Die Bürde der schwarzen Magier III - Das Heiligtum von Yukai
von Lady Sonea
Kurzbeschreibung
Anderthalb Jahre nach dem Massaker von Arvice ist Sonea noch immer gebrochen von ihrer Erfahrung mit Marika. Sachaka steht derweil gebeutelt von Kämpfen am Rande des Ruins. Als die Situation eskaliert und Kyralia erneut in Gefahr gerät, sind sich die Anführer der Kriegsparteien einig, dass nur noch Verhandlungen den Konflikt beenden können. Als Vermittler fordern sie den Mann, dessen Ruf sich bis über die Grenzen der Verbündeten Länder hinaus verbreitet hat: Auslandsadministrator Dannyl. Gegen den Willen des Hohen Lords entscheidet Sonea, Dannyl zum Ort der Verhandlungen, einem alten Tempel in der Wüste von Duna, zu eskortieren. Doch die Konferenz wirft ihre Schatten voraus und das nicht nur, weil Sonea sich wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert sieht. Schon bald bemerken sie und Dannyl, dass jede Partei ihr eigenes Spiel spielt, und sie müssen die richtigen Verbündeten finden, um zu die drohende Katastrophe zu verhindern …
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P18 / Mix
Hoher Lord Akkarin
Lord Dannyl
Lord Dorrien
Lord Rothen
Regin
Sonea
02.08.2016
04.06.2019
56
813.938
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26.06.2018
13.950
Heute mal ohne Umschweife: Ganz lieben Dank an Black Glitter und Emmi für die Reviews zum letzten Kapitel <3
Der Morgen begann so grau wie die vorangegangenen, als wäre das Fort der Gildenmagier der Heimatberg der Verräter. Hier in dieser unwirtlichen Felsenfestung wirkte er noch grauer. Und so grau war auch Asaras Stimmung. Der Krieg war zu Ende. Jetzt galt es die verbleibenden Dinge zu organisieren und einen Nachfolger für Savedra zu finden, dann würde sie sich ihrem Schicksal stellen. Der Gedanke schnürte ihr die Kehle zu. Aber sie musste es tun. Für ihr Volk. Für Sachaka. Für den Frieden.
Der Raka, den die Kyralier ihren Gästen zur Verfügung stellten, war bei weitem nicht so gut wie der sachakanische, doch er taugte genug für Asara, um davon wachzuwerden. Sie teilte sich einen Tisch mit Lenyaka, Varala, Estara und Beccari. Die Rebellinnen verbrachten ihre Mahlzeiten inzwischen regelmäßig mit Asaras Schwestern, so als hätte Savedras Ende die Kluft zwischen ihnen überwunden. Tatsächlich war die Sache komplizierter, doch sie hatten gemerkt, dass sie einander brauchten und vertrauten.
„Ah, was freue ich mich wieder auf richtigen Raka“, sagte Estara. „Dieser hier ist ja ganz passabel, aber entspricht nicht meinen Ansprüchen.“
„Dafür haben sie das bessere Brot.“ Anerkennend belegte Varala eine dicke Scheibe aus feingemahlenem und mit Papea gewürztem Tenn mit Reberkäse. „Insofern begrüße ich die Intensivierung der Handelsbeziehungen.“
„Nicht nur du.“ Asara leerte ihren Raka und füllte ihren Becher auf. „Der Wein der Verbündeten Länder schlägt den unseren um Längen.“
Nur, dass ich vermutlich nicht mehr in den Genuss kommen werde …
Was hatte sie sich dabei gedacht, als sie Arikhai die Wahrheit über den Tod seines Vaters gesagt hatte? War ihr die Meinung der Duna so wichtig? War es ihr so wichtig, aus ihnen potentielle Bündnispartner gegen die Ashaki zu machen, dass es diese Aufrichtigkeit aufwog? Mit Mitte dreißig war Asara zu jung zum Sterben. Bei ihren Aufträgen war der Tod ein ständiger Begleiter, aber es war etwas anderes, diesen absichtlich zu provozieren. Der junge Kriegsherr der Duna zog nicht in Betracht, sie bei seinem Volk leben zu lassen. Für ihn gab es nur eine angemessene Bestrafung:
Hinrichtung.
Und das alles nur wegen Marika.
Hätte Marika diesen Krieg nicht provoziert und die Frau des Anführers der Gildenmagier entführt, so hätte diese Befreiungsaktion nicht stattgefunden. Stattdessen wäre sie Karami auf einem Schlachtfeld irgendwo in Sachaka begegnet. In diesem Fall wäre der Kriegsherr ehrenhaft gestorben und Asaras Tod hinfällig.
Und ich weiß noch immer nicht, wie ich es Vikacha sagen soll.
Asara schob ihren Stuhl zurück.
„Entschuldigt mich“, sagte sie. „Doch ich habe noch etwas zu erledigen, bevor der Auslandsadministrator die Anführer der Parteien zusammenruft.“
Ohne die Antwort ihrer Schwestern abzuwarten, verließ sie die Große Halle und erklomm die Treppe zum Dach. Tatsächlich gab es nichts zu erledigen, sie hatte einfach nur ihre Ruhe haben wollen.
Sie war noch nicht weit gekommen, als ihr ein Diener der Gildenmagier begegnete. „Lady Asara“, sagte er und verneigte sich – etwas, an das Asara sich nur schwerlich gewöhnen konnte. „Ihr werdet gebeten, in das Besprechungszimmer auf der sachakanischen Seite zu kommen.“
Asara runzelte die Stirn. Dannyl war noch beim Morgenmahl gewesen, als sie die Große Halle verlassen hatte. So auch der Anführer der Gildenmagier und ihr König. „Das ist sehr freundlich von dir“, sagte sie zu dem Mann. „Weißt du den Anlass?“
„Das werdet Ihr dort erfahren, Mylady.“
Asara widerstand dem Drang, nach seinen Oberflächengedanken zu greifen und machte sich auf den Weg.
Fast hätte sie ihn mit seinem weißen Obergewand gegen die Wolken, die das Fort einhüllten, nicht gesehen. Erst, als die Tür hinter ihr zugefallen war und er sich bewegte, entdeckte Asara ihn. Für einen Augenblick erstarrte sie. Dann hatte sie sich jedoch wieder unter Kontrolle.
„Kriegsherr Arikhai“, sagte sie.
Der Kriegsherr wandte sich um. „Asara.“
„Ich nehme an, es geht um meine Bestrafung?“
Kriegsherr Arikhai kam auf sie zu. „Ich bin gekommen, um Euch das Urteil meines Volkes mitzuteilen, Asara.“
„Ich nehme an, was Krakhi erleiden musste, ist noch eine zu geringe Strafe für mein Vergehen?“
Ein grimmiges Lächeln verzog Arikhais Mundwinkel. Obwohl Asara mit diesem Mann in den vergangenen Wochen und Monaten vertraut geworden war, hätte sie nicht sagen können, ob es ein freundliches oder ein gefährliches Lächeln war. Vielleicht war es von beidem etwas.
„Ich habe nicht vor, Euch für Eure Vergehen wie Krakhi zu bestrafen, Asara. Ich bin hier, um Euch mitzuteilen, dass ich von einer Strafe absehe.“
Es dauerte einige Augenblicke, bis die Bedeutung seiner Worte in Asaras Bewusstsein sickerte. Dann machte ihr Herz einen Sprung.
„Das heißt, Ihr werdet mich nicht hinrichten?“
„Nein.“
„Werde ich stattdessen bei Eurem Volk leben?“
„Wenn Ihr das wünscht und meine Leute einverstanden sind, wärt Ihr willkommen. Doch ich sehe Euren Platz bei Eurem eigenen Volk.“
Asara schüttelte den Kopf. Sie hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit.
„Woher der plötzliche Sinneswandel?“, fragte sie.
„Euer Freund von den Gildenmagiern hatte ein paar interessante Ansichten dazu, warum Ihr weiterleben sollt. Und ich muss ihm zustimmen. Ich wünsche Wiedergutmachung, doch lebendig könnt Ihr mehr bewirken.“ Sein Blick glitt zum Fenster und seine Miene wurde ernst. „Zudem hat Sonea mich vor einigen Tagen beim Abendmahl darauf aufmerksam gemacht, dass Ihr nur entsprechend Eurer Moral und ehrbarer Ziele gehandelt habt. So wie Yui.“
Und Asara verstand. Er war wie sie. Sie beide waren auf Grund ihrer Wertevorstellungen gezwungen gewesen, zu töten. Während sie versucht hatte, einen Krieg zu verhindern, war Arikhai getäuscht worden. Was würde es über ihn als Anführer aussagen, sie zu bestrafen, wenn er selbst nicht besser war?
„Ich stehe in Eurer Schuld“, sprach sie. „Und ich begrüße Eure Entscheidung.“
„Unsere beiden Völker sind gegen ihren Willen in diesen Krieg geraten. An Eurer Stelle hätte ich vermutlich dasselbe getan. Ihr wart Marika und seinen Ashaki unterlegen. Ihr konntet Euch keine Ehrenhaftigkeit leisten.“
Asara schenkte ihm ein schiefes Lächeln. „In dieser Hinsicht haben die Verräter noch nie ehrenhaft gekämpft. Doch ich gedenke, eine Veränderung zum Positiven einzuleiten.“
„Ihr könntet mehr als das bewirken.“
Er jetzt auch?, dachte Asara entnervt. „Wie kommt Taki mit Yuis Tod zurecht? Und Euer jüngerer Bruder?“
„Sie trauern. Yui hat beiden viel bedeutet. Besonders Irakhi nimmt ihr Tod mit, weil sie mich in der Überzeugung, das Richtige zu tun, hintergangen haben. Was sich hinterher auch als das Richtige herausgestellt hat.“
Das konnte Asara sich gut vorstellen. Für Arikhais erste Frau musste sie irgendetwas zwischen kleiner Schwester und der anderen Sklavin einer Cachira gewesen sein. Für Irakhi war sie ebenfalls wie eine Schwester gewesen. Sie wäre seine Frau geworden, sobald er zum Mann geworden war und höhere Magie gelernt hatte.
„Und Ihr?“, fragte sie vorsichtig.
Arikhais Miene wurde hart. „Ich wünschte, ich hätte noch in Yukai mit ihm das getan, was ich für Euch vorgesehen hatte. Sein Blut hätte zwar weder Yuis Tod noch die Entweihung des Tempels rückgängig gemacht, doch es hätte zumindest mich befriedigt.“
Asara betrachtete ihn mitfühlend. Zu gern hätte sie ihm ein paar tröstende Worte gesagt, doch mit seinem Zorn konnte nur er selbst fertig werden.
„Kriegsherr Arikhai“, begann sie. „Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich in Eurer Schuld stehe, doch ich hoffe, dass die zukünftige Zusammenarbeit unserer Völker etwas von dieser Schuld wiedergutmacht.“
„Dessen bin ich gewiss, Asara von den Verrätern.“
Asara lächelte. Mit einem Mal schien das Grau vor den Fenstern des Forts weniger düster. „Doch nun entschuldigt mich“, sagte sie. „Ich sollte zwei Menschen aufsuchen, in deren Schuld ich ebenfalls stehe.“
Für Regins Geschmack hatte es viel zu lange gedauert, bis die Heiler ihm erlaubt hatten, das Bett zu verlassen. Außer Lord Kiano auf seiner täglichen Visite und dem Diener, der ihm dreimal pro Tag eine Mahlzeit brachte, hatte er niemanden zu Gesicht bekommen. Nicht einmal Sonea oder ihr unheimlicher Mann hatten ihn noch einmal besucht.
Von Lord Kiano hatte er einige Details darüber erfahren, was im Fort vor sich ging. Gilde, Verräter, Sachakaner und Duna hatten sich auf einen Frieden geeinigt und die Anführerin der Verräter abgesetzt. Der Hohe Lord und der König hatten mit den Verrätern ein neues Bündnis geschlossen, das offiziell besiegelt werden würde, sobald die neue Große Mutter gewählt war.
Trotz Lord Kianos Therapie heilte Regins linkes Bein nur langsam. Das rechte hatte weniger abbekommen und die Knochen waren inzwischen wieder vollständig zusammengewachsen. Doch Regin brauchte sich nur mit seiner Magie zu untersuchen, um zu sehen, dass die Lücken in seinem linken Bein erst noch mit Knochen aufgefüllt werden mussten. Auch ohne ein ausgebildeter Heiler zu sein, konnte er erahnen, wie viel Geschick man aufbringen musste, um das wieder in Ordnung zu bringen.
Das Fleisch an seinem Oberschenkel sah indes nicht besser aus. Selbst wenn Regin sein Bein irgendwann wieder normal bewegen konnte, würde eine hässliche Narbe zurückbleiben.
Nichtsdestotrotz hegte Regin den Verdacht, die Heiler hielten ihn nur ans Bett gefesselt, damit er Zeit hatte, über sich, seine Taten und seine Zukunft nachzudenken. Das würde zumindest erklären, warum nicht einmal Sonea nach ihm gesehen hatte. Ihre letzten Worte waren ihm noch zu deutlich im Gedächtnis.
Mach, dass du gesund wirst. Und wenn du damit fertig bist, komm mir erst wieder unter die Augen, wenn du mit deiner Wiedergutmachung fertig bist. Zusammen mit den harten Worten ihres Mannes implizierte das, dass er besser daran tat, über gewisse Dinge nachzudenken, und anscheinend waren alle zu der stillen Übereinkunft gekommen, ihn zu diesem Zweck in seinem Quartier versauern zu lassen.
So kann ich keine Wiedergutmachung leisten, dachte Regin entnervt. Die Heiler sollten sein Bein schneller wieder in Ordnung bringen, damit er tun konnte, was er tun musste. Er hatte nicht einmal bei den Verhandlungen helfen können. Doch weder Lord Kiano noch sein Kollege hatten in dieser Hinsicht mit sich verhandeln lassen.
„Ich könnte Euer Bein schneller heilen, doch das würde auf Kosten Eurer übrigen Körpersubstanz gehen“, hatte der Heiler aus Vin wiederholt, was Sonea bereits bei ihrem Besuch erklärt hatte. „Damit würdet Ihr Euch selbst keinen Gefallen tun, da Ihr geschwächt wärt und lebenswichtige Organe beeinträchtigt werden könnten.“
Also blieb Regin keine Wahl, als sich in Geduld zu üben.
Das brachte ihn indes zu weiteren unerfreulichen Gedanken. Zurück in der Gilde würde er die Sommerprüfungen von Balkans Klassen so wie die der Abschlussklasse abnehmen müssen. Die Wahl des Nachfolgers würde erst danach stattfinden, also konnte er die Aufgaben nicht auf jemand anderen abwälzen. Obwohl er Balkan bei der Vorbereitung der Prüfungsaufgaben geholfen hatte, fühlte er sich dazu nicht bereit. Doch er würde einen Weg finden, weil er Oberhaupt der Krieger werden wollte, egal ob er sich dazu bereit fühlte.
Als Lord Kiano eines Nachmittags kam und nach einer Untersuchung erklärte, das Bein sei genug verheilt, dass er aufstehen durfte, war es, als habe man Regin aus einer langen Gefangenschaft entlassen.
„Dann bin ich also wieder vollständig genesen?“, fragte er.
„Nicht ganz“, antwortete der Heiler. „Ihr dürft das Bein noch nicht wieder belasten. Stützt Euch beim Gehen mit einem Stock oder levitiert Euch.“
Das waren erfreuliche Neuigkeiten. Zudem hatte Regin nichts dagegen, sich überall hin zu levitieren. Seine Magie reichte aus, um das einen ganzen Tag lang zu tun, sofern er nicht zu viel davon für andere Zwecke verbrauchte.
Nachdem er sich gewaschen und angekleidet hatte, verließ er sein Quartier.
Er fand Sonea in der großen Halle zusammen mit einigen sehr kriegerischen Frauen in Hosen und kurzen Westen aus Pferdeleder. Duna-Kriegerinnen. Als er auf sie zuschwebte, richteten die ihm zugewandt stehenden Frauen ihren Blick auf ihn und musterten ihn eingehend.
„Guten Tag, die Ladies“, grüßte Regin und neigte den Kopf. „Sonea.“
Seine beste Freundin wandte sich um. „Regin“, sagte sie eisig. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du dich nicht immer anschleichen sollst!“
„Ah, ich schwebe.“
Sonea warf einen Blick auf seine Füße. „Dann hoffe ich, du tust es nicht ohne Lord Kianos Erlaubnis.“
„Er hat mir die Bewegung sogar verordnet.“
Sie hob eine fragende Augenbraue.
„Warum so kühl, liebste Sonea?“, fragte er. „Zürnst du mir noch immer oder führst du gerade Frauengespräche?“
„Das ist also der große Krieger der Gildenmagier, von dem alle sprechen?“, fragte eine der Duna-Frauen.
„Ja“, sagte Sonea säuerlich. „Das ist Lord Regin.“
„So jung und schon ein Anführer“, sagte Arikhais Frau anerkennend. Regin erinnerte sich dunkel an sie von der Schlacht. „Nun, mein Mann war ungefähr im selben Alter, als er Kriegsherr wurde.“
„Lord Regin mag ein großer Krieger sein, doch er ist kein Anführer, Taki“, stellte Sonea richtig. Sie bedachte Regin mit einem finsteren Seitenblick. „Auch wenn er das gerne hätte.“
„Ich dachte, Oberhaupt der Krieger wäre so etwas wie ein Kriegsherr“, wunderte sich Arikhais Frau.
„Ist es in gewisser Weise auch“, antwortete Sonea. „Aber Regin ist nur der Assistent unseres letzten Oberhauptes der Krieger.“
„Das ist so nicht ganz richtig“, sagte Regin. „Schon bald werde ich selbst Oberhaupt der Krieger sein.“
Es war überaus erheiternd zu sehen, wie die Miene seiner Freundin von Unglauben zu Entsetzen und dann zu Verärgerung wechselte.
„Was sagst du da?“
„Ah, hat er es dir nicht gesagt?“
Sie schüttelte den Kopf. „Regin, du willst mich doch nur auf den Arm nehmen.“
„Es ist wahr.“ Regin konnte sich ein selbstgefälliges Lächeln nicht verkneifen. „Ich bin Anwärter auf das Amt des Oberhauptes der Krieger.“
„Und der Hohe Lord wusste davon?“
„Ah, er hat es selbst vorgeschlagen.“
Soneas Gesicht verfinsterte sich noch mehr. „Ich werde das jetzt klären.“ Sie wandte sich zu den Duna-Frauen. „Bitte entschuldigt mich. Doch diese Sache duldet keinen Aufschub.“
Dann fasste sie Regin am Ärmel und zog ihn aus der Halle.
„Akkarin hat dich nie im Leben als Balkans Nachfolger vorgeschlagen“, zischte sie, als sie den Korridor erreichten. „Das musst du phantasiert haben.“
„Es ist die Wahrheit.“
„Und warum wissen dann weder ich noch die höheren Magier davon?“
„Das fragst du mich? Ich war ganze zwei Wochen lang ans Bett gefesselt, Hohe Lady.“ Regin sah sich um. „Wo ist dein unheimlicher Mann überhaupt?“
„Der Hohe Lord hat eine Besprechung mit dem König, Auslandsadministrator Dannyl und Arikhai“, antwortete Sonea. Ihr Ton war noch kratzbürstiger als Regin es von ihr gewohnt war. War das die Schwangerschaft?
„Und du darfst nicht dabei sein? Das muss weh tun.“
Sonea verdrehte die Augen. „Nicht alles geht mich etwas an, Regin. Und das ist auch gut so.“
Sie scheuchte Regin die Treppe hinauf und einen Flur entlang. „Solltest du die Wahrheit sprechen und tatsächlich Oberhaupt der Krieger werden, was ich für die Gilde wahrhaftig nicht hoffe, so wirst auch du nicht über manche Dinge in Kenntnis gesetzt werden.“
„Warum bist du so wütend, liebste Sonea? Freust du dich nicht für mich?“
„Ich bin wütend, weil du das nicht verdient hast.“
„Das hat sich aus dem Mund deines Hohen Lords ganz anders angehört.“ Regin musterte Sonea, die mit finsterer Miene neben ihm herstapfte, erheitert. Schwebend überragte er sie um fast zwei Köpfe. „Und du bist ganz sicher, dass das nicht mit deiner Schwangerschaft zu tun hat?“
„Nach allem, was du meinen Freunden angetan hast? Ja.“ Sie hielt inne und baute sich vor ihm auf, was aus Regins Position höchst amüsant aussah. „Du bist ein Mistkopf, Regin! Sei froh, dass Akkarin dich nicht zum neuen schwarzen Magier ernannt hat. In diesem Fall hätte ich dich auf der Stelle zu Asche verbrannt.“
Das bezweifelte Regin keinen Augenblick. „Glaub mir, verehrteste Sonea. Wenn ich mir schon das Amt des Oberhauptes der Krieger so bitterlich verdienen muss, wäre schwarzer Magier in unerreichbarer Ferne.“
Sie betrachtete ihn mit schmalen Augen. „Inwiefern verdienen?“
Du kommst so nach deinem Vater! Und nach deinem Onkel! Ich dachte, du wärst anders … dass du dich geändert hättest.
„Indem ich Wiedergutmachung leiste. Indem ich aufhöre, Ränke zu schmieden.“
„Und du meinst, dazu bist du in der Lage?“
„Ja. Das heißt, nicht ganz.“ Regin winkelte seine Beine an und ließ sich nach unten sinken, bis ihr Kopf über seinem war. Er verzog das Gesicht ob der Schmerzen. „Bitte, o Sonea! Ich flehe dich an. Hilf mir, ein besserer Mensch zu werden!“
Sie verdrehte die Augen. Sie schien völlig entnervt. „Regin, du bist kein von Natur aus schlechter Mensch“, sagte sie. „Du solltest nur an deiner Einstellung arbeiten.“
„Und dazu brauche ich dich, o liebste Sonea.“
Sonea schnaubte. „Dann fang damit an, indem du aufhörst, dich so theatralisch zu verhalten, wenn du etwas willst.“
Regin öffnete protestierend den Mund, doch sie erhob einen warnenden Finger und schritt dann auf die Tür am Ende des Flures zu.
An diesem Tag war der Friedensvertrag mit den Sachakanern unterzeichnet und besiegelt worden. Damit war dieser Tag für Dannyl der größte seines Lebens. Er hätte sich nie träumen lassen, dass es eines Tages dazu kommen würde.
Nachdem Ishaka und Asara stellvertretend für die Ashaki und die Verräter das Abkommen besiegelt hatten, hatte der Vertrag mit den Duna auf der Tagesordnung gestanden. Die Verträge wurden in Merins Audienzzimmer mit Blick auf die lieblich-bewaldeten Hänge der kyralischen Seite beschlossen, auf denen an diesem Tag von einem Spiel aus Licht, Schatten und Nebel tanzte, als Sturmwolken darüber hinwegrollten. Außer dem König als Vertreter der Verbündeten Länder, dem Hohen Lord als Vertreter der Gilde, den Sprechern der jeweiligen Parteien und Dannyl als Vermittler war niemand dabei anwesend. Bis auf Tayend, dessen Anwesenheit durch seine offizielle Funktion leicht zu rechtfertigen war. Für den Gelehrten, der am Fort erstmals mit den Magiern, mit denen die Gilde sich mehr als zwei Jahre im Krieg befunden hatte, in Kontakt gekommen war, war dies eine aufregende Erfahrung und Dannyl war glücklich, ihn an seiner Seite zu haben, jetzt wo die Gefahr gebannt war.
„In diesem Vertrag fehlt einer der von mir gewünschten Punkte“, erklärte Arikhai, nachdem er das auf Sachakanisch – einer Sprache, der alle Parteien mindestens leidlich mächtig waren – verfasste Schriftstück studiert hatte. „In einem der ersten Gespräche nach dem Kampf vor diesem Fort hatte ich darum gebeten, dass jeder Stamm zwei Magier zur Gilde schicken darf, damit diese zu Heilern ausgebildet werden.“
„Wozu wollt Ihr eigene Heiler?“, verlangte König Merin zu wissen.
„Die Verräter bekommen Heiler von Eurer Gilde zur Verfügung gestellt. Selbst die Sachakaner sollen einige Heiler von Euch erhalten. Doch Duna ist so weit von Eurem Land entfernt, dass es praktikabler wäre, wenn einige von meinem Volk dieses Wissen selbst erlangen würden. Zudem kommt es immer wieder zu Krieg zwischen unseren Stämmen, Versklavung und Raub. Das wollt Ihr Euren Leuten gewiss nicht zumuten.“
„Nicht wirklich“, sagte Akkarin.
Nach reichlichen Diskussionen in der Gilde hatten sich einige Heiler bereit erklärt, in Begleitung einer Verräterin als fahrende Heiler sich um die sachakanische Bevölkerung zu kümmern. Sie würden Blutjuwelen und Geheimniswahrer erhalten, damit die Sachakaner nicht an ihr Wissen gelangen konnten. Sie würden einander wie die Heiler in der Zuflucht abwechseln. Für die beiden Völker Sachakas war dies ein akzeptabler Kompromiss, bis sie die Bedingungen zur Aufnahme in die Allianz erfüllt hatten. Niemand vertraute den Leibärzten der Sachakaner genug, um das Wissen über Heilkunst mit ihnen zu teilen. Und nach Savedras Verrat waren nur wenige Magier geneigt, einige ausgewählte Frauen der Verräter in Heilkunst zu unterweisen, auch wenn von Savedras Anhängern niemand übriggeblieben war.
„Das Volk der Duna scheint mir ein Volk von Ehre zu sein, so dass ein Teilen dieses speziellen Wissens denkbar wäre“, sprach Merin. „Doch wenn ich mein Einverständnis gebe, könnten Verräter und Ashaki uns Schwierigkeiten bereiten, weil wir ihnen dies verweigern.“
„Ihr habt berechtigte Gründe, es den Ashaki zu verweigern, König Merin der Kyralier“, erwiderte Arikhai. „Was die Verräter betrifft, so dürfen sie keinen Vorteil gegenüber den Ashaki haben, da sie von nun an ein Volk sind und dies ihrer Zusammenarbeit nicht guttäte. Doch die Sachlage bei uns ist eine andere.“
„Das ist mir bewusst.“ Der König seufzte und sah zu dem schwarzgewandeten Magier an seiner Seite. „Akkarin, wie steht die Gilde zu dieser Angelegenheit?“
„Die Beantwortung dieser Frage würde eine Gildenversammlung erfordern“, erwiderte Akkarin.
