Die Bürde der schwarzen Magier III - Das Heiligtum von Yukai
von Lady Sonea
Kurzbeschreibung
Anderthalb Jahre nach dem Massaker von Arvice ist Sonea noch immer gebrochen von ihrer Erfahrung mit Marika. Sachaka steht derweil gebeutelt von Kämpfen am Rande des Ruins. Als die Situation eskaliert und Kyralia erneut in Gefahr gerät, sind sich die Anführer der Kriegsparteien einig, dass nur noch Verhandlungen den Konflikt beenden können. Als Vermittler fordern sie den Mann, dessen Ruf sich bis über die Grenzen der Verbündeten Länder hinaus verbreitet hat: Auslandsadministrator Dannyl. Gegen den Willen des Hohen Lords entscheidet Sonea, Dannyl zum Ort der Verhandlungen, einem alten Tempel in der Wüste von Duna, zu eskortieren. Doch die Konferenz wirft ihre Schatten voraus und das nicht nur, weil Sonea sich wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert sieht. Schon bald bemerken sie und Dannyl, dass jede Partei ihr eigenes Spiel spielt, und sie müssen die richtigen Verbündeten finden, um zu die drohende Katastrophe zu verhindern …
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P18 / Mix
Hoher Lord Akkarin
Lord Dannyl
Lord Dorrien
Lord Rothen
Regin
Sonea
02.08.2016
04.06.2019
56
813.938
87
Alle Kapitel
290 Reviews
290 Reviews
Dieses Kapitel
5 Reviews
5 Reviews
03.04.2018
17.158
Hallo ihr Lieben, ich hoffe ihr habt Ostern gut überstanden. Wie auch immer, so hoffe ich, dass das heutige Kapitel euch endgültig aus dem Eier-Kuchen-Fresskoma holt, da es wie angekündigt einiges an Action gibt.
Für alle, die es noch nicht über andere Kanäle mitbekommen haben: Diesen Monat ist wieder Camp-NaNoWriMo. Das bedeutet für euch, dass Antworten auf eure Reviews und Mails länger als üblich dauern. Allzu schlimm sollte es hoffentlich nicht werden, da ich nur überarbeite. Aber so seid ihr immerhin vorgewarnt, sollte es im Überarbeitungswahn doch zu Verzögerungen kommen :D
Ganz lieben Dank an Emmi, Black Glitter und Lady Alanna für die Reviews und anregenden Diskussionen zum letzten Kapitel <3
Ivara rannte als ginge es um ihr Leben. Tatsächlich ging es jedoch um sehr viel mehr. Am Tag zuvor hatte sie die fruchtbaren Regionen erreicht. Ihre Schwestern waren zwei Tage vor ihr und bewegten sich auf die Ashaki zu, die Kachiro unter der Führung von Ashaki Sakori ausgesandt hatte. Ursprünglich hatten sie eine Armee aufstellen sollen, um Ishakas Anhänger aufzuhalten. Dieser – oder besser gesagt, sein Mitverschwörer – hatte den Imperator jedoch gestürzt und kontrollierte nun Arvice und Umgebung. Den Berichten zufolge, die Ivara abwechselnd von Savedra oder den Verrätern erhielt, die sich um Asara scharten, hatten sich beide Ashaki-Lager wiederholt bekämpft. Die Verräter hatten dabei auf beiden Seiten Schaden angerichtet.
Ivara hatte selten eine derart große Nervosität verspürt. Wenn sie ihre Schwestern nicht rechtzeitig erreichte, würden diese zu viele von den falschen Ashaki töten. Dabei war es absurd, überhaupt in Kategorien von ’richtig’ und ’falsch’ zu denken, wenn es um die Ashaki ging.
Auf ihrem Weg nach Süden war Ivara abwechselnd die beiden Pferde geritten, die Asara ihr mitgegeben hatte. Die Stute war in der Aschenwüste in einer Felsspalte steckengeblieben und hatte sich das Unterbein gebrochen. Ivara war nichts anderes übriggeblieben, als das Tier zu töten. Um den Hengst – ein sehr schönes, wenn auch nicht allzu schnelles Tier mit sandfarbenem Fell – zu schonen, rannte sie weite Strecken zu Fuß und ritt nur, wenn sie eine Pause brauchte. Im Sattel konnte sie dösen und das Pferd gehorchte ihr weit genug, um auch dann noch geradeaus zu reiten.
Ivara erreichte die Kuppe eines Hügels. Dahinter erstreckten sich Weideland und Felder, am Horizont entdeckte sie Mauern eines Ashaki-Landhauses. Das Gras hatte unter der sommerlichen Hitze seine Saftigkeit eingebüßt und war nun eher gelb als grün, weiter unten plätscherte ein Bach.
- Savedra, wohin?
Ein Bild blitzte vor ihren Augen auf. Ein Anwesen, das bis vor einem Tag noch einem Ashaki gehört hatte, und nun von den Verrätern eingenommen war.
- Halte dich östlich. Dann kannst du die anderen in zwei Stunden erreichen. Ich habe Estara bereits über dein Kommen informiert.
- Verstanden.
Ivara steckte das Blutjuwel fort. Auch wenn sie ihre Gedanken in ihrem Geheimniswahrer verbergen konnte und sie gut darin war, anderen etwas vorzumachen, war ihr nicht ganz wohl bei der Sache. Savedra hatte einen ausgeprägten Instinkt für Verrat und Heimlichtuerei. Es war besser, sie möglichst lange im Unklaren zu lassen.
Sie führte ihren Hengst durch einen lichten Marinhain zum Bach. Insekten zirpten in der Mittagshitze und die trockenen Blätter raschelten in einer schwachen Brise. Die Marin waren an einigen Stellen noch grün, nahmen jedoch allmählich, die orange-rote Färbung reifer Früchte an.
Am Bach stillten Ivara und ihr animalischer Begleiter ihren Durst. Um sich abzukühlen, tauchte sie den Kopf für einen langen Augenblick in das Wasser. Als Ivara den Kopf wieder herauszog, fühlte sie sich so frisch, wie seit Tagen nicht mehr.
„Und weiter geht’s“, sagte sie zu ihrem Pferd und saß auf.
