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Die Bürde der schwarzen Magier III - Das Heiligtum von Yukai

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P18 / Mix
Hoher Lord Akkarin Lord Dannyl Lord Dorrien Lord Rothen Regin Sonea
02.08.2016
04.06.2019
56
813.938
87
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Dieses Kapitel
9 Reviews
 
01.05.2018 18.691
 
Hallo ihr Lieben, das heutige Kapitel ist ziemlich lang und actiongeladen, daher möchte ich euch nicht lange aufhalten und einfach nur Emmi und Lady Alanna für die Reviews zum letzten Kapitel danken <3

Viel Spaß beim Lesen!





***



Kapitel 45 – Die Schlacht am Fort



Der Morgen erglühte in einem blutigen Rot, warf unheilvolle Schatten auf die schroffen Felshänge, und brachte eine Ahnung von Tod und Zerstörung. Für Sonea war der Anblick so unwirklich, dass sie noch immer zu träumen glaubte. Die Luft war weder warm noch kalt und doch hatte sie in ihrer Robe zu frösteln begonnen.

Ah, wenn das doch nur ein Traum wäre!, dachte sie. Wenn ich einfach in Akkarins Armen aufwachen könnte, und die Duna wären nie auf dem Weg hierher gewesen!

Akkarin stand neben ihr, seine Robe wallte wie ein schwarzer Schatten in der Morgenbrise auf dem Aussichtsturm. Seine Nähe beruhigte Sonea und vermittelte ihr ein Gefühl von Sicherheit. Sie würden diese Schlacht gemeinsam bestreiten. Und sie hatte ihm ihr Wort gegeben, nicht von seiner Seite zu weichen.

Dieses Mal gedachte sie, es zu halten.

„Ich werde mich zu keinen unüberlegten Aktionen hinreißen lassen oder mich leichtfertig in Gefahr begeben“, hatte sie gesagt, als sie ihm wenig zuvor in ihrem Quartier ihren absoluten Gehorsam versprochen hatte. „Und wenn du dich zu einer unüberlegten Aktion hinreißen lässt, so werde ich alles tun, um dich davon abzuhalten.“

„Nein, du würdest mich wiederbeleben, nur um mir anschließend die Meinung sagen zu können“, hatte er daraufhin amüsiert erwidert.

Seine Worte hatten Sonea wütend gemacht. Sie hasste, dass die Wahl zwischen ihrer Loyalität gegenüber der Gilde und Akkarin immer auf die Gilde fallen musste. Es bedeutete, dass sie seinen Tod unter Umständen in Kauf nehmen musste. Aber sie wusste auch, sie würde immer versuchen, einen anderen Weg zu finden.

Ihr Versprechen war zugleich eine Rückversicherung für nach der Schlacht, wenn sie ihm sagte, was sie ihm schon auf dem Weg nach Yukai hätte sagen sollen. Die Schuldgefühle nagten noch immer an ihr, aber sie wusste auch, sie würde nicht hier stehen, hätte sie ihm die Wahrheit schon gesagt. Und das wäre ein unverzeihlicher Fehler gewesen. Weil sie zu zweit ihre Feinde in Angst und Schrecken versetzten. Weil sie gegen die Dämonen ihrer Vergangenheit kämpfen musste. Weil sie wollte, dass ihre Kinder in einer friedlichen Welt aufwuchsen.

Und damit Akkarin überlebte.

Einen Blick auf die Straße weit unter ihr werfend fragte Sonea sich, wie der heutige Kampf ausgehen würde. Seit jenem verhängnisvollen Kampf auf den Stufen vor der Universität hatten sie viel dazugelernt. Bei der Schlacht in der Ettkriti-Ebene waren sie ein gutes Team gewesen und wären es geblieben, hätte Sonea nicht versucht, ihre Freunde zu retten. Damals war ihr das richtig erschienen, heute glaubte sie, den größten Fehler ihres Lebens gemacht zu haben.

Aber die Sachakaner hätten auch so einen Weg gefunden, uns zu trennen, dachte sie dann. Marika wollte mich. Er hätte mich früher oder später sowieso bekommen.

So betrachtet war es gut gewesen, dass sie wenigstens ihren Freunden geholfen hatte.

Die Schlacht in der Nähe des Südpasses war Soneas erster Kampfeinsatz seit jenem verhängnisvollen Tag gewesen. Dort hatten sie und Akkarin durch ihr regelmäßiges Training in der Arena so gut funktioniert, dass sie den Kampf unbeschadet überstanden hatten.

Allein der Gedanke sollte mich beruhigen, zumal wir dank des Geländes nie gegen eine große Anzahl von Gegnern kämpfen werden, dachte sie.

„Asara und die Ashaki werden die anderen nicht rechtzeitig einholen“, sagte Nirili, die neben ihr an der Brüstung lehnte. Noch war von der feindlichen Armee nichts zu sehen, aber es würde nicht mehr lange dauern, bis sie in Sicht kam. „Sie sind die Nacht über durchgeritten und haben ihren Rückstand ein Stück verkleinert, aber sie sind immer noch anderthalb Stunden hinter ihnen.“

„Und wenn Tylava die Schlucht im falschen Moment zerstört, werden sie die Duna niemals rechtzeitig einholen“, brummte Balkan. Er runzelte die Stirn. „Wir müssen die Ankunft der Duna verzögern, wenn wir ihnen lange genug standhalten wollen.“

„Wir könnten die Schlucht zerstören, bevor sie sie erreichen“, überlegte Regin. Sonea bemerkte, dass er den Bluterguss, den ihre beiden Ohrfeigen ihm eingehandelt hatten, geheilt hatte. „Das zwingt sie dazu, die Straße freizuräumen. Und das wird sie Kraft kosten. Aber wenn wir warten, bis sie in der Schlucht sind, besteht die Gefahr, dass es einigen gelingt, zum Fort durchzukommen. Zudem ist die Schlucht nicht groß genug, um die gesamte Armee zu vernichten.“

„Wie lange braucht die Armee noch bis zu dieser Schlucht?“, fragte Dannyl.

„Ungefähr eine halbe Stunde“, antwortete Nirili.

„Hm.“ In einer nachdenklichen Bewegung strich Dannyl sich über sein Kinn. „Von dort haben wir gestern ungefähr eine Stunde zum Fort gebraucht. Allerdings würde es bergab schneller gehen.“

„Worauf wollt Ihr hinaus?“, fragte Lord Balkan.

„Wir reiten ihnen entgegen. Jedoch nicht, um gegen sie zu kämpfen.“

Sonea sog scharf die Luft ein. „Du willst mit ihnen verhandeln!“

War er des Wahnsinns? Sie hatte gedacht, sie hätten ihm diese fixe Idee am vergangenen Abend ausgeredet. Es passte nicht zu ihm, sich so an einer Sache festzubeißen. Sonea kannte dieses Verhalten nur von Dorrien. Doch sie begriff, warum Dannyl so war. Sein Werk der vergangenen beiden Jahre und seine Arbeit in Yukai waren kurz davor, endgültig dem Untergang geweiht zu sein.

„Ah!“, machte Dannyl. „Ja.“ Seine Augen sprühten vor dem durchtriebenen Eifer, den Sonea an ihm schätzen gelernt hatte. „Aber nicht dort.“


***


Von einer Gruppe von zehn Kriegern begleitet, sprengte Regin die Straße hinab. Zwischen den Felswänden klangen die Hufe ihrer Pferde wie Donner. Allenthalben spritzten kleine Steine den Abhang zu ihrer Linken hinab und verschwanden in der dort lauernden Finsternis. Der Himmel über den Ödländern war heller geworden. Nicht mehr lange, und die Sonne würde sich über die karge Ebene erheben, nur um wenig später hinter der den ganzen Himmel bedeckenden Wolkendecke wieder zu verschwinden.

Obwohl er sich freiwillig für diese Aufgabe, die auch ein Kurier hätte erledigen können, gemeldet hatte, wuchs seine Nervosität mit jeder Wegbiegung. Die Duna werden den Überbringer der Nachricht nicht töten, redete er sich ein. Schon gar nicht, wenn dieser keinen Anteil an der Entweihung ihres Tempels oder dem Mord an ihrem Anführer hatte.

In Wirklichkeit traute Regin diesen Barbaren jedoch alles zu.

In der Vergangenheit hatte man ihm vorgeworfen, gut darin zu sein, andere in Schwierigkeiten zu bringen, aber feige zu sein, wenn er in eine Situation geriet, die Mut erforderte. Regin sah das anders. Er hatte Köder für einen Ichani gespielt, war nur mit einem erfahrenen Krieger einer Horde Sachakaner über mehrere Tage vorausgeritten und hatte in zahlreichen Schlachten gegen die Feinde der Gilde gekämpft. Er hatte sogar gekämpft, als sein Onkel gefallen war.

Und er hatte jedes Mal dabei Angst gehabt. Große Angst.

War dies nicht genau das, was den Mut eines Kriegers ausmachte?

Einen guten Krieger zeichnen mehr Eigenschaften als Talent aus. Die Fähigkeit, Befehle zu befolgen, seine Furcht zu kontrollieren, Besonnenheit und die Bereitschaft zu sterben.

Regin fand, er war zu jung zum Sterben. Doch nachdem Trassia ihn verlassen hatte, fürchtete er den Tod nicht mehr. Es war vielmehr die Begegnung mit den Duna, die ihm Unbehagen bereitete. Zugleich hätte es kaum eine bessere Gelegenheit geben können, um sich zu beweisen.

Der Abgrund zu seiner Linken wurde schmaler und die Felswand auf der anderen Seite rückte näher, bis sie schließlich die Straße berührte. Regin sah zum Himmel. Zu beiden Seiten ragte der Fels steil und hoch in den Himmel. Die Schlucht lag im Schatten, doch als Regin seine Sinne ausstreckte, konnte er darin allmählich lauter werdende Geräusche hören. Pferdehufe und Stimmen. Und er spürte noch etwas: Macht – die Magie zahlreicher unverborgener Präsenzen. Sein Puls beschleunigte sich. Sie waren da.

Regin sprach weder Sachakanisch noch Duna. Auf seinem Weg in die Schlucht hatte der Hohe Lord ihm per Blutjuwel die wichtigsten Grußformeln beigebracht. Die Ashaki würden des Kyralischen mächtig sein und seine Worte den Duna übersetzen.

Eine Gruppe von Reitern erschien hinter einer Wegbiegung. Ihnen folgten weitere und ihr Strom schien kein Ende zu nehmen. Mit ihrem Näherkommen konnte Regin mehr und mehr Details erkennen. Einige trugen Gewänder, deren Farbenfülle unter dem Staub der Reise nur zu erahnen war, andere trugen Hosen und Westen aus Leder. Ihre Haut war dunkler, als die der Sachakaner, wenn auch nicht so dunkel wie die der Lonmar. Obwohl sie in Regins Augen wie Barbaren wirkten, kam er nicht umhin, beeindruckt zu sein.

Auf das Handzeichen eines Duna, der an der Spitze ritt, kam die Armee zum Stehen, während die kleine Gruppe auf Regin zuhielt.

„Moze aze yichivo?“, fragte der Sachakaner, der mit einem Duna an der Spitze ritt.

„Konamasi“, grüßte Regin und neigte höflich den Kopf. Die Worte kamen nur unbeholfen über seine Lippen und er hoffte, dass sein Gegenüber ihn trotzdem verstand. „Uyi yichivo Lord Regin se Winar nuta vidaha Paren. Kuta moze sha’yilomi velya?“

„Ashaki Divako, Sohn von Ekava, ehemals Kriegsmeister des Imperators und jetzt rechtmäßiger Herrscher von Sachaka.“ Er wies zu dem Duna an seiner Seite. Es war der Mann, der zuvor der Armee befohlen hatte, zurückzubleiben. „Das ist Kriegsherr Arikhai, Sohn von Karami.“

So, die Anführer der beiden Armeen. Hätte Regin nicht gewusst, dass Karami ein mächtiger Duna-Krieger gewesen war, hätte er den Namen für einen Frauennamen gehalten. Nun, Ekava klang auch nicht sehr männlich, doch anscheinend galt dies für viele sachakanische Namen. Regin wusste nicht, ob es mutig oder töricht war, dass sie vorausritten. Aber vielleicht waren sie sich ihrer Überlegenheit tatsächlich so sicher. Nach allem, was Regin über Divako gehört hatte, war dies zumindeset nicht unwahrscheinlich.

„Ich komme mit einer Nachricht“, teilte er den beiden Anführern mit.

Divako und Arikhai tauschten einen Blick und diskutierten dann in einer hart klingenden und zischenden Sprache.

„Sprecht“, forderte Divako ihn schließlich auf.

„Die Gilde bittet darum, Eure Invasionspläne aufzugeben und stattdessen zu verhandeln“, sagte Regin. „Wir sind zu schwach, um Eurer vereinten Armee standzuhalten. Auslandsadministrator Dannyl sieht eine andere Lösung und wünscht, diese mit Euch zu diskutieren.“

„Und warum ist er dann nicht bei Euch?“, schnarrte Divako.

„Weil er einer unserer wichtigsten Magier ist“, antwortete Regin. „Am Fort können unsere Leute ihn besser schützen.“

Divako betrachtete Regin lauernd. „Das riecht nach einer Falle“, sagte er. „Und während wir zum Fort reiten, vernichtet Ihr unsere Leute.“

„Das wird nicht passieren.“ Regin machte eine vage Bewegung in die Schlucht. „Es ist richtig, die Gilde hat diese Schlucht präpariert, um Euch zu vernichten. Doch dies stellt unsere einzige Chance gegen eine Armee dieser Größe dar. Reitet mit mir und verhandelt. Dann wird Euch und Euren Leuten nichts geschehen. Nicht, solange sie die Schlucht nicht verlassen.“

„Das klingt für mich eher nach Erpressung“, sagte Divako. „Woher sollen wir wissen, ob wir Euch trauen können?“

Regin sah zu Arikhai. „Auch wir besitzen Ehrgefühl.“

Die beiden Männer berieten sich erneut. Regin konnte kein einziges Wort verstehen, aber er war sicher, Akkarin konnte es.

„Wir lassen uns auf Euer Angebot ein, Lord Regin von Winar“, sagte Divako schließlich. „Allerdings fordern wir, dass ein paar Eurer Leute zurückbleiben. Als Garantie, dass Ihr diese Armee nicht angreifen werdet, während wir verhandeln.“ Er wandte sich um. „Sakori, Ihr bleibt hier und befehligt mit Sarkaro die Armee.“

„Ja, Kriegsmeister“, erwiderte einer der anderen Sachakaner.

- Soll ich mich darauf einlassen, Hoher Lord?

- Ja.

Regin erschauderte.

- Sie werden die Krieger auf Speichersteine und Phiolen durchsuchen und dafür sorgen, dass sie sich nicht schützen können, sollte sich die Schlucht als Hinterhalt herausstellen, wandte er ein.

- Wählt zwei Krieger aus Eurem Trupp aus. Ich werde Tylava anweisen, die Gildenmagier im Auge zu behalten und in Sicherheit zu bringen, sollte sie gezwungen sein, den wilden Speicherstein zu zerstören.

Es gefiel Regin nicht, das Leben guter Krieger derart aufs Spiel zu setzen. Aber sie alle waren zum Nordpass in dem Wissen gereist, dass sie sterben konnten. Es machte keinen Unterschied, an welcher konkreten Selbstmordaktion sie teilnahmen.

- Verstanden, sandte er. Ich werde ebenfalls zurückbleiben, wenn das Euer Wunsch ist, Hoher Lord.

- Nein, sandte Akkarin. Ich brauche Euch als Gruppenführer und für Eure neue Strategie. Zudem gehört ihr zu den wenigen, die die Kontrolle über die Schilddiebe gemeistert haben.

Also lief es darauf hinaus, zwei Krieger zu wählen, die entbehrlich waren. Regin seufzte leise. Das war keine Entscheidung, die er gerne traf.

„Veltaze“, sagte Regin zu Divako. Er winkte zwei Krieger nach vorne. „Diese beiden werden als Pfand zurückbleiben. Behandelt sie gut, sonst werden unsere Leute die Schlucht zerstören und Eure Armee gleich mit.“


***


Dannyl war überrascht und erfreut, weil seine Idee so gut geglückt war. Er wäre persönlich zur Schlucht geritten, hätten Lord Balkan und Akkarin ihn gelassen. Doch er hatte auch nichts dagegen, dass Regin diese Aufgabe übernahm. So wichtigtuerisch, wie er sich noch beim Verlassen des Forts gegeben hatte, so sehr würden die Duna ihn das Fürchten lehren. Zudem konnte Regin nicht viel anstellen, wenn Akkarin ihm durch ein Blutjuwel Anweisungen gab.

Mittlerweile war die Sonne aufgegangen. Die Augen vor ihrem gleißenden Licht schützend stand Dannyl vor den Toren des Forts und sah den Reitern entgegen, die sich rasch näherten.

Divako und Arikhai ritten an der Spitze. Bei ihnen entdeckte Dannyl einige Duna, deren Gesichter ihm aus Yukai bekannt waren. Sandreiter. Die Übrigen waren ihm wie die Sachakaner an Divakos Seite unbekannt. Mirakhi ritt an der Seite des Kriegsherrn. Von Sarkaro und den beiden Rebellinnen war keine Spur zu sehen.

Sie sind zurückgeblieben, um die Armee zu befehlen, erkannte Dannyl. Es wäre strategisch unklug gewesen, alle wichtigen Personen zu dieser Verhandlung mitzunehmen. Stattdessen hatten ihre Gegner eine Gruppe starker Magier mitgebracht, die sich im Ernstfall selbst verteidigen konnte.

Und damit hatten sie weise entschieden. Die Magier am Fort waren besser vorbereitet, als Regin sie hatte glauben lassen. Doch der eigentliche Hinterhalt war die Schlucht. Spätestens, wenn die Verräter und Ishaka ihr unteres Ende erreichten, saß die Armee in der Falle. Akkarin würde nicht zögern, Tylava den Befehl zur Zerstörung des Speichersteins zu geben, sollte Dannyls Verhandlungsversuch scheitern.