Arikhais Augen blitzten. „Also habt Ihr mein Anliegen nicht weitergeleitet?“
„Ich sagte, ich werde darüber nachdenken. Doch die Gilde ist bereits wegen der Zugeständnisse an die Sachakaner gespalten. Ich habe nicht vor, diese Spaltung weiter zu forcieren.“
„Ich habe kein Interesse an Endlosdiskussionen“, sagte Merin unwirsch. „Die endgültige Entscheidung obliegt mir, zumal ich die Gesetzesänderung zur Ausbildung von Magiern selbst vornehmen würde.“
„Ich bin sicher, die Gilde hätte mit einigen Duna, die einzig in Heilkunst unterwiesen werden, weniger Schwierigkeiten als mit den Sachakanern“, sagte Dannyl.
Die grünen Augen blitzten zu ihm. „Wieso glaubt Ihr das, Auslandsadministrator?“
„Die Duna mögen uns fremd sein, doch uns verbindet kein Konflikt, der mehr als eintausend Jahre zurückreicht.“
„Aber sie sind uns dennoch fremd.“
„Nichtsdestotrotz sind sie verglichen mit den Ashaki eine geringere Gefahr. Sie haben weder Interesse an den Verbündeten Ländern noch streben sie nach Krieg mit uns. Zudem hatten genug von uns in den letzten beiden Wochen die Gelegenheit, die Duna näher kennenzulernen.“
Der König sah zu Akkarin. „Wie schätzt Ihr die Stimmung innerhalb der Gilde ein?“
„Sie würden es nicht mögen, doch sie würden es akzeptieren.“
„Man könnte dafür sorgen, dass Gilde und Duna einander näher kennenlernen“, überlegte Dannyl. „Die meisten von uns sind noch immer in Imardin. Einige Duna könnten mit uns zurückreisen und bei dieser Gelegenheit einen Blick auf die Gilde und unsere Lebensweise werfen. Schließlich müssten einige von ihnen mehrere Jahre dort leben, bevor sie vollständig ausgebildete Heiler sind.“
Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Hohe Lord anerkennend nickte. „Um eine Entscheidung zu treffen, schlage ich vor, wir holen Lady Vinara dazu.“
„Soll ich sie holen gehen?“, fragte Tayend eifrig.
„Nicht nötig.“ Akkarins Augen verengten sich. „Sie ist unterwegs.“
Wenige Minuten später rauschte Lady Vinara in einem Wirbel grüner Roben und mit strenger Miene in den Raum. Als sie den König erblickte, lächelte sie jedoch und sank auf ein Knie.
„Hoher Lord, wie kann ich Euch behilflich sein?“, fragte sie, nachdem die formalen Höflichkeiten ausgetauscht waren.
Akkarin nickte zu Dannyl. „Der Auslandsadministrator wird Euch die Lage erklären.“
In wenigen Worten berichtete Dannyl dem Oberhaupt der Heiler die Problematik. Die Arme vor der Brust verschränkt lauschte Vinara seinen Worten, während sie Arikhai mit sauertöpfischer Miene betrachtete.
„In der Gilde hält sich hartnäckig die Ansicht, die Duna wären Barbaren“, sagte sie schließlich. „Doch dank Dannyls Verhandlungsgeschick sind sie in den Wochen vor dem Kampf am Nordpass für einige Magier zu einer Art Hoffnungsträger geworden.“
Arikhais Augen blitzten zu ihr. „Obwohl wir auf der Seite Kachiros standen?“
„Es ist Dannyl in Yukai gelungen, eine Beziehung zu Eurem Volk aufzubauen“, antwortete Vinara. „Der Rest hat eindeutig auf einem Irrtum basiert.“
„Glaubt Ihr, die Heiler wären damit einverstanden, einigen Duna ihr Wissen zu vermitteln?“, fragte Merin.
Das Oberhaupt der Heiler runzelte kurz die Stirn und nickte dann. „Sie wären eher dazu bereit, als es einigen auf nichtmagische Heilung spezialisierten Ashaki zuzugestehen.“
Dannyls Herz machte einen Sprung. Alles, was in den vergangenen Tagen geschehen war, hatte sie alle einander Stück für Stück nähergebracht. Es war ein großartiges Gefühl zu wissen, dass er daran Anteil hatte.
„Also gebt Ihr Euer Einverständnis, Vinara?“, fragte er.
Die grauen Augen begegneten seinen. „Ja.“
„Im Namen meines gesamten Volkes spreche ich Euch meinen Dank aus, Lady Vinara von den Gildenmagiern“, sprach Arikhai. Er kreuzte die Fäuste vor der Brust und senkte den Kopf. „Ich bin sicher, unsere beiden Völker werden davon profitieren.“ Dann sah er zu Dannyl und den anderen. „Auch Euch will ich meinen Dank aussprechen, da Ihr dies ermöglicht habt. Damit habt Ihr mehr als nur Wiedergutmachung am Tod meines Vaters und seiner Delegation geleistet, was für Euch spricht.“
Er sprach es nicht aus, aber Dannyl begriff es auch so. Mit seinen Worten gestand Arikhai ihnen etwas zu, wo sein Volk von den Sachakanern enttäuscht worden war. Dannyl ahnte, sollte es jemals zu einem neuen Konflikt mit Sachaka kommen, so konnten die Duna potentielle Bündnispartner sein.
„Auslandsadministrator Dannyl“, sprach König Merin. Er wies auf das Pergament, das auf dem Tisch zwischen ihnen lag. „Bitte fügt diesen letzten Punkt dem Vertrag hinzu.“
Dannyl konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Sehr gern, Euer Majestät.“
Obwohl es nicht besser hätte laufen können, atmete Dannyl aus, als das Treffen vorbei war. Während die Sachakaner die kyralische Sprache recht gut beherrschten, musste er zwischen Arikhai und dem König dolmetschen. Die angehenden Heiler würden entweder sachakanisch sprechen und von Heilern, die dieser Sprache mächtig waren, unterrichtet werden müssen. Oder sie mussten Kyralisch lernen.
Auf dem Flur wartete eine kleine, schwarzgewandete Gestalt. Sonea, was führt dich her?, wollte Dannyl fragen. Doch als er ihre unheilvolle Miene und Regin, der lässig an ihrer Seite in der Luft schwebte, erblickte, hielt er sich zurück.
„Hoher Lord“, sagte sie eisig. „Wir müssen uns unterhalten.“
Akkarins Blick fiel auf Regin. „Das sollten wir.“
Das wird Ärger geben, dachte Dannyl. Er war jedoch nicht sicher, ob für Akkarin oder für Regin.
„Was machen wir nun, Auslandsadministrator?“
Dannyl wandte den Kopf zu seinem Gefährten. „Inwiefern?“, fragte er.
„Alle Verträge sind besiegelt und es sieht aus, als hättest du endlich den Frieden herbeigeführt.“
Dannyl lachte. „Sagen wir, ich habe ihnen den nötigen Anstoß dazu gegeben. Am Ende waren sie es, die sich darauf eingelassen haben.“
„Wie wird es nun weitergehen?“, fragte Tayend, während sie hinauf zu den Quartieren der höheren Magier stiegen. „Glaubst du, der Frieden wird halten?“
„Das wird sich mit der Zeit zeigen. Zunächst einmal würde mich jedoch interessieren, wie die Sachakaner reagieren, wenn sie erfahren, dass die Duna ein paar ihrer Leute zu Heilern ausbilden lassen dürfen.“ Und das würde sich herumgesprochen haben, noch bevor dieser Tag zu Ende war.
„Erfreut werden sie sicher nicht sein“, überlegte Tayend. „Aber ich bin sicher, dass es dir gelingen wird, sie mit den richtigen Argumenten zu überzeugen, dass sie in dieser Hinsicht keine Ansprüche zu stellen haben.“
„Was ihnen eigentlich klar sein sollte.“
Dannyl konnte sich jedoch lebhaft vorstellen, dass weder die Ashaki noch die Verräter allzu angetan sein würden. Sie alle hatten ihre Gründe, warum sie unbedingt selbst Heiler wollten. Doch weder bei den einen noch bei den anderen reichte das Vertrauen aktuell weit genug, als dass die Gilde bereit war, sich darauf einzulassen. Asara und Ishaka hatten dies zähneknirschend akzeptiert. Dannyl ahnte jedoch, sie würden die Diskussion erneut eröffnen, sobald sie von Merins Vereinbarung mit Arikhai erfuhren.
„Ist das wahr?“ Verärgert scheuchte Sonea Akkarin in einen leerstehenden Besprechungsraum. Sturmwolken jagten hinter dem einzigen Fenster über die schroffen Berghänge, als würde ihr Zorn sie vorwärtstreiben. „Bist du nun ganz des Wahnsinns?“
Hinter ihr fiel die Tür mit einem bestimmenden Klicken ins Schloss und Sonea zuckte zusammen. Sie war sich der Tatsache wohlbewusst, dass ihr Wutausbruch nicht ganz unbemerkt geblieben war. Sie wusste, dass sie Akkarin damit nicht den geringsten Respekt entgegenbrachte, doch sie war wütend genug, dass sie das nicht kümmerte. Er war zu weit gegangen und das wollte sie ihn spüren lassen.
„Sonea, jetzt beruhige dich.“
In nur wenigen Schritten war Akkarin bei ihr und hatte sie an den Schultern gefasst. „Ich habe lange über diese Entscheidung nachgedacht, bevor ich sie getroffen habe.“
Unwillig befreite Sonea sich aus seinem Griff. „Ich kann das trotzdem nicht gutheißen, Akkarin. Regin hat es nicht verdient, Oberhaupt der Krieger zu werden. Egal, ob er seinen Abschluss fast so gut wie ich gemacht hat oder ob er Balkans Liebling war. Er wäre ein noch schlimmeres Oberhaupt der Krieger als Garrel!“
„Regin hat großes Potential. Hätte Balkan das nicht erkannt, so hätte er ihn nicht auf dieses Amt vorbereitet, seit Regin sein Novize wurde.“
„Ich weiß, du hast viel von Balkan gehalten, aber das werde ich nicht unterstützen.“
„Sonea, die Gilde braucht ihn.“
Verärgert schüttelte Sonea den Kopf. „Er ist kaum einundzwanzig! Er ist nicht in der Lage, verantwortungsbewusst zu handeln.“
„Ich erinnere mich an eine Novizin, die selbst nicht viel älter war, als sie eine Führungsposition in der Gilde eingenommen hat.“
Sonea schnaubte. „Das war etwas anderes. Du konntest das nicht übernehmen, weil du Hoher Lord warst, und Sarrin war bereits im Ruhestand. Zudem hat die Leiterin der schwarzmagischen Studien bei weitem nicht so viel Einfluss wie das Oberhaupt der Krieger.“
„Und die jetzige Situation ist so viel anders? Sonea, in den vergangenen drei Jahren hat die Gilde fast sämtliche ihrer guten Krieger verloren. Es gibt nicht mehr viele fähige Magier mit genügend strategischer Weitsicht.“
Wollte er es nicht verstehen? In diesem Augenblick ärgerte Sonea sich so sehr über ihren Akkarin, dass sie kurz davor war, ihn zu Asche zu verbrennen. „Ich gestehe Regin zu, ein herausragender Krieger zu sein, aber er ist für das Amt des Oberhauptes der Krieger eine absolute Fehlbesetzung.“
„Er wird in seine Rolle hineinwachsen. Aber dafür braucht er dich.“
Sonea schnaubte. Bitte, o Sonea! Ich flehe dich an. Hilf mir, ein besserer Mensch zu werden.„Jeder andere Krieger wäre für diesen Posten besser geeignet. Sogar Kerrin oder Iskren. Selbst ich könnte dieses Amt übernehmen.“
„Und wer wird dann Leiter der schwarzmagischen Studien?“, fragte Akkarin sanft.
„Sarrin. Er ist ohnehin der bessere Forscher. Wenn der König und die Gilde einverstanden wären, dann würde ich diese Aufgabe übernehmen.“
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Vorhin hast du Sarrin noch als Gegenargument benutzt“, sagte er erheitert.
Sonea funkelte ihn an. „Das ist zwei Jahre her. Sarrin hat seinen Ruhestand doch längst wieder verlassen.“
„Wenn du als Regins Gegenkandidatin antreten willst, dann werde ich dich nicht aufhalten“, sagte Akkarin. „Ich bezweifle keinen Augenblick, dass du diese Aufgabe nicht mindestens ebenso gut erledigen würdest, zumal ein weibliches Oberhaupt der Krieger durchaus wünschenswert wäre. Aber ich weiß auch, dass du nicht danach strebst.“
Nein, das tat sie nicht. Oberhaupt der Krieger war keine Rolle, in der Sonea sich sah. Sie gehörte nicht zu den Menschen, die führten. Sie war lieber an der Seite jener, die es taten. Dabei wusste sie, sie hätte es gekonnt.
„Versteh mich nicht falsch, Akkarin“, sagte sie. „Es ist nicht so, dass ich Regin diese Chance nicht gönne. Aber wir wissen doch beide, wie er ist. Ihm eine solche Verantwortung zu übertragen, wird in einer Katastrophe für die Gilde enden. Es wäre mir lieber, einen weniger fähigen Krieger auf diesem Posten zu haben. Jemanden, der dafür die besseren sozialen Kompetenzen aufweist. Zumal jetzt endlich Frieden herrscht.“
„Sonea, niemand kann sagen, ob es wirklich bei diesem Frieden bleibt“, sagte Akkarin behutsam. „Wir müssen sehen, wohin sich das alles entwickelt. In jedem Fall sollten wir vorbereitet sein. Wir dürfen nicht denselben Fehler ein zweites Mal machen und davon ausgehen, dass wir von jeder Bedrohung gefeit sind.“
„Das sehe ich ein. Doch als Garrel Oberhaupt der Krieger war, haben Balkan und du seine Aufgabe erledigt. Warum machen wir es nicht jetzt genauso?“
„Weil es nicht richtig ist. Die Gilde braucht nicht nur ein fähiges Oberhaupt der Krieger, dieses sollte auch ein Vorbild sein. Die Novizen und die angehenden Krieger sehen zu Regin auf, weil er sich durch seine Taten im Krieg einen Namen gemacht hat.“
„Sie sehen auch zu mir auf. Regin wird dagegen immer der Novize bleiben, der von mir in der Arena gedemütigt wurde.“
Akkarin lachte leise. „Diese Tracht Prügel hat ihn erst zu dem Mann gemacht, der er jetzt ist.“
Sonea verdrehte die Augen. „Und wie oft muss ich ihm noch eine Tracht Prügel verpassen, damit er sich endgültig bessert? Seine neusten Eskapaden qualifizieren ihn nicht gerade für eine Führungsposition.“
„Du brauchst ihm keine zweite Tracht Prügel zu verpassen, Sonea. Er ist bereits dabei, seine Fehler einzusehen und zu bereuen.“
Aber nur, weil Trassia ihn verlassen hatte. Sonea konnte sich nicht vorstellen, wie das auf Dauer gutgehen sollte. Irgendwann würde Regin etwas Neues finden, womit er seine Niederträchtigkeit unter Beweis stellen konnte.
„Sonea, ich verstehe, warum du so hart mit ihm bist, aber du solltest ihm eine Chance geben“, sagte Akkarin ruhig.
„Er hatte seine Chance“, grollte sie. „Du kannst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass du seine Eskapaden gutheißt?“
„Nein, das tue ich nicht.“ Akkarin ließ sich gegen das Fenstersims sinken. „Er ist fehlgeleitet, so wie ich es einst war, doch ich sehe dennoch das Potential in ihm, darüber hinauszuwachsen. Und ich bin überzeugt, das ist möglich, ohne gleich ein ähnlich tragisches Schicksal zu erleiden.“
Darum ging es also. Er sah in Regin nicht nur eine extreme Version seines früheren Ichs, er wollte für ihn verwirklichen, was er selbst hätte sein können. Und Sonea konnte es ihm nicht verübeln.
„Und wie stellst du dir das vor?“, fragte sie. „Nur, weil Regin von höheren Magiern umgeben sein wird, heißt das noch lange nicht, dass sie ihn zur Vernunft bringen können. Zumal es besser wäre, wenn er vor ihnen so auftritt, dass sie ihm mit Respekt begegnen.“
„Dazu hat er Freunde.“
Sonea verschränkte die Arme vor der Brust. „Du willst, dass ich ihm helfe, ein besserer Mensch zu werden?“, entfuhr es ihr.
„Du bist seine Freundin, Sonea. Und du hast schon damit begonnen. Er hört auf dich. Weil du ihm damals diese Lektion erteilt hast. Damit hast du eine Macht über ihn, die du nutzen solltest.“
Und damit würde sie auch anderen helfen. Sonea seufzte. Mit einem Mal ergaben Regins Worte einen Sinn. Natürlich hatte Akkarin sich diese Sache wohlüberlegt. Trotzdem konnte sie nicht glauben, dass das alles so einfach laufen sollte. Immerhin ging es hier um Regin.
„Und was, wenn es nicht funktioniert?“, fragte sie. „Was, wenn er so schlimm wird wie sein Onkel?“
Ein humorloses Lächeln zerrte an Akkarins Mundwinkeln. „Dann liegt es an uns und den höheren Magiern, ihm Einhalt zu gebieten.“
„Aber er wird dieses Amt bis zum Ende seines Lebens innehaben“, wandte sie ein.
„Ja.“
„Gibt es keine andere Lösung?“
„Nicht, wenn die Verteidigung der Gilde funktionieren soll.“ Akkarins Stimme wurde eindringlich, als er fortfuhr: „Da wir beide das Kernstück unserer Verteidigung sind, werden wir beide sehr eng mit Regin zusammenarbeiten. Insbesondere du. Dabei kannst du sehr viel bewirken. Unterschätze nicht deine eigenen Fähigkeiten, Sonea.“
Sonea schnitt eine Grimasse. „Trotzdem bin ich noch nicht ganz überzeugt. Und wenn du ihn bei der nächsten Gildenversammlung vorschlägst, erwarte nicht, dass ich ihm meine Stimme gebe. Er kann noch so sehr mein Freund sein – das werde ich nicht tun.“
„Das ist dein gutes Recht, Sonea. Aber wenn Regin die Wahl gewinnt, so zähle ich auf dich.“ Akkarin streckte eine Hand nach ihr aus. „Nein, ich zähle auch auf deinen positiven Einfluss, sollte er die Wahl nicht gewinnen.“
Noch immer leicht verstimmt, schritt Sonea zu ihm und ergriff seine Hand. „Selbst, wenn es nicht um den Ruf der Gilde ginge, würde ich versuchen, Regin zu einem weniger arroganten und verantwortungsbewussteren Menschen zu machen“, sagte sie. „Schon allein, um andere vor ihm zu schützen.“
Akkarin zog sie zu sich. „So gesehen wird sich nicht viel ändern.“
„Stimmt. Ich werde mich bei den Diskussionen der höheren Magier weiterhin über ihn ärgern.“
„Es wird weniger werden, weil er sich zusammenreißen muss.“
Sonea lächelte schief. Vermutlich hatte er recht. Es fiel ihr noch immer schwer, sich mit dem Gedanken anzufreunden, doch zugleich konnte sie Akkarin nicht mehr zürnen.
„Bitte verzeiht, dass ich vorhin so respektlos war, Hoher Lord“, sagte sie. „Ich war so wütend.“
„Es ist in Ordnung, Sonea. Ich mag Hoher Lord sein, doch das schützt mich nicht davor, dass andere mir die Meinung sagen. Mir ist lieber, wenn wir solche Unstimmigkeiten klären und danach zu einem angemessenen Umgang zurückkehren.“
An Rothen und Dorrien denkend lachte Sonea. „Nein, davor bist du ganz sicher nicht sicher!“
Akkarin bedachte sie mit seinem Halblächeln. Dann beugte er sich zu ihr hinab und küsste sie behutsam.
„Und was machen wir wegen der Sachakaner?“, fragte Sonea. „Unsere Auseinandersetzung wird sich herumsprechen. Es könnte dich ihren Respekt kosten.“
„Dann werden wir sie beim Abendessen glauben lassen, dass dein Verhalten Konsequenzen hatte.“
Sonea sog leicht die Luft ein. Sie spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. „Was schwebt dir da vor?“
„Nichts, was dich quälen wird.“ Seine dunklen Augen blitzten, als würde ihn irgendetwas erheitern und Sonea ahnte, ihm kam die Anwesenheit der Sachakaner im Fort gelegen, um auszuleben, was er sonst zurückhielt. „Die übrigen Magier werden nicht einmal etwas bemerken. Oder denken, ich würde mich den Sitten der Sachakaner anpassen, um unsere Beziehungen zu stärken.“
Und darüber würde niemand sich wundern. Von Dannyl wusste Sonea, das Signalisieren der Bereitschaft, sich an die Sitten anderer anzupassen, war eine grundlegende Voraussetzung für den Aufbau diplomatischer Beziehungen. In Bezug auf die Sachakaner hatten sie und Akkarin dem Auslandsadministrator jedoch etwas voraus.
Als sie zu ihm aufsah, verspürte Sonea einen ungeahnten Kitzel von Aufregung. „Hoher Lord, ich werde dieses Spiel mit Freuden mit Euch spielen.“
„Es ist so unglaublich unfair!“ In einer theatralischen Geste fuchtelte Tayend mit der Mappe mit den Protokollen der Verhandlungen herum. „Monatelang waren wir voneinander getrennt, ohne jeglichen Kontakt. Außer den spärlichen Informationen, die der Hohe Lord mir darüber gegeben hat, was du tust und wie es dir geht, hatte ich nichts von dir! Nichts! Und jetzt, wo wir endlich wieder vereint sind, können wir einander nicht nahe sein, weil uns jemand entdecken könnte. Das ist schlimmer als jede Folter!“
„Du hattest mehr als nur spärliche Informationen über mein Wohlergehen“, entgegnete Dannyl lachend. „Sonea hat jeden Abend mit ihrem Mann gesprochen. Außer Liebesgeflüster hat sie ihm auch berichtet, was er den Tag über nicht durch ihr Blutjuwel in Erfahrung gebracht hat. Zufällig weiß ich, was davon an dich weitergegeben wurde. Und das war alles andere als spärlich.“
Tayend schnaubte höchst unfein. „Trotzdem ist das hier kein Zustand!“, beklagte er sich. „Wir sehen uns nur zu offiziellen Anlässen, zu denen ich dein Assistent bin. Sind wir unter uns, dann nur um deiner Arbeit willen.“
Obwohl Dannyl fand, dass sein Gefährte übertrieb, verstand er ihn besser als jeder andere. Es erging ihm nicht anders. Aber im Gegensatz zu Tayend kannte er es nicht anders, als seine Sehnsüchte zu unterdrücken.
„Weil alles, was länger dauert, Misstrauen erregen würde“, sagte er sanft. „Wir können Akkarin und Sonea vertrauen, dass sie Stillschweigen bewahren. Aber nicht den anderen Magiern, die auf diesem Flur wohnen.“
Tayend ließ die Mappe sinken. „Lady Sonea weiß von uns?“, entfuhr es ihm.
„Ja“, sagte Dannyl. „Es tut mir leid, wenn dir das missfällt, doch ich hatte keine Wahl.“
„Die ganzen Tage über war sie so freundlich zu mir wie eh und je“, hauchte sein Gefährte tonlos. „Wie kann das sein?“
„Nicht alle Kyralier sind intolerant und verschließen sich Beziehungen wie der unseren“, erwiderte Dannyl erheitert.
„Aber … warum hast du es ihr überhaupt gesagt?“
Um ihr zu zeigen, dass es völlig natürlich ist, einen Menschen desselben Geschlechts zu lieben.
„Weil wir Freunde geworden sind“, sagte er.
Tayend machte ein Gesicht, als wolle er protestieren, schloss er seinen Mund jedoch wieder. „Nun, ich mag Lady Sonea“, sagte er. „Sie ist ein sehr entzückender und liebenswerter Mensch. Wenn du der Meinung bist, du kannst ihr unser Geheimnis anvertrauen, dann vertraue ich darauf, dass du das Richtige tust.“
„Danke“, erwiderte Dannyl trocken. „Du glaubst gar nicht, wie sehr mich das ehrt.“
Tayend zog einen Schmollmund.
„Selbst wenn ich Sonea nicht vertrauen würde, so würde ich darauf vertrauen, dass sie es aus Respekt gegenüber Akkarin nicht ausplaudert“, fügte Dannyl ein wenig ernster hinzu.
„Weil sie ihn zu sehr fürchtet?“
„Nun …“, begann Dannyl und brach dann ab. Manchmal war Tayends Beobachtungsgabe nahezu unheimlich.
„Die beiden sind nicht exzentrischer als manche Elyner, die ich kenne“, sagte sein Gefährte mit einer leisen Faszination in der Stimme. „Und solange sie damit glücklich ist, sehe ich nicht, was daran falsch sein sollte.“
Wahrscheinlich nicht, dachte Dannyl. Und er fand es seltsam beruhigend, dass es auch Kyralier gab, die in Tayends Augen ’normal’ waren. Allerdings hatte er so eine Ahnung, dass Akkarin und Sonea unter der offenkundigen Fassade alles andere als ’normal’ waren, und dass Sachaka daran schuld war. Dafür gingen sie mit ihrem Schicksal jedoch bewundernswert um.
„Wie lange soll das alles noch weitergehen, Dannyl?“, fragte Tayend. „In ein paar Tagen reisen wir zurück nach Imardin. Und auch dort müssen wir vorsichtig sein. Und wenn du anschließend nach Lan geschickt wirst, wird es noch länger dauern, bis wir wieder in Elyne sind und uns ein paar freie Tage gönnen können.“ Er sah auf. „Ich vermisse dich, Dannyl.“
Ein leises Seufzen ausstoßend erhob Dannyl sich und umrundete den Tisch. „Ich vermisse dich auch“, sagte er. „Aber es ist noch schlimmer, wenn ich dich sehe und dir nicht nahe sein kann.“
Tayends Augen weiteten sich und er strahlte.
Mit einem Lächeln nahm Dannyl ihm die Mappe aus den Händen. Dann zog er Tayend auf die Füße. „Wenn es dir hilft, dann werde ich Akkarin um ein paar Wochen Urlaub bitten, bevor wir erneut nach Lan reisen“, sagte er und küsste seinen Gefährten. „Weder er noch die anderen höheren Magier werden mein Gesuch nach Yukai ablehnen.“
Tayend lehnte den Kopf gegen seine Schulter. „Dass sie dir Urlaub geben, ist auch das mindeste!“
„Und wie es das ist!“, stimmte Dannyl zu und legte die Arme um seinen Freund. „Doch nun sollten wir zum Abendessen gehen. Die anderen werden sich sonst wundern, wo wir abgeblieben sind.“
„Aber wenn sie alle in der großen Halle sind, können wir es tun.“
„Nein, Tayend.“ Dannyl löste sich von seinem Freund und schob ihn auf Armeslänge von sich. „Es ist zu gefährlich. Ich fühle mich nicht wohl dabei. Du vergisst, dass es Magier wie Regin gibt.“
„Der Magier, der für dich der neue Fergun ist?“
Dannyls Stimmung verdüsterte sich.