Obwohl es in den fruchtbaren Regionen Straßen und Wege gab, zog Ivara es vor, querfeldein zu reiten. Sie war schneller und die Wahrscheinlichkeit einer Begegnung mit den Ashaki war geringer. Während der Mittag zum Nachmittag wurde, nahm die Hitze weiter zu. Verglichen mit den Ödländern oder Duna empfand Ivara diese jedoch als angenehm. Nun, auch Duna war nicht so übel, dachte sie. Wenn sie sich an Tarrekh erinnerte, dann hatte die Hitze in ihrem Leib die der Wüstensonne übertroffen.
Als die Mauern des Anwesens, das Savedra ihr gezeigt hatte, am Horizont auftauchten, stieg Ivaras Spannung. Ihrem Hengst die Absätze ihrer Stiefel in die Flanken schlagend, beschleunigte sie in einen Galopp.
Ich kann keine ganze Armee überzeugen, dachte sie wieder und wieder. Vielleicht würde es ihr bei einigen ihrer Schwestern gelingen. Doch sie alle hatten Blutjuwelen von Savedra. Was, wenn sie den Befehl erhielten, sie zu töten, so wie es bei Zalava und Asara geschehen war?
Sie erreichte das Anwesen von der Rückseite. Nach einem endlosen Ritt entlang der Mauer erreichte Ivara endlich das Tor. Die Verräterin, die ihr öffnete, war ihr unbekannt.
„Ich bin Vakiri“, stellte sich die Frau vor. „Das Anwesen hat meinem Mann gehört.“
„Wo finde ich Estara?“, fragte Ivara.
„Im Raum des Meisters. Ich bringe dich zu ihr.“
Ivara saß ab und übergab ihr Pferd einem Sklaven. Sie nahm an, dass diese von ihren Schwestern befreit worden waren, doch es würde noch eine Weile dauern, bis sie anfingen, sich entsprechend zu verhalten. Sofern sie überhaupt solange am Leben blieben.
Estara saß auf einem Diwan, in der einen Hand einen Weinkelch, neben sich eine Schale mit Früchten. Auf dem Boden war eine Karte der fruchtbaren Regionen ausgebreitet, Kreise darauf markierten die Anwesen von Ashaki. Zwei große Kreuze zeigten die Positionen der feindlichen Armeen. Sakori, las Ivara. Und Hakaro.
„Ich grüße dich, Ivara“, sagte Estara erfreut. „Savedra hat mir dein Kommen angekündigt.“
„Ich bin so schnell hergeeilt, wie ich konnte.“ Ivara umrundete die Karte und umarmte ihre Schwester. „Fast dachte ich, ich würde es nicht mehr rechtzeitig schaffen.“
„Noch haben wir nicht viel ausgerichtet, außer uns hier eine Basis zu schaffen“, erwiderte Estara und küsste sie auf beide Wangen. „Ich bin froh, dass du Yukai überlebt hast.“
„Es war ziemlich knapp.“
„Dafür kannst du uns nun unterstützen.“ Estara bedeutete ihr, sich neben sie zu setzen. „Iss“, forderte sie Ivara auf. „Das Obst ist köstlich. Vakiris Sklaven können dir Wein bringen.“
„Vielleicht später“, sagte Ivara. „Wasser würde meinen Durst besser löschen.“
„Bei einer solch langen und anstrengenden Reise nur verständlich.“ Estara lächelte. „Uns erging es nicht anders, doch zum Glück haben wir auf diesem Anwesen einen großen Vorrat von Lebensmitteln gefunden.“
Ivara unterdrückte ein Seufzen. Das hier ist ein hoffnungsloses Unterfangen, fuhr es ihr durch den Kopf. Sie wählte eine Marinspalte und lutschte daran. „Wie sieht euer Plan aus?“, fragte sie zu der Karte nickend.
„Die Armeen der beiden Ashaki-Gruppierungen sind ganz in der Nähe. Die von Hakaro ist nur einen halben Tag entfernt. Bei Nacht werden wir ausziehen und sie angreifen.“
„Wäre es nicht besser, sie gegeneinander kämpfen zu lassen und unsere Magie für die Duna aufzusparen?“, fragte Ivara.
„Egal wie uneins sich die Ashaki in der Vergangenheit waren, so findet diese Uneinigkeit spätestens dann ein Ende, wenn wir ins Spiel kommen“, widersprach Estara. „Wenn wir darauf hoffen, dass sie einander bekämpfen, werden sie sich verbünden und wir verlieren. Dann können uns die Gildenmagier auch nicht mehr helfen.“
Das war ein denkbar schlechtes Szenario. Aber Ivara konnte auch nicht zulassen, dass ihre Schwestern Hakaros Armee angriffen.
„Ich halte Sakori für den leichteren Gegner“, sagte sie. „Seine Leute können wir sicher vernichten und Divako und den Duna damit einen Schlag verpassen. Immerhin tragen wir eine Mitschuld an der Verwüstung von Yukai. Der Palastmeister dagegen kontrolliert die furchtbaren Regionen. Es geht ihm mehr darum, sein kleines Imperium zu halten. Darum, es ihm zu nehmen, sollten wir uns kümmern, wenn alles andere erledigt ist.“
Eine nachdenkliche Falte hatte sich zwischen Estaras Augenbrauen gebildet. „Das klingt logisch“, sagte sie. „Meine Kundschafterinnen berichten, dass Hakaro noch keine Anstalten gemacht hat, uns anzugreifen, obwohl einige von den hier lebenden Schwestern sich in den letzten Tagen Kämpfe mit seinen Verbündeten geliefert haben. Sakori dagegen ist auf dem Weg hierher. Andererseits …“, sie starrte auf die Karte, „... könnte Hakaros Zögern auch bedeuten, dass die beiden sich abgesprochen haben und nur darauf warten, dass wir uns genau zwischen ihnen befinden.“
Ivara lächelte, als ihr mit einem Mal eine Idee kam. Sie kannte Estara als eine vernünftige Person, die zwar harsch in ihren Entscheidungen, aber auch immer offen für vernünftige Argumente war.
„Kennst du die Geschichte von dem P’anaal-Weibchen, das das Leben seiner Jungen riskierte, weil sie unbedingt das Jagdgebiet eines anderen P’anaals für sich wollte?“, fragte sie.