An der Stelle, an der die Straße abflachte, kam die Gruppe aus zwanzig Duna und Sachakanern zum Stehen. Regin ritt gefolgt von seiner Krieger-Eskorte an ihnen vorbei und stellte sich neben Dannyl und seinen Begleitern auf. Arikhai, sein betagter Berater und Divako saßen ab und schritten ihnen entgegen. Ihre finsteren Mienen drückten Mistrauen aus – und Zorn.

„Jetzt bin ich gespannt, inwiefern ihr gesunder Menschenverstand noch funktioniert“, murmelte Sonea.

„Sofern dieser überhaupt je vorhanden war“, murmelte Dannyl ebenso leise. Bei Arikhai konnte er daran glauben. Bei Divako war er sich dessen nicht so sicher.

Sonea unterdrückte ein nervöses Glucksen und tat einen kleinen Schritt zu ihrem Hohen Lord.

Einen tiefen Atemzug nehmend erhob Dannyl seine Stimme. „Ich grüße Euch, Kriegsherr Arikhai und Ashaki Divako!“, rief er. „Und Mirakhi. Ich bin erfreut, dass Ihr diesem Treffen zugestimmt habt.“

„Wir sind gekommen, um die Bedingungen Eurer Unterwerfung auszuhandeln“, erklärte Divako. „Ergebt Ihr Euch uns kampflos, so dürft Ihr als unsere Sklaven weiterleben. Dasselbe gilt für die übrigen Kyralier. Wir werden das Land erobern, die Bevölkerung unterwerfen und uns an ihr stärken, um anschließend Sachaka zurückzuerobern und die Mörder des Imperators von Sachaka und die Entweiher des Tempels von Yukai zu bestrafen. Wer sich bereit erklärt, uns Euer magisches Wissen zu lehren, dem erlauben wir, ins Exil zu gehen.“

Auch wenn Dannyl nach den letzten Verhandlungstagen in Yukai auf mehr Entgegenkommen gehofft hatte, so war er nicht überrascht. Kriegsdiplomatie also, dachte er. Wenn es das war, was Divako wollte, dann sollte er auch genau das bekommen.

„Diejenigen, die von meinen Kriegern gefangen genommen werden, dürfen weiterleben, wenn sie der Tradition unseres Volkes folgen, indem sie sich uns anschließen und unsere Sklaven sind“, fügte Arikhai hinzu. „Kämpfen sie für uns, so dürfen sie als freie Männer und Frauen in unserem Stamm leben.“

Dannyl setzte ein liebenswürdiges Lächeln auf. „Die Gilde schlägt Euch stattdessen vor, Eure Leben zu verschonen, wenn Ihr Euch zurückzieht. Andernfalls wird sie die Schlucht, in der Eure Krieger warten, zum Einsturz bringen. Die Überlebenden werden gemeinsam mit unseren Verbündeten gejagt und vernichtet. Und dabei werden wir von neuen Waffen Gebrauch machen.“

Divako schnaubte. „Sakori hat nicht viel von Euren Verbündeten übriggelassen.“

„Meinen Informationen nach wurde er in die Flucht geschlagen“, entgegnete Dannyl.

Der Ashaki schnaubte erneut und wandte sich zu Arikhai.

„Uns war bewusst, dass Ihr Gildenmagier Widerstand leisten würdet, wenn wir Euer Land wollen“, sprach der Kriegsherr. „Ihr würdet es uns niemals freiwillig überlassen. Doch mit den Stämmen, die sich mir seit Yukai angeschlossen haben, werden wir Euch trotz Eurer Waffen in die Knie zwingen. Wir fürchten Eure Macht nicht.“

„Ich bedaure Eure Entscheidung“, sagte Dannyl. „Die Gilde war nie an der Verschwörung beteiligt, die zum Scheitern der Verhandlungen geführt hat. Lady Sonea und ich haben keinen größeren Anteil an der Entweihung des Tempels als Ihr.“

„Die Gilde hat sich von den Verrätern distanziert“, fügte Akkarin hinzu. „Die Verräter haben das Leben zwei unserer Magier für ihre eigenen Zwecke riskiert und unser Vertrauen missbraucht.“

„Wie kann ich dem Wort eines Mannes Glauben schenken, der meinen Vater und seine Sandreiter – seine besten Krieger – auf dem Gewissen hat?“, fragte Arikhai.

„So, wie Ihr es in Yukai auch getan habt“, erwiderte Akkarin. „Ihr seid voll Zorn, weil Euer Heiligtum zerstört wurde, und das ist verständlich. Doch wenn Ihr alle Argumente sorgfältig durchdenkt, so werdet Ihr erkennen, dass unsere Worte der Wahrheit entsprechen. Unser König ist bereit, sein einstiges Angebot ein zweites Mal zu unterbreiten, wenn Ihr im Gegenzug die Feinseligkeiten einstellt.“

„Und Duna würde eine angemessene Entschädigung für die Zerstörung des Tempels erhalten“, fügte Sonea hinzu. „Mit einigen unserer Architekten könnte der Tempel rasch wieder aufgebaut sein.“

„Der Wiederaufbau würde den Tempel nicht wieder zu einem Heiligtum machen“, entgegnete Arikhai. „Man kann diesen Zustand ebenso wenig wieder herstellen, wie die Unschuld einer Jungfrau. Es gibt nichts, womit Ihr, die Verräter oder Ishakas Anhänger das wiedergutmachen könnt.“

Dannyl wollte etwas sagen, doch dann erstarrte Arikhai. Sein Blick glitt ins Leere und auch Divako spannte sich an.

Dann löste sich der Kriegsherr aus seiner Starre und zischte etwas in seiner Sprache.

„Sie haben uns in eine Falle gelockt!“


***


Asara rannte als würde es um ihr Leben gehen. Die Muskeln in ihren Beinen protestierten, die Luft in ihren Lungen brannte. Sie sprang über Spalten im Boden, wich Felsen aus und balancierte über Geröllfelder. Sie, Estara und Varala waren übereingekommen, dass ein paar von ihnen versuchen sollten, die feindliche Armee über die Berghänge zu verfolgen. Im Idealfall konnten sie sogar zu dieser aufschließen.

Nach allem, was Lenyaka von Beccari erfahren hatte, waren Divako und Arikhai mit einigen ihrer Leute zum Fort geritten, um ihre Forderungen zu verkünden. Die Rebellin war dazu nicht eingeladen gewesen, aber das machte nichts, weil Tylava und Nirili am Fort waren, so dass Asara das Ergebnis über diese erfahren würde. Die über Sachaka verteilt sitzenden Informanten der Verräter waren angewiesen worden, ihr Blutjuwel bis nach der Schlacht nicht mehr abzulegen, um eine reibungslose Kommunikation zu ermöglichen.

Das alles wäre so viel einfacher, hätte ich ein Blutjuwel von Tylava oder Nirili, dachte Asara. Oder wenn man Gedankenrede nicht belauschen könnte.

„Du bist ausdauernder geworden, liebe Schwester.“ Leichtfüßig rannte Varala neben ihr den Steilhang entlang. „Wenn ich noch daran denke, wie du dich im Frühjahr bei der Jagd nach Takedo angestellt hast …“

„Die Feinde, die es aufzuhalten gilt, sind ein paar Nummern größer“, entgegnete Asara. „Damit wachsen auch die Anforderungen.“

Varala schenkte ihr ein wissendes Lächeln. „Du warst viel zu lange in der Stadt. Aber wenn das hier vorbei ist, wirst du das vielleicht nicht mehr müssen. Und dann kannst du mit deinem Lustsklaven zusammen sein, wie es dir beliebt.“

Und wer wird sich um das Netzwerk in der Stadt kümmern? Anjiaka konnte diese Aufgabe nicht allein bewältigen. Sie würde Unterstützung von mindestens zwei weiteren Frauen brauchen. Als die Verräterin mit der meisten Erfahrung in Arvice würde es an Asara sein, diese in das Stadtleben und die neuen Aufgaben einzuweisen.

Im Augenblick sah Asara jedoch keinen Sinn in Spekulationen über eine Zukunft, die sie vielleicht nicht erleben würde.

Eine halbe Meile später endete der Steilhang an einer schroffen Felswand. Unter sich erblickte Asara Reiter der Duna und Ashaki. Sie hatten die Schlucht erreicht.

Sie und Varala wandten sich nach links und schwebten auf einen schmalen Felsgrat, auf dem eine einzelne Frau stand.

„Tylava.“

Die Rebellin fuhr herum.

„Asara. Welch eine Überraschung. Ich konnte es kaum glauben, als ich von Lenyaka erfuhr, dass du Yukai überlebt hast. Wie fühlt es sich an, die eigene Schwester zu töten?“

„Nicht viel anders, als das Töten einer ehemaligen Schwester“, gab Asara zurück. Sie wollte nicht an Zalava denken. Nicht jetzt. Sie nickte hinab zu den Reitern. „Du hast dich also bereit erklärt, für die Gildenmagier ein wenig Ärger zu machen?“

Tylava nickte grimmig. „Allerdings verhandeln sie noch.“

„Sie verhandeln?“, entfuhr es Asara.

„Der schöne Gildenmagier bestand darauf.“ Tylava zuckte die Schultern. „Auch wenn er damit keinen Erfolg haben wird, so wird es den Marsch unserer Feinde verzögern, so dass deine Leute und Ishakas Ashaki aufschließen können.“

Das sah Dannyl ähnlich. Wenn jetzt noch jemand mit Worten etwas erreichen konnte, dann er. „Sind das Tivara und Estiri?“, fragte sie zu den beiden Gestalten auf der anderen Seite der Schlucht nickend.

„Ja. Sie kamen noch in der Nacht. Die Gildenmagier haben sie mit Phiolen ausgestattet.“

Asara berührte den Beutel an ihrer Hüfte. „Wir haben auch ein paar dieser Waffen“, sagte sie.

„Wie bist du an die herangekommen?“

„Durch die Schwestern, die sich uns aus den fruchtbaren Regionen angeschlossen haben. Savedra wollte sie anscheinend nicht ohne gehenlassen.“

„Wissen die Gildenmagier eigentlich, dass nicht all ihre Feinde in die Schlucht passen?“, fragte Varala mit einem Blick nach unten. „Dort unten wartet allenfalls die Hälfte der Armee.“

„Sie wissen es. Doch wahrscheinlich sind sie sich nicht bewusst, wie viele es tatsächlich sind.“ Tylavas Blick glitt ins Leere. „Nun, jetzt wissen sie es.“

„Bei der Länge, über die die dort unten stehen, werden unsere Leute bald auf die hintersten treffen“, bemerkte Varala. „Und dann …“ Sie brach ab und sog entsetzt die Luft ein.

„Wir müssen Ishaka warnen und ihm sagen, er soll sich zurückhalten!“, drängte Asara. „Los, Tylava, sage Lenyaka ….“

„Zu spät“, antwortete die Rebellin. „Sie wurden gerade entdeckt.“

Und dann konnte Asara es sogar hören. „Verräter!“, erklangen Rufe von unten, die von den hinteren Reitern nach vorne weitergegeben wurden. „Verräter und Verschwörer gegen das Imperium!“


***


„Ihr habt uns getäuscht“, grollte Divako. „Damit habt Ihr alle Chancen auf Gnade verspielt.“

Sonea erschauderte. Und sie begriff, dass ein absurder Teil von ihr auf einen Erfolg von Dannyls Verhandlungsversuch gehofft hatte. Bevor dieser jedoch überhaupt die Chance gehabt hatte, einen Zugang zu seinen Verhandlungspartnern zu finden, war ihm ein unglücklicher Zufall dazwischen gekommen. Die Armee von Verrätern und Ashaki war zu früh von ihren Gegnern entdeckt worden, weil Letztere über ein längeres Stück Straße verteilt waren, als sie geglaubt hatten. Diejenigen Duna, die auf der Straße unterhalb der Schlucht warteten, begann bereits damit, umzukehren und sich ihren Verfolgern zu stellen.

Durch ihr Blutjuwel leitete Akkarin ihr Bilder von Tylava weiter. Die Rebellin hatte einen Blutring erhalten, damit sie während der Schlacht schnell kommunizieren konnten. Mittlerweile war Asara mit einer weiteren Verräterin über der Schlucht eingetroffen. Sie würden Tylava und die beiden auf der anderen Seite lauernden Späherinnen unterstützen. Damit würde den Duna und Sachakanern in der Schlucht kaum eine Chance bleiben. Fast zwei Drittel der feindlichen Armee warteten jedoch dahinter. Das war denkbar schlecht, denn sie würden die Explosion zum großen Teil unbeschadet überstehen. War die Schlucht erst einmal zerstört, so waren ihre Verbündeten auf der anderen Seite auf sich gestellt. Die Gilde konnte es mit Divako und Arikhai und ihren Begleitern aufnehmen. Aber sie würden wertvolle Zeit und Magie verlieren, wenn sie die Schlucht erst freiräumen mussten, um die Verräter und die Ashaki zu unterstützen.

„Sagt Euren Leuten, sie sollen an Ort und Stelle bleiben, sonst werden meine Leute die Schlucht zerstören“, sagte Akkarin kühl.

„Das werdet Ihr nicht tun“, sagte Arikhai. „Denn dann können weder Eure Verbündeten zu Euch noch könnt Ihr sie erreichen. Sofern Ihr es überhaupt mit uns aufnehmen könnt.“

„Ihr solltet uns nicht unterschätzen, bloß weil wir niedere Magier sind“, sagte Dannyl. „Wir haben die Sachakaner das Fürchten gelehrt und wir werden auch die Duna das Fürchten lehren, wenn es sein muss.“ Er seufzte theatralisch und schüttelte den Kopf. „Ich wünschte nur, das ließe sich vermeiden.“

„Eure Gerissenheit hat sich bis nach Duna herumgesprochen“, entgegnete der Kriegsherr. „Doch gegen einen sehr starken Gegner sind auch Eure Tricks machtlos.“

- Er ist zu siegessicher, sandte Sonea.

Zwischenzeitlich hatte sie an Dummheit geglaubt. Oder daran, dass die Duna die Gilde unterschätzten. Doch die Überzeugung in Arikhais Worten sagte ihr, dass dieser Mann sehr wohl wusste, mit wem er sich gerade anlegte.

- Ich nehme an, die Magier, die ihn begleiten, sind außergewöhnlich stark, antwortete Akkarin.

Sonea hielt den Atem an.

- Du meinst stärker als ein durchschnittlicher schwarzer Magier?

- Ja. Auch wenn mir nicht klar ist, wie das sein kann. Bisher waren sie auch nicht wesentlich stärker als die Sachakaner.

- Vielleicht haben sie eine Waffe, von der wir nichts wissen?, schlug Sonea vor. So wie sie Magie durch ihre Speere bündeln, würde mich nicht wundern, wenn sie noch weitere Waffen haben.

- Möglich. Wir wissen nur wenig über dieses Volk. Wenn eine solche Waffe existiert, so wird dies ein strenggehütetes Geheimnis sein.

- Aber wenn sie so stark sind, warum haben sie dann nicht sofort versucht, Arvice zu nehmen? Wie konnten sie dann auf die List der Rebellen hereinfallen?

- Ich nehme an, weil der Wunsch nach Rache in den Duna stärker ist. Und weil sie sichergehen wollen, Ivasako und seine Anhänger wirklich stürzen zu können. Aber dazu brauchen sie weitere Magie.

Und damit blieb ihnen nur noch zu hoffen, dass sie gemeinsam mit den Leuten, die Asara und Ishaka aufgebracht hatten, stark genug waren, um ihre Feinde am Eindringen nach Kyralia zu hindern.

- Sind Balkan und Erril bereit?

Akkarins Hand schloss sich um ihre. Vor ihnen verschwand die Sonne hinter einer dichten Decke aus braunen Wolken und der Morgen erstarb.

- Ja.

Erril und seine Krieger warteten im Fort, wo man sie von der Straße aus nicht sehen konnte. Balkans Gruppe wartete vor den Toren. Sobald der Kampf ausbrach, würde Dannyl von Nirili zu ihnen gebracht werden. Sie würden zeitgleich mit Regins Gruppe den Angriff eröffnen und eine Strategie ausführen, von der Sonea hoffte, dass sie dieses Mal gelang.

„Die Verräter sind unseren Leuten gerade in den Rücken gefallen“, sagte Divako. „Damit lasst Ihr uns keine Wahl.“

Für einen kurzen Augenblick spürte Sonea Akkarins Entsetzen durch das Blutjuwel, während er nach außen völlig kalt blieb. Dann sandte er ihr ein Bild, das ihr fast den Atem verschlug. Ein Ashaki hatte einem der beiden Krieger, die als Pfand zurückgeblieben waren, die Kehle durchgeschnitten. Sonea konnte die Panik seines Gefährten spüren, dann blockte Akkarin die Übertragung und Sonea stieß leise den Atem aus. Es genügte, wenn Akkarin ihr später berichtete, was mit dem Mann geschehen war.

„Dannyl“, murmelte sie. „Zeit zu gehen.“

Die Augen ihres Freundes weiteten sich und er nickte Nirili zu. Akkarin zog Sonea zu sich.

„Was wird das?“, schnarrte Divako. „Habt Ihr Angst, wir könnten Euch Euren kleinen Yeel wegnehmen?“

Ein eiskalter Schauer rann Soneas Rücken hinab. Mit einem Mal waren die Bilder, die sie in Yukai verfolgt hatten, wieder da und ihre Eingeweide zogen sich zusammen.

„Versucht es, und Ihr werdet sterben“, sagte Akkarin kalt.

Divako lächelte zähnebleckend. „Gebt mir den kleinen Yeel und liefert Euch Arikhai aus. Dann wird Euer Tod vielleicht nicht ganz so schmerzvoll sein.“

„Ich war schon einmal tot. Ich weiß, wie es sich anfühlt.“ Akkarins Griff verstärkte sich. Sonea tastete nach ihrer Magie, bereit sie der seinen hinzuzufügen. „Wenn Ihr Sonea wollt, dann kommt und holt sie euch.“

Sonea erschauderte, als Divakos Blick dem ihren begegnete. „Ich freue mich schon darauf“, schnarrte er.

„Bist du bereit?“, murmelte Akkarin.

