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Die Bürde der schwarzen Magier III - Das Heiligtum von Yukai

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P18 / Mix
Hoher Lord Akkarin Lord Dannyl Lord Dorrien Lord Rothen Regin Sonea
02.08.2016
04.06.2019
56
813.938
87
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Dieses Kapitel
3 Reviews
 
15.05.2018 13.971
 
Hallo ihr Lieben,

Die große Schlacht ist vorbei, doch es gibt für unsere Helden noch viel zu klären und zu erledigen. Und dabei kommen auch einige unangenehme Wahrheiten ans Licht ... ;)

Da diese Geschichte sich nun allmählich dem Ende zuneigt (es geht noch bis Anfang August), werde ich zum nächsten oder übernächsten Kapitel noch ein paar Informationen zur Fortsetzung "Das Erbe der schwarzen Magier I – Die Königsmörderin" inklusive einer etwas längeren Leseprobe und dem neuen Cover, von dem ich wünschte, dass man es hier auf FF.de einer Geschichte hinzufügen könnte, veröffentlichen.

Lieben Dank an Sinsa, Sabrina Snape, Emmi, Lady Kadala, Silberschatten und Lady Alanna für die Reviews zum letzten Kapitel <3






***




Kapitel 46 – Aufräumarbeiten



Sonea seufzte leise, als Akkarin den reglosen Körper ihres Freundes auf das Bett in dessen Quartier schweben ließ. Was hatte Regin sich dabei gedacht, den Helden zu spielen? Irgendwie schien er besonders draufgängerisch, wenn er Probleme mit einer Frau hatte. Glaubte er damit Trassias Gunst zurückzuerlangen oder war das seine Art mit einem Verlust umzugehen?

Oder war der Grund viel banaler? Hatte er diese törichte Aktion durchgeführt, weil Akkarin ihn nicht gegen diejenigen, die seinen Mentor getötet hatten, hatte kämpfen lassen?

Akkarin trat zur Seite, so dass Sonea sich auf die Bettkante setzen konnte. Als sie in die weiche Matratze sank, fühlte sie sich so zerschunden und erschöpft, dass sie sich am liebsten darauf zusammengerollt hätte und nicht mehr aufgestanden wäre. Während der Schlacht hatte sie ihre Erschöpfung ignoriert. Jetzt wünschte sie sich nichts sehnlicher, als endlich zu schlafen.

Sonea legte eine Hand auf Regins Stirn und sandte ihren Geist in seinen Körper. Ein Chaos aus zerfetzten Gefäßen und Gewebe, in Alarmbereitschaft versetzten Nerven und Schmerzen schlug ihr entgegen. Er konnte von Glück sagen, dass er noch lebte.

Sie ließ von ihm ab und sammelte sich einen Moment. Dann schlug sie seine Robe zurück, um die Verletzung von außen in Augenschein zu nehmen. Der Anblick war alles andere als erfreulich.

„Soll ich einen Heiler dazu holen?“

Sonea schüttelte den Kopf. „Ich weiß, was ich zu tun habe. Lass die Heiler sich um die übrigen Verletzten kümmern.“

Zahlreiche Teilnehmer der Schlacht litten an Brand- und Schürfwunden. Nicht wenige Überlebende des Infernos in der Schlucht zu Beginn der Schlacht hatten Knochenbrüche oder Kopfwunden, jedoch keine schwereren Verletzungen – jene waren bereits von ihren Gegnern und Kampfgefährten für ihre Magie getötet worden. Die Heiler der Gilde und jeder weitere Gildenmagier, der noch Magie übrig hatte und die Grundlagen der Heilkunst beherrschte, kümmerten sich um die Verletzten. Sonea, Akkarin und die Krieger hatten die Magie in ihren Speichersteinen zur Verfügung gestellt, um dem Bedarf gerecht zu werden.

„Wie schwer sind seine Verletzungen?“

Sonea wandte sich um. „Seine Beine sind mehrfach gebrochen. Ein Teil wurde von einem herabstürzenden Felsen zertrümmert, aber das würde jeden Heiler vor eine Herausforderung stellen.“ Es ging mehr um Visualisierung und Kontrolle als um Wissen. Und das war etwas, das sie schon früh beherrscht hatte. Sie schloss die Augen und nahm einen tiefen Atemzug. „Das Schlimmste ist jedoch: Er hat so viel Magie verbraucht, dass es fraglich ist, ob sein Körper sich erholt.“

Obwohl sie Regin für seine Aktion mit Dorrien hasste und er in ihren Augen dafür bestraft gehörte, wollte sie nicht, dass er starb. Was er auch getan haben mochte, er war ihr Freund.

„Kannst du seine Beine heilen?“

„Es gibt zwei Möglichkeiten“, antwortete Sonea. „Entweder ich füge die winzigen Knochensplitter wieder zusammen oder ich entferne sie und rege den Knochen an, das dazwischenliegende Stück zusammenzuwachsen. Beides erfordert jedoch Magie, die ich nicht mehr übrig habe.“

„Ich kann dir die Magie geben, die du brauchst“, murmelte Akkarin hinter ihr. „Ein wenig habe ich noch übrig.“

Sonea lächelte dankbar. „Damit wäre ihm sehr geholfen.“ Und mir. Sie wandte sich um. „Wenn sich sein Körper nicht mehr um die Selbstheilung kümmern muss, ist es wahrscheinlicher, dass sich seine Magie wieder regeneriert.“

„Dann fang an.“

Akkarin legte eine Hand auf ihre Schulter und einen Augenblick später strömte seine Magie in Sonea, die sie sofort weiter in Regins Körper leitete. Durch die offenen Wunden an seinen Beinen entfernte sie die kleineren Knochenfragmente. Sie stoppte Blutungen und brachte seinen Körper dazu, Schwellungen abklingen zu lassen. Dann richtete sie die Fragmente seiner zertrümmerten Beine und ließ sie zusammenwachsen. Dort, wo nun Stücke des Knochens fehlten, regte sie seine Körperfunkionen an, neues Material zu bilden. Sie wagte es jedoch nicht, diese komplett zusammenwachsen zu lassen, weil sie die Konsequenzen nicht absehen konnte. Anders als bei den meisten Brüchen musste sehr viel Knochen nachwachsen. Sie konnte die Magie beisteuern, doch das Knochenmaterial konnte Regins Körper nur selbst bilden. Wenn sie diesen Prozess forcierte, während er derart geschwächt war, würde sie damit seinen Körper mehr schwächen, als dass es ihm half.

Schließlich zog sie ihre Hand zurück und öffnete die Augen.

„Wie geht es ihm?“, fragte Akkarin ungewöhnlich sanft.

Sonea hob die Schultern. Ihren Willen ausstreckend ließ sie die Waschschüssel und ein Handtuch ans Bett schweben. „Seine oberflächlichen Verletzungen sind geheilt“, sagte sie, während sie das Handtuch ins Wasser tauchte und das getrocknete Blut von seinen Beinen wusch. „Es wird jedoch noch eine Weile dauern, bis seine Beine wiederhergestellt sind. Möglicherweise sind seine Bewegungen hinterher eingeschränkt. Ein Heiler sollte später noch einmal nach ihm sehen.“

„Zu bedauerlich, dass der Krieg deinen Berufswünschen in den Weg gekommen ist.“

Eine Augenbraue hebend wandte Sonea sich um. „Ich dachte immer, du befürwortest weibliche Krieger“, bemerkte sie.

„Das tue ich. Aber Menschen zu heilen war dein Traum. Ich hätte ihn dir ermöglicht, hättest du das gewollt.“

Sonea streckte ihre Hand nach seiner aus drückte sie leicht. „Ich weiß. Aber ich bereue meine Entscheidung nicht, Akkarin. Manche Träume sollten das bleiben, was sie sind. Kämpfen liegt mehr in meiner Natur.“ Sie sah zu Regin. „Er muss jetzt seine Magie regenerieren, aber darauf habe ich keinen Einfluss.“

Sie hoffte, ihre und Akkarins Magie war nicht verschwendet und dass Regin sich wieder erholen würde.

Außerdem bin ich noch nicht fertig mit ihm …

Sie ließ Schüssel und Handtuch zurück auf den Tisch schweben und stand auf – und taumelte. „Oh.“

Sofort war Akkarin bei ihr. „Geht es dir gut?“, fragte er und fasste sie an den Schultern.

„Ja“, beeilte Sonea sich zu sagen. Das Baby … Rasch untersuchte sie sich. „Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, ich brauche dringend eine Pause, auch wenn ich draußen gebraucht werde.“

„Du hast letzte Nacht kaum geschlafen“, sagte Akkarin streng. „Du hast dich nahezu erschöpft. Du kannst auch später bei den Aufräumarbeiten helfen.“ Er verzog kaum merklich das Gesicht. „Zudem bin ich der Ansicht, dass diejenigen, wegen denen dieses Chaos überhaupt angerichtet wurde, diejenigen sein sollten, die es beseitigen.“

„Wahrscheinlich.“ Sonea seufzte leise. Ihr Pflichtbewusstsein verbat ihr, sich eine Pause zu gönnen. Durch das Baby fiel ihr die Entscheidung leichter, was ihr jedoch nicht die Schuldgefühle nahm.

Akkarin brachte sie in ihr gemeinsames Quartier. Erschöpft ließ Sonea sich auf das Bett sinken. Es war absurd, sich jetzt hinzulegen, da es erst Mittag war. Aber sie wusste auch, sie würde nicht mehr bis zum Abend durchhalten.

„Kommst du ohne mich klar?“, fragte Akkarin.

„Auch, wenn ich dich gerne bei mir hätte, würde ich doch nur schlafen.“ Ein schiefes Lächeln aufsetzend drohte Sonea ihm mit dem Zeigefinger. „Und ich wäre auch ausnahmsweise nicht sehr erfreut, wenn du dich währenddessen an meinem Körper vergehst.“

Akkarins Mundwinkel zuckten. „Ich meinte eigentlich die Verluste, die du heute einstecken musstest.“

Nirili. Balkan. Nahezu ein Dutzend anderer Gildenmagier …

Die Verräterin hatte sie auf der Reise nach Yukai und wieder zurück begleitet. Balkan war ihr Lehrer und ein fähiger Krieger gewesen. Sonea hatte ihn sehr geschätzt. Sein Tod würde eine große Lücke in der Gilde hinterlassen.

Und was wird dann aus Luzille?

Befindend, dass ihre Gedanken gerade keinen Sinn mehr ergaben, schüttelte sie den Kopf. „Ich glaube, ich brauche Zeit, um zu begreifen, dass sie tot sind.“

Akkarin nickte. Er trat zu ihr und streckte seine behandschuhte Hand nach ihr aus. „Dann nimmt dir diese Zeit. Die letzten Wochen und Monate waren für dich in jeder Hinsicht anstrengend.“

Weiß er es?, dachte Sonea. Hat er es gesehen, als er mich vorhin untersucht hat, und hat mich nur nicht darauf angesprochen, damit ich während der Schlacht nicht abgelenkt bin?

Das wäre typisch für Akkarin. Und vielleicht auch besser. Wäre es während der Schlacht zu einem Streit gekommen, so hätte sie eher ihn als ihre Gegner zu Asche verbrannt.

„Das waren sie“, stimmte sie vorsichtig zu. Sie schmiegte sich in die Wölbung seiner Handfläche. „Ich werde trotzdem später helfen.“

Akkarin beugte sich zu ihr hinab und küsste sie auf die Stirn. „Ruf mich, solltest du mich brauchen.“

Sonea unterdrückte ein Schnauben. Sie konnte mit ihrem Verlust alleine fertig werden. Schließlich hatte sie auch mit seinem Verlust alleine fertig werden müssen.

Nein, dachte sie, nachdem sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Er weiß es nicht. Als sie sterbend am Boden gelegen hatte, hatte er alles daran gesetzt, sie zu stabilisieren und zu verhindern, dass ihre Verletzungen sie umbrachten. Es waren ihre Schuldgefühle, die sie glauben ließen, er wüsste bescheid.

Und das bestätigte Sonea, dass die Zeit für die Wahrheit überfällig war.


***


Nachdem der Gildenmagier, der als Captain – nicht Lord – Eril bezeichnet wurde, ihr erklärt hatte, dass ihre Magie für eine Mithilfe bei den Aufräumarbeiten nicht ausreichte, war Asara auf die sachakanische Seite der Berge zurückgekehrt. Die Überlebenden waren damit beschäftigt, die Schlucht frei zu räumen und die Toten zu bergen. Es wurde Zeit, in Erfahrung zu bringen, wer von ihren Schwestern noch am Leben war. Und sie musste ihre wenigen Habseligkeiten, die sie mit ihrem Pferd irgendwo unterhalb der Schlucht zurückgelassen hatte, holen.

Die Magie, die der schöne Krieger ihr für seine Rettung gegeben hatte, genügte damit Asara auf den nächsten Bergkamm schweben und an diesem entlang laufen konnte. Der Bereich, der von dem wilden Speicherkristall verwüstet worden war, war immer noch ein heilloses Chaos.

Sie fand Dannyl bei den anderen Pferden, die ein Großteil der Ashaki und Duna zusammen mit den Sklaven zurückgelassen hatten. Magische Kämpfe waren kein guter Ort für Pferde. Die Tiere scheuten häufig, sobald ein magischer Angriff kam, und waren nicht sonderlich gut mit einem Schild zu schützen. Es war möglich, ein Pferd an Magie zu gewöhnen, doch das war ein langwieriges Unterfangen, das offenkundig nur die Duna gemeistert hatten. Nicht einmal den Land-Ashaki gelang es, ihre Pferde derart gut abzurichten, weswegen viele zu Fuß kämpften.