„Ja.“
Was dies betraf, so war Dannyl froh, wenn er Kyralia wieder hinter sich gelassen hatte. Er traute Regin nicht. Und seine neusten Eskapaden machten dies nicht gerade besser.
„Also“, sagte Dannyl. „Bist du bereit für einen letzten Abend mit fremden Kulturen? Einen Austausch mit Mirakhi?“
„Nun, wenn du das so formulierst, kann ich schlecht Nein sagen“, erwiderte Tayend. „Auch wenn ich bezweifle, dass das unser letzter Kontakt mit Sachakanern und Duna gewesen ist.“
„Nein“, stimmte Dannyl zu. „Das ist es ganz sicher nicht.“
Tennyl legte gerade die letzte Hand an Merins Festgewand, als Lord Rolden das Gemach betrat. „Ashaki Ishaka und Asara von den Verrätern wünschen Euch zu sprechen, Euer Majestät“, sprach er und sank auf ein Knie.
Sie haben wahrhaftig keine Zeit verschwendet, fuhr es Merin durch den Kopf. Es war bemerkenswert, wie schnell sich unter Magiern Neuigkeiten herumsprachen, selbst wenn keiner der bei einer Besprechung Anwesenden die Informationen weitergegeben haben konnte.
„Sie mögen im Audienzraum warten“, sagte er. „Fragt sie, ob sie Erfrischungen wünschen, und schickt einen Diener um diese zu besorgen.“
„Ja, Euer Majestät.“ Zögernd stand Rolden auf. „Soll ich den Hohen Lord und Auslandsadministrator Dannyl dazu rufen?“
„Nein.“ Merin lockerte seinen Kragen ein wenig. Er konnte seinem Kammerdiener noch so oft sagen, diesen nicht so eng zu schließen und trotzdem fühlte er sich jedes Mal halb stranguliert. „Das werde ich selbst regeln.“
Tennyl griff nach einer Kleiderbürste und begann Merins Obergewand abzubürsten. Dann rückte er die Schärpe zurecht und legte Merin den Umhang mit dem goldenen Mullook um die Schultern.
„Danke, Tennyl.“ Merin streifte seine Handschuhe über und betrat sein Audienzzimmer. Das goldene Abendlicht war rötlich geworden und tauchte die grauen Steinwände in einen schwachen Feuerschein. Inmitten des Raumes standen zwei Anführer, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ishaka trug ein dunkles Gewand im sachakanischen Stil, sein Haar war kurzgeschnitten und seine Wangen glattrasiert. Wenn er verärgert war, so ließ er sich das nicht anmerken. Asara hingegen trug enge, in Stiefeln steckende Hosen und eine weite Bluse, die sie mit einem breiten Gürtel zusammenhielt. Ihr langes schwarzes Haar war zu einem strengen Zopf geflochten und sie wirkte verärgert. Mit einem Blick auf die glitzernden Dolche der beiden Sachakaner wusste Merin, er wollte mit ihnen keinen Ärger.
Zugleich wusste er jedoch auch, dass sie ihm nichts tun würden, weil sie damit einen neuen Krieg heraufbeschworen hätten.
„Ashaki Ishaka, Asara von den Verrätern, was für Euch her?“
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr heute eine neue Vereinbarung mit den Duna getroffen habt“, begann Ishaka.
„Bei dieser Vereinbarung ging es um einen Punkt, der noch offen war“, antwortete der König kühl.
„Es ist bemerkenswert, dass Ihr diesen Punkt den Duna zugesteht, während Ihr ihn uns verweigert habt“, fuhr der Ashaki fort. „Und das kurz, nachdem Ihr den Vertrag mit uns besiegelt habt.“
„Wem ich was zugestehe, ist meine Angelegenheit.“
„Ich kann verstehen, wenn Ihr den Ashaki das Wissen, wie man mit Magie heilt, verweigert“, sprach Asara. „Doch mein Verständnis endet, wo die Verräter ins Spiel kommen. Wir waren zwei Jahre lang Eure Verbündete.“
„Verbündete, die mein Vertrauen aufs unverzeihlichste missbraucht haben“, schnitt Merin ihr das Wort ab. „Es mögen nur noch jene übrig sein, die daran keinen Anteil hatten, doch das ändert nicht, dass das Vertrauen in Euer Volk gestört wurde.“
„Der Punkt ist doch eher, dass Ihr den Ashaki misstraut, Merin Sohn von Terrel“, sagte Ishaka. „Ich kann Euer Misstrauen nachvollziehen, schließlich haben wir Euch dazu in der Vergangenheit genug Anlass gegeben. Aber die Duna sind wild, barbarisch und Euch weitgehend unbekannt. Und trotzdem schenkt Ihr ihnen mehr Vertrauen als uns?“
„Die Duna verfügen über ein beeindruckendes Wertesystem, das trotz ihres Nomadendaseins dem unseren näher ist als das Wertesystem Eures Volkes.“ Nur mit Mühe konnte der König von Kyralia seinen Zorn unterdrücken. Diese Unterhaltung führte zu nichts. „Sie sind weder unsere Verbündeten noch an einer Aufnahme in die Allianz interessiert. Zwischen ihnen und Kyralia hat nie ein Konflikt bestanden bis Marika sie in diesen Krieg hineingezogen hat. Wir teilen dieses spezielle Wissen mit ihnen als Akt der Wiedergutmachung und der Freundschaft und weil genügend Gründe dagegen sprechen, unsere Heiler bei ihnen leben zu lassen. Ihr hingegen wollt diese Allianz und Ihr habt eingewilligt, Euch das nötige Vertrauen zu verdienen. Wir geben Euch mehr, als wir nach alldem müssten. Wenn Euch das nicht mehr recht ist, dann empfehle ich, den Friedensvertrag für ungültig zu erklären. Doch in diesem Fall werdet Ihr weder Heiler bekommen, noch werden wir Eure Wirtschaft stärken. Und Eure Ödländer werden eine Wüste bleiben.“
Weder Ishaka noch Asara schien erfreut. Als Merin ihren Augen begegnete, nickten sie jedoch. „Ihr mögt kein Magier sein und doch fürchte ich, bleibt mir keine Wahl, als mich Euch zu fügen, Merin Sohn von Terrel“, sprach der Ashaki.
„Das ist eine Lektion, die zu lernen Euch guttut“, erwiderte Merin hart. „Nehmt zivilisierte Verhaltensweisen an, behandelt Eure Sklaven nach den neuen Gesetzen und gebt den Verrätern den Anteil an Eurer Politik, der ihnen zusteht. Dann können in einigen Jahren vielleicht Eure Kinder an unserer Universität studieren und jede Disziplin erlernen, die zu lernen sie wünschen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“
„Das habt Ihr“, antwortete Ishaka und Asara nickte grimmig.
„Verzeiht, dass wir uns ungerecht behandelt gefühlt haben“, sagte sie. „Wir stehen bereits mehr in Eurer Schuld, als wir je wiedergutmachen können.“
Nach allem, was Merin über die Gepflogenheiten der Sachakaner wusste, kam dies einer Unterwerfung gleich. Die Sachakaner würden niemals bereit sein, ihre Kultur oder die schwarze Magie komplett aufzugeben, doch solange Merin es gelang, an ihren gesunden Menschenverstand zu appellieren, glaubte er, damit leben zu können.
„Ich akzeptiere Eure Entschuldigung“, sprach er. Er wies zur Tür. „Doch nun würde ich vorschlagen, nach unten zu gehen. Sonst verpassen wir noch unser eigenes Festbankett.“
Ohne sich nach den beiden schwarzen Magiern umzudrehen, rauschte er aus dem Raum. Von irgendwo erschien Lord Rolden und schloss sich ihm an. Auf dem Weg zur Treppe begegnete er zwei schwarzgewandten Gestalten. Akkarin und Sonea. Als sie Merin erblickten, sanken sie auf ein Knie. „Erhebt Euch“, befahl Merin mit einer knappen Geste seiner Hand.
„Ich nehme an, das Heiler-Thema ist noch einmal zur Sprache gekommen?“, fragte Akkarin mit einem Blick auf die beiden Sachakaner.
„Das ist es“, sagte Merin grimmig. „Doch ich habe meinen Standpunkt noch einmal verdeutlicht und hoffe, dass dieses Thema damit aus der Welt geschafft ist.“
„Das wäre wünschenswert.“ Akkarin legte eine Hand zwischen die Schulterblätter seiner Frau und führte Merin folgend sie zur Treppe.
„Wie geht es Euch, Lady Sonea?“, fragte der König, während sie die Stufen hinabschritten.
„Gut“, antwortete sie. „Ein wenig müde, doch solange ich nicht den ganzen Abend stehen muss, wird es gehen.“
„Habt Ihr Euch bereits einen Namen für das Kind überlegt?“
„Das hat Zeit, bis wir wissen, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird“, antwortete der Hohe Lord.
„Fest steht bis jetzt nur, dass es ein elynischer Name wird“, fügte Sonea hinzu. „Auslandsadministrator Dannyl zuliebe. Er wird der Pate dieses Kindes.“
„Eine schöne Idee“, sagte Merin. „Eine lange Reise kann viel verändern.“
„Ja“, sagte Akkarins kleine Frau mit dem seltsamsten Lächeln, „das kann sie.“
Wo Sonea der Überzeugung war, in den vergangenen Wochen und Monaten mehr Absurditäten als in ihrem gesamten Leben davor gesehen zu haben, schien dieser Abend all dies zu übertreffen. Die Große Halle des Forts war erfüllt mit Musik, Gelächter und Magiern der unterschiedlichsten Völker. Einige Sklaven der Sachakaner musizierten – freiwillig, wie Takiro behauptet hatte – und mehrere Duna-Frauen führten dazu exotische Tänze auf. Entlang der Wände waren Tische und Bänke und Sitzgruppen von Sesseln oder Kissen verteilt und auf ihnen hatten sich die Angehörigen der verschiedenen Völker verteilt. Sie entdeckte sogar die Abgesandten der anderen Allianzstaaten bei jenen, mit denen die Verbündeten Länder in Zukunft intensivere Beziehungen pflegen würden. Der Anblick der in der Großen Halle versammelten Magier machte die Tatsache, dass der Kriegszustand nach zweieinhalb Jahren endlich aufgehoben war, indes nicht weniger absurd.
Sie und Akkarin hatten wenig zuvor in einer Sesselgruppe gesessen und sich mit Arikhai, seinem ältesten Berater und zwei anderen Kriegsherren unterhalten. Sonea war erfreut gewesen zu erfahren, dass die Duna das Recht erhalten hatten, zwei ihrer Magier pro Stamm zur Gilde zu schicken und zu Heilern ausbilden zu lassen. Irakhi würde einer der ersten sein. Da Arikhai als Strafe für seine Beihilfe bei Soneas und Dannyls Flucht aus Yukai für seinen jüngeren Bruder vorgesehen hatte, niemals höhere Magie zu erlernen und das Leben eines Sklaven zu führen, war dies eine überraschende und erfreuliche Wendung.
Jetzt saßen sie gemeinsam mit Ishaka, Takiro König Merin und Tarrekh in einer Gruppe von Kissen. Akkarin gab sich dabei, als wäre er selbst ein Ashaki, was für sich genommen schon beeindruckend war. Selbst auf einem Kissen wirkte er noch würdevoll, was nur zu einem geringen Teil daran lag, dass Sonea ihren Kopf auf seinen Schoß gelegt hatte.
Ishaka soll sehen, dass ich Akkarin gehöre, dachte sie. Trotzdem kam sie nicht umhin sich vorzustellen, dass das hier mehr als nur ein Spiel war. Akkarins kühle Finger strichen sachte über ihr Haar, das sie an diesem Abend offen trug, und ihre Stirn, während er und der König mit zwei der momentan wichtigsten Männer Sachakas sprachen. Sonea hätte sich an dem Gespräch beteiligen können, hätte sie das gewollt, doch sie war die ständigen Diskussionen um Politik und Allianzen leid. Sie sah sich als Kriegerin und zuweilen als Heilerin und ihre Schwangerschaft sorgte dafür, dass sie nach einem langen Tag rasch müde wurde. Von daher war es umso angenehmer, den Abend in einer liegenden Position verbringen zu können. Erst recht, wenn es Akkarins Strategie gegenüber den Sachakanern zugutekam.
Auch wenn es nur ein Spiel war – Sonea entschied, es zu genießen, solange es andauerte.
Die anderen Magier sahen in ihr und Akkarin vermutlich nur den Versuch einer Annäherung an die Sachakaner, indem sie deren Sitten übernahmen. Es hätte erst dann angefangen, seltsam zu wirken, hätte Sonea Akkarins Weinbecher gehalten. Sie ahnte jedoch, dass Akkarin sich nicht einmal im Privaten dazu durchringen würde.
Und Lady Vinara denkt wahrscheinlich, dass Liegen für mich besser ist, überlegte sie. Das Oberhaupt der Heiler war nicht gerade erfreut gewesen, weil Sonea schwanger auf diese Mission gegangen war. Soneas Erklärung, es erst bemerkt zu haben, als sie schon fast in Duna war, hatte sie nur kurzzeitig besänftigt, bevor eine Strafpredigt über Sonea hereingebrochen war, gegen die Akkarins anfänglicher Zorn einer leichten Verärgerung gleichkam. Dass Sonea den Zorn der Heilerin unbeeindruckt über sich hatte ergehen lassen, schien diese nur noch wütender gemacht zu haben.
„Ihr seid fast gestorben!“, hatte sie Sonea angefahren. „Wie konntet Ihr so verantwortungslos handeln?“
„Hätte ich nicht gekämpft, wären noch mehr unserer Krieger gestorben“, hatte Sonea erwidert. „Vielleicht hätten wir die Schlacht sogar verloren. Ihr könnt mich so viel schelten, wie Ihr wollt. Das Wohl der Gilde und Kyralias wird immer Vorrang vor meinem eigenen und dem meiner Familie haben.“
„Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Ashaki gegen die Bedingungen unseres Friedens rebellieren werden?“, fragte König Merin gerade. „Nur, dass sie Euch geholfen haben, Kachiros Anhänger zu vernichten, bedeutet nicht, dass sie mit Euren weiteren Aktionen einverstanden sind.“
„Die meisten Ashaki sind des Krieges leid und wünschen sich in erster Linie mehr Wohlstand für ihr Land“, antwortete Ishaka. „Ich gehe davon aus, dass nur wenige rebellieren werden, besonders wenn sie erfahren, dass die Verräter sie mit uns jagen werden.“
„Sollten die Ashaki Euch Schwierigkeiten bereiten, so wird Arikhai bereit sein, Euch zu unterstützen“, sprach Tarrekh. „Unser Stamm wünscht keine weiteren Unruhen bei unseren Verbündeten. Yukai hat gezeigt, wohin das führt.“
„Sollte es zu einem Bürgerkrieg kommen, so wird die Gilde ebenfalls ihre Unterstützung bieten“, fügte Akkarin hinzu. „Wir werden nicht denselben Fehler ein zweites Mal begehen und Sachaka sich selbst überlassen. Solange Sachaka nicht Mitglied der Allianz ist, stehen wir nicht in der Pflicht zu helfen, doch wir werden dennoch Hilfe anbieten, um die Bindungen zueinander zu stärken.“
Ishaka neigte den Kopf. „Ich weiß Eure Geste zu schätzen, Hoher Lord Akkarin“, sprach er. „Und ich sehe ein, dass dies die bessere Alternative zu Eurer Auslieferung ist.“
„Sich mit einem Volk zu verbünden, das das Potential hat, das eigene zu vernichten, ist auf eine gewisse Weise auch eine Form der Auslieferung“, bemerkte Akkarin, während er mit einer Strähne von Soneas Haar spielte.
Seine Worte ließen sie erschaudern. Ja, irgendwie war es das. Aber ob wir nun Beziehungen zu ihnen pflegen oder nicht – ohne schwarze Magie werden wir immer das leichte Ziel sein. Die Sachakaner würden nicht bereit sein, ihre Macht aufzugeben, das hatte Ishaka deutlich gemacht. Die Verbündeten Länder hatten die Möglichkeit einer Aufnahme in ihre Allianz dennoch zur Aussicht gestellt, sollte Sachaka sich in den folgenden Jahren als dessen würdig erweisen. Sie konnten schwarze Magie nicht der einen Hälfte Sachakas verbieten, während die andere sie weiterhin praktizierte. Zudem gab es noch andere Völker, die diese praktizierten. So wie die Duna.
Sonea selbst sah keinen Sinn in einem Verbot schwarzer Magie. Dieses galt einzig einer Absicherung gegenüber der Gilde und der Bevölkerung der Verbündeten Länder. Sie und Akkarin waren nicht mehr die Einzigen, die schwarze Magie weder als gut noch als böse ansahen und Sonea fand, allein deswegen wäre es heuchlerisch, sie den Sachakanern zu verbieten. Der König hat den Dieben eine offizielle Machtstellung gegeben, wodurch sich die Situation in den Hüttenvierteln verbessert hat, dachte sie. Und auch für unser Verhältnis zu den Sachakanern wird es besser sein, ihnen ihre Macht weiterhin zuzugestehen.
Die Probleme lagen in Soneas Augen an anderer Stelle. Doch in dieser Hinsicht würde vielen Sachakanern in den nächsten Jahren eine Verbesserung widerfahren. Diese lag Sonea beinahe mehr am Herzen als das Wohl der Hüttenleute.
- Da möchte jemand mit dir sprechen.
Sonea zuckte zusammen. Das Bild, das Akkarin ihr sandte, zuordnend sah sie sich in der Halle um. Dann erblickte sie eine Frau in engen Hosen, Stiefeln und einer weiten Bluse, die an einem Fenstersims lehnte und zu ihnen sah.
Asara.
- Kann ich dich mit den anderen allein lassen?, fragte sie.
- Geh nur. Es ist der letzte Abend.
Sonea richtete sich auf und glättete ihr Haar. Akkarin musterte sie mit missbilligend. „Habe ich die Erlaubnis, mich für eine kurze Weile zu entfernen?“, fragte sie. „Jemand wünscht ein Gespräch mit mir zu führen.“
Ishaka hob vielsagend die Augenbrauen.
„Du kannst gehen.“ Akkarins Hand langte in Soneas Nacken und er küsste sie kurz und besitzergreifend. Sonea spürte, wie sich etwas in ihr zu regen begann, was sie in diesem Moment lieber abgestellt hätte.
Es ist nur ein Spiel, rief sie sich ins Gedächtnis. Er ist nicht mehr bereit, weiter zu gehen, als es bis Marika der Fall war. Wir tun dies nur, damit die Sachakaner Akkarin respektieren. Aber Sonea konnte es nicht auf sich beruhen lassen. Sie wollte es nicht auf sich beruhen lassen. Nicht nach den Erkenntnissen, die sie auf ihrer Reise über sich selbst gewonnen hatte.
„Bitte entschuldigt mich.“ In einer fließenden Bewegung stand sie auf und strich ihre Robe glatt. Dann schritt sie, ihr Getränk in einer Hand zu Asara.
Die Verräterin lächelte, als Sonea näherkam. „Wir hatten kaum Gelegenheit, uns zu unterhalten“, sagte sie.
„Ja, leider“, stimmte Sonea zu. „Die letzten beiden Wochen waren … wild … wie man dort, wo ich herkomme, sagt.“
„Du hast deinen Mann wiedergesehen und musstest dich von der langen Reise erholen.“ Asara musterte sie. „Aber du siehst besser aus als kurz nach der Schlacht.“
„Ich habe viel geschlafen.“ Sonea nippte an ihrem Pachisaft. „Und was ist mit dir? Du bist sicher froh, dass die Duna dich nicht hinrichten.“
Asara nickte. „Dannyl und dein Mann haben viel dafür getan, aber letztendlich war es Arikhais Entscheidung. Er hat ihre Argumente an seine Leute getragen.“
„Ich würde mich fragen, ob wir uns nicht in ihm getäuscht hätten, hätte er das nicht getan“, sagte Sonea. Sie sah sich um. Es war laut, voll und stickig und sie begann sich unwohl zu fühlen. „Wollen wir irgendwohin gehen, wo wir ungestört reden können?“
„Eine gute Idee.“ Die Verräterin stieß sich vom Fenstersims ab. „Ich könnte selbst ein wenig frische Luft vertragen.“
Mit einem kurzen Blick zu Akkarin, dessen dunkle Augen für einen Moment zu ihr blitzten, führte Sonea die Verräterin aus der großen Halle.
„Wie ist es, Akkarins Bettsklavin zu spielen?“, fragte Asara, während sie in die höheren Ebenen des Forts stiegen.
Sonea zuckte zusammen. „Ist es so überzeugend?“
„Überzeugend genug für Ishaka und Takiro“, erwiderte Asara erheitert. „Doch es ist nicht zu übersehen, dass mehr dahintersteckt.“
Sonea spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. War es das? „Da du meine Vorlieben nun kennst, ist es sicher nicht schwer zu erraten.“
„Ich meinte deinen Mann. Oder sollte ich besser dein Meister sagen?“
Sonea bedachte die andere Frau mit einem finsteren Blick. „Er bevorzugt Hoher Lord“, sagte sie knapp. Warum darüber reden, wenn er seine Entscheidung bereits getroffen hat?, dachte sie unwirsch. Sie wusste nicht einmal, ob es ihr überhaupt gelang, ihn davon zu überzeugen, das zu vertiefen jetzt, wo sie ihren Frieden mit Marika geschlossen hatte. Er schien fest entschlossen, nicht die Grenze zu überschreiten, die er vor ihrer Entführung gezogen hatte. Sonea missfiel das. Sie wusste, wie erfüllend es jenseits dieser Grenze war.
Allerdings war sie sicher, es würde noch besser sein, wenn er auch noch die Grenze überschritt, die aus dem Spiel etwas Ernsthaftes machen würde. Und das hatte er bis heute nicht getan.
„Es sieht auch von seiner Seite so aus“, sagte Asara. „Nach allem, was du mir erzählt hast, würde ich vermuten, er nutzt die Situation, um herauszufinden, wie weit er gehen kann, ohne die Kontrolle zu verlieren.“
Auf halbem Absatz hielt Sonea inne. „Woran machst du das fest?“
Die Verräterin hob die Schultern. „Beobachtungsgabe. Die Frage ist nur, ob es ihm gelingt, seine Gefühle für dich und seine Vorlieben in Einklang mit seinem Kontrollzwang zu bringen. Wenn dir so viel daran liegt, dann hilf ihm dabei. Es wird eure Beziehung vertiefen.“
Im Idealfall konnte es das. Aber es konnte auch alles verkomplizieren. Sonea begann erstmals ernsthaft zu glauben, dass sie eine Chance hatte, Akkarin von ihren Vorstellungen zu überzeugen. Schließlich hatte sich das größte Problem diesbezüglich von selbst gelöst. Wenn er sich weiterhin zurückhielt, obwohl er mehr wollte, würde er auf Dauer ebenso wenig glücklich wie sie.
Die restlichen Stufen stiegen sie schweigend empor. Sonea hatte keine Lust, dieses Thema mit Asara zu diskutieren. Sie selbst wusste am besten, wie sie Akkarin zu etwas brachte, dem er sich versperrte. Sie hatte es oft genug getan und vielleicht konnte sie seine dunkle Seite dabei zu ihrem Vorteil nutzen.
Zu unserem Vorteil, korrigierte sie sich. Denn sie beide wollten dasselbe.
Am nächsten Tag würden sie endlich nach Imardin zurückreisen. Damit blieb ihr noch eine eintönige Woche des Reitens, um sich darüber klarzuwerden, wie sie diese Sache am besten anging.
„Haben du und deine Schwestern schon entschieden, was mit Savedra geschieht?“, fragte sie, als sie den Turm betraten. Der Wind hatte sich gelegt und über ihnen glitzerte ein silbernes Band aus Sternen.
„Noch nicht. Die eine Hälfte meiner Schwestern bevorzugt, sie und Illara in unser Loch zu werfen, die anderen würden sie gerne an einen Ashaki, der für seine Grausamkeit bekannt ist, verschachern. Dafür wären sie sogar bereit, eine Ausnahme in unserem Friedensvertrag zu machen.“ Sich gegen die Brüstung lehnend lächelte sie humorlos. „Trotz allem, was in Sachaka falsch läuft, kann ich ihnen das nur schwer verübeln.“
„Ich auch nicht“, sagte Sonea sich an die zahlreichen Demütigungen und Bestrafungen Marikas erinnernd. Bevor das zwischen ihnen unangemessene Ausmaße angenommen hatte. „Einige Sachakaner sind ziemlich gut darin, einem zu zeigen, wo dessen Platz ihrer Meinung nach zu sein hat.“
„Allerdings“, stimmte die Verräterin grimmig zu.
Sonea lehnte sich neben sie. „Ich bin sicher, ihr werdet die richtige Entscheidung treffen.“
„So viel wird sich von nun an ändern“, sagte Asara mehr zu sich selbst. „Mein Volk ist geschwächt und ich kann nur hoffen, dass die Ashaki sich an die Vereinbarung halten.“
„Die Chancen darauf stehen besser denn je“, erwiderte Sonea.
„Ja. Doch es wird immer jene geben, denen es nach Rache für irgendein noch nicht gesühntes Unrecht verlangt.“
So wie mein Mord an ihrem König … „Ishaka wird wahrscheinlich der neue Imperator“, sagte Sonea. „Er wird jemanden brauchen, der ihm die Stirn bieten kann. Du könntest eine sehr gute Anführerin sein, Asara.“
Zu ihrer Erheiterung verzog Asara das Gesicht. „Irgendwie findet das in letzter Zeit jeder.“
„Weil es die Wahrheit ist. Du hast nicht nur Savedras Verrat aufgedeckt. Dank dir haben sich viele deiner Leute gegen Savedra gestellt und dazu beigetragen, die Schlacht zu unseren Gunsten zu wenden. Es ist dir sogar gelungen, Arikhai und die Ashaki für dich zu gewinnen.“
„Bis heute Morgen war ich noch überzeugt, ich würde in wenigen Wochen sterben.“
Sonea verdrehte die Augen. „Ist das alles, was dich davon abhält, die neue Große Mutter zu werden?“
Asara seufzte. „Ich bin nicht dafür geschaffen, Sonea. Obwohl ich seit Jahren in Arvice lebe, bin ich in meinem Herzen noch immer Söldnerin. Ich bin Einzelgängerin und bei großen Entscheidungen eher geneigt, mich unterzuordnen. Ich scheuche allenfalls Informanten und Ashaki herum.“
„Anführer und Einzelgänger sein widerspricht sich nicht“, entgegnete Sonea. „Du würdest eine herausragende Stellung in deinem Volk haben. Die anderen würden dich noch mehr respektieren, als sie es jetzt schon tun. Das schafft Distanz.“
„Die Große Mutter ist nicht wie der König von Sachaka oder dein Hoher Lord. Wir ziehen es vor, das Machtgefälle gering zu halten.“
„Du könntest Vikacha in die Zuflucht holen. Du könntest durchsetzen, dass die Männer der Verräter niedere Magie gelehrt wird und sie nicht so etwas wie bessere Sklaven sind. Du könntest dein Volk in etwas verwandeln, das nicht mehr das krasse Gegenteil der Ashaki ist. Ihr braucht diese Annäherung sogar, wenn ihr in Zukunft zusammenarbeiten wollt.“
Asaras Miene verhärtete sich, ihre Augen hatten jedoch zu leuchten begannen. Sonea begriff, sie hatten gerade ein zweites Thema gefunden, bei dem ihre Sturheit ihnen in den Weg kam. Und sie waren dabei, einander vom Unmöglichen zu überzeugen.