Sie nickte nur.

Dann schlugen sie los.


***


„Wenn er nicht bald den Befehl gibt, zerstöre ich die Schlucht ohne seine Einwilligung.“ Mit geballten Fäusten starrte Tylava auf den Kampf, der tief unter ihnen tobte. Verräter und Ishakas Leute kämpften gegen Duna und die Ashaki, die sich Divako angeschlossen hatten und der sich offenkundig zum neuen Imperator ernannt hatte. Doch auch innerhalb der Armee war ein Kampf ausgebrochen. „Wenn das so weitergeht, wird bald niemand mehr in der Schlucht übrig sein, den wir in den Tod reißen könnten.“

Obwohl Asara nur mäßige Sympathie für die Rebellin empfand, kam sie nicht um ein gewisses Mitgefühl umhin. Es machte sie wahnsinnig, den Kampf aus dieser entrückten Perspektive zu betrachten. In der Schlucht befanden sich an die einhundert feindliche Magier. Ein wilder Speicherstein würde mindestens die Hälfte von ihnen sofort töten. Doch anscheinend hatten die Magier beschlossen, entweder den Weg zum Fort zu nehmen oder umzukehren, um den weiter hinten reitenden Magiern gegen Asaras Schwestern und ihren Verbündeten zu helfen.

„Die Phiolen dürfen wir doch hoffentlich werfen, oder hat er das auch verboten?“, fragte Asara.

Tylavas Miene verfinsterte sich. „Er sagt, wir sollen noch warten.“

„Weiß er, was die dort unten machen? Ich habe keine Lust, gegen eine Übermacht zu kämpfen.“ Es verlangte Asara danach, der anderen Frau den Ring zu entreißen und persönlich mit Akkarin zu sprechen, doch sie ahnte, das würde nur in einen sinnlosen Kampf mit der Rebellin ausarten.

„Da unten ist ein Gildenmagier“, sagte sie. „Was tut er dort?“

„Als Arikhai und Divako zum Fort der Gildenmagier geritten sind, mussten er und ein anderer hierbleiben.“ Tylava runzelte die Stirn. „Der andere wurde getötet, als der Kampf zwischen unseren Leuten und denen am unteren Ende der Armee begann.“

„Wie hat er dann überlebt?“, wunderte Asara sich. „Der Austausch wird doch am oberen Ende der Schlucht stattgefunden haben.“ Dieses war indes nicht von hier jedoch einsehbar. „Wie kommt er hierher?“

„Ich …“ Die Rebellin kniff die Augen zusammen, während Verwirrung und Unglauben auf ihrem Gesicht einen wilden Tanz aufführten. „Es sieht aus, als würde er von einigen Ashaki beschützt. Als Druckmittel vielleicht? Aber dafür ist er zu unwichtig. Er ist nur ein niederer Magier.“

„Es sind Gildenmagier“, erinnerte Asara. „Sie …“ Sie brach ab. „Ist das Sarkaro?“

„Ja“, sagte Tylava. „Er und seine Leute aus den Roten Hügeln. Sie haben den Gildenmagier.“

Und sie kämpften gegen die anderen.

Asara wandte sich zu der Rebellin. „Sag Akkarin, dass es Zeit wird, die Phiolen zu werfen. Berichte ihm von Sarkaro.“ Sie schuf eine Scheibe aus Magie.

„Asara, was hast du vor?“, rief Varala.

Asara fuhr herum. „Das Spiel zu unseren Gunsten wenden.“

Mit diesen Worten schwebte sie hinab in die Schlucht. Noch im Fallen errichtete sie einen starken Schild, bereit sich gegen zahlreiche Magier zu verteidigen.

Sie landete direkt vor Sarkaro. Der Ashaki reagierte instinktiv und griff an.

„Nicht!“, rief Asara. „Ich komme nicht in feindlicher Absicht!“

Sarkaro hielt inne. „Asara“, sagte er. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass Ihr Yukai überlebt.“

Zu Asaras Überraschung schien er beeindruckt. „Leute wie ich finden immer einen Weg, zu überleben und unerkannt zu bleiben“, sagte sie. „Und wie mir scheint, haben Verräter und Ichani das gemeinsam.“

Sarkaros Gesicht verfinsterte sich. „Was wollt Ihr?“

„Gebt mir den Gildenmagier und dann seht zu, dass Ihr und Eure Leute das Fort erreicht. Nach hinten werdet Ihr nicht weit kommen, weil meine und Ishakas Leute die Duna in die Schlucht treiben. Treibt meinetwegen ein paar Duna vor Euch her, das wird die Gildenmagier freuen. Aber seht zu, dass Ihr Euch beeilt, wenn Ihr leben wollt.“

Der ehemalige Ichani öffnete den Mund, doch Asara kam ihm zuvor. „Ihr habt mir lange Rätsel aufgegeben, doch jetzt wird mir alles klar. Ihr wart nie auf Kachiros Seite, nicht wahr?“

Etwas traf ihren Schild. Instinktiv fuhr sie zu dem Angreifer herum und konterte mit Kraftschlag.

„Zumindest nicht mehr in den letzten Monaten“, antwortete Sarkaro. „Ich wurde als Ichani geboren, ich kenne beide Seiten. Ishaka hat mir einen Weg aufgezeigt, der einige unserer Probleme lösen könnte.“

„Ziemlich friedfertig für einen ehemaligen Ichani“, bemerkte Asara, während sie zwei Feuerschläge zu dem Duna sandte, der sich offenkundig in den Kopf gesetzt hatte, sie zu töten.

Sarkaro hob die Schultern. „Sagen wir, ich habe ein Problem mit gewissen Autoritäten.“

Asara verkniff sich ein Lächeln und fuhr dann zu ihrem Gegner herum. „Kannst du dir nicht jemand anderen suchen? Wir führen hier ein wichtiges Gespräch!“

Der Duna lachte höhnisch und griff erneut an.

„Hier.“ Sarkaro stieß den Gildenmagier zu ihr. „Er gehört Euch.“

„Ich stehe in Eurer Schuld.“ Asara schlang einen Arm um den Mann und schuf eine Scheibe aus Magie unter ihren Füßen. „Und jetzt tut, was ich Euch gesagt habe. Diese Schlucht wird gleich nicht mehr existieren.“

Dann schwebte sie die Felswand empor.

Magische Schläge ließen ihren Schild erbeben, während der Boden unter ihnen immer weiter zurückwich. Sarkaros Leute griffen die Angreifer an. Weitere Magier schwebten nach oben und versuchten, Asara aufzuhalten und verwandelten sich Bälle aus Feuer und Nebel, als ihre Schwestern von oben die Phiolen der Gildenmagier warfen. Asara griff nach ihrer Magie und formte Kraftschläge, die sie auf die ihr nächsten drei Magier projizierte. Nicht wissend, wie ihnen geschah, verloren sie die Kontrolle über ihre Magie und Asara verstärkte ihren Schild, als Wellen von Magie darüber hinwegrasten. Felsen brachen aus der Steilwand und stürzten auf die feindliche Armee.

In sicherer Entfernung von der Felskante setzte Asara den Gildenmagier ab. Erst jetzt hatte sie die Gelegenheit, ihn näher zu betrachten. Er hatte Haare so hell wie der Sonnenschein, seine Haut war so weiß wie frisch gemolkene Rebermilch und schimmerte rosig und seine Wangen zierten winzige braune Sprenkel. Sie hätte wetten können, dass er ein Knabe war.

Doch was auch immer er war, sie fand ihn ausgesprochen schön.

„Ich danke Euch für die Rettung“, sprach der Mann. „Nachdem dieser Sachakaner mich entführt hatte, habe ich nicht mehr daran geglaubt. Wie ist Euer Name, Lady …?“

„Asara“, sagte Asara. „Einfach nur Asara. Und mit wem habe ich die Ehre?“

„Lord Dayend.“

„Noch spektakulärer hättest du den Gildenmagier nicht retten können, was?“ Varala kam näher, einen Beutel mit Phiolen in der Hand. „Jetzt mussten wir vorzeitig eingreifen.“

Asara zuckte die Schultern. Sie fand, das war höchste Zeit geworden. Gildenmagier waren einfach zu zögerlich. Das galt selbst für ihren Anführer.

„Hilflose Gildenmagier retten scheint eine meiner Spezialitäten zu sein. Aber ich habe auch dafür gesorgt, dass wir gleich die Schlucht zerstören können. Sarkaro und seine Leute müssen nur noch zum Ausgang finden und dabei ein paar Duna zu den Gildenmagiern treiben …“ Als sie Varalas verwirrtes Gesicht sah, begann sie zu lachen. „Sarkaro ist auf unserer Seite, Liebes.“

„Ichani“, murmelte die ältere Frau. „Ich hätte nie gedacht, mich einmal darüber zu freuen, dass sie ein solch verräterisches Pack sind.“

Sie eilten zurück zu den Tylava, die damit beschäftigt war, eine Gruppe Duna, die die Schlucht empor schwebte, mit Phiolen zu bewerfen. Die beiden Verräter, die ihre Positionen auf der anderen Seite der Schlucht eingenommen hatten, eröffneten derweil den Angriff auf eben diese.

„Kann ich irgendwie helfen?“, fragte eine helle Stimme.

Asara wandte sich um. Der hübsche Gildenmagier war ihnen nachgelaufen. Anscheinend wollte er nicht alleine bleiben.

„Indem Ihr Euch zurückhaltet.“

„Ich bin Krieger!“, protestierte der Mann.

Asara warf einen Blick auf seine Robe. „Das sehe ich. Trotzdem ist das hier kein Kampf für Euch.“

„Ich kann Eure Schildsenker mit Illusionen tarnen oder die Gegner angreifen, wenn ihr Schild geschwächt ist“, sagte Dayend. „Dazu braucht es nicht viel Magie.“

„Meine Güte, lass den Gildenmagier doch kämpfen“, sagte Tylava. „Er sieht sich in deiner Schuld. Du könntest ihn zu deinem Sklaven machen und er würde sich das gefallen lassen, weil du sein kleines Leben gerettet hast.“

Die Wangen des schönen Kriegers färbten sich rosa.

„Genug jetzt!“, fuhr Asara die Rebellin an. Sie warf einen Blick nach unten. Sarkaro und seine Leute waren tatsächlich damit beschäftigt, sich zum oberen Ausgang der Schlucht zu kämpfen. Dadurch, dass sie geschlossen kämpften, hatten sie gegenüber den Ashaki, auf die sie stießen, einen Vorteil. Allerdings hatten die Duna durch ihre Jagd nach Wüstenwürmern Erfahrung im Gruppenkampf.

„Unsere Feinde haben mitbekommen, dass sie von oben angegriffen werden“, sagte Varala, während sie zwei Duna mit einem Hagel von Feuerschlägen attackierte und der Gildenmagier eine Phiole dazwischen schmuggelte. „Es sind bald zu viele um sie aufzuhalten.“

„Dann wird es Zeit, die Schlucht zu zerstören.“ Asara warf einen Blick zu Sarkaro. Er und seine Leute hatten fast die Stelle erreicht, an der die Schlucht eine Biegung machte. Irgendwo dahinter musste der Ausgang sein.

„Allerdings“, murmelte Tylava. Ihre Augen verengten sich, dann stieß sie ein aufgeregtes Zischen aus. „Endlich!“ Sie griff in ihre Hosentasche und zog einen kleinen unscheinbaren Kristall heraus. Er war nahezu perfekt geformt, ohne irgendeinen Makel auf der Oberfläche und seine blassgelbe Färbung ließ ihn schimmern, als die Sonne für einen kurzen Augenblick durch ein winziges Loch in den Wolken schien. Sein Inneres schimmerte sanft und Asara konnte die in ihm enthaltene Magie spüren, ohne ihn berühren zu müssen.

Tylavas Faust schloss sich um den Kristall, dann schleuderte sie ihn in die Schlucht.

Der Stein flog ungehindert, bis ein Duna, der ein Stück weiter unten in der Schlucht schwebte, ihn entdeckte. Asara beobachtete, wie der Kristall seine Richtung änderte und noch schneller dem Boden entgegenraste. Der Duna hob seinen Ikakh. Ein Strahl weißer Magie schoss aus dessen Spitze und zertrümmerte den Kristall.

„Damit hat er gerade sein eigenes Schicksal …“, begann Tylava, bevor ein blendend heller Blitz die Schlucht erhellte.

Instinktiv riss Asara den Gildenmagier mit sich zu Boden und verstärkte ihren Schild. Das Gesicht auf den harten Fels gepresst, spürte sie, wie Magie heiß und tödlich über sie hinwegraste und sie machte sich bereit, sich und Dayend zu levitieren. Der ersten Welle folgte eine weitere und eine weitere, bis Asara sicher war, sie würden sterben. Es war noch entsetzlicher als damals an dem anderen Pass. Allerdings hatte Harkos Trupp nur aus fünfzig Leuten bestanden. Und sie hatte mehr Magie zur Verfügung gehabt.

Der Boden unter ihr begann nachzugeben. Dayend schrie auf und er war nicht der Einzige. Gegen das Gleißen blinzelnd errichtete Asara eine Scheibe aus Magie und zog sich und Dayend auf die Füße. Wo wenige Augenblicke zuvor noch Felsen gewesen waren, existierte nun nichts mehr. Der Fels, auf dem sie gelegen hatten, stürzte unter ihnen in die Tiefe, wo er von einer weiteren Welle aus Magie verzehrt wurde.

„Oh-oh“, machte Dayend. „Wir werden sterben.“

„Alles halb so wild“, murmelte Asara mit mehr Zuversicht, als sie besaß. Sich umblickend entdeckte sie die Überreste des Berghanges in etwa dreißig Schritt Entfernung. Alles dazwischen war fort. Ihren Schild nach unten verstärkend beeilte sie sich, dorthin zu schweben, während weitere Eruptionen von Magie ihren Schild erschütterten und an ihren viel zu geringen Reserven zehrten.

Asara glaubte zusammenzubrechen, als sie endlich den Berghang erreichten. Sie griff nach Dayends Hand und zog ihn weiter – fort von dem Ort der Zerstörung.

Dann, endlich, hörten die Explosionen auf und die Luft wurde still. Erschöpft ließ Asara sich auf einen Felsen sinken. Wo wenig zuvor eine hohe und steile Schlucht gestanden hatte, war nun nichts als ein breites Bett aus Geröll. Einige Ashaki und Duna hatten es hinausgeschafft und kämpften auf den Trümmern, andere strömten zum Fort hinauf. Der Rest kämpfte vermutlich weiter unten gegen ihre und Ishakas Leute.

Ob meine Schwestern es geschafft haben?, fragte Asara sich. Dort, wo sie gestanden hatten, waren sie der Magie der sterbenden Ashaki und Duna direkt ausgesetzt gewesen. Die besten Überlebenschancen hätten sie gehabt, wäre der Speicherstein auf dem Boden der Schlucht zerstört worden.

„Das … das war entsetzlich“, stammelte der Gildenmagier.

„Es war nötig“, antwortete Asara mit einem Seufzen.

„Was machen wir nun? Weiterkämpfen?“

„Das Beste wäre, Euch zu Euren Leuten zurückzubringen.“ Asara deutete zum Fort. „Es ist nicht mehr weit. Wir können es schaffen, wenn wir hinter unseren Feinden an den Bergen entlang wandern. Allerdings würde ich es begrüßen, wenn Ihr Eurer Retterin den Rest Eurer Magie gebt, damit sie für Eure Sicherheit auf dieser Reise garantieren kann.“


***


Soneas Welt hatte sich auf Akkarin, ihren Gegner und das ungeborene Leben in ihr reduziert. Nur vage bekam sie die Kommunikation zwischen dem Hohen Lord und den anderen Blutjuwelenträgern mit. Auch die Zerstörung der Schlucht und der damit verbundene Tod zahlreicher Magier war weitgehend an ihr vorbeigegangen. Es galt nun mehr denn je, zu überleben und ihren beiden Kindern eine Familie und eine Zukunft zu bieten. Die damit verbundene Furcht, es dieses Mal nicht zu schaffen, war nur schwer zu kontrollieren, wo sie in Yukai nur daran gedacht hatte, ihren Auftrag zu erfüllen und Dannyl in Sicherheit zu bringen.

Akkarin hatte recht behalten. Die Krieger der Duna waren außergewöhnlich stark. Ein einziger hatte Sonea und Akkarin mehr Magie gekostet, als ein durchschnittlicher Ashaki. Ihre Stärke weckte Erinnerungen an Soneas letzten Gegner in der Ettkriti-Ebene zum Leben.

„Wir sollten tauschen“, sagte Akkarin, als ihr vierter Gegner fiel. Inzwischen strömten Duna und Sachakaner aus der Schlucht und unterstützten Arikhai und Divako. Während Divako von einem halben Dutzend Magier gedeckt wurde, hatte Arikhai nur Tarrekh und einen weiteren Sandreiter zu seinem Schutz. Diese wirkten jedoch auch ohne den Kriegsherrn mächtiger, als sämtliche von Divakos Beschützern zusammen. Die anderen beiden Stammesanführer, die mit Arikhai gekommen waren, kämpften nicht unweit, ebenfalls von zwei ihrer Magier flankiert.

„Heißt das, ich soll die Schilddiebe werfen?“, fragte Sonea.

„Ja. Es wird Zeit, dass du dich auch einmal daran versuchst.“

Sie hatte keine Zeit gehabt, die Waffen auszutesten. Am vergangenen Abend war es zu spät gewesen, um in das kleine Tal auf der kyralischen Seite zu reiten, wo die Krieger des Forts ihr Training absolvierten. Und dann waren ihre Feinde die Nacht über durchgeritten.

„Ich denke, ich habe dir oft genug zugesehen, um das Prinzip verstanden zu haben“, sagte sie trocken.

„Sieh dich vor“, warnte Akkarin. „Die fremde Magie auf die Entfernung einzufangen und neu zu fokussieren, ist schwieriger, als es aussieht.“

Sonea nickte. Sie wusste aus seinen Berichten von den Tests, dass die Krieger sich damit schwertaten. Selbst Akkarin hatte mehrere Versuche gebraucht, um die durch die Schilddiebe erhaltene Magie zu kontrollieren.