„Es ist schön, dass du überlebt hast, mein Schöner“, sagte sie den Hals des Pferdes tätschelnd. „Nach allem, was wir zwei seit Yukai durchgemacht haben, wäre es zu bedauerlich gewesen, wärst du der Schlacht zum Opfer gefallen.“

Dannyl schnaubte und schüttelte seine Mähne.

„Asara!“

Takiro eilte auf sie zu. Seine Gesichtsfarbe wirkte angesichts seiner farbenfrohen Gewänder kränklich – nahezu kyralisch. „Bringt Ihr Neuigkeiten von der Schlacht?“

Ein Seufzen unterdrückend wandte Asara sich um. „Wir haben gewonnen. Divako und Sakori sind tot, sowie all ihre Anhänger. Sarkaro und die Duna haben uns am Ende geholfen, sie zu töten.“ Mit einem feixenden Lächeln fügte sie hinzu: „Aber bevor Ihr ohnmächtig werdet: Euer Freund lebt.“

„Sarkaro?“ Takiro pfiff leise durch die Zähne. „Ich habe nie so recht daran geglaubt, dass er auf Kachiros Seite ist.“

„Er war sein Leben lang Ichani. Das macht ihn schwer einzuschätzen.“ Asara hob die Schultern.

„Aber Sarkaro wollte dieses Leben nie. Er wurde als Ichani geboren, weil Vareka seinen Vater ausstieß. Er wollte nichts als ein Stück Land und in Frieden leben.“

Und das war eines der Probleme in diesem Land. Der König und die Ashaki glaubten daran, dass Schuld auf die Nachkommen übertragen wurde. Ohne Marikas Krieg und seine damit verbundene Kompromissbereitschaft hätte Sarkaro nie eine Chance gehabt, dieses Leben zu verlassen.

„Ihr kanntet ihn besser als ich“, sagte sie. „Radikale Ansichten, wie Kachiro sie vertreten hat, würde ich jedoch so manchem Ichani, dem ich begegnet bin, unterstellen.“

„So wie Miriko und Takedo?“

Sie nickte.

„Marika hätte Sarkaro nicht verziehen, hätte er solch radikale Ansichten vertreten“, sagte Takiro. „Er hätte ihn für seinen Krieg benutzt und anschließend getötet. Tatsächlich hatte Sarkaro während der Schlacht in der Ettkriti-Ebene dazu sogar die perfekte Rolle inne.“

„Er hat Marika gespielt?“, rief Asara aus.

„Sie hatten eine ähnliche Statur. Da bis dahin kein Gildenmagier außer Eurem schönen Auslandsadministrator den König je zu Gesicht bekommen hatte, war die Gefahr relativ gering, dass der Unterschied auffällt.“

Sie begannen mit dem Aufstieg zum Fort. Das Stück Weg, wo die Schlucht gewesen war, war noch immer unpassierbar. Mittlerweile waren einige Ashaki und Duna damit beschäftigt, mit ihrer verbleibenden Magie ein Stück des Geröllfeldes so weit zu glätten, dass man es einigermaßen gut passieren konnte.

Es würde eine Weile dauern, die Trümmer ganz wegzuräumen und eine neue Straße zu bauen. Mit genügend Magie konnte man die Felsen in den nächsten Abgrund werfen. Anschließend würde eine neue Straße gebaut werden müssen. So wie die Gildenmagier es unterhalb des anderen Passes getan hatten, nachdem Yirako die Verwüstung zugunsten seiner kleinen Invasion beseitigt hatte.

Auf halbem Weg zur Schlucht kam ihnen eine größere Gruppe mit Pferden entgegen. Drei der Reiter waren Asara nur allzu vertraut.

„Kriegsherr Arikhai“, sagte Asara überrascht. „Ich dachte, jetzt wo Ihr die Wahrheit kennt, wäre Euer Interesse an Verhandlungen wiedererweckt.“

„Das ist es auch“, antwortete der Duna. „Ich führe mein Volk zu einem Lagerplatz weiter unten. Die Gildenmagier haben uns angeboten, in ihrem Fort zu lagern, doch für einen Duna ist das kein guter Ort.“

„Vermutlich nicht“, stimmte Asara zu. Sie sah sich um. „Wo ist eigentlich Eure zweite Frau?“, fragte sie mit einem Blick auf Taki und Mirakhi.

Das Gesicht des Kriegsherrn verdüsterte sich. „Sie hat Yukai nicht überlebt.“

An dem Ausdruck in seinen Augen konnte Asara sehen, dass er sie getötet hatte. Den Grund konnte sie jedoch nur erahnen.

„Ich bedaure Euren Verlust“, sagte sie. „Sie war noch jung, doch sie war eine gute Kämpferin.“

„Es war ein Fehler, auf Divako zu hören“, grollte er. „Ich habe mein Volk in einen Krieg gegen den falschen Gegner geführt. Das ist fast so unverzeihlich, wie der Auslöser für diesen Krieg.“

„Ich weiß, dass Divako Euch hat glauben lassen, Ishaka und meine Leute hätten den Tempel entweiht“, sagte Asara. „Ich weiß, er hat Euch glauben lassen, wir hätten uns mit Ishaka verschworen. Angesichts der Gerüchte um Ishaka, die auf eine gewisse Weise sogar zutreffend waren und gewisser Ereignisse in den Reihen der Verräter, ist Eure Reaktion auf unser vermeintlich unehrenhaftes Handeln nur verständlich.“

„Es war ein geschickter Zug, sich seiner Verbündeten weiterhin sicher zu sein“, grollte Arikhai. „Divako und sein Imperator brauchten uns, um ihr Imperium zu sichern.“ Er schüttelte den Kopf. „Und wie geht das besser als mit einem Volk kriegerischer Barbaren?“

„Ihr wart von ihrer Ehrenhaftigkeit überzeugt. Und sie haben Euch getäuscht.“

„Wie meint Ihr das?“

„Es war Divako, der das erste Blut vergossen hat, als er in jener letzten Nacht in Yukai Ishaka zur Rede gestellt hat.“

„Ist das so?“

„Meine Quellen sind verlässlich. Als Eure Leute in den Tempel kamen, hat er Ishaka nicht verfolgt. Er wollte Euch davon abhalten, seine eigenen Leute zu töten und das Bündnis zu lösen. Aber fairerweise muss ich dazu sagen, dass er Hilfe von meinen ehemaligen Schwestern hatte. Sie haben Dannyl in jener Nacht entführt. Sie haben eine zu Divako geschickt, damit dieser Ishaka bloßstellt.“

Während sie gesprochen hatte, war Arikhais Miene zusehends zorniger geworden. Asara verstand nur allzu gut, wie er sich fühlte. Er war von seinen Verbündeten betrogen worden, sie von ihrer Anführerin. „Und wie passen die Ichani in Eure Geschichte?“

„Was mit den Ichani ist, weiß ich nicht“, antwortete Asara. „Wenn ich raten könnte, würde ich sagen, sie haben die Gelegenheit genutzt, um offene Rechnungen zu begleichen.“

„Ich wünschte, Divako wäre nicht von den Gildenmagiern getötet worden“, grollte Arikhai. „Ich hätte mich ihm gerne persönlich angenommen.“

Asara lächelte mitfühlend. „Das verstehe ich. Doch die Gildenmagier hatten ihre eigene Rechnung mit ihm. Er hätte fast Lady Sonea getötet.“

Jetzt wäre eine gute Gelegenheit, es ihm zu sagen. Sie konnte den Respekt in seinen Augen sehen. Er würde verstehen, dass es nichts Persönliches gewesen war.

„Die kleine Kriegerin der Gildenmagier, deren Ruf größer ist als sie selbst.“ Der Duna lächelte. „Würde sie nicht einem anderen gehören, so hätte ich sie zu meiner Frau gemacht. Sie und Yui haben sich gut verstanden.“ Dann verfinsterte sich seine Miene. „Allein für Yui hätte ich Divako töten sollen.“

„Er hat dennoch bekommen, was er verdient hat“, sagte Asara.

„Nicht nach unseren Gesetzen.“

Asara erschauderte. Seine Feinde kamen und zerrissen ihn bei lebendigem Leib, indem sie seine Glieder an Pferde banden, die sie hinaus in die Wüste trieben. Seine Überreste warfen sie den Wüstenwürmern zum Fraß vor.

Die Worte, die wenige Augenblicke zuvor noch aus ihr heraus gewollt hatten, blieben ihr nun im Halse stecken. Sie wusste, sie würde dasselbe Schicksal ereilen. Und was, wenn sie damit einen neuen Krieg auslöste?

Aber er darf auch nicht länger glauben, es wäre der Anführer der Gildenmagier gewesen.

Asaras Erleichterung kannte keine Grenzen, als Arikhai erklärte, er würde nun weiterziehen, um seine Leute zu dem Lagerplatz weiter unten bringen. Die Stunde der Wahrheit war indes nur aufgeschoben.

Es war richtig, ihm die Wahrheit über den Tod seines Vaters zu sagen. Aber sie musste auch an ihr Volk denken. Ihre Aufgabe hier war noch nicht getan war. Savedra saß noch immer in der Zuflucht, möglicherweise mit den letzten ihrer Anhänger und sie mussten einen Weg finden, sie zu stürzen. Und wenn das vorbei war, würden sich die Verräter neu organisieren müssen.

Um Takiros Gejammer ob der steilen Straße nicht ertragen zu müssen, ritt Asara voraus. Er würde den Weg auch ohne sie finden. Selbst ein Gorin konnte sich auf dieser Strecke nicht verlaufen.

Im Tunnel unterhalb des Forts kam ihr ein Gildenmagier entgegen und wies ihr den Weg. Asara führte Dannyl in einen Seitentunnel und erreichte wenig später einen Hof, um den das Fort wie ein behauener Fels in den Himmel ragte. Sie schnitt eine Grimasse. Es hatte von außen schon nicht sehr heimelig ausgesehen. Was sie jetzt sah, bestätigte ihre Vermutungen und sie bezweifelte, dass es drinnen besser war.

Es ist so ganz anders als die Zuflucht, dachte sie. Obwohl es auch aus Felsen errichtet wurde. Wie viel Magie das gekostet haben mag? Wenn die Gildenmagier Gebäude mit Magie bauen konnten, dann sprach das hier nicht gerade für ihre Baukunst.

Ein Kyralier nahm Asara das Pferd ab. Er trug keine Roben, sondern eine graue Uniform. Also war er so etwas wie ein Sklave, nur dass er frei war und für seine Arbeit entlohnt wurde. Asara löste ihr spärliches Gepäck von Dannyls Rücken und überließ das Tier dem Mann. Dann warf sie sich das Gepäck über die Schulter und schritt über den Hof zu einem Paar großer, offenstehender Türen.

Auf den Stufen davor erblickte sie den richtigen Dannyl und einen Mann, mit dem sie noch eine Rechnung offen hatte.

Irgendwie ist das ein Tag der Begegnungen, dachte sie trocken und schritt auf die beiden Männer zu. „Dannyl Gildenmagier“, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln und küsste ihn auf beide Wangen. Dann wandte sie sich zu dem anderen Mann und ihr Lächeln erstarb. Sie hatte das hier lange genug aufgeschoben. Doch die Schlacht war vorbei und sie hatte diesbezüglich ihren Willen bekommen. „Und Ashaki Ishaka. Ich bin müde und erschöpft und deswegen habe ich keine Lust, lange um die Reberherde zu streifen. Ich verlange zu wissen, was Euer Freund Tarko mit Mivara getan hat. Seit sie aufgeflogen ist, haben meine Leute keine Nachricht mehr von ihr erhalten und doch ist sie eine unserer längsten und besten Informantinnen.“

Der Ashaki betrachtete sie kühl. „Ich wüsste nicht, was mich das angeht.“

„Sehr viel, wenn Ihr wollt, dass unsere Zusammenarbeit weiterhin funktioniert.“

„Ich stehe nicht in direktem Kontakt mit Tarko.“

„Dann sagt dem Palastmeister, er möge diesen herstellen.“

„Meinetwegen später, wenn …“

„Sofort“, schnitt Asara ihm das Wort ab. „Ich nehme an, Ivasako hat seine Berater ohnehin in den Palast gerufen, um die Schlacht und ihre Konsequenzen zu diskutieren.“

Das Gesicht des Ashaki verfinsterte sich. „Tarko kann Euch jetzt hören“, sagte er. „Also sagt, was Ihr zu sagen habt.“

Asara wiederholte die soeben an Ishaka gerichteten Worte.

„Mivara ist meine Angelegenheit“, antwortete dieser für seinen Freund. „Sie hat mich hintergangen und das bestrafe ich bei meinen Sklaven entsprechend.“

Sie ist nicht deine Sklavin, wollte Asara sagen. Aber sie wusste, dieses Argument würde der Ashaki nicht gelten lassen. Stattdessen richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf und fixierte Ishakas Blick als wäre er Tarko persönlich.