Ihre Schwester schüttelte den Kopf. „Das ist nicht aus dem Land des sichelförmigen Mondes, nicht wahr?“
„Nein. Es ist eine Geschichte, die man sich bei den Duna erzählt“, log Ivara glatt. „Wenn du willst, erzähle ich sie dir. Ich bin sicher, sie wird dir bei deiner Entscheidung helfen.“
Rothen betrachtete die fünfzehn Jungen und Mädchen, die nicht unterschiedlicher hätten sein können, mit Wohlwollen. Zu Beginn dieses Kurses waren sie einander noch mit Misstrauen begegnet, doch die Spiele, die er und Lord Larkin mit ihnen veranstalteten, hatten sie einander nähergebracht.
Indem sie die Rollen getauscht hatten, hatten sie ein Gefühl dafür bekommen, wie es war, in der Haut jemandes anderer Herkunft zu stecken. Besonders für die Sprösslinge der Häuser hatte sich dies als heilsam erwiesen. Die Kinder aus den Arbeiterfamilien des Äußeren Ringes hatten es genossen, die arroganten Adelskinder zu spielen – zu sehr für Rothens Geschmack – so dass er sie schließlich untereinander ’reich und arm’ hatte spielen lassen.
Lord Larkin hatte den Kurs an einem Nachmittag ins Krankenhaus geführt, damit alle sehen konnten, dass die Menschen in den Hüttenvierteln nicht weniger schlecht und weniger wert waren, als Reichen und Mächtigen. Diesen Nachmittag verbrachten sie damit, die Regeln der Gilde zu lernen und anhand von Beispielen zu verinnerlichen.
„Eure Regeln widersprechen sich, Mylord“, erklärte ein Junge aus den Hüttenvierteln.
Rothen runzelte die Stirn. „Inwiefern?“
„Es heißt, man darf keinem anderen Menschen schaden, außer um die Verbündeten Länder zu verteidigen. Aber dann habt Ihr gesagt, dass wir den anderen Magiern gehorchen müssen.“
„Richtig“, sagte Rothen. „Was ist dir daran unklar?“
„Wenn ein Magier mir befiehlt, jemanden zu töten, verstoße ich gegen die erste Regel.“
Der Junge dachte mit. An diesem Tag empfand Rothen das jedoch als anstrengend.
„Wenn du mit einem solchen Befehl deinen Eid gegenüber der Gilde oder ein Gesetz brichst, ist es deine Pflicht, diesem Magier den Gehorsam zu verweigern“, sagte er.
„Und wenn es nicht direkt erkennbar ist?“, fragte der Junge weiter. „Was, wenn der Magier mich squimpt?“
„Wenn er dich zu einem Verbrechen verleitet und du es nicht bemerkst – was eigentlich nicht passieren sollte, da wir von unseren Novizen erwarten, die Regeln und Gesetze zu kennen – dann ist unser Gesetz auf deiner Seite. Es kann allerdings sein, dass du dich einer Wahrheitslesung unterziehen musst, um deine Unschuld zu beweisen. Dasselbe gilt, solltest du erpresst werden.“
„Tut das weh?“, fragte ein Mädchen aus den Häusern furchterfüllt.
Rothen dachte an einen Tag in einem längst vergangenen Winter zurück. „Nein“, sagte er, sich zu einem Lächeln zwingend. Zumindest sollte es das nicht.
Als es zum Unterrichtsende läutete, atmete er innerlich auf. „Lernt die Regeln und denkt euch bis zur nächsten Woche ein paar weitere Beispiele aus“, sagte er. „Gerne auch Fälle, in denen ihr in einen Konflikt mit diesen Regeln geratet. Wir werden das dann nachstellen.“
Die Kinder strömten aus dem Klassenzimmer. Rothen hätte erwartet, dass sie nach dieser Stunde Fragen hatten, doch anscheinend fürchteten sie ihn zu sehr, um ihn einzeln anzusprechen.
Oh, wie ich hoffe, dass sie nicht zu Feinden werden, sobald sie den Eid gesprochen haben!, dachte er.
Auch das war einer der Gründe, warum er Soneas Hilfe hätte gebrauchen können. Eine schwarze Magierin, die im Krieg zahlreiche Heldentaten vollbracht hatte, war furchteinflößender als ein alternder, viel zu gutmütiger Alchemist.
Er verließ das Klassenzimmer und wandte sich zur Treppe. Die Universität war mit Magiern und Novizen bevölkert, als wäre es ein ganz gewöhnlicher Tag. Doch das war es nicht. Alle wussten von der Armee, die die Gilde in wenigen Tagen entsenden würde und wo Rothen hinkam, war dies das Hauptgesprächsthema. Selbst in seinem Vorbereitungskurs war dieses Thema diskutiert worden und Rothen hatte die erste halbe Stunde genutzt, seinen Schülern zu erklären, warum es so wichtig war, dass die Gilde Magier aus allen Schichten der Bevölkerung aufnahm.
„Und das nicht nur, damit wir genug Magier haben, um gegen die Sachakaner zu kämpfen, sondern auch, weil wir zivilisierter sind als die Sachakaner“, hatte er gesagt und erklärt, wie restriktiv in dem Land hinter den Bergen entschieden wurde, wer über Magie gebieten durfte und wer nicht. Das hatte keinem seiner Schüler gefallen.
In der Eingangshalle sah Rothen einen gehetzt wirkenden Administrator nach draußen eilen, während eine Gruppe Diener Kisten und Körbe in einen Korridor trug. Proviant für unsere Armee?
Um schnell zu reisen, würde jeder Magier eine bestimmte Menge an haltbaren Lebensmitteln erhalten, die er auf seinem Pferd transportierte. Ein Karren war selbst von Pferden gezogen langsamer, als wenn sie bei dieser Unternehmung auf Fuhrwerk verzichteten.
Rothen fand Lord Sarrin und die anderen Alchemisten, die sich freiwillig gemeldet hatten, in dem Kellerlabor, in dem sie einst die Schildsenker hergestellt hatten.
„Der Hohe Lord war heute Mittag hier und hat mir geholfen, die Lösungen für die Krieger zu magisieren, die die Phiolen einsetzen“, teilte das ehemalige Oberhaupt der Alchemisten Rothen mit, als er eintrat.
Rothen nickte. In der vergangenen Woche hatten die Krieger, die mit den neuen Schildwaffen kämpfen würden, Tests im Steinbruch durchgeführt, woraufhin Akkarin und Sarrin die Formel noch einmal verfeinert hatten.
