furcht. Würde er versuchen, ihr diese Idee wieder auszureden oder würde er sich endlich darauf einlassen, jetzt wo sie für sich herausgefunden hatte, dass Marika nicht mehr zwischen ihnen stand?
Schließlich erhob Akkarin sich ohne eine Vorwarnung. Sonea zuckte zusammen und fand sich zugleich albern, weil sie so gespannt auf eine Reaktion von ihm wartete.
Wortlos ging Akkarin zu der Anrichte. Er befüllte ein Glas mit Wasser und eines mit Wein und kehrte dann zu ihr zurück. Als Sonea das Glas entgegennahm, fühlte sie sich auf eine unerfreuliche Weise ihm untergeordnet, bis ihr wieder einfiel, dass sie schwanger war.
„Ich weiß, dass du kein willenloses Spielzeug willst“, fuhr sie tapfer fort. „Nach Marika war ich auf dem besten Weg genau das zu werden, aber dann wurde mir klar, dass ich die Antwort auf deine Frage damals in der Nacht, in der meine Träume zurückkehrten, die ganze Zeit über wusste.“
Akkarin hob eine Augenbraue. „Also, Sonea“, sagte er. „Warum willst du, dass ich das mit dir tue?“
Sonea schloss die Augen und sammelte sich. Dann blickte sie ihn direkt an.
„Weil du meine Erfüllung bist, Akkarin. Du warst es die ganze Zeit, aber was das bedeutet, habe ich erst in den vergangenen Monaten wirklich begriffen.“
Eine steile Falte bildete sich zwischen Akkarins Augenbrauen und er wirkte finsterer denn je.
„Was ist?“, fragte Sonea. „Akkarin, sprich mit mir.“
„Ich denke darüber nach, welche Veränderungen dies mit sich bringt.“ Er sah auf und seine dunklen Augen bohrten sich in ihre. „Und welche Konsequenzen.“
Obwohl Sonea den Drang verspürte, ob seiner Vorsicht die Augen zu verdrehen, nickte sie. „Was du auch tust, du kannst mich nicht verletzen oder enttäuschen. Denn dafür müsstest du aufhören, mich zu lieben.“
„Sonea, ich weiß nicht, ob ich meine dunkle Seite noch kontrollieren kann, wenn ich ihr so weit nachgebe, wie du es dir wünschst.“
„Aber du willst es doch auch“, entgegnete sie verständnislos. „Wir beiden wollen das.“
„Ich könnte dir weh tun. Auf eine Weise, die wir beide nicht wollen.“
„Das kann auch in der Arena passieren.“
„Und wenn es dein Vertrauen in mich zerstört?“
„Akkarin, das ist Unsinn! Dafür bist du viel zu gut.“
„Nein“, sagte er leise. „Das bin ich nicht.“
Sonea starrte ihn an, nicht begreifend, wie er mit einem Mal darauf kam. „Wegen deiner Vorlieben? Ich dachte, du hättest damit deinen Frieden gemacht.“
„Nicht auf dem Niveau, das du dir wünschst.“ Akkarin drehte das noch unberührte Weinglas zwischen seinen langen Fingern. „Und nach dem es mir verlangt“, fügte er so leise hinzu, dass Sonea glaubte, sich verhört zu haben. Sein Blick glitt zu einem Punkt in dem Bücherregal hinter Sonea. „Ich habe dir lange nicht alles erzählt, was damals in Sachaka geschehen ist. Darunter sind Dinge, über die ich nicht sprechen kann.“
Hatte sie dafür zu sich selbst gefunden? Dass er nicht geneigt war, Selbiges für sich zu tun? Allerdings hatte Sonea Hilfe gehabt. Akkarin war nicht gewillt, sich helfen zu lassen. Aber er tat weder ihr noch sich selbst einen Gefallen, wenn er seine Erlebnisse nicht aufarbeitete.
„Aber das solltest du“, beharrte sie. „Wenn man sich seiner Vergangenheit nicht stellt, dann zerstört das einen irgendwann.“
„Ich habe mich meiner Vergangenheit gestellt, als die Gilde uns beide nach Sachaka verbannt hatte. Und als ich mich Kariko gestellt habe.“
„Aber das betraf nicht deine dunkle Seite.“
Er ließ das Glas sinken. „Nein.“
„Wenn du nicht mit mir darüber reden kannst, dann sprich mit Takan.“
Er schüttelte den Kopf.
„Warum nicht?“, verlangte sie zu wissen.
„Weil ich seine Antwort kenne.“
„Und was wäre seine Antwort?“
„Sonea, er ist Sachakaner. Was glaubst du, was seine Antwort wäre?“ Akkarin seufzte und stellte das Glas beiseite. „Er kennt mich besser, als mir lieb ist. Doch in dieser Hinsicht war mir das schon immer besonders unangenehm.“ Seine dunklen Augen begegneten ihren und Sonea erschrak vor dem raubtierhaften Blick darin. „Du bist die Einzige, die das etwas angeht und die es wissen sollte.“
„Dann erzähl es mir.“
„Du könntest mich mit anderen Augen betrachten.“
„Sei nicht albern, Akkarin“, schalt sie ihn. „Ich liebe dich. Mitsamt deinen Abgründen. Bedingungslos.“
Akkarin betrachtete sie eine lange Weile. Dann griff er nach seinem Glas und trank einen langen Schluck. „Es war für mich eine Qual, nicht mit Isara zusammen sein zu dürfen“, begann er schließlich. „Ich sah sie jeden Tag und ich verzehrte mich nach ihr wie ein liebestoller Gorin.“
„Ein Gorin?“, entfuhr es Sonea.
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Glaub mir, Sonea. Das willst du nicht wissen.“
„Wenn du das so sagst, dann will ich das.“
„Später. Wenn die Geschichte zu Ende ist.“
Sonea nahm sich vor, ihn beim Wort zu nehmen.
„Nach einer Weile begann ich von ihr zu träumen. Anfangs waren es nur unschuldige Träume, mit dem Fortschreiten der Zeit erhielten sie jedoch eine erotische Komponente. Dakova wusste aus meinen Gedanken davon und machte sich darüber lustig. Doch als ich das erste Mal davon träumte, mit ihr zu schlafen, rastete er aus.“
Sonea hielt den Atem an. Es war das erste Mal, dass Akkarin mehr als nur Andeutungen von seiner Beziehung zu Isara preisgab.
„Abgesehen von körperlichen Bestrafungen ließ er mich von da an immer öfter dabei zusehen, wie er sich mit Isara vergnügte. Zu diesem Zweck fertigte er ein Blutjuwel an und machte sich einen Spaß daraus, es zu tragen und mich das Gefühl von Macht, das er dabei empfand, spüren zu lassen. Manchmal gab er es auch Isara und zeigte mir, wie sehr es sie erregte, sich ihm zu unterwerfen. Das war beinahe noch entsetzlicher als das, was er mit ihr tat. Es glich nichts, was ich mit einem Liebesakt in Verbindung gebracht hätte. Ich war entsetzt und abgestoßen. Und noch entsetzlicher war, dass ich schließlich davon träumte, mit Isara auf dieselbe Weise zu schlafen. In meinen Träumen nannte sie mich ’Meister’. Und es hat mir gefallen.“ Er machte eine Pause und sein Blick glitt ins Leere. „Es war sogar so entsetzlich, dass ich zu Dakova ging und ihn bat, mich für meine pervertierten Phantasien zu bestrafen. Und das tat er mit großer Freude.“
Entsetzt sog Sonea die Luft ein. Deswegen also hatte er ihr verboten, ihn im Bett so zu nennen. Und sie hatte geglaubt, es sei wegen Marika gewesen! Sie hatte geahnt, dass Dakova von der besonders grausamen Sorte gewesen war. Aber sie hatte sich nie träumen lassen, dass er getan hatte, wofür selbst Marika zu beherrscht gewesen war.
„Ich fing an, mir einzureden, dass diese Phantasien die mangelnde Kontrolle kompensierten, die ich über mein Leben hatte, und dass sie sich in Isara manifestierten, weil ich beides nur in meinen Träumen haben konnte. Ich glaubte sogar, Dakova hätte mich so lange mit seinem Blutjuwel manipuliert, dass ich selbst so zu empfinden begann. Aber …“, er schloss die Augen und an der Spannung seiner Gesichtsmuskeln konnte Sonea erkennen, wie sehr ihn das quälte, „... nach einer Weile begriff ich, dass es in meiner Natur lag. Wahrscheinlich hätte ich es nie bemerkt, hätte Dakova es nicht hervorgeholt.“ Er lächelte humorlos. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie erfreut er war, als er das in meinen Gedanken las.“
Einem plötzlichen Impuls folgend stieß Sonea sich aus ihrem Sessel und ging auf ihn zu. „Es tut mir so leid“, flüsterte sie und zog seinen Kopf gegen ihre Brust. „Was er dir angetan hat, war so grausam.“
Seine Hände umschlossen ihre Schultern und hielten sie fest.
„Dakova hat ein Monster in mir zum Leben erweckt.“
„Nein, Akkarin. Das ist nicht wahr. Du bist kein schlechterer Mensch bloß wegen deiner Vorlieben. Du bist dir der Gefahren bewusst. So wie bei schwarzer Magie.“ Mit klopfendem Herzen löste sie sich ein Stück von ihm und legte beide Hände auf seine Wangen. „Denn sonst hätte ich mir bei Marika nicht die ganze Zeit gewünscht, dass du derjenige wärst, der all diese Dinge mit mir tut.“
Akkarins Augen bohrten sich in ihre, sein Blick war so raubtierhaft, dass sie erschauderte.
„Wie dem auch sei, es lässt sich nicht mehr rückgängig machen“, sagte er hart und schob sie auf Armeslänge von sich. „Es hat mich verändert und Dinge zum Vorschein gebracht, die ich nicht mehr zurückdrängen kann.“
Er fürchtet wirklich, die Kontrolle zu verlieren. Sonea begriff, warum. Er würde sie in Situationen bringen, in denen sie ihm vollständig ausgeliefert war und ihn nichts davon abhalten würde, ihr weh zu tun, wenn er die Kontrolle verlor. Bei dem, was sie wollte – wonach es ihnen beiden verlangte – würde er mehr Kontrolle denn je brauchen. Sonea war jedoch bereit, dieses Risiko einzugehen. Wie sollte man seine Grenzen kennen, wenn man sie nicht ausreizte? Und sie ahnte, sie und Akkarin waren noch lange nicht dort angelangt.
„Dann finden wir heraus, wie weit wir dieses Spiel, das keines ist, treiben können. Du hast doch bereits am Nordpass damit angefangen.“ Seine dunklen Augen blitzten, doch Sonea ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Wenn es dir gelingt, deine Gefühle für mich und deine Vorlieben mit deinem Kontrollzwang in Einklang zu bringen, dann wird das für uns beide erfüllender sein, als wir uns vorstellen können. Unsere unsere Beziehung wird sich dadurch vertiefen. So wie es bei den Blutjuwelen der Fall war.“
„Wenn das jetzt wieder so eine Diskussion wird, dass du ein dauerhaftes Blutjuwel willst, Sonea …“, begann er streng.
„Es würde unsere Beziehung ebenfalls vertiefen und das auch im Einklang mit unseren Vorlieben, aber das tut der Ring an meiner Hand schon auf seine eigene Weise.“
Akkarin seufzte leise, dann betrachtete er sie streng. „Ich kann dir das nicht mehr ausreden, nicht wahr?“
Sonea schüttelte den Kopf. „Dann hättest du in jener ersten Nacht in der Arran-Residenz gar nicht damit anfangen dürfen. Wir können nicht ändern, was wir sind, ohne darüber unglücklich zu werden.“
„Nein“, sagte er leise. „Das können wir nicht.“
„Dann lass uns ganz vorsichtig damit anfangen. Allein, weil ich ein Kind vor dir erwarte, müssten wir uns in den nächsten Monaten zurückhalten. So könnten wir uns allmählich an unsere Grenzen herantasten.“
Zwischen Akkarins Augenbrauen bildete sich erneut diese steile Falte. „Du willst das wirklich.“
Es war keine Frage. Es war eine Feststellung. Einen langen Moment sahen sie einander in die Augen und Sonea glaubte, sich vor ihm noch nie so entblößt gefühlt zu haben. Was sie empfand, ging weit über Liebe hinaus. Sie konnte sich nicht vorstellen, sich aus freien Stücken jemals auf einen anderen Mann derart einzulassen. Sie wollte ihm ganz und gar gehören. Sie wusste, dass es richtig war.
Als sie den Mund öffnete, glaubte sie, kein Wort herauszubringen. Doch als sie sprach, war ihre Stimme klar und entschlossen.
„Ja. Das will ich.“
Und im nächsten Kapitel werden die Weichen für die Fortsetzung „Das Erbe der schwarzen Magier“ gelegt und es gibt noch die eine oder andere Überraschung ;)
Fragen zum Kapitel
Was haltet ihr von Regins Gespräch mit Vianas Eltern?
Findet ihr es gut, dass Dannyl sich vor Rothen geoutet hat? Warum reagiert Rothen so wie er es tut? Glaubt ihr, er wird auf lange Sicht damit klarkommen?
Habt ihr damit gerechnet, dass Mivara Tarko verlässt? Hätte ein Zusammenbleiben funktionieren können? Spekulantenfrage: Was glaubt ihr, wie es mit den beiden weitergeht?
Ist es richtig, dass Trassia Regin einen Korb gibt?
Findet ihr es richtig, dass Akkarin sich weigert, Sonea ein dauerhaftes Blutjuwel zu machen oder misst er in Bezug auf Takan mit zweierlei Maß? Was haltet ihr von ihrem Gespräch am Ende?
Ganz lieben Dank an Black Glitter, Lady Kadala, Emmi und Lady Alanna für die Reviews zum letzten Kapitel <3 Leider habe ich es in der kurzen Zeit noch nicht geschafft, alle zu beantworten. Ich versuche es im Laufe der Woche :)
***
Kapitel 50 – Abschiede und Geständnisse
Die Gildentore schwangen zurück, als die Gruppe von Reitern darauf zuhielt. Die beiden dort postierten Krieger grüßten respektvoll, als Sonea und Akkarin sie passierten, gefolgt von Lady Vinara, Dannyl und seinem Assistenten. Amüsiert bemerkte Sonea, wie die Krieger die kleine Gruppe aus in Pferdeleder gekleideten Männern und Frauen betrachtete, die ihnen folgte. Die übrigen Magier, die Akkarin zum Fort begleitet hatten, bildeten den Schluss.
Während des letzten Stücks ihrer Reise hatte Sonea ihre Ungeduld, endlich nach Hause zu kommen, kaum zügeln können. Jetzt erreichte ihre Vorfreude indes einen ungeahnten Höhepunkt. Für ihren Geschmack war sie viel zu lange fort gewesen. Die letzten drei Monate kamen ihr wie ein halbes Leben vor, was nicht nur an dem lag, was ihr und Dannyl in dieser Zeit widerfahren war, sondern auch an all den Dingen, die währenddessen in ihr vorgegangen waren.
Vor den Stufen der Universität hatte sich eine größere Gruppe Menschen versammelt, die meisten davon in Magierroben. Unter ihnen entdeckte Sonea jedoch auch einige Frauen gekleidet in die neuste kyralische Mode und mehrere Diener.
Sonea tauschte einen Blick mit Akkarin. In diesem Augenblick verstand sie mehr denn je, warum er die Gilde so gern als seine Familie bezeichnete.
Als sie auf den weiten Platz ritten, erschienen Diener, um ihnen die Pferde abzunehmen. Sonea und Akkarin saßen ab und schritten dann auf ihr Begrüßungskomitee zu.
Administrator Osen trat vor. „Hoher Lord, Lady Sonea. Willkommen zuhause.“
„Ich danke Euch, Administrator“, erwiderte Akkarin.
„Es ist schön, wieder zuhause zu sein“, fügte Sonea hinzu.
Osen schenkte ihr ein kurzes Lächeln und wandte sich dann ab, um Dannyl und Tayend zu begrüßen.
Dann fiel sein Blick zu den Duna.
„Kriegsherr Arikhai, nehme ich an?“
„Mein Volk danken für Einladung“, antwortete der Duna in gebrochenem Kyralisch und kreuzte die Fäuste vor der Brust.
Der Administrator erwiderte die Geste. „Ich bin Lord Osen, der Administrator der Gilde“, stellte er sich vor. „Ich werde Euch die Gilde zeigen und stehe Euch während Eures Besuchs als Ansprechpartner zur Verfügung. Lady Vinara wird Euch zudem zeigen, wozu unsere Heiler fähig sind.“
„Das sein sehr freundlich.“
Mit sichtlichem Unbehagen neigte Osen den Kopf. „Mir wurde gesagt, dass Ihr das Leben in Zelten vorzieht. Wir haben Euch dazu eine Fläche auf unserem Gelände bereitgestellt.“
Die von den Duna entsandten Novizen würden jedoch im Novizenquartier leben. Zumindest, sofern Arikhai nach seinem Besuch in der Gilde noch immer wollte, dass einige seiner Leute zu Heilern ausgebildet wurden. Sie warf einen Blick zu den Duna. Der Kriegsherr und sein ältester Berater schienen beeindruckt von dem Gebäude, während Taki und Tarrekh selbiges Furcht einzuflößen schien. Sonea konnte verstehen, warum sie so empfanden. Nach Monaten in der Wüste und den Ödländern, kam ihr Kyralia zu grün und zu eng vor.