„Wenn ich erfahre, dass Ihr sie getötet oder ihr weh getan habt, so werde ich nicht zögern, Euch zu töten. Und dann ist mir egal, was Ihr in den letzten Wochen für unsere gemeinsame Sache getan habt. Denn wenn Ihr Mivara etwas antut, dann habt Ihr diese Sache verraten.“

„Tarko hat Eure Warnung zur Kenntnis genommen“, sprach Ishaka. „Und Ihr tätet gut daran, weitere Forderungen zu unterlassen.“

Asaras Hand fuhr zu ihrem Dolch. „Und Ihr könnt Euch glücklich schätzen, dass ich gerade nicht im Besitz meiner Kräfte bin.“ Ihm den Rücken zukehrend, sah sie zu Dannyl. „Es heißt, die Gildenmagier verteilen Quartiere – habt Ihr vielleicht auch eines für mich übrig?“

„Selbstverständlich“, erwiderte der schöne Gildenmagier. „Ich werde jemanden rufen, der Euch dorthin führt. Allerdings würde ich es begrüßen, wenn Ihr Eure Kriegsdiplomatie während der nächsten Tage in Zaum haltet.“

„Solange es nicht Tarko betrifft, lässt sich dies einrichten“, erwiderte Asara liebenswürdig. „Und was das Quartier betrifft, so …“

- Asara!

Asara zuckte zusammen, als sie die Stimme erkannte.

- Nachiri! Wie geht es dir? Ich habe mir Sorgen gemacht.

- Ich konnte nicht antworten, sandte ihre Schwester. Aber ich habe einige interessante Neuigkeiten.


***


Rothen betrachtete die fünfzehn Jungen und Mädchen, die aus dem Klassenzimmer strömten, mit Wohlwollen. In weniger als einem Monat würden sie einander als Klassenkameraden begegnen. Er und Larkin hatten gute Arbeit geleistet, damit sie keinen Krieg gegeneinander führen würden. Inwiefern die Mühe sich gelohnt hatte, würde sich zeigen, sobald die angehenden Novizen ihre Roben erhalten hatten. Magie hatte die Angewohnheit gewisse Persönlichkeitstypen überheblich zu machen.

„Ich denke, die ersten Wochen des neuen Halbjahres werden besonders spannend.“ Lord Larkin klappte seine Mappe zu und sah zu Rothen. „Was meint Ihr?“

„Das ist gut möglich“, stimmte Rothen zu. „Doch glücklicherweise werden wir noch eine Weile länger ein Auge auf sie haben.“

Rektor Jerrik hatte zugestimmt, dass Rothen und Larkin je eine der neuen Klassen in Alchemie unterrichten würden. Rothen hatte sich zudem bereit erklärt, seine Klasse Kontrolle zu lehren. Allerdings wusste er nicht, wie viel Zeit ihm bleiben würde. Je nachdem wie die Schlacht ausging, würde er vielleicht doch die Expedition in die Ödländer jenseits der Berge unternehmen – oder die Gilde würde sich am Rande ihrer endgültigen Vernichtung befinden.

Letzteres war eine Option, über die Rothen nicht nachdenken wollte. Was auch immer die Zukunft bringen mochte, er wollte die ihm gegebene Zeit für seine Schützlinge nutzen.

„Und wenn sie nicht gehorchen wollen, so könnten wir der Gilde noch immer vorschlagen, dass Lady Sonea ihren Kriegskunst-Unterricht übernimmt“, fügte der Architekturlehrer erheitert hinzu.

Rothen kicherte. „Sie würde sie das Fürchten lehren!“ Dann wurde er jedoch wieder ernst. Am vergangenen Abend hatte Akkarin mit den Kampfgruppen das Fort erreicht. Irgendwann im Laufe dieses oder des nächsten Tages würde es zu der gefürchteten Schlacht kommen, die das Schicksal der Gilde entscheiden konnte. Die seitdem in Rothen herrschende Spannung hatte ihn dazu bewogen, dem Schlaf mit ein wenig Nemmin auf die Sprünge zu helfen. Während des Tages war es ihm jedoch gelungen, seine düsteren Gedanken weitgehend zu verdrängen.

Die uniformierte Gestalt in der Tür brachte all seine Sorgen indes mit einem Schlag zurück.

„Lord Rothen“, sagte Takan und verneigte sich. „Und Lord Larkin. Ich habe eine Nachricht vom Hohen Lord.“

„Sonea!“, entfuhr es Rothen. „Geht es ihr gut?“

„Sie ist wohlauf“, antwortete Akkarins Diener. Irgendetwas schien ihn dennoch zu beschäftigen. „Tatsächlich bin ich gekommen, um Euch über den Ausgang der Schlacht zu informieren.“

Rothen erstarrte. Es war also geschehen.

Neben ihm löste sich Lord Larkin vom Pult und schritt zur Tür. „Ich nehme an, die Gilde wird später informiert?“

„Administrator Osen hat eine Gildenversammlung für heute Abend einberufen“, antwortete Takan. „Der Abendunterricht wird ausfallen.“

Larkin nickte und schloss die Tür hinter sich. Rothen dankte ihm im Stillen für seine Diskretion.

„Welche Neuigkeiten bringst du?“, fragte er den Diener. „Wie geht es Dannyl?“

„Die Gilde und ihre Verbündeten haben gewonnen. Auslandsadministrator Dannyl geht es gut. Morgen werden die neuen Verhandlungen beginnen und ich habe bereits einen Kurier in den Palast geschickt, um den König darüber zu informieren.“

Das waren gute Neuigkeiten. Trotzdem weigerte sich die Anspannung beharrlich zu weichen. Rothen konnte spüren, dass da noch mehr war.

„Lady Sonea wurde während des Kampfes schwer verletzt. So auch Lord Regin und einige andere Krieger. Sie sind bereits auf dem Weg der Besserung. Doch es gibt auch Verluste zu betrauern.“

Der Diener nannte eine Reihe von Namen, die meisten Krieger. Dann nannte er jedoch einen Namen, der Rothen nur allzu bekannt war.

Lord Balkan.

„Er starb, als er und seine Gruppe versuchten, den Anführer der Duna kampfunfähig zu machen“, berichtete Takan. „Sie hatten den Auftrag, diese nicht zu töten, weil offenkundig war, dass sie einer Manipulation unserer Gegner unterlagen. Aber die Duna waren zu stark und voll Zorn über die Zerstörung ihres Heiligtums.“

Entsetzt ließ Rothen sich auf den Stuhl hinter dem Pult sinken. Balkans Tod war wie der Tod aller, die in diesem Krieg gestorben waren, tragisch und unnötig. Und er bedauerte ihn zutiefst. Balkan war ein großartiger Krieger gewesen – der beste Krieger, der der Gilde seit der Invasion der Ichani geblieben war. Rothen hatte ihn als Kollegen geschätzt und er hatte ihn auch privat durch diverse Abendessen in der Residenz des Hohen Lords gekannt, zu denen Sonea ihre Freude eingeladen hatte.

Das brachte seine Gedanken zu Luzille. Sie würde diese Nachricht hart treffen.

„Was ist mit Lord Balkans Frau?“, fragte Rothen. „Wurde sie schon informiert?“

„Tatsächlich bittet Lady Sonea Euch, Luzille von Forlani die Nachricht zu überbringen“, antwortete Takan. „Sie sagt, sie solle es von einem Freund erfahren.“

Rothen schluckte. „Dann werde ich sie jetzt aufsuchen. Sie soll es nicht von den Waschweibern erfahren.“

„Das wäre vermutlich das Beste.“

„Danke, dass du mich informiert hast, Takan. Richte Lady Sonea und dem Hohen Lord meine Grüße aus.“

„Das wird sie gewiss freuen.“ Der Diener verneigte sich und verließ das Klassenzimmer.

Einen tiefen Atemzug nehmend schloss Rothen die Augen. Wie viele mussten noch sterben, damit dieser Krieg endlich ein Ende fand? Er fürchtete den Tag, an dem die Menschen traf, die ihm lieb und teuer waren. Bisher hatten sein Sohn, Dannyl und selbst Sonea und ihr unheimlicher Mann sämtliche Schlachten immer lebend, wenn oft auch nur knapp, überstanden. Doch das würde nicht immer so bleiben. Besonders Sonea und Akkarin waren Ziele der Sachakaner. Trotz all ihrer Erfahrung und des harten Trainings in der Arena würde auch ihre Zeit eines Tages gekommen sein.

Letztendlich machte es keinen Unterschied, ob die Menschen, die Rothen nahestanden, gute Kämpfer waren und im Fokus der Sachakaner standen. Solange Krieg herrschte, waren sie alle in Gefahr.

Und solange würde er Verluste zu betrauern haben.

Mit einem Seufzen stand er auf und verließ das Klassenzimmer. Er passierte Novizen, die ihm auf dem Weg zu ihrem nächsten Unterrichtsraum entgegenkamen oder in Gruppen zusammenstanden. Aus den Gesprächsfetzen, die er aufschnappte, konnte er jedoch nur Unterrichtsstoff, Beschwerden über zu strenge Lehrer und romantisches Interesse an anderen Novizen heraushören.

Mit dem Sinken der Sonne schwand die Hitze des Tages allmählich aus der Welt. Auf dem strahlendblauen Himmel war keine einzige Wolke zu sehen. Rothen fühlte sich von dem Anblick verhöhnt.

Zu schnell hatte er die Magierquartiere erreicht. Er fand Luzille in ihrem Wohnzimmer über eine Stickarbeit gebeugt, neben sich eine Tasse Sumi und einen Teller mit Gebäck und Früchten. Als ihre Dienerin, eine junge und bildhübsche Elynerin, Rothen hineinbat, breitete sich ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht aus.

„Lord Rothen!“, rief sie erfreut. Sie legte ihr Stickzeug beiseite und eilte auf ihn zu. Ein Hauch eines süßen Parfums wehte in Rothens Nase, als sie ihn auf beide Wangen küsste. „Was kann ich für Euch tun, mein Lieber?“

Die Freude über seinen Besuch war so groß, dass Rothen die bloße Vorstellung, ihr die Nachricht vom Tod ihres Mannes zu überbringen, in der Seele weh tat.

„Luzille, ich bringe Euch leider keine guten Nachrichten“, sagte er, sie behutsam ein Stück von sich schiebend.

„Oh“, machte sie und neigte den Kopf zur Seite. „Was ist denn passiert?“

Rothen wies auf die Sesselgruppe. „Setzt Euch“, sagte er.

Verwirrt gehorchte die junge Elynerin. „Gibt es Neuigkeiten von unseren Kriegern?“, fragte sie. „Inzwischen müssen sie den Nordpass doch längst erreicht haben.“

„Das haben sie“, antwortete Rothen. Er setzte sich ihr gegenüber. „Die Schlacht gegen die feindliche Armee fand heute Morgen statt.“ Er seufzte, dann zwang er sich Luzille anzusehen. „Luzille, Euer Mann hat die Schlacht nicht überlebt.“

Er konnte sehen, wie ihre Miene von Verwirrung zu Unglauben wechselte, bevor sie von einem Ausdruck unendlichen Schmerzes verzerrt wurde.

„Mein armer, brummiger Bovar!“

Sie begann zu weinen. So herzzerreißend, dass etwas in Rothen zerbrach. So hatte er Sonea erlebt. Als sie geglaubt hatte, Akkarin hätte aufgehört sie zu lieben. Und als er auf den Stufen der Universität gestorben war.

Doch der eigentliche Grund, warum ihn solche Situationen die Tränen in die Augen trieben, war der Verlust seiner geliebten Frau.

Mit zwei Schritten war er bei Luzille und ging vor ihrem Sessel in die Hocke. „Es tut mir so leid“, flüsterte er. „Ich weiß, Ihr habt ihn sehr geliebt.“

Statt einer Antwort heulte sie auf, warf sich in seine Arme und weinte seine Robe nass.


***


Dannyl sah Asara hinterher, wie sie hinter einem Diener ins Fort stiefelte, dann wandte er sich wieder seinem Gesprächspartner zu. Sie hatte einige interessante Neuigkeiten erfahren, die eine Zusammenarbeit der verschiedenen Völker, die sich nach der Schlacht am Nordpass zusammengefunden hatten, erforderte. Doch das war nichts, was Dannyl nicht bewerkstelligen konnte, da der wenige Stunden zurückliegende Kampf sie auf eine bemerkenswerte Weise einander nähergebracht hatte.

Nun, zumindest wenn Asara Ashaki Ishaka nicht zu Asche verbrennt.

Dannyl hatte mitbekommen, dass sie eine ihrer Informantinnen bei dem Freund eines der mächtigsten Männer Sachakas eingeschleust hatte. Auf diese Weise hatte sie in Yukai einige sehr nützliche Informationen erhalten. Die Identität jener Frau, die sich mit Tarko während der letzten Monate als dessen Bettsklavin vergnügt hatte, war indes aufgeflogen, als sie ihre Schwestern in den fruchtbaren Regionen gerettet hatte.

Wie kann man sich freiwillig darauf einlassen, die Bettsklavin des Mannes zu werden, den man aushorchen soll?, fragte Dannyl sich. Nach sachakanischen Maßstäben war Tarko attraktiv, hieß es, und er war mächtig. Durch Sex konnte man eine Bindung zu einem anderen Menschen aufbauen, dessen Vertrauen gewinnen, oder ihm Informationen entlocken. Als Bettsklavin musste man zudem keine harte Arbeit leisten. Hätte Dannyl vor der Wahl gestanden, so hätte er die harte Arbeit vorgezogen. Aber vielleicht dachte man anders, wenn man Verräter war, sich langweilte oder sich einfach nur amüsieren wollte.

„Um Eure Verbündeten nicht gleich wieder zu Feinden zu machen, würde ich Euch empfehlen, Eurem Freund zu raten, diese Frau freizulassen“, sagte Dannyl. Aus Ishakas Worten hatte er herausgehört, dass Mivara noch am Leben war.