Ihren nächsten Gegner auswählend, sah sie sich um. Die Straße unterhalb des Forts war von gleißender Magie erfüllt. Die feindliche Armee hatte sich aufgeteilt und kämpfte nun entweder gegen Verräter und Ishakas Ashaki oder gegen die drei Kampfgruppen der Gilde. Balkan und Regin waren damit beschäftigt, ihre Gegner zurückzutreiben, während Captain Erils Magier aus dem Fort nachrückten. Einige Verräter waren über den Bergrücken oberhalb der Straße an der feindlichen Armee vorbei gelaufen und bewarfen die Duna von dort aus mit Schildsenkern. Als ihre Gegner dies bemerkt hatten, war eine Gruppe Duna den Steilhang emporgeschwebt und bekämpfte sich nun dort mit den Verrätern.

Soneas Aufmerksamkeit galt derweil den Magiern in ihrer Nähe. Sie durften sie nicht zum Fort durchlassen, sie mussten sie wieder in Richtung der Schlucht treiben. Nicht weit von ihr erblickte sie zwei Ashaki gemeinsam kämpfen. Sie schienen das Prinzip des gemeinsamen Schildes nicht zu kennen, aber sie hielten einander den Rücken frei. Befindend, dass Balkans Gruppe mit Gegnern mehr als ausgelastet war, griff sie in den Beutel an ihrer Hüfte und zog einen Schilddieb heraus, den sie im Morgengrauen mit ihrem Blut präpariert hatte.

- Wenn die Phiole zerbricht, tue das hier.

Akkarin sandte ihr eine Folge aus Bildern und Sinneseindrücken. Getarnt unter einer Illusion warf Sonea die Phiole auf den ihr zugewandten Ashaki, ihren Willen auf die Phiole gerichtet, so wie sie es bei Akkarin gesehen hatte. Im selben Moment, indem die Phiole zerbarst, registrierte sie eine Verbindung zu der fremden magischen Quelle, die der Schild darstellte. Sie griff danach, dehnte ihre Kontrolle darüber aus und entriss die Magie ihrem Gegner.
Der Ashaki wusste nicht, wie ihm geschah. Von Panik erfüllt gab er mehr und mehr Magie in den Schild. Doch es nützte ihm nichts. Sonea hatte noch immer die Kontrolle über die Magie seines Schildes und brauchte nur nach der neuen Magie zu greifen, um ihm auch darüber die Kontrolle zu entziehen.

- Bündele die Magie und greif ihn damit an, wies Akkarin sie an.

- Ich kann nicht. Bei dir sah es irgendwie einfacher aus.

- Sonea, versuch einmal …

Aber es war bereits zu spät. Unfähig, die Magie länger zu halten, hatte Sonea sie auf den Gefährten des Ashaki geworfen. Ungebündelt und ohne jegliche Eleganz, doch damit hatte sie diesen dazu gebracht, seine eigene Magie zu verbrauchen, so dass beide Ashaki nun schwächer waren.

Akkarin murmelte einen leisen Fluch und projizierte dann einen gezielten Betäubungsschlag auf Soneas ersten Gegner.

„Tut mir leid“, sagte Sonea. „Ich fürchte, ich brauche noch Übung.“

Doch Akkarin war bereits zu dem außer Gefecht gesetzten Ashaki geeilt. „Davon wirst du hier genug bekommen“, sagte er, während er die Kraft des Mannes nahm. Er nickte zu dem anderen Ashaki. „Zum Beispiel bei ihm.“

Sie rannten los. Im Laufen griff Sonea den zweiten Ashaki mit doppelten Kraftschlägen an und warf einige Schildsenker, die sie noch aus Yukai übrig hatte. Der Ashaki blockte diese, übersah jedoch den Schilddieb, den Sonea versteckt hinter einem Feuerschlag warf.

Dieses Mal gelang es ihr, die Magie zu bündeln. So elegant das Prinzip war, fremde Magie auf die Entfernung zu kontrollieren, scheiterte sie daran, diese zurück auf ihren Gegner zu lenken und überließ es Akkarin, diesen zu töten, während sie die Magie in ihre eigene Quelle zog.

„Wie lange haben die anderen dafür gebraucht?“, fragte sie.

„Niemand hat es in weniger als fünf Versuchen geschafft. Die meisten haben mehr gebraucht.“

„Mussten Rothen und die anderen deswegen so viele Phiolen herstellen?“

Akkarins dunkle Augen blitzten zu ihr.

„Ja.“

Er steckte den Dolch fort und erhob sich und erhob sich von seinem Opfer. „Wäre deine Erfindung nicht so effektiv, würde ich es eine Verschwendung von Ressourcen nennen“, bemerkte er trocken.

Es ist nicht meine Erfindung, wollte Sonea protestieren. Es war meine Idee, an der Forschung war ich nicht beteiligt. Doch dann zog er sie zu ihrem nächsten Gegner.


***


Der Kampf hätte Dannyl mehr Freude bereitet, würde er dabei nicht gegen die Duna kämpfen müssen. Diese waren nicht nur außergewöhnlich starke schwarze Magier – in Dannyls Kopf waren sie noch immer ein potentieller Bündnispartner. Die Duna hatten nie Streit mit der Gilde gehabt. Sie waren nur zu ihren Feinden geworden, weil Divako ihnen eingeredet hatte, die Gilde und die Verräter wären für das Massaker in Yukai verantwortlich.

Lord Balkan, der Leiter seiner Kampfgruppe, hatte sich daher Arikhai und seine Krieger als Gegner ausgesucht.

„Damit Ihr wenn nötig verhandeln könnt“, hatte er Dannyl erklärt.

So, wie sich diese Schlacht jedoch entwickelte, sah Dannyl die Grundlage für Verhandlungen mit jedem Gegner, der fiel, schwinden.

Ein Seufzen unterdrückend zog er eine Phiole aus seinem Beutel. Sakans Atem. Für den Krieger eines Wüstenvolkes mit Sicherheit ein größerer Schrecken als ein Flammeninferno. Er tarnte die Phiole mit einer Illusion, und als Balkan das Kommando gab, warf er sie auf den nächsten Gegner.

Dieser hob seinen Ikakh. Ein blauer Blitz schoss daraus und die Phiole zersplitterte wirkungslos auf halbem Weg zu ihrem Ziel.

Das Oberhaupt der Krieger fluchte leise. „Wie konnte er sie sehen?“, murmelte er.

„Vielleicht eine Folge seiner außergewöhnlichen Stärke?“, schlug Dannyl vor. Wenn Akkarin durch das jahrelange Praktizieren schwarzer Magie nahezu unmenschlich feine Sinne hatte, dann waren diese vielleicht umso feiner, je mächtiger man war.

„Wenn das so sein sollte, können wir nichts dagegen unternehmen“, brummte Balkan. „Also macht weiter. Wir lenken ihn ab.“

Auf sein Kommando griffen die Krieger den Duna mit einem Regen von Feuerschlägen an. Offenkundig überfordert veränderte der Duna seinen Schild so, dass er selbst die stärksten Feuerschläge abwehren konnte.

Dannyl griff erneut in seinen Beutel und zog zwei Feuersturm-Phiolen heraus. Die Aufmerksamkeit des Dunas galt noch immer den Kriegern. Die Angriffe kamen so dicht, dass Dannyl zu fürchten begann, die Phiolen würden von den eigenen Leuten zerstört.

Dannyl hätte die neuen Waffen, die Akkarin und Sarrin mit Tayends Hilfe konzipiert hatten, vorgezogen. Doch sie hatten rasch erkannt, dass sie an diesem Exemplar von Krieger verschwendet waren. Die erste Phiole hatte der Duna mit seinem Ikakh zerstört, die zweite hatte getroffen. Balkan hatte die gewonnene Magie zu einem Kraftschlag geformt und auf den Duna projiziert, war jedoch an einem zweiten Schild, den der Duna unter dem ersten errichtet hatte, gescheitert. Immerhin hatte dies ihren Gegner Magie gekostet.

Ich weiß, wie ich es mache!

Die Idee war simpel, hatte jedoch schon einmal funktioniert. Allerdings waren es in jener Nacht zwei Kraftschläge gewesen.

Dannyl schuf zwei winzige Illusionen, unter denen er die Phiolen versteckte. Dann breitete er hinter den Kriegern, die dem Duna die Sicht auf ihn versperrten, seine Hände aus. Die Phiolen schossen nach beiden Seiten fort. Seinen Willen ausstreckend krümmte Dannyl ihre Flugbahn, bis sie den Duna von rechts und links trafen und Flammen über seinen Schild rasten. Balkan rief ein Kommando und die Krieger griffen mit mehreren gezielten Kraftschlägen an. Die Flammen breiteten sich aus und wurden heller, bis Dannyl instinktiv seine Lider zusammenkniff. Seine linke Seite und seine Schädeldecke wurden heiß, doch der gemeinsame Schild seiner Kampfgruppe hielt der freigewordenen Magie stand.

„Dieser Magier muss wirklich außergewöhnlich viel Magie gespeichert haben“, sagte einer der Krieger, nachdem der Duna mit einem Betäubungsschlag niedergestreckt worden war und Dannyl seine Chance auf Verhandlungen weiter schwinden sah. „Jeder Sachakaner wäre schon längst tot gewesen.“

„Vielleicht haben sie stärkere magische Blutlinien als die Sachakaner“, sagte Dannyl. „Oder es liegt daran, wie sie ihre Magie durch mechanische Waffen fokussieren.“

„Den nächsten Gegner lenken wir mit Schildsenkern ab und werfen dann die neuen Phiolen“, entschied Balkan. Er deutete nach rechts und seine Krieger eröffneten den Angriff auf den nächsten Duna.

Mit einem Seufzen griff Dannyl in seinen Beutel und zog eine weitere Phiole heraus. Wieder Sakans Atem.

Mittlerweile hatten die ersten Magier aus der Schlucht die Straße unterhalb des Forts erreicht. Von Akkarin hatte Dannyls Gruppe erfahren, dass eine Gruppe aus Verrätern und Ashaki entlang der Berghänge die zerstörte Schlucht umrundete, um ihnen zur Verstärkung zu eilen. Der Rest ihrer ungewöhnlichen Verbündeten kämpfte unterhalb der Schlucht gegen jenen Teil der feindlichen Armee, der noch dort unten war.

Dannyl zog drei weitere Phiolen mit Sakans Atem aus seinem Beutel. Auf eine war ein roter Punkt gemalt. Diese steckte er in den Ärmel seiner Robe, dann wählte er eine der anderen drei Phiolen und warf sie getarnt durch eine absichtlich schlechte Illusion.

Der Duna sah den Schildsenker kommen. In einer lässigen Bewegung hob er seinen Ikakh und die Phiole zerbarst, kaum dass sie den sicheren Schild von Dannyls Gruppe verlassen hatte. Offenkundig unbeeindruckt fuhr er dann damit fort, Magie aus seinem Ikakh in den Schild direkt vor Balkan zu schießen. Der Aufprall der Magie war so stark, dass sich die Härchen auf Dannyls Armen aufstellen. Er konnte nur erahnen, dass die beiden Schildhalter in seiner Gruppe ihre Magie auf diese Stelle konzentrierten.

Die nächsten beiden Phiolen tarnte Dannyl besser. Mit demselben Trick, mit dem es ihm gelungen war, den vorherigen Gegner zu verwirren, griff er den Duna von beiden Seiten an. Doch der Duna sah auch diese Phiolen. Seine freie Hand fuhr erst nach rechts, dann nach links und die Phiolen änderten ihre Richtung. Eine traf den Schild von Regins Gruppe, die andere hielt direkt auf Dannyl zu.

Dannyl zögerte nicht und zerstörte die Phiole, bevor sie ihn erreichen konnte.

„Sie sind so lernfähig, dass es beinahe unheimlich ist“, bemerkte der Magier neben Dannyl. „Tut etwas, was sie noch nicht kennen.“

„Wenn er das nicht ebenfalls vorausahnt“, murmelte Dannyl.

„Dannyl, wo bleibt Euer Schildsenker?“, fragte Balkan ungeduldig.

„Sobald er abgelenkt ist.“

„Wir helfen Euch.“

Auf Balkans Kommando griffen die Krieger erneut an. Während sie den Duna-Krieger mit Feuer- und Kraftschlägen attackierten, zogen sie sich allmählich zum Fort zurück. Seine nächste Phiole mit einem winzigen Schild umgebend, ließ Dannyl diese behutsam zu Boden sinken und deponierte sie hinter einem Stein, während er den Duna mit zwei weiteren Phiolen bewarf. Dann folgte er den anderen.

Der Duna setzte ihnen nach. Gespannt beobachtete Dannyl, wie er sich der Stelle näherte, an der die Phiole lag. Er schritt jedoch daran in einigem Abstand vorbei. Nicht einmal sein Schild glitt darüber.

Nun, das wird nicht ganz so spektakulär wie erwartet, aber auch gut. Dannyl streckte seinen Willen nach der Phiole aus und schleuderte sie mit einem starken magischen Impuls in die Rückseite des Duna.

Mit einer grimmigen Befriedigung beobachtete er, wie sich ein weißer Nebel ausbreitete und dem Schild des Gegners Magie entzog. Balkan und seine Krieger verstärkten ihren Angriff und dann sah Dannyl den weißen Nebel sich zusammenballen, als Balkans Schilddieb traf. Die Luft vibrierte, als die Krieger ihren Angriff verstärkten. Dann streckte ein Betäubungsschlag den Duna nieder.

Noch während er zusammenbrach, schleuderte Balkan die Magie auf den Duna, der für einen Augenblick ohne Deckung seiner eigenen Leute dastand.

Arikhai.

Bitte, lass dies kein Fehler gewesen sein!, war alles, was Dannyl noch denken konnte.


***


Der so brillante Schlachtplan hatte sich in ein Chaos verwandelt. Niemand hatte absehen können, dass die Armee, die den Duna in die Berge gefolgt war, entdeckt wurde, bevor die Gilde bereit war. Das hatte dazu geführt, dass einer der Krieger, die Regin als Pfand bei den Gegnern zurückgelassen hatte, getötet worden war, woraufhin die Schlacht ausgebrochen war.

Anstatt seine Strategie gemeinsam mit Balkans Gruppe auszuführen, war Regin damit beschäftigt, die Ashaki, die mit Divako zum Fort gekommen waren, zu bekämpfen. Von der Schlucht – oder besser gesagt dem, was davon noch übrig war – drängten weitere Magier nach. Diejenigen, die die Schlucht vor ihrer Zerstörung verlassen hatten, waren fast noch im vollständigen Besitz ihrer magischen Reserven.

Dafür habe ich einen Speicherstein und die neuen Waffen, dachte Regin grimmig.

Der Gedanke verlieh ihm ein Gefühl von Macht und Unbesiegbarkeit, den er mit schwarzer Magie verband. Ob es Sonea und Akkarin so erging? Fühlten sie sich so, wenn sie gegen andere schwarze Magier oder die Krieger kämpfen?

Die Ashaki waren dumm, aber nicht so dumm, um zu bemerken, dass der gemeinsame Kampf keine gute Idee war, wenn ihre Gegner über Waffen verfügten, die die Magie ihres Schildes nehmen konnten. Kaum, dass Divako dies bemerkt hatte, hatten sich die Ashaki in zwei Dreier- und eine Vierergruppe aufgeteilt. Die Vierergruppe hatte sich inzwischen Sonea und Akkarin zugewandt. Aus den Augenwinkeln sah Regin, wie seine beste Freundin diesen zusetzte. Ihre ersten Versuche, ihre eigene Erfindung zu beherrschen, waren reichlich ungeschickt gewesen. Doch inzwischen war sie ziemlich gut darin, die Magie zu bündeln und auf einen ihrer Gegner zu projizieren.

Da Regin von den drei in der Handhabung der Schilddiebe unterwiesenen Kriegern in seiner Gruppe diese am besten beherrschte, griff er die Ashaki mit den neuen Waffen an. Die anderen beiden Krieger verwendeten diese nur auf Regins Befehl und stellten ansonsten die Reserve da, sollte er ausfallen. Divako, der ihr eigentliches Ziel gewesen war, hatte sich zurückgezogen, um Verstärkung zu holen.

So nah am Fort war die Gegend für Regins Strategie optimal. Die Straße war breiter als weiter unten, die Felswände weniger steil und es gab einige Nischen und Seitentäler, die sich für Überraschungsangriffe eigneten. Mit drei Gruppen und zwei schwarzen Magiern war es jedoch auch ohne ausgefeilte Strategien schwierig genug, die Gegner auf Abstand zu halten. Regins Gruppe war gezwungen, auf der Straße zu bleiben. Und für Balkan und Captain Eril galt dasselbe.

„Wir greifen beide Ashaki-Gruppen gleichzeitig an“, teilte Regin seinen Kriegern mit. „Ich nehme gemeinsam mit Lord Elben die vordere Gruppe. Lord Jarend unterstützt Lord Kerrin und Lord Vorin mit Schildsenkern. Die Angreifer teilen sich gleichmäßig auf, die Schildhalter bleiben, wo sie sind.“

„Also machen wir keine zwei Gruppen?“, fragte Jarend.

Regin widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. „Damit die Duna uns anschließend umso leichter erledigen können?“ Er schüttelte den Kopf. „Wenn wir mit den Ashaki fertig sind, helfen wir Lord Balkan. Solange ich nicht etwas anderes sage, bleiben wir zusammen.“

Alchemisten! Regin kannte Jarend noch aus seinen Studienzeiten. Der Weichling war einer von Soneas nervigen Schatten gewesen. Da er nicht unterrichtete und damit in Imardin für die Zeit der Sommerprüfungen entbehrlich war, hatte die Gilde den jungen Alchemisten zum Nordpass entsandt, um die Krieger mit dem Werfen von Schildsenkern zu unterstützen.

Das Gute am Kampf gegen Sachakaner war, dass man die Regeln der Arena nicht beachten brauchte. Andere Krieger mochten das anders sehen, doch Regin hatte gelernt, jeden Vorteil zu nutzen, wenn er unterlegen war.