Nachdem Osen einen Diener angewiesen hatte, den Duna ihre Zeltfläche zu zeigen und sich der Begrüßung der anderen Magier zugewandt hatte, fand Sonea sich Rothen gegenüber. Er grüßte Akkarin mit einigen wenigen Worten und einem Lächeln, das sowohl Respekt als auch eine verhaltene Zuneigung ausdrückte, dann schloss er sie in seine Arme.
„Schön, dass du wieder da bist“, sagte er. „Du wirst kaum glauben, was hier während deiner Abwesenheit los war!“
„Oh, ich glaube, das kann ich mir sehr gut vorstellen!“, rief Sonea.
„Es hätte mich auch wahrhaftig gewundert, hätte dein Mann dich nicht auf dem Laufenden gehalten“, entgegnete Rothen mit einem Blick zu Akkarin.
„Bei Soneas Neugier war dies nahezu unmöglich“, erwiderte der Hohe Lord trocken.
Sonea verdrehte die Augen. Obwohl die beiden Männer einander schon vor langer Zeit akzeptiert hatten, konnte sie sich nicht daran gewöhnen, dass sie sich hin und wieder auf ihre Kosten amüsierten. „Also wirklich!“, rief sie. „Das war alles, was ich in den letzten beiden Monaten von zuhause hatte!“
„Also hattest du Heimweh.“
„Ein wenig. Schließlich musste ich alles, was ich liebe, zurücklassen.“ Akkarin legte einen Arm um ihre Taille und ihr Herz machte einen Sprung. Sie wünschte, sie würde nie aufhören, so für ihn zu empfinden.
Aber es war nicht nur Akkarin gewesen, den sie zurückgelassen hatte.
Sonea sah sich um. „Wo ist Lorlen?“
„Takan hat ihn heute Morgen vor meinem Unterricht abgeholt. Ich nehme an, er wollte das erledigt haben, bevor er mit den Vorbereitungen für eure Rückkehr anfing.“
Das sah Takan ähnlich. Wahrscheinlich war er schon den ganzen Tag über damit beschäftigt, ein Festessen für sie und Akkarin zu kochen. Ob er bereits weiß, dass wir noch ein Baby bekommen?, fragte Sonea sich, sich daran erinnernd, wie er reagiert hatte, als sie mit Lorlen schwanger gewesen war. Wenn Takan sich vorher schon überfürsorglich um die Frau seines Meisters gekümmert hatte, dann hatte er sie von da an fast mit seiner Hingabe erstickt.
„War Lorlen denn braver als beim letzten Mal?“, fragte sie.
„Er ist ein höchst vorbildliches Baby“, erwiderte Rothen ernsthaft. „Aber länger als zwei Wochen würde ich ihn nicht hüten wollen.“
„Seit er laufen kann, ist er noch lebhafter als zuvor“, fügte Akkarin hinzu.
„Wahrhaftig!“, rief Rothen. „’Lebhaft’ ist eine ziemliche Beschönigung!“
Sonea lachte. „Danke, dass du auf ihn aufgepasst hast, Rothen.“
„Jederzeit wieder.“ Ihr ehemaliger Mentor lächelte. „Aber mehr als ein paar Tage muss es nicht sein.“
Sonea lachte erneut und etwas in ihrer Brust zog sich beinahe schmerzhaft zusammen. „Jetzt haben wir so viel über Lorlen geredet, dass ich unbedingt nach Hause möchte, um ihn zu sehen.“
Rothen winkte ab. „Geht nur. Dann kann ich auch endlich Dannyl begrüßen.“
„Lass dich nicht aufhalten“, erwiderte sie. „Sobald ich Zeit habe, komme ich auf einen Sumi vorbei.“
Ihm ein letztes Lächeln schenkend folgte sie Akkarin um die Menschentraube herum, die sich vor den Stufen der Universität gebildet hatte. Sie waren noch nicht weit gekommen, als Trassia völlig aufgelöst vor ihnen stand.
„Wo ist er?“, fragte sie atemlos.
Sonea runzelte die Stirn.
„Ich gehe schon einmal vor“, murmelte Akkarin.
„Oh, Verzeihung, Hoher Lord“, stammelte Trassia. Zu Soneas Erheiterung wollte sie sich verneigen. „Ich wollte Euch und Eure Frau nicht stören.“
„Das tut Ihr nicht. Eure Angelegenheit kann offensichtlich nicht warten.“ Er strich kurz über Soneas Wange.
- Bis gleich.
Kaum, dass er sich abgewandt hatte, fiel ihre Freundin Sonea um den Hals. „Es tut so mir leid, ich wollte eigentlich bei eurer Ankunft dabei sein, doch ich musste noch einen Patienten zu Ende behandeln!“
„Es ist in Ordnung, Trassia“, erwiderte Sonea. „Ich freue mich, dass du es trotzdem geschafft hast.“ Sie löste sich ein Stück von ihrer Freundin, weil der Geruch ihres Haares Erinnerungen an Danyara auslöste. „Aber ich wäre dir auch nicht böse gewesen, hätten wir uns erst morgen gesehen. Ich bin entsetzlich müde von der Reise.“
Trassia lächelte, doch es wirkte irgendwie gequält.
„Was ist los?“, fragte Sonea besorgt.
„Ich konnte Regin nicht unter den Kriegern finden. Warum ist er nicht hier?“
Sonea betrachtete ihre Freundin nachdenklich. Sie liebt ihn noch immer. Trotz allem. Und Regin liebt sie. Und aus diesem Grund durfte sie ihr nicht sagen, was er gerade tat.
„Er hat noch etwas zu erledigen“, sagte sie daher. „In ein paar Tagen wird er zurück sein. Aber es geht ihm gut.“
„Was hat er zu erledigen?“
Seine Taten wiedergutzumachen. Und deine Familie aufsuchen. Sonea setzte einen neutralen Gesichtsausdruck auf. Ich hätte nie gedacht, dass meine Maske mir einmal in einer solchen Situation zugutekommt, fuhr es ihr durch den Kopf. „Es ist nichts Schlimmes“, antwortete sie. „Wenn dem so wäre, dann würde ich es dir sagen.“
Trassia betrachtete sie zweifelnd. „Wirklich?“
Sonea schenkte ihr ein zuversichtliches Lächeln. „Wirklich.“
Erleichtert schüttelte Trassia den Kopf. Ein paar ihrer dunklen Locken fielen aus ihrer Frisur. „Für einen verrückten Moment habe ich geglaubt, er sei bei der Schlacht gestorben.“
„Das ist er nicht.“ Sonea legte eine Hand auf den Arm ihrer Freundin. „Das hättest du längst erfahren. Tatsächlich hat er sich sogar recht gut geschlagen. Aber es ist nicht meine Aufgabe, dir von seinen ...“, sie unterdrückte ein Schnauben, „ … Heldentaten zu berichten.“
„Nein.“ Trassia lächelte. „Geh zu deinem Mann und deinem kleinen Sohn und komm erst einmal zuhause an.“
Sonea nickte. „Ich …“, sie hielt inne, unsicher, ob sie es ihrer Freundin sagen sollte, aber es würde sowieso die Runde machen. „Trassia … bevor du es von den Waschweibern erfährst, solltest du es von mir erfahren.“
„Was?“
Sonea schloss die Augen. „Ich bin wieder schwanger. Deswegen fühle ich mich so erschöpft.“
„Oh!“, machte Trassia. „Dann gratuliere ich dir!“
Nichtsdestotrotz wirkte ihre Freude erzwungen. Sonea konnte es ihr nicht verübeln. An ihrer Stelle hätte sie nicht anders empfunden.
Mit einem schiefen Lächeln drückte sie ihre Freundin an sich. „Ich komme vorbei, sobald ich mich ausgeruht habe.“
„Danke.“ Trassia seufzte. „Ich muss auch wieder zurück zu meinen Patienten. Also bis dann.“
„Bis dann.“
Sonea sah ihr nach, wie sie in Richtung des Heilerquartiers verschwand, dann machte sie sich auf den Weg nach Hause.
Akkarin wartete dort, wo der Weg zur Residenz des Hohen Lord abzweigte. „Regin weiß gar nicht, wie viel Glück er mit ihr hat“, bemerkte er. Er streckte eine Hand nach ihr aus.
„Nein, das weiß er nicht.“ Sonea ergriff seine Hand. „Und er hat sie nicht verdient.“
„Das bleibt abzuwarten. Er hat nicht nur als Krieger Potential. Er hat sich bereits bezüglich dir geändert. Wenn er in der Lage ist, eine Freundschaft aufzubauen, wird er auch lernen, eine ernsthafte Liebesbeziehung aufzubauen.“
„Das hoffe ich“, sagte Sonea. „Denn wenn er weiter so mit meinen Freunden umgeht, werde ich ihn eines Tages doch noch zu Asche verbrennen!“
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Ich würde dich nicht davon abhalten.“
Gemeinsam schritten sie den von Bäumen gesäumten Weg entlang. Als sie nur noch wenige Schritte vom Eingang entfernt waren, ging die Tür auf und Takan trat heraus mit Lorlen auf dem Arm. Am Fuße der Treppe setzte er das Baby vorsichtig ab, bis es auf seinen winzigen Füßchen stand.
„Da!“, rief Lorlen glücklich, und als Takan ihn losließ, rannte er auf seinen kurzen pummeligen Beinchen los.
Sonea ging in die Hocke und fing ihren Sohn auf. „Hallo, mein kleiner Schatz“, flüsterte sie und hob ihn hoch. Ihre Augen begannen zu brennen und sie hatte Mühe, ihre Stimme zu kontrollieren.
„Da!“, rief Lorlen erneut und griff nach ihren Haaren. „Nea!“
Sonea küsste ihn auf die Wange und drückte ihn an sich. Mit einem Mal war sie den Tränen gefährlich nahe. Sie bemerkte kaum, dass Takan wieder einmal vor seinem Meister auf die Knie ging und Akkarin ihn dafür leise schalt.
Erst, als Akkarin einen Arm um ihre Schultern legte, brachte sie das wieder in die Gegenwart zurück.
„Was meinst du, Sonea?“, fragte er. „Baden, eine Runde mit Lorlen spielen und dann widmen wir uns den Erwachsenenspielen?“
Sie sah zu ihm auf und begegnete seinen dunklen Augen. „Klingt gut. Aber ich muss auch dringend schlafen.“
- Wobei ich nichts dagegen hätte, aus dem Spiel etwas Ernsteres zu machen.
- Dann garantiere ich für nichts mehr.
- Gut. Denn dann werde ich mich auch nicht so bald langweilen.
- Wir werden sehen.
- Allerdings, sandte sie sich an ihr Gespräch mit Asara erinnernd.
„Du wirst mich noch verfluchen“, murmelte er. Dann führte er sie die Stufen hinauf in ihr Zuhause.
***
Die Strahlen der Nachmittagssonne fielen in breiten, gelben Balken durch das Blätterdach des Waldes, der den sanft abfallenden Berghang bedeckte. Das Laub hoch oben in den Wipfeln raschelte in einer lauen Brise. In der prallen Sonne brachte sie kurzzeitige Erleichterung von der Hitze des Tages, hier unter den Bäumen war es indes angenehm kühl.
Nichtsdestotrotz schwitzte Regin, während er auf einen Gehstock gestützt den Waldweg entlang ging. Lord Kiano hatte ihm erklärt, dass es Zeit wurde, sein Bein wieder an die Bewegung zu gewöhnen, der Stock diente dabei zur Entlastung.
Er ist nur ein dummer Nichtmagier, rief er sich ins Gedächtnis. Er sollte Angst vor mir haben!
Doch das war nicht ganz richtig. Er war es, der etwas von diesem Mann wollte und das würde er nicht erreichen, indem er seinen Status als Magier benutzte, um ihm Angst einzujagen.
„Die Menschen in den Bergen sind tapfere und ehrbare Leute“, hatte Kayan gesagt. „Auch wenn sie sich inzwischen an die Magier gewöhnt haben, fürchten sie uns noch immer. Begegne ihnen mit Respekt, wenn du etwas bei ihnen erreichen willst.“
Auf Regins Drängen hin hatte Kayan ihm schließlich den Weg zur Reberfarm von Vianas Familie beschrieben. Jedoch erst, nachdem sie eine hitzige Diskussion über die Bloßstellung von Kayans Freund Dorrien geführt hatten. Regin hatte sich wiederholt entschuldigt und Kayan versichert, dass er Wiedergutmachung leisten würde.
„Das ist auch das mindeste“, hatte Kayan grimmig erklärt. „Sei froh, dass ich nicht allzu nachtragend bin und anderen ihre Fehler nachsehe, wenn sie bereit sind, daraus zu lernen und sich zu bessern. Denn sonst wäre unsere Freundschaft beendet.“
„Und weil ich Besserung beabsichtige, brauche ich deine Hilfe. Denn nur so kann ich es wiedergutmachen.“
Regin hätte sich nie träumen lassen, wie viel es ihm bedeutete, dass Kayan ihm eine zweite Chance gab. Bevor Sonea ihm am Nordpass die Meinung gesagt hatte, war er gar nicht auf die Idee gekommen, sich auch den Zorn des Kriegers eingehandelt zu haben. Für eine Weile hatte er sich der Vorstellung hingegeben, mit Kayan gemeinsam auf Patrouille zu gehen. Würde Balkan noch leben, so hätte Regin ihn gebeten, ihn für eine Weile zum Südpass zu versetzen. Die Auszeit von der Gilde hatte ihm schon einmal gutgetan. Gewiss würde sie das ein zweites Mal.
Aber Balkan war tot. Und Regin würde möglicherweise dessen Nachfolge antreten. In diesem Fall würde er die Gilde so bald nicht mehr verlassen. Und er würde Trassia nicht mehr aus dem Weg gehen können.
Bei der Erinnerung an die Frau, die fast zwei Jahre lang seine Freundin gewesen war, zog sich etwas in ihm schmerzvoll zusammen. Was auch immer er getan hatte, von allen Menschen, die er verletzt hatte, hatte er sie am meisten verletzt.
Und damit sich selbst.
Was für ein Idiot bin ich doch gewesen!, dachte er. Musste ich sie erst verlieren, um zu erkennen, dass ich sie mehr liebe als jeden anderen Menschen auf der Welt?
Aber sie würde ihn nur zurückwollen, wenn er sich änderte. Oberhaupt der Krieger zu werden war keine Lösung, weil Trassia nicht zu den Frauen gehörte, die Männer auf Grund von Macht oder Ansehen attraktiv fanden. Er wusste nicht einmal, ob sie ihn zurückwollte, wenn es ihm gelang, ein besserer Mensch zu werden. Wenigstens würde er sich dann nicht vorwerfen müssen, es nicht versucht zu haben. Aber es ging um mehr als das.
Nachdem es eine halbe Meile bergab gegangen war, lichtete sich der Wald. Der Weg führte einen grasbewachsenen Hang entlang zu einer kleinen Kate, die ähnlich einfach und schmucklos wie die übrigen Häuser in dieser Gegend war. Daneben befand sich ein großer Stall. Ein Stück hangabwärts graste eine Herde Reber.
Das muss es sein, dachte Regin. Die anderen Reberfarmen in der Umgebung lagen in andere Richtungen. Auf dem Weg, auf dem er das Dorf verlassen hatte, war diese jedoch die einzige. Vor der Tür strich er Haare und Robe glatt, dann klopfte er.
Ein kleines Mädchen öffnete ihm. „Hallo“, sagte sie und sah mit großen Augen zu ihm auf. „Ich kenne dich.“
Regin betrachtete sie unbehaglich. „Wahrscheinlich hast du mich gesehen, als du im Frühjahr in der Gilde warst“, sagte er.
„Du hast gegen Akkarin und Sonea gekämpft!“
„Das habe ich.“
„Und hast verloren.“
„Nun, sie sind schwarze Magier“, erwiderte Regin zähneknirschend.
Das Mädchen betrachtete ihn lauernd, den Kopf auf die Seite gelegt. „Was willst du?“
„Ich will deinen Vater sprechen“, antwortete Regin.
„Da ist bei den Rebern.“ Das Mädchen lümmelte sich im Türrahmen, eine Hand auf dem Knauf. „Aber meine Ma ist da.“
Und jetzt?, dachte Regin hilflos. Er wollte Kullen sprechen, nicht seine Frau. Oder noch besser: mit beiden zusammen.
„Kannst du ihn holen?“, fragte er. „Dann kann ich mit ihm und deiner Ma sprechen.“
„Lina, wer ist da?“, rief eine Frauenstimme aus dem Innern der Kate.
