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Die Bürde der schwarzen Magier III - Das Heiligtum von Yukai

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P18 / Mix
Hoher Lord Akkarin Lord Dannyl Lord Dorrien Lord Rothen Regin Sonea
02.08.2016
04.06.2019
56
813.938
87
Alle Kapitel
290 Reviews
Dieses Kapitel
6 Reviews
 
17.04.2018 14.366
 
Hallo ihr Lieben! In diesem Kapitel passiert etwas, das ihr sicher schon lange herbeisehnt. Hm, wenn ich so darüber nachdenke, sind es sogar zwei Dinge (glaube ich, bei dem einen bin ich mir nicht ganz sicher) ;)

Herzlichen Dank an Emmi, Sabrina Snape, Black Glitter und Lady Alanna für die Reviews zum letzten Kapitel und für die neuen Empfehlungen <3

Bevor es losgeht, habe ich noch ein kleines Anliegen an euch: Ich weiß, das hat nicht direkt hiermit zu tun, aber ihr hättet damit die einmalige Chance, an etwas richtig Coolem mitzuwirken. Denn ich suche umgehendTestleser für mein englisches Projekt. Vorzugsweise Personen, mit sehr guten Englischkenntnissen, weil es dabei in erster Linie um sprachliche Korrekturen geht. Mehr dazu findet ihr in der Ausschreibung auf meinem Blog.

Mein derzeitiges Team an Testlesern für die „Königsmörderin“ (Fortsetzung von Yukai) könnte außerdem auch noch einen oder zwei Leute als Verstärkung gebrauchen :)

Falls ihr mich unterstützen wollt, meine Geschichten zu verbessern und dazu beizutragen, dass sie richtig, richtig gut werden, bitte meldet euch! Ihr helft mir damit sehr!




***




Kapitel 44 – Am Vorabend der Schlacht



Mit der Rückkehr in die Berge mischte sich eine angenehme Kühle in die sommerliche Hitze der sachakanischen Ödländer. Zugleich wurde ihre Reise trotz der ausgebauten Straße unter ihren Füßen nun wieder beschwerlicher. Sonea begrüßte die Veränderung nichtsdestotrotz. In den Bergen waren sie besser vor unerwünschten Blicken geschützt und dank der Straße kamen sie schneller vorwärts. Nach allem, was sie von Nirili und Tylava wusste, war die Armee der Duna und Imperialisten einen Tag hinter ihnen. Die Magier, die Ishaka und Asara für ihre Sache vereint hatten, waren einen halben Tag hinter ihren Feinden. Der gewagte Plan, an dessen Umsetzung die Rebellen, die von Divakos Leuten zu ihnen übergelaufen waren, tatkräftig mitgewirkt hatten, konnte noch immer schiefgehen.

Wenn sie den Rückstand nicht während des Aufstiegs aufholen, werden wir das Fort lange verteidigen müssen, dachte Sonea, als die mächtigen Mauern erstmals in Sicht kamen. Sie war unsicher, ob der Plan wirklich so gut war. Wenn sie scheiterten, dann hatte die Gilde mutwillig herbeigeführt, was sie seit mehr als zwei Jahren zu vermeiden suchten. So unzerstörbar das Fort wirkte, hatte es Schwachstellen, die sie besonders schützen mussten. Selbst die Felswände würden einem magischen Angriff nicht ewig standhalten. Doch von allen möglichen Optionen war diese die beste gewesen. Divako und die Duna würden Kyralia früher oder später angreifen.

Der Anblick des massiven Bauwerks erfüllte Sonea jedoch auch mit Erleichterung. Sie waren zuhause.

„Ah, was freue ich mich auf ein Bad und frische Roben!“ Dannyl glitt aus seinem Sattel und nahm das Pferd bei den Zügeln. „Und auf etwas Ordentliches zu essen!“

Sonea tat es ihm gleich. Die Straße war zu steil geworden, um mit erschöpften Pferden darauf zu reiten und sie wären auf deren Rücken nicht viel schneller als zu Fuß gewesen. „Nicht nur du“, murmelte sie sich fragend, ob man ihnen wirklich Roben zum Fort geschickt hatte, nachdem sie gezwungen gewesen waren, ihr Gepäck in Yukai zurückzulassen.

„Gegen ein Bad hätte ich auch nichts einzuwenden“, bemerkte Nirili.

Die Verräterin hatte als Einzige von ihnen ein paar Sachen zum Wechseln aus Yukai mitgebracht. Allerdings hatten sie und ihre Schwestern den Tempel nicht fluchtartig verlassen müssen. Sonea brauchte sie nur anzusehen, um zu wissen, wie wenig begeistert die andere Frau ob der Vorstellung war, Roben zu tragen, selbst wenn es nur vorübergehend wäre. Aus irgendeinem ihr unerfindlichen Grund hegten die Verräter eine tiefe Abneigung gegen jede Form von Kleidung, die in irgendeiner Form an Kleider erinnerte. Tylava wirkte ob dieser Vorstellung sogar noch weniger erfreut.

Auch Sonea verlangte es nach einem Bad, frischen Roben und einer Nacht in einem richtigen Bett. Nichts davon war jedoch dafür verantwortlich, dass sich jede Faser ihres Körpers danach sehnte, das Fort zu erreichen. Gegenüber ihm verlor alles andere an Bedeutungslosigkeit.

Nach einem zweistündigen Gewaltmarsch flachte die Straße endlich ab und die Mauern des Forts ragten in nur wenigen Dutzend Schritten Entfernung vor ihnen auf, hoch und drohend für jeden, der Kyralia unbefugt betreten wollte. Ein empfindlich kalter Wind blies von den umliegenden Gipfeln hinab und trocknete ihren Schweiß.

Vor den Toren warteten mehrere Männer in roten Roben. Als Sonea und ihre Begleiter näherkamen, löste sich einer aus der Gruppe und schritt auf sie zu.

„Auslandsadministrator Dannyl, Lady Sonea, Nirili von den Verrätern – und Tylava von den Rebellen“, grüßte er und neigte respektvoll den Kopf. „Willkommen in Kyralia.“

„Ich danke Euch, Captain Eril“, erwiderte Dannyl.

„Bringt Ihr Neuigkeiten aus Sachaka?“

„Wir haben einen Tag Vorsprung vor der feindlichen Armee“, antwortete Sonea. „Doch dieser kann sich noch vergrößern oder verkleinern, je nachdem wie sie mit der Steigung zurechtkommen und ob sie die Nacht durchmarschieren.“

Eril nickte. „Und unsere … Verbündeten?“

„Sind kurz hinter ihnen.“ Sonea nahm einen tiefen Atemzug. „Ist der Hohe Lord bereits eingetroffen?“

„Euer Mann ist noch einige Stunden entfernt. Sein Quartier ist jeodch hergerichtet und bezugsfertig.“

„Ich danke Euch“, erwiderte Sonea. In den letzten Tagen hatte sie Akkarin nur in dringenden Fällen gerufen. Er war damit beschäftigt gewesen, Vorbereitungen zu treffen und die Magier zu organisieren. Und selbst während seiner Reise zum Nordpass hatte er seine verschiedenen Blutjuwelen kontrolliert, Informationen erhalten und weitergeleitet. Vieles davon lief über Nachiri und die Krieger am Südpass, anderes über die Krieger am Fort. Sonea fand, es genügte, wenn sie ihn mit Neuigkeiten von Nirili oder den Rebellen behelligte.

Der Captain wandte sich zu Dannyl und den beiden Sachakanerinnen. „Wir haben auch für Euch Quartiere bereitgestellt.“

„Das ist sehr freundlich von Euch, Captain Eril“, erwiderte Dannyl.

„Wir stehen in Eurer Schuld, Captain Eril von den Gildenmagiern“, fügte Nirili hinzu, während Tylava nur grimmig nickte.

Der Captain machte eine Bewegung mit der Hand, woraufhin zwei Krieger vortraten und ihnen die Pferde abnahmen. Er bedeutete Sonea und ihren Reisegefährten, ihm ins Fort zu folgen. Sie durchquerten den nun vertrauten Tunnel und den Hof und stiegen mehrere Treppen empor, bis sie den Flur erreichten, auf dem die höheren Magier residiert hatten, als Sonea mit Akkarin zwei Jahre zuvor aus Sachaka zurückgekehrt war.

„Wir sehen uns später“, sagte Dannyl, als sie vor seiner Tür haltmachten. Die beiden Sachakanerinnen waren bereits in ihren Zimmern verschwunden. Offenkundig waren sie wichtig genug, dass man sie hier ebenfalls einquartiert hatte.

Sonea nickte. „Genieß dein Bad.“ Sie wandte sich zu Captain Eril. „Informiert mich, sollte sich etwas Wichtiges tun. Bis zur Ankunft des Hohen Lords wünsche ich, in allen anderen Fällen nicht gestört zu werden.“

„Sehr wohl, Lady Sonea“, erwiderte Eril mit einem Anflug von Furcht.

Amüsiert schritt Sonea zu der Tür am Ende des Flures, hinter der das Quartier lag, das stets für den Hohen Lord reserviert war.

Das Zimmer weckte Erinnerungen. Daran, wie seltsam sie sich gefühlt hatte, als sie es vor fast zwei Jahren zum ersten Mal betreten hatte. In ihren sachakanischen Kleidern und dem exotischen Schmuck hatte sie sich zurück bei den Magiern völlig fehl am Platze gefühlt. Die Robe und die Stiefel waren nach einem halben Jahr leichter Bekleidung indes nicht besser gewesen. Aber in diesem Zimmer hatte Akkarin sie auch gefragt, ob sie wieder seine Frau sein wollte – oder noch immer, wie er sich ausgedrückt hatte.

In der Mitte des Zimmers war eine mit Wasser gefüllte Wanne aufgestellt. Sonea streckte ihren Willen danach aus und erhitzte das Wasser. Rasch entledigte sie sich Stiefel und Robe und löste die Flechten aus ihren Haaren, dann ließ sie sich in das nun dampfende Wasser gleiten. Nach Wochen des Reisens, in denen sie sich nur an dem gelegentlichen Tümpel gewaschen hatte, war das eine wahre Wohltat. Sonea spürte, wie sich ihre Muskeln entspannten. Sie griff erst nach der Seife, als ihr das Wasser zu heiß wurde.

Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, rollte sie sich unter den Decken in dem großen Bett zusammen. Endlich wieder in einem richtigen Bett liegen!, dachte sie. Das Reisen hatte sie erschöpft und sie hatte wiederholt von ihrer Magie Gebrauch gemacht, um sich zu heilen. Für den Augenblick versuchte sie nicht daran zu denken, dass ihr am nächsten Tag eine Schlacht bevorstand, bei der sie vielleicht sterben würde.

Aber bis jetzt habe ich überlebt … Ihre Hand fuhr zu ihrem Unterbauch. Haben wir überlebt, korrigierte sie sich.

Sie streckte ihren Geist nach dem winzigen Wesen in ihr aus und führte ihre tägliche Untersuchung aus. Hätte Lady Vinara ihr nicht damals bei Lorlen gezeigt, wie sie unerwünschte Blutungen und andere Warnsignale von Überanstrengung stoppen konnte, hätte ihr Baby die Reise möglicherweise nicht überlebt. Jetzt, wo es sich beinahe so anfühlte, als wäre sie wieder zuhause, drohten die Schuldgefühle Sonea zu überwältigen. Einzig der Magie und ihrer Kenntnis darüber hatte sie zu verdanken, dass sie ihr Kind nicht verloren hatte. Und obwohl sie darüber erleichtert war, konnte sie nicht aufhören, sich für eine schlechte Mutter zu halten.

„So ein Unsinn!“, sagte sie dann laut. Wenn sie die Wahl zwischen einem Leben und vielen hatte, würde sie immer die vielen Leben wählen. Sie war mit Dannyl nach Yukai gereist, damit der Krieg endlich ein Ende fand und niemand mehr deswegen sterben musste. Dass die Verhandlungen ausgerechnet durch ihre Verbündeten scheitern würden, hatte niemand ahnen können.

Wenn das hier vorbei ist, werde ich mich keiner Gefahr mehr aussetzen, bis dieses Kind geboren ist, schwor sie sich. Am besten, ich setze mich überhaupt keinen Gefahren mehr aus, bis beide alt genug sind, um ohne mich auszukommen.

Das nächste, was Sonea mitbekam, war wie jemand an ihre Tür klopfte. Mit einem Stöhnen setzte sie sich auf. Das durch die Papierblenden fallende Licht war dunkler und goldener geworden – es musste früher Abend sein.

„Einen Augenblick!“, rief sie und erhob sich. Ihre Sinne drohten zu schwinden, doch nachdem Sonea mehrere tiefe Atemzüge getan hatte, klärte sich ihr Kopf. Sie trat zum Schrank und betrachtete seinen Inhalt. Mehrere kurze schwarze Roben mit roter Schärpe hingen darin, sowie ein blank geputztes Paar Stiefel. Erfreut streifte sie eine der Roben über und schlüpfte in die Stiefel. Dann streckte sie ihren Willen nach der Tür aus.

Draußen stand ein Diener des Forts. „Der Hohe Lord trifft gleich ein, Mylady“, teilte er ihr mit und verneigte sich.

„Danke“, sagte Sonea. „Ich werde ihn im Hof empfangen.“

Als Sonea in den Hof trat, stockte ihr für einen Moment der Atem. Die untergehende Sonne tauchte den Himmel im Westen in ein Flammenmeer aus Rot und Orange, während der Rest in ein unheilvolles Braun getaucht war. Einen tiefen Atemzug nehmend, wandte sie den Blick zum Tunnel.

„Und ich dachte schon, ich wäre zu spät“, erklang eine vertraute Stimme neben ihr.

Sonea wandte den Kopf. Dannyl hatte sich rasiert und eine frische Robe angelegt. Sein Haar war gewaschen, gekämmt und zurückgebunden.

„Ich sehe, du hast dich herausgeputzt“, bemerkte sie.

Dannyl lachte. „Wozu sollte ich das nötig haben?“

Sie verkniff sich ein Lächeln, dann beschleunigte sich ihr Puls, als das Donnern von Hufen lauter wurde.