„Was kann ich tun?“, fragte er.
„Helft Lord Peakin beim Abmischen der Basislösung. Dann kann Lord Genel mir bei der Zubereitung der Kontaktlösung zur Hand gehen.“
Die Schilddiebe wurden in mehreren Schritten hergestellt. Es gab eine Basislösung, die mit dem Blut eines Magiers magisiert wurde, und eine zweite Lösung, die dazu neigte, Energie aufzunehmen. Beide durften jedoch erst zusammengeführt werden, wenn ihre alchemistischen Bestandteile fertig abgemischt waren, weil beide sich andernfalls neutralisierten, anstatt zu einem Gemisch zu reagieren, dem man seinen Willen aufzwingen konnte. Das Blut der Krieger konnte hingegen auch später hinzugefügt werden. Den Grund verstand Rothen nicht so genau und er wollte es auch nicht, weil es sich dabei um schwarzmagisches Wissen handelte.
Der junge Alchemist schien höchst erfreut, eine andere Aufgabe zu erhalten. Jedoch nicht, weil es ihm widerstrebte, die winzigen Phiolen, die Blut und etwas enthielten, von dem Rothen nur wusste, dass es schwarzmagisch war, sondern weil er mit dem ehemaligen Oberhaupt der Alchemisten zusammenarbeiten konnte. Dieser war seltsamerweise begehrter als sein Nachfolger, der selbst ein herausragender Alchemist war.
Vermutlich, weil Peakin kein schwarzer Magier ist.
Rothen nickte dem anderen Alchemisten zu, der mit Lord Genels ehemaligem Klassenkameraden Jarend die Phiolen abfüllte, und gesellte sich zu Lord Larkin.
Er warf einen Blick auf die Namensliste. Drei Namen waren bereits durchgestrichen, die zugehörigen Basislösungen warteten in beschrifteten Reagenzgläsern auf einem kleinen Gestell. Natürlich haben Balkan und Regin schon ihre Phiolen, dachte Rothen trocken.
„Für wenn stellt Ihr gerade Schilddiebe her?“, fragte er.
„Für den Hohen Lord“, antwortete Larkin. „Noch zehn Stück, dann sind seine Phiolen bereit für Lord Sarrins Lösung. Doch zunächst brauchen wir mehr Basislösung.“
Rothen sah auf die Namensliste. „Einhundert Schilddiebe nur für Akkarin!“, entfuhr es ihm. „Damit sind wir bis in die Nacht beschäftigt!“ Und warum war die Zahl mit einem Stern versehen?
„Nicht ganz. Die letzten fünfzig sind für Sonea.“
Rothen erschauderte. Bewahrte Akkarin ihr Blut auf? Besser, er dachte nicht darüber nach, zu welch finsteren Zwecken er dieses gebrauchen könnte.
Offenkundig hatte der Lehrer für Alchemie sein furchterfülltes Gesicht gesehen. „Die Phiolen für Sonea enthalten kein Blut“, beruhigte er Rothen. „Sie wird dieses selbst hinzufügen, sobald sie und Dannyl auf unsere Armee treffen. Akkarin wünscht zudem Schilddiebe für Dannyl, damit er sich im Ernstfall verteidigen kann.“
Als Friedensbotschafter sollte Dannyl nicht aktiv an dem bevorstehenden Kampf gegen die Duna teilnehmen. Doch eine Schlacht ließ sich nicht bis ins kleinste Detail planen, sie würden nicht verhindern können, dass Dannyl nicht in die Kämpfe involviert wurde. Wahrscheinlich würde Dannyl darauf bestehen, an der Schlacht teilzunehmen, um die Parteien zum Einlenken zu bringen.
Das Abmischen der Zutaten für die Basislösung war eine eintönige Arbeit. Rothen und Larkin maßen Pulver und Flüssigkeiten ab, destillierten Wasser und mischten alles in einem größeren Gefäß, das mit Magie beheizt wurde, zusammen. Während der einzelnen Schritte mussten sie die Lösung abwechselnd abkühlen und die Öffnung des Gefäßes während des Erhitzens mit einer magischen Barriere verschließen. Anschließend kühlten sie die Lösung erneut und füllten sie in Reagenzgläser ab.
Es war schon lange dunkel, als Rothen das Kellerlabor verließ. Er fühlte sich schmutzig und verschwitzt, jedoch zu müde, um noch ins Badehaus zu gehen. Sarrin und seinem Nachfolger schien es nicht anders zu ergehen.
„Sollen die jungen Magier das Wasser dreckig machen“, sagte Peakin, während sie den von Laternen erhellten Weg zum Magierquartier entlang schritten. In den akkurat geschnittenen Hecken zirpten nachtaktive Insekten und die Blumen in den Beeten strömten einen betörenden Duft aus. Irgendwo im Wald sang ein Mullook seine einsame Melodie.
So eine schöne Sommernacht, dachte Rothen. Und wir verbringen unsere Zeit in einem Kellerraum, weil die Gilde sich wieder einmal auf eine Schlacht vorbereitet.
Aber wenn diese Schlacht geschlagen war, würde ein für alle Mal Frieden herrschen.
Auf die eine oder andere Weise.
Während der vergangenen Woche hatte Sakori in den fruchtbaren Regionen weitere Anhänger um sich geschart. Hakaro hatte Selbiges mit der Armee gemacht, die Tarko ausgesandt hatte. Die Verräter, die sich mit Ivasakos Leuten verbündet hatten, setzten alles daran, Sakori und seinen Anhängern zu schaden, wobei sie eine Spur der Verwüstung durch die fruchtbaren Regionen zogen. Aber es gab noch immer genügend Verräter, die jeden Ashaki angriffen, dem sie begegneten. Ivasakos Kriegsmeister hatte Hakaro daher angewiesen, nur noch geschlossen vorzugehen und auf die Aktionen der Verräter zu reagieren.