„Ein Magier!“, antwortete Lina fröhlich. „Er will mit Da reden.“
Schritte erklangen und eine rundliche Frau mit schwarzen Haaren trat in die Tür. „Mylord?“, sagte sie fragend und verneigte sich nicht sonderlich elegant.
„Mein Name ist Lord Regin“, stellte Regin sich vor. „Ich bin gekommen, um mich mit dir und deinem Mann zu unterhalten.“
Die Frau erbleichte. „Geht es um Viana?“
Er nickte.
„Lina, geh Da holen“, sagte die Frau.
„Ja-a!“, rief das Mädchen und rannte los.
„Lord Regin, bitte kommt herein“, forderte die Frau ihn auf.
„Danke“, erwiderte Regin sich an seine Manieren erinnernd und folgte ihr in einen Raum, der aus einer Kochstelle, einem Tisch mit zwei großen Bänken und einem Alkoven bestand. Unter einem Fenster standen ein Spinnrad und ein Webstuhl.
„Setzt Euch“, sagte die Frau mit einer Geste auf die Sitzecke. „Möchtet Ihr etwas trinken? Raka? Bol? Wasser?“
„Ich denke, ich nehme das Wasser“, antwortete Regin, während er sich vorsichtig auf der hölzernen Bank niederließ. Das Holz knarrte unter seinem Gewicht und sein Bein begann zu pieksen. Er schätzte weder Bol, noch das bittere Getränk, das für die einfache Bevölkerung das war, was für die Magier und die Häuser Sumi war.
„Es ist von unserem Brunnen. In diesem Berg befindet sich eine Quelle. Es ist also ganz sauber.“
Und wenn nicht, wüsste ich, wie ich es reinigen könnte.
„Danke“, sagte Regin höflich, als die Frau einen tönernen Becher vor ihm abstellte. Vorsichtig trank er einen Schluck. Das Wasser war klar und eiskalt.
Die Frau goss sich einen Becher mit einer dampfenden und stinkenden Flüssigkeit – Raka – auf, setzte sich auf die Bank auf der anderen Seite des Tisches und musterte Regin. Ein unbehagliches Schweigen breitete sich aus. Regin wusste nicht, wie er mit einem Menschen Konversation betreiben sollte, der den gesellschaftlichen Stand eines Dieners hatte. Oh hoffentlich, kommt ihr Mann bald!
Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich und Regin hatte alle Mühe, die Wartezeit mit dem gelegentlichen Nippen an seinem Getränk zu überbrücken. Was hatte ihn getrieben, als er den Entschluss gefasst hatte, herzukommen? Was wollte er damit außer einer Selbstdemütigung bezwecken?
Endlich ging die Tür auf und ein großer vierschrötiger Mann trat ein, dicht gefolgt von Lina. Als Regin ihn erblickte, wusste er sofort, von wem die beiden Mädchen ihr tennblondes Haar geerbt hatten.
„Guten Tag, Kullen“, grüßte Regin und erhob sich. „Mein Name ist Lord Regin, ich war während der letzten Monate ein Lehrer Eurer Tochter und bin gekommen, um mit Euch über sie zu sprechen.“
„Guten Tag, Mylord“, erwiderte Kullen und verneigte sich steif. Dann nahm er neben seiner Frau platz. „Was ist mit Viana? Ist ihr etwas passiert?“
„Es geht ihr gut“, antwortete Regin. „Abgesehen von dem Leid, das ihr auf Grund des Wechsels ihres Mentors widerfahren ist.“
Das Gesicht des Reberhirten verfinsterte sich. „Lina, geh draußen spielen!“
„Aber ich will dabei sein!“
„Raus!“, wiederholte Kullen. „Sonst gehst du heute ohne Abendessen ins Bett!“
Linas Augen weiteten sich und sie beeilte sich, das Haus zu verlassen.
„Also, Lord Regin“, kam Vianas Vater wieder auf das Gespräch zurück. „Was wollt Ihr?“
Regin holte tief Luft. Jetzt würde es unangenehm werden. „Wie ich bereits sagte, habe ich eure Tochter während der letzten beiden Monate in Kriegskunst unterrichtet. Viana hat viel Geschick bewiesen, sie lernt schnell und ist ehrgeizig, obwohl ihr Interesse der Heilkunst gilt.“
„Und was soll uns das sagen?“, fragte Kullen unwirsch.
Er ist sehr direkt, bemerkte Regin. Besonders dafür, dass Nichtmagier sich für gewöhnlich vor Magiern fürchteten. Doch entweder hatte der Dorfheiler ihnen diese Furcht abgewöhnt oder die schlechte Laune des Mannes siegte über seinen Respekt. „Dass Viana eine hervorragende Novizin ist und du und deine Frau stolz auf sie sein solltet.“
„Das war ich, bis sie und Lord Dorrien angefangen haben, sich wie zwei junge Reber in der Paarungszeit zu verhalten.“ Eine Ader auf Kullens Schläfe begann zu pochen. „Und jetzt darf ich sie nicht mehr sehen, weil ich meine Reber nicht lange genug alleine lassen kann, um in die Stadt zu reisen.“
„Kullen“, sagte Regin sich zu seiner vollen Größe aufrichtend. „Dass Lord Dorrien das Recht verloren hat, Viana zu unterrichten, und sie bis zum Ende ihres Studiums in Imardin bleiben muss, ist meine Schuld. Ich möchte dir und deiner Frau deswegen meine Entschuldigung aussprechen und Euch bitten, nicht eure Tochter und Lord Dorrien zu verurteilen, sondern mich. Lord Dorrien hat sich sehr engagiert um ihre Ausbildung gekümmert und dafür gesorgt, dass sie in Imardin von den besten Lehrern unterrichtet wird. Ihre Noten liegen im oberen Durchschnitt, was nicht der Fall wäre, wenn ihre Beziehung sich schlecht auf ihr Studium auswirken würde.“
Er machte eine bedeutungsvolle Pause. Kullen starrte ihn mit unbewegter Miene an, während seine Frau die Stirn gerunzelt hatte. Regin fragte sich, ob der Reberhirt ihm so furchtlos begegnete, weil er den Umgang mit Magiern gewöhnt war, oder ob sein Zorn seine Furcht überstieg.
„Es mag Eure Schuld sein, dass Lord Dorrien meine Tochter nicht mehr unterrichten darf, Mylord“, sprach Kullen schließlich. „Aber das alles wäre nie passiert, wenn die beiden sich nicht so dämlich benommen hätten.“ Er schlug mit einer Faust auf den Tisch. „Verdammt! Ich war von Anfang an dagegen, dass er sie unterrichtet oder mit ihr ins Bett geht!“
Seine Frau legte eine Hand auf seinen Arm. „Kullen“, sagte sie leise. „Der Magier versucht gerade, alles wieder richtigzustellen. Es ist nicht Dorriens und Vianas Schuld. Du hast doch gehört, was er über die beiden gesagt hast.“
Das war so nicht ganz richtig, aber Regin zog es vor, sie nicht zu korrigieren.
Der Reberhirt verzog unwillig das Gesicht. „Schön, das sehe ich ja ein“, brummte er. „Aber was haben wir davon? Wird Viana wieder hier studieren dürfen?“
„Das ist leider nicht möglich“, antwortete Regin. „Doch die Ausbildung, die ihr in Imardin zuteilwird, wird Lord Dorriens Unterricht in nichts nachstehen. Da Viana so fleißig ist, wird sie ihren Abschluss möglicherweise bereits früher machen können. Insbesondere, wenn sie nicht ständig zwischen Windbruch und Imardin hin und her reisen muss. Ich werde mich persönlich darum kümmern.“
Mit Rothen als Mentor, der sie in Alchemie unterrichtete und Sonea als Lehrerin für Kriegskunst hatte Viana bereits zwei Lehrer, die sich gut für die junge Frau eigneten. In Heilkunst war sie nach Regins Wissen von Lady Kinla unterrichtet worden, die vermutlich bald von Lady Indria abgelöst werden würde.
„Ich werde Euch das wohl einfach glauben müssen, Mylord“, sagte Kullen. „Ob das richtig war, wird sich zeigen, wenn Viana ihr Studium beendet hat.“
„Ihr könnt auf mein Wort vertrauen. Doch es gibt noch eine Sache, die ich von dir und deiner Frau erwarte und die mir persönlich am Herzen liegt. Tatsächlich ist sie der eigentliche Grund meines Besuchs.“
Kullen runzelte die Stirn. „Was?“, fragte er unwirsch.
„Ich will, dass ihr Dorrien und Viana euren Segen gebt.“
***
Nachdem sie ausgeschlafen, sich ihrem Mann hingegeben, mit ihrem kleinen Sohn gespielt und etwas gegessen hatte, verließ Sonea die Residenz. Nach so langer Zeit war es seltsam, wieder zuhause zu sein. Verglichen mit der trockenen Hitze Dunas und der Ödländer war die Luft in Imardin kühl, feucht und schwer. Auf ihrem Rückweg vom Fort war das herrliche Sommerwetter umgeschlagen und seitdem regnete es allenthalben. Trotz aller Freude, wieder zuhause zu sein, drückte dies Soneas Stimmung nieder und verstärkte das Gefühl von Fremdheit.
Oder liegt es daran, dass ich nicht mehr nach Kyralia passe?
Sei nicht albern, schalt sie sich dann. Sachaka mag dich und Akkarin verändert haben, aber keiner von euch würde dort leben wollen.
In der Eingangshalle des Heilerquartiers kam ihr eine Gruppe Novizen entgegen. Sie grüßten Sonea ehrfürchtig und eilten dann weiter. Sonea schüttelte den Kopf. Eine schwarze Robe, ein paar Heldentaten und ein mächtiger Ehemann genügten offenkundig, um gefürchtet und respektiert zu werden. Seltsamerweise hatte es jedoch begonnen, sie zu amüsieren, wo es ihr einst unangenehm gewesen war.
Der Unterschied liegt darin, dass ich zu mir selbst gefunden habe, erkannte sie. Dass ich nicht mehr damit hadere, was ich bin, oder das Gefühl habe, der Welt jenseits meines Zuhauses nicht mehr trotzen zu können.
Ihre Reise nach Yukai hatte sie stärker gemacht. All die Wochen bis Imardin hatte sie es nicht bemerkt. Jetzt, wo sie wieder hier war, spürte sie den Unterschied jedoch deutlich. Sie hatte aufgehört, sich zerbrechlich zu fühlen. Und das Gefühl, zu zerbrechen, war in Yukai zurückgeblieben.
Was Marika ihr angetan hatte, würde niemals ganz heilen. Es konnte nicht mehr so werden, wie es einst gewesen war. Aber sie hatte damit ihren Frieden gemacht und akzeptiert, was es aus ihr gemacht hatte. Und ironischerweise passte sie damit nun besser zu Akkarin denn je.
Wenn Ihr gefunden habt, wonach Ihr sucht, dann wird das auch Euch mit Stolz erfüllen.
Ein unwillkürliches Lächeln auf den Lippen durchquerte Sonea die Eingangshalle und stieg hinauf in die höheren Stockwerke des Heilerquartiers.
Ihre Freundin begrüßte sie an der Tür ihres neuen Quartiers mit einer innigen Umarmung, als hätten sie einander nicht erst vor wenigen Stunden gesehen.
„Du hast mir so gefehlt“, schluchzte ihre Freundin.
„Ich weiß“, sagte Sonea über Trassias Rücken streichend. „Es tut mir so leid. Regin ist so ein Mistkopf.“
„Ich dachte, ich könnte ihm vertrauen. Ich habe ihn geliebt. Er war meine erste wirklich große Liebe. Und dann macht er so etwas. Ich hasse ihn!“
Darauf wusste Sonea nichts zu erwidern. Regin hatte auch sie getäuscht und sie war noch immer nicht damit einverstanden, dass die Gilde ihn als Oberhaupt der Krieger in Erwägung zog. Du solltest ihm eine Chance geben, Sonea.
Als Oberhaupt der Krieger vielleicht. Aber nicht in Bezug auf meine beste Freundin. Da hat er eindeutig eine Grenze überschritten.
„Es tut mir leid, dass ich ausgerechnet jetzt ein zweites Kind erwarte“, sagte sie.
„Zuerst war es ein kleiner Schock, aber ich wusste ja, dass ihr daran arbeitet.“ Trassia lächelte schief. „Selbst, wenn ich noch mit Regin zusammen wäre, würde das nicht bedeuten, dass wir auch Kinder hätten.“
„Ja.“ Sonea holte tief Luft und schob Trassia von sich, so dass sie einander ansehen konnten. „Du hast einen besseren Mann als Regin verdient, egal was du für ihn empfinden magst. Einen Mann, der bereit ist, mit dir Kinder zu zeugen.“ Regin hatte von Wiedergutmachung gesprochen, aber sie hatte entschieden, das erst zu glauben, wenn sie es sah. Und so wie sie ihn kannte, ahnte Sonea, seine Niedertracht würde sich nur ein anderes Ziel suchen.
„Ich weiß. Und das ist alles, was mich davon abhält, zu ihm zurückzukehren.“
„Es ist mehr als genug.“ Sonea zog ihre Freundin in deren Apartment und ließ sich mit ihr auf ein Sofa sinken. „Es tut mir leid, dass ich nicht hier war.“
„Du hast mitgeholfen, dass dieser Krieg ein Ende findet.“
„Trotzdem. Wäre ich hier gewesen …“
„... dann hättest du Regin eine Lektion erteilt.“
Sonea verkniff sich ein Lächeln. „Das ist wahr und das habe ich bereits.“ Sie runzelte die Stirn. „Das heißt, so gut es mir angesichts der Situation möglich war. Wenn du magst, mache ich ihn bei der nächsten Gelegenheit in der Arena fertig.“
Trassia lachte unter Tränen. „Das würde ich liebend gern sehen.“
Sonea zog ein Taschentuch aus ihrer Robe und tupfte ihrer Freundin die Tränen ab. „Sobald er zurück ist, können wir uns ihn auch gerne gemeinsam vornehmen.“
„Wenn die Gilde ihn zum Oberhaupt der Krieger machen will, wird er meine Stimme nicht bekommen.“
„Auf meine wird er auch verzichten müssen“, sagte Sonea. „Allerdings habe ich Akkarin mein Wort gegeben, mich um ihn zu kümmern, sollte er gewählt werden.“
„Und ihm die Meinung sagen, wenn er es zu weit treibt?“
Sonea lächelte grimmig. „Das ist das mindeste!“
Erneut fiel Trassia ihr um den Hals. „Wie froh ich bin, dass du zurück bist!“
„Ich auch“, sagte Sonea. Das Gefühl gebraucht zu werden, machte die Gilde wieder ein kleines Stück mehr zu ihrem Zuhause. Sie hatte nicht viel Gelegenheit gehabt, ihre Freundinnen zu vermissen. Jetzt, wo sie wieder zuhause war, erkannte sie erst wirklich, wie sehr ihr Trassia gefehlt hatte.
„Wenn du magst, kannst du mir alles erzählen, worüber du dich bei Regin aufregst, bis ich ihn ebenfalls hasse“, bot sie an.
Ihre Freundin den Kopf. „Es wieder und wieder zu erzählen, macht es auch nicht besser“, sagte sie. „Außerdem finde ich, dass Luzille unsere Unterstützung im Augenblick mehr gebrauchen kann.“
Luzille! Das plötzliche Schuldgefühl war überwältigend. Über ihre Rückkehr und Trassias Liebeskummer hatte Sonea nicht mehr an ihre andere Freundin gedacht. Und das, obwohl sie am besten wusste, wie entsetzlich es war, die Liebe seines Lebens zu verlieren.
Sie fühlte sich hin und her gerissen. Sie wollte für Trassia da sein, aber Luzille hatte den größeren Verlust erlitten.
Sonea betrachtete ihre Freundin zweifelnd. „Bist du sicher, dass du nicht reden willst?“, fragte sie.
Trassia nickte. „Wenn ich mich wieder über Regin aufrege oder er zurückkommt, kannst du dir meinen ganzen Zorn gerne anhören.“
„Ich werde da sein.“ Sonea nickte zur Tür. „Dann komm.“
Nachdem Trassia ihre Tränen getrocknet hatte, verließen sie das Heilerquartier und schritten zu den Quartieren der Magier. Trassia hatte sich bei Sonea eingehakt und sie gingen unter einem gemeinsamen Wärmeschild.
„Das sollten wir öfter machen“, sagte Trassia.
Sonea spannte sich unwillkürlich an. „Gerne“, erwiderte sie ein Lächeln aufsetzend.
Sie ist nicht Dany. Sie erinnert mich nur manchmal an sie.
„Eine Sache verstehe ich nicht, Sonea“, sagte ihre Freundin.
„Was?“
„Warum war ich so besorgt um Regin, als er nicht mit dir, deinem Mann und den anderen zurückgekommen ist, wenn ich ihn doch so sehr hasse?“
Weil ein Teil von dir ihn noch liebt …
Mit einem leisen Seufzen schob Sonea ihre Erinnerungen beiseite. Es war egal, ob ein verdrehter Teil von ihr Marika geliebt hatte oder nicht. Sie war zu dem Punkt gelangt, an dem er aufgehört hatte, Macht über sie zu besitzen. Weil er aufgehört hatte, ihr etwas zu bedeuten.