Mit Gedankenschlag griff er den Ashaki, der die Dreiergruppe anführte, an. Die Konzentration des Mannes brach. Im selben Augenblick warf Lord Elben den Schildsenker. Für mehrere Herzschläge war der Sachakaner in einen weißen Nebel gehüllt. Regin zögerte nicht und formte aus der Magie in seinem Speicherstein zwei Kraftschläge, deren Wucht dafür sorgte, dass ihr Gegner augenblicklich in Flammen aufging. So viel braucht es also, damit sein sterbender Körper sofort die Kontrolle über seine Magie verliert, fuhr es Regin durch den Kopf, während die freiwerdende Magie über den Schild seiner Gruppe gleißte.

Auf den Gesichtern der beiden anderen Ashaki hatte sich derweil Entsetzen ausgebreitet. Mit einem selbstgefälligen Grinsen hüllte Regin sie in einen Hagel Feuerschläge. Jeder Einzelne davon wäre für einen gewöhnlichen Magier bereits tödlich gewesen. Nicht so, wenn es sich um schwarze Magier handelte. Allerdings waren diese durch den Tod ihres Kameraden geschwächt.

„Schildsenker“, befahl Regin. „Aber so, dass sie ein paar davon sehen können.“

„Lord Regin, das ist Verschwendung unserer Ressourcen“, protestierte Lord Elben.

Regin fuhr herum. „Es ist Verschwendung, weil die Sachakaner sich darauf eingestellt haben, dass wir mit Schildsenkern angreifen. Sorgt dafür, dass sie nachlässig werden.“

Die Ashaki besaßen nicht das Wissen der Gilde, doch ein Trick funktionierte selten ein zweites Mal. Bevor Regin den nächsten Schilddieb einsetzte, durften die Ashaki keine neue Phiole erwarten.

Elben warf drei Phiolen. Der Ashaki entdeckte sie und zerstörte sie mit einer magischen Barriere, die er zwischen sich und seinen Angreifern errichtete. Regin und die Krieger lenkten ihn derweil mit Feuer- und Kraftschlägen ab. Nur wenig später warf Elben die nächsten Phiolen und gab sich höchst verärgert, als der Ashaki auch diese abwehrte.

„Macht Euch nichts draus“, tröstete Regin ihn laut. „Bei manchen Gegnern hilft nur brutale Stärke.“

Mit diesen Worten kanalisierte er die Magie in seinem Speicherstein in einen direkten Angriff. Die Luft gleißte vor Magie und er konnte den Ashaki fluchen hören, während er konterte. Sein Kampfgefährte eilte ihm zur Hilfe und attackierte Regin mit Hitzeschlägen.

Und jetzt seid Ihr da, wo ich Euch haben will.

Unauffällig griff Regin nach einer Phiole, tarnte sie mit einer Illusion und warf sie auf den Schild des zweiten Ashaki, seinen Willen nach dem Projektil ausgestreckt. Als es auf dem Schild zerbarst, streckte Regin seinen Willen aus und griff nach der Magie auf dem Schild seines Gegners. Der Ashaki zeigte denselben Unglauben, wie jene, die Regin zuvor auf diese Weise erledigt hatte.

Und jetzt ist dein Freund dran.

Ohne auch je mit der fremden Magie in Kontakt zu kommen, fokussierte Regin sie zu einem gewaltigen Kraftschlag und projizierte diesen auf den ersten Ashaki. Seine Krieger reagierten so, wie er es von ihnen erwartete, und töteten den Ashaki, der noch immer verzweifelt versuchte, seinen Schild erneut zu errichten. Die im Augenblick seines Todes frei werdende Magie vereinte sich mit der Magie, die Regin aus dessen Schild bezogen hatte und der des Speichersteins und tötete auch den anderen Ashaki und für einen langen Augenblick bestand die Welt außerhalb seines Schildes aus nichts als blendend hellem Weiß.

Regin lachte. Doch als er die Ashaki und Duna sah, die die Straße hinaufstürmten, erstarb sein Lachen.


***


Nach sechs Versuchen fühlte Sonea sich im Umgang mit den Schilddieben einigermaßen sicher. Die Ashaki, die beschlossen hatten, sich ihr und Akkarin zu stellen, hatten sich als perfekte Versuchsobjekte herausgestellt. Soneas anfängliche Furcht hatte sich gelegt, ihr Kopf funktionierte wieder und gab ihr vor, welche Tricks sie am besten bei ihren Gegnern versuchte.

Zwei der Ashaki waren bereits tot. Es verlangte Sonea danach, die anderen beiden rasch zu töten und dann zu den schwierigeren Gegnern überzugehen, die Balkans Gruppe inzwischen erheblich zusetzten.

Auch wenn das bedeutete, dass sie gegen die Duna kämpfen musste.

Die Duna sehen in uns einen Feind, rief sie sich ins Gedächtnis. Es ist egal, ob sie damit recht haben. Sie wollen uns töten. Also müssen wir uns verteidigen.

Sie seufzte und griff mit Hitzeschlag an.

Die beiden Ashaki hatten sich zusammengetan, offenkundig fürchteten sie Sonea und Akkarin zu sehr, um einzeln gegen sie zu kämpfen. Um ihre Gegner zu verwirren, hatte Akkarin die Schilddiebe wieder übernommen.

„Sie wissen inzwischen, wie sie die Phiolen entdecken können“, murmelte er. „Anscheinend haben sie oft genug gegen Gildenmagier und Verräter gekämpft.“

„Möglich“, sagte Sonea. „Aber sie kennen noch nicht meinen Lieblingsangriff.“

„Vermutlich schon. Nur, dass sie bei dir nicht damit rechnen.“

Sonea sah zu ihm hoch. Akkarins dunkle Augen begegneten ihren und sie konnte einen Anflug von Zuneigung darin lesen. Sie schenkte ihm ein grimmiges Lächeln.

„Sieh zu, dass der Schilddieb im richtigen Augenblick kommt.“

Der Befehlston in ihrer Stimme schien ihn zu erheitern. „Ich werde mir Mühe geben.“

Sonea verdrehte die Augen und wandte sich wieder den beiden Ashaki zu. Sie mochte ihm ihren Gehorsam versprochen haben, aber im Kampf waren sie ein Team. Sie hatten gute Erfahrungen damit gemacht, sich im Laufe einer Schlacht mit den Aufgaben abzuwechseln. So vermieden sie gefährliche Routine und verwirrten ihre Gegner. Obwohl Akkarin dabei das letzte Wort hatte, gab immer derjenige von ihnen das Kommando, der die magischen Schläge austeilte.

Sie griff nach ihrer Magie und formte sie zu einem starken Feuerschlag, den sie kurz vor ihren Gegnern in einem Funkenregen verpuffen ließ. Der vordere der beiden Ashaki fluchte und konterte mit zwei Kraftschlägen. Während Akkarin ihren gemeinsamen Schild manipulierte und die Kraftschläge zurückwarf, griff Sonea erneut nach ihrer Magie.

Dieses Mal formte sie daraus einen Gedankenschlag, der ihren Gegnern für einen Augenblick die Orientierung raubte.

- Jetzt!

Akkarin warf eine Phiole. Sie war durch eine Illusion getarnt, aber sie hatten festgestellt, dass die Sachakaner diese häufig durchschauten. Sonea wusste, dass man die für die Tarnung verwendete Magie erspüren konnte, wenn man wusste, worauf man achten musste. Zumindest, wenn man über genügend magische Reserven verfügte.

Der Schilddieb erreichte sein Ziel. Anstatt den Ashaki damit zu töten, nutzte Akkarin die Magie, um seinen Gefährten anzugreifen. Der Ashaki selbst war noch immer orientierungslos. Mit einem zweiten Gedankenschlag und einem Kraftschlag setzte Sonea ihn außer Gefecht.

Der Ashaki brach zusammen. Bevor sie und Akkarin zu ihm eilen und seine Restmagie nehmen konnten, hatte sich der zweite Ashaki über ihn gebeugt.

Sonea murmelte einen Fluch, wissend, dass sie nichts dagegen hätte tun können.

- Er ist ohnehin verloren.

Akkarin warf eine weitere Phiole. Um den Ashaki abzulenken, formte Sonea einen weiteren Gedankenschlag gefolgt von einem Hagel Feuerschläge.

Der Ashaki hatte keine Chance. Noch während er die Magie seines Gefährten in sich speicherte, entzog Akkarin seinem Schild, was dieser an Magie enthielt. Die Magie bewegte sich wie ein leuchtender, transparenter Strom zu Akkarin und verschwand in seiner ausgestreckten Hand. Offenkundig in Panik geraten, versuchte der Ashaki seinen Schild zu stärken, was ihm jedoch nicht gelang, während er sich weiter an seinem sterbenden Gefährten stärkte. Sonea spürte Ungeduld in sich aufwallen.

- Warte, sandte Akkarin.

- Worauf?

- Dass er die Magie des anderen Ashaki vollständig genommen hat.

Und Sonea begriff. Bevor der Ashaki damit nicht fertig war, würde die freiwerdende Magie seines Gefährten ihn mit in den Tod reißen und sie und Akkarin würden sich seine Magie nicht mehr nehmen können.

Nur wenige Augenblicke, die Sonea wie eine Ewigkeit vorkamen, vergingen. Dann richtete der Ashaki sich auf.

- Jetzt!, sandte Akkarin und Sonea formte den finalen Kraftschlag.

Der Ashaki sank zu Boden.

„Schnell! Hol ihn dir!“

Das ließ Sonea sich nicht zwei Mal sagen. Sie zog Akkarin mit sich über die kurze Distanz zu den beiden leblosen Körpern. Magische Schläge prallten gegen ihren Schild, doch sie achtete nicht darauf. Ihr Messer ziehend sank sie neben dem zweiten Ashaki auf die Knie und nahm, was von seiner Kraft noch übrig war. Es war mehr als sie erwartet hatte und sie beeilte sich, es in ihre eigene Quelle zu ziehen, während Akkarin ihr Deckung gab. Durch sein Blutjuwel konnte Sonea sehen, dass zwei der Ashaki, die gegen Regins Gruppe kämpften, sich ihnen zugewandt hatten.

Wenn ihr nicht wollt, dass wir eure Freunde töten, solltet ihr euch nicht an diesem Krieg beteiligen, dachte Sonea grimmig, während sie ihr Messer an dem Gewand des toten Sachakaners abwischte.

Etwas prallte gegen ihren Schild und im nächsten Augenblick füllte weißer Nebel ihr gesamtes Sichtfeld aus. Einen Herzschlag lang übernahmen Furcht und Desorientierung die Kontrolle, dann erkannte sie, was es war.

Sakans Atem!

Sie griff nach ihrer Magie, um mehr davon in ihren Schild zu geben, doch von irgendwo schlug eine mächtige unsichtbare Faust in ihren Brustkorb.

Und ihre Welt wurde dunkel.


***


Mit den Duna waren auch einige Ashaki gekommen, die von Divako offenkundig zur Gilde und ihren Verbündeten übergelaufen waren. Regin sah, wie sie gegen die Duna kämpfen. Diese waren stark und kämpften mit speerartigen Waffen, durch die sie ihre Magie auf ihr Ziel fokussierten. Ihre barbarischen Mienen ließen sie gefährlich wirken. Zugleich war jedoch offenkundig, dass ihnen die Kampfweise der Gilde fremd war.

Das müssen die Duna sein, die Arikhai nach der Zerstörung von Yukai zusammengerufen hat, dachte Regin. Er griff nach einem Schilddieb und warf ihn hinter einem Feuerschlag verborgen auf den nächsten Duna. Erfreut stellte er fest, dass seine Idee aufging. Die Phiole zerbrach und Regin zog mehr und mehr Magie aus der Verteidigung des Dunas, der mit einem Mal nicht mehr so zornig und mächtig wirkte.

Ich habe keine Ahnung, wie stark dieser Krieger ist, erkannte Regin. Was bei einem Ashaki, den sie bereit geschwächt hatten, funktionierte, konnte bei einem noch stärkeren Gegner ihr Tod sein. Der Speicherstein enthielt noch immer reichlich Magie, aber Regin zog es vor, diese für sinnvollere Zwecke aufzuheben.

„Angreifen, auf meinen Befehl.“

Die Krieger signalisierten, dass sie verstanden hatten, und Regin fuhr damit fort, dem Schild des Dunas die Magie zu entziehen. Aus dieser formte er einen Hitzeschlag und griff den Duna an, der ihm zur Hilfe eilte. Der Angriff war so stark, dass der Mann für einen Moment innehielt.

„Jetzt!“, rief Regin.

Seine Krieger griffen an, doch ihre Feuerschläge prallten wirkungslos an dem zweiten Schild ab, den zu errichten dem Duna gelungen war. Nichtsdestotrotz hatte der Duna eine nicht zu verachtende Menge an Magie verloren, mit der Regin einen weiteren Gegner geschwächt hatte, ohne seinerseits Magie zu verbrauchen.

Die beiden Krieger richteten ihre Aufmerksamkeit nun auf Regins Gruppe. Ihre Angriffe waren stärker als die der Sachakaner und Regin erkannte, sie mussten ihre Strategie ändern.

- Akkarin! Meine Gruppe würde sich freuen, wenn den beiden Duna eine andere in den Rücken fällt.

- Ich leite es weiter.

- Danke, Hoher Lord, antwortete Regin. Wir werden uns revanchieren.

Daran, wie Akkarin die Verbindung unterbrach, glaubte Regin zu erkennen, dass ihn dies nicht interessierte. In der Schlacht zählte nur, dort zuzuschlagen, wo man mit dem geringsten Aufwand den größten Schaden anrichten konnte.

- Balkans Gruppe wird Euch helfen, sandte der Hohe Lord wenige Augenblicke später.

Erfreut, etwas aus der Arena anwenden zu können befahl Regin seinen Kriegern, die beiden Duna nach Belieben anzugreifen. Die dazu erforderliche Magie leitete er ihnen aus dem Speicherstein weiter.

Einer der Krieger aus Balkans Gruppe warf einen Schilddieb. Regin erkannte es nur daran, dass Akkarin ihn im selben Augenblick anwies, den Duna mit Gedankenschlag zu verwirren. Eine solche Anweisung befolgte Regin nur allzu gerne. Der Schilddieb traf den vorderen Duna und der Krieger bündelte die Magie geschickt und leitete sie sofort in einen Angriff auf den zweiten Duna.

„Gedankenschlag!“, befahl Regin. Auf den mentalen Angriff von sechs Kriegern hin verloren die beiden Duna vollends die Orientierung, und als Regin den finalen Betäubungsschlag befahl, danken ihre Gegner zu Boden.

„Lord Regin! Seht!“

Regin fuhr herum. Alarmiert von Kerrins Stimme sah er in die Richtung, in die der Schwertkampf-Lehrer zeigte. In einigen Dutzend Schritt Entfernung erblickte er Akkarin und Sonea. Der Hohe Lord gab seiner Frau Deckung, während diese gerade die Magie eines Sachakaners nahm. Was er jedoch nicht sah, war der Ashaki, der hinter einem Felsen verborgen lauerte.

„Das ist Divako!“

Noch während Regin überlegte, ob er eingreifen oder den Ashaki Sonea und ihrem unheimlichen Mann überlassen sollte, warf dieser etwas nach Sonea. Einen Augenblick später war sie unter einem weißen Nebel verschwunden.

„Angreifen!“, befahl Regin.

Doch es war zu spät. Als sich der Nebel lichtete, lag Sonea über den Körper ihres Opfers gesunken. Erinnerungen an eine lange verdrängte Schlacht bahnten sich ihren Weg zurück in Regins Bewusstsein. Erst sein Onkel – und jetzt seine beste Freundin? Von einer blinden Wut erfüllt, griff Regin in den Beutel an seiner Hüfte.

Divako hatte sich erhoben und griff nun Akkarin an, der an die Seite seiner Frau eilte. Er sah die Phiole niemals kommen. Von einer ungeahnten Entschlossenheit kanalisierte Regin die Magie aus dem Schild und formte sie zu einem Feuerschlag, unter dem der Ashaki in Flammen aufging. Dann verlor Divako die Kontrolle.

Weiße Magie raste heiß und tödlich über Regins Gruppe hinweg, stärker als die ihrer bisherigen Gegner. Regin griff nach der Magie in seinem Kristall und verstärkte den gemeinsamen Schild. Als der magische Sturm vorbei war, sah er Akkarin noch immer über Sonea gebeugt. Ist sie tot?, wollte Regin durch sein Blutjuwel fragen. Doch er fürchtete die Antwort zu sehr. Und er fürchtete Akkarins Reaktion.

Der schwarze Magier hob den Kopf. Ihre Blicke trafen sich und Akkarin nickte ihm zu. Neben der Besorgnis konnte Regin vor allem eines in seinem Blick lesen:

Dankbarkeit.


***


Nein!, dachte Dannyl, nachdem eine Welle von Magie über seine Gruppe hinweggerast war, und er Sonea ein Stück hangabwärts am Boden liegen sah, Akkarin über sie gebeugt. Nicht Sonea!

Ganz in ihrer Nähe lag ein verkohlter Körper. Ob sachakanisch, duna oder kyralisch hätte Dannyl nicht mehr sagen können. Hatte ihr jemand zur Hilfe eilen wollen? Oder hatte Akkarin einen ihrer Feinde zu Asche verbrannt, nachdem dieser Sonea getötet hatte?

Es war beinahe noch schlimmer als an jenem Tag, als er Tayend fast in Kiko Town verloren hatte. Nein, es war schlimmer.

Tayend hatte er retten können. Für Sonea konnte er nichts tun. So wie er nichts für Bessia hatte tun können.

„Dannyl!“, erklang eine barsche Stimme. „Ich weiß, Ihr und Sonea steht Euch nahe. Aber reißt Euch zusammen!“

Balkan.

Einen tiefen Atemzug nehmend kam Dannyl zur Besinnung. Wir kämpfen gegen Arikhai und seine mächtigsten Krieger, rief er sich ins Gedächtnis. Was auch sonst sein mag – sie wollen uns töten. Und wir müssen schneller sein.

„Lord Balkan, was soll ich tun?“, fragte er.