Obwohl in der Stadt Ruhe herrschte und das Leben im Palast ohne einen anspruchsvollen Imperator beschaulich geworden war, hatte Ivasako keinen ruhigen Augenblick. An manchen Tagen glaubte er, mehr über die verschiedenen Blutjuwelen, die unter seiner Armee im Einsatz waren, zu kommunizieren, als in gesprochenen Wörtern. Allenthalben erreichten ihn Nachrichten von Truppenbewegungen und Ashaki, die sich für die eine oder andere Seite entschieden hatten. Und Ashaki Varako kam regelmäßig in den Palast, um über die Bewegungen von Divako und den Duna zu berichten.
Täglich diskutierte Ivasako mit den drei Männern, die er neben Hakaro zu seinen Beratern ernannt hatte. Tarko und seine beiden Freunde Doraka und Ivako hatten ebenfalls Verbindungen zu Ashaki in den fruchtbaren Regionen und trugen damit dazu bei, das Mosaik aus Informationen zu komplettieren.
In alldem bekam Ienara ihn nicht oft zu Gesicht. Sie beklagte sich jedoch mit keinem einzigen Wort und das nicht einmal, wenn Ivasako nicht in der Stimmung war, um mit ihr zu schlafen. Anstatt Ansprüche zu stellen, lag sie in Ivasakos Armen, wenn dieser des Nachts mögliche Szenarien durchspielte und darüber nachgrübelte, wie die Handvoll Verräter, die sich ihnen angeschlossen hatten, eine gesamte Armee ihrer eigenen Leute überzeugen wollte.
Wenigstens haben sie die Rebellen dazu gebracht, für uns anstatt für Divako zu arbeiten.
Dank diesen wussten sie, was sie in den nächsten Wochen von Norden erwartete. Und das war alles andere als erfreulich.
„Ich habe Neuigkeiten von Hakaro“, sprach Tarko. Ein warmer Wind wehte durch die geöffneten Fenster des Besprechungsraumes. Der Himmel hatte sich zugezogen und es sah aus, als würde die wochenlange Sommerhitze eine Pause einlegen. „Diese könnten uns einen Vorteil verschaffen.“
„Sprecht“, forderte Ivasako seinen Kriegsmeister auf.
„Ein Späher hat einen von Sakoris Sklaven aufgegriffen und gefangen genommen. Der Mann hatte den Fehler gemacht, sich zu weit vom Lager zu entfernen, um mit einigen anderen Sklaven in einem nahen Fluss Wäsche zu waschen. Sie wurden von Sakoris Magiern bewacht, doch es gelang dem Kundschafter, einen der Sklaven zu entführen.“
„Taugen seine Informationen etwas?“, fragte Doraka.
„Er gehört zu Sakoris persönlichen Sklaven“, antwortete Tarko. „Er hat diesen auch mehrfach bei Besprechungen bedient.“
„Dann hat er höchstwahrscheinlich ein Blutjuwel und kann uns ausspionieren“, sagte Ivasako.
„Das hatte er. Aus diesem Grund hat Hakaro ihn getötet.“
Ivasako gefiel nicht, wenn Sklaven durch ihren Krieg gegen Kachiros Gegner zu Schaden kamen, doch unglücklicherweise ließ sich das nicht vermeiden. „Dann hoffe ich, dass die Informationen nützlich sind und er für etwas gestorben ist, was wir nicht bereits durch die Rebellen erfahren haben“, sagte er.
„Sind sie. Sakori glaubt, die Verräter hätten sich das mit dem Bündnis mit uns anders überlegt, weil sie seit ihrer Ankunft in den Ödländern auch einige von unseren Leuten getötet haben. Deswegen will er ihre Armee zwischen seine und die von Hakaro bringen.“
Das konnte böse enden, wenn Ivasako einen Fehler machte. Doch zugleich bot dies eine unerwartete Chance.
„Dann möge Hakaro den Verrätern zu Sakori folgen“, sagte er. „Er soll es wie eine Jagd aussehen lassen. Und wenn Sakori und die Verräter aufeinandertreffen, wird Hakaro Sakoris Armee angreifen.“
Nach Ivasakos letzten Informationen war die Verräterin, die versuchte, ihre eigenen Leute von einem Angriff gegen Ivasakos Armee abzubringen, in den fruchtbaren Regionen eingetroffen. Wenn es ihr bis dahin gelungen war ihre Schwestern umzustimmen, konnten sie sich den Duna gemeinsam entgegenstellen.
Die Tür ging auf und Jorika platzte in den Raum. Die drei Ashaki fuhren herum und Ivasako glaubte, zumindest in Ivakos Miene so etwas wie Missbilligung zu lesen.
„Meister Ivasako!“, rief der Junge und warf sich zu Boden. „Da ist ein Kyralier, der Euch sprechen will.“
So, ein Kyralier? Das konnte nur der Kurier sein, den Ashaki Varako ihm zwei Wochen zuvor angekündigt hatte. „Bring ihn in den Audienzraum und versorge ihn mit Erfrischungen“, wies Ivasako seinen kleinen Assistenten an. „Ich kümmere mich um ihn, sobald ich hier fertig bin.“
„Habe ich schon gemacht, Meister Ivasako.“
„Sehr gut.“ Ivasako wandte sich wieder zu seinen Beratern. „Dann sollten wir nun einen detaillierten Plan ausarbeiten, wie wir das Problem mit Sakori lösen, bevor Divako die fruchtbaren Regionen erreicht.
Eine Stunde später saß er in der Thronhalle, Ienara an seiner Seite. Am anderen Ende der Halle schwangen die großen Türen zurück und ein einzelner Kyralier trat ein. Seine Haut war so bleich wie die der wenigen anderen Kyralier, die Ivasako in seinem Leben zu sehen bekommen hatte. Sein dunkles Haar war eher braun als schwarz und wie seine Uniform mit dem Staub einer langen Reise bedeckt.
Bei seinem Anblick ballte sich eine Faust in Ivasakos Magengrube zusammenballte. Dieser Mann war nur ein Nichtmagier, doch er war von dem Mann geschickt, der an der Ermordung seines Meisters beteiligt gewesen war. Mit einem Mal löste der Anblick des Konfekts, das Ienara für ihn hielt, Übelkeit aus.
„Großer Palastmeister Ivasako“, sprach der Kyralier und verneigte sich höchst unterwürfig, als er vor dem Thron angelangt war. „Mein Name ist Marven von Dalin. Bitte verzeiht meinen Auftritt, doch ich hielt es für wichtiger, Euch sofort aufzusuchen, als mich um mein Äußeres zu sorgen.“
Sein Sachakanisch war nicht schlecht, doch sein Akzent war grauenhaft.