Eine Schar Magier, bis auf einige Heiler und Alchemisten allesamt Krieger, ritt aus dem Tunnel, angeführt von einem Mann in schwarzen Roben, die wie ein Schatten hinter ihm wallten. Soneas Herz machte einen Sprung. Selbst auf dem Rücken eines Pferdes wirkte er absolut ehrfurchtgebietend.

In der Mitte des Hofes hielten die Reiter an und saßen ab. Diener eilten herbei und führten die Pferde in die Ställe. Sonea nahm dies jedoch nur am Rande war. Ihre Aufmerksamkeit galt einzig Akkarin, der sich in einer eleganten Bewegung aus dem Sattel schwang. Sie hatte geglaubt, nicht ein einzelnes Detail von seiner Erscheinung vergessen zu haben. Jetzt, wo sie ihn sah, kam es ihr jedoch vor, als sehe sie ihn zum ersten Mal.

Etwas stieß unsanft in ihre Seite. Sonea löste sich aus ihrer Starre und eilte, so schnell es ihr ohne zu rennen möglich war, auf ihn zu. „Hoher Lord“, sagte sie und neigte den Kopf. „Willkommen im Fort.“

„Sonea“, sagte er. „Wie geht es dir?“

„Gut“, antwortete sie. „Es tut gut, Euch zu sehen.“

„Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.“

Sonea lächelte. „Ich habe nichts anderes erwartet.“

Akkarins Augen bohrten sich in ihre. Sich seltsam ertappt fühlend sah sie zu Boden.

„Sonea.“ Das kühle Leder seines Handschuhs berührte ihr Kinn und hob es, bis sie ihn ansah. „Ist alles in Ordnung?“

Sie nickte nur. Alles in ihr schrie danach, sich in seine Arme zu werfen und das Gefühl seines Körpers gegen ihren geschmiegt zu genießen. Im Beisein anderer Magier wäre das jedoch unangemessen gewesen. Doch selbst im Privaten war Akkarin oft so ehrfurchtgebietend, dass Sonea es bereitwillig ihm überließ, die Distanz zwischen ihnen zu überwinden.

„Wo sind die Sachakaner?“, polterte Balkan neben ihm.

„Werden nicht vor morgen früh hier eintreffen“, antwortete Sonea.

„Und die Verräter?“

„Nach meinen letzten Informationen sind sie einen halben Tag hinter unseren Gegnern.“ Sie wandte sich um und wies zum Eingang des Hauptgebäudes. „Für genauere Informationen müsst Ihr Nirili und Tylava fragen. Die beiden sollten zudem Gelegenheit bekommen, sich zu stärken.“

Die beiden Sachakanerinnen hatten sich zu Dannyl gesellt und verfolgten die Ankunft der Gildenmagier mit mildem Desinteresse. Unter all den Gildenmagiern wirkten sie so fehl am Platz, dass sie ihre Feindschaft darüber offenkundig vergessen hatten.

„Dann sollten wir uns bald beraten, wie wir sie empfangen.“ Balkan nickte zu einigen Kisten, die Diener gerade im Hof stapelten. „Lord Rothen hat uns mit reichlich Schildsenkern und den neuen Schilddieben versorgt.“

„Ich habe die Magie von einhundertdreißig Gildenmagiern und Novizen über die vergangenen Wochen hinweg genommen“, fügte Akkarin hinzu. „Außerdem habe ich zwei der Speichersteine von damals dabei. Und zwei wilde. Weitere Speichersteine sind für die Krieger vorgesehen.“

Soneas Reisegefährten waren mit Captain Eril nähergekommen. Höflichkeitsfloskeln wurden ausgetauscht, Nirili versprach Balkan detaillierte Informationen über die Position ihrer Verbündeten und Captain Eril gab einen kurzen Bericht über den Status des Forts. Und Sonea wünschte sich nichts sehnlicher, als mit Akkarin alleine zu sein, und ihn endlich angemessen zu begrüßen.

Sie betrachtete ihren Mann. Nachdem sie wochenlang nur per Blutjuwel gesprochen hatten, war es ungewohnt, ihn wieder vor sich zu haben. Seit ihrem Aufbruch aus Imardin hatte er sich kein bisschen verändert; er sah aus wie immer – wenn nicht sogar besser. Nur ein Schatten auf seinen Wangen zeugte davon, dass er sich zuletzt vor einigen Tagen rasiert hatte. Als seine Augen ihren begegneten, senkte sie rasch den Blick.

Wie macht er das nur?

„Dieses Mal hast du dich nicht schnappen lassen, eh?“, riss sie eine feixende Stimme aus ihren Gedanken.

Sonea sah auf und erblickte einen jungen, gutaussehenden Krieger, der an Balkans Seite getreten war.

„Regin“, sagte sie eisig.

„Ich freue mich auch, dich zu sehen, verehrteste Sonea.“

Sonea funkelte ihn an. „Du bist ganz schön mutig, dich hier blicken zu lassen, so wie du dir immer die Roben nassmachst, sobald die Sachakaner am Horizont auftauchen, Regin.“

Lord Regin“, korrigierte er sie mit einem selbstgefälligen Grinsen.

„Dass du dich Lord nennen darfst, heißt noch lange nicht, dass du erwachsen bist“ gab sie zurück. „Deine kleinen ’Streiche’ haben sich bis nach Duna herumgesprochen.“

Regin reckte das Kinn vor und schwieg.

Sonea schüttelte den Kopf. Durch Akkarin hatte sie ein ziemlich umfangreiches Bild dessen, was sich während ihrer Abwesenheit in Imardin ereignet hatte, erhalten. Trassia hatte ihre Konsequenzen aus der ganzen Sache gezogen und selbst wäre es dabei nicht auch um Dorrien gegangen, hatte Sonea allein um ihrer Freundin Willen noch eine Rechnung mit Regin offen.

„Ich benötige eine Karte der Umgebung des Nordpasses und die Positionen unserer Gegner und Verbündeten“, sagte Balkan gerade zu Eril. „Die Verteidigung des Forts muss bis morgen früh stehen.“

- Will er das jetzt sofort besprechen?, sandte Sonea entnervt. Er ist gerade erst angekommen. Wir werden kaum die ganze Nacht brauchen, um einen Schlachtplan aufzustellen.

Insbesondere nicht dann, wenn Balkan und Akkarin verschiedene Strategien bereits unterwegs diskutiert hatten. Sonea war sicher, das hatten sie.

- Sonea, du kennst ihn doch.

„Wir hatten eine lange Reise“, sprach Akkarin. „Ich schlage vor, wir besprechen uns nach dem Abendessen.“

„Eine gute Idee“, stimmte Balkan zu. „Dann haben wir alle noch Gelegenheit, uns vor dem Essen frisch zu machen.“

Akkarin legte eine Hand zwischen Soneas Schulterblätter. „Führe mich zu unserem Quartier.“

„Natürlich, Hoher Lord“, erwiderte sie lächelnd.

Sie nickten Dannyl und den Kriegern zu und betraten das Fort. Während sie die Stufen emporstiegen, sprachen sie kein Wort. Alles, was Sonea ihrem Mann sagen wollte, hatte Zeit, bis sie für sich waren. Einiges davon sogar, bis das alles hier ausgestanden war.

„Ich hoffe, es ist alles zu Eurer Zufriedenheit, Hoher Lord“, sagte sie mit einem ironischen Lächeln, als sie ihr Quartier betraten.

Akkarin schloss die Tür hinter ihnen und Sonea spürte das kurze Vibrieren von Magie, als er diese mit einem magischen Schloss belegte und eine schalldichte Barriere darüber errichtete.

„Das werde ich jetzt herausfinden.“ Mit zwei Schritten war er bei ihr, seine behandschuhte Hand fuhr in ihren Nacken und beugte ihren Kopf zurück. Dann küsste er sie lange und verlangend.

Sonea schnappte nach Luft. All die Wochen, die sie sich nur per Blutjuwel unterhalten hatten, hatten sie nicht dafür entschädigen können. Wenn sie noch Zweifel an ihren Gefühlen gehabt hatte, so waren diese nun endgültig weggewischt. Voll Zuneigung legte sie die Arme um Akkarin und erwiderte seinen Kuss. Seine freie Hand fuhr ihren Rücken hinab und presste sie an sich. Obwohl es guttat, ihn endlich wieder zu spüren, konnte Sonea vor allem auch eines spüren: Verlangen.

Plötzlich ließ Akkarin von ihr ab. Bevor Sonea protestieren konnte, hatte er sie grob herumgedreht und schob sie zum Tisch. Seine Hand schloss sich erneut um ihren Nacken und beugte sie nach vorne. Ahnend, was er vorhatte, stützte Sonea sich mit den Unterarmen auf der Holzfläche ab. Dann spürte sie, wie seine Magie sie dort fixierte. Akkarin hob ihre Robe empor. Seine rechte Hand schob ihre Beine auseinander, dann strich das nun nicht mehr kühle Leder seines Handschuhs über ihren Schoß.

Sonea sog laut die Luft ein. „Nimm mich“, wisperte sie.

„Nein.“

„Dann küss mich dort.“

„Sonea, ich bin kein Yeel.“

„Aber …“, begann sie verständnislos. Er tat es doch auch …

„... um dich zu belohnen, richtig“, vollendete er ihre Gedanken. Sein Finger strich noch immer über ihren Schoß, spielten mit ihrem Schmuck und quälten sie. „Findest du, du hast das verdient?“

„Wir waren fast drei Monate getrennt.“

„Aber diese Zeit hat dich anscheinend auch deinen Gehorsam und Respekt mir gegenüber gekostet.“ Er schob den Finger in sie hinein. „Erwartest du, dass ich dich dafür belohne?“

„Nein, Hoher Lord“, brachte sie hervor unfähig, ihr Verlangen zu kontrollieren. „Ich hatte nicht vor, respektlos zu sein. Ich war gierig. Es tut mir leid.“

„Deine Entschuldigung ist akzeptiert, doch sie ändert nichts an meiner Entscheidung.“ Er zog seinen Finger zurück und fuhr damit ihre Gesäßspalte hinauf. Sonea hörte das Rascheln von Stoff. Dann stieß er in sie hinein. Ein Stöhnen unterdrückend legte sie den Kopf in den Nacken, doch bevor sie es wirklich genießen konnte, zog Akkarin sich wieder aus ihr zurück.

Und dann wusste sie, was er beabsichtigte.

„Nein, nicht da“, protestierte sie schwach.

„Sonea, keine Diskussion“, ermahnte er sie. Sein Finger fuhr erneut über ihr Gesäß. Unwillkürlich spannte sie sich an. Sie wollte ihn, aber nicht so. Nicht jetzt. Aber sie wusste auch, dass sie seinen Namen nicht sagen würde.

„Entspann dich.“

Bevor sie reagieren konnte, spürte sie wie seine Magie ihre Muskeln löste, dann glitt er mühelos in sie hinein. „Oh“, machte sie nur, bevor ihre eigene dunkle Seite sie überwältigte und sie es genoss, dass er sie so einfach seinem Willen unterwarf, und sie sich ihm widerstandslos hingab.

„Und jetzt leiste mir beim Baden Gesellschaft“, sagte er, nachdem er fertig war.

Soneas Schoß brannte noch immer vor Verlangen, weil er nicht gewillt gewesen war, sie zu belohnen, und sie ahnte, sie würde ihn erst wieder von ihrem Gehorsam überzeugen müssen, bevor er dazu bereit war. Sie wusste, sie hatte es nicht anders verdient, und obwohl sie es dieses Mal nicht darauf angelegt hatte, wollte sie es auch nicht anders.

Ganz besonders wollte sie ihn nicht anders.

„Ja, Hoher Lord“, erwiderte sie das plötzliche Unbehagen unterdrückend. „Ich denke, das könnten wir beide jetzt gut gebrauchen.“

Zu ihrer Erleichterung hatte Akkarin ihr bereits den Rücken zugekehrt und starrte auf die Wanne. Sonea sah, wie Dampf von der Wasseroberfläche aufstieg. Rasch trat sie hinter ihn und half ihm, sich zu entkleiden.

Während Akkarin seine Robe auf dem Bett zusammenlegte, beeilte Sonea sich, ihre Stiefel abzustreifen und in das heiße Wasser zu steigen. Sie unterdrückte ein Seufzen. Sie hoffte, dass es bald ausgestanden war. Es quälte sie, dieses Versteckspiel zu spielen, insbesondere seit sie endlich begonnen hatte, sich über das zweite Baby zu freuen. Akkarin etwas so Wichtiges zu verschweigen, war beinahe so schlimm, als würde sie ihn anlügen und sie verfluchte das grüne Juwel, das sie überhaupt erst zur Unaufrichtigkeit verführte.

Akkarin ließ sich ihr gegenüber ins Wasser gleiten. „Ich fürchte, wenn wir das hier überleben, müssen wir an deiner Erziehung arbeiten“, bemerkte er.

„Vielleicht hat mich die Gesellschaft der Verräter rebellisch gemacht“, gab Sonea zurück. Daran, dass sie die nächsten Tage vielleicht nicht überlebten, wollte sie gar nicht denken. Für den Augenblick wollte sie nur ihr Wiedersehen genießen und die Vertrautheit zwischen ihnen wiederherstellen. Mit Akkarin ließ sich alles so viel besser überstehen und sie erkannte, dass sie den Tod nicht fürchtete, wenn sie gemeinsam starben. Wenn wir sterben und ich ihm nicht gesagt habe, dass ich schwanger bin, ist es auch egal …

Sie griff nach einem Schwamm und tauchte ihn ins Wasser. „Oder es hat mit meiner Vergangenheitsbewältigung zu tun“, fuhr sie ein wenig ernster fort.