„Du bist eine bemerkenswerte Frau, Sonea“, sagte die Verräterin plötzlich. „Es würde mich wundern, wenn es dir nicht gelingt, dass dein Mann dir aus der Hand frisst.“
„Er ist auf seine eigene Weise stur.“
„Das ist mir auch schon aufgefallen.“ Asara drehte sich mit dem Rücken zur Brüstung, die Arme auf dem Mauerwerk ruhend. „Wusstest du, dass ich mit dem Gedanken gespielt hatte, dich zu verführen?“
Spürend, wie die Röte in ihre Wangen stieg, wandte Sonea den Kopf. „Nein.“ Sie nippte an ihrem Saft. „Willst du es noch immer?“
„Obwohl es unangemessen wäre, hat die Vorstellung einen gewissen Reiz. Aber du bist verheiratet und ich bezweifle, dass dein Mann es erlauben würde.“
„Soll ich ihn fragen?“
Sie lachten.
„Du würdest das tun, nicht wahr?“, fragte Asara. „Auch wenn es dich noch so sehr beschämt.“
„Sonst wäre es nur der halbe Spaß, nicht wahr?“
„Wahrscheinlich ja.“
„Asara, wie kannst du als Verräterin eine solche Beziehung wie die von mir und Akkarin gutheißen?“, fragte Sonea. „Das widerspricht doch allem, wogegen dein Volk kämpft.“
„Nein“, sagte Asara. „Das tut es nicht. Gäbe es Anzeichen, dass dein Mann dich schlecht behandelt und du unglücklich bist, dann würde ich etwas dagegen unternehmen. Würde ich überzeugt sein, dass du das alles nur willst, weil Marika etwas in dir zerstört hat, würde ich dir den Kopf zurechtrücken. Doch das ist beides nicht der Fall. Aus demselben Grund befreien die Verräter keine Sklavinnen, die eine Beziehung zu ihrem Meister unterhalten so wie Ishaka und Sari.“
Weil es bei ihnen mehr war. Nur, dass Frauen wie Sari keine Wahl gehabt hatten und ihre Gefühle sich im Laufe der Zeit entwickelt hatten. Wahrscheinlich funktionierte das nur, wenn man von seinem Meister gut behandelt wurde. Sie hingegen hatte diese Beziehung ebenso sehr gewollt wie Akkarin. Und dann hatte eins zum anderen geführt. Sonea bezweifelte, sie würde so für Akkarin empfinden, würde dieses Machtgefälle zwischen ihnen und seine natürliche Autorität sie nicht so sehr ansprechen.
Akkarin saß noch immer bei Merin und den Ashaki. Als Sonea und Asara die große Halle betraten, huschten seine dunklen Augen zu ihr und blieben auf ihr ruhen, bis Sonea die Gruppe wieder erreicht hatte und sich an seiner Seite niederließ.
Mit einer unauffälligen, aber umso dominanteren Bewegung zog er unter Ishakas wissendem Blick ihren Kopf auf seinen Schoß. „Mach es dir auf den Kissen bequem“, murmelte er.
Sonea gehorchte bereitwillig und nicht ohne einen leisen Kitzel der Erregung zu verspüren. Mit einem Mal kam sie nicht umhin, ihre morgige Abreise zu bedauern. Hätte sie die Zeit in Yukai nicht gebraucht, um mit sich ins Reine zu kommen, so hätte sie Ishaka auf diese Weise besser ertragen. Doch es war gut gewesen, dass Akkarin nicht dort gewesen war.
- Du kannst Asara sagen, dass ich nichts dagegen habe.
Sonea zuckte zusammen. Sie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg, und sie fragte sich, was Ishaka von ihr denken mochte. Gewiss würde ihm das nicht entgehen.
- Hast du uns belauscht?
- Nicht absichtlich. Ich wollte nach dir sehen, als ihr nach einer Weile nicht zurück wart, und habe genau in diesem Moment zugesehen.
Sonea unterdrückte ein Schnauben. Natürlich hatte er das.
- Aber …, begann sie. Ich bin deine Frau. Ich gehöre dir.
- Nur, dass ich keinen anderen Mann in deinem Leben dulde, heißt das nicht, dass du dich nicht mit Frauen amüsieren darfst, sandte er. Ich bin kein prüder Kyralier, Sonea.
- Nein, das bist du nicht, stimmte sie ein Schnauben unterdrückend zu. Und das ist auch gut so.
Nichtsdestotrotz konnte Sonea sich nicht ernsthaft vorstellen, sich jemals in eine andere Frau als Danyara zu verlieben. Und diese hasste sie inzwischen mit Sicherheit.
Ah, aber es wäre etwas anderes, würde er es mir befehlen!
Ja, sie war unanständig. Nur irgendwie hatte es aufgehört, ihr gegenüber Akkarin etwas auszumachen. Solange er auf dieselbe Weise unanständig war, brauchte sie sich deswegen nicht sorgen.
- Wenn es das ist, was du willst, ließe sich ein Weg finden.
Sonea zuckte erneut zusammen.
- Kannst du damit aufhören?
- Ah, warum schreist du mir dann deine unanständigen Gedanken entgegen, anstatt sie in deinem Geheimniswahrer zu verstecken?
Statt einer Antwort sandte Sonea ihm ihren Unwillen. Sollte das später in ihrem Quartier ’Konsequenzen’ haben, so war ihr das nur recht. Allerdings hatte sie so eine Ahnung, dass dieses Spiel dann vorbei sein würde. Glücklicherweise waren diese Gedanken zu sehr mit dem verbunden, was sie all die Zeit in Yukai vor Akkarin verborgen hatte. Denn sie konnte spüren, wie ihre Reaktion ihn erheiterte und seine Finger ihre Streicheleinheiten intensivierten.
Als Asara an diesem Morgen erwachte, fühlte sie sich so voller Tatendrang, wie sie sich seit ihren Tagen als Söldnerin nicht mehr gefühlt hatte. Heute würde etwas Neues beginnen. Jedoch nicht nur für sie, sondern für ihr Volk und für ganz Sachaka. Heute war der erste Tag einer neuen Ära.
Und heute würde es endlich nach Hause gehen.
Asaras Kopf schwirrte noch von dem kyralischen Wein, den sie auf der Feier am vergangenen Abend getrunken hatte. Nach ihrem Gespräch mit Sonea hatte sie mit dem schönen Gildenmagier und seinem Geliebten, geplaudert, bevor sie mit Arikhai, Taki und Tarrekh und zuletzt Lenyaka und einigen ihrer Schwestern gesprochen hatte. Es war ein großartiger Abend gewesen und ihr Instinkt sagte ihr, dass von nun an bessere Zeiten für Sachaka anbrechen würden.
Und Vikacha und ich werden endlich wieder vereint sein.
Asara hatte ihrem Gefährten nicht erzählt, dass sie knapp einer Hinrichtung entkommen war. Es hätte nichts geändert und Vikacha hätte die vergangenen beiden Wochen damit verbracht, sich um sie zu grämen. Noch war offen, ob Asara nach Arvice zurückkehren und die Verräter dort offiziell vertreten oder in der Zuflucht bleiben würde – für sie stand einzig fest, dass Vikacha dort sein würde, wo sie war. Die genaue Entscheidung würde fallen, wenn ihre Schwestern sich neu organisiert hatten. Es gab so unglaublich viel zu entscheiden. Die meisten ihrer Schwestern waren aufgeflogen und konnten nicht mehr als Ehefrauen von Ashaki leben. Einige waren ihren Männern bei der Schlacht in den fruchtbaren Regionen oder am Fort begegnet und jene, die auf derselben Seite standen, mussten nun entscheiden, wie sie weitermachen sollten.
Für ihre neue Aufgabe brauchen die Verräter sich jedoch nicht zu verstecken. Wenn es nach Asara ging, würden sie auf den Anwesen leben, die nun leer standen. Der Großteil ihres Volkes würde jedoch weiterhin an dem geheimen Ort in den Bergen leben. Die Zuflucht gab ihnen Sicherheit und sollte sich ihre Zusammenarbeit mit den Ashaki als Fehler herausstellen, so würden sie ihr Versteck als Rückzugsort brauchen. Dort lebten all jene, die sie aus ihrem Elend befreit hatten und die aus dem einen oder anderen Grund keine Magie erlernt hatten. Und dort bildeten die Verräter ihre Magierinnen aus.
Über den schroffen Felsen vor Asaras Fenster dämmerte ein grauer Morgen, als sie entschied, aufzustehen und ein letztes Mal die heißen Quellen unter dem Fort zu besuchen, wo die Gildenmagier ein natürliches Bad eingerichtet hatten. Jener Ort tief unter der Festung erinnerte Asara an die heißen Quellen im Heimatberg, wo ihr Volk seine Bäder hatte. Von dem unwirtlichen Bauwerk war dies der einzige Ort, der ihr ein Gefühl von Zuhause vermittelte.
Sie fand Varala, Lenyaka und Estara in einem der Becken. Rasch entledigte Asara sich ihrer Kleidung und ließ sich zu ihnen in das warme Wasser gleiten.
„Ah“, machte sie, während sich die Hitze in jede ihrer Poren brannte. „Das ist genau das Richtige vor einer langen Reise!“
„Und wir sind die Ersten“, sagte Estara. „Die Gildenmagier kommen frühestens bei Sonnenaufgang.“
„Sofern sie überhaupt kommen“, sagte Lenyaka. „Ich habe mir sagen lassen, dass sie nach Hause wollen.“
„Das wollen wir alle.“ Die Augen schließend tauchte Asara unter. „Es ist beinahe ein halbes Jahr her, dass ich in Arvice war.“
„Und vielleicht wirst du niemals wieder dorthin zurückkehren“, erwiderte Varala augenzwinkernd.
„Ich hätte nichts dagegen, den neuen Imperator zu beraten“, entgegnete Asara. „Nach mehr als drei Monaten mit Takiro und Ishaka bin ich sicher, dass ich mit ihnen fertig werde.“
„Das bezweifelt auch niemand. Aber wenn du in der Zuflucht gebraucht wirst, dann wird jemand anderes diese Aufgabe übernehmen müssen. So wie Anjiaka.“
„Anjiaka ist jähzornig. Sie wird eher Streit provozieren, als die Ashaki zurechtzuweisen.“
„Der Imperator braucht keine diplomatische Beraterin in Arvice, wenn die neue Große Mutter über diese Fähigkeiten verfügt. Bei wichtigen Entscheidungen könnte sie per Blutjuwel an den Diskussionen teilnehmen.“
Entnervt verdrehte Asara die Augen. „Geht das schon wieder los?“
„Mit dir als Großer Mutter haben wir die Duna so gut wie als Verbündete gewonnen“, sagte Lenyaka.
„Falsch und falsch. Arikhai mag mir die Strafe für den Mord an seinem Vater erlassen haben, aber das macht noch lange nicht ungeschehen, dass ich sein Vertrauen in mich gestört habe. Und ich kann mich nicht erinnern, wann wir beschlossen haben, die Rebellen wieder aufzunehmen.“
„Du hast gesagt, ihr würdet über unsere Taten richten. Doch nach allem, was wir getan haben, um gegen Divako zu arbeiten, wärt ihr dumm, uns nicht zu verzeihen. Damit gehören wir nahezu wieder zu den Verrätern.“
„Wo sie recht hat, hat sie recht“, bemerkte Varala zähneknirschend. „Zudem können wir jede fähige Magierin gut gebrauchen.“ Sie bedachte Asara mit einem strengen Blick. „Liebes, deine Schwestern verehren dich nahezu. Du solltest dir das noch einmal durch den Kopf gehenlassen.“
„Du weißt, dass ich Vikacha in die Zuflucht holen und in höherer Magie unterweisen würde?“, fragte Asara.
„Einen besseren Zeitpunkt, um ein paar eingestaubte Regeln zu ändern, wird es wohl kaum geben, oder?“, gab Lenyaka zurück. „Sieh es als Akt der Annäherung zu den Ashaki. Und überhaupt würden die Männer der Verräter auf diese Weise interessanter werden. Wenn wir nicht bald selbst ein paar höhere Magier haben, gehe ich freiwillig zu den Duna.“
Asara seufzte. „Glaubt nicht, ihr könntet mich zu irgendetwas überreden!“, rief sie. „Ich werde mich auf nichts einlassen, wovon ich nicht absolut überzeugt bin und was sich nicht realisieren lässt.“ Sie griff nach der Seife. „Und jetzt will ich nichts mehr davon hören.“
Ihre Schwestern und Lenyaka respektierten ihren Wunsch auf eine Weise, die Asara befürchten ließ, schon inoffiziell von ihnen zur neuen Großen Mutter ernannt worden zu sein, und verfielen in Rassook-ähnliches Geschnatter über die Männer der Duna. Ihre Stimmen ausblendend entspannte Asara sich und genoss die Wärme des Wassers.
- Asara, geliebte Meisterin!
Sie schrak auf.
- Vikacha! Kannst du damit aufhören?
- Du bist weit fort und ich fürchte, ich bin inzwischen ganz verwildert.
- Pass lieber auf, dass ich bei meiner Rückkehr meine Grundsätze nicht vergesse und dich angemessen erziehe, gab sie zurück.
- Du würdest dich langweilen, geliebte Meisterin.
- Die Enrasa-Partie geht an dich. Ist irgendetwas passiert oder hattest du Sehnsucht?
- Beides. Gestern wurde Mivara gesehen, als sie mit Tarko auf dem Weg zum Palast war. Ich dachte, das würde dich …
Aufgeregt setzte Asara sich auf und erntete dabei die Proteste ihrer Schwestern, als diese von einem unerwarteten Schwall heißen Wassers getroffen wurden.
- Mivara! Sie lebt?
- Ja und es schien ihr hervorragend zu gehen.
- Was soll das heißen?, verlangte Asara zu wissen. Was hat Tarko ihr angetan?
- Nun, nach allem, was man mir berichtet hat, schien sie ziemlich glücklich zu sein.
Asaras Herz setzte einen Schlag aus. Sie hatte etwas Derartiges befürchtet, seit Mivara erklärt hatte, sie wolle unbedingt in Tarkos Haushalt eingeschleust werden. Deswegen war sie auch dagegen gewesen. Es geschah nur selten, eine gute Informantin auf diese Weise zu verlieren, doch es geschah gelegentlich, dass eine Verräterin anfing, Gefühle für den Mann zu entwickeln, dessen Sklavin sie spielte. Sie zu retten war ähnlich sinnlos, wie jene Sklaven, die nicht gerettet werden wollten.
Trotzdem wollte Asara zumindest versuchen, Mivara zur Vernunft zu bringen.
- Lass Mivara eine Nachricht zukommen, dass ihr Auftrag beendet ist, sandte Asara. Schick wenn nötig Anjiaka bei Tarko vorbei.
- Das wird Anjiaka freuen, doch ich bezweifle, dass sie Erfolg hat, selbst wenn Tarko sie gehenlassen würde.
- Anjiaka hat sich so sehr dafür eingesetzt, dass Mivara zu Tarko kommt, da soll sie auch zusehen, wie sie Mivara dort wieder herausholt. Und es ist mir egal, ob Mivara das will oder nicht.
„Was ist los, Liebes?“, hörte sie Varalas Stimme.
Unwillig öffnete Asara die Augen. „Mivara. Sie will bei Tarko bleiben.“
„Also hat er sie am Leben gelassen?“
„Ja.“
Lenyaka pfiff leise durch die Zähne. „Wenn sie ihre Erfüllung gefunden hat, solltest du sie gehenlassen.“
„Davon abgesehen könnte sie uns auch dort von Nutzen sein“, fügte Varala hinzu. „So wie ich das sehe, wissen in Arvice nur einige wenige von ihrer Identität. Sie und Tarko könnten …“
„Nein“, sagte Asara scharf.
Nachdem sie sich mit Magie getrocknet und wieder in ihre Kleider gestiegen war, flocht Asara ihr Haar zu einem strengen Zopf. Ihre Laune hatte sich durch die Bemerkungen ihrer Schwestern über Mivara und Tarko nicht gerade gebessert. Sie wusste selbst, dass ihr vielleicht keine andere Wahl blieb, als Mivara ihren Willen zu lassen. Sie halfen misshandelten Frauen, aber sie waren keine Tyrannen. Und wenn Mivara mit ihrem Ashaki glücklich war, dann musste Asara das respektieren.
Doch deswegen musste ihr das noch lange nicht gefallen.
Auf dem Weg nach oben kamen ihnen einige Gildenmagier entgegen, die vor ihrer Heimreise anscheinend noch ein schnelles Bad nehmen wollten. Für sie muss es eine ähnliche Katastrophe sein, sich mehr als zwei Tage am Stück nicht waschen zu können, wie für die Ashaki, dachte Asara amüsiert.
Eine Ebene über den Bädern verließen sie die Treppe und bogen in einen Tunnel ein, der nur von einer trüben Lichtkugel erleuchtet wurde. Entlang der Wände waren mehrere schwere Türen aus Metall in die Wand eingelassen. Zwei dieser Türen wurden von Asaras Schwestern bewacht.
„Aufmachen“, befahl Asara mit einer unwirschen Bewegung ihrer Hand.
Ihre Schwestern starrten auf die Türen und diese schwangen auf.
„Ihr könnt nun herauskommen“, sagte Asara. „Wir werden euch nun zurück in die Zuflucht bringen.“
Leise Schritte erklangen, dann traten Savedra und Illara aus den Zellen. Die Gefangenschaft schien ihnen nicht gutgetan zu haben, auch wenn seit ihrer Einkerkerung nur wenige Tage vergangen waren. Ihre Gesichter waren fahl, ihre Augen leblos. Asara nahm an, die Tatsache, dass man sie ihrer Magie beraubt hatte, hatte ihr Übriges getan. Nichtsdestotrotz hielt Savedra den Kopf hoch erhoben und tat es immer noch, als ihre Bewacherinnen ihr und Illara Ringe aus Eisen um Hals und Handgelenke legten und sie aneinander fesselten.
Ob sie die Fassade aufrechterhalten kann, wenn sie gleich den Ashaki gegenübertritt?, fragte Asara sich. Auch diese würden an diesem Tag abreisen, denn auch für sie gab es genug zu erledigen. Mit Sicherheit warteten sie bereits im Hof.
Mit Varala an ihrer Seite stieg Asara hinauf in das Erdgeschoss des Forts. Die Gefangenen und ihre Wächterinnen folgten, Estara und Lenyaka bildeten das Ende des kleinen Zuges.
Asara hatte recht behalten. Im Hof wimmelte es von Ashaki, Gildenmagiern und Verrätern. Arikhai stand bei Sonea, Dannyl und dem Anführer der Gildenmagier. Der Kriegsherr und einige Duna wollten die Gilde sehen, bevor sie ein paar ihrer Leute dorthin schickten, um sie als Heiler ausbilden zu lassen. Obwohl Asara verärgert war, weil ihr Volk seine Leute nicht zu Heilern ausbilden lassen konnte, verstand sie auch, warum den Duna die Erlaubnis gegeben worden war.
Als sie und Varala durch die Menge schritten, wandten sich nach und nach alle ihr und ihren Begleiterinnen zu. An ihren Blicken und ihrem Gemurmel konnte Asara ablesen, dass ihr Hauptaugenmerk den Gefangenen galt. Sie warf einen Blick über die Schulter. Savedra und ihr Schatten schritten hocherhobenen Hauptes durch die Menge. Asara glaubte jedoch, unter ihrer Miene des Trotzes Anzeichen von Stress zu sehen.
Mit einem zufriedenen Lächeln löste sie sich von ihren Schwestern und trat zu Sonea und Dannyl.
„Und wieder einmal trennen sich unsere Wege auf unbestimmte Zeit“, sagte sie, nachdem sie einander begrüßt hatten.
„Es wird sicher nicht das letzte Mal gewesen sein“, erwiderte der schöne Gildenmagier. „Auch wenn ich fürchte, die Zeiten, in denen Ihr mir das Leben gerettet habt, sind nun endgültig vorbei.“
„Wer weiß, ob sie das wirklich sind?“, fragte Asara. „Nach allem, was ich gehört habe, wird Eure Gilde bald Diplomaten in Sachaka brauchen.“
„Aber nicht den Auslandsadministrator“, erklärte der Liebhaber des schönen Gildenmagiers.
„Das nicht, doch in diesem Fall werde ich vielleicht hin und wieder nach Sachaka reisen.“ Dannyl sah zu dem rothaarigen Elyner, der in Asaras Augen nicht weniger schön war, als Dannyl selbst. „Und da es in Sachaka nun bald sicherer sein wird, müsstest du auch nicht mehr zurückbleiben.“
„Oh, das wäre großartig!“, rief sein Liebhaber erfreut.
„Nun, in dem Fall könntet Ihr dennoch eine Eskorte gebrauchen“, sagte Asara.
Dannyl zwinkerte ihr zu. „Sofern Ihr dann noch zur Verfügung steht.“
Asara unterdrückte ein Schnauben. „Macht weiter so und ich werde mit Arikhai nach Duna gehen.“
„Ich werde ein Volk nicht seiner Anführerin berauben“, erwiderte der Kriegsherr.
Das muss eine Verschwörung sein, dachte Asara. Ob Arikhai daran einen Anteil hat, weil er der Meinung ist, das ist schlimmer als die Strafe, die sein Volk mir hätte auferlegen können? „Asara, Liebes!“, rief Lenyaka. „Komm jetzt. Dannyl ist fertig gesattelt und bepackt.“
„Ihr habt Euer Pferd nach mir benannt?“
Erheitert wandte Asara sich um. „Es erschien mir ein passender Name für einen Reisegefährten.“ Sie beugte sich vor und küsste Dannyl auf beide Wangen. „Lebt wohl. Bis wir uns wiedersehen.“
„Ihr auch“, sagte Dannyl ihre Geste erwidernd. „Ich wünsche Euch alles Gute.“
„Gute Heimreise“, wünschte Asara dem Anführer der Gildenmagier und seiner Frau.
„Ich nehme an, wir sehen einander, wenn das Bündnis offiziell besiegelt wird?“, fragte Akkarin.
Asara nickte. „Ich werde dabei sein wollen.“ Sie trat zu Sonea und umarmte sie. „Wir sehen uns dann.“
- Wenn er sich weigert, dann werde ich ihm bei unserem Wiedersehen die Meinung sagen.
- Und du meinst, auf dich hört er eher?
- Ich habe schon ganz anderen Männern die Meinung gesagt. Wenn auch es mal etwas Neues wäre, einem von ihnen das Gegenteil meiner sonstigen Predigten zu halten.
- Allein um das zu erleben, bin ich versucht, mir keine Mühe bei meiner Überzeugungsarbeit zu geben.
Erheitert küsste Asara sie auf beide Wangen. „Ich bin sicher, du schaffst das auch ohne meine Hilfe.“
Akkarins fragenden Blick ignorierend wandte sie sich zu dem letzten Mann in der Runde. „Ich stehe in Eurer Schuld, weil Ihr Euch entschieden habt, mir zu verzeihen. Damit habt Ihr wiederholt Größe bewiesen.“
„Ich kann nicht gerade behaupten, dass es angenehm wäre, zu wissen, wer meinen Vater getötet hat“, sprach Arikhai. „Doch ich verstehe auch die Umstände und sehe einen Teil der Schuld jetzt bei ihm selbst und seiner Entscheidung, sich an diesem Krieg zu beteiligen. Hättet nicht Ihr ihn getötet, so wäre er möglicherweise im Kampf gestorben. Und ich kann nicht behaupten, ganz ohne Schuld zu sein.“
Nein, denn du hast deine zweite Frau und beinahe auch deinen Bruder getötet, weil du sie für Verräter gehalten hast …
„Damit wären wir also quitt?“, fragte Asara.
„Ja.“
Sie neigte den Kopf und wollte gehen. Dann hielt sie jedoch noch einmal inne.
„Eine Frage hätte ich dennoch.“
„Sprecht.“
„Wie kam es, dass Eure Krieger bei dem Angriff auf das Fort so viel stärker waren als die Ashaki?“, fragte sie. Sie hatte die Geschichte inzwischen von so vielen ihrer Schwestern, aber auch von den Gildenmagiern und den Ashaki gehört, dass sie zweifelte, es handelte sich dabei um eine Übertreibung.
„Der Kristall“, sagte Arikhai. „Die alten Priester haben über Generationen ihre Magie dort drin gespeichert.“
„Ich dachte, er wäre heilig.“
„Einen heiligeren Zweck als unser Heiligtum zu rächen hätte es kaum geben können“, erwiderte der Duna.
„Jetzt wird mir so einiges klar“, murmelte Dannyl.
„Ohne die Schilddiebe wären wir verloren gewesen“, murmelte Sonea.
Und auch Asara begriff nun den wahren Grund für das Verschwinden des Kristalls am Tag nach der Zerstörung des Tempels. In der Zeit, die seitdem verstrichen war, hatte sie sich oft gefragt, ob ihre Erinnerung ihr nicht einen Streich gespielt hatte und der Kristall nicht bereits verschwunden gewesen war, als sie Arikhai und Divako belauscht hatte. Doch jetzt begriff sie, der Kriegsherr hatte ihn an sich genommen und damit seine Krieger und die der anderen Stämme für seinen Rachefeldzug gestärkt.
„So betrachtet ist es gut, dass es Dannyl gelungen ist, den Kriegsherrn zu überzeugen“, bemerkte der Anführer der Gildenmagier.
„Asara! Jetzt komm endlich! Sonst kommen wir nie zuhause an.“
Mit einem entschuldigenden Lächeln blickte Asara in die kleine Runde. „Ich fürchte, ich sollte nun wirklich gehen. Meine Schwestern werden unruhig. Und Dannyl verlangt nach Auslauf.“
„Dann solltet Ihr ihn nicht warten lassen“, sagte der richtige Dannyl. „Nur tut mir einen Gefallen und scheucht ihn nicht zu sehr.“
Asara lachte. „Keine Sorge. Sollte er tot umfallen, so haben meine Schwestern und ich ein schmackhaftes Abendessen.“
Und im nächsten Kapitel machen einige Charaktere reinen Tisch …
Fragen zum Kapitel
Was sind Arikhais Motive für sein Urteil über Asara? Könnt ihr sie nachvollziehen?