„Greift den Krieger links von Arikhai mit Schildsenkern an. Er hat die Aufgabe, den Kriegsherrn zu beschützen.“

Woher weiß er das?, fragte Dannyl sich. Doch als er hinsah, erkannte er es auch. Die Stunden mit Sonea und Akkarin in der Arena hatten ihn in dieser Hinsicht hinreichend geschult. Rasch zog er einen Schildsenker aus seinem Beutel und warf ihn.

Erfreut bemerkte er, dass der Duna den Schildsenker nicht kommen sah. Seine Aufmerksamkeit galt Balkan und zwei Kriegern, die ihn mit Feuerschlägen bombardierten. Flammen rasten über seinen Schild, jedoch zu schwach, um ihn zu töten. Balkan nutzte die Gelegenheit und warf eine seiner eigenen Phiolen – Schilddieb – und zog aus dem Schild, was noch an Magie übrig war. Diese schleuderte er unmittelbar auf Arikhai.

Mehrere Feuerschläge rasten von irgendwo seitlich durch Dannyls Blickfeld und traf den nun ungeschützten Duna-Krieger. Als Dannyl den Kopf wandte, sah er zwei Krieger aus Regins Gruppe den Angriff führen. Nur einen Augenblick später verlor der Duna die Kontrolle über seine Restmagie und Balkan leitete fluchend Kraft aus dem Speicherstein in den gemeinsamen Schild.

Als der Ausbruch von Magie verebbte, war von dem Duna nur noch ein verkohlter Rest übrig. Die überlebenden Duna waren indes umso wütender und richteten ihre Magie nun geschlossen auf Dannyls Gruppe.

Dann geschah alles so schnell, dass Dannyl die Ereignisse nicht mehr in eine logische Abfolge bringen konnte. Ein weiterer Duna fiel. Irgendwo gab es eine Explosion. Eine Gruppe aus Sachakanern und weiteren Duna erreichte die Kämpfenden vor dem Fort. Zwei Krieger aus Dannyls Gruppe fielen. Die Sachakaner und die Duna begannen einander gegenseitig anzugreifen. Die Magier in Dannyls Gruppe rückten auf Balkans Befehl hin näher zusammen. Dann war plötzlich Arikhai da und seine Angriffe ließen ihren Schild erbeben. Balkan warf Phiolen. Dannyl warf Phiolen. Die Luft war erfüllt von den Schreien sterbender Menschen, dem Gleißen von Magie. Magie summte in Dannyls Ohren und der Geruch von verkohltem Fleisch stach in seine Nase. Balkan, zwei weitere Krieger und ein Alchemist brachen zusammen.

Dannyl griff nach einem Schildsenker und wollte ihn werfen, doch etwas packte ihn und zerrte ihn fort. Die Luft vibrierte und er war in Magie eingeschlossen.

„Was …?“, entfuhr es ihm und er versuchte sich loszureißen.

„Dannyl.“ Die Stimme war weiblich. Für einen absurden Augenblick glaubte er, es war Sonea. „Los weg hier! Ihr habt Euch nicht einmal geschützt.“

Nirili. Obwohl Dannyl vage begriff, dass die Verräterin ihn gerade in Sicherheit brachte, fiel es ihm schwer, den Rest der Ereignisse zu einem Bild zusammenzusetzen, das Sinn ergab.

„Aber die anderen“, protestierte er. „Balkan.“

„Drei außer Euch haben überlebt.“ Nirili deutete hinter sich, wo ein Heiler und zwei Krieger zusammengedrängt standen. „Ich bringe Euch zu einer anderen Gruppe.“

Wo war sie überhaupt gewesen? Dann erinnerte Dannyl sich wieder, dass sie bei Captain Erils Gruppe im Hintergrund gekämpft hatte, wo sie Informationen an ihre Schwestern weitergeleitet hatte.

„Ich muss weiterkämpfen“, sagte Dannyl. „Das hier muss aufhören.“

Nirili zog ihn zu den drei Überlebenden. „Mit welcher Magie?“, fragte sie. „Ihr seid kein höherer Magier, die Magie in dem Speicherkristall Eures Anführers ist aufgebraucht.“

Nur allmählich dämmerte Begreifen. „Ich bin kein Feigling“, sagte Dannyl. „Ich verstecke mich nicht, nur weil es gefährlich wird.“

Er hatte noch immer einige Schildsenker übrig. Seine Schilddiebe waren noch immer gänzlich unberührt. Dannyl hatte von Balkan nur eine kurze Einführung in ihre Verwendung erhalten, nachdem er in jede Phiole einen Tropfen seines Blutes gegeben hatte. Jetzt würde sich herausstellen, ob er fähig genug war, das Wissen anzuwenden.

Sonea hatte auch keine Gelegenheit, vorher zu üben, dachte er. Dann fiel ihm jedoch wieder ein, wie Akkarin über ihren leblosen Körper gebeugt gewesen war, und sein Herz sank. Zugleich verspürte er jedoch auch eine grimmige Entschlossenheit.

Das alles musste enden.

Heute.


***


Ein angenehm warmes Gefühl strömte von Soneas zerschundener Brust in ihren Körper. Es war tröstend und vermittelte Geborgenheit. Obwohl ihre Glieder schwer waren, verspürte sie keine Angst.

Wenn es so ist, tot zu sein, dann ist Totsein gar nicht so schlimm.

„Sonea.“

Die Stimme war tief, dunkel und von derselben Wärme erfüllt wie ihr Körper. Die Welt war dunkel. Und still. Bis auf die Stimme. Sie war da und sie war in ihrem Geist. Sie würde sie nicht allein lassen, wenn es zu Ende ging.

Wenn wir sterben, dann sterben wir gemeinsam.

„Sonea. Nimm meine Magie.“

Magie – das war es also! Sonea griff danach und versuchte, sie in sich zu speichern – und scheiterte. Sie versuchte es erneut, doch die Magie strömte in sie hinein und wieder aus ihr heraus. Verzweifelt versuchte sie es erneut. Dieses Mal gelang es ihr, die Magie in ihre Quelle zu ziehen.

Mit ihrer magischen Stärke kehrten auch ihre Sinne zurück. Irgendwo in weiter Ferne konnte sie Geräusche hören. Sie öffnete die Augen und erblickte Felsen. Graue Felsen und einen grauen Himmel.

„Sonea!“

Sonea wandte den Kopf. Akkarin kniete an ihrer Seite, eine ihrer Hände zwischen seine genommen. Seine harsche Miene sprach Bände von Besorgnis und Schmerz, aber noch während sie hinsah, verwandelten sich diese in Erleichterung.

„Du bist zurück.“

„War ich tot?“, fragte sie.

Ein Muskel in seiner Wange zuckte. „Es hätte nicht viel gefehlt.“

Sonea brauchte eine Weile, um seine Worte zu begreifen. „Was ist passiert?“, fragte sie. Sie erinnerte sich, wie sie die Magie eines Ashaki genommen hatte. Von da an war ihre Erinnerung in weißen Nebel gehüllt.

„Ich habe dir Deckung gegeben. Divako hat dich jedoch mit Schildsenkern angegriffen, als ich abgelenkt war. Er hatte sich hinter einem Felsen versteckt.“

Sonea starrte ihn an, begreifend, welch großes Glück sie gehabt hatte. In der Zeit, in der Akkarin ihre anderen Gegner abgelenkt hatte, hätte Divako mehrere Schildsenker werfen können.

„Wo hatte Divako die Schildsenker her?“, fragte sie.

„Unter seinen Ashaki sind mehrere, die gegen die Verräter in den fruchtbaren Regionen gekämpft haben. Es würde mich nicht wundern hätten sie dabei einige unserer Waffen erbeutet.“

Natürlich, dachte Sonea. An der Stelle der Ashaki hätte sie nicht anders gehandelt. „Was ist mit Divako?“, fragte sie. „Ist er …?“

„Regins Gruppe hat ihn mit einem Schilddieb getötet.“

Sonea schloss die Augen. „Danke“, flüsterte sie.

„Du musst dich heilen“, drängte Akkarin. „Dein Brustkorb ist zerschmettert, ich konnte die Blutungen stoppen und dich vorübergehend am Leben erhalten, aber die Heilung erfordert jemanden mit mehr Erfahrung auf diesem Gebiet.“

Sonea zog ihre Hand fort. „Du hast mich untersucht?“, entfuhr es ihr.

„Hätte ich es nicht getan, wärst du jetzt tot“, erwiderte Akkarin trocken. „Letzte Nacht hatte ich den Eindruck, du würdest noch ein wenig weiterleben wollen.“

„Natürlich will ich das.“ Unwirsch schloss Sonea die Augen und richtete ihren Geist auf sich selbst. Entsetzt sog sie die Luft ein und ein jäher Schmerz schoss durch ihren Oberkörper. Mehrere Rippen und das Brustbein waren gebrochen. Ein Knochenfragment war nur durch Akkarins rasches Handeln daran gehindert worden, ihr Herz zu durchbohren, weitere Knochenstücke drückten gegen ihre Lunge und sorgten für neue Blutungen. Immerhin hatte er die Nervenbahnen blockiert, so dass sie keinen Schmerz verspürte, solange sie absolut still hielt.

Ich wäre fast gestorben!, dachte sie entsetzt. Und mich interessiert nur, ob er bemerkt hat, dass ich schwanger bin!

Nun, wenn er es herausgefunden hatte, war derart mitten in der Schlacht ein denkbar schlechter Zeitpunkt, sie zum Fort zurückzuschicken. Sonea hatte noch genug Magie, um ein Dutzend Sachakaner zu erledigen. Sobald sie sich geheilt hatte, würde sie weitermachen.

Eine gefühlte Ewigkeit verging, in der sie Knochenstücke zusammensetzte und zusammenwachsen ließ, Blutungen stoppte und ihren Körper dazu brachte, die in ihr Gewebe gelaufenen Sekrete abzutransportieren. Dann widmete sie sich dem ungeborenen Leben in ihr. Das Baby hatte den Angriff unbeschadet überstanden. Sonea atmete leise auf. Der innere Schild, den sie über ihrem Unterleib errichtet hatte, hatte gehalten, bis Divakos Kraftschlag sie getroffen hatte.

Endlich öffnete sie die Augen und sah zu Akkarin.

„Tut mir leid, dass ich so schroff war“, sagte sie. „Ich wollte nicht wahrhaben, dass die Verletzung so schlimm ist. Danke.“

„Es ist in Ordnung, Sonea.“ Akkarin reichte ihr eine Hand und zog sie auf die Füße. „Für einen kurzen Moment hatte ich mich nur gefragt, was in dich gefahren ist.“

Sonea lehnte sich an ihn. „Ich bin es nicht gewohnt, dass es so knapp ist.“

Akkarin legte seine Arme um sie und sie genoss seine Nähe, während magische Schläge gegen ihren Schild prasselten. „Ich auch nicht, aber ich bin froh, dass du lebst.“ Seine Lippen berührten ihr Haar, dann schob er sie ein Stück von sich. „Bist du bereit, dich wieder in die Schlacht zu stürzen?“

Sonea bedachte ihn mit einem unwirschen Blick, während Erleichterung, dass er nichts bemerkt hatte, und Schuldgefühle in ihr tobten. „Selbst wenn ich es nicht wäre, müsste ich dorthin zurück.“


***


„Nein!“

Fassungslos sah Regin zu, wie die Gruppe seines ehemaligen Mentors von Duna und nachrückenden Sachakanern auseinandergenommen wurde. Es war, wie damals in der Ettkriti-Ebene. Kein heldenhafter Tod, kein magisches Inferno – nur Magier, die ihrer Erschöpfung zum Opfer fielen in dem sinnlosen Versuch sich und ihre Kampfgefährten zu schützen. Große Krieger hatten Besseres verdient als das. Ohne Balkan und Sonea hatten sie nur noch Akkarin und ein paar Waffen, die bei den Duna kaum Wirkung zeigten, weil sie so ungewöhnlich stark waren.

Doch das Schlimmste in alldem war: Er hatte schon wieder wichtige Menschen in seinem Leben verloren. Menschen, die ihm Freund und Vorbild gewesen waren.

Sonea war seine beste Freundin gewesen. Eine Freundschaft, die Regin nicht verdient hatte.

Und Balkan war alles gewesen, was Regin sich je von seinem Vater gewünscht hätte. Der plötzliche Zorn war überwältigen.

„Wir greifen die Duna an“, entschied er. „Wir machen mit den drei Ashaki hier kurzen Prozess und arbeiten uns dann dorthin durch. Balkans Gruppe hat ihnen sehr zugesetzt. Wenn ihr Anführer stirbt, wird das ihre Moral brechen.“

Die Krieger zögerten.

„Lord Regin, wenn wir den Überlebenden von Balkans Gruppe helfen, werden unsere Feinde auf diesem Weg zum Fort strömen“, wandte Lord Kerrin ein. „Captain Eril wird sie nicht aufhalten können.“

Kerrin hatte recht, erkannte Regin widerwillig. Trotzdem verlangte es ihm danach, Balkan zu rächen. „Phiolen können wir auch von hier aus werfen“, entgegnete er verärgert. „Sie werden nicht damit rechnen.“ Er sah in die Gesichter der anderen. „Ich nehme an, die Option, die Duna kampfunfähig zu machen, kommt nicht mehr in Frage?“

„Regin!“

Regin fuhr herum. Eine kleine schwarzgewandete Gestalt rannte auf ihn und sein Herz machte einen Sprung. Für einen kurzen Augenblick war er versucht, seinen Schild fallenzulassen und sie zu umarmen. Doch dann erblickte er die große schwarzgewandete Gestalt hinter ihr.

„Sonea, du lebst!“

„So gerade noch.“ Sie wirkte elend. Doch die Entschlossenheit in ihrer Miene zeigte ihm, dass die Schlacht für sie noch lange nicht zu Ende war. „Ich weiß, du willst Balkan rächen, aber du und deine Leute müssen die Stellung hier halten. Akkarin und ich werden mit den anderen versuchen, Arikhai zum Aufgeben zu bringen.“

„Unsere Verbündeten sind auf dem Weg hierher“, sagte Akkarin. „Sie jagen die Überreste der feindlichen Armee vor sich her und werden bald hier eintreffen. Haltet solange durch und verliert nicht die Nerven.“

„Wir wollten uns gerade die Duna vornehmen“, sagte Regin seine Verärgerung nur mit Mühe zurückhaltend.

„Oh Regin!“, sagte Sonea. „Tu das nicht. Wir sollten die Duna nicht noch mehr verärgern als nötig.“

„Die Duna töten unsere Leute. Damit haben sie den Tod verdient.“

Der Hohe Lord zog seine Frau zu sich und attackierte zwei Sachakaner, die auf sie zuhielten. „Die Duna töten unsere Leute, weil sie denken, wir wären mitverantwortlich für die Entweihung ihres Tempels“, sprach er. „Solange wir eine Wahl haben, werden wir sie am Leben lassen. Nur so haben wir eine Chance, das Missverständnis, das zu dieser Schlacht geführt hat, aufzuklären.“

Regin spürte, wie sich sein grenzenloser Zorn in Trauer und Verzweiflung verwandelte. Er fühlte sich gescholten. Mit einem Mal musste er seine Tränen zurückhalten. „Also Sachakaner, ja?“

„Zumindest die, die dich angreifen“, sagte Sonea. Sie schnitt eine Grimasse. „Sie haben den Tod zwar auch nicht verdient, aber sie stehen dem Frieden im Weg.“

Sie war schon immer zu nett gewesen. Sie war sogar zu ihren Feinden zu nett. Regin begriff nicht, wie ein Mensch, der so viel durchgemacht hatte, so sein konnte. Und er bewunderte sie dafür. Sie hatte so eine unnachahmliche Art, ihm den Kopf zurechtzurücken. „Und manchmal muss man Krieg führen, um Frieden zu erhalten“, sagte er.

Sonea lächelte. Sie wirkte noch immer mitgenommen, doch ihre dunklen Augen strahlten. „Sei der Krieger, auf den dein Mentor stolz gewesen wäre.“


***


Nach ihrer Beinahe-Tod-Erfahrung waren weitere feindlich gesonnene Magier nachgerückt. Sonea und Akkarin waren ein Stück die Straße hinabgeeilt, um sich ihnen zu stellen. Regins Gruppe hatte sich aufgeteilt und führte nun mit Hilfe eines zweiten Speichersteins, den ihr Freund eigens für diesen Zweck erhalten hatte, einen Trick aus, der angeblich vielversprechend war.

Weiter oben am Fort hielt sich die Gruppe von Captain Eril noch immer tapfer und Dannyl kämpfte gemeinsam mit Nirili – anscheinend noch immer in der Hoffnung, den Kriegsherrn der Duna zum Verhandeln zu bewegen.

Verglichen mit den Ashaki waren die Duna ein absoluter Albtraumgegner. Sonea hatte sie gegen Wüstenwürmer kämpfen sehen. Und sie hatte gesehen, wie sie ihre Waffen während des Kampfes in Yukai eingesetzt hatten.

„Sieh dich vor ihnen vor“, sagte sie zu Akkarin. „Sie sind nicht zu unterschätzen.“

„Ich habe es gesehen“, antwortete er. „Aber sie sind jetzt auch schwächer.“

Und damit schien er recht zu haben. Ob es war, weil sie den wilden Speicherstein überlebt hatten oder weil sie schon gekämpft hatten, konnte Sonea nicht sagen. Aber vielleicht waren auch nur jene Duna wirklich stark, die sich um Arikhai geschart hatten.

„Es ist gut, dass es uns bis jetzt gelungen ist, sie nicht bis zum Fort kommen zu lassen“, sagte sie. „Nicht auszudenken, was sie dort mit ihrer Magie angerichtet hätten!“

„Ihre Magie wäre verschwendet gewesen.“ Akkarin blockte einen Strahl blauer Magie, der aus der Speerspitze seines Gegners schoss. „Wohingegen wir eine Bedrohung für sie darstellen.“

Sonea nutzte die Abgelenktheit ihres Gegners und warf einen Schilddieb.