Akkarin runzelte die Stirn. „Du meinst, dass du damit gleich deine dunkle Seite mit bewältigt hast?“

Sonea beugte sich vor, wobei sie darauf achtete, bis über den Bauchnabel von Wasser bedeckt zu bleiben, und begann ihn zu waschen. „Ich hatte zumindest zwischendurch die Befürchtung.“

„Dann hättest du vorhin nicht so reagiert.“ Seine Hand hob ihr Kinn und Sonea begegnete seinen dunklen Augen. „Man kann Gewohnheiten ändern, Sonea. Aber nicht seine Natur.“

Und was ist meine Natur dann?, fragte Sonea sich. Das hier? Sie wusste, was die Sachakaner dazu sagen würden. Sie wusste, dass sie und Akkarin es wussten. Aber sie sprachen es niemals aus. Sie mochte ihn mit Hoher Lord ansprechen, doch ein Titel änderte nichts an dem, was sie waren.

Akkarin musterte sie nachdenklich. Dann nahm er ihr den Schwamm aus der Hand und zog sie in seine Arme.


***


In den höhergelegenen Stockwerken der Universität schien die Sommerhitze, die inzwischen in jeden Winkel des alten und mächtigen Gebäudes gedrungen war, noch unerträglicher als in den tieferen Etagen. Jetzt, am späten Nachmittag, war die größte Hitze des Tages abgeflaut. Die Brise, die durch die geöffneten Fenster in das Klassenzimmer wehte, brachte indes nur wenig Abkühlung.

Aber ein Lufthauch ist immer noch besser, als in einem stickigen Raum zu sitzen.

Sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn tupfend beobachtete Rothen, wie sein Novize mit konzentrierter Miene über einen komplizierten Aufbau von Reagenzgläsern, Kolben und Stangen gebeugt war, in denen unscheinbar aussehende, aber nicht minder gefährliche Flüssigkeiten blubberten und brodelten. Auch Farand litt unter der Hitze. Die elynischen Sommer, so hatte er Rothen einmal anvertraut, waren nicht weniger heiß, dafür jedoch leichter auszuhalten, weil die Luft trockener war als hier, wo das Wasser in der Mündung des Tarali die Stadt und das gesamte Umland nach nur wenigen Tagen in einen Dampfbad verwandelte.

Vielleicht wäre es besser gewesen, den Unterricht in das Kellerlabor zu verlegen, überlegte Rothen. Der Raum hatte ursprünglich seinem Schildsenker-Projekt gedient, das Sonea und Sarrin weiterentwickelt hatten. Jetzt, wo die neuste Produktion alchemistischer und schwarzmagischer Waffen beendet war, wäre der Raum eine gute Ausweichmöglichkeit gewesen. Allerdings lagerten dort nur die für die Schildsenker benötigten Chemikalien und Utensilien. Und Rothen verspürte kein Verlangen, bei dieser Hitze den für Farands Unterricht benötigten Teil des Alchemielagers vom dritten Stock in den Keller und anschließend wieder zurückzuräumen.

Während Farand an seinem Experiment arbeitete, ging Rothen die Prüfungsaufgaben für Viana durch. Nur gelegentlich stellte sein Novize eine Frage oder bat Rothen, seinen Fortschritt zu beurteilen und wenn, dann hatte Rothen nichts auszusetzen. So kurz vor den Abschlussprüfungen war nun auch Farand von der allgemeinen Nervosität der Novizen im fünften Jahr angesteckt worden.

„Das hast du sehr gut gemacht, Farand“, sagte Rothen, als es zum Unterrichtsende läutete. „Du brauchst dir wegen der Prüfungen keine Sorgen zu machen. Nicht, dass du überhaupt einen Anlass zur Sorge hättest.“

Farand schenkte ihm ein verlegenes Lächeln. „Ich danke Euch, Mylord. Es tut gut, das zu hören. Es ist nicht so, als wäre ich mit meinem Wissen unsicher, ich fürchte nur, während der Prüfung etwas Wichtiges zu vergessen.“

„Es ist absolut natürlich, nervös zu sein“, erwiderte Rothen. „Und das wissen die Prüfer. Solltest du in der Prüfung etwas vergessen, von dem die Prüfer wissen, dass du es weißt, wird sich das nicht negativ auf deine Note auswirken. Oft helfen sie dem nervösen Novizen dann sogar auf die Sprünge.“

Farands Miene hellte sich auf. „Das zu hören erleichtert mich ungemein!“

Rothen zog es vor, ihm zu verschweigen, dass es Lehrer gab, die dies anders sahen. Er würde selbst einer von Farands drei Prüfern sein und konnte im Ernstfall eingreifen.

Es bestand kein Zweifel, dass Farand in wenigen Wochen purpurfarbene Roben tragen würde. Seine Begabung für Alchemie würde ausreichen, selbst wenn er in den anderen beiden Disziplinen nur knapp bestand. Doch seine Noten in Heilkunst waren gut und die in Kriegskunst immerhin annehmbar. Allerdings hatte Farand den Ehrgeiz in seiner Alchemieprüfung einer der besten Absolventen seit Einführung dieser Disziplin zu werden, und es erfüllte Rothen mit großem Stolz, wenn er sah, wohin sich der nervöse und menschenscheue Elyner, dem er sich einst angenommen hatte, entwickelt hatte.

Das Gefühl von Wärme, das sich bei diesem Gedanken in seiner Brust ausgebreitet hatte, endete jäh, als er an seinen Sohn dachte. Jeder meiner Novizen hat mich stolzer gemacht, als mein eigener Sohn. So sollte es nicht sein. Bin ich ein so schlechter Vater oder waren meine Erwartungen zu hoch? Und warum muss ich retten, wo ich bei Dorrien versagt habe?

Wo Farand ein herausragender Schüler war, tat Viana sich schwer. Es war jedoch weniger mangelnde Lernbereitschaft, als der Verlust ihres Mentors, der ihr zu schaffen machte. „Ich weiß, dass ich je schneller ich lerne, umso schneller zurück zu Dorrien kann“, hatte sie Rothen einige Tage zuvor anvertraut. „Aber ohne ihn fühlt sich alles so sinnlos an.“

Und das war etwas, womit die Tochter eines Reberhirten offenkundig nicht umgehen konnte, obwohl sie alles andere als eine verhätschelte Novizin aus den Häusern war. Gegen Liebeskummer war niemand gefeit. Es war nicht lange bis zu den Prüfungen; für den Augenblick konnte Rothen nicht mehr tun, als dafür zu sorgen, dass Viana sie bestand. Danach würde er jedoch einen Weg finden müssen, damit sie die Freude an ihrem Studium wiederfand.

Mit einem Seufzen schob er seine Unterlagen und die damit verbundenen düsteren Gedanken beiseite. „Komm, Farand“, sagte er. „Ich helfe dir beim Abbau.“

Gemeinsam lösten sie die Reagenzgläser aus ihren Halterungen, spülten sie und entsorgten die Überreste der Chemikalien. Dann brachten sie die Utensilien zurück ins Lager. „Bis wann wünscht Ihr das Protokoll, Mylord?“, fragte Farand.

„Bis übermorgen genügt“, antwortete Rothen. Er hatte noch die Protokolle des letzten Versuchs seiner Klasse zu korrigieren und vorher würde er nicht dazu kommen, das seines Novizen zu lesen.

„Dann werde ich mir etwas mehr Zeit damit lassen.“

Rothen lächelte. „Tu das“, sagte er und belegte den Schrank mit den Chemikalien mit einem magischen Schloss. „Nicht, dass ich dich noch dazu anhalten müsste, sorgfältig zu arbeiten.“

„Das Projekt zur Begrünung der Ödländer“, begann Farand unvermittelt. „Ich hatte über das Lernen nicht mehr daran gedacht, aber nun, wo unsere Krieger gegen die Delegierten aus Yukai kämpfen, wird es wohl kaum noch dazu kommen, nicht wahr?“

Die Sachakaner! Der Kampf am Nordpass! In all den Prüfungsvorbereitungen und der Sommerhitze war es leicht zu vergessen, dass am Nordpass ein Kampf tobte – oder bald toben würde. Genaues wusste Rothen nicht, weil er noch keine neuen Informationen von Osen oder Akkarins Diener erhalten hatte. Farands Frage hatte ihm jedoch wieder ins Gedächtnis gerufen, was dies für die Gilde bedeuten konnte.

Insbesondere für Dannyl, Sonea und Akkarin.

Rothen würde von Takan erfahren, wenn die Schlacht vorbei war. Bis dahin war er allein mit seinen Sorgen und Ängsten. Und das nicht nur, weil drei Menschen, die ihm nahestanden, an der Schlacht teilnahmen und er vielleicht Lorlens Erziehung übernehmen musste.

„Diese Frage kann ich dir nicht beantworten, Farand“, sagte er. „Ob das Projekt umgesetzt wird, hängt vom Ausgang dieses Kampfes ab und davon, ob es Dannyl gelingt, die Situation zu deeskalieren.“

„Aber Auslandsadministrator Dannyl ist doch ein guter Diplomat“, wandte Farand ein. „Dass es in Yukai zum Kampf kam, ist nicht seine Schuld.“

„Es gibt Situationen, in denen selbst die beste Diplomatie wirkungslos ist“, sagte Rothen sanft. „Dannyl versucht sein Bestes. Wenn einer den Frieden herbeiführen kann, dann er.“

Insgeheim fragte Rothen sich jedoch, ob die Chancen seines Freundes wirklich so gut standen. Nach Yukai war das Verhältnis zu ihren Verbündeten und den Gegnern komplizierter denn je. Und auch das Verhältnis dieser Parteien untereinander hatte sich verkompliziert. Der Tod des Imperators hatte Sachaka gespalten, die Verräter galten bis auf einige Ausnahmen als nicht mehr vertrauenswürdig und die Zahl der wütenden Duna hatte sich vervielfacht.

Mit etwas Glück würde die Gilde diesen Angriff überstehen. Aber das Projekt würde vielleicht niemals zustande kommen. Rothen bedauerte das. Jedoch nicht so sehr, wie er es bedauern würde, wenn dieser Krieg weiterging.

„Lord Rothen?“

Rothen zuckte zusammen. „Ja?“

„Werdet Ihr mich über die Ereignisse am Nordpass auf dem Laufenden halten?“

Rothen betrachtete seinen Novizen, auf dessen Miene sich furchterfüllte Neugier spiegelte. Wäre es nach ihm gegangen, hätte Farand sich nicht mit Sorgen jenseits seiner Prüfungen belastet. Zugleich wusste er jedoch, wie quälend Ungewissheit war. Auch Farand hatte Freunde in der kleinen Armee, die die Gilde zum Nordpass gesandt hatte.

„Ja“, sagte er daher. „Das werde ich.“


***


Nachdem sie das Abendessen beendet hatten, schob Lord Balkan mit einer lässigen Bewegung seiner Hand vier Tische in der großen Halle zusammen. Jetzt befanden sich darauf eine Karte von der Umgebung des Forts und eine Vielzahl von Kyrima-Figuren, die Gildenmagier sowie feindliche und verbündete Armeen darstellten.

Auf der Karte sieht die Situation weniger schlimm aus, als sie ist, dachte Dannyl, die Figuren der Sachakaner und Duna betrachtend, trocken. Während die Bedrohung auf ihrer Reise noch nicht greifbar gewesen war und die Wahrheit über Savedra und sein Bestreben, das Fort bald zu erreichen, sein Denken beherrscht hatten, verspürte Dannyl nun eine wachsende Unruhe. Die feindliche Armee würde in weniger als einem Tag das Fort erreichen und sie wussten nicht, ob ihre Verbündeten rechtzeitig zu ihnen aufschließen würden.

„Meine Krieger haben in den letzten Tagen die Gegend auf der sachakanischen Seite erkundet“, sagte Captain Eril gerade. „Sie haben mir noch einmal bestätigt, dass das Gelände über Meilen unpassierbar ist, sofern man nicht über die Straße zum Fort kommt. Im vergangenen Winter gab es einige Unwetter, die Gesteinslawinen ausgelöst haben. Was bis dahin mit viel Mühe begehbar war, ist es nun garantiert nicht mehr.“

„Das zwingt unsere Gegner die Straße zu nehmen“, murmelte Balkan. „Ich würde vorschlagen, wir versuchen unseren alten Trick und lassen die Felswände an einer engen Stelle mit einem wilden Speicherstein einstürzen, wenn unsere Feinde dort entlang kommen. Selbst, wenn sie inzwischen darauf vorbereitet sind, wird sie das einen guten Teil ihrer Magie kosten.“

„Ich werde Asara vorwarnen“, sagte Nirili.

Das Oberhaupt der Krieger nickte grimmig. „Gut. Wie groß ist ihr Abstand zu den Duna?“

Die Verräterin schwieg eine Weile. „Sie und Ishaka werden die anderen bis morgen früh einholen“, sagte sie dann. „Vorausgesetzt, Divako und Arikhai ziehen in der Nacht nicht weiter.“

„Und was, wenn nicht?“, fragte Dannyl.

„Dann wird Asara zur Sklaventreiberin“, antwortete Nirili trocken.

Trotz des Ernstes der Situation konnte Dannyl sich das Lächeln nicht verkneifen. Die Vorstellung, wie Asara die Ashaki durch die Ödländer scheuchte, war nur allzu erheiternd.

„Nach unseren früheren Erfahrungen mit den Sachakanern sollten wir damit rechnen, dass sie die Nacht über durchmarschieren“, sagte Balkan. „Also sollten wir uns auf einen Angriff im Morgengrauen einstellen.“

„Den Duna wäre das ebenfalls zuzutrauen“, sagte Tylava. „Was das Zurücklegen langer Strecken angeht, sind sie ähnlich ausdauernd wie wir.“

Stirnrunzelnd betrachtete Sonea die Karte, wobei sie so finster wirkte, wie ihr Mann. „Captain Eril, wie lange kann das Fort einem Angriff standhalten, wenn es uns gelingt, die Tore zu schützen?“, fragte sie.