„Ich gedenke nicht, einen neuen Krieg mit den Verrätern zu beginnen“, sagte Ishaka. „Das würde Sachaka endgültig in den Ruin treiben. Die Sache mit Mivara hat nichts mit diesem Krieg zu tun, sie ist Tarkos Privatangelegenheit.“

Was so viel bedeutete wie: Du bist Kyralier, du kannst es nicht verstehen.

„Dann bleibt mir wohl nur zu hoffen, dass Ihr diese Angelegenheit zur Zufriedenheit der Verräter löst“, erwiderte Dannyl.

„Wir werden sehen.“ Ishakas Augen fokussierten sich auf etwas hinter Dannyl. Schritte und Stimmen erklangen aus der Eingangshalle der Forts. Sachakanische Stimmen.

Ein Ashaki trat ins Freie gefolgt von mehreren Sklaven. „Auslandsadministrator Dannyl, darf ich Euch Ashaki Hakaro vorstellen?“, fragte Ishaka.

Dannyl musterte den anderen Mann. Sein halblanges, gelocktes Haar machte die harschen Gesichtszüge ein wenig weicher. Die sich unter dem rot und orangefarbenen Gewand abzeichnenden Schultern wirkten dagegen für einen Stadt-Ashaki ungewöhnlich breit, was darauf schließen ließ, dass er mit dem Schwert trainierte. „Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen, Ashaki Hakaro“, sagte Dannyl und neigte den Kopf. „Ihr habt Kachiros Anhänger in den fruchtbaren Regionen zurückgeschlagen, richtig?“

„Das ist richtig.“ Der Mann machte eine unwirsche Bewegung zu den Sklaven und rief etwas auf Sachakanisch, woraufhin diese in den Hof eilten.

„Dann steht die Gilde in Eurer Schuld, weil Ihr das Leben jener Verräter verschont habt, die während der vergangenen Wochen mit uns zusammengearbeitet haben“, sagte Dannyl.

„Ich habe gehört, die Gildenmagier hätten ihr Bündnis mit den Verrätern aufgelöst“, warf Ishaka ein.

„Inoffiziell haben wir uns von Savedra distanziert“, antwortete Dannyl. „Savedra lebt allerdings noch in dem Glauben, wir stünden auf ihrer Seite. Sie denkt, wir hätten unsere Leute zum Fort geschickt, um gegen die Armee zu kämpfen, der sich ihre Töchter angeschlossen haben.“

„Dann wird sie gewiss überrascht sein, wenn sie die Wahrheit erfährt“, bemerkte Ishaka anerkennend.

Durch den Tunnel kam eine größere Gruppe von einfach gekleideten Menschen, teils zu Fuß, teils zu Pferd. Ihnen voran ein Sachakaner, dessen bunte Gewänder von Staub bedeckt waren.

Dannyl unterdrückte ein Seufzen. Auch wenn er Takiro nicht den Tod wünschen konnte, so hätte er nichts dagegen gehabt, nach Yukai für alle Zeiten von ihm verschont zu bleiben.

Der Ashaki löste sich von den Sklaven und schritt auf sie zu. „Endlich!“, rief er. „Der Aufstieg war die reinste Tortur! Selbst die Aschenwüste war angenehmer zu durchreisen!“

„Der Rückweg wird einfacher“, sagte Ishaka trocken.

Takiro schenkte Dannyl ein anzügliches Lächeln. „Ich grüße Euch, Auslandsadministrator“, sagte er. „Ich bin erfreut zu sehen, dass Ihr diese Schlacht wohlbehalten überstanden habt, obwohl ich gehört habe, dass viele Eurer Leute ihr Leben gelassen hätten.“

Woher weiß er das denn schon wieder, wenn er die ganze Zeit auf die Sklaven aufgepasst hat?, fuhr es Dannyl durch den Kopf.

„Nun, ich hatte Unterstützung von Nirili und Ashaki Sarkaro“, sagte er.

„Dennoch seid Ihr ein überaus tapferer Mann, wenn man bedenkt, dass Ihr nur niedere Magie beherrscht.“

Dannyl widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. Im Gegensatz zu Takiro hatte er gekämpft. Doch entweder war der Ashaki kein besonders geschickter Kämpfer oder er war zurückgeblieben, um die Sklaven zu bewachen. Oder er war einfach nur feige.

„Takiro“, rettete Ishaka ihn, „sind all unsere Sklaven eingetroffen?“

Der andere Ashaki nickte.

„Gut. Dann wünsche ich, die meinen nun zu entsenden, um mein Quartier herzurichten.“

„Ah ja!“, rief Takiro. „Ich habe gehört, hier gibt es Unterkünfte mit richtigen Betten?“

„Allerdings“, antwortete Dannyl.

„Hervorragend. Ich bin das Schlafen in Wüstensand und Felsen leid.“

„Du wirst vermutlich etwas anderes sagen, wenn du die Quartiere gesehen hast“, bemerkte Ishaka.

„Oh“, machte Takiro. „Warum?“

„Sie sind in etwa so komfortabel, wie die Quartiere unserer Sklaven.“

Zu Dannyls Erheiterung klappte Takiros Mund auf. „Ich dachte immer, Gildenmagier würden ähnlich komfortabel wie wir leben.“

„Die Adelshäuser leben ähnlich luxuriös wie die Ashaki, aber ihre Oberhäupter sind Nichtmagier“, erklärte Dannyl. „Wir Magier leben auf engem Raum in unserer Gilde, doch auch wir verzichten selten auf Luxus. Das hier ist jedoch nur ein militärischer Stützpunkt.“

„Ein seltsames Land“, bemerkte Takiro. „Müssten nicht die Oberhäupter dieser Häuser die mächtigsten Magier sein?“

„So funktioniert unser Land nicht. Die Gilde ist dazu da, es zu beschützen. Nicht um zu herrschen. Auf diese Weise verhindern wir Tyrannei.“

„Und doch führen die armen Menschen in Eurem Land ein schlechteres Leben als unsere Sklaven.“

„Nur jene, die keine Arbeit haben“, sagte Dannyl. „Ich will Euch nicht absprechen, dass einige Ashaki ihre Sklaven gut behandeln und den Schutz ihrer Herren genießen. Doch auch sie sind nicht frei.“

„Die meisten jener Sklaven würden das der Freiheit vorziehen.“

„Nur, weil sie es nicht anders kennen.“

Dannyls Erleichterung kannte keine Grenzen, als ein Diener Ashaki Takiro zu seinem Quartier brachte. Seine Sklaven folgten ihm. Auch die übrigen Ashaki scheuchten ihre Sklaven ins Fort. Nicht alle würden indes hier unterkommen. Nichts angesichts der Sachakaner, Duna und Gildenmagier, die während der nächsten Tage und Wochen hier leben würden. Die Sklaven, die die Ashaki nicht für ihren täglichen Bedarf brauchten, würden entweder in den Quartieren der Diener untergebracht oder mussten auf der sachakanischen Seite der Berge lagern.

„Wie kommt Ihr mit dem Knüpfen neuer diplomatischer Beziehungen vorwärts?“

Dannyl zuckte zusammen. „Bis jetzt läuft es überraschend gut“, antwortete er. Ich plaudere mit Ashaki und fürchte mich immer noch vor ihm? „Ich frage mich, ob das so bleibt, wenn es zum eigentlichen Grund dieser Versammlung kommt.“

„Das wird sich dann zeigen.“ Akkarins dunkle Augen schweiften über den Hof, in dem Gildenmagier, Verräter, Sachakaner und ihre Sklaven und einige Duna umhergingen oder in Gruppen zusammenstanden. Nicht wenige wirkten, als würden sie sich nicht ganz wohl in ihrer Haut fühlen, was sowohl an dem düsteren und massiven Bauwerk als auch an der Tatsache, dass sie einander wenig zuvor noch bis aufs Blut bekämpft hatten, liegen konnte.

„In jedem Fall sind die Voraussetzungen besser als noch mit Kachiro und Savedra“, erwiderte Dannyl.

Die dunklen Augen blitzten zu ihm. „Das Problem mit Savedra wird sich bald erledigt haben“, sagte er und Dannyl fragte sich, woher er davon wusste. Dann fiel sein Blick auf den Ring an seinem Finger. Nach der Schlacht hatte er ihn völlig vergessen.

„Ja“, sagte er nur und nahm den Ring ab.

„Ich verstehe, dass dies nicht leicht für Euch ist“, sagte Akkarin. „Es ist niemals leicht, einen Menschen, den man einst geschätzt und respektiert hat, fallen zu sehen oder an seinem Fall beteiligt zu sein. Egal, wie enttäuscht man von ihm sein mag, so werden die Erinnerungen an das Gute, das man einst in ihm gesehen hat, nicht ausgelöscht.“

„Ich war nie an Eurem Fall beteiligt, Hoher Lord. Ich war entsetzt, aber ein Teil von mir hat nicht aufgehört zu glauben, dass Eure Worte der Wahrheit entsprechen.“

„Ich weiß.“

Das Gespräch nahm allmählich seltsame Züge an. Und Dannyl begann sich unbehaglich zu fühlen.

„Wo ist Sonea?“, fragte er.

„Sie schläft.“

„Geht es ihr gut?“

Der schwarze Magier musterte ihn so durchdringend, dass Dannyl unwillkürlich das Gefühl beschlich, dass der Geheimniswahrer bei ihm wirkungslos war. Dann nickte er. „Sie ist erschöpft. Die Reise, die Schlacht und ihre Verletzung haben ihr einiges abverlangt. In den nächsten Tagen sollte sie jedoch genug Gelegenheit haben, sich zu erholen.“


***


Irgendwann gegen Abend war er zurückgekommen. Obwohl er kein Geräusch gemacht hatte, war Sonea aufgewacht, als er das Zimmer betreten hatte. Sie hatte ihn zu sich ins Bett gezogen, hatte es ihm sagen wollen, doch die Nähe hatte in ihnen beiden etwas gelöst und dann hatten sie sich geliebt. Akkarin war sehr behutsam gewesen, weil sie noch schläfrig gewesen war. Dann war ihr Verlangen jedoch vollends erwacht und hatte die Müdigkeit endgültig vertrieben.

Das Echo ihrer Lust hallte noch in Sonea wider, als Akkarin sich aus ihr zurückzog. Mit einer Hand fuhr er unter ihr Nachthemd und strich über die Innenseite ihrer Schenkel. Sonea erschauderte unter seiner Berührung, dann rollte er sich auf den Rücken.

„Komm her“, murmelte er einen Arm nach ihr ausgestreckt.

Sie gehorchte erfreut und kuschelte sich an ihn, den Kopf an seine Brust gelegt. Seine Haut war leicht warm und duftete nach Akkarin. Sonea berührte die Narbe, die Karikos Dolch vor so langer Zeit hinterlassen hatte, mit ihren Lippen und lauschte dem langsamen und regelmäßigen Schlag seines Herzens, während er sie einfach nur festhielt und sie die Welt um sich herum vergaß.

„Wir sollten unser Projekt wieder aufnehmen“, sagte er unvermittelt. Seine gesunde Hand strich über ihren Oberarm und löste einen angenehmen Schauer aus.

Sonea lehnte die Stirn gegen seine Narbe, als könne er ihr das plötzliche Schuldgefühl so nicht ansehen. „Das ist nicht mehr nötig.“

Sie konnte sein Stirnrunzeln nahezu spüren. „Wie meinst du das?“

Einen tiefen Atemzug nehmend richtete sie sich auf und sah ihn an. Von einem Augenblick auf den anderen schlug ihr das Herz bis in ihren Hals. Sie hatte dieses Gespräch anders einleiten wollen, doch indem er ihr diese Möglichkeit genommen hatte, hatte er die Situation für sie noch schwerer gemacht.

Vielleicht wäre es doch besser gewesen, hätte er es gemerkt, als er mich untersucht hat, dachte sie. Aber ihre Verletzung war ein gutes Stück weiter oben gewesen und er hatte genug damit zu tun gehabt, sie am Leben zu erhalten und sie vor den Angriffen ihrer Gegner zu beschützen.

„Wir hatten schon Erfolg.“

„Nach nur einer Nacht kannst du das wissen?“

„Ich weiß es seit zwei Monaten.“ Sie grinste, weil es ihr gelungen war, ihn zu überraschen. Dann wurde sie wieder ernst. Seine Freude würde rasch enden, wenn ihm klarwurde, was das bedeutete. „Es tut mir leid.“

Akkarin schwieg. Daran, wie sich seine Augenbrauen zusammenzogen und an der steilen Falte dazwischen konnte Sonea sehen, dass er nicht erfreut war. Nun, da muss ich nun durch, dachte sie. Sich seine Lektion über Verantwortung anzuhören, war immer noch besser, als wenn sie das Kind irgendwo unterwegs oder durch einen Kampf verloren hätte. In diesem Fall hätte sie es vorgezogen, dieses Wissen für alle Zeiten in ihrem Geheimniswahrer zu verbergen.