Weil sie Akkarin gehörte.
„Weil Hass ein ähnlich starkes Gefühl wie Liebe ist“, antwortete sie. „Solange du einen Menschen hasst, hat dieser noch Macht über dich. Aber das ist in Ordnung. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung.“
„Und dann?“, fragte Trassia.
„Der Hass wird nachlassen. Du wirst zu verstehen beginnen, dass ein Teil davon gegen dich selbst gerichtet war. Du wirst erkennen, dass er es nicht wert war, geliebt zu werden. Und dann kannst du loslassen.“
„Klingt nach einer Sache, die sehr viel Zeit braucht“, sagte Trassia.
„Ja. Aber du musst das nicht alleine durchstehen.“
Statt einer Antwort drückte Trassia nur ihren Arm.
Im Obergeschoss hielt Sonea inne. „Was, wenn Luzille nicht zuhause ist?“
„Sie wird zuhause sein.“ Trassias senkte ihre Stimme. „Seit sie die Nachricht erhalten hat, hat sie ihr Apartment nicht mehr verlassen. Ich habe jeden Tag nach ihr gesehen, doch sie schien kein Interesse an Besuchern zu haben.“
Sonea spürte, wie sich etwas in ihrer Brust schmerzhaft zusammenzog. Ich hatte geglaubt, Luzille wäre stärker.
Aber wie sollte sie, wenn Sonea selbst einst an dem scheinbaren Verlust ihres Mannes zerbrochen war?
Luzille saß in einem Sessel und starrte auf das Gelände der Universität, einen kalten Becher Sumi selbstvergessen in ihren Händen haltend. Ihr Anblick zerriss Sonea das Herz.
Und ich mache mir Sorgen um ein Baby und darum, wie ich meine Beziehung dorthin bringen kann, wo ich mich mit Akkarin sehe, während meine beiden besten Freundinnen die Liebe ihres Lebens verloren haben.
Ihre Augen begannen zu brennen. Trassia mit sich ziehend schritt sie zum Fenster. Dann ließen sie sich zu Luzilles Seiten nieder, umarmten sie und trauerten mit ihr.
***
An diesem Abend hatten Rothens Novizen sich schon früh für die Nacht zurückgezogen, was Rothen seit Wochen die erste Gelegenheit bot, den Abend mit einer Tasse Sumi und einem Buch in seinem Lieblingssessel zu verbringen. Da die Oberhäupter der Disziplinen Alchemie und Heilkunst zurück waren, würde Farand am nächsten Tag seine Abschlussprüfungen in diesen Kursen haben. Viana hatte an diesem Tag ihre letzte Prüfung für dieses Jahr hinter sich gebracht und hatte sich dementsprechend müde und erschöpft in Quartier zurückgezogen.
Ich kann kaum glauben, dass er bald nicht mehr mein Novize sein wird, dachte Rothen. Die Zeit ist so schnell vergangen. Sobald Balkans Assistent von wo auch immer zurückkehrte, würde Farand auch seine Prüfung in Kriegskunst ablegen und dann fehlte nur noch die Abschlusszeremonie, um es endgültig zu machen. Rothen glaubte jetzt schon, dass ihm dann etwas fehlen würde.
Aber ich habe noch immer Viana ...
Als es klopfte, hob er den Kopf. „Herein!“, rief er und streckte seinen Willen nach der Tür aus.
„Guten Abend, alter Freund“, erklang eine vertraute Stimme mit einem feixenden Unterton vom Flur aus.
Rothens Herz machte einen Sprung. Er legte das Buch zur Seite und er erhob sich. „Alter Freund, wahrhaftig!“, rief er und schritt auf Dannyl zu.
„Dann eben alter Feind.“
Lachend umarmten sie einander zum zweiten Mal an diesem Tag und Rothen fand, es war gut, dass manche Dinge sich niemals änderten.
„Komm herein“, sagte Rothen. „Der Wein, den du mir aus Elyne schickst, ist zwar aufgetrunken, aber ich habe einen hervorragenden drei Jahre alten Anurischen Dunkelwein.“
Dannyl hob leicht die Augenbrauen. „So alt wie dieser Krieg?“
„Ironischerweise ja. Doch ich denke, er wird auch geschmacklich deinen Ansprüchen genügen.“
„Ansprüche?“ Erheitert ließ Dannyl sich in einen der Sessel am Fenster sinken. „Wirklich, Rothen. Nach drei Monaten fernab jeder Zivilisation käme selbst der billigste Fusel einer Delikatesse gleich. Und Anurischer Dunkelwein ist dagegen alles andere als Fusel!“
„Und am Fort hattest du keinen Wein?“
„Ah, der war verwässert.“
Kopfschüttelnd entkorkte Rothen eine Flasche und befüllte zwei Gläser. „Ich nehme an, du bist nicht gekommen, um etwas über mein langweiliges Leben in der Gilde in Erfahrung zu bringen?“, fragte er.
Dannyl nahm sein Glas entgegen. „Eigentlich wollte ich mit meinen Reisen prahlen, doch tatsächlich hätte ich nichts gegen ein wenig Normalität.“
„Normal“ war für Rothen an zwei Novizen, einem schreienden Baby, absurden Gildenversammlungen und einem neuerlichen Skandal seines eigenen Sohnes rein gar nichts. Dennoch erzählte er seinem Freund während der nächsten halben Stunde, was sich in der Gilde während der vergangenen Monate ereignet hatte. Dannyl lauschte aufmerksam und lachte hin und wieder und bemitleidete Rothen.
„Was macht dein Ödländer-Projekt?“, fragte sein Freund dann.
„Es wächst und gedeiht, wenn man das so sagen kann.“
„Hast du bei den Bodenproben schon etwas herausgefunden?“
„Tatsächlich habe ich meine Klasse darauf angesetzt. Sie haben die Proben auf ihre Inhaltsstoffe analysiert, da sie das nötige alchemistische Wissen bis auf einige Ausnahmen schon hatten. Den Rest habe ich ihnen beigebracht.“
Leise pfiff Dannyl durch die Zähne. „Damit hast du ihnen nicht nur einen Vorgeschmack auf das, was sie erwartet, gegeben, sondern auch deine Arbeit auf geschickte Weise weiter delegiert.“
„Mit zwei Novizen und einem Baby war das auch bitter nötig!“
„Und hat die Novizenarbeit wenigstens eine Erleuchtung gebracht?“
„Ich habe nun eine Vorstellung von der Art und Weise, wie eine starke Einwirkung von Magie den Boden vergiftet und welche Abbauprodukte dabei entstehen“, antwortete Rothen. „Dennoch würde ich das gerne mit Proben aus den Ödländern vergleichen, um sicherzugehen.“
„Aber du würdest die Sache noch immer als durchführbar einschätzen?“
„Ja. Und ich habe nun eine bessere Vorstellung davon, was getan werden muss.“ Rothen trank einen Schluck Wein und sah zu Dannyl. „Doch nun erzähle du von deiner Reise. Und untersteh dich bloß mit Übertreibungen! Aufregung hatte ich in den letzten Wochen wahrhaftig genug.“
„Dann werde ich alles Spannende weglassen und dir nur den langweiligen Teil erzählen“, gab Dannyl zurück. „Doch das könnte dich einschläfern.“
Rothen unterdrückte ein Schnauben. „Tu, was du nicht lassen kannst.“
Er hat so unglaublich gute Laune. Die Reise hat seinem Selbstbewusstsein gut getan.
Nein, dachte er dann. Es ist mehr als das. Er ist nahezu aufgedreht.
„Du hast wirklich einiges an Abenteuern erlebt“, sagte er, als Dannyl seinen Bericht beendet hatte. „Ich könnte mich aufregen, weil du dich dabei andauernd in Lebensgefahr begeben hast, aber ich gönne dir, dass du auf diese Weise so viel von der Welt und ihren Kulturen sehen konntest. Und ich bin froh, dass Sonea auf dich aufgepasst hat.“
„Du hast mir nie erzählt, wie stur sie sein kann“, erwiderte Dannyl.
„Beim nächsten Mal warne ich dich vor“, sagte Rothen augenzwinkernd.
Sie lachten.
„Tatsächlich ist mir auf dieser Reise einiges klargeworden“, sagte Dannyl dann. „Ich hätte es nie für möglich gehalten, doch Sonea war nicht die Einzige, die in Yukai ihre Vergangenheit bewältigt hat.“
Rothen runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“
„Nachdem die Konferenz gescheitert ist, habe ich mich als Versager gefühlt.“ Dannyls Stimme war leise, aber frei von der Unsicherheit, mit der er früher über seine Probleme gesprochen hatte. „Es war wie damals nach der Sache mit Arrend.“ Er machte eine Pause und nippte an seinem Wein. „Ich habe dir das nie erzählt. Es war kurz, bevor du mein Mentor wurdest und ich wollte über diese Dinge nicht reden. Doch damals hat mein Vater mir ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass ich eine Enttäuschung für die Familie bin. So habe ich mich nach Yukai gefühlt. Und damals nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Marika.“
Mit einem Mal verstand Rothen vieles, was ihm nie ganz bewusst geworden war. Dannyl konnte sehr verschlossen sein. Er verstand, warum jener Vorfall in Arvice so an Dannyls Selbstbewusstsein gekratzt hatte und warum er anschließend so versessen darauf gewesen war, mit den Verrätern zu verhandeln. Und dann hatte er auch dieses Bündnis brechen sehen.
„Aber am Ende hattest du Erfolg“, sagte er. „Du hast sie vereint und für Frieden gesorgt.“
Über Dannyls Gesicht huschte ein schiefes Lächeln. „Das habe ich, nicht wahr?“ Nachdenklich schwenkte er den Wein in seinem Glas. „Aber bevor es am Nordpass schließlich dazu kam, habe ich erkannt, dass manche Dinge in der Natur des Menschen nicht zu ändern sind. Und das sogar auf eine noch andere Weise, als ich bisher dachte.“
„Nein“, stimmte Rothen zu. „Die Weisheit liegt darin, diese zu akzeptieren.“
Der Blick, mit dem Dannyl ihn daraufhin bedachte, wusste Rothen nicht zu deuten.
„Das Faszinierende an dieser Sache ist nur, dass die eigenen Wertevorstellungen einem diese Weisheit oft versperren.“
„Du meinst, wenn es darum geht, die Sitten anderer Völker zu akzeptieren?“
Dannyl nickte. „Das auch.“
„Ich fand es gewöhnungsbedürftig, dass einige Duna an unserer Universität Heilkunst studieren dürfen“, sagte Rothen. „Doch als ich sie heute gesehen habe … sie wirken wild und barbarisch und doch glaube ich, dass sie gute Menschen sind. Und das nicht nur, weil du das glaubst.“
„Du wirst es nicht glauben, doch das gilt auch für manch einen Sachakaner.“
„Nein“, sagte Rothen. „Das glaube ich wirklich nicht.“
„Das hätte ich auch nicht, hätte man mir das erzählt.“
Rothen betrachtete seinen Freund anerkennend. Dannyl hatte es nicht nur in seiner Karriere weit gebracht. Er war auch geistig an seinen Erfahrungen gereift. Seine Arbeit hatte ihn toleranter gemacht, als man es von einem Kyralier erwartete. Eine ähnliche Aufgeschlossenheit kannte Rothen nur von Elynern wie Farand oder Luzille.
„Dein Verhältnis zu deinem Assistenten hat sicher erheblich dazu beigetragen“, sagte er. „Trotz allem seid ihr ziemlich enge Freunde geworden.“
„Du glaubst gar nicht, wie viel es dazu beigetragen hat!“ Dannyls Augen funkelten wie sie es nur taten, wenn er Flausen im Kopf hatte. „Tayend ist das Beste, was mir je passieren konnte.“
„Nach allem, was ich von ihm mitbekommen habe, als er Akkarin mit den Schilddieben assistiert hat, ist er ein ziemlich guter Assistent“, sagte Rothen.
„Er ist mehr als das, Rothen.“
Rothen erstarrte. Da war ein Ton in Dannyls Stimme, der ihm augenblicklich klarmachte, was dies zu bedeuten hatte. Und mit einem Mal wurden ihm auch Dinge klar, die er in den vergangenen Jahren für merkwürdig befunden hatte. Und er begriff, er war blind gewesen, weil er nur gesehen hatte, was er sehen wollte.
„Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll“, brachte er hervor.
„Du brauchst nichts sagen. Noch erwarte ich, dass du es verstehst. Doch ich würde mich freuen, wenn du es akzeptierst.“
„Ich weiß nicht, ob ich das kann“, sagte Rothen. Seine gesamte Welt schien gerade zusammenzubrechen. Nachdem er bereits Dorrien und Sonea jeden auf seine Weise verloren hatte, spürte er, dass er gerade dabei war, auch Dannyl zu verlieren. Seinen längsten und ältesten Freund, der noch am Leben war. Seinen einzigen Freund. „Ich kann dir nur versprechen, dass ich Stillschweigen bewahren werde.“
„Das bedeutet mir sehr viel.“ Dannyl leerte sein Weinglas. „Ich weiß, dass ich dir damit sehr viel zumute, besonders nach allem, was du gerade mit Dorrien hinter dir hast. Aber ich kann es dir nicht länger verschweigen, Rothen. Du bist mein längster und bester Freund. Ich bin es leid, mich vor den Menschen zu verstecken, die mir etwas bedeuten. Und Tayend bedeutet mir alles. Es ist schwer, das nicht mit dir teilen zu können.“
Rothen konnte nur nicken. Er begriff, dass er diesen Schock erst einmal verarbeiten musste. Aber wusste nicht, ob es helfen würde. Er wusste nicht einmal, warum es ihn so schockierte. Seit er Dannyl zu sich genommen hatte, hatte er es irgendwie gewusst. Er hatte nur die Augen davor verschlossen, bis es zu einem absurden Gedanken geworden war.
Er unterdrückte ein Seufzen, dann sah er Dannyl an.
„Ich fürchte, ich werde Zeit brauchen, mich daran zu gewöhnen, Dannyl.“
Sein Freund lächelte schief.
„Du hast alle Zeit der Welt, Rothen. Wenn ich Imardin verlasse, in jedem Fall mehrere Monate.“
***
Sonea war erst spät in die Residenz des Hohen Lords zurückgekehrt. Sie hatte Trassia bei Luzille gelassen, nachdem es ihnen gelungen war, die junge Elynerin zum Reden zu bringen. Sonea fühlte sich wie eine schlechte Freundin, weil sie sich schließlich verabschiedet hatte, aber sie war noch immer erschöpft von ihrer Reise. Und sie erwartete ein Kind. Sie hatte Luzille jedoch versprochen, am nächsten Tag nach ihr zu sehen.
Als sie Akkarin beim Essen gegenübersaß, konnte sie jedoch nicht aufhören, über ihre Strategie nachzudenken, ihn für die Vertiefung gewisser Aspekte ihrer Beziehung zu gewinnen. Seine Worte bei ihrer Rückkehr am Mittag ließen ihr dabei keine Ruhe.
Du wirst mich noch verfluchen.
Was hatte er damit gemeint? Dass sie ihn verfluchen würde, wenn sie das in die Tat umsetzten? Oder weil er nicht bereit war, sich darauf einzulassen?
Sie hatte gelernt, dass ein ’wir werden sehen’ kein Versprechen war. Bei Akkarin war es sogar oft ein beschönigender Ausdruck für ’Nein’.
Was ihre Strategie betraf, so war Sonea erleichtert, dass sie den Geheimniswahrer noch immer besaß. Jetzt, wo sie wieder in der Gilde waren, wollte sie jedoch nichts lieber, als dieses Artefakt endlich loszuwerden. Sie würde auch danach noch Gelegenheit haben, an ihrer Strategie zu feilen. Akkarin hatte Besseres zu tun, als den ganzen Tag ihre Oberflächengedanken durch den Blutring zu lesen. Sie war sicher, sie würde sich in dieser Sache durchsetzen können. Auch wenn sie ihm dazu solange auf die Nerven gehen musste, bis er wütend wurde und die Sache selbst in die Hand nahm.
Aber wollte sie seine dunkle Seite wirklich auf diese Art entfesseln?
„Du bist heute Abend so nachdenklich.“
Sonea sah von ihrem Kuchen auf. Der Teig war mit den ersten Pachi des Jahres gespickt und hatte eine herrlich knusprige Kruste aus gehackten und karamellisierten Tironüssen. Sie wusste nicht, ob es daran lag, dass sie so lange fort gewesen war oder dass Takan sich an diesem Abend selbst übertroffen hatte – Sonea glaubte, noch nie in ihrem Leben einen so köstlichen Kuchen gegessen zu haben.
Sie sah auf. „Es ist seltsam wieder zuhause zu sein“, sagte sie. „Es ist so … zivilisiert. Und konservativ.“
„Allerdings.“ Akkarin lachte leise in sein Weinglas. „Während man Ersteres vermisst, wird Letzteres einem schmerzlich bewusst, wenn man wieder hierher kommt.“
Es ist keine Anspielung, sagte Sonea sich. Akkarin mochte sich nach außen hin konservativ geben, doch in seinem Herzen war er genau so ein Rebell wie sie.