„Der Fels der Mauern ist sehr dick, unter permanenten, starken magischen Angriffen würden jedoch Gesteinstrümmer herausgelöst. Seit der Invasion der Ichani verstärken wir ihn daher regelmäßig mit unserer Magie. Bei einer ganzen Armee von schwarzen Magiern …“, Eril hob die Schultern, „wären die Mauern in weniger als einer Stunde zerstört. Da wir unsere Gegner ablenken werden, bleiben uns vielleicht zwei Stunden.“

„Die Zahl unserer Gegner beträgt mehr als zweihundert Duna, die sehr viel Zeit hatten, sich zu stärken und an die einhundert Ashaki“, sprach Balkan. „Die Straße ist jedoch gerade breit genug für drei Reiter oder fünf Wanderer nebeneinander. Die vorderen Reihen werden gegen unsere Leute kämpfen und versuchen, das Tor zu zerstören, die übrigen werden ihre Magie aufsparen.“

„Aber dann können wir sie doch ganz leicht von oben angreifen.“ Sonea deutete auf ein Stück Straße unterhalb des Forts. „Die rechte Flanke der Berge ragt hier steil empor. Es gibt jedoch einige Vorsprünge, auf denen man stehen kann. Von dort kann man Schildsenker werfen, ohne dass unsere Gegner es mitbekommen. Ein Hagel Phiolen über die Sachakaner und die Duna verteilt, ein paar gezielte Angriffe …“, sie hielt inne. „Haben wir genug Speichersteine, dass die betreffenden Krieger sich schützen können?“

„Wir haben mehr Speichersteine mitgenommen, als wir brauchen“, sagte der Hohe Lord. Er und Sonea tauschten einen kurzen Blick. Soneas Augen, die wenig zuvor noch erstrahlt waren, verloren ein wenig ihres Glanzes.

Haben sie sich gestritten?, fragte Dannyl sich. Er schüttelte den Kopf. Er konnte sich nicht vorstellen, wie Sonea und Akkarin sich jemals ernsthaft streiten sollten. Vielleicht hat sie es ihm gesagt. Sie würde nicht in die Schlacht gehen wollen und ihm das verschweigen und ihr Mann würde nicht erfreut reagieren. Nein, dachte er dann. Sie ist glücklich, weil sie endlich wieder vereint sind. Aber sie verschweigt es ihm.

Er konnte es an der Verstohlenheit in ihrem Blick erkennen.

„Das würde bedeuten, dass wir ihnen erheblichen Schaden zufügen, bevor die Verstärkung eintrifft?“, folgerte er.

„Richtig.“ Balkan wies auf einen weiteren Punkt auf der Karte auf der Straße in Richtung Ödländer. „Und wenn wir diese Schlucht über ihnen zerstören, haben wir einen weiteren Vorteil.“

„Werden sie dann nicht mit einem weiteren Angriff dieser Art rechnen?“

„Ja“, antwortete Sonea. „Aber das gereicht uns zum Vorteil. Sie werden ihre Schilde verstärken, was sie zusätzlich Magie kosten wird.“

„Wenn wir den Kriegern genug Magie geben, um sich zu schützen und ihnen ausreichend Zeit bleibt, sich auf die Felskante zurückzuziehen, könnten sie mit den starken Schildsenkern einige Sachakaner direkt töten“, überlegte Regin.

„Ist das nicht ein wenig leichtsinnig?“, fragte Dannyl.

„Nicht leichtsinniger, als diese Schlacht überhaupt zu kämpfen.“

Dannyl entschied, sich die passende Antwort zu sparen. Nach Regins neustem Streich, der Dorrien und Rothen gleichermaßen zugesetzt hatte, konnte er keine diplomatischen Worte für den jungen Krieger finden.

„Wären wir nicht so hoffnungslos unterlegen, würde ich mich dafür aussprechen, unsere Gegner kampfunfähig zu machen, anstatt sie zu töten“, sagte er. „Aber um überhaupt durchzuhalten, bis die Verstärkung eintrifft, werden wir um ihren Tod nicht umhinkommen.“

„Ja“, sagte Sonea bedauernd. „Das wird sich leider nicht vermeiden lassen.“

„Es wäre möglich, einige Gegner mit den Schilddieben anzugreifen und dann mit Betäubungsschlägen kampfunfähig zu machen“, überlegte Akkarin.

Sonea sog hörbar die Luft ein. „Und während sie versuchen, die Kontrolle über ihren Körper zurückzuerlangen, nehmen wir ihre Magie, aber lassen sie am Leben.“

„Genau.“

„Damit wäre meine Strategie überflüssig“, bemerkte Regin.

„Nein“, sagte Balkan. „Diese Armee hat die Absicht, uns zu töten. Und damit sind wir gezwungen, sie ebenfalls zu töten. Wir werden oft vielleicht keine andere Wahl haben. Wir können nur versuchen, möglichst viele zu verschonen, um anschließende Verhandlungen zu erleichtern.“

„Er hat recht, Regin“, sagte Sonea. Sie schnitt eine Grimasse und fügte schnippisch hinzu: „Du bekommst also deine Chance, zu glänzen.“

„Wir wenden Eure Strategie an, wir müssen sie nur an die lokalen Bedingungen und unsere Absichten anpassen“, erklärte Balkan. „Betrachtet dies als Erweiterung.“

Besagte Strategie basierte auf einer Idee, die Lord Vorel bei seinem Kampf gegen eine Gruppe Ichani im Frühjahr gehabt hatte. Selbst, wenn es nicht Regin wäre, der diese Strategie weiterentwickelt hatte, wäre Dannyl nicht wohl dabei gewesen, etwas zu versuchen, was mehrere Krieger das Leben gekostet hatte. Doch anscheinend war in diesem Gelände ihre beste Option.

„Zwei meiner Schwestern, die die Straße bewachen, haben sich bereit erklärt, Eure Schildphiolen auf die Gegner zu werfen“, sprach Nirili. „Damit könntet Ihr Eure Magie für die Verteidigung der Tore aufsparen.“

„Sind sie vertrauenswürdig?“, fragte Balkan.

Zu Dannyls Erheiterung verdrehte die Verräterin die Augen. „Ich habe sie auf dem Weg hierher persönlich aufgesucht.“

Das Oberhaupt der Krieger nickte grimmig. „Gut. Damit setzen unsere eigenen Leute sich eines geringeren Risikos aus und können die beiden Gruppen unterstützen.“

Mit wichtigtuerischer Miene bewegte Regin zwei Figuren, die für die Verräter standen, auf die Straße.

„Werden die Verräter sich auch um die Schlucht kümmern?“, fragte Balkan.

„Das kann ich machen“, erbot sich Tylava. „Wenn ich ein Talent habe, dann anderen möglichst großen Ärger zu bereiten.“

„Meine Schwestern sollten diese Arbeit übernehmen“, widersprach Nirili. „Sie kennen das Gelände besser. Es genügt, wenn zwei von uns die Phiolen auf unsere Feinde werfen.“

„Das würde bedeuten, dass Gildenmagier helfen müssen“, wandte Tylava ein. „Und so wie ich das sehe, ist es für sie besser, im Rudel zu kämpfen.“

„Tylava hat recht“, sagte Sonea säuerlich. „Wir sollten keine Magier aus den Kampfgruppen abziehen, um Schildsenker zu werfen, wenn Verräter auf diese Weise sogar mehr Schaden anrichten können. Und Speichersteine schon gar nicht.“

Die Rebellin lächelte zähnebleckend. Sie sah zu Akkarin. „Gibt es etwas, das ich zu Euren wilden Speichersteinen wissen muss, Hoher Lord der Gildenmagier?“

„Nur, dass Ihr Euch an einem Ort befinden solltet, an dem die freiwerdende Magie Euch nicht direkt trifft“, antwortete Akkarin.

„Nun, das sollte nicht allzu schwer sein“, erwiderte Tylava mit ihrer arroganten Selbstsicherheit.

Dannyl missfiel diese Planung. Nach Yukai musste es einen anderen Weg geben. „Ich würde gerne versuchen, mit unseren Gegnern zu verhandeln, bevor wir sie angreifen“, sagte er. „Sie haben in Yukai auf mich gehört, möglicherweise hören sie auch jetzt auf mich.“

„Abgelehnt.“

Dannyl wandte den Kopf. Der Blick, mit dem der Hohe Lord ihn musterte, ließ ihn erschaudern.

„Ich verstehe Eure Beweggründe und würde Euch in jeder anderen Situation diese Chance geben, doch wir haben es mit mehr als zweihundert Duna zu tun, die außer sich sind, weil sie glauben, Ihr, Sonea und die Verräter hättet ihr Heiligtum zerstört.“

„Ich habe ein gutes Verhältnis zu Arikhai“, widersprach Dannyl. „Ich kann ihn davon abhalten, gegen uns zu kämpfen.“

„Bevor der Tempel zerstört wurde, hattest du das“, saget Sonea. „Die anderen Stämme werden zudem weniger zivilisiert sein als Arikhais Stamm.“

„Die Duna legen großen Wert auf Ehrenhaftigkeit“, sagte Dannyl. „In ihren Augen sind wir jedoch alles andere als das. Wenn sie erkennen, dass nicht wir für die Entweihung ihres Heiligtums verantwortlich sind, werden sie nicht mehr gegen uns kämpfen wollen, weil sie uns damit unrecht tun würden.“

„Dannyl.“ Sonea streckte eine Hand aus und legte sie auf seinen Arm. „Du hast meine absolute Zustimmung, was das betrifft. Aber du darfst dabei nicht vergessen, dass die Duna wütend sind. Sehr wütend. Deine Worte werden nicht helfen, solange ihr Zorn nicht verraucht ist. Es tut mir leid.“

„Es wäre uns allen lieber, wenn wir die bevorstehende Schlacht anders lösen könnten“, fügte Balkan ungewöhnlich mitfühlend hinzu.

Dannyl rang sich ein schiefes Lächeln ab. „Ich danke Euch, Lord Balkan.“ Tief in seinem Herzen wusste er, dass die anderen recht hatten. Es änderte jedoch nichts daran, dass er Yukai als Niederlage sah.

Du bist eine Enttäuschung, flüsterte die Stimme aus seiner Vergangenheit. Du hast es verbockt.

Das habe ich nicht!, dachte er ärgerlich. Ich habe einige Ashaki für uns gewonnen. Und ich habe gute Beziehungen zu den Duna aufgebaut, die uns noch helfen können.

Trotzdem wollte das altvertraute Gefühl nicht weichen.

„Es spricht nichts dagegen, dass Ihr einen Versuch unternehmt, mit unseren Gegnern zu verhandeln, sobald sie das Fort erreichen“, sagte Akkarin. „Sonea und ich werden Euch Deckung geben. Sollte Euer Plan scheitern, so werdet Ihr Euch Balkans Gruppe anschließen.“

Dannyls Herz machte einen Sprung. Es würde nicht verhindern, dass zahlreiche Duna und Ashaki auf dem Weg zum Fort ihr Leben ließen, doch es verhieß Hoffnung. „Ich danke Euch, Hoher Lord“, sagte er.

Akkarin verzog kaum merklich das Gesicht. „Da Euer altes Blutjuwel in Yukai zerstört wurde, werdet Ihr zu diesem Zweck ein neues erhalten“, fügte er hinzu.

Dannyl nickte. Er würde darüber nicht nur mit Akkarin Rücksprache halten, es konnte ihm sogar das Leben retten.

„Nirili, weist Eure Beobachterinnen an, Euch regelmäßig Bericht zu erstatten“, hörte er Balkan sagen. „Ich will über jeden Schritt unserer Gegner informiert sein.“

„Ich leite es weiter.“

„Captain Eril, beordert die Krieger, die die Umgebung bewachen, bis auf die beiden am Pass zurück ins Fort“, fuhr das Oberhaupt der Krieger fort. „Der Aussichtsturm möge heute Nacht besetzt sein.“

Eril nickte. „Lord Balkan, ich werde mich darum kümmern.“

„Hoher Lord, habt Ihr irgendwelche Einwände oder weitere Vorschläge?“

„Nein.“ Akkarin starrte mit finsterer Miene auf den Schlachtplan. „Angesichts unserer Optionen sind wir bestmöglich auf die Schlacht vorbereitet. Ihren tatsächlichen Verlauf können wir dagegen nur bedingt beeinflussen.“

Balkan wirkte erleichtert. „Dann ist alles geklärt. Ich werde nun noch mit Eril über die Wachpläne sprechen.“

„Nun, dazu werdet Ihr mich und Sonea nicht brauchen. Wir werden uns zurückziehen.“

„Ich werde Euch auf den Laufenden halten.“

„Das wäre begrüßenswert.“

Über Balkans Gesicht huschte ein grimmiges Lächeln. „Gute Nacht, Akkarin.“ Er nickte Sonea zu.

„Ich werde mich auch zurückziehen“, erklärte Dannyl. „Damit ich morgen frisch und ausgeruht meine Kriegsdiplomatie einsetzen kann.“

Sonea lachte. „Das erspart uns ganz sicher den Kampf!“

Dannyl rang sich ein schiefes Lächeln ab. „Das wäre wünschenswert.“ In Wirklichkeit glaubte er nach Soneas Worten jedoch nicht mehr daran. Ihre Gegner waren wütend, Worte würden ihren Zorn nicht besänftigen.

Bei der Schlacht in der Ettkriti-Ebene habe ich mich sicherer gefühlt, dachte er. Aber damals hatte fast die gesamte Gilde gekämpft. Jetzt waren sie nur zwei große Kampfgruppen, vier schwarze Magier und er als Vermittler. Aber vielleicht fühle ich mich auch nur deswegen so verwundbar, weil wir gerade aus Yukai entkommen sind und ich nicht aufhören kann, das Scheitern der Konferenz und des Bündnisses mit den Verrätern als persönliche Niederlage zu betrachten.

Den Weg zu den Quartieren legten sie schweigend zurück und Dannyl ertappte sich dabei, wie er vermehrt seinen Gedanken nachhing. Wir sind besser vorbereitet als vor zwei Jahren, sagte er sich. Wir haben Waffen und eine Strategie, das Fort zu verteidigen. Wir können uns lange genug halten, bis Asara und die anderen eintreffen.

Und doch flüsterte eine leise Stimme in seinem Hinterkopf: Was, wenn es nicht so kommt und das morgen dein letzter Kampf wird?