„Mir wurde bereits von Eurer Ankunft und dem Angebot der Gildenmagier berichtet, Marven von Dalin“, sagte Ivasako. „Was ist so wichtig, dass Ihr mich dennoch sofort aufsucht?“
Der Kurier streifte den Handschuh an seiner rechten Hand ab. Darunter erblickte Ivasako einen goldenen Ring. Mit einem roten Juwel.
„Ich stehe in direktem Kontakt mit dem Anführer der Gildenmagier, dem Hohen Lord Akkarin. Auf diese Weise müssen die Informationen nicht mehr den umständlichen Weg über die Verräter nehmen.“
Ivasako horchte auf. Die Nachrichten, die er in den vergangenen beiden Wochen von den Gildenmagiern erhalten hatte, liefen über mehrere Blutjuwelen, bevor sie den Palast erreichten. Der Anführer informierte einen Krieger an der Grenze, dieser informierte eine Verräterin, die mit Varakos Frau in Verbindung stand und über diesen gelangte die Information schließlich zu Ivasako.
Die Versuchung, dem Mann das Blutjuwel abzunehmen und mit dem Anführer der Gildenmagier persönlich zu sprechen, war groß. Ivasako hätte zu gern herausgefunden, wen dieser in jener Nacht im Palast alles ermordet hatte. Und es verlangte ihm zu erfahren, inwiefern Akkarin an dem Mord an seinem Meister beteiligt gewesen war. Hatte er Marikas Kraft genommen, damit Sonea ihm den Todesstoß versetzen konnte, oder hatte er ihr ihre Magie wiedergegeben und sie hatte es selbst getan?
Ivasako riss sich von seinen unerfreulichen Gedanken los. Damit konnte er sich befassen, wenn dieser Krieg vorbei war.
„Was habt Ihr von den Gildenmagiern zu berichten?“, fragte er.
„Die Gildenmagier bereiten sich darauf vor, mit ihrer Armee gen Sachaka zu ziehen“, berichtete Dalin. „In drei Tagen sind sie soweit. Sie würden es begrüßen, wenn Eure Leute ihnen entgegenkommen und in ihre Richtung treiben, was von Euren Gegnern noch übrig ist.“
„Ich dachte, sie kommen zu uns“, sagte Ivasako verwirrt. „Oder habe ich das falsch verstanden?“
„Sie kommen uns entgegen. Doch sie mussten die Anführerin der Verräter glauben lassen, dass sie auf deren Seite seien.“
Angesichts der schieren Größe von Arikhais Armee, war das vermutlich die bessere Alternative. Zudem waren Divako und die Duna noch immer mehrere Tagesreisen von den fruchtbaren Regionen entfernt.
„Jorika!“
Die Türen gingen auf und sein kleiner Assistent eilte in die Thronhalle.
„Dieser Mann wird unser Gast sein“, teilte Ivasako ihm mit. „Sorge dafür, dass er ein gutes Zimmer im Gästehaus, ein Bad, etwas zu essen und frische Kleider bekommt.“
Als Nastias Schild durch Regins finalen Feuerschlag einen tödlichen Treffer erlitt, hob Regin die Hand. „Schluss für heute!“, rief er und ließ seinen Schild fallen. „Es ist spät und ich würde es mir nie verzeihen, wenn du morgen im Unterricht einschläfst.“
Die Novizin kicherte. „In der ersten Stunde habe ich Alchemie. Das ist auch so zum Einschlafen.“
Regin lachte. Es war ihm nicht anders gegangen, wenn auch Alchemie noch immer interessanter als Heilkunst war. Er konnte sich für gefährliche Experimente begeistern, jedoch nicht für die ihnen unterliegende Theorie.
„Lass das nicht Lord Elben hören!“
„Oh, solange Ihr mich nicht verratet, Mylord.“
„Ganz sicher nicht“, versprach Regin. „Darauf hast du mein Wort.“
Sie verließen die Arena. Die Sonne, die um diese Jahreszeit erst spät unterging, war hinter den Bäumen versunken, der Abendunterricht war längst vorbei. Balkan hatte Regins Gesuch, Nastias Talent zu fördern, eingewilligt. Und Regin hatte hehre Freude an ihren Einzelstunden, jetzt wo es niemanden mehr gab, der ihm deswegen eine Szene gemacht hätte.
Flavia war nicht eifersüchtig, aber willig, ob er sie gerade wollte oder nicht. Neben den Vorbereitungen für die Armee war Nastias Privatunterricht zudem eine willkommene Abwechslung.
„Wie habe ich heute gekämpft, Mylord?“, fragte Nastia, als sie durch das Portal schritten.
„Du hast gute Fortschritte seit unserer letzten Stunde gemacht“, antwortete Regin. In der Dunkelheit des Tunnels konnte er ihr Gesicht nicht sehen, doch so, wie sie die Luft einsog, hatte er sie in Verlegenheit gebracht.
Als sie ins Freie traten, waren ihre Wangen leicht gerötet. „Lord Regin?“, fragte sie.
Er wandte sich zu ihr. „Ja?“
„Ich finde es wirklich nett von Euch, dass Ihr Euch meiner annehmt.“
„Du hast großes Talent. Es wäre eine Verschwendung, das nicht zu fördern.“
„Also tut Ihr das nicht, weil Ihr Euch etwas aus mir macht“, folgerte sie.
Mit einem leisen Unbehagen erkannte Regin, dass das Gespräch eine Wendung genommen hatte, die ihm missfiel. „Ich halte dich für eine gute und intelligente Novizin“, antwortete er vorsichtig. „Und ich bin sicher, du wirst eine großartige Kriegerin werden.“
Sie lächelte, doch das Lächeln erreichte nicht ihre Augen.