„Aber man merkt dann auch erst, was sich verändert hat“, sagte sie.
Seine dunklen Augen bohrten sich in ihre. „Wie meinst du das?“
Für einen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken, ihren Nachmittag mit Trassia und Luzille als Argument einzubringen, entschied dann jedoch, dass es besser war, das Thema zu forcieren. „Es gibt Veränderungen, die positiv sind, aber es gibt auch solche, wo man den alten Zustand lieber wiederherstellen möchte.“
„Sofern das möglich ist.“
„Ja.“ Sonea faltete ihre Serviette und legte ihr Besteck darauf ab. „Und deswegen gehen wir jetzt in den Keller.“
Akkarin runzelte die Stirn. „Was willst du dort?“
„Komm einfach mit.“
Wortlos erhob er sich und folgte ihr nach draußen. Auf den Stufen zum Keller war er so dicht hinter ihr, dass sie zum ersten Mal seit langem ein leises Unbehagen verspürte. Das hier hatte das Potential unangenehm zu werden.
Sie stieß die Tür auf und trat zu dem Tisch, der die Mitte des Raumes ausfüllte. Dort angekommen wandte sie sich um.
„Ich will, dass du mir den Geheimniswahrer entfernst.“
Akkarin betrachtete sie kühl, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Nein.“
„Warum nicht?“, verlangte Sonea zu wissen.
„Weil er dich schützt.“
Sonea hatte dieses Argument bereits vorausgeahnt. Ihre Sicherheit hatte für Akkarin eine ähnlich hohe Priorität wie die von Kyralia und der Gilde. „Momentan besteht keine Gefahr, dass einer unserer Feinde meine Gedanken lesen könnte“, sagte sie. „Sollte sich das eines Tages ändern, kannst du ihn mir wieder einsetzen. Doch bis dahin will ich dieses Ding nicht in mir haben. Es verleitet mich dazu, Geheimnisse vor dir zu haben. Und das will ich nicht.“
„Du brauchst den Geheimniswahrer nicht vor mir einzusetzen, das weißt du, nicht wahr?“
„Wenn er da ist, verleitet er mich zu Heimlichtuerei. Ich will das nicht, Akkarin. Ich will, dass du wieder uneingeschränkten Einlass in meine Gedanken hast. Ich vermisse die Vertrautheit. Ich vermisse uns.“ Er öffnete den Mund, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Du kannst nicht behaupten, dass dir das nicht fehlt.“
Akkarin antwortete nicht. Seine Miene hatte sich verfinstert und er starrte an einen Punkt an der Wand. Sonea hoffte, sie würde ihm nicht damit drohen müssen, es selbst zu versuchen. Auch mit dem nötigen Wissen über Heilkunst wollte sie nicht mit einem Messer in ihrem Nacken fuhrwerken.
Schließlich ging er zu der alten Truhe und holte schweigend Dakovas Dolch heraus.
„Also schön“, sagte er. „Du sollst deinen Willen haben. Aber glaube nicht, ich wüsste nicht, was du damit bezwecken willst. Es gibt Dinge, für die brauche ich keine Magie.“
Sonea unterdrückte ein Schnauben. „Dann mach ihn endlich weg.“
Akkarin wies zum Tisch. „Beug dich nach vorne.“
Sonea gehorchte wortlos. Hinter sich konnte sie seine Schritte näherkommen hören. Seine behandschuhte Hand strich ihr langes Haar nach vorne.
„Du kennst das Spiel.“
Statt einer Antwort blockierte sie die Nerven in jener Region. Die Klinge und seine Finger in ihrem Fleisch waren nur dumpf zu spüren. Doch als sie etwas umfassten und hinauszogen, sog sie scharf die Luft ein.
„Entschuldige“, sagte Akkarin. „Scheint, als habe ich ihn damals etwas unglücklich positioniert. Sollte Dannyl seinen Geheimniswahrer ebenfalls entfernt haben wollen, so würde ich ihn vorher darauf hinweisen.“
„Ich glaube vielmehr, dass Dannyl dankbar ist, gewisse intime Dinge dort zu verwahren“, erwiderte Sonea, während sie dem Drang widerstand, sich zu kratzen, als Akkarin die Wunde heilte.
Nachdem er fertig war, wandte sie sich um. Einen tiefen Atemzug nehmend zwang sie sich, in seine Augen zu sehen.
„Und jetzt mach mir ein Blutjuwel, das sich nicht mehr entfernen lässt.“
Akkarin wischte seine blutverschmierte Hand an einem Tuch sauber.
„Nein.“
„Warum nicht?“, verlangte Sonea zu wissen.
„Weil das eine Grenze ist, die ich nicht überschreiten werde.“
„Es wäre nicht so viel anders als mit dem Ring. Nur mit dem Unterschied, dass ihn mir niemand wegnehmen könnte.“
„Du könntest ein solches Blutjuwel nicht mehr ablegen.“
Sonea zuckte die Schultern. „Dann sage ich dir, wenn du nicht zusehen sollst.“
„Nein.“
„Aber Takan …“, begann sie.
„Das mit Takan ist etwas anderes“, entgegnete Akkarin hart. „Sonea, wir hatten dieses Thema bereits.“
„Sollten die Sachakaner mich eines Tages erneut gefangen nehmen, wäre ein solches Blutjuwel sicherer, so wie der Geheimniswahrer. Ich könnte beides gleichzeitig tragen, ohne dass der Geheimniswahrer gegenüber dir wirken kann.“
„Dann würde es auch genügen, dir ein Blutjuwel zu implantieren, sollten die Sachakaner wieder zu einer Bedrohung werden.“
Sonea verdrehte die Augen. Sie fand, ihre Motive unterschieden sich nicht allzu sehr von denen Takans. Sie wollte ihm ganz gehören. Warum sperrte er sich bei ihr so sehr dagegen?
„Hoher Lord“, sagte sie. „Die Sachakaner geben ihren Sklaven ein solches Blutjuwel nicht nur, um die ungehorsamen zu kontrollieren, sondern auch jenen, die eine besondere Position innehaben.“
Akkarin betrachtete sie eine Weile mit ausdrucksloser Miene und Sonea begann sich zu fragen, was wohl in seinem Kopf vorging. Schließlich seufzte er.
„Sonea, ich weiß, worauf du hinaus willst, aber das kann ich dir nicht geben.“
Marika hätte es getan, wollte sie ihm vorwerfen und kam sich zugleich undankbar vor. Marika hatte ihr nie eine Wahl gelassen. Er war gegen ihren Willen mit ihr verfahren und sie respektlos behandelt. Wenn Akkarin sich über ihren Willen hinwegsetzte, dann war es stets zu ihrem Besten, und wenn es das nicht war oder er sich irrational verhielt, dann sorgte Sonea dafür, dass er ihr nachgab. Sie hätte zu gerne geglaubt, dass seine Entscheidung dieses Mal auch zu ihrem Besten war.
„Wenn du so sehr darauf bestehst, ein Blutjuwel von mir dauerhaft zu tragen, dann wirst du deinen Ring von heute an nicht mehr ablegen“, sagte er leise. „In bestimmten Situationen wirst du mich darum bitten dürfen, es zu tun, aber wenn ich deine Bitte ablehne, wirst du darauf vertrauen müssen, dass ich dich nicht beobachte.“
Sonea erschauderte ob der Autorität, mit der er die Worte sprach. Indem er ihr die Möglichkeit ließ, sein Blutjuwel abzulegen, unterwarf er sie nicht seinem Willen, sondern brachte sie dazu, es selbst zu tun. Zugleich ließ er sich damit die Option für Konsequenzen offen, sollte sie den Ring unerlaubt ablegen. Sie musste zugeben, dass dies einen gewissen Reiz hatte. Marika hatte ihre Ergebenheit eingefordert, doch indem sie die Wahl hatte, machte sie ihrem Mann ein viel größeres Geschenk.
Sie wusste, damit hatte sie noch lange nicht, was sie von ihm wollte, doch es fühlte sich wie ein kleiner Sieg an.
Entschlossen sah sie zu ihm auf. „Dann werde ich diesen Ring mit Stolz tragen.“
***
Mivara betrachtete das Bündel auf ihrem Bett. Es enthielt mehrere Kleider, die Tarko ihr hatte schneidern lassen, so wie den Schmuck, den er ihr geschenkt hatte. Faktisch waren diese Sachen sein Eigentum, doch Tarko hatte sie ihr zur alleinigen Verwendung gegeben. Keine andere Sklavin würde diese Sachen jemals tragen, weil Tarko sie nur an ihr hatte sehen wollen.
Und damit gehörten sie in gewisser Weise Mivara.
Die Tür ging auf und vertraute schwere Stiefelschritte näherten sich.
„Du gehst also.“
Es war keine Frage. Es war eine Feststellung.
„Ja“, antwortete Mivara, unfähig den Kopf zu heben und ihn anzusehen. „Es muss sein.“
„Mivara, sieh mich an.“
Zögernd gehorchte sie. Sein Anblick schmerzte sie und machte es ihr schwer zu tun, was nötig war.
„Du musst nicht zu deinen Schwestern zurück, wenn du das nicht willst. Ich weiß, du möchtest lieber bei mir bleiben.“
„Ich kann nicht“, sagte sie leise. „Wir wissen beide, dass ich nicht mehr hierher gehöre.“
Einige Tage zuvor war Anjiaka zu Tarko gekommen. Mivara war mit den anderen Sklavinnen aus Tarkos Cachira im Badehaus gewesen, doch Tarko hatte ihr das Gespräch anschließend gezeigt.
„Die Verräter fordern Mivara zurück“, hatte Anjiaka zornig erklärt.
„Die Verräter können Mivara noch so sehr fordern, ich werde sie Euch nicht geben“, hatte Tarko erwidert.
„Sie ist aufgeflogen, ihr Auftrag ist beendet und sie wird anderweitig gebraucht. Ihr solltet Euch gut überlegen, ob Ihr so kurz, nachdem wir Frieden geschlossen haben, einen erneuten Krieg mit uns wollt.“
„Vielleicht hat Mivara gar kein Interesse daran, zu Euch zurückzukehren“, hatte Tarko gesagt. „Vielleicht gefällt es ihr bei mir besser.“
„Das ist mir auch schon zu Ohren gekommen. Was habt Ihr mit ihr getan?“
„Ich biete Mivara alles, wovon eine Sklavin träumen kann. Es ergeht ihr gut bei mir und sie ist glücklich.“
„Mivara ist keine Sklavin! Sie ist eine Informantin der Verräter!“
„Mit der Neigung sich zu unterwerfen. Ihr könnt sie nicht dafür verurteilen, wenn Ihr dazu beigetragen habt, sie bei mir einzuschleusen.“
Anschließend war Tarko zu Mivara gekommen und hatte ihr gesagt, dass es ihr frei stand zu gehen, wenn das ihr Wunsch war. In einem Anflug von Zuneigung und sexueller Besessenheit hatte Mivara dies jedoch kategorisch abgelehnt. „Würde ich gehen wollen, so hätte ich Euch schon längst darum gebeten“, hatte sie gesagt. „Und vielleicht gibt es sogar einen Weg, wie ich meinem Volk bei Euch nützlich sein kann.“
„Und wie stellst du dir das vor?“
„Ich dachte an unsere zukünftige Zusammenarbeit. Zudem weiß außer Euch und Euren Freunden niemand, dass ich für die Verräter arbeite.“
Offenkundig erleichtert, weil sie beschlossen hatte zu bleiben, hatten sie ein paar Tage voll Leidenschaft und dem süßen Gefühl von Macht und Unterwerfung verbracht. Doch als Mivara am vergangenen Abend in Tarkos Armen gelegen hatte, hatte der Schlaf nicht kommen wollen.
Und sie hatte begriffen, dass es Zeit war, zu gehen.
Sie hatte versucht, einen Weg zu finden, wie sie ihrem Volk in Tarkos Haushalt weiterhin nützlich sein konnte – und war zu keinem brauchbaren Ergebnis gekommen. Mit Tarko zu schlafen und zu seinen Füßen zu knien hatte angefangen, seinen Reiz zu verlieren und Mivara musste einsehen, dass sie sich in den vergangenen Wochen etwas vorgemacht hatte.
Sie hätte gehen sollen, als Tarko sie zur Rede gestellt hatte. Sie hatte nur nicht wahrhaben wollen, dass es vorbei war. Die Wahrheit war heraus, diese äußerst befriedigende Meister-Sklavin-Beziehung konnte nicht mehr funktionieren.
„Ich kann dich nicht mit Gewalt hier behalten, Mivara“, sprach Tarko. „Selbst, wenn deine Schwestern mir dann keinen Ärger bereiten würden, wäre das falsch.“ Er streckte eine Hand aus und berührte ihre Wange. „Aber ich kann den Gedanken, dich zu verlieren, kaum ertragen.“
Mivara schloss die Augen, dem Drang widerstehend, sich in die Wölbung seine Handfläche zu schmiegen. Sie würde das hier sonst nicht können. „Ich fürchte, Ihr müsst mich gehenlassen, Meister.“
„Nein“, sagte er. „Das kann ich nicht.“
Das Brennen in ihren Augen war absurd. Er war nur ein Auftrag gewesen. „Doch. Das musst du. Es ist das Beste.“
Ihr Meister ließ von ihr ab und begann in ihrem Gemach auf und ab zu tigern. „Was muss ich tun, damit du bei mir bleibst, Mivara? Soll ich deine Magie entfesseln und zu meiner Leibwächterin ausbilden? Soll ich dich zu meiner Frau nehmen?“
Mivara schüttelte stumm den Kopf. Das würde alles nur noch seltsamer machen. „Magie kann ich bei meinem Volk lernen. Dort würde ich keinerlei Einschränkungen unterliegen.“
„Also war es das“, sagte er. „Du willst zurück zu deinem Volk.“
Etwas Heißes rann ihre Wangen hinab. Mivara nickte stumm, weil ihre Stimme plötzlich versagte.
Tarko trat auf sie zu und schloss sie in seine Arme. Es fühlte sich seltsam an. Unbeholfen. Mivara wusste jedoch auch nicht, was er stattdessen hätte tun können. In ihren Herzen wussten sie beide, dass er nicht mehr ihr Meister war. Und das schätzte sie an ihm. Ein anderer Ashaki hätte sie behalten und sie gebrochen. Aber so war Tarko nicht. Und sie hatte so eine Ahnung, dass er angefangen hatte, sie zu respektieren.
Einen tiefen Atemzug nehmend löste sie sich von ihm.
„Ich werde zu meinem Volk zurückgehen“, sagte sie eine Hand auf seine Wange legend. „Aber wir werden uns wiedersehen. Und dann werden wir wirklich auf derselben Seite stehen.“
Dann schritt sie an ihm vorbei zur Tür.
***
Als Regin das Heilerquartier betreten hatte, war er sofort in eines der höheren Stockwerke zu Trassias Apartment gestiegen. Auf sein Klopfen hin hatte jedoch niemand geöffnet. Und so war er zurück in die Eingangshalle gegangen und hatte sich nach ihr durchgefragt.
„Lady Trassia assistiert bei einer Operation“, hatte ihm ein junger Heiler mitgeteilt. Für Regins Geschmack hatte der Mann viel zu gut ausgesehen. Was, wenn Trassia sich in ihn verliebt hatte, während er am Nordpass um sein Leben gekämpft hatte? Hatte sie inzwischen schon einen anderen? „Ihr könnt jedoch hier auf sie warten.“
„Dann werde ich das tun“, hatte Regin gesagt und dem Mann widerstrebend gedankt.
Doch auch eine Stunde später war noch weit und breit keine Spur von ihr. Hatte der Heiler ihr überhaupt bescheid gesagt? Hatte er Regin die Wahrheit gesagt? Vielleicht war er ja doch ihr neuer Liebhaber. Der Mann hatte ihm so einen wissenden Blick zugeworfen.
Je länger Regin wartete, desto größer wurde seine Unruhe. Er begann in der Empfangshalle auf und ab zu schreiten. Er hatte gegen Sachakaner gekämpft. Er hatte sich einigen unbequemen Menschen gestellt. Warum fiel das hier ihm so schwer?
Ich werde warten, bis sie hier durchkommt. Und wenn es die ganze Nacht dauert.
Endlich eilten vertraute Schritte aus einem der Korridore, dann betrat Trassia mit wehenden Roben die Empfangshalle. Regin stieß leise die Luft aus, die er angehalten hatte. Sie war allein.
Zuerst sah sie ihn nicht, doch als er ein paar Schritte auf sie zu machte, weiteten sich ihre Augen. Dann verlor sie die Kontrolle über ihre Mimik. „Regin!“, rief sie und eilte auf ihn zu. „Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!“
Sie flog ihn um den Hals. Unter dem medizinischen Geruch von Desinfektionsmitteln und Heilkräutern duftete ihr Haar so gut, wie er es in Erinnerung hatte.
„Ich freue mich auch, dich zu sehen, liebste Trassia“, erwiderte er lachend.