Sei nicht albern, schalt er sich dann. Wenn das dein letzter Kampf wird, dann nur, weil danach endlich Frieden herrscht.

Mit einem Mal begriff Dannyl mehr denn je, wie viel von ihm abhing und die Furcht zu versagen wurde übermächtig.

Endlich erreichten sie den Korridor, auf dem ihre Quartiere lagen.

„Ich wünsche Euch und Sonea eine geruhsame Nacht“, sagte Dannyl zu den beiden schwarzen Magiern.

„Euch auch eine gute Nacht“, erwiderte Akkarin.

Dannyl streifte Soneas Handgelenk.

- Alles in Ordnung bei Euch?

Ihre Antwort war eine Projektion stillen Glückes.

- Du solltest es ihm sagen. Vor der Schlacht.

- Dann wird er mich nicht kämpfen lassen. Ich muss dabei sein, Dannyl.

Da war ihre Sturheit wieder. Gegen diese war selbst Akkarin machtlos, also brauchte Dannyl es gar nicht erst versuchen. Er unterdrückte ein Seufzen.

- Pass auf dich auf.

Sonea lächelte. „Dir auch eine gute Nacht, Dannyl.“

Akkarin bekundete seine Zustimmung, dann legte er eine Hand zwischen Soneas Schulterblätter und führte sie zu der Tür am Ende des Korridors.


***


Am Vortag hatten sie endlich die Berge erreicht. Voll Ungeduld hatte Asara mit ihren Begleitern in den Hügeln der Ettkriti-Ebene beobachtet, wie Divakos Leute und eine nicht gerade kleine Gruppe von Duna die Straße zum Pass nach Kyralia entlanggezogen waren. Mit den Ashaki, die Sarkaro aus seinem Abstecher in die Roten Hügel mitgebracht hatte, schienen ihre Chancen zusehends zu schwinden. Asaras Schwestern und Ishakas Anhänger waren erst in der folgenden Nacht eingetroffen.

Es behagte Asara nicht, ihre Gegner ungehindert ziehen zu lassen. Sie hatte jedoch den Informationen ihrer Leute indes vertraut, dass die Gildenmagier der vereinten Armee aus Imperialisten und Duna einen angemessenen Empfang bereiten würden. Ihre Ruhe hatte allerdings nicht lange angehalten. Die von ihr und Ishaka zusammengerufenen Magier hatten für Asaras Geschmack zu lange gebraucht, um aufzuschließen. Takiros Gejammer trug derweil nicht gerade zu einer Verbesserung ihrer Laune bei.

„Mein Pferd ist müde“, beklagte sich der Ashaki allenthalben. „Und ich bin es auch. Aber wenn wir Divako nicht rechtzeitig erreichen, werden sie die Gildenmagier töten und Kyralia einnehmen. Und dann ist auch unsere Sache verloren. Es war ein Fehler, sie nach Kyralia zu treiben. Dadurch werden sie nur stärker.“

„Ich habe Euch gewarnt, dass das passieren kann“, sagte Lenyaka. „Doch Ihr und die Gildenmagier habt auf einer Schlacht in den Bergen bestanden wie ein P’anaal-Weibchen, das seine Jungen verteidigt.“

„Als ich dem zugestimmt habe, wusste ich nicht, wie schwach unsere Leute nach dem Kampf gegen Sakori sein würden“, gab Takiro zurück. „Und die Verräter sind ebenfalls geschwächt, nachdem sie sich gegenseitig getötet haben.“

„Selbst, wenn es ein Fehler war – es ist zu spät, etwas daran zu ändern. Also hört auf zu jammern. Damit geht Ihr sogar Eurem Lustsklaven auf die Nerven!“

Asara unterdrückte ein Kichern. Für einen Augenblick begegnete sie dem Blick ihrer ehemaligen Schwester. „Weichling“, flüsterte Lenyaka und verdrehte die Augen.

„Unsere Leute halten die Stadt und die fruchtbaren Regionen“, versuchte Ishaka seinen Freund nicht zum ersten Mal zu beruhigen. „Divakos Anhänger sind allesamt hierher geeilt. Sollten wir nicht rechzeitig eintreffen, so werden die Gildenmagier sie mit ihren Waffen für uns erschöpfen. Wenn wir eintreffen, hätten wir ein leichtes Spiel mit ihnen.“

„Du hast doch die Duna gesehen, die Arikhai folgen“, sagte Takiro. „Das sind zu viele.“

Wenn wir alle diese Einstellung hätten, dann könnten wir uns auch gleich dem neuen Imperator Divako ergeben, dachte Asara säuerlich.

„Ich hätte dich nach Arvice schicken sollen“, sagte Ishaka zu seinem übellaunigen Begleiter, als die Sonne an ihrem zweiten Tag in den Bergen hinter eben diesen versank. „Der Palastmeister könnte dich dort gut gebrauchen, jetzt wo ohne Hakaro und alle kampffähigen Ashaki in der Stadt das Chaos auszubrechen droht.“

Asara biss sich auf die Unterlippe. Ich bin sicher, Ivasako hat die Lage bestens unter Kontrolle.

Lenyaka war derweil weniger kontrolliert und brach in lautes Gelächter aus.

„Ich wäre mindestens zwei Wochen unterwegs“, widersprach Takiro. „Und das ganz alleine.“

„Du könntest deine Sklaven mitnehmen.“

„Sklaven sind nicht da, um zu plaudern.“

„Aber um dich zu unterhalten.“

„Ich habe genug Sklaven in Arvice zurückgelassen, die helfen können. Es macht keinen Unterschied, ob ich die Befehle von hier aus gebe oder von zuhause.“

Nein, aber so hätten wir etwas mehr Ruhe.

„Außerdem haben wir durch mich eine gute Verbindung zur Stadt.“

Die haben wir auch durch Ivasako, dachte Asara. Und Ishaka wusste das auch.

Und auch sie hatte Leute in der Stadt, um Informationen zu sammeln und weiterzuleiten. Sah man einmal von Mivara ab. Nachdem sie ihre Schwestern gerettet hatte, hatte Tarko ihr Blutjuwel versteckt in ihrem Schmuck gefunden und es zerstört. Was dann passiert war, wusste Asara nicht und das machte sie rasend. Sie wusste, sie brauchte nur Ishaka zu fragen. Doch sie wollte sich nicht darauf verlassen, dass er ihr eine ehrliche Antwort gab. Und sie wäre dumm gewesen, dieses Thema so kurz vor der Schlacht zu forcieren, wenn sie zusammenarbeiten mussten.

Die Schuldgefühle waren überwältigend. Asara war mit dieser Mission nie vollständig einverstanden gewesen. Aber Mivara hatte, sich des Risikos wohlbewusst, darauf bestanden. Nichtsdestotrotz fiel es Asara schwer zu begreifen, dass der Mann, der so vernarrt in seine neue Bettsklavin gewesen war, diese getötet haben sollte, obwohl sie auch in seinem Sinne gehandelt hatte. Sie hatte Tarko für zivilisierter gehalten.

„Es ist deine Entscheidung, ob du bleibst oder nach Arvice reist und unsere Leute unterstützt und alles für unsere Rückkehr vorbereitest“, sagte Ishaka gerade zu Takiro. „Doch wenn du dich entscheidest zu bleiben, dann musst du mit unserer Reisegeschwindigkeit leben. Wir haben eine Armee einzuholen.“

Schmollend ließ Takiro sich ein wenig zurückfallen, um sein Pferd „ein wenig zu schonen“. Asara war jedoch sicher, dass nur ein wenig Zeit brauchte, um den Beleidigten zu spielen.

Er ist Saraki ziemlich ähnlich, bemerkte sie. Männer, die andere Männer begehrten, neigten auffällig häufig zu Dramatik. Auch Varako war so. Ob das einer der Gründe ist, warum ihre Natur von unserem Volk als Schwäche ausgelegt wird?, fragte sie sich. Nun, Belastbarkeit gehörte ganz eindeutig nicht zu Takiros Stärken, doch wenn sie ihn mit dem schönen Gildenmagier verglich, so war dieser in so ziemlich jeder Hinsicht das Gegenteil des geschwätzigen Ashaki.

Sie schlug Dannyl die Absätze ihrer Stiefel in die Flanken schloss zu Ishaka auf. „Wir sollten die Sklaven nicht bis zum Nordpass mitnehmen“, sagte sie leise. „Nehmt ein letztes Mal ihre Kraft und versteckt sie irgendwo abseits der Straße.“

Ishakas Augen blitzten zu dem Sklaven an Takiros Seite. „Ich muss Euch zustimmen. Allerdings sollten sie nicht schutzlos zurückbleiben.“

„Ich kann nicht zurückbleiben. Wenn jemand außer unserem Auslandsadministrator zu Arikhai durchdringen kann, dann ich. Und Ihr habt bereits viel bewegt. Euer Wort hat bei allen Parteien ein gewisses Gewicht.“

Der Ashaki hob eine Augenbraue. „Also Takiro dann?“

Statt einer Antwort lächelte Asara nur.

„Ich bin sicher, das wird ihn freuen“, sagte Ishaka trocken.

„Dessen bin ich gewiss“, erwiderte Asara liebenswürdig.

Was für eine Ironie, dass ich jetzt mit den Leuten zusammenarbeite, die ich vor einem halben Jahr noch infiltrieren wollte, dachte sie amüsiert. Und sie hören sogar auf mich.

Als das Glühen auf den umliegenden Berggipfeln verblasste, ließ Asara sich zurückfallen, bis sie die Verräter am Ende des Zuges erreichte. Asara hatte sie bewusst dort platziert. Nicht wenige Ashaki fühlten sich unwohl bei dem Gedanken, mehrere Dutzend schwarze Magierinnen in ihrem Rücken zu haben, und so trieben sie ihre Pferde umso bereitwilliger die Berge hinauf.

„Lässt du dich auch wieder einmal bei uns blicken?“, fragte die Verräterin, die neben Estara an der Spitze der Gruppe ritt.

„Es wird Zeit, ein paar Dinge zu besprechen, Varala.“

„Ich bin ganz Ohr, Liebes.“

„Irgendwann im Laufe des morgigen Tages werden wir den Nordpass erreichen. Und das hoffentlich direkt hinter Divako und Arikhai. Aber was, wenn sie bemerken, dass sie von einer ganzen Armee verfolgt werden?“

„Die Späherinnen berichten, dass unsere Feinde nur Späher vorausgeschickt haben, um zu erfahren, wo die Gildenmagier ihnen auflauern oder ob sie in einen Hinterhalt laufen.“ Varala unterdrückte ein Kichern. „Sie kommen nicht einmal auf die Idee, jemand könnte sie verfolgen. Ich glaube, sie denken, wir würden zurückbleiben, um Ishaka beim Aufbau seines Imperiums zu helfen und vorbereitet zu sein, wenn sie von ihrem Kyralia-Feldzug zurückkehren.“

Asara lächelte humorlos. „Das würde zu Divako passen.“ Für einen strategischen Berater war der Ashaki ausgesprochen dumm. Allerdings war Kachiro selbst ein hervorragender Stratege gewesen. Indem er Divako seinen alten Posten gab, hatte der Ashaki eine Aufgabe erhalten, bei der er nicht viel Unfug treiben konnte.

Arikhai war dagegen ein anderes Thema. Lenyaka und Beccari hatten ihn und Divako mit falschen Informationen versorgt und behauptet, Ishakas Leute waren zusammen mit den Verrätern so stark, dass die Duna sterben würden, wenn sie einen Angriff wagten, und diesen stattdessen eine Eroberung Kyralias schmackhaft gemacht, um sich vorab zu stärken.

„Ich wünsche trotzdem zwei von uns zusätzlich zu Ishakas Spähern vorauszuschicken und uns im Ernstfall zu warnen“, sagte Asara. „Divako ist relativ vorhersehbar, doch ich habe Arikhai als intelligenten und gerissenen Kriegsherrn kennengelernt. Zudem sind die Duna den Kampf im Gebirge nicht gewöhnt. Wir können nicht absehen, wie sie sich verhalten werden.“

„Ich werde Tivara und Estiri schicken“, antwortete Estara. „Sie wissen, wie man sich unauffällig in den Bergen verhält.“

„Ich wünschte, Nachiri wäre auch gekommen“, sagte Asara. Seit Ivaras Tod hatte ihre Schwester vom südlichen Pass nichts mehr von sich hören lassen. Allmählich begann Asara sich zu sorgen. Hatte Savedra herausgefunden, dass Nachiri an dem Informationsfluss innerhalb von Asaras kleiner Rebellion eine tragende Rolle spielte, und jemanden geschickt, um sie zu töten? Aber hätte Nachiri dann nicht noch einmal etwas von sich hören lassen?

Entschlossen schob Asara jeden Gedanken an Savedra und ihre Schwester beiseite. Nachdem die Hälfte der Verräter bei der Schlacht in den fruchtbaren Regionen durch die Hand ihrer eigenen Schwestern gestorben war, hatten die Überlebenden ihre Blutjuwelen von Savedra zerstört. Somit war Savedra von den weiteren Geschehnissen abgeschnitten. Asara nahm an, dass sich die Große Mutter sich mit ihren wenigen Anhängerinnen, die zu ihrem Schutz zurückgeblieben waren, in der Zuflucht verschanzt hatte. Mit diesem Problem würde sie sich befassen, wenn das hier vorbei war.

Und dann würde sie hoffentlich auch Zeit finden, um ihre Schwestern zu trauern.

„Ich bin sicher, Nachiri ist nur am südlichen Pass geblieben, um zur Stelle zu sein, sollte ein Teil der Imperialisten dort entlang kommen“, versuchte Varala sie zu trösten. „Ich weiß, sie bedeutet dir viel, Liebes.“

„Was, wenn ihr etwas zugestoßen ist?“ Da. Jetzt war es raus.

„Nachiri kann auf sich aufpassen.“

„Warum hat sie sich dann nicht gemeldet?“

„Vielleicht wegen Savedra. Sie steht im direkten Kontakt mit Nachiri. Es ist ihr vielleicht zu gefährlich, zu antworten oder ihren Posten zu verlassen.“

Das war eine Möglichkeit, die Asara noch nicht bedacht hatte. Vielleicht war die Erklärung so einfach. Sie hoffte, dass sie es war.