„Du hättest es mir sagen müssen“, sagte er schließlich. „Das war verantwortungslos.“

„Du hättest mich zurückgerufen.“

„Weil es verantwortungslos war.“

„Als ich es herausgefunden habe, waren Dannyl und ich schon in Sachaka. All unsere Bemühungen diese Konferenz zu ermöglichen wären umsonst gewesen.“ Und ich musste mich meiner Vergangenheit stellen, fügte Sonea für sich hinzu. Ihre Erlebnisse in Arvice würden nie aufhören, sie zu quälen. Aber nach dieser Reise fühlte sie sich in der Lage, sie zu bewältigen. „Akkarin, hättest du das gewollt? Du sagst doch selbst immer, dass wir für die Gilde Opfer bringen müssen.“

„Ja. Doch das bedeutet nicht, dass mir das gefällt. Wenn sich ein anderer Weg finden lässt, so würde ich immer diesen gehen. Dafür hast du mit deiner sturen Beharrlichkeit gesorgt.“

Bei jeder anderen Gelegenheit hätten seine Worte Sonea zum Lächeln gebracht. Aber nicht dieses Mal. „Es gab aber keinen anderen Weg“, sagte sie hart. „Es war richtig, Dannyl nach Yukai zu begleiten. Es war wichtig für die Gilde. Aber auch für uns persönlich. Vielleicht wäre ich nicht gegangen, hätte ich vorher gewusst, dass ich schwanger bin. Aber das werden wir nie herausfinden.“

„Du hättest wenigstens der Schlacht fernbleiben sollen.“ Akkarin seufzte. „Wie auch immer, es lässt sich nicht mehr ändern.“

„Nein. Und deswegen solltest du aufhören, mir zu zürnen und dich freuen, dass wir bald vielleicht eine Tochter haben werden“, gab sie zurück.

Akkarin richtete sich auf und beugte sich über sie. An dem Ausdruck in seinen Augen glaubte Sonea, Sorge zu erkennen. Und eine Zuneigung, die sie schwindeln ließ.

„Das tue ich.“ Er beugte sich zu ihr hinab und küsste sie lange.

Sonea schlang die Arme um ihn und zog ihn zu sich hinab. Sie konnte jedoch spüren, dass das Thema für ihn noch nicht erledigt war. Schließlich war sie an diesem Tag fast gestorben und das Leben in ihr mit ihr. Für ihn würde das der Beweis sein, dass sie nicht hätte kämpfen sollen.

„Gibt es noch etwas, das du mir sagen willst?“

Schuldbewusst zuckte Sonea zusammen. Es gab vieles, was sie ihm sagen wollte, musste. Das meiste war jedoch zu persönlich, um ihm völlig unvorbereitet davon zu erzählen. Zudem war das Fort mit einem Haufen Ashaki darin nicht der richtige Ort dafür.

„Ich habe dich getäuscht. Als ich noch in Imardin war, habe ich Nemmin genommen, damit ich keine Albträume habe. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Ich hatte gehofft, du würdest dann wieder mit mir schlafen.“ Akkarin betrachtete sie schweigend und Sonea musste sich zwingen, weiterzusprechen. „Während meiner Reise und in Yukai hatte ich immer wieder solche Träume, doch ich habe all das in dem Geheimniswahrer verborgen. Damit du dir keine Sorgen machst.“

Akkarins Miene hatte sich verfinstert. „Ich kann nicht sagen, was mir mehr missfällt“, sagte er leise. „Dass du mir diese Dinge verschwiegen hast oder dass du diese Phantasien schließlich auch bei Tag hattest.“

Sonea erstarrte. Auf eine unangenehme Weise fühlte sie sich gescholten. Sie hatte ihn mehr als verärgert. Aber sie hätte nicht damit leben können, es ihm weiterhin zu verschweigen. Nicht, wenn sie nun wieder vereint waren.

„Es tut mir leid“, sagte sie. „Ich weiß, ich hätte es dir sagen sollen, aber ich konnte nicht.“

„Sonea, ich verstehe, warum du mir diese Dinge verschwiegen hast. Ich weiß, dass du nichts für deine Phantasien kannst. Also glaube nicht, ich hätte dafür kein Verständnis.“ Seine Stimme war ein wenig weicher geworden, doch als er fortfuhr, war sie umso härter. „Doch ich erwarte von der Frau, die ich liebe und mit der ich in den Kampf ziehe, Offenheit und Ehrlichkeit. Und es ist mir egal, ob sie gerade auf einer gefährlichen Mission unterwegs ist oder sich mir im Bett hingibt.“

Seine Augen bohrten sich in ihre. „Hast du das verstanden?“

Sie senkte den Kopf. „Ja, Hoher Lord.“

Dann entferne den Geheimniswahrer und mach mir ein Blutjuwel, das sich nicht mehr entfernen lässt, wollte Sonea sagen. Sie ahnte jedoch, das war gerade ein denkbar schlechter Zeitpunkt, diese Diskussion wieder auszugraben.

„Ist dir überhaupt bewusst, was passiert wäre, wenn ich unsere Beziehung in dem Glauben, du wärst über Marika hinweg, weiter vertieft hätte?“

„Nein.“

„Ich hätte dir schweren, seelischen Schaden zufügen können. Möglicherweise hätte ich dich in eine ähnliche emotionale Abhängigkeit getrieben, wie Marika damals.“

Das hatte Sonea nicht bedacht. Sie war nicht einmal auf eine solche Idee gekommen, weil sie Akkarin bedingungslos vertraute. Aber sie hatte so eine Ahnung, dass das, was sie von ihm wollte, das Potential haben konnte, eine Beziehung zu zerstören. Ähnlich wie ein Blutjuwel.

„Verstehst du jetzt, warum ich damals aufgehört habe, mit dir zu schlafen?“

Sie nickte. „Und warum tust du es jetzt?“

„Weil auch ich Bedürfnisse habe und du gefestigt genug wirkst.“ Er runzelte die Stirn. „Was nicht heißt, dass ich bereit bin, das hier so zu vertiefen, wie du es dir wünschst.“

Denkst du darüber nach?, wollte Sonea fragen. Kannst du überhaupt mit dem hier leben, wenn du doch eigentlich auch mehr willst? Aber die Worte wollten nicht heraus. Sie sie tat besser daran, dankbar zu sein, dass sie überhaupt wieder miteinander ins Bett gingen. Nichtsdestotrotz war sie überzeugt, dass sie beide sich auf Dauer langweilen würden. Sie war sicher, sie würde sich langweilen.

Er musterte sie streng. „Sonst noch etwas?“

„Ich will, dass du Dannyl und Tayend hilfst, zusammen zu sein.“

Akkarin hob eine Augenbraue. „Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“

„Ihre Beziehung legalisieren.“

„Was Dannyl macht, ist nicht legal. Dass ich Hoher Lord bin, heißt nicht, dass ich die Regeln der Gilde ändern kann. Noch steht es in meiner Macht, die kyralische Gesellschaft zu ändern.“ Er runzelte missbilligend die Stirn. „Hast du eine Ahnung, was geschieht, wenn seine Beziehung öffentlich wird und sich herausstellt, dass ich davon wusste?“

„Er wird sein Amt verlieren.“

„Ja. Und ich auch. Beides wäre schlecht für die Gilde.“

„Weil du davon gewusst hast?“ Sonea lachte ungläubig. „Sie können dich nicht absetzen.“

„Selbstverständlich können sie das.“

„Du bist ein schwarzer Magier. Schlimmer kannst du doch gar nicht mehr gegen die Regeln verstoßen.“

„Ah, aber das heißt nicht, dass die Gilde nicht einen anderen Grund finden würde, wenn sie lange genug danach sucht.“

Sonea schnaubte. „Das ist doch albern. Die Gilde braucht dich, so wie sie Dannyl braucht. Weder für ihn noch für dich gibt es einen ernsthaften Ersatz.“

„Sonea, du weißt, wie die Magier sind. Sie sehen nur was sie sehen wollen. Wer wüsste das besser, als wir beide?“

Entnervt verdrehte sie die Augen. Ja, sie wusste, wie die Gilde war. Aber Akkarin hatte die Macht, die Magier von sich zu überzeugen. „Ich verlange doch nur, dass du die beiden verheiratest. Im Geheimen. Das kannst du doch, nicht wahr?“

Akkarin seufzte. „Ich hätte etwas gegen deine Sturheit unternehmen sollen, als du noch meine Novizin warst“, bemerkte er trocken.

Sonea richtete sich auf. „Soll das heißen, du wirst es tun?“

„Das heißt, ich denke darüber nach.“

Unverblümt griff sie in seinen Schritt. „Dann fang schon einmal damit an.“


***


„Als Kind war ich mit meinem Vater oft in den Bergen am Rand der Aschenwüste jagen, so hoch über der Welt war ich jedoch noch nie.“ Ehrfurcht und Faszination zeichneten die harsche Miene von Kriegsherr Arikhai, während er seinen Blick über das Panorama schweifen ließ. „Ich würde mir gerne einmal die andere Seite ansehen.“

„Ich kann Euch morgen zum Aussichtsturm führen“, sagte Dannyl. Er betrachtete die schroffen Felsen, aus deren Spalten die ersten Schatten hervorkrochen. „Bis wir hier fertig sind, wird es vermutlich zu dunkel sein.“

„Obwohl man näher an den Sternen und der Sonne ist, wirkt der Himmel so weit entfernt, wie in der Ebene.“ Arikhais ältester Berater hatte die Stirn nachdenklich gerunzelt. „Das lässt mich fragen, was Himmel und Sonne eigentlich sind.“

„Vielleicht“, überlegte Dannyl. „Ist die Sonne so weit entfernt, dass sie uns hier gleichgroß wie am Boden erscheint.“

Mirakhi nickte langsam. „Demnach müsste sie allerdings ziemlich groß sein.“

Die Tür ging auf und Akkarin betrat den Besprechungsraum und die aufziehende Dunkelheit verdichtete sich. „Guten Abend“, grüßte er. „Es wird Zeit, einander kennenzulernen.“

„Ich begrüße, dass Ihr Euer Wort gehalten habt, Hoher Lord Akkarin“, sprach Arikhai. „Bevor wir über einen Frieden verhandeln können, wünsche ich mit Euch über den Mord an meinem Vater und seiner Delegation zu sprechen.“

„Das wäre in der Tat das Beste.“ Akkarin durchquerte den Raum und stellte sich neben Dannyl ans Fenster. „Ich habe in jener Nacht sechs Männer und Frauen Eures Volkes getötet. Allerdings weiß ich nicht, ob sich Euer Vater darunter befand. Zu jener Zeit waren mir die Duna weitgehend unbekannt. Ich bedauere, dies getan zu haben, doch ich hoffe, dass Ihr versteht, dass dies im Rahmen der Zerschlagung von Marikas Armee geschah.“

„Eure Existenz wurde bedroht und ein mächtiges Volk, das mit Eurem bis dahin keinen Ärger hatte, Euch jedoch überlegen war, war involviert. Ich verstehe, dass Euch keine andere Möglichkeit blieb, die Bedrohung von Euch abzuwenden.“

„Ich stehe in Eurer Schuld“, erwiderte der Hohe Lord. „Dennoch gehe ich davon aus, dass Ihr eine Wiedergutmachung fordert. Ich bin bereit, Euch diese zu geben. Zudem übernehme ich die Verantwortung für die Morde einer der beteiligten Verräter, weil diese zu jener Zeit in meinen Diensten stand.“

Der Kriegsherr nickte. „Eure Taten würden nach den Regeln meines Volkes mit dem Tod bestraft“, sprach er. „Ihr seid ein Mann von Ehre und ich schätze Euch so ein, dass Ihr eine solche Strafe akzeptieren würdet.“

Akkarins Kiefermuskeln verhärteten sich und Dannyl hielt den Atem an.

„Das würde ich.“

„In diesem Krieg wurde bereits mehr als genug Blut vergossen“, sagte Dannyl. „Zudem würde es die Verluste nicht zurückbringen. Ich bin sicher, eine Zusammenarbeit unserer Völker würde größere Früchte tragen, weil beide Seiten davon profitieren.“

„Ihr habt recht, Auslandsadministrator Dannyl“, sprach Arikhai. „Ich würde ein Volk, mit dem wir, bis wir in diesen Krieg gezogen wurden, keinen Streit hatten, nur ungern seines Anführers berauben.“

Akkarin wirkte amüsiert. „Ich bin nicht der Anführer von Kyralia.“

„Und dennoch seid Ihr der mächtigste Mann in den Ländern Eurer Allianz.“

Nur, dass Akkarin von dieser Macht keinen Gebrauch machte. Nicht einmal in der Gilde tat er das.

„Kriegsherr Arikhai“, wandte Dannyl sich an den Duna. „Was wäre für Euch eine angemessene Entschädigung, die die Gilde Euch bieten kann?“

„Mein größter Wunsch ist noch immer die Aschenwüste komplett unter meine Kontrolle zu bringen“, antwortete Arikhai. „So wie mein Vater es wollte. Doch ich würde die Gildenmagier nur ungern in diesen Krieg ziehen wollen, weil sie damit nichts zu schaffen haben.“

„Wir brauchen die Hilfe Eurer Gilde nicht, wenn die Sachakaner und die Verräter bereit sind, uns dabei zu helfen“, fügte Mirakhi hinzu.

„Da es sich um einen Eroberungsfeldzug handelt, würde eine Beteiligung der Gilde uns in Feindseligkeiten involvieren, die wir nicht wünschen“, sagte Dannyl. „Zudem würden wir damit gegen unsere eigenen Regeln verstoßen.“ Die Sachakaner mochten in dieser Hinsicht keine Skrupel haben. Doch die Gilde und die Länder der Allianz hatten sich dem Frieden verschrieben. Auch in diesem Krieg hatte die Gilde keinen Angriff geführt, sondern immer nur verteidigt.