Regin unterdrückte ein Seufzen. Sein neuerliches Junggesellendasein sorgte dafür, dass die Novizinnen, aber auch einige der jüngeren Magierinnen ihm vermehrt nachstellten. Anfangs hatte ihn das geschmeichelt und er war versucht gewesen, die eine oder andere Magierin zu verführen, um sich über Trassia hinwegzutrösten. Aber solange er noch nach einem Weg suchte, Trassia zurückzugewinnen, war das keine Option. In der Gilde blieb nichts lange ein Geheimnis und Gerüchte breiteten sich schneller aus, als der Harrel flüchten konnte. Regin durfte sich – nicht einmal aus Verzweiflung – einen Fehler erlauben, der ihren Zorn weiter anfachte. Er durfte nicht einmal flirten. Ohne Flavia, deren Verschwiegenheit er sich sicher war, wäre das eine unvorstellbare Strafe gewesen. Er war ein Mann und er hatte gewisse Bedürfnisse, die nach Erfüllung verlangten. Doch jedes Mal, wenn er kurz davor war, dem nachzugeben, musste er wieder an Coille denken. Es hatte nicht funktioniert, weil er die ganze Zeit nur an Trassia hatte denken können. Mit Flavia hatte er dieses Problem nicht. Weil sie schon immer da gewesen war. Und weil sie nur eine Dienerin war.
Könnte ich meine Magie doch einfach verwenden, um meine Gefühle und mein Gewissen abzustellen!, dachte er sehnsüchtig. Dann würde er tun können, was ihm beliebte und nicht mehr durch das Gefängnis seiner Moral begrenzt sein.
„Verzeih, wenn ich falsche Hoffnungen in dir erweckt habe, Nastia“, sagte er daher. „Das war nicht meine Absicht.“
„Also bin ich nur eine Novizin für Euch.“
„Nein“, sagte er und schüttelte den Kopf. „Ich sehe in dir eine sehr talentierte Novizin. Aber du bist meine Schülerin. Ich würde gegen die Regeln verstoßen, für die ich mich so sehr eingesetzt habe, wenn ich mich mit dir einlassen würde.“
„Ich verstehe“, sagte sie. „Das wäre auch ziemlich heuchlerisch.“
„Genau.“ Er machte eine Pause und sah sie an. „Und es würde kein Geheimnis bleiben.“
Sie lächelte schief. „Ich danke Euch, für Eure Ehrlichkeit, Lord Regin. Ihr habt recht, Ihr solltet wirklich nur mein Lehrer sein. Gute Nacht.“
Mit diesen Worten wandte sie sich ab und lief zu den Novizenquartieren. Regin sah ihr nach. Jetzt hatte er sie glauben lassen, er hätte doch romantische Gefühle für sie. Doch bis sie ihr Studium beendet hatte, würde sie sich längst in einen anderen verliebt haben.
Seufzend machte er sich auf den Weg zu den Magierquartieren. In der kleinen Eingangshalle wollte er sich in den Flur begeben, auf dem sein düsteres Apartment lag und wo Flavia ihn mit dem Abendessen wartete, doch dann hielt er inne.
Sie wird jetzt zuhause sein, dachte er. Der Zeitpunkt war günstig. Und Regin hatte lange genug gewartet.
Und wenn sie noch immer wütend ist, kann ich sie vielleicht damit überzeugen, dass ich Nastia soeben einen Korb gegeben habe.
Von neuem Tatendrang erfüllt erklomm er die Stufen ins Obergeschoss. Niemand begegnete ihm, um diese Zeit waren die meisten Magier in ihren Quartieren, korrigierten Tests, bereiteten Unterricht vor oder gaben sich entspannenden Freizeitbeschäftigungen hin. Für Regin bedeutete das vor allem eines: Sollte Trassia ihm eine Szene machen, würde es weniger Zeugen geben.
Vor ihrer Tür blieb er stehen. Er strich sich übers Haar, klopfte den Arenastaub aus seiner Robe, dann klopfte er einen tiefen Atemzug nehmend.
„Herein!“
Regin runzelte die Stirn. Die Stimme klang fremd und sie war männlich. Konnte es sein, dass Trassia schon einen neuen Liebhaber hatte?
Die Tür schwang auf und er trat ein. Ein junger Magier in purpurfarbenen Roben saß an einem Tisch zusammen mit einer Frau gekleidet in die neuste kyralische Mode und zwei kleinen Kindern. Auf dem Tisch standen mehrere dampfende Schüsseln und Platten.
Verwirrt sah Regin sich um. Er glaubte zu träumen. War das nicht das Apartment, das er ein halbes Jahr lang bewohnt hatte?
„Verzeihung“, murmelte er. „Ich habe mich wohl in der Tür geirrt.“
„Und ich dachte, Ihr wärt Lord Orrel“, erwiderte der Magier.
„Zu wem wolltet Ihr?“, fragte seine Frau.
„Ich wollte Lady Trassia besuchen“, stammelte Regin.
„Lady Trassia ist ins Heilerquartier gezogen“, antwortete der Alchemist.
Die Eröffnung traf Regin völlig unerwartet. „Wann?“, fragte er.
„Am letzten Wochenende.“
Das war schnell gegangen. Wohnraum im Heilerquartier war begrenzt und wurde vorzugsweise an Heiler vergeben, die auf Abruf verfügbar sein mussten.
„Als wir hörten, dass ein schönes Apartment im Magierquartier frei werden sollte, haben wir sofort entschieden, es zu nehmen“, fügte die Frau hinzu. „Mit zwei Kindern weiterhin im Haus meiner Eltern zu wohnen, war keine dauerhafte Lösung.“
„Ich verstehe“, erwiderte Regin. Er deutete eine Verneigung an. „Dann möchte ich die späte Störung entschuldigen.“
So schnell es ihm ohne seine Würde zu verlieren möglich war, eilte er nach draußen. Wie hatte das passieren können?
In das Gefühl von Demütigung stahl sich allmählich ein leiser Zorn, als Regin erneut den abendlichen Park durchquerte. Mittlerweile hatte sich die Dämmerung über das Universitätsgelände gelegt und Novizen aus dem ersten Jahr eilten die Wege entlang und entzündeten die Laternen mit Magie.
Die Wohnungen der Heiler befanden sich in den höheren Etagen des Heilerquartiers. Im Erdgeschoss waren die Behandlungs- und Patientenzimmer, darüber lagen Unterrichtsräume, Lagerräume und medizinische Labors. Und darüber wohnten die Heiler, die nicht mit ihren Ehepartnern im Magierquartier oder in der Stadt lebten.
Auf dem Weg nach oben hielt Regin einen an ihm vorbeieilenden Heiler an und fragte ihn, wo Lady Trassia wohnte. Dann erklomm er die Stufen in die höheren Stockwerke.