Sie ließ ihren Blick über die inzwischen nur noch als dunklere Silhouetten vor dem Nachthimmel erkennbaren schroffen Hänge der Berge schweifen. „Dafür, dass wir Savedra übergehen, funktioniert unser Informationsnetzwerk erstaunlich gut“, sagte sie. „Nur dass ich wünschte, wir würden alle nötigen Informationen früher bekommen.“

„Das wäre in der Tat gut“, stimmte Varala zu. „In einer Schlacht kann dies entscheidend sein. Aber wir haben gute Chancen, die anderen heute Nacht einzuholen, und dann wird die Frage der rechtzeitigen Informationen weniger wichtig sein.“

Asara nickte. Arikhai würde es nicht wagen, im Dunkeln durch die Berge zu ziehen. Erst recht nicht, wenn er von zahlreichen Magiern begleitet wurde, die die Wüste ihr Leben lang nicht verlassen hatten. Vielleicht, so überlegte sie, würde das ihnen sogar zum Vorteil gereichen.

„Tivara und Estiri sind unterwegs“, unterbrach Estara das Schweigen.

Mit einem dankbaren Lächeln wandte Asara sich ihrer Schwester zu. „Es ist gut, dass du auf unserer Seite bist.“

Das Weiß von Estaras Zähnen blitzte im Restlicht, das noch am Himmel verweilte. „Glaub mir, Liebes. Wenn mir oder eine der anderen, die gekommen sind, etwas missfällt, dann die Nichtachtung unserer Prinzipien.“

Asara nickte nur. Savedra war nicht die erste, aber die Letzte, von der sie eine solche Aktion erwartet hatte. Aber ihre leibliche Tochter war auch nicht anders. Sie hielt den Atem an, als ihr etwas bewusst wurde, was sie nie begriffen hatte. Hatte Savedra in Wirklichkeit ehrbare Prinzipien? Und rechtfertigte das, den Tod der eigenen Leute zu befehlen? Oder lag Verrat in der Familie?

Nun, sie würden es bald herausfinden. Ein Teil von Asara wollte noch immer an das Gute in ihrer Anführerin daran glauben, doch dieser Glaube schwand mit jedem Tag ein Stückchen mehr.

Neben ihr kam Estaras Pferd zum Stehen.

„Als hätte ich es gewusst!“, zischte die Verräterin.

„Was?“, fragte Asara.

„Divako und Arikhai werden die Nacht durchreiten.“

Asara erstarrte. Das veränderte alles. „Entschuldige mich“, sagte sie zu ihrer Schwester. „Es wird Zeit, den Limek zu spielen und unsere lieben Ashaki-Freunde wie verängstigte Harrel zu jagen.“


***


Ihrem Mann den Rücken zugedreht, streifte Sonea das Nachthemd, das mit ihren Roben aus Imardin gekommen war, über ihren Kopf. Unterhalb des aus feiner Spitze gearbeiteten Brustbereichs war es aus dunkler Seide, die leicht und kühl über ihre Rundungen fiel und ihren Bauch verbarg. „Balkan war heute ganz in seinem Element“, bemerkte sie, während sie unter die Decken schlüpfte. „Ich erinnere mich noch, wie du die Einsatzbesprechungen geleitet hast.“

„Damals waren wir noch unerfahrener, Sonea.“ Akkarin legte seine Robe zusammen und stieg zu ihr ins Bett. „Balkan ist ein ausgezeichneter Stratege. Er ist nicht auf meine Hilfe angewiesen.“

„Und doch sucht er deinen Rat und trifft keine Entscheidungen ohne deine Zustimmung.“

„Weil ich der Hohe Lord bin.“

„Und weil du mehr Erfahrung mit den Sachakanern und dem Kampf gegen sie hast.“

„Ich weiß, wie sie denken. Meine Erfahrung beruht jedoch fast ausschließlich auf dem Einzelkampf.“

Dennoch hätte die Gilde die Schlacht in der Ettkriti-Ebene ohne Akkarin nicht überlebt. Sonea verstand, dass er als Hoher Lord nicht für die Planung einer Schlacht zuständig war; das war die Aufgabe des Oberhauptes der Krieger. Im Gegensatz zu Garrel verstand Balkan seine Arbeit. Damals, zu Beginn des Krieges, hatte der König Akkarin das Oberkommando übertragen, weil die Planung der Schlacht andernfalls in endlose Diskussionen und Fehlentscheidungen ausgeartet wäre.

Und weil er eigentlich auch damals Hoher Lord gewesen war.

Eigentlich hat er auch jetzt das Oberkommando, er braucht nur weniger Gebrauch von seiner Autorität zu machen, weil die Gilde sich wieder einig ist und Balkan seine Arbeit gut macht, dachte Sonea. Die Gilde folgt ihm bereitwillig, ohne dass er viel dazu beitragen muss. Er ist einfach Akkarin.

Und genau das war einer der Gründe, aus denen es ihr so schwerfiel, ihre Gefühle für ihn in Worte zu fassen.

Akkarin streckte einen Arm aus. „Komm her.“

Lächelnd gehorchte Sonea und bettete ihren Kopf auf seine Schulter. Akkarin zog sie zu sich, bis sie dicht an ihn gekuschelt lag.

„Ich habe das hier vermisst“, flüsterte sie. Ohne ihn hatte sie sich so allein und verloren gefühlt wie damals in Arvice. Es war grauenhaft gewesen, aber sie hatte die vergangenen zwei Monate für sich gebraucht. Yukai hatte ihr geholfen, über Marika hinwegzukommen und es war richtig gewesen, das ohne Akkarin zu tun. Doch auch, wenn sie aufgehört hatte, sich ohne ihn verloren zu fühlen, so waren sie beide nur vollständig, wenn sie zusammen waren.

Akkarin küsste ihr Haar. „Ich auch.“

„Was glaubst du, wie unsere Chancen stehen?“

„Das wird die Zeit zeigen, Sonea. Aber ich denke, wir beide sind anpassungsfähig genug, dass wir einen Weg finden mit den Erinnerungen an deine Entführung umzugehen.“

Sonea schnaubte leise. „Ich meinte, die morgige Schlacht.“

Es war so falsch, dass ihr Geheimniswahrer ihre Gedanken vor ihm blockte! Es zerstörte ihre Vertrautheit. Jetzt, wo sie wieder vereint waren, quälte sie das umso mehr.

„Wären wir ganz auf uns gestellt, würde ich nicht auf einen Erfolg hoffen“, antwortete er leise. „Auch wenn wir unseren Gegnern hohe Verluste bescheren würden. Unsere Verteidigung ist gut, aber die Zahl und Stärke unserer Gegner sollte nicht unterschätzt werden. Alles hängt davon ab, ob Asara mit den Ashaki eintrifft, bevor das Fort fällt.“

„Du glaubst nicht, dass Dannyl etwas bewegen kann“, sagte Sonea.

„Du kennst die Argumente, Sonea.“

„Also ging es einzig darum, dass Dannyl sich besser fühlt“, folgerte sie.

„Ja.“

Natürlich, dachte Sonea. Auch sie rechnete sich keine allzu großen Chancen von Dannyls Versuch, zu verhandeln aus.

„Dennoch sollte Dannyl versuchen, was er kann“, sagte sie.

„Das sollte er.“

Die Ungewissheit war quälend. Warum bin ich nervöser als bei früheren Schlachten?, fragte Sonea sich. Die Schlachten von Imardin und in der Ettkriti-Ebene waren nicht weniger aussichtslos gewesen und sie hatten es irgendwie überstanden. War es, weil sie jetzt so viel besser wusste, wie gefährlich ihre Gegner waren? Oder lag es daran, dass sie mehr zu verlieren hatte?

„Was passiert mit Lorlen, wenn wir morgen nicht überleben?“, flüsterte sie.

„Rothen wird sich um ihn kümmern.“

„Rothen ist mit Lorlen überfordert.“

„Er hätte Unterstützung Takan und Caria.“ Das Leder von Akkarins Handschuh strich über ihren Arm. „Bei ihm ist Lorlen am besten aufgehoben.“

„Ich weiß.“ Die ärmlichen Verhältnisse, in denen Soneas Familie noch immer lebte, gehörten nicht zu den Dingen, die sie sich für ihren Sohn wünschte, auch wenn Jonna und Ranel ihn liebevoll aufziehen und ihre Werte lehren würden. Obwohl sie selbst inzwischen mit Akkarins Mutter hinreichend gut auskam, bezweifelte sie, Eliana wäre die geeignete Respektsperson für ein so rebellisches Baby wie Lorlen. Und bei Dana und Balend würde er verhätschelt und vermutlich so wie Regin werden.

„Die Vorstellung, er könnte seine Eltern verlieren, ist so entsetzlich“, wisperte sie, während ihr etwas die Kehle zuschnürte. Mit einem Mal war sie froh, dass sie ihrem Mann noch nichts von dem zweiten Baby erzählt hatte. „Er wird es wahrscheinlich nicht begreifen, aber er wird es spüren. Er ist doch noch so klein, Akkarin. Er braucht uns.“

„Und deswegen werden wir morgen alles versuchen, damit wenigstens einer von uns überlebt.“

Sonea verspürte einen vertrauten Zorn in sich auflodern.

„Nein. Damit wir beide überleben.“


***


Der Himmel hinter den großen Fenstern war tiefschwarz, die Silhouetten der Parrabäume im Park Schatten aus einem schwärzeren Schwarz. Ivasako erinnerten sie an Kreaturen aus dem Reich der Schatten – einem finsteren Reich im Land des sichelförmigen Mondes. Die kühle Brise, die durch die geöffneten Fenster hineinwehte, ließ ihn frösteln.

- Die gesamte Aktion war überaus beeindruckend. Doch sagt mir, wie ist es Euch gelungen, Kachiro und seinen Sohn zu vergiften, ohne dass er es bemerkt?

- Süßes Blutgras. In Raka schmeckt es wie Honig.

- Und so blieb Tarachi keine andere Wahl, als ihn und Hariko zu töten, bevor sie die ganze Stadt mit in den Tod reißen. Auch wenn anschließend keine Notwendigkeit mehr bestand, Tarachi als den Schuldigen hinzustellen, war dies ein äußerst geschickter Kyrima-Zug, zu dem ich Euch nur gratulieren kann. Indem Ihr Tarachi involviert habt, habt Ihr Euch alle Optionen offen gelassen.

Auch so viele Wochen nach jener Unterhaltung konnte Ivasako sich von Ishakas Worten nicht geschmeichelt fühlen. Er hatte getan, was nötig gewesen war. Zumindest hatte er das geglaubt.

Habe ich die richtige Entscheidung getroffen? Oder habe ich den größten Fehler meines Lebens gemacht?

Es war absurd, dass ausgerechnet an dem Abend, bevor Ishaka und die Verräter sich den Duna und den Überresten von Kachiros Anhängern unter Divakos Führung stellen würden, die lange verdrängten Fragen nach Antworten verlangten. All die Wochen war er damit beschäftigt gewesen, Informationen zu sammeln und weiterzuleiten, Armeen aufzustellen und das Gebiet unter seiner Kontrolle zu sichern und auszubreiten. Diese Arbeit hatte ihm den Schlaf geraubt und seine Zeit mit Ienara auf wenige Augenblicke am Morgen reduziert, wenn er ihr bei einer schnellen Tasse Raka im Raum des Meisters Gesellschaft leistete. Abends war oft so spät zurückgekerht, dass Ienara schon geschlafen hatte. Ivasako hatte sie in seine Arme gezogen und versucht, Schlaf zu finden, während sein Kopf Schlachtpläne durchspielte und Bündnisse schmiedete.

Jetzt waren die Armeen auf dem Weg nach Kyralia und es gab nichts mehr, was Ivasako noch tun konnte.

„Was hast du?“, nuschelte eine vertraute Stimme neben ihm. „Kannst du nicht schlafen?“

„Ich denke nach“, antwortete er nur.

„Worüber?“

„Vieles.“

Der seidene Bettbezug raschelte leise als Ienara sich auf die Seite rollte. „Erzähl mir davon.“

Ivasako seufzte. Es würde helfen, sich Ienara anzuvertrauen, aber zugleich fürchtete er ihre Zurückweisung, wenn sie erfuhr, welch Abgründe er in sich trug. Zugleich verlangte sein Gewissen nach Erleichterung und Trost.

Sich auf die Unterarme stützend setzte er sich auf, bis er mit dem Rücken am Kopfende des Bettes lehnte. Ienara rückte dichter an ihn heran und legte ihren Kopf auf seinen Schoß.

„Ich frage mich, ob ich das Richtige getan habe“, begann er. „Ich war so sehr bestrebt, das Erbe meines Meisters fortzuführen und Sachaka zu einem Ort zu machen, an dem man in Frieden leben kann, dass ich mich darüber vergessen und entsetzliche Dinge getan habe.“

„Kachiro musste gehen“, erwiderte Ienara sanft. „Er hätte den Thron niemals freiwillig aufgegeben. Sein Sohn durfte seine Herrschaft nicht fortführen.“

„Deswegen zweifle ich nicht.“ Ivasako runzelte die Stirn. „Das heißt, ich hatte Zweifel, bevor ich es getan habe. Doch die Notwendigkeit meines Handelns hat mich überzeugt, dass es richtig war.“

„Also geht es um seinen Nachfolger?“

Ivasako schüttelte den Kopf. Er hätte sich über die Privilegien und Pflichten seines Amtes hinwegsetzen und den Thron selbst besteigen können, hätte er das gewollt. Bis ein neuer König gefunden war, war der Palastmeister der Herrscher über Sachaka. Aber er verwaltete den Thron nur vorübergehend. Kein Ashaki würde die Macht Sachakas dauerhaft in den Händen eines ehemaligen Sklaven dulden.

„Was das betrifft, so weiß ich bereits, wen ich unterstützen werde“, sagte er.