„Als ich hörte, was am Nordpass geschehen ist, war ich ganz außer mir. Ich hatte niemanden außer Indria, um mich zu beruhigen. Erst als Sonea zurückgekehrt ist, wusste ich, dass es dir gutgeht.“
Also hatte Kayan wieder einmal recht behalten. Sich in Gefahr zu begeben, besänftigte auch die wütendste Frau. Aber er war noch nicht sicher, ob er sie wieder für sich gewonnen hatte. „Es geschah, als ich mich heldenhaft für die Gilde geopfert habe“, sagte er. „Aber Lord Vorels Strategie war erfolgreich.“
„Oh Regin, das freut mich! Wenn jemandem das gelingt, dann dir.“
„Ich weiß“, erwiderte Regin augenzwinkernd. Dann wurde er ernst. „Trassia“, sagte er und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. „Ich bin gekommen, weil ich mich bei dir entschuldigen möchte. Ich habe einen großen Fehler gemacht; ich war ein solcher Idiot, dass es dafür keine Worte gibt. Ich habe alles getan, ihn wieder geradezubiegen. Ich war bei Dorrien, Vianas Eltern und Kayan. Nach meiner Rückkehr war ich bei Lord Rothen und Viana. Das war sehr unangenehm, aber ich habe es getan. Sie alle waren nicht sehr erfreut, mich zu sehen. Aber sie haben meine Entschuldigung angenommen. Jetzt fehlt nur noch eine Person: du.“ Er machte eine Pause und sah in ihre dunklen Augen. „Kannst du mir verzeihen, liebste Trassia?“
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ich habe dir bereits verziehen, als ich hörte, dass du am Nordpass dein Leben riskiert hast“, sagte sie. „Und ich begrüße, dass du dich bei allen entschuldigt hast, die unter deiner Intrige gelitten haben.“
Regins Herz machte einen Sprung. Also hatte Kayan auch hier recht behalten. Trassia hatte ihm verziehen, endlich stand nichts mehr zwischen ihnen.
Er löste sich von ihr und trat einen Schritt zurück. Dann nahm er ihre Hände zwischen seine und ging auf die Knie. Einen tiefen Atemzug nehmend sammelte er sich für seine nächsten Worte. Er hatte lange deswegen mit sich gehadert, doch jetzt war er bereit.
„Liebste Trassia, willst du meine Frau werden?“, fragte er und schob den feinen Goldring, den er in seiner Tasche verborgen hatte, auf ihren Finger.
Sie sog laut die Luft ein. „Regin“, hauchte sie. „Hast du eine Ahnung, wie lange schon ich mir das gewünscht habe?“
„Anscheinend so lange, dass du nun völlig aufgelöst bist“, bemerkte er erheitert, während ihm das Herz bis in den Hals schlug.
Sie konnte nur nicken.
„Also was sagst du?“
Sie zog ihre Hand zurück. „Nein.“
Regin erstarrte. „Was nein?“
„Nein, ich will nicht deine Frau werden.“
„Aber …“, begann er. „Ich dachte, das wäre dein größter Wunsch?“
„Das war es auch. Bis du Dorrien und Viana das angetan hast.“
„Aber ich habe mich bei allen entschuldigt. Ich habe mich bei dir entschuldigt. Du hast mir verziehen. Was willst du noch?“
Zu seiner Verwirrung rannen Tränen über Trassias Wangen. „Dass du gehst.“
„Aber warum?“, brach es aus ihm hervor.
„Weil ich dir nicht mehr vertrauen kann. Ich habe gedacht, du wärst ein feiner Kerl, Regin. Aber was du Dorrien und Viana angetan hast, war einfach nur abscheulich. Du bist noch immer so schlimm wie früher.“ Sie schüttelte ihre dunklen Locken. „Nein, schlimmer.“
Ihre Worte versetzen ihm einen Stich. Er hatte alles getan, damit sie ihm verzieh, und sich sogar dazu durchgerungen, ihr ihren größten Wunsch zu erfüllen. Sie hatte bereits einmal mit ihm Schluss gemacht. Sie konnte nicht noch einmal mit ihm Schluss machen. „Ich habe mich gebessert. Bitte, liebste Trassia. Nimm mich zurück.“
„Es tut mir leid, Regin.“ Trassia zog den Ring von ihrem Finger und gab ihn Regin zurück. „Ich bin bereit, mit dir befreundet zu sein. Aber mehr kann ich dir nicht geben.“
Mit diesen Worten wandte sie sich um und schritt zur Treppe. Alles in Regin schrie danach, ihr hinterherzueilen und ihr nachzurufen, wie leid es ihm tat, doch er war wie gelähmt. Die Endgültigkeit ihrer Worte sprach eine deutliche Sprache: Er hatte sie verloren.
Voll Scham starrte er auf den Ring in seiner Hand. Er hatte ein kleines Vermögen dafür ausgegeben. Ein absurder Teil von ihm wollte ihn behalten, falls sie zurückkehrte und ihre Meinung änderte, doch er wusste, das würde sie nicht.
Kayan hatte sich geirrt. Es war vorbei.
Seine Augen begannen zu brennen. Erst als ein grüner Ärmel seine Schulter fasste und jemand fragte: „Lord Regin, geht es Euch gut?“, kam er wieder zur Besinnung.
„Ja“, stammelte er und kam auf die Beine. Ein Stöhnen unterdrückend bemerkte er die Männer und Frauen in grünen Roben, die sich in der Eingangshalle versammelt hatten. Für die nächsten Wochen und Monate würde er das Lieblingsthema im Abendsaal sein. Und wahrscheinlich hatte er auch genau das verdient. „Es geht mir gut, danke.“
Dann beeilte er sich, das Heilerquartier zu verlassen.
***
Seit Farand seinen Abschluss hatte, verbrachte er nur noch wenig Zeit in Rothens Apartment. Viana half über die Sommerferien im Krankenhaus aus und somit gab es auch keine Tests zu korrigieren oder Prüfungsaufgaben vorzubereiten. Die Nachmittagssonne schien warm durch die geöffneten Fenster. Wenn Rothen nicht an die Eskapaden seines Sohnes oder Dannyls Geständnis dachte, dann konnte er sogar so etwas wie Glückseligkeit verspüren.
Es war zu spät, Dorrien zur Vernunft zu erziehen. Und sein bester Freund hatte zwanzig Jahre lang ein so wichtiges Detail über sich zurückbehalten. Rothen begriff, warum Dannyl das getan hatte. Nichtsdestotrotz fühlte er sich betrogen.
Es ist mir egal, was die Waschweiber der Gilde reden oder ob es der Wahrheit entspricht, hatte er zu dem verunsicherten Novizen, der Dannyl damals gewesen war, gesagt. Rothen hatte die Gerüchte angezweifelt, tief in seinem Herzen hatte er jedoch gewusst, dass sie wahr waren.
Insofern war der Besuch der jungen Frau, um die er sich auf seine eigene Weise zu sorgen nicht aufhören konnte und für die er weniger da sein konnte, als ihm lieb war, eine willkommene Abwechslung.
„Ich nehme an, du weißt, wie töricht es war, Dannyl schwanger nach Duna zu begleiten“, sagte er. „Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, wie das hätte enden können.“
Sonea verdrehte die Augen. „Rothen, es genügt, dass Akkarin und Lady Vinara mich deswegen gescholten haben“, sagte sie streng. „Ich musste es tun. Für die Gilde. Und für viele andere Menschen. Anstatt darüber zu schimpfen, solltest du dich lieber freuen, dass du zum zweiten Mal Großvater wirst.“
Rothen hob abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut!“, rief er. „Ich höre schon auf!“
Oh hoffentlich wird das Baby nicht so anstrengend wie Lorlen, dachte er. Aber kann ein Kind von solchen Eltern überhaupt ein umgängliches Kind sein? Dennoch freute er sich für seine Ziehtochter. Sie hatte so viel durchlitten, sie hatte es verdient, glücklich zu sein.
„Das solltest du auch“, sagte sie finster. „Denn ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass man Schwangere nicht reizen sollte.“
„Wahrhaftig!“, rief er. „Das wollte ich hören!“
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht und sie hob ihre Tasse an die Lippen. „Der Raka in Yukai war besser“, bemerkte sie. Sie griff nach einem der kleinen Kuchen auf dem Teller zwischen ihnen und biss hinein. „Allerdings war es der feinste Raka, den Sachaka zu bieten hat, wenn man Takiro Glauben schenkt.“
„Nun, ab demnächst sollte es leichter sein, an sachakanischen Raka zu gelangen, wenn dir so viel daran liegt“, erwiderte Rothen.
Sonea lachte. „Also wenn das keine Verbesserung ist, die Dannyl erwirkt hat!“
Er betrachtete sie versonnen. Sie hatte sich verändert. Die düstere Aura war noch immer da, aber sie wirkte zugleich stärker, selbstbewusster. Trotz aller Schwierigkeiten schien Duna ihr gutgetan zu haben.
„Du sieht glücklich aus“, sagte er.
„Das liegt nur an der Schwangerschaft. In ein paar Monaten werde ich aussehen, als wenn ich kurz davor wäre, zu platzen.“
„Ich will nicht hoffen, dass du platzt. Wer soll mich sonst beim Entnehmen der Proben begleiten?“
Asara hatte der Gilde zugesagt, ihre Leute in die Ödländer zu schicken und herauszufinden, wo die Zerstörung einst stattgefunden hatte. Bald würde Rothen gemeinsam mit Farand für einige Wochen nach Sachaka reisen und dort und aus einigen anderen Stellen in den Ödländern Bodenproben nehmen. Obwohl die Verräter Geleitschutz zugesagt hatten, war Rothen wohler dabei, wenn jemand aus der Gilde ihn begleitete. Lord Sarrin hatte sich sofort bereit erklärt und auch Sonea hatte Interesse bekundet, weil sie sich davon neue Erkenntnisse für ihre eigene Forschung erhoffte.
„Rothen, ich werde nicht mitkommen“, sagte sie. „So gerne ich würde – nachdem ich die ersten Monate meiner Schwangerschaft solchen Strapazen ausgesetzt war, hat Lady Vinara mir so ziemlich alles verboten, was Spaß macht. Außerdem habe ich meine Familie lange genug vernachlässigt.“
„Was auch vernünftig ist“, sagte Rothen seine Enttäuschung beiseiteschiebend. Mit Sonea hätte er sich bei dieser Expedition wohler gefühlt. Es wäre ein Abenteuer, das sie gemeinsam bestritten hätten. Doch er würde auch bei den Verrätern sicher sein. „Außerdem ist Lord Larkin dann nicht mit dem Vorbereitungskurs alleine“, fügte er augenzwinkernd hinzu.
Sonea schenkte ihm ein schiefes Lächeln. „Nur, dass wir ihn schon wieder nicht gemeinsam halten können.“
„Nein. Aber dafür den Kurs für die nächsten Sommernovizen.“ Rothen runzelte die Stirn. Der Sommer hatte einige Wendungen mit sich gebracht, die in seine Pläne auf die eine oder andere Weise interveniert hatten. „Für Viana wäre ein erneuter Lehrerwechsel in Kriegskunst nicht förderlich.“ Er hielt inne. „Oder hat Lady Vinara dir auch verboten zu unterrichten?“
„Ich darf unterrichten. Ich darf nur nicht selbst kämpfen.“ Sonea verzog das Gesicht. „Dafür wird ein Novize, der in etwa auf Vianas Niveau ist, aushelfen.“
Rothen betrachtete sie nachdenklich. Sie nahm diese Aufgabe wirklich ernst. „Ich will, dass du dich um Viana kümmerst, wenn ich in Sachaka bin“, sagte er.
Ihre Augen weiteten sich. „Rothen, ich darf keinen Novizen haben, der nicht ein potentieller Nachfolger sein könnte.“
„Sie soll ja auch nicht deine Novizin werden. Du vertrittst mich nur, so wie ich einst Dorrien vertreten habe. Es ist nur für ein paar Wochen.“
Den Aufzeichnungen zufolge, die der Vernichtung der Gilde entgangen waren, als sie schwarze Magie verboten hatten, war das Gebiet, das sich jenseits der Ettkriti-Ebene über mehrere Tagesreisen nach Osten, Norden und Süden erstreckte, am stärksten in Mitleidenschaft gezogen worden. Ein Magier, der über den Krieg gegen die Sachakaner dem Wahnsinn verfallen war, hatte einen Speicherstein zerstört und sich dabei selbst getötet. Zumindest war es das, was die Aufzeichnungen vermuteten. Die frühe Gilde hatte jenes Gebiet damals nur mit rudimentärem Wissen untersucht und Vermutungen angestellt, während die Sachakaner es für einen Vergeltungsakt gehalten hatten. Nachdem die kyralischen Magier seinerseits in Sachaka geplündert und gemordet hatten, konnte Rothen ihnen diese Unterstellung nicht einmal verübeln.
„Und was ist mit Alchemie?“
„Das wird Lord Larkin übernehmen.“
Sonea schüttelte den Kopf. „Das wird Dorrien nicht gefallen“, sagte sie.
„Das mag sein.“ Rothen grinste unvermittelt. „Aber er hat nun kein Mitspracherecht mehr.“
Ihre dunklen Augen musterten ihn nachdenklich. „Also ist es entschieden. Du gehst nach Sachaka.“
Rothen nickte „Wird Zeit, dass ich auf meine alten Tage auch ein Abenteuer erlebe, nicht wahr?“
„Nicht, dass du dann nicht mehr zurückkommst, weil du die Welt da draußen spannender findest als das Unterrichten von Novizen!“, rief Sonea.
„Niemals! Doch ein kurzer Blick kann nicht schaden.“
„Das haben schon andere gesagt“, sagte sie mit einem wissenden Blick. Sie langte nach einem neuen Kuchen und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. „Dieses Ödländer-Projekt ist wichtig. Nicht nur für Sachaka. Speichersteine zählen zu den niederen Formen schwarzmagischen Wissens, auch wenn das meiste alchemistischer Natur ist. Die Magie, die in ihnen steckt, hat ein unglaubliches Zerstörungspotential. Wir können nicht verhindern, was dieses anrichtet, wir können uns nur um ihre Folgen kümmern. Und“, sie biss von ihrem Kuchen ab, „alles hat eine gute und eine schlechte Seite. Man tut gut daran, beide zu kennen, bevor man sich ein Urteil anmaßt.“
Rothen betrachtete sie anerkennend. „Du und Dannyl hattet anscheinend einen guten Einfluss aufeinander“, bemerkte er.
„Das kann man so sagen“, erwiderte sie mit einem versonnenen Lächeln. „Manchmal tut es gut, völlig neue Ansichten zu hören. Sie helfen einem, die eigenen zu überdenken. Doch Dannyl war nicht der Einzige, der mich dazu gebracht hat, die eine oder andere Ansicht zu überdenken. Ich habe mich mit einigen Sachakanerinnen und einigen Duna angefreundet.“
„Die Verräter nehme ich an?“
Sonea nickte kauend. „Und die Sklavin eines Ashaki.“ Ihre Miene verdüsterte sich. „Alle bis auf Asara sind entweder in Yukai oder danach gestorben.“
„Das ist bedauerlich“, erwiderte Rothen. „Wie kommt es, dass du dich mit einer Sklavin angefreundet hast?“
„Ich habe Asara geholfen, über sie an Ishaka heranzukommen. Wegen der angeblichen Verschwörung gegen Kachiro. Ich … es war sehr interessant. Ich dachte immer, sie würde ihrem Meister nur dienen, weil sie keine andere Wahl hat. Tatsächlich wollte sie es.“
Rothen runzelte die Stirn. „Warum sollte sie das wollen?“
„Weil sie ihn liebt.“ Er konnte sehen, wie Sonea erschauderte. „Weil er ihre Erfüllung ist. Nicht jeder Sachakaner behandelt seine Sklaven schlecht, Rothen. Aber es gibt genug, die es tun. Doch das wird sich nun ändern.“
„Es wäre besser, die Sklaverei ganz abzuschaffen“, sagte Rothen hart. „Aber ich verstehe auch, warum das schwierig ist.“
„Mit den Gesetzen, die Dannyl durchgesetzt hat, wird es den Sklaven viel besser ergehen, Rothen. Mehr können wir im Augenblick nicht tun.“
Akkarin hatte in etwa dasselbe gesagt. Und auch Dannyl schien das so zu sehen. Wenn Sonea und ihr unheimlicher Mann so dachten, würde das seine Gründe haben. Und Rothen erkannte, dass er viel zu wenig über die Welt jenseits der Gilde wusste.
„Was hältst du von den Duna?“, fragte er.