Aber wenn sie das Fort eingenommen hätten, hätten sie eine bessere Position, um ihre Gegner zu vernichten, dachte sie, während sie nach der Magie des Dunas griff. Doch dies lag den Duna vermutlich noch ferner, als der Kampf in bergigem Gelände. Sie selbst würden sich erst ins Fort zurückziehen, wenn ihre magischen Reserven zur Neige gingen. Doch mit den nachrückenden Feinden rückten auch ihre Verbündeten nach. Und zumindest, was sie und Akkarin betraf, so hatten sie noch reichlich Magie.

Sie leitete die Magie aus dem Schild ihres Gegners auf einen weiteren Duna, damit Akkarin den Mann kampfunfähig machen konnte. Wer hätte gedacht, dass Marikas Magie eines Tages einen Teil seiner Anhänger töten und den anderen unterstützen wird?, dachte sie.

Fast verspürte sie Mitleid, als der Duna zuckend zu Boden sank. Während sie zu ihrem Gegner rannten, projizierte Sonea einen kollektiven Gedankenschlag auf eine Dunakriegerin in ihrer Nähe. Einen langen Augenblick war die Frau zu verwirrt, um ihrem Gefährten zur Hilfe zu eilen. Ihre Desorientierung nutzend, warf Sonea einen weiteren Schilddieb, zog die Magie daraus in ihre Quelle und griff die nun ungeschützte Kriegerin mit Betäubungsschlag an.

„Du bekommst Übung.“ Akkarin hatte ihren Gegner in einen Zustand magischer Erschöpfung versetzt. Er nickte zu der Frau, die nun reglos am Boden lag. „Hol sie dir.“

Sie bedachte ihn mit einem unwirschen Blick. „Lass mich nicht wieder sterben.“

Akkarins Mundwinkel zuckten. „Ganz sicher nicht.“

Die Duna-Kriegerin war stark. Sonea bedauerte, ihre Magie zu nehmen, sie weigerte sich, die Duna als Feinde zu sehen. Was, wenn es Yui wäre? Wenn sie aufwachen, können wir ihnen zurückgeben, was wir bis dahin nicht selbst verbraucht haben. Sofern wir überleben und sie dann auch noch leben.

Die Duna liegenzulassen, barg ein Risiko. Es gab jedoch keine Möglichkeit, sie in Sicherheit zu bringen. Auf den ersten Blick konnte man sie jedoch leicht für tot halten und zumindest die Gilde und ihre Verbündeten waren angehalten, auf dem Boden liegende Duna nicht anzurühren.

Eine Gruppe Sachakaner hielt auf sie zu. Sonea formte einen Feuerschlag und hielt dann inne. Der Mann an ihrer Spitze kam ihr nur allzu bekannt vor.

„Da ist Sarkaro!“, rief sie.

Akkarin fasste sie an den Schultern und stellte sich hinter sie.

Der Ashaki hob beide Hände. „Ich werde Euch nichts tun, Gildenmagier!“, sagte er. „Auch, wenn es genug Gründe gäbe, Euch beide zu töten, so kämpfe ich auf Eurer Seite.“

„Die Gilde weiß das zu schätzen“, erwiderte Akkarin trocken.

- Ist das wahr?

- Asara hat es mir bestätigt.

„Ich muss zu Ishaka“, sagte der ehemalige Ichani. „Habt Ihr ihn gesehen?“

Sonea schüttelte den Kopf. „Aber weiter oben könnten unsere Leute dringend Unterstützung gebrauchen. Wenn Ihr etwas wiedergutmachen wollt, geht dorthin.“

Sarkaros Blick verfinsterte sich. Er setzte an, etwas zu sagen, doch Akkarin kam ihm zuvor.

„Die Armee, aus der Ihr desertiert seid – könnt Ihr uns sagen, ob von den Befehlshabern in der Schlucht jemand überlebt hat?“

„Meine Leute und ich haben einige in der Schlucht erledigt. Sakori ist uns jedoch entwischt.“

„Wie sieht er aus?“

Die Augenbrauen des Sachakaners zogen sich zusammen. Zwischen ihnen entstand das Bild eines leicht untersetzten Mannes mittleren Alters mit dichten schwarzen Locken und Kinnbart.

„Ich werde es weiterleiten“, sagte Akkarin. „Die Gilde steht in Eurer Schuld.“

Sarkaro nickte knapp. Er winkte seine Ashaki zu sich und eilte weiter in Richtung Fort.

„Nun, das war eine interessante Begegnung“, bemerkte Sonea. „Ich wusste gar nicht, dass man einen Ex-Ichani mit dem Tod eines Königs verärgern kann.“

„Wenn es sich dabei ausgerechnet um den König handelt, der ihn wieder in die Gesellschaft aufgenommen hat, vermutlich schon.“

Wahrscheinlich, dachte Sonea. Sie hatte immer geglaubt, Sarkaro hasste sie nur, weil ihr in seinen Augen keine Magie zustand. Doch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, erschütterte ein gewaltiger Kraftschlag ihren gemeinsamen Schild und die Schlacht ging weiter.


***


Durch die Ankunft ihrer sachakanischen Verbündeten – eine Zusammenführung von zwei Begriffen, die Regin absurd fand – war es ihm und seiner Gruppe nun endlich möglich, so zu kämpfen, wie es ihm beliebte. Bei der schieren Stärke der Gegner, die sie während der ersten Stunde des Kampfes zu bewältigen gehabt hatten, war dies kaum möglich gewesen. Noch immer suchte Regin nach einem Weg, seine Strategie so einzusetzen, wie sie gedacht war.

Sei der Krieger, auf den dein Mentor stolz gewesen wäre.

Regin unterdrückte ein Schnauben. Balkan wäre sicher nicht stolz, würde ich Duna abschlachten, obwohl ich den Befehl hatte, sie nach Möglichkeit zu verschonen. Sein Verständnis scheiterte daran, dass er keine Rache nehmen durfte, obwohl die Duna seinen ehemaligen Mentor getötet hatten. Für ihn war das Grund genug, sie zu töten.

Allerdings konnte man mit dieser Argumentation keinen Krieg beenden. Sich für einen Verlust zu rächen, war immer der leichtere Weg.

- An alle Gruppen! Falls jemand diesen Mann sieht, so möge er sich seiner annehmen.

Die Gedankenprojektion eines Sachakaners blitzte in Regins Geist auf. Wo er oft der Meinung war, dass ein Sachakaner dem anderen ähnelte, stach dieser jedoch heraus.

- Ich werde mich um ihn kümmern, sollte ich ihm begegnen, sandte er.

- Macht keine Dummheiten, antwortete Akkarin. Dieser Mann ist einer der Kriegsmeister der Sachakaner. Er ist gefährlich.

- Verstanden.

Gefährlich wohl eher im Sinne von mächtig, dachte Regin. Besonders trickreich schien kein Angehöriger dieses Volkes. So gesehen war es besser, wenn die Gilde ihr Wissen niemals mit ihnen teilte.

„Soeben kam vom Hohen Lord die Anweisung, diesen Mann zu töten“, teilte Regin seiner Gruppe mit. Er schuf eine Projektion des Bildes in der Mitte der Magier, die sich um ihn versammelt hatten. „Haltet nach ihm Ausschau.“

„Ja, Lord Regin.“

Die Krieger richteten ihre Aufmerksamkeit wieder auf die beiden Ashaki, die offenkundig eine Strategie darin zu sehen glaubten, dass Regin und seine Gruppe sie für einige Augenblicke mit Nichtbeachtung gestraft hatte. Dafür war der eine von ihnen umso überraschter, als Regin einen Schilddieb warf.

Die Heiler und Alchemisten sahen sich derweil nach dem sachakanischen Kriegsmeister um.

„Ist er das?“

Regin tötete seinen Gegner mit Kraftschlag und warf die aus dessen Schild gewonnene Magie auf den zweiten Ashaki, der darauf hin zusammenbrach und in Flammen aufging. Einen Augenblick später raste auch die Magie seines ersten Gegners über seine Gruppe hinweg. Es war jedoch sehr viel weniger als bei den vorherigen Gegnern. Dann wandte er sich zu Elben um.

Der Sachakaner, auf den der Alchemist deutete, sah dem Bild, das Regin von Akkarin erhalten hatte, frappierend ähnlich. Regin bezweifelte, dass es ein anderer Sachakaner war. Er spürte, dass er das war. Der Sachakaner wurde von fünf weiteren begleitet, von denen zwei ähnlich prächtig wie er selbst gekleidet waren. Die anderen drei trugen einfache Uniformen. Weitere Kriegsmeister und einfache Krieger?, fragte Regin sich. Dann schüttelte er den Kopf. Nach dieser Logik waren die meisten Sachakaner, gegen die er bis jetzt gekämpft hatte, Kriegsmeister. Vielleicht waren es auch in Magie unterwiesene Sklaven.

„Wir teilen uns auf“, sagte er. „So wie wir es im Steinbruch geübt haben. Der Sachakaner und seine Begleiter stehen an einer günstigen Position.“

„Im Steinbruch hatten wir doppelt so viele Krieger zur Verfügung“, wandte Lord Kerrin ein. „Unsere Gruppe ist zu klein.“

„Im Steinbruch hatten wir weder einen zweiten Speicherstein noch Schilddiebe“, erinnerte Regin. „Wenn wir diesen Mann töten, brechen wir damit endgültig die Moral der Sachakaner. Die anderen Gruppen sind alle zu weit weg. Der Hohe Lord und Sonea kämpfen gegen die Duna, wir sind als einzige Gruppe verfügbar und ich erwarte von jedem höchste Konzentration.“

Seine Ansprache hatte genau den gewünschten Effekt. Regin lächelte grimmig in sich hinein. Damit hätte er Balkan gewiss stolz gemacht.

Regin spürte einen Kitzel der Erregung. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass er jetzt das Kommando über die Krieger hatte. Und er konnte diese Schlacht zugunsten der Gilde und ihrer Verbündeten wenden.

Nicht weit entfernt zweigte eine kleine Schlucht von der Straße ab – perfekt, um seine Strategie mit den Kriegern in seiner Gruppe anzuwenden.

„Ich brauche zwei Alchemisten, die mit Schildsenkern von oben angreifen“, sagte er. „Kerrin, Ihr nehmt die Hälfte der Gruppe. Haltet Euch verborgen und greift aus dem Hinterhalt an. Ich werde mich mit dem Rest diesem Sachakaner und seinen Leuten offen stellen.“


***


Sie hatten die Überlebenden aus Balkans Gruppe zum Fort geschickt. Fast alle hatten ihre Magie aufgebraucht, als der gemeinsame Schild zusammengebrochen war und sie versucht hatten, sich gegen die Angriffe der Duna zu schützen, bevor Nirili gekommen war. Was sie übrig hatten, hatten sie Nirili gegeben, dann hatte Erils Gruppe sie zum Fort eskortiert.

Und so kämpfte Dannyl allein mit der Verräterin, die glücklicherweise mit dem Prinzip des gemeinsamen Schildes vertraut war. Während er seine Magie sparte und auf seine Schilddiebe setzte, bekämpfte sie die Duna mit brutaler Stärke. Sobald die Verteidigung ihrer Gegner zusammenbrach, setzte Nirili diese jedoch mit Betäubungsschlag außer Gefecht. Allerdings ging diese Strategie nicht immer auf und sah Dannyl seine Chancen auf neue Verhandlungen weiter schwinden.

Mittlerweile hatten sich die Armeen durchmischt. Die Überlebenden aus der Schlucht kämpften nun auf der Straße unterhalb des Forts und die Verräter und Ashaki, die ihnen gefolgt waren, töteten, wer auch immer ihren Weg kreuzte. Dank der zerstörten Schlucht waren sie nun in der Überzahl, allerdings konnten nicht alle gegen ihre Gegner kämpfen, weil die Straße zu schmal war.

Der Tod von Balkan und der Hälfte der Magier in seiner Gruppe fiel Dannyl noch immer schwer zu begreifen. Immerhin hatte Sonea überlebt. Bis jetzt. Dass Dannyl nun die Überreste seiner Gruppe anführte, half ihm jedoch, sich auf die Schlacht zu konzentrieren. Er konnte noch immer trauern, wenn er überlebt hatte.

Es gelang ihm, einen der Duna mit der Illusion eines von links kommenden Akkarin kurzfristig abzulenken. Während der Duna das Trugbild attackierte, warf Dannyl seine Phiole. Sofort wurde er sich der Magie des Schildes bewusst. Er griff danach, als wäre es seine eigene Quelle, doch es gelang ihm nur leidlich, die Magie zu fokussieren.

Neben ihm entfuhr Nirili ein leiser Schrei der Überraschung. „Nein!“

Die Magie verpuffte ins Nichts. Alarmiert fuhr Dannyl herum. „Was ist passiert?“

„Er hat mich getroffen!“, brachte sie hervor und sank auf die Knie. „Übernehmt den Schild.“

Und dann sah Dannyl den Ikakh in ihrem Rücken. „Ich heile Euch“, sagte er.

„Spart Euch Eure Magie für Eure Feinde auf“, zischte sie.

„Ohne Euch bin ich verloren.“ Einen Schild um sie beide errichtend, trat Dannyl hinter sie und zog den Speer aus ihrem Rücken. Er musste eine Hand zur Hilfe nehmen und gegen die Verräterin drücken. Nirili entfuhr ein weiterer Schrei, dieses Mal sehr viel qualvoller, dann war sie frei. Aber Dannyl sah nur den dunklen Fleck, der sich auf ihrer Bluse ausbreitete. Ihren Protest ignorierend untersuchte Dannyl sie. „Ihr werdet nicht für mich sterben“, sagte er. „Niemand soll für mich sterben.“

Statt einer Antwort hustete Nirili. Es war Blut.

Als Dannyl sah, was der Speer angerichtet hatte, sog er scharf die Luft ein. Das kann ich nicht heilen, dachte er entsetzt. Ich brauche Sonea.

Aber Sonea kämpfte ein gutes Stück die Straße hinab an Akkarins Seite. Sie würde es nicht rechtzeitig schaffen.

„Dannyl … nicht.“ Nirili richtete sich auf. Ein Ausdruck unendlicher Qual verzerrte ihr Gesicht. „Ihr müsst kämpfen, wenn Ihr nicht auch sterben wollt. Nehmt meine Magie, solange ich sie noch kontrollieren kann.“ Sie umklammerte seine Hand und sofort wurde Dannyl sich einer starken magischen Präsenz bewusst.

Dann leitete er all die Magie, die sie ihm gab, in einen einzigen Angriff auf Arikhai. In seinem Zorn fokussierte sich die Magie zu einem tödlichen Strahl weißen Lichts. Für einen Augenblick wirkte der Kriegsherr so überrascht, dass Dannyl instinktiv nach seiner nächsten Phiole griff. Es war erneut Sakans Atem. Während dem Duna die Sicht versperrt war, warf er einen Schilddieb hinterher. Einer der Duna richtete seinen Speer auf das Projektil und zerstörte es mit einem roten Blitz. Die Magie, die Nirili ihm sandte, war noch immer stark und Dannyl formte daraus einen Hagel von Kraftschlägen, die er dem Duna entgegenschleuderte.

Dann warf er einen weiteren Schilddieb nach Arikhai. Im selben Moment versiegte Nirilis Magie. Instinktiv reagierte Dannyl auf die neue Quelle von Magie und zog daran mit all seinem Willen. Arikhai versuchte, seinen Schild zu stärken, doch Dannyl bemächtigte sich auch dieser Magie und leitete alles auf Arikhais Nebenmann.

Von einem Augenblick auf den anderen hörte es auf. Der Kriegsherr der Duna hatte einen neuen Schild errichtet, Dannyls zweiter Gegner taumelte. Mit einem Betäubungsschlag streckte Dannyl ihn nieder.

Dann wandte er sich wieder zu Arikhai.

„Wir können das hier und jetzt beenden, Arikhai“, sagte er. „Unsere Völker hegen keinen ursprünglichen Groll gegeneinander. Es ist einem Missverständnis zu verdanken, dass es überhaupt hierzu gekommen ist.“

Die drei Duna um Arikhai spannten sich an. Der Kriegsherr hob indes eine Hand.

„Der Auslandsadministrator gehört mir.“

„Ist es nicht unehrenhaft, gegen einen unterlegenen Magier zu kämpfen?“

Arikhai konterte mit einem Kraftschlag, der Dannyls verbleibende Magie an den Rand der Erschöpfung brachte. „Aus Eurem Mund kommen nur Lügen. Ihr habt Euch mit unehrenhaften Leuten verbündet. Also seid auch Ihr unehrenhaft.“

Das war es also, dachte Dannyl nüchtern. Er war so kurz davor gewesen, sein Ziel doch noch zu erreichen. Aber ohne einen schwarzen Magier oder einen Speicherstein war er verloren.

„Wenn Ihr mich tötet, verschwindet auch die letzte Chance auf Frieden und eine Eroberung der Aschenwüste“, sagte Dannyl. „Lasst mich dieses Missverständnis aufklären.“

An dem Zorn, der in den Augen des anderen Mannes loderte, konnte Dannyl jedoch sehen, dass seine Worte ihre Macht über den Duna verloren haben. Arikhais Antwort war ein neuerlicher Angriff.

Wissend, dass die Magie nicht ausreichen würde, warf Dannyl sich zur Seite. Im Fallen sicherte er seine Phiolen und zog einen weiteren Schilddieb. Doch noch während er versuchte, auf die Beine zu kommen, ließ ein Kraftschlag seinen Schild zusammenbrechen. Verzweifelt griff Dannyl nach seiner Magie, aber was er fand, reichte für einen Schild nicht mehr aus.

Es war vorbei.

Zwei Duna-Krieger brachen zusammen. Dannyl beobachtete, wie sie von einem roten Strahl Magie getroffen wurden, und reglos zu Boden sanken. Für einen Augenblick drückte Arikhais Miene Überraschung und Unglauben aus. Dann hatte er sich wieder unter Kontrolle.

„Sarkaro“, sagte er. „Ich habe Euch für ehrenhafter gehalten.“

Dannyl beeilte sich, auf die Beine zu kommen. Sarkaro hatte sich zusammen mit mehreren Ashaki den Duna gestellt. Obwohl Dannyl fürchtete, der ehemalige Ashaki würde seinen Plan zerstören, war er für die Ablenkung dankbar.