„Was können wir Euch dann bieten?“, fragte Akkarin. „Heiler? Architekten, die Yukai wiederaufbauen?“

„Yukai ist entweiht“, sagte Mirakhi. „Auf diesem Boden wurde Blut vergossen. Das lässt sich nicht mehr rückgängig machen.“

„Ich verstehe.“

„Die Heiler wären interessant“, sagte Arikhai. „Ich würde jedoch vorziehen, eigene Leute zu Heilern ausbilden zu lassen. Dann müssen Eure Leute nicht so fernab ihrer Heimat leben. Unsere Kultur wirkt auf andere Völker abschreckend und bei einem Überfall würden sie von einem anderen Stamm versklavt.“

„In der Gilde herrscht noch immer Uneinigkeit darüber, die beiden sachakanischen Völker Heilkunst zu lehren“, sagte Akkarin. „Solange diese Frage nicht geklärt ist, kann ich in dieser Hinsicht keine Versprechungen machen. Aus meiner persönlichen Sicht stünde dem nichts im Wege. Wer diese Form der Magie missbraucht, würde das auch mit anderen Formen von Magie tun. Sie würde unsere Völker einander jedoch näherbringen. Die endgültige Entscheidung trifft jedoch der König mit den Herrschern der übrigen Länder unserer Allianz.“

„Mein Volk kann diese Heiler gut gebrauchen. Sprecht mit Euren Magiern, ob sie unserem Wunsch nicht doch nachgeben wollen. Schließlich beziehen sich die Gründe, aus denen Selbiges bei den Sachakanern dagegen spricht, nicht auf unseren Konflikt.“

„Ich werde darüber nachdenken.“

„Vielleicht wäre eine symbolische Geste der Wiedergutmachung angebracht“, sagte Dannyl. „Etwas, das die Gilde geben kann, ohne in Konflikt mit ihren Prinzipien zu geraten und das die Verständigung zwischen unseren Völkern fördert.“

Akkarins Stirn hatte sich nachdenklich gerunzelt. Die steile Falte zwischen seinen Augenbrauen ließ ihn ein wenig finster wirken und Dannyl fragte sich, was er gerade dachte. Schließlich zog er einen kleinen, weißlichen Kristall aus seiner Robe.

„Es ist einen Versuch wert“, sagte er und reichte ihn Arikhai.

„Einer der Steine, die unser Volk als heilig betrachtet“, sagte der Kriegsherr den Kristall betrachtend.

„Nur, dass er nicht aus den Tiefen der Aschenwüste stammt, sondern durch höhere Magie und Alchemie geschaffen wurde.“

„Ich habe davon gehört“, sagte Mirakhi. „Nun bin ich umso beeindruckter, es mit eigenen Augen zu sehen.“

Arikhai reichte den Kristall an seinen Berater. „Sieh ihn dir an. Kannst du irgendeinen Unterschied feststellen?“

Gespannt beobachtete Dannyl, wie Mirakhis runzlige Finger den Speicherstein befühlten, während sein Gesicht einen Ausdruck tiefer Konzentration annahm.

„Wenn es einen Unterschied gibt, so kann ich ihn nicht feststellen“, sagte er schließlich und gab den Kristall an Akkarin zurück.

„Würdet Ihr einen durch Magie geschaffenen Stein als ebenso heilig erachten wie einen, der aus dem Blut der Erde geboren wurde?“, fragte Dannyl ahnend, was Akkarin beabsichtigte.

„Wenn man davon ausgeht, dass die Magie in der Erde auch in einigen auserwählten Menschen, den Magiern, steckt, dann würden wir in dieser Hinsicht keinen Unterschied machen.“

Interessant, dachte Dannyl. Er hatte erwartet, dass die Duna von Menschen geschaffene Speichersteine ablehnen würden. Doch angesichts dessen, was Mirakhi ihm über die Religion seines Volkes erzählt hatte, verstand er.

Der Hohe Lord schloss seine behandschuhte Hand um den kleinen Kristall. „In diesem Fall gibt es etwas, das die Gilde Euch als Wiedergutmachung für die Verluste während des Massakers von Arvice bieten kann“, sagte er.


***


Zuerst waren da nur Dunkelheit und Müdigkeit. Obwohl ihn das hätte beunruhigen müssen, fühlte er sich seltsam geborgen. So als würde er Trassia in seinen Armen halten. Dann lichtete sich die Trägheit allmählich und seine Sinne kehrten zurück. Und dann wurde er sich auch der anderen Präsenz bewusst.

Regin schlug die Augen auf und sah sich um. Das Bett, in dem er lag, gehörte nicht zu dem Quartier, das er bezogen hatte, nachdem Trassia ihn aus ihrer gemeinsamen Wohnung geworfen hatte. War er überhaupt in der Universität? Nichtsdestotrotz hatte der Raum etwas Vertrautes. Regin wandte den Kopf zum Fenster. Das durch die weißen Papierblenden sickernde Licht hatte die Düsternis der Schwelle zwischen Tag und Dunkelheit. Es hätte sowohl Morgen als auch Abend sein können.

Auf einem Stuhl neben seinem Bett saß eine kleine schwarzgewandete Gestalt. Sonea. Ihre Miene war nachdenklich und angespannt, während sie auf einen Punkt jenseits der Wand starrte. Für einen Augenblick war Regin enttäuscht, weil sie nicht die war, die er erhofft hatte. Doch das war besser, als alleine hier aufzuwachen.

„Was machst du hier?“, fragte er verwirrt.

Sie zuckte zusammen und wandte sich ihm zu.

„Regin! Wie fühlst du dich?“

„So zerschunden, als hättest du mich verprügelt.“ Seine magischen Reserven überprüfend stellte er fest, dass diese nur zum Teil wieder regeneriert waren. Eigentlich hätte er gar nicht wach sein dürfen.

„Was macht deine Magie?“

„Ist dabei, sich zu regenerieren.“

„Das ist ein gutes Zeichen.“ Sonea lächelte, doch es wirkte gequält. „Du hattest ziemliches Glück, weißt du das? Auch wenn du es nicht verdient hast …“

„Inwiefern?“, verlangte er zu wissen.

„Als wir dich fanden, warst du zur Hälfte unter einem Felsen begraben und deine Magie nahezu erschöpft. Ich konnte deine Verletzungen heilen, aber ich war nicht sicher, ob du dich wieder von deiner magischen Erschöpfung erholst.“

Und dann fiel Regin alles wieder ein. Der Kampf gegen die Sachakaner. Sein glorreicher Plan, der völlig gescheitert war. Wie er am Ende seiner magischen Reserven seinen Gegner, nur mit seiner letzten Schilddieb-Phiole bewaffnet, ein rasches Ende bereitet hatte. Und wie dieser im Augenblick seines Todes die kleine Schlucht fast zum Einsturz gebracht hatte.

Dann setzte sein Herz aus. „Meine Beine“, sagte er. „Was ist mit ihnen?“

„Ich konnte sie heilen“, antwortete Sonea. „Das rechte war nur gebrochen, aber das linke hatte weniger Glück. Die Knochen waren an mehreren Stellen zertrümmert und es hat eine Weile gedauert, die Einzelteile wieder an ihren Platz zu bringen.“

Nur mit Mühe widerstand Regin dem Drang zu würgen. „Aber du hast es geschafft, nicht wahr?“

Sie nickte. „Aber du darfst deine Beine nicht belasten, bis deine Knochen wieder ganz zusammengewachsen sind.“

Also hatte sie ihn nicht vollständig geheilt. Trotz der Erleichterung, dass sie seine Beine wieder in Ordnung gebracht hatte, war er verärgert.

„Warum hast du die Knochen nicht wieder zusammenwachsen lassen?“, fragte er, wobei er nicht verhindern konnte, dass eine Spur von Vorwurf in seiner Stimme mitschwang. „Das kannst du doch, oder?“

„Regin, einige Brüche waren so kompliziert, dass ich die Knochensplitter entfernen musste. Dadurch sind Lücken entstanden – es braucht Zeit, sie nachwachsen zu lassen. Die dazu nötigen Ressourcen muss dein Körper bilden. Kein Heiler wird sich darauf einlassen, mit Magie nachzuhelfen.“ Ihre Stimme wurde hart, als sie fortfuhr. „Zudem finde ich nicht, dass du das verdient hast.“

„Warum?“, verlangte er zu wissen.

„Weil du ein Mistkopf bist.“ Sie schüttelte missbilligend den Kopf. „Was hast du dir dabei gedacht?“

Er hob die Schultern. „Vielleicht, dass Trassia mir verzeiht?“

Sie verdrehte die Augen. „Liebe kann man nicht mit Heldentaten erkaufen, Regin.“

Nein, das konnte man nicht. Regin kam sich idiotisch vor, weil er das überhaupt einmal geglaubt hatte. Damit überhaupt die Chance bestand, dass Trassia ihm verzieh, benötigte es eine andere Form von Heldentum. Und eine andere Form von Mut.

„Ich bin dir unendlich dankbar, dass du mich geheilt hast, liebste Sonea“, sagte er.

„Du hast mir das Leben gerettet, als Divako mich angriff“, sagte sie knapp. „Ich denke, wir sind quitt.“

„Und ich würde es wieder tun“, erwiderte Regin sein charmantestes Lächeln aufsetzend.

Sie schnaubte leise. „Regin, was willst du?“

Sie kannte ihn zu gut. Und sie mochte es abstreiten, doch auch bei ihr wirkte sein Charme, wenn auch sie ihm nur widerwillig nachgab. Doch ob sie ihm bereitwillig erlag oder es nur tat, damit er Ruhe gab, lief für Regin auf dasselbe hinaus.

„Ich kann nicht warten, bis meine Knochen von selbst wieder zusammengewachsen sind. Bitte, oh verehrteste Sonea, erhöre mein Flehen und heile mich vollständig. Du bist meine beste Freundin!“

Sie betrachtete ihn unwirsch. „Warum kannst du nicht warten? Es würde dir guttun, dich in Geduld zu üben und über deine Fehler nachzudenken.“

„Nicht dieses Mal.“ Regin verspürte eine ungeahnte Unruhe. „Ich muss schnell wieder gesund werden. Ich muss dringend das Fort verlassen!“

„Regin … ich weiß nicht, ob Akkarin dich gehenlässt, bevor wir hier fertig sind. Wir werden noch eine Weile hierbleiben und Verhandlungen mit den Sachakanern und den Duna führen. Für den Fall, dass dabei etwas schiefgeht, brauchen wir jeden unserer Krieger. Wir haben bereits genug verloren.“

Etwas in seiner Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Und dann kehrten auch die anderen Erinnerungen an die Schlacht zurück. „Balkan …“

Sonea nahm seine Hand und drückte sie leicht. „Es tut mir so leid. Ich weiß, er war mehr als nur ein Mentor für dich.“

„Er war mein Vorbild.“ Der Vater, den ich gewollt hätte. Balkan hatte ihn stets geleitet und unterstützt. Ohne ihn fühlte Regin sich allein, auf sich gestellt. Es gab noch so viel, was er von diesem Mann hätte lernen können. Auf seine eigene Weise hatte Regin ihn geliebt. Er ahnte, dass er diese Art von Liebe eigentlich für seinen Vater hätte aufbringen sollen. Doch in den vergangenen Jahren war ihm das immer schwerer gefallen.

Ohne Trassia und Balkan – was blieb ihm da noch außer einer besten Freundin, die ihn hasste?

„Wie lange werden diese Verhandlungen dauern?“, fragte er.

Sonea hob die Schultern. „Ein paar Tage, vielleicht auch Wochen – ich weiß es nicht. Es gibt viel zu besprechen. In der Zwischenzeit würde es der Hohe Lord begrüßen, wenn du dich nützlich machst, soweit es dein Zustand erlaubt.“

„Aber wenn Akkarin mich nicht mehr braucht, würde er mich gehenlassen, oder? Du kannst doch sicher ein gutes Wort bei ihm einlegen. Sicher hast du deine Methoden, um ihn zu überzeugen.“

Sie schnaubte. „Heckst du wieder irgendetwas aus?“

Regin lachte wider Willen. „Wenn du so willst, ja. Aber dieses Mal habe ich nur Gutes im Sinn.“

Ihre Augen verengten sich. „Also schön“, sagte sie dann. „Ich kann mit den Heilern sprechen, ob es möglich ist, dass man dein Knochenwachstum beschleunigt, ohne deinen Körper dabei zu sehr anzugreifen. Aber es wird trotzdem eine Weile dauern.“ Mit säuerlicher Miene hob sie den Zeigefinger. „Und ich mache es nur unter der Bedingung, dass du wieder gutmachst, was du angerichtet hast. Sollte ich herausfinden, dass du dich nicht daran hältst, wird es das letzte Mal gewesen sein, dass ich dir einen solchen Gefallen tue.“

„Du hast mein Ehrenwort als Krieger“, sagte er, eine Hand auf seine Brust legend. „Sollte ich mein Wort brechen, steht es dir frei, mich zu bestrafen, wie es dir beliebt.“

Sonea schüttelte den Kopf. Mit einem missbilligenden Gesichtsausdruck legte sie dennoch eine Hand auf seine und schloss die Augen. Ein warmes Gefühl breitete sich von dort in Regins Körper aus und strömte bis in seine Beine. Er bildete sich ein, wie seine Knochen zu jucken begannen, und musste dem Drang sich zu kratzen widerstehen.

„Ich habe das Knochenwachstum noch einmal angeregt“, sagte sie. „Aber ich kann nicht viel tun, ohne deine restliche Körpersubstanz anzutasten. Irgendwoher muss dein Körper das nötige Material nehmen.“

„Danke“, sagte er. „Du hast mir und einigen anderen Menschen einen großen Dienst erwiesen.“

„Es ist mir Dank genug, wenn du dein Wort hältst“, entgegnete sie ein wenig schroff.