Soneas Miene hellte sich auf. „Sie sind ein faszinierendes Volk. Wild und mit ungewöhnlichen Sitten und Beziehungsmodellen, aber dann auch wieder fortschrittlich und sie besitzen ein ausgeprägtes Verständnis, was falsch und was richtig ist. Und sie sind überaus ehrenhaft.“
„Inwiefern sind ihre Sitten und Beziehungen ungewöhnlich?“
„Ein Krieger ist oft mit mehreren Frauen verheiratet. Der Anführer teilt seine Frauen manchmal mit seinen engsten Kriegern. Aber was bei den Sachakanern Zwang bedeutet, ist bei den Duna eine Lebenseinstellung. Die Frauen, die Magie beherrschen, sind selbst Kriegerinnen. Sie betrachten es als Ehre, von angesehenen Kriegern begehrt zu werden. Dahinter steckt jedoch ein Nutzen für ihr Volk: Sie pflanzen sich mit jenen fort, die die besten Voraussetzungen für starke Nachkommen haben.“
„Das klingt ein wenig wie bei den Tieren“, bemerkte Rothen.
„In gewisser Weise, ja. Das Wohl des Stammes und ihrer Familie steht im Vordergrund. Bei einem Kampf zweier Stämme wird der Überlegene deswegen als Sieger akzeptiert. Und das ganz ohne dass sie deswegen lange Groll gegeneinander hegen.“
„Und doch führen sie Krieg gegeneinander?“
„Bei diesen Kriegen geht es um Territorien. Weder die Wüste von Duna noch die Aschenwüste bietet viel zum Leben. Das macht es nicht immer leicht, einen ganzen Stamm zu ernähren.“
„Seltsam, dass sie sich nicht woanders ansiedeln.“
Sonea hob die Schultern. „Sie wollen nicht sesshaft werden. In Sachaka fühlen sie sich außer in den Ödländern unwohl. Es ist nicht ihre Welt.“
„Was dies betrifft, so bin ich gespannt, wie ihre Novizen sich hier einleben werden. Es werden Kinder sein, nicht wahr?“
„Halbwüchsige, die etwa in dem Alter unserer Novizen sind. Sie werden Heilkunst erlernen, bevor sie die Rituale des Erwachsenwerdens bei ihrem Stamm absolvieren.“
„Wobei sie zu schwarzen Magiern werden.“
„Ja.“ Sonea leerte ihren Raka und erhob sich. „Es wird Zeit“, sagte sie. „Lorlen erwacht bald von seinem Mittagsschlaf und ich wollte ein wenig mit ihm im Garten hinter der Residenz spielen.“
„Dann wird er heute Nacht gewiss durchschlafen.“
Seine ehemalige Novizin lächelte auf diese seltsam verstohlene Weise. „Das hoffe ich.“
Sie umarmte Rothen und schritt zur Tür.
„Sonea?“
Sie wandte sich um. „Ja, Rothen?“
„Deine Reise nach Duna scheint dir über deine Erlebnisse in Sachaka hinweggeholfen zu haben.“
Sie bedachte ihn mit dem seltsamsten Blick. „Ich werde niemals über Sachaka hinwegkommen, Rothen. Sachaka verändert einen auf immer. Ich habe nur einen Weg gefunden, damit zu leben.“
Er runzelte die Stirn. „Was ist es dann?“
„Ich habe zu mir selbst gefunden.“
„Das freut mich zu hören“, erwiderte Rothen ehrlich, obwohl er nicht wusste, wie er das verstehen sollte.
Und allmählich begann er sich ernsthaft zu fragen, ob er überhaupt noch irgendeinen Menschen verstand.
Als sie fort war, lehnte er sich nachdenklich zurück, die Sumitasse in seinen Händen. Der Umgang mit Dannyl schien ihr gutgetan zu haben. Ob sie die Wahrheit kannte? Sie hatte einige Dinge gesagt, die Rothen zum Nachdenken über seinen Freund gebracht hatten. Dannyl war nicht nur ein herausragender Diplomat, er war auch ein guter Freund. Rothen wünschte, er könnte den Rest vergessen, um sich wieder an das zu erinnern, was er an Dannyl schätzte. Waren seine sexuellen Vorlieben und Neigungen nicht unerheblich für die Frage, was für ein Mensch er war, solange er damit niemandem schadete? Rothen wollte das glauben. Zwanzig Jahre lang hatte er Dannyl in dem Glauben gekannt, kein Interesse an Männern zu haben. Oder besser gesagt: sich das eingeredet.
Was hatte diese Eröffnung verändert? Hätte Dannyl ihm an jenem Abend gesagt, dass er Sumi verabscheute und er ihn nur aus Höflichkeit trank, hätte das Rothen zwar überrascht, aber er wäre auch nicht schockiert gewesen.
Und war das nicht eigentlich dasselbe?
***
Die Versammlung auf der Waldlichtung war eine höchst traurige. In regelmäßigen Abständen reihten sich kleine Steinplatten aneinander, vor einigen lagen Blumen. Dort, wo das Gras noch unberührt war, hatten Magier fünfzehn Gruben ausgehoben. Vor diesen standen nun fünfzehn Särge aus Holz.
Es ist leichter, wenn man keine persönliche Bindung zu einem von ihnen hatte.
Zumindest war es das, was Dannyl glauben wollte. Wenn er in sich ging, dann kam ihm das wie eine Lüge vor. Von den Opfern der Schlacht am Nordpass hatte er nur Balkan näher gekannt. Er hatte Balkan sein ganzes Leben gekannt, jedoch nie viel mit ihm zu tun gehabt. Hin und wieder beruflich, nachdem Dannyl nach Elyne gegangen war. Und er hatte Balkan und seine elynische Frau bei dem einen oder anderen Abendessen bei Akkarin und Sonea privat erlebt.
Doch am Ende hatte Dannyl eine ebenso wenig persönliche Bindung zu ihm gehabt, wie zu Lorlen seinerzeit.
Er warf einen Blick zu Tayend. Passend zum Anlass trug der Gelehrte ein schlichtes, kyralisches Gewand in dunklen Farben mit einem dazu passenden Hut. Sein leuchtend rotes Haar war das einzig lebendige an seiner Gestalt. Dannyl rechnete seinem Gefährten hoch an, dass er ihn zu dieser Veranstaltung begleitete, war er selbst doch nur gekommen, weil es als höherer Magier seine Pflicht war.
Den einzigen Tod, den Dannyl wirklich betrauerte, war der Nirilis – der Verräterin, die ihn und Sonea fast den gesamten Weg nach Yukai und zurück begleitet hatte.
Jedoch nicht so, wie die Wahrheit über Savedra zu erfahren.
Vielleicht sollte ich die Gelegenheit nutzen, um mich von der Savedra zu verabschieden, die ich kennen und schätzen gelernt habe.
Und vielleicht tue ich besser daran, mich von dem einzigen Freund zu verabschieden, den ich hier je hatte.
Seit dem Abend seiner Rückkehr hatte er nicht mehr mit Rothen gesprochen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Rothen über diese Offenbarung in Begeisterung ausbrechen würde. Doch eine Predigt wäre ihm lieber gewesen, als … das. Dannyl wusste nicht, was er daraus machen sollte und er wagte auch nicht, Rothen zu fragen. Er begriff nicht einmal, was er sich dabei gedacht hatte. Er hatte seinen alten Freund nur besucht, um zu plaudern. Doch kaum, dass er durch die Tür gekommen war, hatte er gewusst, dass die Zeit reif war.
Vielleicht liegt es daran, dass ich erkannt habe, dass jedes Geheimnis eines Tages herauskommt, überlegte er. Oder es hat damit zu tun, wie sich mein Verhältnis zu Sonea verändert hat.
Es war nicht richtig, dass alle Menschen, die einem nahestanden, die Wahrheit kannten. Alle, bis auf den Freund, dem man bedeutsame Dinge zuerst erzählte.
Aber genau aus diesem Grund verschwieg man dieser Person gewisse Dinge am ehesten. Nichtsdestotrotz war das Gespräch überfällig gewesen. Yukai hatte etwas in ihm verändert, was irgendwie dazu geführt hatte, dass er nicht länger mit diesem Geheimnis gegenüber Rothen hatte leben können.
Nachdem Administrator Osen blass und verstört seine Rede gehalten hatte, trat eine Gruppe aus Heilern, Alchemisten und Kriegern vor und hob die Särge in die dafür vorgesehenen Gräber. Mit einem elendigen Gesichtsausdruck kehrte der Administrator zu den anderen höheren Magiern zurück und stellte sich neben den Hohen Lord und seine Frau.
Von allen Magiern war Osen vermutlich derjenige, der Balkans Tod am meisten betrauerte. Nun, da war noch Regin. Dannyl konnte sich jedoch nicht vorstellen, dass dieser zu derart tiefen Gefühlen fähig war.
„Das ist so bedrückend“, flüsterte Tayend.
„Ja“, murmelte Dannyl einer geistreichen Antwort verlegen. „Das ist es.“
Er war nahezu erleichtert, als sie sich in Bewegung setzten, um sich von den Toten zu verabschieden, allen voran der König, gefolgt Akkarin und Sonea. Dannyl und Tayend reihten sich mit Rothen und den anderen höheren Magiern hinter den beiden schwarzen Magiern ein. Als sie auf die Gräber zuschritten, erhaschte Dannyl einen Blick auf die junge Witwe, die Balkan zurückgelassen hatte. Ihre einst rosigen Wangen waren blass und eingefallen und ihre Augen lagen in dunklen Höhlen. Hätte Dannyl sie nicht gekannt, so hätte er nicht glauben können, dass sie früher so viel Lebensfreude versprüht hatte. Sie war in Begleitung einer anderen jungen Frau in der Uniform der Diener.
Als sie Balkans Grab erreichten, löste Sonea sich von der Seite ihres Mannes und trat zu Luzille. Dannyl beobachtete, wie sie einen Arm um die Schultern der Elynerin legte. Luzille gab ihr ein Stück aus bestickter Seide, auf dem Dannyl etwas großes Braunes eingestickt zu sehen glaubte, und Sonea ließ es ins Grab schweben. Dann warf Luzille sich an ihre Brust und weinte hemmungslos.
Nur unter gutem Zureden gelang es Sonea, die junge Witwe von den Gräbern fortzuführen, damit die übrigen Magier und die Angehörigen aus den Häusern ihre Runde machen konnten.
„Ich hoffe, das ist die letzte Veranstaltung dieser Art“, murmelte eine vertraute Stimme neben ihm. Rothen.
Überrascht wandte Dannyl den Kopf.
„Seit der Invasion der Ichani habe ich das Gefühl, dass es kein Ende nimmt.“
„Die Chancen, dass es so bald nicht mehr dazu kommt, stehen gut“, erwiderte Dannyl zuversichtlich.
Rothens Lächeln wirkte ein wenig gequält.
„Wir werden sehen.“ Mit undurchdringlicher Miene starrte Akkarin zu den übrigen Gräbern und Dannyl fragte sich, was in seinem Kopf vorging. Dachte er an seinen Freund Lorlen? Fühlte er sich für all das hier verantwortlich? Schließlich war es nur soweit gekommen, weil eine Handvoll Sachakaner durch ihn erfahren hatte, dass schwarze Magie in der Gilde verboten war.
Aber irgendwann hätten sie es auf anderem Wege herausgefunden, dachte Dannyl, während sie zu Sonea und Balkans Witwe schritten. Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen. Wahrheiten hatten die unangenehme Angewohnheit, irgendwann ans Licht zu kommen. Und vielleicht sollten wir dankbar sein, dass Akkarin seinen Eid gebrochen hat, um die Freiheit zu erlangen. Denn andernfalls hätten wir längst aufgehört zu existieren.
Oder wären ein Volk von Sklaven geworden.
Ein Schauer lief über seinen Rücken und er schüttelte sich.
Aus den Magiern, die ihnen folgten, lösten sich zwei grüngewandete Gestalten. Soneas Freundin Trassia und die junge Heilerin, die ihre Mentorin gewesen war. Die beiden Frauen umarmten Luzille, die in ihren Armen weiter schluchzte. Wenig später folgte Farand noch immer in Novizenroben, da die Abschlusszeremonie der Fünfjahresnovizen auf die nächste Woche verlegt worden war.
Der junge Elyner warf einen unsicheren Blick zu den Frauen, die offenkundig die Welt um sich herum vergessen hatten, und trat dann zu Dannyl, Rothen und dem Hohen Lord.
„Ich würde ihr gerne mein Beileid bekunden, doch ich fürchte, dann wird sie hysterisch“, sagte er leise zu Dannyl.
„Das könnte passieren“, sagte Dannyl ebenso leise. „Du kannst elynisches Temperament besser einschätzen.“
„Ich würde warten, bis sie etwas getrunken hat“, sagte Tayend.
Farand nickte unsicher. „Sie tut mir so leid. Sie ist viel zu jung, um Witwe zu sein.“
„Sie ist nicht zu alt, um sich wieder zu verlieben“, sagte Dannyl.
Der junge Elyner wandte seinen Blick zu dem das Geschehen vor den Gräbern. „Es ist eine seltsame Ironie, dass die Gilde über Jahrhunderte keine Magier zu begraben hatte. Seit ich hier bin, geschieht es jedoch mehrfach pro Jahr.“
„Das liegt nicht an dir“, sagte Dannyl. „Und wenn du an Zeichen glaubst, sieh deinen Abschluss als das Ende dieser Phase an.“
Ein schiefes Lächeln huschte über das Gesicht des blassen Elyners.
Weitere Magier strömten von den Gräbern zu ihnen und machten Platz für die Magier, die die Särge mit Erde bedecken würden – unter ihnen ein Krieger, der Dannyls Missfallen erregte.
Das Missfallen schlug in Verärgerung um, als der Krieger auf die kleine Gruppe zuhinkte.
„Hoher Lord“, grüßte Regin. „Auslandsadministrator und Lord Rothen.“
„Ich sehe, Euer Bein ist besser“, bemerkte Akkarin.
„Es ist noch ein wenig steif, aber die Bewegung hilft“, antwortete Regin. Sein Blick fiel auf Tayend, dann wandte er sich zu den Frauen, die sich um Luzille geschart hatten.
Das könnte interessant werden, dachte Dannyl, als Regin zu den Frauen hinkte.
„Luzille von Forlani“, sprach Regin. „Im Namen aller Krieger möchte ich Euch mein Beileid zum Tod Eures Mannes aussprechen. Er war ein außergewöhnlicher Krieger und sollte die Gilde mich zu seinem Nachfolger erklären, so werde ich sein Amt so weiterführen, wie er es gewollt hätte.“
Sonea, Trassia und Lady Indria ließen von Luzille ab. Ihre Blicke waren so vernichtend, dass sie das Potential hatten, Regin auf der Stelle zu Asche zu verbrennen. Luzille unternahm einen Versuch, auf ihn loszustürmen und ihm eine Ohrfeige zu geben, doch Sonea hielt sie zurück.
„Regin“, sagte sie eisig. „Verschwinde einfach.“
„Dann warte ich, bis die Ladies sich wieder beruhigt haben.“ Er deutete eine Verneigung an und verschwand zu einigen Kriegern.
„Sollte er tatsächlich Oberhaupt der Krieger werden, stehen der Gilde düstere Zeiten bevor“, murmelte Rothen an Dannyls Seite.
„Ah, aus sicherer Quelle weiß ich, dass eine gewisse schwarze Magierin dafür sorgen wird, dass er sich benimmt“, sagte Dannyl. War Rothen darüber hinweg oder versuchte er verzweifelt, so zu tun, als wäre noch alles beim Alten? Dannyl hätte es zu gerne gewusst und wollte es irgendwie doch nicht.
„Nun, dann stehen den höheren Magiern interessante Diskussionen bevor“, erwiderte Rothen.
„Zu schade, dass ich nur noch so selten nach Imardin komme. Ich werde so viel verpassen!“
„Mit Regin als höherem Magier tust du vielleicht besser daran, es nicht darauf anzulegen. Zumindest, bis er seine Niederträchtigkeiten abgelegt hat.“
„Ich glaube, bis dahin werden wir beide nicht mehr leben.“
Die Gilde hat zu viele Verluste eingesteckt, wenn es schon so weit ist, dass jemand wie Regin ein solch wichtiges Amt zugetragen bekommt, dachte Dannyl. Doch vielleicht war es tatsächlich so, wie Akkarin behauptete, dass man mit seinen Aufgaben wuchs.
Wenn Dannyl an sich selbst dachte, kam er zumindest nicht umhin, das zu glauben.
***
Nachdem sie an diesem Abend ein letztes Mal nach Lorlen gesehen hatte, überquerte Sonea den Flur zur Bibliothek der Residenz. Mit jedem Schritt schlug ihr Herz schneller und ihre Knie wurden weicher.
Sei nicht albern, schalt sie sich. Du hast es mit Ishaka und Divako über mehr als drei Wochen an einem Ort ausgehalten. Und du hast Marika ein ganzes halbes Jahr ertragen.
Aber das hier waren keine Sachakaner, die sie versklaven wollten. Das hier war Akkarin.
Einen tiefen Atemzug nehmend blieb sie vor der Tür stehen. Mehr als abgewiesen zu werden, kann dir nicht passieren, rief sie sich ins Gedächtnis. Und dann würde alles bleiben, wie es war. Dennoch wäre sie in diesem Augenblick vor Furcht fast gestorben. Allein der Gedanke, dieses Gespräch zu führen, versetzte sie in eine Panik, die sie ärgerte.