Die Luft flirrte vor Magie, als sich Ashaki und Duna ein erbittertes Duell lieferten. Dannyl zögerte nicht und warf einen Schilddieb auf den Krieger neben Arikhai. Tarrekh. Er kämpfte noch immer ohne Schild, doch als Dannyl sah, wie zwei von Sarkaros Leuten fielen, hatte ihn das selten weniger gekümmert. Mit der gewonnenen Magie griff Dannyl den Dunakrieger an.

Als die Magie in Tarrekhs Schild traf, wandte sich dieser von den Ashaki ab. Er griff an und Dannyl warf sich erneut zur Seite. Noch im Fallen formte er einen Betäubungsschlag, der den Krieger in die Brust traf.

Dannyl kam auf die Beine. Von den Ashaki waren nur noch Sarkaro und zwei andere übrig. Duna, die von hinten nachgerückt waren, fielen ihnen in den Rücken.

Das kann ich nicht zulassen, dachte Dannyl und warf einen weiteren Schilddieb. Er konnte sehen, wie Sonea und Akkarin die Straße emporkamen und Sarkaro unterstützten. Doch es waren zu viele Duna. Und sie sahen in Sarkaro das, was er war: einen Überläufer.

Der Schild des ehemaligen Ichani glühte inzwischen unter dem beständigen Einwirken von Magie. Mehrere Duna hatten ihre Ikakhs auf ihn und seine beiden Begleiter gerichtet, weiße Magie schoss aus ihren Spitzen direkt in die Körpermitte der drei Sachakaner. Das Bild erinnerte Dannyl auf eine groteske Weise an die Kristalle in der Kammer der Ultimativen Bestrafung

Dannyl griff nach der Magie, die er durch den Schilddieb gewann, und richtete sie auf einen der neu hinzugekommenen Duna. Verwundbar, wie sein Gegner nun war, streckte Dannyl ihn mit einem Betäubungsschlag nieder.

Für Sarkaro und seine beiden Ashaki kam die Hilfe jedoch zu spät. Dannyl sah, wie ihre Schilde sich auflösten. Die Duna richteten ihre Speere erneut auf sie und die Ashaki gingen in Flammen auf.

Entsetzt schloss Dannyl die Augen.

Es ist noch nicht vorbei, rief er sich ins Gedächtnis. Das hier ist noch nicht vorbei.

Er warf einen weiteren Schilddieb. Es war sein letzter.

„Heh, Kriegsherr!“, rief er. „Ihr solltet den Gildenmagier nicht vernachlässigen. Auch geschwächt sind wir gefährlich.“

Arikhai fuhr herum. Bevor er einen zweiten Schild errichten konnte, hatte Dannyl die gewonnene Magie in seine eigene Verteidigung investiert. Dann griff er nach der Magie in seiner Quelle und formte sie zu einem letzten Betäubungsschlag. Es war lächerlich wenig, aber es genügte, um den Duna in die Knie zu zwingen.

„Ich würde es begrüßen, wenn wir diese Angelegenheit ohne weiteres Blutvergießen beenden könnten“, sagte Dannyl.

„Tötet mich“, befahl Arikhai.

„Nein“, sagte Dannyl. „Vergeltung ist nicht meine Art.“

„Lasst mich in Ehre sterben.“

Dannyl schüttelte den Kopf. „Die Gilde braucht Euch. Euer Volk braucht Euch. Wir sollten aufhören, gegeneinander zu arbeiten.“ Er machte einen Schritt auf Arikhai zu und sein Schild glitt über ihn hinweg. „Ich weiß, Ihr seid voll Zorn. Doch dieser ist an den Menschen, die ihn nicht verdient haben, verschwendet.“ Er streckte eine Hand aus. „Ich denke, es wird Zeit, Euch etwas zu zeigen. Dann erwarte ich, dass Ihr Euren Leuten befehlt, den Angriff auf die Gilde und ihre Verbündeten einzustellen.“


***


Das war nicht gerade meine beste Idee, dachte Regin. Die Sachakaner hatten sich aufgeteilt, als Lord Elben von einem Felsen Schildsenker geworfen hatte. Regins Hälfte der Gruppe war es gelungen, einen Begleiter des Kriegsmeisters zu töten, dann hatten seine Krieger sich erschöpft und so hatte er sie zu Kerrin geschickt. Jetzt kämpfte er alleine gegen den Kriegsmeister und die Magie in seinem Speicherstein ging allmählich zur Neige. Seine Krieger lieferten sich derweil einen erbitterten Kampf gegen die letzten drei Begleiter seines Gegners. Allerdings konnte Regin nicht zu ihnen durchdringen, weil die Sachakaner zwischen ihnen standen.

Seine Hand schloss sich um die letzte Phiole.

Wollen wir hoffen, dass er noch einmal darauf hereinfällt.

Nach seiner Magie greifend tarnte Regin die Phiole mit einer Illusion und warf sie auf seinen Gegner. Sakoris Augen weiteten sich, als die Phiole an seinem Schild zerplatzte, ihn deformierte und er für einen kurzen Moment durchlässig wurde. Regin zögerte nicht und sandte einen Hitzeschlag in die Lücke.

Der Sachakaner brach zusammen. Das Triumphgefühl blieb indes aus. Der Zorn brannte noch immer in Regin. Noch während er sich darüber wunderte, ging der Körper des Sachakaners in Flammen auf. Im nächsten Augenblick raste eine Welle aus gleißendem Licht und Hitze, gefolgt von einer Druckwelle durch die Schlucht. Ein lauter Knall zerriss die Luft und Donner rollte zischen den Felsen wider.

Instinktiv verstärkte Regin seinen Schild. Er wollte sich auf den Boden ducken, um die zu schützende Fläche zu verkleinern, doch irgendetwas riss ihn um.

Dann war es vorbei.

Benommen hob Regin den Kopf und sah sich um. Um ihn und den Sachakaner waren mehrere größere und kleinere Felsbrocken weiter oben abgebrochen und herabgestürzt und blockierten nun den Weg. Die Luft war erfüllt von Staub. Von seinem Gegner war indes nichts mehr übriggeblieben. Regin versuchte, sich aufzurichten und scheiterte, als irgendetwas seine Beine lähmte. Als er den Kopf wandte, erstarrte er. Seine Beine waren unter einem Felsblock begraben.

Was mache ich jetzt?, dachte er. Der Tod des Sachakaners hatte ihn die komplette Magie des Speichersteins gekostet. Was von seiner eigenen Kraft übriggeblieben war, würde weder ausreichen, um den Felsen fortzubewegen noch wagte er es, seine Beine damit zu untersuchen. Seltsamerweise war der Schmerz, den er eigentlich verspüren sollte, seltsam gedämpft.

Ob sie ihn hier überhaupt finden würden, bevor er starb? Regin wollte nicht sterben. Nicht heute und nicht hier. Wenn er starb, würde er nie wieder Trassias Gesicht sehen. Denn obwohl sie ihn hasste, war das alles, was er wollte. Würde sie um ihn trauern? Würde sie ihm verzeihen?

Die Vorstellung um Hilfe zu rufen, erfüllte ihn indes mit großem Unbehagen. Das wäre wie das Eingeständnis, einen Fehler gemacht zu haben. Aber wenn er nicht sterben wollte, blieb ihm keine Wahl.

Also richtete er seinen Willen auf die Präsenz der einzigen Person, die es besser als alle anderen verstand, ihn zu demütigen. Bei ihr hatte er nichts mehr zu verlieren.

- Sonea! Ich brauche deine Hilfe. Bitte.

Während er auf ihre Antwort wartete, wagte er kaum zu atmen. Von hier aus konnte Regin nicht mehr sehen, als die Staubwolke, die noch immer zwischen den Felsen hing. Dahinter konnte er Kampfgeräusche hören und der Staub verdichtete sich, während das Bersten von Stein die Luft erfüllte.

Eine kleine schwarze Silhouette erschien zwischen den Dunstschwaden und wurde langsam deutlicher. Dann erblickte Regin hinter ihr eine zweite Gestalt, wie ein vergrößerter Schatten ihrer selbst. Der Anblick hätte einem bösen Traum entstammen können. Stattdessen hatte er nie größeren Respekt vor ihnen verspürt.

„Regin.“ Sonea blieb vor ihm stehen und betrachtete das sich ihr bietende Bild mit einer seltsamen Miene. „Du bist so ein blöder Mistkopf.“

Sie ist tatsächlich gekommen, dachte Regin, bevor die Erschöpfung ihn übermannte.


***


Aus einer sicheren Entfernung beobachtete Asara, wie die Duna sich gegen ihre Verbündeten wandten und diesen gemeinsam mit Gildenmagiern, Asaras Schwestern und den Ashaki unter der Führung von Ishaka ein kurzes Ende berieten. Sieht ganz so aus, als wäre der schöne Gildenmagier mit seiner Strategie am Ende erfolgreich gewesen, dachte sie anerkennend. Sie hatte beobachtet, wie er gegen Arikhai gekämpft und diesen verschont hatte. Anschließend hatten sie ihre Gedanken miteinander verbunden.

Anscheinend wusste der Kriegsherr nicht, dass Dannyl einen Geheimniswahrer besaß, denn in diesem Fall hätte er sich nicht darauf eingelassen, seinen Leuten zu befehlen, Divakos Ashaki anzugreifen.

Für Asaras Geschmack hatte das alles jedoch viel zu lange gedauert. Nirili war tot, einige Gildenmagier hatten ihr Leben gelassen und nach allem, was sie gehört hatte, mehrere ihrer Schwestern ebenfalls.

Und ich konnte ihnen nicht helfen. Frustriert ballte sie ihre Fäuste. Sie hatte ihre Magie aufgebraucht, als der wilde Speicherstein in zu großer Höhe seine Macht entfaltet hatte. Damit war die Schlacht für Asara zu Ende gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Mit Dayend, dem schönen Gildenmagier aus Elyne, hatte sie sich auf die höheren Berghänge zurückgezogen. Von dort aus hatten sie beobachtet, wie ihre Leute entlang der Hänge weiter unten und über die Trümmer der zerstörten Schlucht in Richtung des Forts gestürmt waren.

„Ich denke, jetzt sollte es sicher sein.“

Asara wandte den Kopf. Unruhig rutschte Dayend auf dem Felsen, auf den sie sich gehockt hatten, hin und her.

„Warten wir noch ein wenig“, sagte sie. „Für eine Quelle mögt Ihr stark sein, doch da unten wäre Eure Magie rasch aufgebraucht. Selbst der Streifschuss eines höheren Magiers kann für einen gewöhnlichen Magier tödlich sein.“

Die Wangen des jungen Mannes färbten sich rosa. „Ihr habt recht, Asara“, sagte er. „Ich habe zwar in diesem Krieg von Anfang an gekämpft, doch ich war immer in einer größeren Gruppe. So wie es heute auch hätte sein sollen. Wenn man die Magie eines Speichersteins zur Verfügung hat, dann vergisst man schnell, wie man sich als gewöhnlicher Magier schlagen würde, weil die eigene Stärke an die des Gegners angepasst ist.“

So hatte Asara das noch nie gesehen. Wenn sie jedoch daran dachte, wie verletzlich sie sich selbst seit Yukai fühlte, konnte sie ihm nur zustimmen. Bis vor einigen Wochen war sie nie in eine Situation geraten, in der sie mit der Kraft eines niederen Magiers auskommen musste. Mit einem Mal verstand sie, warum Sklaven einen solchen Respekt vor Magiern hatten. Was ein Meister nicht durch Autorität vermittelte, glich die Macht, über die er gebot, aus.

Und am meisten werden jene respektiert, die nicht nur Macht haben, sondern ihre Autorität gar nicht erst unter Beweis stellen müssen.

Unter ihr traten der Anführer der Gildenmagier und seine kleine Frau aus einem kleinen Seitental, das wenig zuvor von einer Explosion erschüttert worden war. Vor ihnen schwebte der Körper eines Kriegers.

„Das ist Lord Regin!“, entfuhr es Dayend.

Asara sagte der Name nichts.

„Ich hätte in seiner Gruppe kämpfen sollen“, fuhr der Krieger fort. „Oh, ich hoffe, er ist nicht tot. Nachdem es schon das Oberhaupt der Krieger getroffen hat, wäre das eine Katastrophe!“

„Eure Gilde sind nicht die Einzigen, die in dieser sinnlosen Schlacht schmerzhafte Verluste erlitten haben“, sagte Asara sanft. Sie dachte an Nirili, Ivara, Lahiri und Arlava und spürte, wie etwas ihre Kehle zuschnürte. Ich habe meine Krippenschwester getötet! „Doch ihr werdet darüber hinwegkommen. Von jetzt an werden sich viele Dinge ändern. Aber wir werden sie gemeinsam meistern.“

Dayends grüne Augen musterten sie. „Ihr seid sehr weise, Asara von den Verrätern.“

Asara winkte ab. „Wenn man bei den Verrätern lebt, muss man ständig damit rechnen, eine liebgewonnene Schwester zu verlieren. Irgendwann stumpft man ab.“ Sie stand auf. „Wir können jetzt zu den anderen. Was meint Ihr? Schafft Ihr noch eine Kletterpartie oder soll ich Euch levitieren?“

„Oh, ich hätte nichts gegen Letzteres. Wenn wir schon die Schlacht verpasst haben, ist wenigstens unser Auftritt spektakulär.“

Lachend schlang Asara einen Arm um den schönen Krieger. Dann schwebten sie nach unten.

Sie landeten dort, wo sich die Straße vor dem Fort verbreiterte. Die Magier in ihrer Nähe nahmen zunächst keine Notiz von ihnen, sie alle waren damit beschäftigt, die reglosen Körper der Gefallenen zu untersuchen und entlang der Straße aufzureihen, sammelten magische Waffen auf oder unterhielten sich. Asara erblickte Dannyl und Arikhai in ein Gespräch mit Ishaka vertieft. Der Ashaki fing ihren Blick ein und nickte ihr zu.

Noch während Asara überlegte, ob sie sich ihnen anschließen oder zunächst den Gildenmagier bei seinen Leuten abgeben sollte, hörte sie, wie jemand ihren Namen rief.

Sich umblickend entdeckte Asara eine kleine schwarzgewandete Gestalt, die die Straße zu ihr hinaufeilte. Sonea.

„Es ist so schön, dass du lebst!“, rief die kleine Gildenmagierin und umarmte Asara. „Nachdem die Schlucht zerstört wurde, konnte uns niemand sagen, was mit dir geschehen ist.“

Die Zuneigung war überwältigend. Obwohl unser Start etwas seltsam war und Yukai jegliche Annäherung jäh unterbrochen hat, sind wir anscheinend doch noch Freundinnen geworden, fuhr es Asara durch den Kopf. Das Wissen erfüllte sie mit einer ungeahnten Wärme.

„Ich hatte meine komplette Magie aufgebraucht, um mich und ihn“, Asara deutete zu dem schönen Krieger, „in Sicherheit zu bringen, als die Schlucht explodierte. Wir waren gezwungen, uns aus dem Rest des Kampfes herauszuhalten.“

„Dennoch steht die Gilde in Eurer Schuld“, sprach Akkarin. „Seit Yukai habt Ihr viel bewegt und erreicht. Zudem habt Ihr einen unserer Leute vor dem Tod bewahrt. Ohne Euch wäre er in der Schlucht gestorben.“

Und Sarkaro und seine Leute ebenfalls, dachte Asara. Nun, inzwischen waren sie von Duna getötet worden. Aber bis dahin hatten sie eine Menge Schaden angerichtet.

Ishaka löste sich von seinen beiden Gesprächspartnern und schritt zu ihnen, Dannyl und der Kriegsherr folgten ihm. „Hätte ich inzwischen nicht gehört, was Euch zugestoßen ist, würde ich glauben, Ihr hättet Euch geschickt aus der Affäre gezogen“, bemerkte er.

„So wie Takiro?“, fragte Asara. „Wo ist er überhaupt?“

„Er und Hakaro sind weiter unten und sehen nach, wer von uns überlebt hat. Eure Schwester übrigens auch.“

„Lenyaka ist nicht meine Schwester“, sagte Asara nur.

„Wieder einen Gildenmagier gerettet?“ Grinsend klopfte Dannyl Asara auf die Schulter.

„Nun, Ihr habt meine Hilfe anscheinend nicht benötigt.“

„Dieses Mal nicht, aber ich würde sagen, es war ziemlich knapp“, erwiderte Dannyl mit einem Blick zu Arikhai.

„Divako war einfach zu überzeugend“, grollte der Kriegsherr.

„Er hatte so eine Art, das zu tun“, sagte Ishaka trocken. Sein Blick fiel auf Dannyl. „Doch wie mir scheint, besitzen manche Gildenmagier diese Fähigkeit ebenfalls.“

Die Zusammenkunft der Magier verschiedenster Völker war so heiter, wie das Raka-Kränzchen eines Stadt-Ashakis. Asara spürte, wie sich die allgemeine Stimmung auf sie übertrug. Die Anspannung hatte sich mit dem Einstellen der Kämpfe verflüchtigt und war einer irren Heiterkeit gewichen, die selbst den Verlust ihrer Schwestern für eine Weile erträglich machte.

Oder es ist nur eine seltsame Art, ihn zu verarbeiten.

Der schöne Gildenmagier – Dannyl – rieb sich die Hände. „So wie ich das sehe, haben wir mit dieser Schlacht die besten Voraussetzungen geschaffen, um diesen Krieg doch noch zu einem für alle akzeptablen Ende zu bringen.“

***


Und im nächsten Kapitel finden dann Aufräumarbeiten und erste neue Verhandlungen statt …


Fragen zum Kapitel

Wie fandet ihr die Schlacht? Was waren eure persönlichen Highlights und wo seid ihr beim Lesen fast gestorben?

Habt ihr damit gerechnet, dass Dannyl bis zum bitteren Ende versucht, Arikhai von der Wahrheit zu überzeugen? Wie schlägt er sich dabei?

Bei den Tests der Schilddiebe im Steinbruch gab es einige Verständnisfragen. Hat sich das mit der Schlacht geklärt?

Habt ihr damit gerechnet, dass Sarkaro überläuft?

Wie gefällt euch der Ausgang der Schlacht? Habt ihr damit gerechnet?
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