Warum ist Sonea so wütend auf Regin bzw. Akkarin bezüglich Regins Anwärterschaft auf das Oberhaupt der Krieger?
Was haltet ihr von der Lösung, dass die Duna einige Magier zu Heilern in der Gilde ausbilden lassen dürfen und die Sachakaner nur Heiler gestellt bekommen?
Was haltet ihr von Akkarins „Lösung“? Was von dem Gespräch zwischen Sonea und Asara?
Mehr Geistreiches fällt mir heute leider nicht ein, aber fühlt euch frei, euren Senf auch zu anderen Dingen dazuzugeben :)
***
Kapitel 49 – So, wie sie es gewollt haben
Der Morgen begann so grau wie die vorangegangenen, als wäre das Fort der Gildenmagier der Heimatberg der Verräter. Hier in dieser unwirtlichen Felsenfestung wirkte er noch grauer. Und so grau war auch Asaras Stimmung. Der Krieg war zu Ende. Jetzt galt es die verbleibenden Dinge zu organisieren und einen Nachfolger für Savedra zu finden, dann würde sie sich ihrem Schicksal stellen. Der Gedanke schnürte ihr die Kehle zu. Aber sie musste es tun. Für ihr Volk. Für Sachaka. Für den Frieden.
Der Raka, den die Kyralier ihren Gästen zur Verfügung stellten, war bei weitem nicht so gut wie der sachakanische, doch er taugte genug für Asara, um davon wachzuwerden. Sie teilte sich einen Tisch mit Lenyaka, Varala, Estara und Beccari. Die Rebellinnen verbrachten ihre Mahlzeiten inzwischen regelmäßig mit Asaras Schwestern, so als hätte Savedras Ende die Kluft zwischen ihnen überwunden. Tatsächlich war die Sache komplizierter, doch sie hatten gemerkt, dass sie einander brauchten und vertrauten.
„Ah, was freue ich mich wieder auf richtigen Raka“, sagte Estara. „Dieser hier ist ja ganz passabel, aber entspricht nicht meinen Ansprüchen.“
„Dafür haben sie das bessere Brot.“ Anerkennend belegte Varala eine dicke Scheibe aus feingemahlenem und mit Papea gewürztem Tenn mit Reberkäse. „Insofern begrüße ich die Intensivierung der Handelsbeziehungen.“
„Nicht nur du.“ Asara leerte ihren Raka und füllte ihren Becher auf. „Der Wein der Verbündeten Länder schlägt den unseren um Längen.“
Nur, dass ich vermutlich nicht mehr in den Genuss kommen werde …
Was hatte sie sich dabei gedacht, als sie Arikhai die Wahrheit über den Tod seines Vaters gesagt hatte? War ihr die Meinung der Duna so wichtig? War es ihr so wichtig, aus ihnen potentielle Bündnispartner gegen die Ashaki zu machen, dass es diese Aufrichtigkeit aufwog? Mit Mitte dreißig war Asara zu jung zum Sterben. Bei ihren Aufträgen war der Tod ein ständiger Begleiter, aber es war etwas anderes, diesen absichtlich zu provozieren. Der junge Kriegsherr der Duna zog nicht in Betracht, sie bei seinem Volk leben zu lassen. Für ihn gab es nur eine angemessene Bestrafung:
Hinrichtung.
Und das alles nur wegen Marika.
Hätte Marika diesen Krieg nicht provoziert und die Frau des Anführers der Gildenmagier entführt, so hätte diese Befreiungsaktion nicht stattgefunden. Stattdessen wäre sie Karami auf einem Schlachtfeld irgendwo in Sachaka begegnet. In diesem Fall wäre der Kriegsherr ehrenhaft gestorben und Asaras Tod hinfällig.
Und ich weiß noch immer nicht, wie ich es Vikacha sagen soll.
Asara schob ihren Stuhl zurück.
„Entschuldigt mich“, sagte sie. „Doch ich habe noch etwas zu erledigen, bevor der Auslandsadministrator die Anführer der Parteien zusammenruft.“
Ohne die Antwort ihrer Schwestern abzuwarten, verließ sie die Große Halle und erklomm die Treppe zum Dach. Tatsächlich gab es nichts zu erledigen, sie hatte einfach nur ihre Ruhe haben wollen.
Sie war noch nicht weit gekommen, als ihr ein Diener der Gildenmagier begegnete. „Lady Asara“, sagte er und verneigte sich – etwas, an das Asara sich nur schwerlich gewöhnen konnte. „Ihr werdet gebeten, in das Besprechungszimmer auf der sachakanischen Seite zu kommen.“
Asara runzelte die Stirn. Dannyl war noch beim Morgenmahl gewesen, als sie die Große Halle verlassen hatte. So auch der Anführer der Gildenmagier und ihr König. „Das ist sehr freundlich von dir“, sagte sie zu dem Mann. „Weißt du den Anlass?“
„Das werdet Ihr dort erfahren, Mylady.“
Asara widerstand dem Drang, nach seinen Oberflächengedanken zu greifen und machte sich auf den Weg.
Fast hätte sie ihn mit seinem weißen Obergewand gegen die Wolken, die das Fort einhüllten, nicht gesehen. Erst, als die Tür hinter ihr zugefallen war und er sich bewegte, entdeckte Asara ihn. Für einen Augenblick erstarrte sie. Dann hatte sie sich jedoch wieder unter Kontrolle.
„Kriegsherr Arikhai“, sagte sie.
Der Kriegsherr wandte sich um. „Asara.“
„Ich nehme an, es geht um meine Bestrafung?“
Kriegsherr Arikhai kam auf sie zu. „Ich bin gekommen, um Euch das Urteil meines Volkes mitzuteilen, Asara.“
„Ich nehme an, was Krakhi erleiden musste, ist noch eine zu geringe Strafe für mein Vergehen?“
Ein grimmiges Lächeln verzog Arikhais Mundwinkel. Obwohl Asara mit diesem Mann in den vergangenen Wochen und Monaten vertraut geworden war, hätte sie nicht sagen können, ob es ein freundliches oder ein gefährliches Lächeln war. Vielleicht war es von beidem etwas.
„Ich habe nicht vor, Euch für Eure Vergehen wie Krakhi zu bestrafen, Asara. Ich bin hier, um Euch mitzuteilen, dass ich von einer Strafe absehe.“
Es dauerte einige Augenblicke, bis die Bedeutung seiner Worte in Asaras Bewusstsein sickerte. Dann machte ihr Herz einen Sprung.
„Das heißt, Ihr werdet mich nicht hinrichten?“
„Nein.“
„Werde ich stattdessen bei Eurem Volk leben?“
„Wenn Ihr das wünscht und meine Leute einverstanden sind, wärt Ihr willkommen. Doch ich sehe Euren Platz bei Eurem eigenen Volk.“
Asara schüttelte den Kopf. Sie hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit.
„Woher der plötzliche Sinneswandel?“, fragte sie.
„Euer Freund von den Gildenmagiern hatte ein paar interessante Ansichten dazu, warum Ihr weiterleben sollt. Und ich muss ihm zustimmen. Ich wünsche Wiedergutmachung, doch lebendig könnt Ihr mehr bewirken.“ Sein Blick glitt zum Fenster und seine Miene wurde ernst. „Zudem hat Sonea mich vor einigen Tagen beim Abendmahl darauf aufmerksam gemacht, dass Ihr nur entsprechend Eurer Moral und ehrbarer Ziele gehandelt habt. So wie Yui.“
Und Asara verstand. Er war wie sie. Sie beide waren auf Grund ihrer Wertevorstellungen gezwungen gewesen, zu töten. Während sie versucht hatte, einen Krieg zu verhindern, war Arikhai getäuscht worden. Was würde es über ihn als Anführer aussagen, sie zu bestrafen, wenn er selbst nicht besser war?
„Ich stehe in Eurer Schuld“, sprach sie. „Und ich begrüße Eure Entscheidung.“
„Unsere beiden Völker sind gegen ihren Willen in diesen Krieg geraten. An Eurer Stelle hätte ich vermutlich dasselbe getan. Ihr wart Marika und seinen Ashaki unterlegen. Ihr konntet Euch keine Ehrenhaftigkeit leisten.“
Asara schenkte ihm ein schiefes Lächeln. „In dieser Hinsicht haben die Verräter noch nie ehrenhaft gekämpft. Doch ich gedenke, eine Veränderung zum Positiven einzuleiten.“
„Ihr könntet mehr als das bewirken.“
Er jetzt auch?, dachte Asara entnervt. „Wie kommt Taki mit Yuis Tod zurecht? Und Euer jüngerer Bruder?“
„Sie trauern. Yui hat beiden viel bedeutet. Besonders Irakhi nimmt ihr Tod mit, weil sie mich in der Überzeugung, das Richtige zu tun, hintergangen haben. Was sich hinterher auch als das Richtige herausgestellt hat.“
Das konnte Asara sich gut vorstellen. Für Arikhais erste Frau musste sie irgendetwas zwischen kleiner Schwester und der anderen Sklavin einer Cachira gewesen sein. Für Irakhi war sie ebenfalls wie eine Schwester gewesen. Sie wäre seine Frau geworden, sobald er zum Mann geworden war und höhere Magie gelernt hatte.
„Und Ihr?“, fragte sie vorsichtig.
Arikhais Miene wurde hart. „Ich wünschte, ich hätte noch in Yukai mit ihm das getan, was ich für Euch vorgesehen hatte. Sein Blut hätte zwar weder Yuis Tod noch die Entweihung des Tempels rückgängig gemacht, doch es hätte zumindest mich befriedigt.“
Asara betrachtete ihn mitfühlend. Zu gern hätte sie ihm ein paar tröstende Worte gesagt, doch mit seinem Zorn konnte nur er selbst fertig werden.
„Kriegsherr Arikhai“, begann sie. „Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich in Eurer Schuld stehe, doch ich hoffe, dass die zukünftige Zusammenarbeit unserer Völker etwas von dieser Schuld wiedergutmacht.“
„Dessen bin ich gewiss, Asara von den Verrätern.“
Asara lächelte. Mit einem Mal schien das Grau vor den Fenstern des Forts weniger düster. „Doch nun entschuldigt mich“, sagte sie. „Ich sollte zwei Menschen aufsuchen, in deren Schuld ich ebenfalls stehe.“
***
Für Regins Geschmack hatte es viel zu lange gedauert, bis die Heiler ihm erlaubt hatten, das Bett zu verlassen. Außer Lord Kiano auf seiner täglichen Visite und dem Diener, der ihm dreimal pro Tag eine Mahlzeit brachte, hatte er niemanden zu Gesicht bekommen. Nicht einmal Sonea oder ihr unheimlicher Mann hatten ihn noch einmal besucht.
Von Lord Kiano hatte er einige Details darüber erfahren, was im Fort vor sich ging. Gilde, Verräter, Sachakaner und Duna hatten sich auf einen Frieden geeinigt und die Anführerin der Verräter abgesetzt. Der Hohe Lord und der König hatten mit den Verrätern ein neues Bündnis geschlossen, das offiziell besiegelt werden würde, sobald die neue Große Mutter gewählt war.
Trotz Lord Kianos Therapie heilte Regins linkes Bein nur langsam. Das rechte hatte weniger abbekommen und die Knochen waren inzwischen wieder vollständig zusammengewachsen. Doch Regin brauchte sich nur mit seiner Magie zu untersuchen, um zu sehen, dass die Lücken in seinem linken Bein erst noch mit Knochen aufgefüllt werden mussten. Auch ohne ein ausgebildeter Heiler zu sein, konnte er erahnen, wie viel Geschick man aufbringen musste, um das wieder in Ordnung zu bringen.
Das Fleisch an seinem Oberschenkel sah indes nicht besser aus. Selbst wenn Regin sein Bein irgendwann wieder normal bewegen konnte, würde eine hässliche Narbe zurückbleiben.
Nichtsdestotrotz hegte Regin den Verdacht, die Heiler hielten ihn nur ans Bett gefesselt, damit er Zeit hatte, über sich, seine Taten und seine Zukunft nachzudenken. Das würde zumindest erklären, warum nicht einmal Sonea nach ihm gesehen hatte. Ihre letzten Worte waren ihm noch zu deutlich im Gedächtnis.
Mach, dass du gesund wirst. Und wenn du damit fertig bist, komm mir erst wieder unter die Augen, wenn du mit deiner Wiedergutmachung fertig bist. Zusammen mit den harten Worten ihres Mannes implizierte das, dass er besser daran tat, über gewisse Dinge nachzudenken, und anscheinend waren alle zu der stillen Übereinkunft gekommen, ihn zu diesem Zweck in seinem Quartier versauern zu lassen.
So kann ich keine Wiedergutmachung leisten, dachte Regin entnervt. Die Heiler sollten sein Bein schneller wieder in Ordnung bringen, damit er tun konnte, was er tun musste. Er hatte nicht einmal bei den Verhandlungen helfen können. Doch weder Lord Kiano noch sein Kollege hatten in dieser Hinsicht mit sich verhandeln lassen.
„Ich könnte Euer Bein schneller heilen, doch das würde auf Kosten Eurer übrigen Körpersubstanz gehen“, hatte der Heiler aus Vin wiederholt, was Sonea bereits bei ihrem Besuch erklärt hatte. „Damit würdet Ihr Euch selbst keinen Gefallen tun, da Ihr geschwächt wärt und lebenswichtige Organe beeinträchtigt werden könnten.“
Also blieb Regin keine Wahl, als sich in Geduld zu üben.
Das brachte ihn indes zu weiteren unerfreulichen Gedanken. Zurück in der Gilde würde er die Sommerprüfungen von Balkans Klassen so wie die der Abschlussklasse abnehmen müssen. Die Wahl des Nachfolgers würde erst danach stattfinden, also konnte er die Aufgaben nicht auf jemand anderen abwälzen. Obwohl er Balkan bei der Vorbereitung der Prüfungsaufgaben geholfen hatte, fühlte er sich dazu nicht bereit. Doch er würde einen Weg finden, weil er Oberhaupt der Krieger werden wollte, egal ob er sich dazu bereit fühlte.
Als Lord Kiano eines Nachmittags kam und nach einer Untersuchung erklärte, das Bein sei genug verheilt, dass er aufstehen durfte, war es, als habe man Regin aus einer langen Gefangenschaft entlassen.
„Dann bin ich also wieder vollständig genesen?“, fragte er.
„Nicht ganz“, antwortete der Heiler. „Ihr dürft das Bein noch nicht wieder belasten. Stützt Euch beim Gehen mit einem Stock oder levitiert Euch.“
Das waren erfreuliche Neuigkeiten. Zudem hatte Regin nichts dagegen, sich überall hin zu levitieren. Seine Magie reichte aus, um das einen ganzen Tag lang zu tun, sofern er nicht zu viel davon für andere Zwecke verbrauchte.
Nachdem er sich gewaschen und angekleidet hatte, verließ er sein Quartier.
Er fand Sonea in der großen Halle zusammen mit einigen sehr kriegerischen Frauen in Hosen und kurzen Westen aus Pferdeleder. Duna-Kriegerinnen. Als er auf sie zuschwebte, richteten die ihm zugewandt stehenden Frauen ihren Blick auf ihn und musterten ihn eingehend.
„Guten Tag, die Ladies“, grüßte Regin und neigte den Kopf. „Sonea.“
Seine beste Freundin wandte sich um. „Regin“, sagte sie eisig. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du dich nicht immer anschleichen sollst!“
„Ah, ich schwebe.“
Sonea warf einen Blick auf seine Füße. „Dann hoffe ich, du tust es nicht ohne Lord Kianos Erlaubnis.“
„Er hat mir die Bewegung sogar verordnet.“
Sie hob eine fragende Augenbraue.
„Warum so kühl, liebste Sonea?“, fragte er. „Zürnst du mir noch immer oder führst du gerade Frauengespräche?“
„Das ist also der große Krieger der Gildenmagier, von dem alle sprechen?“, fragte eine der Duna-Frauen.
„Ja“, sagte Sonea säuerlich. „Das ist Lord Regin.“
„So jung und schon ein Anführer“, sagte Arikhais Frau anerkennend. Regin erinnerte sich dunkel an sie von der Schlacht. „Nun, mein Mann war ungefähr im selben Alter, als er Kriegsherr wurde.“
„Lord Regin mag ein großer Krieger sein, doch er ist kein Anführer, Taki“, stellte Sonea richtig. Sie bedachte Regin mit einem finsteren Seitenblick. „Auch wenn er das gerne hätte.“
„Ich dachte, Oberhaupt der Krieger wäre so etwas wie ein Kriegsherr“, wunderte sich Arikhais Frau.
„Ist es in gewisser Weise auch“, antwortete Sonea. „Aber Regin ist nur der Assistent unseres letzten Oberhauptes der Krieger.“
„Das ist so nicht ganz richtig“, sagte Regin. „Schon bald werde ich selbst Oberhaupt der Krieger sein.“
Es war überaus erheiternd zu sehen, wie die Miene seiner Freundin von Unglauben zu Entsetzen und dann zu Verärgerung wechselte.
„Was sagst du da?“
„Ah, hat er es dir nicht gesagt?“
Sie schüttelte den Kopf. „Regin, du willst mich doch nur auf den Arm nehmen.“
„Es ist wahr.“ Regin konnte sich ein selbstgefälliges Lächeln nicht verkneifen. „Ich bin Anwärter auf das Amt des Oberhauptes der Krieger.“
„Und der Hohe Lord wusste davon?“
„Ah, er hat es selbst vorgeschlagen.“
Soneas Gesicht verfinsterte sich noch mehr. „Ich werde das jetzt klären.“ Sie wandte sich zu den Duna-Frauen. „Bitte entschuldigt mich. Doch diese Sache duldet keinen Aufschub.“
Dann fasste sie Regin am Ärmel und zog ihn aus der Halle.
„Akkarin hat dich nie im Leben als Balkans Nachfolger vorgeschlagen“, zischte sie, als sie den Korridor erreichten. „Das musst du phantasiert haben.“
„Es ist die Wahrheit.“
„Und warum wissen dann weder ich noch die höheren Magier davon?“
„Das fragst du mich? Ich war ganze zwei Wochen lang ans Bett gefesselt, Hohe Lady.“ Regin sah sich um. „Wo ist dein unheimlicher Mann überhaupt?“
„Der Hohe Lord hat eine Besprechung mit dem König, Auslandsadministrator Dannyl und Arikhai“, antwortete Sonea. Ihr Ton war noch kratzbürstiger als Regin es von ihr gewohnt war. War das die Schwangerschaft?
„Und du darfst nicht dabei sein? Das muss weh tun.“
Sonea verdrehte die Augen. „Nicht alles geht mich etwas an, Regin. Und das ist auch gut so.“
Sie scheuchte Regin die Treppe hinauf und einen Flur entlang. „Solltest du die Wahrheit sprechen und tatsächlich Oberhaupt der Krieger werden, was ich für die Gilde wahrhaftig nicht hoffe, so wirst auch du nicht über manche Dinge in Kenntnis gesetzt werden.“
„Warum bist du so wütend, liebste Sonea? Freust du dich nicht für mich?“
„Ich bin wütend, weil du das nicht verdient hast.“
„Das hat sich aus dem Mund deines Hohen Lords ganz anders angehört.“ Regin musterte Sonea, die mit finsterer Miene neben ihm herstapfte, erheitert. Schwebend überragte er sie um fast zwei Köpfe. „Und du bist ganz sicher, dass das nicht mit deiner Schwangerschaft zu tun hat?“
„Nach allem, was du meinen Freunden angetan hast? Ja.“ Sie hielt inne und baute sich vor ihm auf, was aus Regins Position höchst amüsant aussah. „Du bist ein Mistkopf, Regin! Sei froh, dass Akkarin dich nicht zum neuen schwarzen Magier ernannt hat. In diesem Fall hätte ich dich auf der Stelle zu Asche verbrannt.“
Das bezweifelte Regin keinen Augenblick. „Glaub mir, verehrteste Sonea. Wenn ich mir schon das Amt des Oberhauptes der Krieger so bitterlich verdienen muss, wäre schwarzer Magier in unerreichbarer Ferne.“
Sie betrachtete ihn mit schmalen Augen. „Inwiefern verdienen?“
Du kommst so nach deinem Vater! Und nach deinem Onkel! Ich dachte, du wärst anders … dass du dich geändert hättest.
„Indem ich Wiedergutmachung leiste. Indem ich aufhöre, Ränke zu schmieden.“
„Und du meinst, dazu bist du in der Lage?“
„Ja. Das heißt, nicht ganz.“ Regin winkelte seine Beine an und ließ sich nach unten sinken, bis ihr Kopf über seinem war. Er verzog das Gesicht ob der Schmerzen. „Bitte, o Sonea! Ich flehe dich an. Hilf mir, ein besserer Mensch zu werden!“
Sie verdrehte die Augen. Sie schien völlig entnervt. „Regin, du bist kein von Natur aus schlechter Mensch“, sagte sie. „Du solltest nur an deiner Einstellung arbeiten.“
„Und dazu brauche ich dich, o liebste Sonea.“
Sonea schnaubte. „Dann fang damit an, indem du aufhörst, dich so theatralisch zu verhalten, wenn du etwas willst.“
Regin öffnete protestierend den Mund, doch sie erhob einen warnenden Finger und schritt dann auf die Tür am Ende des Flures zu.
***
An diesem Tag war der Friedensvertrag mit den Sachakanern unterzeichnet und besiegelt worden. Damit war dieser Tag für Dannyl der größte seines Lebens. Er hätte sich nie träumen lassen, dass es eines Tages dazu kommen würde.
Nachdem Ishaka und Asara stellvertretend für die Ashaki und die Verräter das Abkommen besiegelt hatten, hatte der Vertrag mit den Duna auf der Tagesordnung gestanden. Die Verträge wurden in Merins Audienzzimmer mit Blick auf die lieblich-bewaldeten Hänge der kyralischen Seite beschlossen, auf denen an diesem Tag von einem Spiel aus Licht, Schatten und Nebel tanzte, als Sturmwolken darüber hinwegrollten. Außer dem König als Vertreter der Verbündeten Länder, dem Hohen Lord als Vertreter der Gilde, den Sprechern der jeweiligen Parteien und Dannyl als Vermittler war niemand dabei anwesend. Bis auf Tayend, dessen Anwesenheit durch seine offizielle Funktion leicht zu rechtfertigen war. Für den Gelehrten, der am Fort erstmals mit den Magiern, mit denen die Gilde sich mehr als zwei Jahre im Krieg befunden hatte, in Kontakt gekommen war, war dies eine aufregende Erfahrung und Dannyl war glücklich, ihn an seiner Seite zu haben, jetzt wo die Gefahr gebannt war.
„In diesem Vertrag fehlt einer der von mir gewünschten Punkte“, erklärte Arikhai, nachdem er das auf Sachakanisch – einer Sprache, der alle Parteien mindestens leidlich mächtig waren – verfasste Schriftstück studiert hatte. „In einem der ersten Gespräche nach dem Kampf vor diesem Fort hatte ich darum gebeten, dass jeder Stamm zwei Magier zur Gilde schicken darf, damit diese zu Heilern ausgebildet werden.“
„Wozu wollt Ihr eigene Heiler?“, verlangte König Merin zu wissen.
„Die Verräter bekommen Heiler von Eurer Gilde zur Verfügung gestellt. Selbst die Sachakaner sollen einige Heiler von Euch erhalten. Doch Duna ist so weit von Eurem Land entfernt, dass es praktikabler wäre, wenn einige von meinem Volk dieses Wissen selbst erlangen würden. Zudem kommt es immer wieder zu Krieg zwischen unseren Stämmen, Versklavung und Raub. Das wollt Ihr Euren Leuten gewiss nicht zumuten.“
„Nicht wirklich“, sagte Akkarin.
Nach reichlichen Diskussionen in der Gilde hatten sich einige Heiler bereit erklärt, in Begleitung einer Verräterin als fahrende Heiler sich um die sachakanische Bevölkerung zu kümmern. Sie würden Blutjuwelen und Geheimniswahrer erhalten, damit die Sachakaner nicht an ihr Wissen gelangen konnten. Sie würden einander wie die Heiler in der Zuflucht abwechseln. Für die beiden Völker Sachakas war dies ein akzeptabler Kompromiss, bis sie die Bedingungen zur Aufnahme in die Allianz erfüllt hatten. Niemand vertraute den Leibärzten der Sachakaner genug, um das Wissen über Heilkunst mit ihnen zu teilen. Und nach Savedras Verrat waren nur wenige Magier geneigt, einige ausgewählte Frauen der Verräter in Heilkunst zu unterweisen, auch wenn von Savedras Anhängern niemand übriggeblieben war.
„Das Volk der Duna scheint mir ein Volk von Ehre zu sein, so dass ein Teilen dieses speziellen Wissens denkbar wäre“, sprach Merin. „Doch wenn ich mein Einverständnis gebe, könnten Verräter und Ashaki uns Schwierigkeiten bereiten, weil wir ihnen dies verweigern.“
„Ihr habt berechtigte Gründe, es den Ashaki zu verweigern, König Merin der Kyralier“, erwiderte Arikhai. „Was die Verräter betrifft, so dürfen sie keinen Vorteil gegenüber den Ashaki haben, da sie von nun an ein Volk sind und dies ihrer Zusammenarbeit nicht guttäte. Doch die Sachlage bei uns ist eine andere.“
„Das ist mir bewusst.“ Der König seufzte und sah zu dem schwarzgewandeten Magier an seiner Seite. „Akkarin, wie steht die Gilde zu dieser Angelegenheit?“
„Die Beantwortung dieser Frage würde eine Gildenversammlung erfordern“, erwiderte Akkarin.
Arikhais Augen blitzten. „Also habt Ihr mein Anliegen nicht weitergeleitet?“
„Ich sagte, ich werde darüber nachdenken. Doch die Gilde ist bereits wegen der Zugeständnisse an die Sachakaner gespalten. Ich habe nicht vor, diese Spaltung weiter zu forcieren.“
„Ich habe kein Interesse an Endlosdiskussionen“, sagte Merin unwirsch. „Die endgültige Entscheidung obliegt mir, zumal ich die Gesetzesänderung zur Ausbildung von Magiern selbst vornehmen würde.“
„Ich bin sicher, die Gilde hätte mit einigen Duna, die einzig in Heilkunst unterwiesen werden, weniger Schwierigkeiten als mit den Sachakanern“, sagte Dannyl.