„Komm herein, Sonea“, erklang Akkarins Stimme von drinnen und die Tür schwang auf. In einer fahrigen Bewegung strich sie Haar und Robe glatt. Dann trat sie einen weiteren Atemzug nehmend ein.
Akkarin saß an seinem Schreibtisch und las in einer Mappe. Dannyls abschließender Bericht über die Konferenz, nahm Sonea an. Oder die absurden Projektideen eines Magiers, der sich in seiner Verzweiflung an das Oberhaupt der Gilde gewandt hatte, nachdem die höheren Magier die Förderung abgelehnt hatten. Oder es hatte etwas mit seinen Verbindungen zum König und den Häusern zu tun.
Als sie vor dem Schreibtisch haltmachte, sah er stirnrunzelnd auf. „Ich nehme an, du bist nicht hier, um mir zu sagen, dass Lorlen schläft?“
Sonea schüttelte stumm den Kopf. Mit einem Mal war sie wieder die furchtsame Novizin.
Akkarin schloss die Mappe und wies auf die Sesselgruppe. „Setz dich.“
Sonea gehorchte.
Das leise Rascheln von Roben erfüllte die Stille, als Akkarin aufstand und nahezu lautlos hinter seinem Schreibtisch hervor glitt und sich ihr gegenübersetzte, die Beine gekreuzt, seine Finger ein Dreieck bildend.
„Worüber möchtest du mit mir sprechen?“
Sonea schluckte, unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen. Sie hatte sich genau überlegt, was sie ihm sagen wollte. Doch unter seiner ehrfurchtgebietenden Ausstrahlung schrumpfte ihre Entschlossenheit.
Er kann nicht mehr tun, als Nein zu sagen, rief sie sich ins Gedächtnis. Und wenn er sich darauf einlässt, wird er von dir erwarten, dass du nicht zu einem willenlosen und unselbstständigen Spielzeug wirst. Zumindest glaubte sie, dass es das war, das er wollte.
Sie hatte sich dagegen entschieden, vor ihm auf die Knie zu gehen oder sich zu Boden zu werfen, auch wenn das die Wirkung ihrer Worte möglicherweise verstärkte. Sie konnte auf das Gefühl betrogen worden zu sein, wenn er sie zurückwies, verzichten. Sie hatte mehr Würde als das.
„Als ich gesagt habe, dass ich über Marika hinweg bin, habe ich nicht gelogen“, begann sie. „Aber ich habe dir etwas verschwiegen.“
Der Hohe Lord hob kaum merklich die Augenbrauen, blieb jedoch still.
Verunsichert senkte Sonea den Blick auf ihre Hände. Akkarin räusperte sich leise und sie hob zögernd den Kopf. „Ich habe mich Marika hingegeben, weil ich das Bedürfnis hatte, geliebt zu werden. Er hat meine dunkle Seite befriedigt, die du zum Leben erweckt hattest. Ich dachte immer, ich würde ihn begehren, aber das stimmt nicht. Ich habe ihn gehasst. Es ist richtig, ich habe ihn glorifiziert und es war erfüllend, mit ihm zu schlafen. Aber das alles hatte, wie ich jetzt weiß, nur einen einzigen Grund.“
Sie nahm einen tiefen Atemzug und zwang sich, in seine Augen zu sehen.
„Weil ich glaubte, dass der Mann, bei dem ich meine Erfüllung gefunden hatte, nicht mehr verfügbar ist.“
Nur eine winzige Regung in seinem Gesicht zeigte ihr, dass ihre Worte angekommen waren. Sonea betrachtete ihn voll Furcht. Würde er versuchen, ihr diese Idee wieder auszureden oder würde er sich endlich darauf einlassen, jetzt wo sie für sich herausgefunden hatte, dass Marika nicht mehr zwischen ihnen stand?
Schließlich erhob Akkarin sich ohne eine Vorwarnung. Sonea zuckte zusammen und fand sich zugleich albern, weil sie so gespannt auf eine Reaktion von ihm wartete.
Wortlos ging Akkarin zu der Anrichte. Er befüllte ein Glas mit Wasser und eines mit Wein und kehrte dann zu ihr zurück. Als Sonea das Glas entgegennahm, fühlte sie sich auf eine unerfreuliche Weise ihm untergeordnet, bis ihr wieder einfiel, dass sie schwanger war.
„Ich weiß, dass du kein willenloses Spielzeug willst“, fuhr sie tapfer fort. „Nach Marika war ich auf dem besten Weg genau das zu werden, aber dann wurde mir klar, dass ich die Antwort auf deine Frage damals in der Nacht, in der meine Träume zurückkehrten, die ganze Zeit über wusste.“
Akkarin hob eine Augenbraue. „Also, Sonea“, sagte er. „Warum willst du, dass ich das mit dir tue?“
Sonea schloss die Augen und sammelte sich. Dann blickte sie ihn direkt an.
„Weil du meine Erfüllung bist, Akkarin. Du warst es die ganze Zeit, aber was das bedeutet, habe ich erst in den vergangenen Monaten wirklich begriffen.“
Eine steile Falte bildete sich zwischen Akkarins Augenbrauen und er wirkte finsterer denn je.
„Was ist?“, fragte Sonea. „Akkarin, sprich mit mir.“
„Ich denke darüber nach, welche Veränderungen dies mit sich bringt.“ Er sah auf und seine dunklen Augen bohrten sich in ihre. „Und welche Konsequenzen.“
Obwohl Sonea den Drang verspürte, ob seiner Vorsicht die Augen zu verdrehen, nickte sie. „Was du auch tust, du kannst mich nicht verletzen oder enttäuschen. Denn dafür müsstest du aufhören, mich zu lieben.“
„Sonea, ich weiß nicht, ob ich meine dunkle Seite noch kontrollieren kann, wenn ich ihr so weit nachgebe, wie du es dir wünschst.“
„Aber du willst es doch auch“, entgegnete sie verständnislos. „Wir beiden wollen das.“
„Ich könnte dir weh tun. Auf eine Weise, die wir beide nicht wollen.“
„Das kann auch in der Arena passieren.“
„Und wenn es dein Vertrauen in mich zerstört?“
„Akkarin, das ist Unsinn! Dafür bist du viel zu gut.“
„Nein“, sagte er leise. „Das bin ich nicht.“
Sonea starrte ihn an, nicht begreifend, wie er mit einem Mal darauf kam. „Wegen deiner Vorlieben? Ich dachte, du hättest damit deinen Frieden gemacht.“
„Nicht auf dem Niveau, das du dir wünschst.“ Akkarin drehte das noch unberührte Weinglas zwischen seinen langen Fingern. „Und nach dem es mir verlangt“, fügte er so leise hinzu, dass Sonea glaubte, sich verhört zu haben. Sein Blick glitt zu einem Punkt in dem Bücherregal hinter Sonea. „Ich habe dir lange nicht alles erzählt, was damals in Sachaka geschehen ist. Darunter sind Dinge, über die ich nicht sprechen kann.“
Hatte sie dafür zu sich selbst gefunden? Dass er nicht geneigt war, Selbiges für sich zu tun? Allerdings hatte Sonea Hilfe gehabt. Akkarin war nicht gewillt, sich helfen zu lassen. Aber er tat weder ihr noch sich selbst einen Gefallen, wenn er seine Erlebnisse nicht aufarbeitete.
„Aber das solltest du“, beharrte sie. „Wenn man sich seiner Vergangenheit nicht stellt, dann zerstört das einen irgendwann.“
„Ich habe mich meiner Vergangenheit gestellt, als die Gilde uns beide nach Sachaka verbannt hatte. Und als ich mich Kariko gestellt habe.“
„Aber das betraf nicht deine dunkle Seite.“
Er ließ das Glas sinken. „Nein.“
„Wenn du nicht mit mir darüber reden kannst, dann sprich mit Takan.“
Er schüttelte den Kopf.
„Warum nicht?“, verlangte sie zu wissen.
„Weil ich seine Antwort kenne.“
„Und was wäre seine Antwort?“
„Sonea, er ist Sachakaner. Was glaubst du, was seine Antwort wäre?“ Akkarin seufzte und stellte das Glas beiseite. „Er kennt mich besser, als mir lieb ist. Doch in dieser Hinsicht war mir das schon immer besonders unangenehm.“ Seine dunklen Augen begegneten ihren und Sonea erschrak vor dem raubtierhaften Blick darin. „Du bist die Einzige, die das etwas angeht und die es wissen sollte.“
„Dann erzähl es mir.“
„Du könntest mich mit anderen Augen betrachten.“
„Sei nicht albern, Akkarin“, schalt sie ihn. „Ich liebe dich. Mitsamt deinen Abgründen. Bedingungslos.“
Akkarin betrachtete sie eine lange Weile. Dann griff er nach seinem Glas und trank einen langen Schluck. „Es war für mich eine Qual, nicht mit Isara zusammen sein zu dürfen“, begann er schließlich. „Ich sah sie jeden Tag und ich verzehrte mich nach ihr wie ein liebestoller Gorin.“
„Ein Gorin?“, entfuhr es Sonea.
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Glaub mir, Sonea. Das willst du nicht wissen.“
„Wenn du das so sagst, dann will ich das.“
„Später. Wenn die Geschichte zu Ende ist.“
Sonea nahm sich vor, ihn beim Wort zu nehmen.
„Nach einer Weile begann ich von ihr zu träumen. Anfangs waren es nur unschuldige Träume, mit dem Fortschreiten der Zeit erhielten sie jedoch eine erotische Komponente. Dakova wusste aus meinen Gedanken davon und machte sich darüber lustig. Doch als ich das erste Mal davon träumte, mit ihr zu schlafen, rastete er aus.“
Sonea hielt den Atem an. Es war das erste Mal, dass Akkarin mehr als nur Andeutungen von seiner Beziehung zu Isara preisgab.
„Abgesehen von körperlichen Bestrafungen ließ er mich von da an immer öfter dabei zusehen, wie er sich mit Isara vergnügte. Zu diesem Zweck fertigte er ein Blutjuwel an und machte sich einen Spaß daraus, es zu tragen und mich das Gefühl von Macht, das er dabei empfand, spüren zu lassen. Manchmal gab er es auch Isara und zeigte mir, wie sehr es sie erregte, sich ihm zu unterwerfen. Das war beinahe noch entsetzlicher als das, was er mit ihr tat. Es glich nichts, was ich mit einem Liebesakt in Verbindung gebracht hätte. Ich war entsetzt und abgestoßen. Und noch entsetzlicher war, dass ich schließlich davon träumte, mit Isara auf dieselbe Weise zu schlafen. In meinen Träumen nannte sie mich ’Meister’. Und es hat mir gefallen.“ Er machte eine Pause und sein Blick glitt ins Leere. „Es war sogar so entsetzlich, dass ich zu Dakova ging und ihn bat, mich für meine pervertierten Phantasien zu bestrafen. Und das tat er mit großer Freude.“
Entsetzt sog Sonea die Luft ein. Deswegen also hatte er ihr verboten, ihn im Bett so zu nennen. Und sie hatte geglaubt, es sei wegen Marika gewesen! Sie hatte geahnt, dass Dakova von der besonders grausamen Sorte gewesen war. Aber sie hatte sich nie träumen lassen, dass er getan hatte, wofür selbst Marika zu beherrscht gewesen war.
„Ich fing an, mir einzureden, dass diese Phantasien die mangelnde Kontrolle kompensierten, die ich über mein Leben hatte, und dass sie sich in Isara manifestierten, weil ich beides nur in meinen Träumen haben konnte. Ich glaubte sogar, Dakova hätte mich so lange mit seinem Blutjuwel manipuliert, dass ich selbst so zu empfinden begann. Aber …“, er schloss die Augen und an der Spannung seiner Gesichtsmuskeln konnte Sonea erkennen, wie sehr ihn das quälte, „... nach einer Weile begriff ich, dass es in meiner Natur lag. Wahrscheinlich hätte ich es nie bemerkt, hätte Dakova es nicht hervorgeholt.“ Er lächelte humorlos. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie erfreut er war, als er das in meinen Gedanken las.“
Einem plötzlichen Impuls folgend stieß Sonea sich aus ihrem Sessel und ging auf ihn zu. „Es tut mir so leid“, flüsterte sie und zog seinen Kopf gegen ihre Brust. „Was er dir angetan hat, war so grausam.“
Seine Hände umschlossen ihre Schultern und hielten sie fest.
„Dakova hat ein Monster in mir zum Leben erweckt.“
„Nein, Akkarin. Das ist nicht wahr. Du bist kein schlechterer Mensch bloß wegen deiner Vorlieben. Du bist dir der Gefahren bewusst. So wie bei schwarzer Magie.“ Mit klopfendem Herzen löste sie sich ein Stück von ihm und legte beide Hände auf seine Wangen. „Denn sonst hätte ich mir bei Marika nicht die ganze Zeit gewünscht, dass du derjenige wärst, der all diese Dinge mit mir tut.“
Akkarins Augen bohrten sich in ihre, sein Blick war so raubtierhaft, dass sie erschauderte.
„Wie dem auch sei, es lässt sich nicht mehr rückgängig machen“, sagte er hart und schob sie auf Armeslänge von sich. „Es hat mich verändert und Dinge zum Vorschein gebracht, die ich nicht mehr zurückdrängen kann.“
Er fürchtet wirklich, die Kontrolle zu verlieren. Sonea begriff, warum. Er würde sie in Situationen bringen, in denen sie ihm vollständig ausgeliefert war und ihn nichts davon abhalten würde, ihr weh zu tun, wenn er die Kontrolle verlor. Bei dem, was sie wollte – wonach es ihnen beiden verlangte – würde er mehr Kontrolle denn je brauchen. Sonea war jedoch bereit, dieses Risiko einzugehen. Wie sollte man seine Grenzen kennen, wenn man sie nicht ausreizte? Und sie ahnte, sie und Akkarin waren noch lange nicht dort angelangt.
„Dann finden wir heraus, wie weit wir dieses Spiel, das keines ist, treiben können. Du hast doch bereits am Nordpass damit angefangen.“ Seine dunklen Augen blitzten, doch Sonea ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Wenn es dir gelingt, deine Gefühle für mich und deine Vorlieben mit deinem Kontrollzwang in Einklang zu bringen, dann wird das für uns beide erfüllender sein, als wir uns vorstellen können. Unsere unsere Beziehung wird sich dadurch vertiefen. So wie es bei den Blutjuwelen der Fall war.“
„Wenn das jetzt wieder so eine Diskussion wird, dass du ein dauerhaftes Blutjuwel willst, Sonea …“, begann er streng.
„Es würde unsere Beziehung ebenfalls vertiefen und das auch im Einklang mit unseren Vorlieben, aber das tut der Ring an meiner Hand schon auf seine eigene Weise.“
Akkarin seufzte leise, dann betrachtete er sie streng. „Ich kann dir das nicht mehr ausreden, nicht wahr?“
Sonea schüttelte den Kopf. „Dann hättest du in jener ersten Nacht in der Arran-Residenz gar nicht damit anfangen dürfen. Wir können nicht ändern, was wir sind, ohne darüber unglücklich zu werden.“
„Nein“, sagte er leise. „Das können wir nicht.“
„Dann lass uns ganz vorsichtig damit anfangen. Allein, weil ich ein Kind vor dir erwarte, müssten wir uns in den nächsten Monaten zurückhalten. So könnten wir uns allmählich an unsere Grenzen herantasten.“
Zwischen Akkarins Augenbrauen bildete sich erneut diese steile Falte. „Du willst das wirklich.“
Es war keine Frage. Es war eine Feststellung. Einen langen Moment sahen sie einander in die Augen und Sonea glaubte, sich vor ihm noch nie so entblößt gefühlt zu haben. Was sie empfand, ging weit über Liebe hinaus. Sie konnte sich nicht vorstellen, sich aus freien Stücken jemals auf einen anderen Mann derart einzulassen. Sie wollte ihm ganz und gar gehören. Sie wusste, dass es richtig war.
Als sie den Mund öffnete, glaubte sie, kein Wort herauszubringen. Doch als sie sprach, war ihre Stimme klar und entschlossen.
„Ja. Das will ich.“
***
Und im nächsten Kapitel werden die Weichen für die Fortsetzung „Das Erbe der schwarzen Magier“ gelegt und es gibt noch die eine oder andere Überraschung ;)
Fragen zum Kapitel
Was haltet ihr von Regins Gespräch mit Vianas Eltern?
Findet ihr es gut, dass Dannyl sich vor Rothen geoutet hat? Warum reagiert Rothen so wie er es tut? Glaubt ihr, er wird auf lange Sicht damit klarkommen?
Habt ihr damit gerechnet, dass Mivara Tarko verlässt? Hätte ein Zusammenbleiben funktionieren können? Spekulantenfrage: Was glaubt ihr, wie es mit den beiden weitergeht?
Ist es richtig, dass Trassia Regin einen Korb gibt?
Findet ihr es richtig, dass Akkarin sich weigert, Sonea ein dauerhaftes Blutjuwel zu machen oder misst er in Bezug auf Takan mit zweierlei Maß? Was haltet ihr von ihrem Gespräch am Ende?