Sie drehte den Kopf, bis sie zu ihm aufsah. „Was ist es dann?“, fragte sie.

„Tarachi.“ Ivasako schloss die Augen. Als Marikas Palastmeister hatte er den einen oder anderen ungehorsamen Sklaven hinrichten lassen. Es war nie eine erfreuliche Angelegenheit gewesen. Damals hatte er jedoch nur Befehle ausgeführt. Die Hinrichtung von Kachiros Leibwächter hatte er jedoch persönlich befohlen. Die Erinnerung verfolgte ihn noch immer. „Er war unschuldig und ich habe ihn getötet. Und ich konnte ihm nicht einmal die ehrenvolle Bestattung geben, die ihm auf Grund seines Dienstes für Kachiro zugestanden hätte. Weil ich ein Zeichen setzen musste.“

Ienara setzte sich. Ihre mandelförmigen Augen musterten ihn nachdenklich. „Du hast getan, was du tun musstest, Ivasako“, sagte sie sanft.

„Ich hätte ihn in den Kerker sperren und auf Ishakas Rückkehr warten können. Gemeinsam hätten wir seine Kräfte blockiert. Er hätte nicht sterben müssen.“

„Um ein Leben im Kerker zu verbringen?“, fragte sie. „Hätte er das für seine treuen Dienste verdient?“

„Nein.“ Tarachi hätte nicht aufgehört, Ivasakos Tod zu wollen, weil er seinen Meister getötet hatte. Es wäre ein Fehler gewesen, ihn gehenzulassen, bloß weil er unschuldig gewesen war. Verglichen mit einem Leben im Kerker war der Tod die gnadenvollere Alternative. Und jeder, der wusste, dass Tarachi dem Imperator lange Zeit loyal gewesen war, würde ihm zustimmen. „Und das ist noch nicht alles. Ich habe den Mann getötet, der Marikas längster Berater war. Er hat sogar seinem Vater gedient.“

„Es war das Beste, was du für Sachaka tun konntest“, erwiderte Ienara. „Denkst du, Marika war anders? Oder sein Vater? Vareka hat Krieg gegen seine Brüder geführt, die ihn stürzen wollten – Menschen von einem eigenen Blut! Manchmal muss man harte Entscheidungen für ein höheres Wohl treffen.“

„Aber was macht das mit mir, Ienara? Was sagt das über mich aus?“

„Mut, Stärke und Entschlossenheit. Eigenschaften, die du brauchst, um Sachaka zu dem Land zu machen, das es einst war.“

„Aber um diesen Preis?“, fragte Ivasako. „Intrigen sind für jene, die nur Schlechtes wollen …“

„... und für die, deren Mittel begrenzt sind“, vollendete Ienara seinen Satz. Ihre Stimme gewann an Strenge, als sie fortfuhr: „Du musstest schnell handeln, um Divako zu schwächen, er hat auch so schon genug Anhänger um sich geschart, um mit den Duna die Gildenmagier anzugreifen.“

Es ist absurd, dass ich versuche, ihn davon abzuhalten, dachte Ivasako. Noch vor wenigen Monaten hätte er sich das nicht einmal in seinen kühnsten Träumen ausgemalt. Aber das war die Abmachung mit den Gildenmagiern gewesen. Indem sie ihre gemeinsamen Gegner nach Kyralia lockten, konnten sie ihnen ein schnelles Ende in den Bergen bereiten. Und vielleicht würde Marikas Mörderin dort den Tod finden und Ivasako konnte endlich in Frieden leben.

„Kachiro hätte niemals eingelenkt, noch hätte er den Thron kampflos aufgegeben“, sagte Ienara in die sich zwischen ihnen ausbreitende Stille. „Sein Leibwächter war ein unglückliches Opfer, weil er zu viel wusste.“

„Du verurteilst mich nicht dafür?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich heiße es nicht gut, aber ich hätte dich niemals unterstützt, wäre ich nicht davon überzeugt, dass wir das Richtige tun. Vareka musste gegen seine Brüder und ihre Mitverschwörer kämpfen. Er hat getötet, wen er erwischen konnte. Doch einige konnte er nur zu Ichani erklären und die Verräter Jagd auf sie machen lassen. Er hat vor nichts zurückgeschreckt, Sachaka zusammenzuhalten.“

Ivasako nickte. „Aber auch er konnte den Bürgerkrieg nicht verhindern“, sagte er.

„Nein“, sagte Ienara. „Aber er konnte Sachaka auch nicht vereinen.“


***


In der allmählich weichenden Dunkelheit war der Horizont über den Ödländern nur als glühend roter Streifen zu erkennen. Die schroffen Felsen reflektierten das Rot schwach, während schwarze Schatten in den Tälern und Schluchten lauerten.

Regin lehnte über der Brüstung und versuchte, etwas in der Dunkelheit zu erkennen. Das Aufleuchten einer Lichtkugel, eine Bewegung auf der Straße. Die Späher, die die Verräter über der Straße aufgestellt hatten und die beiden Krieger, die den Nordpass ihrerseits beobachteten, würden melden, wenn die Armee aus Sachakanern und Duna sich dem Fort näherte.

Dennoch war er nervös. Und das nicht nur, weil Lord Vorels Strategie – seine Strategie – am nächsten Tag erstmals in einem echten Kampf zum Einsatz kommen würde. Warten machte ihn unruhig, insbesondere das Warten auf das Unvermeidliche.

Ihre Feinde würden mit Widerstand rechnen. Spätestens am Pass. Dass sie glaubten, sie könnten die Gilde besiegen und ihre daraus resultierende Nachlässigkeit, waren Regin nur ein kleiner Trost. Es waren zu viele schwarze Magier. Und ihre sachakanischen Verbündeten hatten einen Rückstand von einem halben Tag.

Das leise Geräusch von Stiefeln hinter ihm ließ ihn herumfahren. Sonea hatte den Ausguck betreten. Ihre Wangen waren ungewöhnlich bleich und das, was Regin von ihren Augen sehen konnte, ließ ihn erschaudern.

„Guten Morgen, verehrteste Sonea“, grüßte er. „Was führt dich hierher?“

Sie antwortete nicht. Stattdessen schritt sie wortlos auf ihn zu. Vor ihm blieb sie stehen. Dann, ohne Vorwarnung, traf ihre Hand seine Wange.

Ein brennender Schmerz durchzuckte seine linke Gesichtshälfte.

„Au!“, entfuhr es ihm. „Was soll das?“

„Das war für Trassia!“

Sie schlug ihn erneut.

„Und das war für Dorrien und Viana!“

Bevor sie ein drittes Mal ausholen konnte, bekam er ihr Handgelenk zu fassen. „Heh!“, rief er. „Das ist noch lange kein Grund, mich zu schlagen!“

Sie riss sich los. „Wäre es dir lieber, wenn ich dich vor der gesamten Gilde in der Arena demütige? Ist es das, was du willst?“

„Danke, ich verzichte.“

Sie quittierte das mit einem Schnauben. „Du hast diesen Menschen weh getan! Dein Schmerz ist nichts im Vergleich zu dem, was sie deinetwegen durchleiden müssen!“

„Jetzt aber mal langsam, Hohe Lady“, sagte er. „Trassia war diejenige, die Schluss gemacht hat, nicht ich. Und Dorrien ist selbst schuld, dass seine Beziehung aufgeflogen ist. Was tauscht er auch mit seiner Novizin in aller Öffentlichkeit Intimitäten aus?“

„Da habe ich aber eine ganz andere Version gehört.“ Sonea baute sich vor ihm auf, die Hände in die Hüften gestemmt. Ihre dunklen Augen funkelten wie Dolche, als sie zu ihm aufsah. Unwillkürlich zuckte Regin zurück. Manchmal war es leicht zu vergessen, wozu sie fähig war. „Dorrien hätte sein Mentorenamt niemals leichtfertig gefährdet. Ich weiß, dass du die beiden bloßgestellt hast. Du hast ihnen hinterherspioniert, nachdem du während deines Vertretungsunterrichts für Viana auf welche Weise auch immer Verdacht geschöpft hast. Und Trassia – natürlich ist es deine Schuld, dass sie eure Beziehung beendet hat! Als wären deine ganzen Eskapaden mit den Novizinnen in Balkans Kurs nicht genug, hast du auch noch Dorrien bloßgestellt! Dorrien ist ihr Freund! Und er und Trassia sind meine Freunde. Und Rothen! Was du ihnen antust, tust du auch mir an. Du solltest dich schämen, Regin von Winar!“

Regin starrte sie an, sprachlos. In all den Jahren, die er Sonea kannte, hatte er sie nur einmal ähnlich wütend erlebt. Als sie geglaubt hatte, er habe ihre heimliche Beziehung mit ihrem Mentor offengelegt. In Wahrheit war es jedoch sein Onkel gewesen, der sie und Akkarin in einem Moment der Zweisamkeit beobachtet hatte.

Und wie kam sie überhaupt darauf, er hätte sich mit Novizinnen eingelassen?

„Ich wollte Trassia nicht verletzen“, sagte er. „Und dich auch nicht. Du weißt, es war nicht immer einfach mit ihr.“

„Das lag aber auch an dir“, entgegnete Sonea hart.

„Weil sie versucht hat, mich zu etwas zu drängen, für das ich noch nicht bereit war!“

Sonea seufzte und lehnte sich neben ihm gegen die Brüstung. Sie schloss die Augen, als würde irgendetwas ihr innere Schmerzen bereiten. „Das war nicht richtig von ihr, da gebe ich dir recht. Aber Regin, wann fängst du endlich an zu begreifen, dass nicht immer die Anderen schuld sind? Dass Trassia nicht mehr mit dir zusammen sein wollte, hat vor allem mit deinem Verhalten zu tun. Ich verstehe, dass du einen Weg gesucht hast, damit fertigzuwerden, aber die Fehler, die du dabei gemacht hast, haben es nur noch schlimmer gemacht. Und das mit Dorrien … was hat dich nur dazu getrieben?“

„Ich weiß es nicht.“ Sollte er ihr sagen, dass er Rothens Sohn noch nie hatte leiden können? Dann würde sie erneut auf ihn losgehen. Mit einem Mal kam Regin sich dumm vor, weil er sich wie ein Novize verhalten hatte. So war er früher gewesen, als er noch der Meinung gewesen war, die Gilde sollte Sonea zurück in die Hüttenviertel schicken. Doch dank ihrer Freundschaft war er ein besserer Mensch geworden. Er begriff nicht, was in ihn gefahren war, dass er wieder in alte Verhaltensmuster zurückgefallen war.

„Es tut mir leid.“

„Das solltest du ihnen sagen. Nicht mir.“

Er nickte. Er wusste, er würde das müssen. Auch wenn es nicht mehr rückgängig machen würde, was er angerichtet hatte. Trassia würde nicht zu ihm zurückkommen und Dorrien würde seine Novizin nicht zurückbekommen. Rothen würde ihn fortan hassen. Und Kayan auch.

„Sind wir noch Freunde?“, fragte er vorsichtig.

Sie nickte zögernd. „Auch wenn ich dich gerade nicht besonders leiden kann.“

„Das bin ich mittlerweile gewohnt“, bemerkte er trocken.

Soneas Mund verzog sich zu einem widerwilligen Grinsen. Und Regin war froh, dass sie noch da war, obwohl er ihr von allen am meisten angetan hatte.

Er stieß sie mit dem Ellenbogen an. „Warum bist du überhaupt schon auf?“, feixte er. „Nachdem du deinen geliebten Gatten wochenlang nicht gesehen hast, hätte ich erwartet, dass er dich nicht aus dem Bett lässt.“

Sie funkelte ihn an. Unter ihrem Zorn konnte Regin jedoch sehen, dass sie müde wirkte. „Ich konnte nicht mehr schlafen und wollte Akkarin nicht stören.“

Sie weicht mir aus. Und das tat sie nur, wenn sie sich nicht bereit fühlte, über etwas zu reden oder sie nicht wollte, dass ihr Mann über sein Blutjuwel mithörte. „Die Sachakaner?“, fragte Regin.

Sie schüttelte den Kopf. „Das heißt, ja. Aber das ist es nicht.“ Dann zog sie ihren Ring aus. „Bitte versprich mir, dass du das Folgende für dich behältst. Akkarin darf es erst erfahren, wenn wir die Sachakaner erledigt haben.“

Stirnrunzelnd nickte er. „Du hast mein Wort.“

„Kann ich darauf vertrauen?“

„Habe ich jemals mal mein Wort nicht gehalten?“

Sie warf ihm einen finsteren Seitenblick zu.

„Ich habe nie etwas bezüglich Dorrien geschworen“, verteidigte Regin sich. „Und auch gegenüber Trassia habe ich mein Wort nie gebrochen.“

Sonea nahm das mit einem Nicken zur Kenntnis.

„Also erzählst du mir, was los ist?“

Sonea atmete einmal tief durch, dann wandte sie den Kopf. „Regin, ich bin wieder schwanger.“

Er starrte sie an. „Von Akkarin?“

„Von wem sonst?“, gab sie unwirsch zurück.

Na, ganz sicher nicht von unserem Auslandsadministrator. Regin hatte die beiden beim Abendessen und bei der späteren Besprechung beobachtet. Die Reise hatte sie zu besten Freunden gemacht, Dannyl schien eine Art unkomplizierter Umgang für Sonea, zu dem er selbst niemals fähig war. Die Erinnerung versetzte ihm einen eifersüchtigen Stich.

Ich sollte ihr bester Freund sein.

Doch er ahnte, das würde er niemals sein. Egal, wie sehr er es wollte. Was auch immer er an Wiedergutmachung geleistet hatte, was auch immer sie seit der Schlacht von Imardin verband, der alte Groll würde nie ganz verschwinden. Dafür hatte er ihr zu viele unverzeihliche Dinge angetan.