Die grünen Augen blitzten zu ihm. „Wieso glaubt Ihr das, Auslandsadministrator?“
„Die Duna mögen uns fremd sein, doch uns verbindet kein Konflikt, der mehr als eintausend Jahre zurückreicht.“
„Aber sie sind uns dennoch fremd.“
„Nichtsdestotrotz sind sie verglichen mit den Ashaki eine geringere Gefahr. Sie haben weder Interesse an den Verbündeten Ländern noch streben sie nach Krieg mit uns. Zudem hatten genug von uns in den letzten beiden Wochen die Gelegenheit, die Duna näher kennenzulernen.“
Der König sah zu Akkarin. „Wie schätzt Ihr die Stimmung innerhalb der Gilde ein?“
„Sie würden es nicht mögen, doch sie würden es akzeptieren.“
„Man könnte dafür sorgen, dass Gilde und Duna einander näher kennenlernen“, überlegte Dannyl. „Die meisten von uns sind noch immer in Imardin. Einige Duna könnten mit uns zurückreisen und bei dieser Gelegenheit einen Blick auf die Gilde und unsere Lebensweise werfen. Schließlich müssten einige von ihnen mehrere Jahre dort leben, bevor sie vollständig ausgebildete Heiler sind.“
Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Hohe Lord anerkennend nickte. „Um eine Entscheidung zu treffen, schlage ich vor, wir holen Lady Vinara dazu.“
„Soll ich sie holen gehen?“, fragte Tayend eifrig.
„Nicht nötig.“ Akkarins Augen verengten sich. „Sie ist unterwegs.“
Wenige Minuten später rauschte Lady Vinara in einem Wirbel grüner Roben und mit strenger Miene in den Raum. Als sie den König erblickte, lächelte sie jedoch und sank auf ein Knie.
„Hoher Lord, wie kann ich Euch behilflich sein?“, fragte sie, nachdem die formalen Höflichkeiten ausgetauscht waren.
Akkarin nickte zu Dannyl. „Der Auslandsadministrator wird Euch die Lage erklären.“
In wenigen Worten berichtete Dannyl dem Oberhaupt der Heiler die Problematik. Die Arme vor der Brust verschränkt lauschte Vinara seinen Worten, während sie Arikhai mit sauertöpfischer Miene betrachtete.
„In der Gilde hält sich hartnäckig die Ansicht, die Duna wären Barbaren“, sagte sie schließlich. „Doch dank Dannyls Verhandlungsgeschick sind sie in den Wochen vor dem Kampf am Nordpass für einige Magier zu einer Art Hoffnungsträger geworden.“
Arikhais Augen blitzten zu ihr. „Obwohl wir auf der Seite Kachiros standen?“
„Es ist Dannyl in Yukai gelungen, eine Beziehung zu Eurem Volk aufzubauen“, antwortete Vinara. „Der Rest hat eindeutig auf einem Irrtum basiert.“
„Glaubt Ihr, die Heiler wären damit einverstanden, einigen Duna ihr Wissen zu vermitteln?“, fragte Merin.
Das Oberhaupt der Heiler runzelte kurz die Stirn und nickte dann. „Sie wären eher dazu bereit, als es einigen auf nichtmagische Heilung spezialisierten Ashaki zuzugestehen.“
Dannyls Herz machte einen Sprung. Alles, was in den vergangenen Tagen geschehen war, hatte sie alle einander Stück für Stück nähergebracht. Es war ein großartiges Gefühl zu wissen, dass er daran Anteil hatte.
„Also gebt Ihr Euer Einverständnis, Vinara?“, fragte er.
Die grauen Augen begegneten seinen. „Ja.“
„Im Namen meines gesamten Volkes spreche ich Euch meinen Dank aus, Lady Vinara von den Gildenmagiern“, sprach Arikhai. Er kreuzte die Fäuste vor der Brust und senkte den Kopf. „Ich bin sicher, unsere beiden Völker werden davon profitieren.“ Dann sah er zu Dannyl und den anderen. „Auch Euch will ich meinen Dank aussprechen, da Ihr dies ermöglicht habt. Damit habt Ihr mehr als nur Wiedergutmachung am Tod meines Vaters und seiner Delegation geleistet, was für Euch spricht.“
Er sprach es nicht aus, aber Dannyl begriff es auch so. Mit seinen Worten gestand Arikhai ihnen etwas zu, wo sein Volk von den Sachakanern enttäuscht worden war. Dannyl ahnte, sollte es jemals zu einem neuen Konflikt mit Sachaka kommen, so konnten die Duna potentielle Bündnispartner sein.
„Auslandsadministrator Dannyl“, sprach König Merin. Er wies auf das Pergament, das auf dem Tisch zwischen ihnen lag. „Bitte fügt diesen letzten Punkt dem Vertrag hinzu.“
Dannyl konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Sehr gern, Euer Majestät.“
Obwohl es nicht besser hätte laufen können, atmete Dannyl aus, als das Treffen vorbei war. Während die Sachakaner die kyralische Sprache recht gut beherrschten, musste er zwischen Arikhai und dem König dolmetschen. Die angehenden Heiler würden entweder sachakanisch sprechen und von Heilern, die dieser Sprache mächtig waren, unterrichtet werden müssen. Oder sie mussten Kyralisch lernen.
Auf dem Flur wartete eine kleine, schwarzgewandete Gestalt. Sonea, was führt dich her?, wollte Dannyl fragen. Doch als er ihre unheilvolle Miene und Regin, der lässig an ihrer Seite in der Luft schwebte, erblickte, hielt er sich zurück.
„Hoher Lord“, sagte sie eisig. „Wir müssen uns unterhalten.“
Akkarins Blick fiel auf Regin. „Das sollten wir.“
Das wird Ärger geben, dachte Dannyl. Er war jedoch nicht sicher, ob für Akkarin oder für Regin.
„Was machen wir nun, Auslandsadministrator?“
Dannyl wandte den Kopf zu seinem Gefährten. „Inwiefern?“, fragte er.
„Alle Verträge sind besiegelt und es sieht aus, als hättest du endlich den Frieden herbeigeführt.“
Dannyl lachte. „Sagen wir, ich habe ihnen den nötigen Anstoß dazu gegeben. Am Ende waren sie es, die sich darauf eingelassen haben.“
„Wie wird es nun weitergehen?“, fragte Tayend, während sie hinauf zu den Quartieren der höheren Magier stiegen. „Glaubst du, der Frieden wird halten?“
„Das wird sich mit der Zeit zeigen. Zunächst einmal würde mich jedoch interessieren, wie die Sachakaner reagieren, wenn sie erfahren, dass die Duna ein paar ihrer Leute zu Heilern ausbilden lassen dürfen.“ Und das würde sich herumgesprochen haben, noch bevor dieser Tag zu Ende war.
„Erfreut werden sie sicher nicht sein“, überlegte Tayend. „Aber ich bin sicher, dass es dir gelingen wird, sie mit den richtigen Argumenten zu überzeugen, dass sie in dieser Hinsicht keine Ansprüche zu stellen haben.“
„Was ihnen eigentlich klar sein sollte.“
Dannyl konnte sich jedoch lebhaft vorstellen, dass weder die Ashaki noch die Verräter allzu angetan sein würden. Sie alle hatten ihre Gründe, warum sie unbedingt selbst Heiler wollten. Doch weder bei den einen noch bei den anderen reichte das Vertrauen aktuell weit genug, als dass die Gilde bereit war, sich darauf einzulassen. Asara und Ishaka hatten dies zähneknirschend akzeptiert. Dannyl ahnte jedoch, sie würden die Diskussion erneut eröffnen, sobald sie von Merins Vereinbarung mit Arikhai erfuhren.
***
„Ist das wahr?“ Verärgert scheuchte Sonea Akkarin in einen leerstehenden Besprechungsraum. Sturmwolken jagten hinter dem einzigen Fenster über die schroffen Berghänge, als würde ihr Zorn sie vorwärtstreiben. „Bist du nun ganz des Wahnsinns?“
Hinter ihr fiel die Tür mit einem bestimmenden Klicken ins Schloss und Sonea zuckte zusammen. Sie war sich der Tatsache wohlbewusst, dass ihr Wutausbruch nicht ganz unbemerkt geblieben war. Sie wusste, dass sie Akkarin damit nicht den geringsten Respekt entgegenbrachte, doch sie war wütend genug, dass sie das nicht kümmerte. Er war zu weit gegangen und das wollte sie ihn spüren lassen.
„Sonea, jetzt beruhige dich.“
In nur wenigen Schritten war Akkarin bei ihr und hatte sie an den Schultern gefasst. „Ich habe lange über diese Entscheidung nachgedacht, bevor ich sie getroffen habe.“
Unwillig befreite Sonea sich aus seinem Griff. „Ich kann das trotzdem nicht gutheißen, Akkarin. Regin hat es nicht verdient, Oberhaupt der Krieger zu werden. Egal, ob er seinen Abschluss fast so gut wie ich gemacht hat oder ob er Balkans Liebling war. Er wäre ein noch schlimmeres Oberhaupt der Krieger als Garrel!“
„Regin hat großes Potential. Hätte Balkan das nicht erkannt, so hätte er ihn nicht auf dieses Amt vorbereitet, seit Regin sein Novize wurde.“
„Ich weiß, du hast viel von Balkan gehalten, aber das werde ich nicht unterstützen.“
„Sonea, die Gilde braucht ihn.“
Verärgert schüttelte Sonea den Kopf. „Er ist kaum einundzwanzig! Er ist nicht in der Lage, verantwortungsbewusst zu handeln.“
„Ich erinnere mich an eine Novizin, die selbst nicht viel älter war, als sie eine Führungsposition in der Gilde eingenommen hat.“
Sonea schnaubte. „Das war etwas anderes. Du konntest das nicht übernehmen, weil du Hoher Lord warst, und Sarrin war bereits im Ruhestand. Zudem hat die Leiterin der schwarzmagischen Studien bei weitem nicht so viel Einfluss wie das Oberhaupt der Krieger.“
„Und die jetzige Situation ist so viel anders? Sonea, in den vergangenen drei Jahren hat die Gilde fast sämtliche ihrer guten Krieger verloren. Es gibt nicht mehr viele fähige Magier mit genügend strategischer Weitsicht.“
Wollte er es nicht verstehen? In diesem Augenblick ärgerte Sonea sich so sehr über ihren Akkarin, dass sie kurz davor war, ihn zu Asche zu verbrennen. „Ich gestehe Regin zu, ein herausragender Krieger zu sein, aber er ist für das Amt des Oberhauptes der Krieger eine absolute Fehlbesetzung.“
„Er wird in seine Rolle hineinwachsen. Aber dafür braucht er dich.“
Sonea schnaubte. Bitte, o Sonea! Ich flehe dich an. Hilf mir, ein besserer Mensch zu werden.„Jeder andere Krieger wäre für diesen Posten besser geeignet. Sogar Kerrin oder Iskren. Selbst ich könnte dieses Amt übernehmen.“
„Und wer wird dann Leiter der schwarzmagischen Studien?“, fragte Akkarin sanft.
„Sarrin. Er ist ohnehin der bessere Forscher. Wenn der König und die Gilde einverstanden wären, dann würde ich diese Aufgabe übernehmen.“
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Vorhin hast du Sarrin noch als Gegenargument benutzt“, sagte er erheitert.
Sonea funkelte ihn an. „Das ist zwei Jahre her. Sarrin hat seinen Ruhestand doch längst wieder verlassen.“
„Wenn du als Regins Gegenkandidatin antreten willst, dann werde ich dich nicht aufhalten“, sagte Akkarin. „Ich bezweifle keinen Augenblick, dass du diese Aufgabe nicht mindestens ebenso gut erledigen würdest, zumal ein weibliches Oberhaupt der Krieger durchaus wünschenswert wäre. Aber ich weiß auch, dass du nicht danach strebst.“
Nein, das tat sie nicht. Oberhaupt der Krieger war keine Rolle, in der Sonea sich sah. Sie gehörte nicht zu den Menschen, die führten. Sie war lieber an der Seite jener, die es taten. Dabei wusste sie, sie hätte es gekonnt.
„Versteh mich nicht falsch, Akkarin“, sagte sie. „Es ist nicht so, dass ich Regin diese Chance nicht gönne. Aber wir wissen doch beide, wie er ist. Ihm eine solche Verantwortung zu übertragen, wird in einer Katastrophe für die Gilde enden. Es wäre mir lieber, einen weniger fähigen Krieger auf diesem Posten zu haben. Jemanden, der dafür die besseren sozialen Kompetenzen aufweist. Zumal jetzt endlich Frieden herrscht.“
„Sonea, niemand kann sagen, ob es wirklich bei diesem Frieden bleibt“, sagte Akkarin behutsam. „Wir müssen sehen, wohin sich das alles entwickelt. In jedem Fall sollten wir vorbereitet sein. Wir dürfen nicht denselben Fehler ein zweites Mal machen und davon ausgehen, dass wir von jeder Bedrohung gefeit sind.“
„Das sehe ich ein. Doch als Garrel Oberhaupt der Krieger war, haben Balkan und du seine Aufgabe erledigt. Warum machen wir es nicht jetzt genauso?“
„Weil es nicht richtig ist. Die Gilde braucht nicht nur ein fähiges Oberhaupt der Krieger, dieses sollte auch ein Vorbild sein. Die Novizen und die angehenden Krieger sehen zu Regin auf, weil er sich durch seine Taten im Krieg einen Namen gemacht hat.“
„Sie sehen auch zu mir auf. Regin wird dagegen immer der Novize bleiben, der von mir in der Arena gedemütigt wurde.“
Akkarin lachte leise. „Diese Tracht Prügel hat ihn erst zu dem Mann gemacht, der er jetzt ist.“
Sonea verdrehte die Augen. „Und wie oft muss ich ihm noch eine Tracht Prügel verpassen, damit er sich endgültig bessert? Seine neusten Eskapaden qualifizieren ihn nicht gerade für eine Führungsposition.“
„Du brauchst ihm keine zweite Tracht Prügel zu verpassen, Sonea. Er ist bereits dabei, seine Fehler einzusehen und zu bereuen.“
Aber nur, weil Trassia ihn verlassen hatte. Sonea konnte sich nicht vorstellen, wie das auf Dauer gutgehen sollte. Irgendwann würde Regin etwas Neues finden, womit er seine Niederträchtigkeit unter Beweis stellen konnte.
„Sonea, ich verstehe, warum du so hart mit ihm bist, aber du solltest ihm eine Chance geben“, sagte Akkarin ruhig.
„Er hatte seine Chance“, grollte sie. „Du kannst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass du seine Eskapaden gutheißt?“
„Nein, das tue ich nicht.“ Akkarin ließ sich gegen das Fenstersims sinken. „Er ist fehlgeleitet, so wie ich es einst war, doch ich sehe dennoch das Potential in ihm, darüber hinauszuwachsen. Und ich bin überzeugt, das ist möglich, ohne gleich ein ähnlich tragisches Schicksal zu erleiden.“
Darum ging es also. Er sah in Regin nicht nur eine extreme Version seines früheren Ichs, er wollte für ihn verwirklichen, was er selbst hätte sein können. Und Sonea konnte es ihm nicht verübeln.
„Und wie stellst du dir das vor?“, fragte sie. „Nur, weil Regin von höheren Magiern umgeben sein wird, heißt das noch lange nicht, dass sie ihn zur Vernunft bringen können. Zumal es besser wäre, wenn er vor ihnen so auftritt, dass sie ihm mit Respekt begegnen.“
„Dazu hat er Freunde.“
Sonea verschränkte die Arme vor der Brust. „Du willst, dass ich ihm helfe, ein besserer Mensch zu werden?“, entfuhr es ihr.
„Du bist seine Freundin, Sonea. Und du hast schon damit begonnen. Er hört auf dich. Weil du ihm damals diese Lektion erteilt hast. Damit hast du eine Macht über ihn, die du nutzen solltest.“
Und damit würde sie auch anderen helfen. Sonea seufzte. Mit einem Mal ergaben Regins Worte einen Sinn. Natürlich hatte Akkarin sich diese Sache wohlüberlegt. Trotzdem konnte sie nicht glauben, dass das alles so einfach laufen sollte. Immerhin ging es hier um Regin.
„Und was, wenn es nicht funktioniert?“, fragte sie. „Was, wenn er so schlimm wird wie sein Onkel?“
Ein humorloses Lächeln zerrte an Akkarins Mundwinkeln. „Dann liegt es an uns und den höheren Magiern, ihm Einhalt zu gebieten.“
„Aber er wird dieses Amt bis zum Ende seines Lebens innehaben“, wandte sie ein.
„Ja.“
„Gibt es keine andere Lösung?“
„Nicht, wenn die Verteidigung der Gilde funktionieren soll.“ Akkarins Stimme wurde eindringlich, als er fortfuhr: „Da wir beide das Kernstück unserer Verteidigung sind, werden wir beide sehr eng mit Regin zusammenarbeiten. Insbesondere du. Dabei kannst du sehr viel bewirken. Unterschätze nicht deine eigenen Fähigkeiten, Sonea.“
Sonea schnitt eine Grimasse. „Trotzdem bin ich noch nicht ganz überzeugt. Und wenn du ihn bei der nächsten Gildenversammlung vorschlägst, erwarte nicht, dass ich ihm meine Stimme gebe. Er kann noch so sehr mein Freund sein – das werde ich nicht tun.“
„Das ist dein gutes Recht, Sonea. Aber wenn Regin die Wahl gewinnt, so zähle ich auf dich.“ Akkarin streckte eine Hand nach ihr aus. „Nein, ich zähle auch auf deinen positiven Einfluss, sollte er die Wahl nicht gewinnen.“
Noch immer leicht verstimmt, schritt Sonea zu ihm und ergriff seine Hand. „Selbst, wenn es nicht um den Ruf der Gilde ginge, würde ich versuchen, Regin zu einem weniger arroganten und verantwortungsbewussteren Menschen zu machen“, sagte sie. „Schon allein, um andere vor ihm zu schützen.“
Akkarin zog sie zu sich. „So gesehen wird sich nicht viel ändern.“
„Stimmt. Ich werde mich bei den Diskussionen der höheren Magier weiterhin über ihn ärgern.“
„Es wird weniger werden, weil er sich zusammenreißen muss.“
Sonea lächelte schief. Vermutlich hatte er recht. Es fiel ihr noch immer schwer, sich mit dem Gedanken anzufreunden, doch zugleich konnte sie Akkarin nicht mehr zürnen.
„Bitte verzeiht, dass ich vorhin so respektlos war, Hoher Lord“, sagte sie. „Ich war so wütend.“
„Es ist in Ordnung, Sonea. Ich mag Hoher Lord sein, doch das schützt mich nicht davor, dass andere mir die Meinung sagen. Mir ist lieber, wenn wir solche Unstimmigkeiten klären und danach zu einem angemessenen Umgang zurückkehren.“
An Rothen und Dorrien denkend lachte Sonea. „Nein, davor bist du ganz sicher nicht sicher!“
Akkarin bedachte sie mit seinem Halblächeln. Dann beugte er sich zu ihr hinab und küsste sie behutsam.
„Und was machen wir wegen der Sachakaner?“, fragte Sonea. „Unsere Auseinandersetzung wird sich herumsprechen. Es könnte dich ihren Respekt kosten.“
„Dann werden wir sie beim Abendessen glauben lassen, dass dein Verhalten Konsequenzen hatte.“
Sonea sog leicht die Luft ein. Sie spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. „Was schwebt dir da vor?“
„Nichts, was dich quälen wird.“ Seine dunklen Augen blitzten, als würde ihn irgendetwas erheitern und Sonea ahnte, ihm kam die Anwesenheit der Sachakaner im Fort gelegen, um auszuleben, was er sonst zurückhielt. „Die übrigen Magier werden nicht einmal etwas bemerken. Oder denken, ich würde mich den Sitten der Sachakaner anpassen, um unsere Beziehungen zu stärken.“
Und darüber würde niemand sich wundern. Von Dannyl wusste Sonea, das Signalisieren der Bereitschaft, sich an die Sitten anderer anzupassen, war eine grundlegende Voraussetzung für den Aufbau diplomatischer Beziehungen. In Bezug auf die Sachakaner hatten sie und Akkarin dem Auslandsadministrator jedoch etwas voraus.
Als sie zu ihm aufsah, verspürte Sonea einen ungeahnten Kitzel von Aufregung. „Hoher Lord, ich werde dieses Spiel mit Freuden mit Euch spielen.“
***
„Es ist so unglaublich unfair!“ In einer theatralischen Geste fuchtelte Tayend mit der Mappe mit den Protokollen der Verhandlungen herum. „Monatelang waren wir voneinander getrennt, ohne jeglichen Kontakt. Außer den spärlichen Informationen, die der Hohe Lord mir darüber gegeben hat, was du tust und wie es dir geht, hatte ich nichts von dir! Nichts! Und jetzt, wo wir endlich wieder vereint sind, können wir einander nicht nahe sein, weil uns jemand entdecken könnte. Das ist schlimmer als jede Folter!“
„Du hattest mehr als nur spärliche Informationen über mein Wohlergehen“, entgegnete Dannyl lachend. „Sonea hat jeden Abend mit ihrem Mann gesprochen. Außer Liebesgeflüster hat sie ihm auch berichtet, was er den Tag über nicht durch ihr Blutjuwel in Erfahrung gebracht hat. Zufällig weiß ich, was davon an dich weitergegeben wurde. Und das war alles andere als spärlich.“
Tayend schnaubte höchst unfein. „Trotzdem ist das hier kein Zustand!“, beklagte er sich. „Wir sehen uns nur zu offiziellen Anlässen, zu denen ich dein Assistent bin. Sind wir unter uns, dann nur um deiner Arbeit willen.“
Obwohl Dannyl fand, dass sein Gefährte übertrieb, verstand er ihn besser als jeder andere. Es erging ihm nicht anders. Aber im Gegensatz zu Tayend kannte er es nicht anders, als seine Sehnsüchte zu unterdrücken.
„Weil alles, was länger dauert, Misstrauen erregen würde“, sagte er sanft. „Wir können Akkarin und Sonea vertrauen, dass sie Stillschweigen bewahren. Aber nicht den anderen Magiern, die auf diesem Flur wohnen.“
Tayend ließ die Mappe sinken. „Lady Sonea weiß von uns?“, entfuhr es ihm.
„Ja“, sagte Dannyl. „Es tut mir leid, wenn dir das missfällt, doch ich hatte keine Wahl.“
„Die ganzen Tage über war sie so freundlich zu mir wie eh und je“, hauchte sein Gefährte tonlos. „Wie kann das sein?“
„Nicht alle Kyralier sind intolerant und verschließen sich Beziehungen wie der unseren“, erwiderte Dannyl erheitert.
„Aber … warum hast du es ihr überhaupt gesagt?“
Um ihr zu zeigen, dass es völlig natürlich ist, einen Menschen desselben Geschlechts zu lieben.
„Weil wir Freunde geworden sind“, sagte er.
Tayend machte ein Gesicht, als wolle er protestieren, schloss er seinen Mund jedoch wieder. „Nun, ich mag Lady Sonea“, sagte er. „Sie ist ein sehr entzückender und liebenswerter Mensch. Wenn du der Meinung bist, du kannst ihr unser Geheimnis anvertrauen, dann vertraue ich darauf, dass du das Richtige tust.“
„Danke“, erwiderte Dannyl trocken. „Du glaubst gar nicht, wie sehr mich das ehrt.“
Tayend zog einen Schmollmund.
„Selbst wenn ich Sonea nicht vertrauen würde, so würde ich darauf vertrauen, dass sie es aus Respekt gegenüber Akkarin nicht ausplaudert“, fügte Dannyl ein wenig ernster hinzu.
„Weil sie ihn zu sehr fürchtet?“
„Nun …“, begann Dannyl und brach dann ab. Manchmal war Tayends Beobachtungsgabe nahezu unheimlich.
„Die beiden sind nicht exzentrischer als manche Elyner, die ich kenne“, sagte sein Gefährte mit einer leisen Faszination in der Stimme. „Und solange sie damit glücklich ist, sehe ich nicht, was daran falsch sein sollte.“
Wahrscheinlich nicht, dachte Dannyl. Und er fand es seltsam beruhigend, dass es auch Kyralier gab, die in Tayends Augen ’normal’ waren. Allerdings hatte er so eine Ahnung, dass Akkarin und Sonea unter der offenkundigen Fassade alles andere als ’normal’ waren, und dass Sachaka daran schuld war. Dafür gingen sie mit ihrem Schicksal jedoch bewundernswert um.
„Wie lange soll das alles noch weitergehen, Dannyl?“, fragte Tayend. „In ein paar Tagen reisen wir zurück nach Imardin. Und auch dort müssen wir vorsichtig sein. Und wenn du anschließend nach Lan geschickt wirst, wird es noch länger dauern, bis wir wieder in Elyne sind und uns ein paar freie Tage gönnen können.“ Er sah auf. „Ich vermisse dich, Dannyl.“
Ein leises Seufzen ausstoßend erhob Dannyl sich und umrundete den Tisch. „Ich vermisse dich auch“, sagte er. „Aber es ist noch schlimmer, wenn ich dich sehe und dir nicht nahe sein kann.“
Tayends Augen weiteten sich und er strahlte.
Mit einem Lächeln nahm Dannyl ihm die Mappe aus den Händen. Dann zog er Tayend auf die Füße. „Wenn es dir hilft, dann werde ich Akkarin um ein paar Wochen Urlaub bitten, bevor wir erneut nach Lan reisen“, sagte er und küsste seinen Gefährten. „Weder er noch die anderen höheren Magier werden mein Gesuch nach Yukai ablehnen.“
Tayend lehnte den Kopf gegen seine Schulter. „Dass sie dir Urlaub geben, ist auch das mindeste!“
„Und wie es das ist!“, stimmte Dannyl zu und legte die Arme um seinen Freund. „Doch nun sollten wir zum Abendessen gehen. Die anderen werden sich sonst wundern, wo wir abgeblieben sind.“
„Aber wenn sie alle in der großen Halle sind, können wir es tun.“
„Nein, Tayend.“ Dannyl löste sich von seinem Freund und schob ihn auf Armeslänge von sich. „Es ist zu gefährlich. Ich fühle mich nicht wohl dabei. Du vergisst, dass es Magier wie Regin gibt.“
„Der Magier, der für dich der neue Fergun ist?“
Dannyls Stimmung verdüsterte sich.
„Ja.“
Was dies betraf, so war Dannyl froh, wenn er Kyralia wieder hinter sich gelassen hatte. Er traute Regin nicht. Und seine neusten Eskapaden machten dies nicht gerade besser.
„Also“, sagte Dannyl. „Bist du bereit für einen letzten Abend mit fremden Kulturen? Einen Austausch mit Mirakhi?“
„Nun, wenn du das so formulierst, kann ich schlecht Nein sagen“, erwiderte Tayend. „Auch wenn ich bezweifle, dass das unser letzter Kontakt mit Sachakanern und Duna gewesen ist.“
„Nein“, stimmte Dannyl zu. „Das ist es ganz sicher nicht.“
***
Tennyl legte gerade die letzte Hand an Merins Festgewand, als Lord Rolden das Gemach betrat. „Ashaki Ishaka und Asara von den Verrätern wünschen Euch zu sprechen, Euer Majestät“, sprach er und sank auf ein Knie.