„Wann habe ich das jemals nicht getan, verehrteste Sonea?“

Sonea hob leicht die Augenbrauen, schwieg jedoch.

„Und da wir gerade beim Thema sind“, fuhr Regin fort. „Hast du es endlich deinem Mann gesagt?“

Sie nickte.

„Und?“

„Er hat so reagiert, wie ich es erwartet habe.“

„Machst du deswegen schon die ganze Zeit über so ein grimmiges Gesicht?“

„Nein. Ich habe nachgedacht.“

„Über den Kampf?“

„Über Sachaka.“

Also plagten die Erinnerungen sie noch immer. Regin hätte zu gern gewusst, was dort vor zwei Jahren geschehen war, dass es sie noch immer verfolgte. „Möchtest du darüber reden?“, fragte er vorsichtig.

„Nein.“

„Aber ich bin doch dein bester Freund, liebste Sonea.“ Dieses Argument funktionierte in fast allen Fällen. Und in den übrigen Fällen genügte es, wenn er ihr lange genug mit seinem Bitten auf die Nerven ging, bis sie nachgab. Denn Sonea war nicht so unnachgiebig, wie sie immer tat.

„Und deswegen werde ich nicht mit dir darüber sprechen.“

„Also da musst du dir schon eine bessere Begründung überlegen.“

Sonea verdrehte die Augen. „Regin“, sagte sie entnervt. „Du bist auch einer meiner besten Freunde, obwohl ich mich manchmal ernsthaft nach dem Warum frage. Ich würde dir wenn nötig mein Leben anvertrauen. Aber es gibt Dinge, die weder dich noch einen anderen meiner Freunde etwas angehen. Ich würde es begrüßen, wenn du das respektierst.“

„Etwas anderes wird mir wohl kaum übrigbleiben“, erwiderte er lächelnd.

„Nein.“

Ihr Gesichtsausdruck wurde für einen Moment abwesend. „Ich muss nun gehen“, sagte sie. „Akkarin hat nach mir gerufen.“

„Dann solltest du ihm besser gehorchen.“

Ihre Miene verfinsterte sich, was die Provokation wert gewesen war. „Hat er sich denn wenigstens ein wenig darüber gefreut, dass du ihm ein zweites Kind schenkst?“, fragte Regin.

„Natürlich hat er das.“ Sie schüttelte leicht den Kopf. „Er ist doch kein Ungeheuer.“

Nein, das war er nicht. Obwohl er manchmal so sehr zum Fürchten war, als wäre er eins.

Sonea wandte sich zum Gehen. Auf der Türschwelle blieb sie noch einmal stehen.

„Wenn du vor irgendwelchen Frauen oder Novizinnen mit deinen neusten Heldentaten prahlst, vergiss bitte nicht zu erwähnen, dass deine Heilung eine ziemliche Herausforderung war.“

„Ich werde deine Heilkünste überall anpreisen“, versprach er ihr sein charmantestes Lächeln schenkend.

Sonea verdrehte die Augen. Sie wies auf seine Beine und schürzte missbilligend die Lippen. „Mach, dass du gesund wirst“, befahl sie. „Und wenn du damit fertig bist, komm mir erst wieder unter die Augen, wenn du mit deiner Wiedergutmachung fertig bist.“


***


Der Raum, in dem sie war, hatte keine Fenster. Drei Mal am Tag kam jemand, brachte ihr Licht, Wasser und etwas zu essen und leerte ihren Aborteimer. Jeden zweiten Tag erhielt sie eine Waschschüssel, Seife und frische Kleider. Auf ihre Fragen, wann Meister Tarko zurückkehrte, erhielt sie jedoch keine Antwort.

Manchmal träumte Mivara davon, dass ihre Leute sie holen kamen. Oder Palastmeister Ivasako. Doch dieser hatte Tarko sein Wort geben müssen, die Sache auf sich beruhen zu lassen, weil er sonst riskierte, dass diejenigen von Tarkos Anhängern, die noch in der Stadt waren, sich gegen ihn stellten. Und ihre Schwestern hielten sie vermutlich für tot.

Nachdem Tarko sie an jenem Tag im Palast zurück auf sein Anwesen gebracht hatte, hatte er ihr Blutjuwel gefunden und vernichtet. Dann hatte er ihre Gedanken gelesen und jedes Detail über sie und ihre Tätigkeit der vergangenen Monate herausgefunden, da sie unglücklicherweise zu jenen Verrätern gehörte, die keinen Geheimniswahrer hatten, weil sie in der Stadt rekrutiert worden waren. Dann hatte er Mivara eingesperrt und seitdem hatte sie von ihm weder etwas gehört oder gesehen.

Ob er tot ist?, fragte Mivara sich. Sie wusste, dass der Palastmeister nach der Schlacht gegen Sakori alle kampffähigen Magier zur Unterstützung von Hakaros Armee in die fruchtbaren Regionen gesandt hatte. Sie sollten Ishaka und Mivaras Leute unterstützen. Möglicherweise war Tarko mit ihnen gegangen. Möglicherweise war er gefallen. Doch in diesem Fall wäre vermutlich der Sklave, der das Kommando über Tarkos Wachen hatte, gekommen und hätte sie getötet. Aber vielleicht war Tarko auch in der Stadt geblieben, weil Ivasako ihn hier brauchte. Mivara ahnte, sie war nur noch am Leben, weil Tarko noch nicht mit ihr fertig war.

Und ich nicht mit ihm.

Auch wenn Tarko sie töten würde, so gab es einige Dinge, die Mivara ihm vorher zu sagen hatte. Was das betraf, wollte sie nicht gerettet werden.

Mivaras Vorstellung scheiterte jedoch daran, dass Tarko sie wirklich töten wollte. Wieso behandelte er sie dann so zuvorkommend? Oder war er so sehr in sie vernarrt, dass er sich noch zu diesem Schritt durchringen musste? Mivara fiel es schwer, diesen Mann zu deuten. Oft in den letzten Monaten hatte sie geglaubt, dass er eine echte Zuneigung zu ihr entwickelt hatte. Dann hatte es jedoch wieder Momente gegeben, in denen er sie wie das behandelt hatte, was sie für ihn war: eine Sklavin.

Oder hatte er seine Entscheidung noch nicht getroffen und wollte, dass sie bis dahin in einem guten Zustand war? Wollte er so von ihr begrüßt werden, wie es eine Lieblingssklavin tat? War es vielleicht so einfach?

Was auch immer es war, Mivara hoffte, es bald herauszufinden.

In ihrer Zeit als Informantin hatte Mivara viele Aufgaben übernommen. Bis zur Schlacht von Arvice hatte sie die Sklavin jedoch nur gespielt. Erst, als Rovako sie aufgegriffen hatte, war sie wirklich zu einer Sklavin geworden. Mehr als ein Jahr ohne Kontakt zu ihren Schwestern und jeden Tag von einem grausamen Meister gedemütigt und misshandelt zu werden, war für Mivara ein nicht enden wollender Albtraum gewesen. Die Aussicht, in den Haushalt eines mächtigen Ashaki, der sich mit seiner Cachira schmückte, zu gehen, war daher umso verlockender gewesen.

Vielen der einflussreichen Politiker lag Grausamkeit gegenüber ihren Sklaven fern. Für sie waren Sklaven ein Statussymbol, etwas das man gerne vorzeigte. Mivara hatte Tarko und seine Cachira oft auf Parties beobachtet und daraus zusammen mit dem Geschwätz der Sklaven geschlossen, dass es ihr dort gut ergehen würde. Zudem fand sie Tarko attraktiv. Sich mit ihm zu amüsieren, war damit überzeugendes Spielen ihrer Rolle und Entschädigung für Rovako zugleich.

Es war ihr nicht schwergefallen, den Ashaki um den Finger zu wickeln, kaum dass er sie erstmals mit ins Bett genommen hatte. Für Mivara gab es im Bett keine Tabus, was Tarko schließlich ganz von ihr überzeugt hatte. Im Nachhinein fand Mivara, sie hatte selten so viel Spaß in ihrem Leben gehabt.

Nein, es waren die besten Monate meines Lebens.

Als Verräterin war Mivara bereit, alles zu tun, um ihre Mission zum Erfolg zu bringen. Und sie war bereit, zu sterben. Andere Sklaven fanden Erfüllung darin, ihrem Meister zu dienen, sie lebte dieses Prinzip in Bezug auf die Verräter. Ein solches Leben war jedoch mit Entbehrungen verbunden. Als Informantin hätte sie Freunde und eine Beziehung haben können, aber Mivara war das nie praktikabel erschienen. Auch über Magie zu gebieten war für jemanden wie sie ein Risiko. Dennoch hatte Mivara sich genau deswegen für diese Spionagetätigkeit entschieden. Die meisten Verräter zogen es vor, als Ehefrauen von Ashaki zu beobachten und zu spionieren. Sie brauchten ihre Magie, um ihren Mann zu kontrollieren. Informanten, die unter den Sklaven lebten, hatten den Vorteil, dass kaum einer von ihnen Notiz nahm.

Tarko und seine Cachira hatten dagegen jede Menge Spaß bedeutet. Mit einigen der Sklavinnen hatte Mivara sich sogar angefreundet und Enrasa gespielt und sich gegenseitig frisiert, wenn ihr Meister nicht von ihnen beglückt werden wollte. Hin und wieder hatten sie es sogar miteinander getrieben. Jetzt wünschte sie, sie hätte während ihrer Gefangenschaft in diesem Raum wenigstens mit einer der Sklavinnen reden dürfen.

Mivara hatte lange aufgehört, die Tage zu zählen, als sich schwere Schritte ihrer Tür näherten. Die Tür ihres Gefängnisses ging auf und ein Mann, dessen Gesicht Mivara auch nach einer gefühlten Ewigkeit nicht vergessen hatte, trat ein.

Tarko.

Sie erhob sich von ihrem Lager und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. „Ich habe mich schon gefragt, ob die Duna Euch getötet haben“, bemerkte sie.

„Ist es das, was du dir gewünscht hast?“

Mivara begegnete seinem Blick. „Nein.“

Ihr Meister seufzte. „Mivara, was soll ich mit dir tun? Wir hatten viele wundervolle Stunden. Ich hatte geglaubt, deine Zuneigung zu mir war echt. Ich hatte geglaubt, du hättest dich mir mit deinem Herzen unterworfen.“

„Das alles war nicht gespielt“, sagte Mivara. „Doch ich musste meinen Auftrag erfüllen.“

„Du hast mich ausspioniert. Allein dafür sollte ich dich töten.“

„Ich habe es in Eurem Interesse getan. Wir stehen auf derselben Seite.“

„Das mag mit der Zeit so geworden sein. Als du zu mir kamst, war dem jedoch nicht so.“

Mivara spürte, wie sich Zorn in ihr regte. „Wäre ich nicht gewesen, hätte der Palastmeister Euch anstelle von Chirachi getötet. Ich würde sagen, Ihr steht in meiner Schuld.“

Tarko machte einen Schritt nach vorne. Er packte Mivaras Kinn und zwang sie, zu ihm aufzusehen. „Also erwartest du, dass ich dir deinen Verrat vergebe?“

„Das wäre das Verhalten, das man allgemein von einem Ashaki erwartet, der seine Sklaven gut behandelt“, gab Mivara zurück. „Insbesondere, wenn er sich offen zu den gemäßigteren Imperialisten bekannt hat.“

Tarkos Gesicht verfinsterte sich.

„Natürlich könnt Ihr mich auch töten“, fuhr sie ihre Nervosität unterdrückend fort. „Ich habe keine Angst zu sterben, doch lebend bin ich für Euch und Eure neuen Verbündeten von größerem Nutzen.“

Zu ihrer Überraschung seufzte der Ashaki. „Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder mit dir schlafen könnte“, sagte er. „Doch zugleich kann ich den Gedanken, dich zu töten oder dich nicht mehr zu sehen, nicht ertragen.“

Mivara schloss die Augen. Sie war nicht sicher, ob sie das hören wollte. Es war nie geplant gewesen, dass er zu mehr als nur einem Auftrag wurde.

„Warum finden wir es nicht heraus?“, fragte sie.

„Und wie stellst du dir das vor, Mivara? Ich dachte, du wärst meine Sklavin. Doch jetzt muss ich begreifen, dass du das niemals wirklich gewesen bist. Ich dachte, ich hätte dich Rovako abgekauft. Stattdessen habe ich erfahren, dass du und deine Leute mich dahin manipuliert haben.“

„Weil ich zu Euch wollte.“

„Eine Sklavin kann sich ihren Meister nicht aussuchen.“

„Was hat sich geändert, außer dass Ihr nun die Wahrheit kennt?“

„Das hat alles verändert.“

„Ich sehe in Euch noch immer denselben Mann, den ich vor einem halben Jahr gesehen habe. Und mehr. Ihr mögt Euch hart, streng und unnachgiebig geben, doch Ihr seid keiner von den grausamen Ashaki. Ich hätte andere einflussreiche Ashaki ausspionieren können, doch ich habe mich für Euch entschieden, weil ich etwas in Euch gesehen habe, weswegen ich Euch gehören wollte.“

„Seltsame Worte für jemanden, der eigentlich eine Sklavin sein sollte.“ Tarko packte ihre Handgelenke und zwang sie auf die Knie. „Du wolltest zu mir, um mich auszuspionieren.“

„Ihr wollt es nicht verstehen, nicht wahr?“, zischte Mivara. „Ja. Ihr wart ein Auftrag. Aber ich hätte gegenüber meinen Schwestern nicht durchgesetzt, in Euren Haushalt eingeschleust zu werden, hätte ich Euch nicht schon damals begehrt. Ihr habt meine Gedanken gelesen, Ihr kennt die Wahrheit.“

Tarkos Augen bohrten sich in ihre. Mivara hielt seinem Blick unverhohlen stand. Sie wusste, damit wäre sie eine denkbar schlechte Sklavin gewesen, aber sie war zu wütend, um nachzugeben. Und obwohl er es nicht zugab, schien Tarko ihr Widerstand zu gefallen.