„Das ist doch wundervoll!“, zwang er sich zu sagen und klopfte ihr auf die Schulter. Das erklärte auch ihren Jähzorn und ihren elendigen Gesichtsausdruck. Ihr war wieder einmal schlecht. Was das angeht, bin ich wirklich froh, ein Mann zu sein, dachte er. „Ich gratuliere.“

„Danke.“ Sie verzog das Gesicht. „Doch ich fürchte, Akkarin wird nicht sehr erfreut sein, wenn er erfährt, dass ich schon schwanger war, als ich mit Dannyl die Gilde verlassen habe. Er würde versuchen, mich aus dem uns bevorstehenden Kampf herauszuhalten.“

„Wieso bist du dann überhaupt auf diese Mission gegangen?“

Sie seufzte. „Weil ich es erst herausgefunden habe, als wir schon unterwegs nach Duna waren. Verstehst du jetzt, warum ich will, dass du es für dich behältst?“

Er nickte. „Ich werde es für mich behalten. Am besten, ich vergesse es sofort wieder, dann kann Akkarin es auch nicht aus meinen Gedanken lesen.“ Eines Tages will ich auch haben, was sie hat. Nicht dieses Jahr und auch nicht im nächsten, aber bevor ich zu alt bin, um Vater zu sein.

Aber dafür musste er Trassia zurückgewinnen. Es verging kein Augenblick, an dem er sich nicht nach ihr sehnte und ihre dunklen Augen und Locken vermisste. Er vermisste ihren weichen, duftenden Körper nachts an seiner Seite, er vermisste ihre Anwesenheit, wenn er abends nach Hause kam, er vermisste es, sie zu küssen und sie im Arm zu halten. Und mit einem Mal wünschte er, dass sie in diesem Augenblick vor ihm stehen und ihm diese Neuigkeit verkünden würde.

Wenn ich das hier überlebe, werde ich um sie kämpfen, entschied er. Was einmal funktioniert hat, wird vielleicht auch ein zweites Mal funktionieren.

„Gibt es schon etwas Neues von unseren Feinden?“, fragte Sonea.

„Hier oben erfährt man nicht viel. Mein letzter Stand ist, dass sie wie vermutet die Nacht über weitergezogen sind. Eine Verräterin läuft ihnen oberhalb der Straße ein Stück voraus und will sich mit jenen treffen, die über der Schlucht postiert sind.“

Die kleine schwarze Magierin hielt den Atem an. „Ist es Asara?“

Regin hob die Schultern.

„Haben unsere Gegner Späher?“

„Zwei. Die Verräterin weiß jedoch, wie sie verhindern kann, von ihnen erwischt zu werden.“

Sonea lächelte grimmig. „Ja, das können sie gut.“ Sie hob die Schultern. „Sollen ihre Späher kommen. Sie werden einen wilden Speicherstein nicht von einem Stein auf der Straße unterscheiden können.“

Regin lachte. „Nein, dafür sind sie ganz sicher zu blöde!“

Sonea reagierte nicht. Ihr Blick war auf einen Punkt gerichtet, an dem die Straße erstmals zwischen den Felsen auftauchte.

„Bist du nervös?“, fragte Regin.

Sie bedachte ihn mit einem vielsagenden Blick. „Uns steht eine Schlacht bevor. Natürlich bin ich nervös!“

„Wegen des Babys?“

„Vielleicht auch. In Wirklichkeit bin ich jedes Mal nervös, obwohl man meinen sollte, ich hätte mich inzwischen daran gewöhnt, in Schlachten zu kämpfen, die wir nicht gewinnen können.“

„Die bis an den Hof von Arvice gefürchtete Sonea fürchtet sich vor einer Schlacht?“, fragte Regin ungläubig. Er machte eine vage Bewegung in Richtung der Ödländer. „Die Magier, die dort lauern, fürchten dich und Akkarin doch viel mehr.“

„Aber sie sind stärker als wir.“

„Ein Gegner, der Angst hat, ist kein Gegner, vor dem man sich fürchten muss“, entgegnete Regin. „Nutze ihre Angst und lass sie in Ehrfurcht vor dir erstarren. Den Rest erledigt dann unser Auslandsadministrator.“

„Hast du diese Kriegerweisheiten von Balkan?“

„Nein, von Kayan.“

Zu seiner Erheiterung verdrehte sie die Augen. „Warum überrascht mich das jetzt nicht?“, hörte Regin sie murmeln. „Nun, wenn es dir hilft, dass du dir deine Roben nicht nassmachst, soll es mir recht sein. Aber versuche keine Heldentaten, Regin. Die Sachakaner sind für sich genommen schon nicht zu unterschätzen. Die Duna dagegen sind ein sehr kriegerisches Volk, sie kämpfen völlig anders. Und sie sind voll Zorn.“

„Wenn man dich so reden hört, könnte man fast meinen, du machst dir doch noch etwas aus mir“, bemerkte Regin.

„Du magst dich wie der größte Enka aufgeführt haben, aber du bist trotzdem mein Freund“, erwiderte Sonea. „Auch wenn ich mich manchmal ernsthaft frage, warum.“

„Ich liebe dich auch, liebste Sonea.“

Sonea verzog das Gesicht. „Daran, wie du dich aufführst, merke ich, dass ich wieder viel zu nett zu dir bin.“ Sie stieß sich von der Brüstung ab. „Ich sollte zurück. Akkarin wacht bald auf.“ Sie stieß ihm grob einen Finger mitten in sein Brustbein.

„Au!“, entfuhr es ihm.

„Sieh zu, dass du den Tag überlebst und geradebiegst, was du angerichtet hast.“ Dann wandte sie sich um und schritt zurück zum Treppenaufgang, ihre Roben flatterten hinter ihr in der frischen Morgenbrise.

In solchen Momenten hasste Regin sie fast so sehr, wie früher. Wenn er jedoch ehrlich zu sich war, dann wusste er, dass sie die Wahrheit sprach und er besser daran tat, zu tun, was sie von ihm verlangt hatte: Es wieder geradezubiegen.

Nichtsdestotrotz war er noch immer der Meinung, dass Dorrien das bekommen hatte, was er verdiente.


***


Die frische Bergluft auf dem Aufsichtsturm hatte Soneas Morgenübelkeit vertrieben. Stattdessen war sie nun wütend. Sie wusste, dass die Schwangerschaft ihre Emotionen verstärkte. Dennoch war es an der Zeit gewesen, Regin die Meinung zu sagen. Dieses Mal hatte er es zu weit getrieben. Und das mit vier Menschen, die ihr am Herzen lagen.

Wenigstens hat dies meine Furcht vor der Schlacht gemildert, dachte sie. Und wenn es dann so weit ist, werde ich meinen Zorn an Divako und seinen Anhängern auslassen.

Die Vorstellung erfüllte sie mit neuer Entschlossenheit. Sie war jedoch sicher, dass ihre Furcht zurückkehren würde, sobald sich die Sachakaner dem Nordpass näherten.

So früh am Morgen lag das Fort noch im Tiefschlaf. Außer den als Wachposten eingeteilten Kriegern und den Dienern, die Sumi kochten und Frühstück zubereiteten, war noch niemand wach, als Sonea auf die Ebenen mit den Quartieren hinabstieg.

Oder sie liegen in ihren Betten und warten darauf, dass es losgeht …

Bemüht, ihre Schritte leise zu halten, huschte Sonea durch den Korridor, auf dem die Zimmer der höheren Magier lagen. Vorsichtig öffnete sie die Tür am anderen Ende und schlich in den Raum dahinter.

„Du brauchst dir keine Mühe geben, leise zu sein.“

Sonea zuckte zusammen. Eine winzige Lichtkugel erhellte den Raum, in ihrem Schein erblickte Sonea ihren Mann gegen das Kopfende ihres Bettes gelehnt sitzend.

„Hoher Lord.“

„Sonea, warum bist du schon auf?“

Sie hob die Schultern. „Ich konnte nicht mehr schlafen. Ich wollte dich nicht stören.“

„Du hättest mich nicht gestört.“

„Ich war rastlos.“

Akkarin musterte sie nachdenklich. „Hat das zufällig auch mit mir zu tun?“

„Wieso fragst du das?“, fragte Sonea sich seltsam ertappt fühlend.

„Weil meine Nähe sonst immer eine beruhigende Wirkung auf dich hat, selbst wenn die Welt um uns herum gerade zusammenbricht.“

Für einen absurden Augenblick glaubte Sonea, er spielte darauf an, wie sie am vergangenen Tag miteinander geschlafen hatte, doch dann erkannte sie, dass es um ihre Entführung ging und darum, wie diese seit einer Weile wieder zwischen ihnen stand.

„Seit Wochen geht mir so unglaublich viel im Kopf herum“, sagte sie. „Ich spüre, dass sich seit Yukai etwas verändert hat, aber ich hatte noch keine Gelegenheit, darüber nachzudenken. Aber dabei kannst du mir nicht helfen. Ich muss das alleine schaffen.“

„Ich verstehe“, sagte er nur.

„Es tut mir leid.“

„Das braucht es nicht. Komm wieder ins Bett.“

Der Befehlston in seiner Stimme machte es schwer, ihm nicht zu gehorchen. Rasch streifte Sonea ihre Stiefel und ihre Robe ab und schlüpfte zu ihm unter die Decken. Wie gut, dass ich mein Nachthemd gar nicht erst ausgezogen habe!, dachte sie, während sie sich nichts sehnlicher wünschte, als dass sie dieses Versteckspiel beenden konnte. Doch dazu musste sie den nächsten Tag überleben.

„Du bist ganz kalt“, bemerkte Akkarin, als er sie in seine Arme zog.

„Ich war draußen“, erwiderte sie. „Auf dem Turm. Regin war auch dort. Ich habe mit ihm gesprochen.“

Akkarins Mundwinkel zuckten. „Du meinst, du hast ihm den Kopf gewaschen.“

„Wenn du es so ausdrückst, ja.“

Ihr Hoher Lord lachte leise und zog sie dichter in seine Arme. „Ich hoffe, er hat jetzt nicht mehr Angst vor dir als vor den Sachakanern.“

„Und selbst wenn, wird er das vergessen, sobald sie das Fort erreichen“, gab Sonea zurück. Dann wurde sie jedoch wieder ernst. „Wusstest du, dass die Sachakaner und die Duna über Nacht weitergezogen sind?“

„Ja. Captain Eril hat es mir mitgeteilt.“

Sonea blinzelte überrascht. „Er war die ganze Nacht über wach?“, fragte sie.

„Er und Nirili.“

„Oh.“ Sonea wollte weitere Fragen stellen, entschied sich dann jedoch dagegen. Sie würde noch früh genug erfahren, wie schlimm es um sie stand. Was nützte es, sich jetzt deswegen zu grämen?

„Ich bin so froh, dass wir das gemeinsam durchstehen“, sagte sie. „Und es tut mir leid, dass ich dir momentan keine gute Frau und Kampfgefährtin sein kann. Ich gelobe Besserung, sobald wir das hier überstanden haben.“

Auch wenn du dann vermutlich ausrastest …

„Es gibt nichts, was dir leidtun müsste, Sonea“, sagte Akkarin. „Du versuchst, mit deiner Vergangenheit fertigzuwerden. Aber du hast dabei Dinge erlebt, mit denen ich dir nur bedingt helfen kann.“

„Ich weiß.“ Auch er hatte die emotionale Abhängigkeit zu seinem Meister erlebt. Er hatte ihr einst erzählt, dass Dakova ihn dazu gebracht hatte, sich bei ihm für eine Bestrafung zu bedanken und ihn von sich aus zu bitten, ihn für seinen Ungehorsam zu bestrafen. Während sie im Bett Spaß an derlei Spielen hatte, wollte Sonea sich nicht ausmalen, wie sich das für Akkarin angefühlt haben musste. Auch Marika hatte sie dazu gebracht, sich für seine Erziehungsmethoden zu bedanken, aber die meiste Zeit über hatte sie darin Befriedigung gefunden. Zuerst aus Gründen von Selbstbestrafung, später auf Grund ihrer eigenen dunklen Seite. Allerdings hatte Marika sehr genau gewusst, wie er dies zu ihrer beider Vergnügen einsetzen konnte, während in Akkarins Fall Dakova der einzige gewesen war, der sich vergnügt hatte.

Wäre das bei mir ähnlich gewesen, so hätte ich danach nicht solche Schwierigkeiten gehabt, Marika zu hassen, dachte Sonea. Es hätte sich nicht wie eine zutiefst unanständige Affäre angefühlt. Aber selbst jetzt war sie nicht sicher, ob ein Teil von ihr nicht begonnen hatte, Marika zu lieben.

Und selbst wenn, ist das jetzt vorbei.

„Akkarin?“

„Ja?“

„Kannst du mich vielleicht einfach nur festhalten? Bitte?“

Akkarin küsste ihr Haar. „Natürlich“, sagte er. Dann zog er sie ein wenig fester in seine Arme.

Sonea spürte, wie sie die vertraute und fast vergessene Ruhe überkam. Allmählich wurde sie träge und die Tatsache, dass sie vielleicht schon in wenigen Stunden kämpfen würden, versank in Bedeutungslosigkeit.

Plötzlich spannte Akkarin sich an.

„Was ist?“, fragte Sonea. Der Himmel hinter den Papierblenden war ein klein wenig heller geworden und sie erkannte, sie war eingedöst.

„Die Sachakaner sind kurz vor der Schlucht.“

***


Fragen zum Kapitel


Findet ihr es richtig, dass Sonea Akkarin ihre Schwangerschaft bis nach der Schlacht verschweigen will? Wie findet ihr das Wiedersehen generell? Habt ihr damit gerechnet, dass sie gleich übereinander herfallen?

Wie findet ihr Rothen als Mentor? Stimmt ihr seinem Urteil über sich selbst zu, dass er bei seinen Novizen erfolg hat, aber bei seinem eigenen Sohn versagt hat?

Was haltet ihr von dem Schlachtplan, den Sonea, Akkarin, Balkan und Dannyl ausarbeiten?

Glaubt ihr, dass Asaras Sorge um Nachiri berechtigt ist?

Wie denkt ihr über Ivasakos Kontemplation und Ienaras Worte?

Warum ist Regin wieder in alte Verhaltensmuster gefallen? Was haltet ihr von seinem Gespräch mit Sonea im Allgemeinen?
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