Sie haben wahrhaftig keine Zeit verschwendet, fuhr es Merin durch den Kopf. Es war bemerkenswert, wie schnell sich unter Magiern Neuigkeiten herumsprachen, selbst wenn keiner der bei einer Besprechung Anwesenden die Informationen weitergegeben haben konnte.
„Sie mögen im Audienzraum warten“, sagte er. „Fragt sie, ob sie Erfrischungen wünschen, und schickt einen Diener um diese zu besorgen.“
„Ja, Euer Majestät.“ Zögernd stand Rolden auf. „Soll ich den Hohen Lord und Auslandsadministrator Dannyl dazu rufen?“
„Nein.“ Merin lockerte seinen Kragen ein wenig. Er konnte seinem Kammerdiener noch so oft sagen, diesen nicht so eng zu schließen und trotzdem fühlte er sich jedes Mal halb stranguliert. „Das werde ich selbst regeln.“
Tennyl griff nach einer Kleiderbürste und begann Merins Obergewand abzubürsten. Dann rückte er die Schärpe zurecht und legte Merin den Umhang mit dem goldenen Mullook um die Schultern.
„Danke, Tennyl.“ Merin streifte seine Handschuhe über und betrat sein Audienzzimmer. Das goldene Abendlicht war rötlich geworden und tauchte die grauen Steinwände in einen schwachen Feuerschein. Inmitten des Raumes standen zwei Anführer, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ishaka trug ein dunkles Gewand im sachakanischen Stil, sein Haar war kurzgeschnitten und seine Wangen glattrasiert. Wenn er verärgert war, so ließ er sich das nicht anmerken. Asara hingegen trug enge, in Stiefeln steckende Hosen und eine weite Bluse, die sie mit einem breiten Gürtel zusammenhielt. Ihr langes schwarzes Haar war zu einem strengen Zopf geflochten und sie wirkte verärgert. Mit einem Blick auf die glitzernden Dolche der beiden Sachakaner wusste Merin, er wollte mit ihnen keinen Ärger.
Zugleich wusste er jedoch auch, dass sie ihm nichts tun würden, weil sie damit einen neuen Krieg heraufbeschworen hätten.
„Ashaki Ishaka, Asara von den Verrätern, was für Euch her?“
„Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr heute eine neue Vereinbarung mit den Duna getroffen habt“, begann Ishaka.
„Bei dieser Vereinbarung ging es um einen Punkt, der noch offen war“, antwortete der König kühl.
„Es ist bemerkenswert, dass Ihr diesen Punkt den Duna zugesteht, während Ihr ihn uns verweigert habt“, fuhr der Ashaki fort. „Und das kurz, nachdem Ihr den Vertrag mit uns besiegelt habt.“
„Wem ich was zugestehe, ist meine Angelegenheit.“
„Ich kann verstehen, wenn Ihr den Ashaki das Wissen, wie man mit Magie heilt, verweigert“, sprach Asara. „Doch mein Verständnis endet, wo die Verräter ins Spiel kommen. Wir waren zwei Jahre lang Eure Verbündete.“
„Verbündete, die mein Vertrauen aufs unverzeihlichste missbraucht haben“, schnitt Merin ihr das Wort ab. „Es mögen nur noch jene übrig sein, die daran keinen Anteil hatten, doch das ändert nicht, dass das Vertrauen in Euer Volk gestört wurde.“
„Der Punkt ist doch eher, dass Ihr den Ashaki misstraut, Merin Sohn von Terrel“, sagte Ishaka. „Ich kann Euer Misstrauen nachvollziehen, schließlich haben wir Euch dazu in der Vergangenheit genug Anlass gegeben. Aber die Duna sind wild, barbarisch und Euch weitgehend unbekannt. Und trotzdem schenkt Ihr ihnen mehr Vertrauen als uns?“
„Die Duna verfügen über ein beeindruckendes Wertesystem, das trotz ihres Nomadendaseins dem unseren näher ist als das Wertesystem Eures Volkes.“ Nur mit Mühe konnte der König von Kyralia seinen Zorn unterdrücken. Diese Unterhaltung führte zu nichts. „Sie sind weder unsere Verbündeten noch an einer Aufnahme in die Allianz interessiert. Zwischen ihnen und Kyralia hat nie ein Konflikt bestanden bis Marika sie in diesen Krieg hineingezogen hat. Wir teilen dieses spezielle Wissen mit ihnen als Akt der Wiedergutmachung und der Freundschaft und weil genügend Gründe dagegen sprechen, unsere Heiler bei ihnen leben zu lassen. Ihr hingegen wollt diese Allianz und Ihr habt eingewilligt, Euch das nötige Vertrauen zu verdienen. Wir geben Euch mehr, als wir nach alldem müssten. Wenn Euch das nicht mehr recht ist, dann empfehle ich, den Friedensvertrag für ungültig zu erklären. Doch in diesem Fall werdet Ihr weder Heiler bekommen, noch werden wir Eure Wirtschaft stärken. Und Eure Ödländer werden eine Wüste bleiben.“
Weder Ishaka noch Asara schien erfreut. Als Merin ihren Augen begegnete, nickten sie jedoch. „Ihr mögt kein Magier sein und doch fürchte ich, bleibt mir keine Wahl, als mich Euch zu fügen, Merin Sohn von Terrel“, sprach der Ashaki.
„Das ist eine Lektion, die zu lernen Euch guttut“, erwiderte Merin hart. „Nehmt zivilisierte Verhaltensweisen an, behandelt Eure Sklaven nach den neuen Gesetzen und gebt den Verrätern den Anteil an Eurer Politik, der ihnen zusteht. Dann können in einigen Jahren vielleicht Eure Kinder an unserer Universität studieren und jede Disziplin erlernen, die zu lernen sie wünschen. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“
„Das habt Ihr“, antwortete Ishaka und Asara nickte grimmig.
„Verzeiht, dass wir uns ungerecht behandelt gefühlt haben“, sagte sie. „Wir stehen bereits mehr in Eurer Schuld, als wir je wiedergutmachen können.“
Nach allem, was Merin über die Gepflogenheiten der Sachakaner wusste, kam dies einer Unterwerfung gleich. Die Sachakaner würden niemals bereit sein, ihre Kultur oder die schwarze Magie komplett aufzugeben, doch solange Merin es gelang, an ihren gesunden Menschenverstand zu appellieren, glaubte er, damit leben zu können.
„Ich akzeptiere Eure Entschuldigung“, sprach er. Er wies zur Tür. „Doch nun würde ich vorschlagen, nach unten zu gehen. Sonst verpassen wir noch unser eigenes Festbankett.“
Ohne sich nach den beiden schwarzen Magiern umzudrehen, rauschte er aus dem Raum. Von irgendwo erschien Lord Rolden und schloss sich ihm an. Auf dem Weg zur Treppe begegnete er zwei schwarzgewandten Gestalten. Akkarin und Sonea. Als sie Merin erblickten, sanken sie auf ein Knie. „Erhebt Euch“, befahl Merin mit einer knappen Geste seiner Hand.
„Ich nehme an, das Heiler-Thema ist noch einmal zur Sprache gekommen?“, fragte Akkarin mit einem Blick auf die beiden Sachakaner.
„Das ist es“, sagte Merin grimmig. „Doch ich habe meinen Standpunkt noch einmal verdeutlicht und hoffe, dass dieses Thema damit aus der Welt geschafft ist.“
„Das wäre wünschenswert.“ Akkarin legte eine Hand zwischen die Schulterblätter seiner Frau und führte Merin folgend sie zur Treppe.
„Wie geht es Euch, Lady Sonea?“, fragte der König, während sie die Stufen hinabschritten.
„Gut“, antwortete sie. „Ein wenig müde, doch solange ich nicht den ganzen Abend stehen muss, wird es gehen.“
„Habt Ihr Euch bereits einen Namen für das Kind überlegt?“
„Das hat Zeit, bis wir wissen, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird“, antwortete der Hohe Lord.
„Fest steht bis jetzt nur, dass es ein elynischer Name wird“, fügte Sonea hinzu. „Auslandsadministrator Dannyl zuliebe. Er wird der Pate dieses Kindes.“
„Eine schöne Idee“, sagte Merin. „Eine lange Reise kann viel verändern.“
„Ja“, sagte Akkarins kleine Frau mit dem seltsamsten Lächeln, „das kann sie.“
***
Wo Sonea der Überzeugung war, in den vergangenen Wochen und Monaten mehr Absurditäten als in ihrem gesamten Leben davor gesehen zu haben, schien dieser Abend all dies zu übertreffen. Die Große Halle des Forts war erfüllt mit Musik, Gelächter und Magiern der unterschiedlichsten Völker. Einige Sklaven der Sachakaner musizierten – freiwillig, wie Takiro behauptet hatte – und mehrere Duna-Frauen führten dazu exotische Tänze auf. Entlang der Wände waren Tische und Bänke und Sitzgruppen von Sesseln oder Kissen verteilt und auf ihnen hatten sich die Angehörigen der verschiedenen Völker verteilt. Sie entdeckte sogar die Abgesandten der anderen Allianzstaaten bei jenen, mit denen die Verbündeten Länder in Zukunft intensivere Beziehungen pflegen würden. Der Anblick der in der Großen Halle versammelten Magier machte die Tatsache, dass der Kriegszustand nach zweieinhalb Jahren endlich aufgehoben war, indes nicht weniger absurd.
Sie und Akkarin hatten wenig zuvor in einer Sesselgruppe gesessen und sich mit Arikhai, seinem ältesten Berater und zwei anderen Kriegsherren unterhalten. Sonea war erfreut gewesen zu erfahren, dass die Duna das Recht erhalten hatten, zwei ihrer Magier pro Stamm zur Gilde zu schicken und zu Heilern ausbilden zu lassen. Irakhi würde einer der ersten sein. Da Arikhai als Strafe für seine Beihilfe bei Soneas und Dannyls Flucht aus Yukai für seinen jüngeren Bruder vorgesehen hatte, niemals höhere Magie zu erlernen und das Leben eines Sklaven zu führen, war dies eine überraschende und erfreuliche Wendung.
Jetzt saßen sie gemeinsam mit Ishaka, Takiro König Merin und Tarrekh in einer Gruppe von Kissen. Akkarin gab sich dabei, als wäre er selbst ein Ashaki, was für sich genommen schon beeindruckend war. Selbst auf einem Kissen wirkte er noch würdevoll, was nur zu einem geringen Teil daran lag, dass Sonea ihren Kopf auf seinen Schoß gelegt hatte.
Ishaka soll sehen, dass ich Akkarin gehöre, dachte sie. Trotzdem kam sie nicht umhin sich vorzustellen, dass das hier mehr als nur ein Spiel war. Akkarins kühle Finger strichen sachte über ihr Haar, das sie an diesem Abend offen trug, und ihre Stirn, während er und der König mit zwei der momentan wichtigsten Männer Sachakas sprachen. Sonea hätte sich an dem Gespräch beteiligen können, hätte sie das gewollt, doch sie war die ständigen Diskussionen um Politik und Allianzen leid. Sie sah sich als Kriegerin und zuweilen als Heilerin und ihre Schwangerschaft sorgte dafür, dass sie nach einem langen Tag rasch müde wurde. Von daher war es umso angenehmer, den Abend in einer liegenden Position verbringen zu können. Erst recht, wenn es Akkarins Strategie gegenüber den Sachakanern zugutekam.
Auch wenn es nur ein Spiel war – Sonea entschied, es zu genießen, solange es andauerte.
Die anderen Magier sahen in ihr und Akkarin vermutlich nur den Versuch einer Annäherung an die Sachakaner, indem sie deren Sitten übernahmen. Es hätte erst dann angefangen, seltsam zu wirken, hätte Sonea Akkarins Weinbecher gehalten. Sie ahnte jedoch, dass Akkarin sich nicht einmal im Privaten dazu durchringen würde.
Und Lady Vinara denkt wahrscheinlich, dass Liegen für mich besser ist, überlegte sie. Das Oberhaupt der Heiler war nicht gerade erfreut gewesen, weil Sonea schwanger auf diese Mission gegangen war. Soneas Erklärung, es erst bemerkt zu haben, als sie schon fast in Duna war, hatte sie nur kurzzeitig besänftigt, bevor eine Strafpredigt über Sonea hereingebrochen war, gegen die Akkarins anfänglicher Zorn einer leichten Verärgerung gleichkam. Dass Sonea den Zorn der Heilerin unbeeindruckt über sich hatte ergehen lassen, schien diese nur noch wütender gemacht zu haben.
„Ihr seid fast gestorben!“, hatte sie Sonea angefahren. „Wie konntet Ihr so verantwortungslos handeln?“
„Hätte ich nicht gekämpft, wären noch mehr unserer Krieger gestorben“, hatte Sonea erwidert. „Vielleicht hätten wir die Schlacht sogar verloren. Ihr könnt mich so viel schelten, wie Ihr wollt. Das Wohl der Gilde und Kyralias wird immer Vorrang vor meinem eigenen und dem meiner Familie haben.“
„Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Ashaki gegen die Bedingungen unseres Friedens rebellieren werden?“, fragte König Merin gerade. „Nur, dass sie Euch geholfen haben, Kachiros Anhänger zu vernichten, bedeutet nicht, dass sie mit Euren weiteren Aktionen einverstanden sind.“
„Die meisten Ashaki sind des Krieges leid und wünschen sich in erster Linie mehr Wohlstand für ihr Land“, antwortete Ishaka. „Ich gehe davon aus, dass nur wenige rebellieren werden, besonders wenn sie erfahren, dass die Verräter sie mit uns jagen werden.“
„Sollten die Ashaki Euch Schwierigkeiten bereiten, so wird Arikhai bereit sein, Euch zu unterstützen“, sprach Tarrekh. „Unser Stamm wünscht keine weiteren Unruhen bei unseren Verbündeten. Yukai hat gezeigt, wohin das führt.“
„Sollte es zu einem Bürgerkrieg kommen, so wird die Gilde ebenfalls ihre Unterstützung bieten“, fügte Akkarin hinzu. „Wir werden nicht denselben Fehler ein zweites Mal begehen und Sachaka sich selbst überlassen. Solange Sachaka nicht Mitglied der Allianz ist, stehen wir nicht in der Pflicht zu helfen, doch wir werden dennoch Hilfe anbieten, um die Bindungen zueinander zu stärken.“
Ishaka neigte den Kopf. „Ich weiß Eure Geste zu schätzen, Hoher Lord Akkarin“, sprach er. „Und ich sehe ein, dass dies die bessere Alternative zu Eurer Auslieferung ist.“
„Sich mit einem Volk zu verbünden, das das Potential hat, das eigene zu vernichten, ist auf eine gewisse Weise auch eine Form der Auslieferung“, bemerkte Akkarin, während er mit einer Strähne von Soneas Haar spielte.
Seine Worte ließen sie erschaudern. Ja, irgendwie war es das. Aber ob wir nun Beziehungen zu ihnen pflegen oder nicht – ohne schwarze Magie werden wir immer das leichte Ziel sein. Die Sachakaner würden nicht bereit sein, ihre Macht aufzugeben, das hatte Ishaka deutlich gemacht. Die Verbündeten Länder hatten die Möglichkeit einer Aufnahme in ihre Allianz dennoch zur Aussicht gestellt, sollte Sachaka sich in den folgenden Jahren als dessen würdig erweisen. Sie konnten schwarze Magie nicht der einen Hälfte Sachakas verbieten, während die andere sie weiterhin praktizierte. Zudem gab es noch andere Völker, die diese praktizierten. So wie die Duna.
Sonea selbst sah keinen Sinn in einem Verbot schwarzer Magie. Dieses galt einzig einer Absicherung gegenüber der Gilde und der Bevölkerung der Verbündeten Länder. Sie und Akkarin waren nicht mehr die Einzigen, die schwarze Magie weder als gut noch als böse ansahen und Sonea fand, allein deswegen wäre es heuchlerisch, sie den Sachakanern zu verbieten. Der König hat den Dieben eine offizielle Machtstellung gegeben, wodurch sich die Situation in den Hüttenvierteln verbessert hat, dachte sie. Und auch für unser Verhältnis zu den Sachakanern wird es besser sein, ihnen ihre Macht weiterhin zuzugestehen.
Die Probleme lagen in Soneas Augen an anderer Stelle. Doch in dieser Hinsicht würde vielen Sachakanern in den nächsten Jahren eine Verbesserung widerfahren. Diese lag Sonea beinahe mehr am Herzen als das Wohl der Hüttenleute.
- Da möchte jemand mit dir sprechen.
Sonea zuckte zusammen. Das Bild, das Akkarin ihr sandte, zuordnend sah sie sich in der Halle um. Dann erblickte sie eine Frau in engen Hosen, Stiefeln und einer weiten Bluse, die an einem Fenstersims lehnte und zu ihnen sah.
Asara.
- Kann ich dich mit den anderen allein lassen?, fragte sie.
- Geh nur. Es ist der letzte Abend.
Sonea richtete sich auf und glättete ihr Haar. Akkarin musterte sie mit missbilligend. „Habe ich die Erlaubnis, mich für eine kurze Weile zu entfernen?“, fragte sie. „Jemand wünscht ein Gespräch mit mir zu führen.“
Ishaka hob vielsagend die Augenbrauen.
„Du kannst gehen.“ Akkarins Hand langte in Soneas Nacken und er küsste sie kurz und besitzergreifend. Sonea spürte, wie sich etwas in ihr zu regen begann, was sie in diesem Moment lieber abgestellt hätte.
Es ist nur ein Spiel, rief sie sich ins Gedächtnis. Er ist nicht mehr bereit, weiter zu gehen, als es bis Marika der Fall war. Wir tun dies nur, damit die Sachakaner Akkarin respektieren. Aber Sonea konnte es nicht auf sich beruhen lassen. Sie wollte es nicht auf sich beruhen lassen. Nicht nach den Erkenntnissen, die sie auf ihrer Reise über sich selbst gewonnen hatte.
„Bitte entschuldigt mich.“ In einer fließenden Bewegung stand sie auf und strich ihre Robe glatt. Dann schritt sie, ihr Getränk in einer Hand zu Asara.
Die Verräterin lächelte, als Sonea näherkam. „Wir hatten kaum Gelegenheit, uns zu unterhalten“, sagte sie.
„Ja, leider“, stimmte Sonea zu. „Die letzten beiden Wochen waren … wild … wie man dort, wo ich herkomme, sagt.“
„Du hast deinen Mann wiedergesehen und musstest dich von der langen Reise erholen.“ Asara musterte sie. „Aber du siehst besser aus als kurz nach der Schlacht.“
„Ich habe viel geschlafen.“ Sonea nippte an ihrem Pachisaft. „Und was ist mit dir? Du bist sicher froh, dass die Duna dich nicht hinrichten.“
Asara nickte. „Dannyl und dein Mann haben viel dafür getan, aber letztendlich war es Arikhais Entscheidung. Er hat ihre Argumente an seine Leute getragen.“
„Ich würde mich fragen, ob wir uns nicht in ihm getäuscht hätten, hätte er das nicht getan“, sagte Sonea. Sie sah sich um. Es war laut, voll und stickig und sie begann sich unwohl zu fühlen. „Wollen wir irgendwohin gehen, wo wir ungestört reden können?“
„Eine gute Idee.“ Die Verräterin stieß sich vom Fenstersims ab. „Ich könnte selbst ein wenig frische Luft vertragen.“
Mit einem kurzen Blick zu Akkarin, dessen dunkle Augen für einen Moment zu ihr blitzten, führte Sonea die Verräterin aus der großen Halle.
„Wie ist es, Akkarins Bettsklavin zu spielen?“, fragte Asara, während sie in die höheren Ebenen des Forts stiegen.
Sonea zuckte zusammen. „Ist es so überzeugend?“
„Überzeugend genug für Ishaka und Takiro“, erwiderte Asara erheitert. „Doch es ist nicht zu übersehen, dass mehr dahintersteckt.“
Sonea spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. War es das? „Da du meine Vorlieben nun kennst, ist es sicher nicht schwer zu erraten.“
„Ich meinte deinen Mann. Oder sollte ich besser dein Meister sagen?“
Sonea bedachte die andere Frau mit einem finsteren Blick. „Er bevorzugt Hoher Lord“, sagte sie knapp. Warum darüber reden, wenn er seine Entscheidung bereits getroffen hat?, dachte sie unwirsch. Sie wusste nicht einmal, ob es ihr überhaupt gelang, ihn davon zu überzeugen, das zu vertiefen jetzt, wo sie ihren Frieden mit Marika geschlossen hatte. Er schien fest entschlossen, nicht die Grenze zu überschreiten, die er vor ihrer Entführung gezogen hatte. Sonea missfiel das. Sie wusste, wie erfüllend es jenseits dieser Grenze war.
Allerdings war sie sicher, es würde noch besser sein, wenn er auch noch die Grenze überschritt, die aus dem Spiel etwas Ernsthaftes machen würde. Und das hatte er bis heute nicht getan.
„Es sieht auch von seiner Seite so aus“, sagte Asara. „Nach allem, was du mir erzählt hast, würde ich vermuten, er nutzt die Situation, um herauszufinden, wie weit er gehen kann, ohne die Kontrolle zu verlieren.“
Auf halbem Absatz hielt Sonea inne. „Woran machst du das fest?“
Die Verräterin hob die Schultern. „Beobachtungsgabe. Die Frage ist nur, ob es ihm gelingt, seine Gefühle für dich und seine Vorlieben in Einklang mit seinem Kontrollzwang zu bringen. Wenn dir so viel daran liegt, dann hilf ihm dabei. Es wird eure Beziehung vertiefen.“
Im Idealfall konnte es das. Aber es konnte auch alles verkomplizieren. Sonea begann erstmals ernsthaft zu glauben, dass sie eine Chance hatte, Akkarin von ihren Vorstellungen zu überzeugen. Schließlich hatte sich das größte Problem diesbezüglich von selbst gelöst. Wenn er sich weiterhin zurückhielt, obwohl er mehr wollte, würde er auf Dauer ebenso wenig glücklich wie sie.
Die restlichen Stufen stiegen sie schweigend empor. Sonea hatte keine Lust, dieses Thema mit Asara zu diskutieren. Sie selbst wusste am besten, wie sie Akkarin zu etwas brachte, dem er sich versperrte. Sie hatte es oft genug getan und vielleicht konnte sie seine dunkle Seite dabei zu ihrem Vorteil nutzen.
Zu unserem Vorteil, korrigierte sie sich. Denn sie beide wollten dasselbe.
Am nächsten Tag würden sie endlich nach Imardin zurückreisen. Damit blieb ihr noch eine eintönige Woche des Reitens, um sich darüber klarzuwerden, wie sie diese Sache am besten anging.
„Haben du und deine Schwestern schon entschieden, was mit Savedra geschieht?“, fragte sie, als sie den Turm betraten. Der Wind hatte sich gelegt und über ihnen glitzerte ein silbernes Band aus Sternen.
„Noch nicht. Die eine Hälfte meiner Schwestern bevorzugt, sie und Illara in unser Loch zu werfen, die anderen würden sie gerne an einen Ashaki, der für seine Grausamkeit bekannt ist, verschachern. Dafür wären sie sogar bereit, eine Ausnahme in unserem Friedensvertrag zu machen.“ Sich gegen die Brüstung lehnend lächelte sie humorlos. „Trotz allem, was in Sachaka falsch läuft, kann ich ihnen das nur schwer verübeln.“
„Ich auch nicht“, sagte Sonea sich an die zahlreichen Demütigungen und Bestrafungen Marikas erinnernd. Bevor das zwischen ihnen unangemessene Ausmaße angenommen hatte. „Einige Sachakaner sind ziemlich gut darin, einem zu zeigen, wo dessen Platz ihrer Meinung nach zu sein hat.“
„Allerdings“, stimmte die Verräterin grimmig zu.
Sonea lehnte sich neben sie. „Ich bin sicher, ihr werdet die richtige Entscheidung treffen.“
„So viel wird sich von nun an ändern“, sagte Asara mehr zu sich selbst. „Mein Volk ist geschwächt und ich kann nur hoffen, dass die Ashaki sich an die Vereinbarung halten.“
„Die Chancen darauf stehen besser denn je“, erwiderte Sonea.
„Ja. Doch es wird immer jene geben, denen es nach Rache für irgendein noch nicht gesühntes Unrecht verlangt.“
So wie mein Mord an ihrem König … „Ishaka wird wahrscheinlich der neue Imperator“, sagte Sonea. „Er wird jemanden brauchen, der ihm die Stirn bieten kann. Du könntest eine sehr gute Anführerin sein, Asara.“
Zu ihrer Erheiterung verzog Asara das Gesicht. „Irgendwie findet das in letzter Zeit jeder.“
„Weil es die Wahrheit ist. Du hast nicht nur Savedras Verrat aufgedeckt. Dank dir haben sich viele deiner Leute gegen Savedra gestellt und dazu beigetragen, die Schlacht zu unseren Gunsten zu wenden. Es ist dir sogar gelungen, Arikhai und die Ashaki für dich zu gewinnen.“
„Bis heute Morgen war ich noch überzeugt, ich würde in wenigen Wochen sterben.“
Sonea verdrehte die Augen. „Ist das alles, was dich davon abhält, die neue Große Mutter zu werden?“
Asara seufzte. „Ich bin nicht dafür geschaffen, Sonea. Obwohl ich seit Jahren in Arvice lebe, bin ich in meinem Herzen noch immer Söldnerin. Ich bin Einzelgängerin und bei großen Entscheidungen eher geneigt, mich unterzuordnen. Ich scheuche allenfalls Informanten und Ashaki herum.“
„Anführer und Einzelgänger sein widerspricht sich nicht“, entgegnete Sonea. „Du würdest eine herausragende Stellung in deinem Volk haben. Die anderen würden dich noch mehr respektieren, als sie es jetzt schon tun. Das schafft Distanz.“
„Die Große Mutter ist nicht wie der König von Sachaka oder dein Hoher Lord. Wir ziehen es vor, das Machtgefälle gering zu halten.“
„Du könntest Vikacha in die Zuflucht holen. Du könntest durchsetzen, dass die Männer der Verräter niedere Magie gelehrt wird und sie nicht so etwas wie bessere Sklaven sind. Du könntest dein Volk in etwas verwandeln, das nicht mehr das krasse Gegenteil der Ashaki ist. Ihr braucht diese Annäherung sogar, wenn ihr in Zukunft zusammenarbeiten wollt.“
Asaras Miene verhärtete sich, ihre Augen hatten jedoch zu leuchten begannen. Sonea begriff, sie hatten gerade ein zweites Thema gefunden, bei dem ihre Sturheit ihnen in den Weg kam. Und sie waren dabei, einander vom Unmöglichen zu überzeugen.