Seine Pranken lösten sich von ihren Handgelenken und fuhren durch ihr Haar. Dann zog er ihren Kopf mit einem leisen Grollen gegen seinen Oberschenkel.

„Ich sollte dich töten oder zu deinen Leuten zurückschicken“, sagte er. „Doch stattdessen kann ich nicht aufhören daran zu denken, dich erneut meinem Willen zu unterwerfen.“

„Dann tut es“, flüsterte Mivara in den Stoff seiner Hose. „Unterwerft und bestraft mich. Meine Leute halten mich ohnehin für tot.“

„Sie werden die Wahrheit früher oder später herausfinden.“

Einen Kitzel wilder Erregung verspürend sah Mivara zu ihm auf. Sie wusste, sie tat besser daran, ihn dazu zu überreden, sie gehenzulassen. Und doch verlangte es ihr mit jeder Faser ihres Körpers danach, bei ihm zu bleiben. „Dann solltet Ihr Euch bis dahin darüber klarwerden, ob Ihr mich behalten wollt.“


***


„Warum kommst du nicht ins Bett?“

Sonea löste sich von dem Anblick der schwarzen zerklüfteten Felsen und dem fast ebenso schwarzen von unzähligen winzigen Sternen übersäten Nachthimmel und wandte sich um.

„Weil ich nachdenke.“

Wie ein schwarzer Schatten löste Akkarin sich aus der Dunkelheit. „Möchtest du darüber reden?“

Sonea hob die Schultern. „Was soll das helfen?“

„Das kommt darauf an, was es ist.“ Akkarin ließ sich auf dem Fenstersims nieder und zog sie zu sich. „Aber selbst, wenn ich dir nicht helfen kann, hilft reden immer, die Gedanken zu ordnen.“ Er verzog das Gesicht und fügte selbstironisch hinzu: „Zumindest behauptet Takan das.“

„Vielleicht will ich gar nicht mit dir darüber reden“, grollte Sonea leise gegen seine Schulter. Sie wollte ihn von sich schieben. Stattdessen versteifte sie sich in seinen Armen. „Vielleicht bist du der Grund, warum ich nicht reden will?“

Sie hatte geglaubt, es würde besser werden. Doch sie konnte spüren, dass es das nicht geworden war. Sie konnte spüren, dass er ihr zürnte. Auch wenn er es zu verbergen suchte, so war es doch dagewesen. Beim Abendessen in der Großen Halle und auch später, als sie zu Bett gegangen waren. Sonea vorgegeben hatte, müde zu sein und schlafen zu wollen. Nachdem sie den halben Tag verschlafen hatte und dieses eine Thema noch immer zwischen ihr und Akkarin stand, war an Schlaf nicht zu denken gewesen.

Ein leises Seufzen erklang. „Also geht es wieder um das Baby?“

„Natürlich tut es das!“, sagte Sonea heftiger als beabsichtigt. Dann rief sie sich wieder ins Gedächtnis, dass ihr Geheimniswahrer ihre Gedanken vor ihm blockierte. Er konnte nicht wissen, was in ihr vorging, wenn sie es ihm nicht sagte. Sie verfluchte dieses schwarzmagische Artefakt zutiefst. Er erschwerte nicht nur ihre Kommunikation, sondern zerstörte auch ihre Vertrautheit. Es wurde Zeit, dieses Ding wieder loszuwerden.

Für den Augenblick war sie jedoch froh, dass der Geheimniswahrer einige sehr unschöne Gedanken vor ihm verbarg.

„Sonea, ich habe mich bereits bei dir entschuldigt“, sagte Akkarin. „Was muss ich noch tun, damit du mir nicht mehr zürnst?“

„Ich weiß es nicht.“ Sonea seufzte. „Akkarin, wir beide wissen, dass ich nicht mehr umkehren konnte, als ich es herausfand. Ich wusste, was ich riskiere und hätte ich es nicht getan, stünden wir jetzt nicht hier.“

„Das sehe ich ein. Doch du hättest dich aus dem Kampf heraushalten sollen.“

„Und dir die ganze Arbeit überlassen?“ Sonea schüttelte heftig den Kopf. „Das hätte genauso daneben gehen können. Wichtig ist doch nur, dass es gutgegangen ist.“

„Ich kann trotzdem nicht oft genug wiederholen, wie leichtsinnig das von dir war“, entgegnete Akkarin mit unterdrücktem Zorn in der Stimme. Sonea zuckte unwillkürlich zusammen. In der Dunkelheit war seine Verärgerung eine nicht greifbare, den Raum ausfüllende Drohung. „Ich verstehe, warum du es mir verschwiegen hast, als wir getrennt waren, auch wenn ich nicht erfreut bin. Aber du hättest es mir bei meiner Ankunft am Fort sagen müssen. Stattdessen hast du es weiterhin vor mir geheim gehalten, damit du bei der Schlacht dabei sein kannst.“

„Weil du mich nicht gelassen hättest. Ich musste mit dir und den anderen kämpfen.“

„Ich erwarte trotzdem, dass du ehrlich zu mir bist, Sonea.“

Sie schnaubte lautstark. Wollte er es nicht begreifen? Oder ging es um das Prinzip? „Ich war ehrlich. Ich habe dir nur einen Teil der Wahrheit verschwiegen. Du darfst gerne raten, von wem ich das gelernt habe.“

Seine Mundwinkel verzogen sich zu etwas, das wie ein unfreiwilliges Lächeln aussah. „Es ist in Ordnung, wenn du mir etwas verschweigst, Sonea. Aber nicht, wenn es um etwas so Wichtiges geht. Ich bin dein Mann. Von allen habe ich das Recht, es zuerst zu erfahren.“

„Das war aber nicht möglich.“

„Es stört mich nicht, dass Dannyl es erfahren hat oder dass Asara es für sich selbst herausfand. Sie waren deine Reisegefährten. Aber sie waren nicht die einzigen, Sonea.“

Darum ging es also! „Du findest, es geht meinen besten Freund nichts an, weil er gerade eine große Dummheit begangen hat?“, entfuhr es Sonea. Sie ballte ihre Fäuste. „Diese Diskussion ist so unendlich sinnlos. Warum gibst du nicht einfach zu, dass es dich wahnsinnig macht, wenn sich etwas in deinem Leben deiner Kontrolle entzieht?“

Akkarin umfasste ihre Handgelenke mit einem Klammergriff so fest, dass es schmerzte. „Es geht hier nicht nur um mein Leben, Sonea. Sondern um eines, das wir beide geschaffen haben. Ein Leben, das nicht für sich selbst sorgen kann. Hättest du so sehr darauf bestanden, an dem Kampf teilzunehmen, hätte das bei der Planung entsprechend berücksichtigt werden können, hätte ich rechtzeitig davon gewusst. Du wärst dort eingesetzt worden, wo du und das Baby weniger Gefahren ausgesetzt wärt. Du bist gestern fast gestorben!“

Sonea betrachtete ihn unwirsch. „Das sagst du jetzt“, grollte sie. „Du hättest doch mit aller Macht versucht, es mir auszureden.“

„Ja. Das hätte ich. Und ich hätte dich nur höchst ungern kämpfen lassen. Aber es wäre mir lieber gewesen, als dass du in deiner Sturheit eine Dummheit begehst.“

Sonea schnaubte erneut. „Hör auf, mich ständig beschützen zu wollen. Es ist großartig, dass du es tust und ich will es nicht mehr missen. Aber es gibt Situationen, in denen du mich nicht beschützen kannst und ich das nicht will.“

„Und genau das sind die Situationen, in denen ich am meisten um deine Sicherheit fürchte.“ Der Druck um ihre Handgelenke löste sich ein wenig. „Sonea, es tut mir leid, dass ich so wenig erfreut über die Tatsache war, dass du ein Kind erwartest. Ich gestehe, dass es auch eine Folge meines Bedürfnisses ist, meine Umgebung kontrollieren zu wollen und darin in Bezug auf dich in gewissen Situationen zu versagen. Ich würde lügen, hätten fünf Jahre Sachaka in dieser Hinsicht nicht auf immer etwas in mir verändert. Aber der eigentliche Grund bist du. Was für ein Mann wäre ich, wenn mir nicht daran gelegen wäre, unsere Familie zu beschützen?“

„Du wärst immer noch ein guter Anführer.“

„Vielleicht. Doch die eigentliche Schwierigkeit besteht darin, beides zu meistern. Die Gilde muss Priorität haben. Aber das hat ein Ende, wenn wir dabei unsere Kinder in Gefahr bringen.“ Er seufzte. „Ich will nicht immer vor dieser Wahl stehen müssen, Sonea. Nicht, wenn es sich vermeiden lässt. Denkst du, es ist ein gutes Gefühl, der Gilde den Vorrang zu geben?“

Sie schüttelte den Kopf. Er hatte der Gilde den Vorrang gegeben, als Marika sie entführt hatte. Sogar bei ihrer Befreiung hatte sein eigentlicher Auftrag für die Gilde Vorrang gehabt. Und die Gilde hatte Vorrang gehabt, als er auf den Stufen der Universität gestorben war.

Bin ich egoistisch, weil ich immer ihn wählen würde?, fragte Sonea sich. Weil er das Zentrum meines Universums ist?

Das war nicht immer so gewesen. Aber Akkarin war mehr als nur die Liebe ihres Lebens. Er verkörperte die Gilde und seine Werte entsprachen ihren eigenen. Wenn sie für ihn kämpfte, kämpfte sie zugleich für all das, wofür er kämpfte.

Sonea spürte, wie ihr Zorn sich auflöste. „Das verstehe ich“, sagte sie. Sie streckte eine Hand aus und strich über seine Stirn.

- Es tut mir leid. Aber das wird uns immer wieder passieren, solange dieser Krieg noch andauert.

Akkarin nahm ihre Hände zwischen seine und hielt sie fest. „Wenn alles gutgeht und Dannyl die Parteien noch einmal zusammenbringen kann, ist es vielleicht bald vorbei“, sagte er sanft. „Dann wird unser Leben einfacher werden.“

Sonea blinzelte, als ihre Augen zu brennen begannen und sie eine beinahe schmerzhafte Sehnsucht verspürte. „Es gibt kaum etwas, das ich mir mehr wünsche“, flüsterte sie.

Akkarin beugte sich vor und küsste sie behutsam. „Ich auch.“

Dann zog er sie in seine Arme und trug sie zurück zum Bett. Als Sonea sich an ihn kuschelte, konnte sie spüren, dass er ihr nicht mehr zürnte. Doch in Wirklichkeit hatte er ihr nie gezürnt. Er hatte dem Umstand gezürnt, immer wieder zwischen ihr und der Gilde entscheiden zu müssen. Er hatte seiner Hilflosigkeit, nicht beschützen zu können, was ihm lieb und teuer war, wenn es am meisten darauf ankam, gezürnt. Und er war nicht erfreut gewesen, dass Sonea ihn wenn auch ungewollt, erneut in eine solche Situation gebracht hatte. Aber daran konnten sie beide nichts ändern. Und Sonea fand, sie war dumm gewesen, es ihm nicht vor der Schlacht gesagt zu haben.

Aber woher hätte sie wissen sollen, dass er auf ihr Beharren nach einer Möglichkeit gesucht hätte, sie dennoch an der Schlacht teilnehmen zu lassen? Sie wusste um seinen zuweilen übertriebenen Beschützerinstinkt und sein Bedürfnis nach Kontrolle und sie hatten keine ähnlichen Situationen durchlebt, anhand derer sie seine Reaktion hätte abschätzen können.

Für den Augenblick zählte jedoch nur, dass diese Sache nicht mehr zwischen ihnen stand. Damit war es nun möglich, sich den übrigen Schwierigkeiten in ihrer Beziehung zu widmen.

Zumindest sobald wieder Ruhe eingekehrt war.

***


Im nächsten Kapitel werden die Verhandlungen wieder aufgenommen und Asara trifft eine folgenschwere Entscheidung …


Fragen zum Kapitel

Wie geht Rothen mit den Neuigkeiten über die Schlacht um? Wie findet ihr die Szene mit Luzille?

Habt ihr mit einer solchen Reaktion von Akkarin ob Soneas Schwangerschaft gerechnet? Warum, glaubt ihr, hängt der Haussegen noch immer etwas schief, nachdem sie darüber gesprochen haben?

Wie gehen Akkarin und Arikhai miteinander um? Was glaubt ihr, schlägt Dannyl am Ende vor?

Könnt ihr nachvollziehen, warum Sonea noch immer mit Regin befreundet ist? Ist es gut/schlecht, dass sie es ist?

Habt ihr damit gerechnet, dass Mivara noch lebt? Was glaubt ihr, wie es mit ihr und Tarko weitergeht?


Oh und falls ihr zu irgendetwas Fragen habt oder etwas unklar ist, dann zögert nicht, mich zu fragen :)
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