„Du bist eine bemerkenswerte Frau, Sonea“, sagte die Verräterin plötzlich. „Es würde mich wundern, wenn es dir nicht gelingt, dass dein Mann dir aus der Hand frisst.“
„Er ist auf seine eigene Weise stur.“
„Das ist mir auch schon aufgefallen.“ Asara drehte sich mit dem Rücken zur Brüstung, die Arme auf dem Mauerwerk ruhend. „Wusstest du, dass ich mit dem Gedanken gespielt hatte, dich zu verführen?“
Spürend, wie die Röte in ihre Wangen stieg, wandte Sonea den Kopf. „Nein.“ Sie nippte an ihrem Saft. „Willst du es noch immer?“
„Obwohl es unangemessen wäre, hat die Vorstellung einen gewissen Reiz. Aber du bist verheiratet und ich bezweifle, dass dein Mann es erlauben würde.“
„Soll ich ihn fragen?“
Sie lachten.
„Du würdest das tun, nicht wahr?“, fragte Asara. „Auch wenn es dich noch so sehr beschämt.“
„Sonst wäre es nur der halbe Spaß, nicht wahr?“
„Wahrscheinlich ja.“
„Asara, wie kannst du als Verräterin eine solche Beziehung wie die von mir und Akkarin gutheißen?“, fragte Sonea. „Das widerspricht doch allem, wogegen dein Volk kämpft.“
„Nein“, sagte Asara. „Das tut es nicht. Gäbe es Anzeichen, dass dein Mann dich schlecht behandelt und du unglücklich bist, dann würde ich etwas dagegen unternehmen. Würde ich überzeugt sein, dass du das alles nur willst, weil Marika etwas in dir zerstört hat, würde ich dir den Kopf zurechtrücken. Doch das ist beides nicht der Fall. Aus demselben Grund befreien die Verräter keine Sklavinnen, die eine Beziehung zu ihrem Meister unterhalten so wie Ishaka und Sari.“
Weil es bei ihnen mehr war. Nur, dass Frauen wie Sari keine Wahl gehabt hatten und ihre Gefühle sich im Laufe der Zeit entwickelt hatten. Wahrscheinlich funktionierte das nur, wenn man von seinem Meister gut behandelt wurde. Sie hingegen hatte diese Beziehung ebenso sehr gewollt wie Akkarin. Und dann hatte eins zum anderen geführt. Sonea bezweifelte, sie würde so für Akkarin empfinden, würde dieses Machtgefälle zwischen ihnen und seine natürliche Autorität sie nicht so sehr ansprechen.
Akkarin saß noch immer bei Merin und den Ashaki. Als Sonea und Asara die große Halle betraten, huschten seine dunklen Augen zu ihr und blieben auf ihr ruhen, bis Sonea die Gruppe wieder erreicht hatte und sich an seiner Seite niederließ.
Mit einer unauffälligen, aber umso dominanteren Bewegung zog er unter Ishakas wissendem Blick ihren Kopf auf seinen Schoß. „Mach es dir auf den Kissen bequem“, murmelte er.
Sonea gehorchte bereitwillig und nicht ohne einen leisen Kitzel der Erregung zu verspüren. Mit einem Mal kam sie nicht umhin, ihre morgige Abreise zu bedauern. Hätte sie die Zeit in Yukai nicht gebraucht, um mit sich ins Reine zu kommen, so hätte sie Ishaka auf diese Weise besser ertragen. Doch es war gut gewesen, dass Akkarin nicht dort gewesen war.
- Du kannst Asara sagen, dass ich nichts dagegen habe.
Sonea zuckte zusammen. Sie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg, und sie fragte sich, was Ishaka von ihr denken mochte. Gewiss würde ihm das nicht entgehen.
- Hast du uns belauscht?
- Nicht absichtlich. Ich wollte nach dir sehen, als ihr nach einer Weile nicht zurück wart, und habe genau in diesem Moment zugesehen.
Sonea unterdrückte ein Schnauben. Natürlich hatte er das.
- Aber …, begann sie. Ich bin deine Frau. Ich gehöre dir.
- Nur, dass ich keinen anderen Mann in deinem Leben dulde, heißt das nicht, dass du dich nicht mit Frauen amüsieren darfst, sandte er. Ich bin kein prüder Kyralier, Sonea.
- Nein, das bist du nicht, stimmte sie ein Schnauben unterdrückend zu. Und das ist auch gut so.
Nichtsdestotrotz konnte Sonea sich nicht ernsthaft vorstellen, sich jemals in eine andere Frau als Danyara zu verlieben. Und diese hasste sie inzwischen mit Sicherheit.
Ah, aber es wäre etwas anderes, würde er es mir befehlen!
Ja, sie war unanständig. Nur irgendwie hatte es aufgehört, ihr gegenüber Akkarin etwas auszumachen. Solange er auf dieselbe Weise unanständig war, brauchte sie sich deswegen nicht sorgen.
- Wenn es das ist, was du willst, ließe sich ein Weg finden.
Sonea zuckte erneut zusammen.
- Kannst du damit aufhören?
- Ah, warum schreist du mir dann deine unanständigen Gedanken entgegen, anstatt sie in deinem Geheimniswahrer zu verstecken?
Statt einer Antwort sandte Sonea ihm ihren Unwillen. Sollte das später in ihrem Quartier ’Konsequenzen’ haben, so war ihr das nur recht. Allerdings hatte sie so eine Ahnung, dass dieses Spiel dann vorbei sein würde. Glücklicherweise waren diese Gedanken zu sehr mit dem verbunden, was sie all die Zeit in Yukai vor Akkarin verborgen hatte. Denn sie konnte spüren, wie ihre Reaktion ihn erheiterte und seine Finger ihre Streicheleinheiten intensivierten.
***
Als Asara an diesem Morgen erwachte, fühlte sie sich so voller Tatendrang, wie sie sich seit ihren Tagen als Söldnerin nicht mehr gefühlt hatte. Heute würde etwas Neues beginnen. Jedoch nicht nur für sie, sondern für ihr Volk und für ganz Sachaka. Heute war der erste Tag einer neuen Ära.
Und heute würde es endlich nach Hause gehen.
Asaras Kopf schwirrte noch von dem kyralischen Wein, den sie auf der Feier am vergangenen Abend getrunken hatte. Nach ihrem Gespräch mit Sonea hatte sie mit dem schönen Gildenmagier und seinem Geliebten, geplaudert, bevor sie mit Arikhai, Taki und Tarrekh und zuletzt Lenyaka und einigen ihrer Schwestern gesprochen hatte. Es war ein großartiger Abend gewesen und ihr Instinkt sagte ihr, dass von nun an bessere Zeiten für Sachaka anbrechen würden.
Und Vikacha und ich werden endlich wieder vereint sein.
Asara hatte ihrem Gefährten nicht erzählt, dass sie knapp einer Hinrichtung entkommen war. Es hätte nichts geändert und Vikacha hätte die vergangenen beiden Wochen damit verbracht, sich um sie zu grämen. Noch war offen, ob Asara nach Arvice zurückkehren und die Verräter dort offiziell vertreten oder in der Zuflucht bleiben würde – für sie stand einzig fest, dass Vikacha dort sein würde, wo sie war. Die genaue Entscheidung würde fallen, wenn ihre Schwestern sich neu organisiert hatten. Es gab so unglaublich viel zu entscheiden. Die meisten ihrer Schwestern waren aufgeflogen und konnten nicht mehr als Ehefrauen von Ashaki leben. Einige waren ihren Männern bei der Schlacht in den fruchtbaren Regionen oder am Fort begegnet und jene, die auf derselben Seite standen, mussten nun entscheiden, wie sie weitermachen sollten.
Für ihre neue Aufgabe brauchen die Verräter sich jedoch nicht zu verstecken. Wenn es nach Asara ging, würden sie auf den Anwesen leben, die nun leer standen. Der Großteil ihres Volkes würde jedoch weiterhin an dem geheimen Ort in den Bergen leben. Die Zuflucht gab ihnen Sicherheit und sollte sich ihre Zusammenarbeit mit den Ashaki als Fehler herausstellen, so würden sie ihr Versteck als Rückzugsort brauchen. Dort lebten all jene, die sie aus ihrem Elend befreit hatten und die aus dem einen oder anderen Grund keine Magie erlernt hatten. Und dort bildeten die Verräter ihre Magierinnen aus.
Über den schroffen Felsen vor Asaras Fenster dämmerte ein grauer Morgen, als sie entschied, aufzustehen und ein letztes Mal die heißen Quellen unter dem Fort zu besuchen, wo die Gildenmagier ein natürliches Bad eingerichtet hatten. Jener Ort tief unter der Festung erinnerte Asara an die heißen Quellen im Heimatberg, wo ihr Volk seine Bäder hatte. Von dem unwirtlichen Bauwerk war dies der einzige Ort, der ihr ein Gefühl von Zuhause vermittelte.
Sie fand Varala, Lenyaka und Estara in einem der Becken. Rasch entledigte Asara sich ihrer Kleidung und ließ sich zu ihnen in das warme Wasser gleiten.
„Ah“, machte sie, während sich die Hitze in jede ihrer Poren brannte. „Das ist genau das Richtige vor einer langen Reise!“
„Und wir sind die Ersten“, sagte Estara. „Die Gildenmagier kommen frühestens bei Sonnenaufgang.“
„Sofern sie überhaupt kommen“, sagte Lenyaka. „Ich habe mir sagen lassen, dass sie nach Hause wollen.“
„Das wollen wir alle.“ Die Augen schließend tauchte Asara unter. „Es ist beinahe ein halbes Jahr her, dass ich in Arvice war.“
„Und vielleicht wirst du niemals wieder dorthin zurückkehren“, erwiderte Varala augenzwinkernd.
„Ich hätte nichts dagegen, den neuen Imperator zu beraten“, entgegnete Asara. „Nach mehr als drei Monaten mit Takiro und Ishaka bin ich sicher, dass ich mit ihnen fertig werde.“
„Das bezweifelt auch niemand. Aber wenn du in der Zuflucht gebraucht wirst, dann wird jemand anderes diese Aufgabe übernehmen müssen. So wie Anjiaka.“
„Anjiaka ist jähzornig. Sie wird eher Streit provozieren, als die Ashaki zurechtzuweisen.“
„Der Imperator braucht keine diplomatische Beraterin in Arvice, wenn die neue Große Mutter über diese Fähigkeiten verfügt. Bei wichtigen Entscheidungen könnte sie per Blutjuwel an den Diskussionen teilnehmen.“
Entnervt verdrehte Asara die Augen. „Geht das schon wieder los?“
„Mit dir als Großer Mutter haben wir die Duna so gut wie als Verbündete gewonnen“, sagte Lenyaka.
„Falsch und falsch. Arikhai mag mir die Strafe für den Mord an seinem Vater erlassen haben, aber das macht noch lange nicht ungeschehen, dass ich sein Vertrauen in mich gestört habe. Und ich kann mich nicht erinnern, wann wir beschlossen haben, die Rebellen wieder aufzunehmen.“
„Du hast gesagt, ihr würdet über unsere Taten richten. Doch nach allem, was wir getan haben, um gegen Divako zu arbeiten, wärt ihr dumm, uns nicht zu verzeihen. Damit gehören wir nahezu wieder zu den Verrätern.“
„Wo sie recht hat, hat sie recht“, bemerkte Varala zähneknirschend. „Zudem können wir jede fähige Magierin gut gebrauchen.“ Sie bedachte Asara mit einem strengen Blick. „Liebes, deine Schwestern verehren dich nahezu. Du solltest dir das noch einmal durch den Kopf gehenlassen.“
„Du weißt, dass ich Vikacha in die Zuflucht holen und in höherer Magie unterweisen würde?“, fragte Asara.
„Einen besseren Zeitpunkt, um ein paar eingestaubte Regeln zu ändern, wird es wohl kaum geben, oder?“, gab Lenyaka zurück. „Sieh es als Akt der Annäherung zu den Ashaki. Und überhaupt würden die Männer der Verräter auf diese Weise interessanter werden. Wenn wir nicht bald selbst ein paar höhere Magier haben, gehe ich freiwillig zu den Duna.“
Asara seufzte. „Glaubt nicht, ihr könntet mich zu irgendetwas überreden!“, rief sie. „Ich werde mich auf nichts einlassen, wovon ich nicht absolut überzeugt bin und was sich nicht realisieren lässt.“ Sie griff nach der Seife. „Und jetzt will ich nichts mehr davon hören.“
Ihre Schwestern und Lenyaka respektierten ihren Wunsch auf eine Weise, die Asara befürchten ließ, schon inoffiziell von ihnen zur neuen Großen Mutter ernannt worden zu sein, und verfielen in Rassook-ähnliches Geschnatter über die Männer der Duna. Ihre Stimmen ausblendend entspannte Asara sich und genoss die Wärme des Wassers.
- Asara, geliebte Meisterin!
Sie schrak auf.
- Vikacha! Kannst du damit aufhören?
- Du bist weit fort und ich fürchte, ich bin inzwischen ganz verwildert.
- Pass lieber auf, dass ich bei meiner Rückkehr meine Grundsätze nicht vergesse und dich angemessen erziehe, gab sie zurück.
- Du würdest dich langweilen, geliebte Meisterin.
- Die Enrasa-Partie geht an dich. Ist irgendetwas passiert oder hattest du Sehnsucht?
- Beides. Gestern wurde Mivara gesehen, als sie mit Tarko auf dem Weg zum Palast war. Ich dachte, das würde dich …
Aufgeregt setzte Asara sich auf und erntete dabei die Proteste ihrer Schwestern, als diese von einem unerwarteten Schwall heißen Wassers getroffen wurden.
- Mivara! Sie lebt?
- Ja und es schien ihr hervorragend zu gehen.
- Was soll das heißen?, verlangte Asara zu wissen. Was hat Tarko ihr angetan?
- Nun, nach allem, was man mir berichtet hat, schien sie ziemlich glücklich zu sein.
Asaras Herz setzte einen Schlag aus. Sie hatte etwas Derartiges befürchtet, seit Mivara erklärt hatte, sie wolle unbedingt in Tarkos Haushalt eingeschleust werden. Deswegen war sie auch dagegen gewesen. Es geschah nur selten, eine gute Informantin auf diese Weise zu verlieren, doch es geschah gelegentlich, dass eine Verräterin anfing, Gefühle für den Mann zu entwickeln, dessen Sklavin sie spielte. Sie zu retten war ähnlich sinnlos, wie jene Sklaven, die nicht gerettet werden wollten.
Trotzdem wollte Asara zumindest versuchen, Mivara zur Vernunft zu bringen.
- Lass Mivara eine Nachricht zukommen, dass ihr Auftrag beendet ist, sandte Asara. Schick wenn nötig Anjiaka bei Tarko vorbei.
- Das wird Anjiaka freuen, doch ich bezweifle, dass sie Erfolg hat, selbst wenn Tarko sie gehenlassen würde.
- Anjiaka hat sich so sehr dafür eingesetzt, dass Mivara zu Tarko kommt, da soll sie auch zusehen, wie sie Mivara dort wieder herausholt. Und es ist mir egal, ob Mivara das will oder nicht.
„Was ist los, Liebes?“, hörte sie Varalas Stimme.
Unwillig öffnete Asara die Augen. „Mivara. Sie will bei Tarko bleiben.“
„Also hat er sie am Leben gelassen?“
„Ja.“
Lenyaka pfiff leise durch die Zähne. „Wenn sie ihre Erfüllung gefunden hat, solltest du sie gehenlassen.“
„Davon abgesehen könnte sie uns auch dort von Nutzen sein“, fügte Varala hinzu. „So wie ich das sehe, wissen in Arvice nur einige wenige von ihrer Identität. Sie und Tarko könnten …“
„Nein“, sagte Asara scharf.
Nachdem sie sich mit Magie getrocknet und wieder in ihre Kleider gestiegen war, flocht Asara ihr Haar zu einem strengen Zopf. Ihre Laune hatte sich durch die Bemerkungen ihrer Schwestern über Mivara und Tarko nicht gerade gebessert. Sie wusste selbst, dass ihr vielleicht keine andere Wahl blieb, als Mivara ihren Willen zu lassen. Sie halfen misshandelten Frauen, aber sie waren keine Tyrannen. Und wenn Mivara mit ihrem Ashaki glücklich war, dann musste Asara das respektieren.
Doch deswegen musste ihr das noch lange nicht gefallen.
Auf dem Weg nach oben kamen ihnen einige Gildenmagier entgegen, die vor ihrer Heimreise anscheinend noch ein schnelles Bad nehmen wollten. Für sie muss es eine ähnliche Katastrophe sein, sich mehr als zwei Tage am Stück nicht waschen zu können, wie für die Ashaki, dachte Asara amüsiert.
Eine Ebene über den Bädern verließen sie die Treppe und bogen in einen Tunnel ein, der nur von einer trüben Lichtkugel erleuchtet wurde. Entlang der Wände waren mehrere schwere Türen aus Metall in die Wand eingelassen. Zwei dieser Türen wurden von Asaras Schwestern bewacht.
„Aufmachen“, befahl Asara mit einer unwirschen Bewegung ihrer Hand.
Ihre Schwestern starrten auf die Türen und diese schwangen auf.
„Ihr könnt nun herauskommen“, sagte Asara. „Wir werden euch nun zurück in die Zuflucht bringen.“
Leise Schritte erklangen, dann traten Savedra und Illara aus den Zellen. Die Gefangenschaft schien ihnen nicht gutgetan zu haben, auch wenn seit ihrer Einkerkerung nur wenige Tage vergangen waren. Ihre Gesichter waren fahl, ihre Augen leblos. Asara nahm an, die Tatsache, dass man sie ihrer Magie beraubt hatte, hatte ihr Übriges getan. Nichtsdestotrotz hielt Savedra den Kopf hoch erhoben und tat es immer noch, als ihre Bewacherinnen ihr und Illara Ringe aus Eisen um Hals und Handgelenke legten und sie aneinander fesselten.
Ob sie die Fassade aufrechterhalten kann, wenn sie gleich den Ashaki gegenübertritt?, fragte Asara sich. Auch diese würden an diesem Tag abreisen, denn auch für sie gab es genug zu erledigen. Mit Sicherheit warteten sie bereits im Hof.
Mit Varala an ihrer Seite stieg Asara hinauf in das Erdgeschoss des Forts. Die Gefangenen und ihre Wächterinnen folgten, Estara und Lenyaka bildeten das Ende des kleinen Zuges.
Asara hatte recht behalten. Im Hof wimmelte es von Ashaki, Gildenmagiern und Verrätern. Arikhai stand bei Sonea, Dannyl und dem Anführer der Gildenmagier. Der Kriegsherr und einige Duna wollten die Gilde sehen, bevor sie ein paar ihrer Leute dorthin schickten, um sie als Heiler ausbilden zu lassen. Obwohl Asara verärgert war, weil ihr Volk seine Leute nicht zu Heilern ausbilden lassen konnte, verstand sie auch, warum den Duna die Erlaubnis gegeben worden war.
Als sie und Varala durch die Menge schritten, wandten sich nach und nach alle ihr und ihren Begleiterinnen zu. An ihren Blicken und ihrem Gemurmel konnte Asara ablesen, dass ihr Hauptaugenmerk den Gefangenen galt. Sie warf einen Blick über die Schulter. Savedra und ihr Schatten schritten hocherhobenen Hauptes durch die Menge. Asara glaubte jedoch, unter ihrer Miene des Trotzes Anzeichen von Stress zu sehen.
Mit einem zufriedenen Lächeln löste sie sich von ihren Schwestern und trat zu Sonea und Dannyl.
„Und wieder einmal trennen sich unsere Wege auf unbestimmte Zeit“, sagte sie, nachdem sie einander begrüßt hatten.
„Es wird sicher nicht das letzte Mal gewesen sein“, erwiderte der schöne Gildenmagier. „Auch wenn ich fürchte, die Zeiten, in denen Ihr mir das Leben gerettet habt, sind nun endgültig vorbei.“
„Wer weiß, ob sie das wirklich sind?“, fragte Asara. „Nach allem, was ich gehört habe, wird Eure Gilde bald Diplomaten in Sachaka brauchen.“
„Aber nicht den Auslandsadministrator“, erklärte der Liebhaber des schönen Gildenmagiers.
„Das nicht, doch in diesem Fall werde ich vielleicht hin und wieder nach Sachaka reisen.“ Dannyl sah zu dem rothaarigen Elyner, der in Asaras Augen nicht weniger schön war, als Dannyl selbst. „Und da es in Sachaka nun bald sicherer sein wird, müsstest du auch nicht mehr zurückbleiben.“
„Oh, das wäre großartig!“, rief sein Liebhaber erfreut.
„Nun, in dem Fall könntet Ihr dennoch eine Eskorte gebrauchen“, sagte Asara.
Dannyl zwinkerte ihr zu. „Sofern Ihr dann noch zur Verfügung steht.“
Asara unterdrückte ein Schnauben. „Macht weiter so und ich werde mit Arikhai nach Duna gehen.“
„Ich werde ein Volk nicht seiner Anführerin berauben“, erwiderte der Kriegsherr.
Das muss eine Verschwörung sein, dachte Asara. Ob Arikhai daran einen Anteil hat, weil er der Meinung ist, das ist schlimmer als die Strafe, die sein Volk mir hätte auferlegen können? „Asara, Liebes!“, rief Lenyaka. „Komm jetzt. Dannyl ist fertig gesattelt und bepackt.“
„Ihr habt Euer Pferd nach mir benannt?“
Erheitert wandte Asara sich um. „Es erschien mir ein passender Name für einen Reisegefährten.“ Sie beugte sich vor und küsste Dannyl auf beide Wangen. „Lebt wohl. Bis wir uns wiedersehen.“
„Ihr auch“, sagte Dannyl ihre Geste erwidernd. „Ich wünsche Euch alles Gute.“
„Gute Heimreise“, wünschte Asara dem Anführer der Gildenmagier und seiner Frau.
„Ich nehme an, wir sehen einander, wenn das Bündnis offiziell besiegelt wird?“, fragte Akkarin.
Asara nickte. „Ich werde dabei sein wollen.“ Sie trat zu Sonea und umarmte sie. „Wir sehen uns dann.“
- Wenn er sich weigert, dann werde ich ihm bei unserem Wiedersehen die Meinung sagen.
- Und du meinst, auf dich hört er eher?
- Ich habe schon ganz anderen Männern die Meinung gesagt. Wenn auch es mal etwas Neues wäre, einem von ihnen das Gegenteil meiner sonstigen Predigten zu halten.
- Allein um das zu erleben, bin ich versucht, mir keine Mühe bei meiner Überzeugungsarbeit zu geben.
Erheitert küsste Asara sie auf beide Wangen. „Ich bin sicher, du schaffst das auch ohne meine Hilfe.“
Akkarins fragenden Blick ignorierend wandte sie sich zu dem letzten Mann in der Runde. „Ich stehe in Eurer Schuld, weil Ihr Euch entschieden habt, mir zu verzeihen. Damit habt Ihr wiederholt Größe bewiesen.“
„Ich kann nicht gerade behaupten, dass es angenehm wäre, zu wissen, wer meinen Vater getötet hat“, sprach Arikhai. „Doch ich verstehe auch die Umstände und sehe einen Teil der Schuld jetzt bei ihm selbst und seiner Entscheidung, sich an diesem Krieg zu beteiligen. Hättet nicht Ihr ihn getötet, so wäre er möglicherweise im Kampf gestorben. Und ich kann nicht behaupten, ganz ohne Schuld zu sein.“
Nein, denn du hast deine zweite Frau und beinahe auch deinen Bruder getötet, weil du sie für Verräter gehalten hast …
„Damit wären wir also quitt?“, fragte Asara.
„Ja.“
Sie neigte den Kopf und wollte gehen. Dann hielt sie jedoch noch einmal inne.
„Eine Frage hätte ich dennoch.“
„Sprecht.“
„Wie kam es, dass Eure Krieger bei dem Angriff auf das Fort so viel stärker waren als die Ashaki?“, fragte sie. Sie hatte die Geschichte inzwischen von so vielen ihrer Schwestern, aber auch von den Gildenmagiern und den Ashaki gehört, dass sie zweifelte, es handelte sich dabei um eine Übertreibung.
„Der Kristall“, sagte Arikhai. „Die alten Priester haben über Generationen ihre Magie dort drin gespeichert.“
„Ich dachte, er wäre heilig.“
„Einen heiligeren Zweck als unser Heiligtum zu rächen hätte es kaum geben können“, erwiderte der Duna.
„Jetzt wird mir so einiges klar“, murmelte Dannyl.
„Ohne die Schilddiebe wären wir verloren gewesen“, murmelte Sonea.
Und auch Asara begriff nun den wahren Grund für das Verschwinden des Kristalls am Tag nach der Zerstörung des Tempels. In der Zeit, die seitdem verstrichen war, hatte sie sich oft gefragt, ob ihre Erinnerung ihr nicht einen Streich gespielt hatte und der Kristall nicht bereits verschwunden gewesen war, als sie Arikhai und Divako belauscht hatte. Doch jetzt begriff sie, der Kriegsherr hatte ihn an sich genommen und damit seine Krieger und die der anderen Stämme für seinen Rachefeldzug gestärkt.
„So betrachtet ist es gut, dass es Dannyl gelungen ist, den Kriegsherrn zu überzeugen“, bemerkte der Anführer der Gildenmagier.
„Asara! Jetzt komm endlich! Sonst kommen wir nie zuhause an.“
Mit einem entschuldigenden Lächeln blickte Asara in die kleine Runde. „Ich fürchte, ich sollte nun wirklich gehen. Meine Schwestern werden unruhig. Und Dannyl verlangt nach Auslauf.“
„Dann solltet Ihr ihn nicht warten lassen“, sagte der richtige Dannyl. „Nur tut mir einen Gefallen und scheucht ihn nicht zu sehr.“
Asara lachte. „Keine Sorge. Sollte er tot umfallen, so haben meine Schwestern und ich ein schmackhaftes Abendessen.“
***
Und im nächsten Kapitel machen einige Charaktere reinen Tisch …
Fragen zum Kapitel
Was sind Arikhais Motive für sein Urteil über Asara? Könnt ihr sie nachvollziehen?
Warum ist Sonea so wütend auf Regin bzw. Akkarin bezüglich Regins Anwärterschaft auf das Oberhaupt der Krieger?
Was haltet ihr von der Lösung, dass die Duna einige Magier zu Heilern in der Gilde ausbilden lassen dürfen und die Sachakaner nur Heiler gestellt bekommen?
Was haltet ihr von Akkarins „Lösung“? Was von dem Gespräch zwischen Sonea und Asara?
Mehr Geistreiches fällt mir heute leider nicht ein, aber fühlt euch frei, euren Senf auch zu anderen Dingen dazuzugeben :)