Trassias neues Apartment lag auf der Vorderseite mit Blick auf die Universität und die Arena. Von hinter der Tür erklangen die fröhlichen Stimmen zweier Frauen.
Oh bitte, lass es nicht Luzille sein!, flehte Regin innerlich. Die aufgekratzte, herrschsüchtige Elynerin war die letze Person, die er jetzt bei Trassia sehen wollte. Er überlegte, wieder zu gehen und es ein anderes Mal zu versuchen, doch dann hätte er beinahe laut aufgelacht. Er hatte gegen zahlreiche schwarze Magier gekämpft. Er war der zweitbeste Krieger seines Jahrgangs. Und da hatte er Angst vor einer Nichtmagierin?
Ich bin bis hierhin gekommen, also werde ich es auch zu Ende bringen, dachte er entschlossen.
Einen tiefen Atemzug nehmend klopfte er.
„Herein!“, rief Trassia ungewohnt fröhlich und die Tür schwang auf, während die Frauen ihr Gespräch munter fortsetzten.
„Guten Abend, die Ladies“, grüßte Regin und trat ein.
Das Gespräch erstarb. Trassias Mund klappte auf. Für einen kurzen Augenblick glaubte Regin, sie würde aufspringen und ihm um den Hals fallen, doch dann verfinsterte sich ihre Miene.
Lady Indria hatte sich zuerst wieder gefasst. „Lord Regin“, sagte sie kühl. „Welch Überraschung, Euch hier zu sehen. Ist Euer privater Abendunterricht etwa schon zu Ende?“
Der Spott in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Regin fühlte sich gescholten. Er begann sich zu fragen, was Trassia ihr alles über ihn erzählt hatte. Auf ihre Weise war die junge Heilerin ebenso schlimm wie Luzille. Indria war Trassias Mentorin gewesen, als er mit Coille angebandelt hatte und mit Kayan auf Patrouille gewesen war. Auch damals hatten die beiden Frauen einander sehr nahe gestanden, jetzt waren sie beste Freundinnen. Regin behagte das nicht. Trassia hatte zu viele Freundinnen, die sich gegen ihn zusammenrotten konnten. Und als ehrenhafter Krieger hatte er kein wirksames Mittel dagegen.
„Lady Trassia zu besuchen erschien mir als guter Anlass, den Abendunterricht früher zu beenden“, erwiderte er sein Unbehagen beiseiteschiebend.
Seine ehemalige Freundin betrachtete ihn abschätzig. „Was, wenn ich nicht von dir besucht werden will?“
„Vielleicht solltest du erst einmal anhören, was ich dir zu sagen habe, liebste Trassia.“
Mit einem Schnauben verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Wieso sollte ich das?“
Lady Indria erhob sich. „Ich denke, Lady Lorea wird nicht mehr auftauchen“, sagte sie. „Wahrscheinlich hat es im Krankenhaus einen Notfall gegeben.“ Sie warf einen zögernden Blick zu Trassia. „Kann ich dich alleine lassen?“
„Geh nur“, erwiderte Trassia. „Ich werde schon mit ihm fertig.“
„Wenn nicht, ruf nach mir.“
Trassia rang sich ein schiefes Lächeln ab. „Gute Nacht, Indria.“
„Gute Nacht, Liebes.“
Regin einen letzten finsteren Blick zuwerfend rauschte die Heilerin aus dem Raum.
„Also Regin, was willst du?“, verlangte Trassia zu wissen, nachdem sich die Tür hinter Indria geschlossen hatte.
„Ich wollte dich sehen.“
„Ist das der einzige Grund, für den ich meinen Frauenabend unterbrochen habe?“
„Anscheinend Grund genug, dass du Lady Indria nicht aufgehalten hast“, erwiderte Regin.
Trassia verzog das Gesicht. „Ich habe dir nicht verziehen, wenn es das ist, was du wissen willst“, sagte sie. „Aber ich war zu lange mit dir zusammen und zu vermissen, obwohl du ein Mistkerl bist.“
„Und doch bist du aus unserer Wohnung ausgezogen.“
„Es war nicht mehr unsere Wohnung“, stellte sie richtig.
„Warum hast du das getan?“, verlangte er zu wissen. Sie hatte ihn nicht nur aus diesem wunderschönen Apartment rausgeworfen, sie war auch noch selbst ausgezogen – aber erst, nachdem sie dafür gesorgt hatte, dass er nicht mehr dorthin zurückkonnte! So ein kleines Biest!, dachte Regin erbost. Ihre Freundschaft mit Luzille tut ihr nicht gut. So viel Manipulativität und Durchtriebenheit waren nicht Trassias Art. Ihre elynische Freundin musste sie dazu angestiftet haben. Er kannte Luzilles Einstellung zu Männern von den formalen Dinnern in der Residenz des Hohen Lords. „Es war Luzille, die dich darauf gebraucht hat. So ist es doch, nicht wahr?“
„Sobald ich etwas tue, was dir nicht passt, machst du Luzille dafür verantwortlich!“, sagte Trassia erbost. „Vielleicht war sie es dieses Mal ja gar nicht. Vielleicht war es ja Indria!“
Regin schnaubte. Warum rottete Trassia nicht gleich all ihre Freundinnen zusammen und hetzte sie ihm auf den Hals? Dann würde er wenigstens wissen, wem er in Zukunft aus dem Weg gehen musste.
„Und wieso sollte Lady Indria das getan haben?“
Trassia seufzte. „Regin, ich bin eine Heilerin. Und ich bin alleinstehend. Das Magierquartier ist nicht der richtige Ort für mich. Hier bin ich schneller zur Stelle, wenn einer der Patienten dringend einen Heiler braucht.“
„Dann hättest du auch gleich hierher ziehen können“, entgegnete Regin. „Aber du hast es vorgezogen, mich rauszuwerfen.“
Ihre dunklen Augen füllten sich mit Tränen und ihre Unterlippe begann zu zittern. „Weil ich nicht ausziehen wollte“, sagte sie leise. „Ich habe gedacht, ich könnte dort alleine weiterleben. Doch dann wurde mir klar, dass ich das nicht konnte, Regin.“
Mit einem Mal schämte er sich, weil er so harsch über sie geurteilt hatte. „Warum hast du das nicht gleich gesagt?“, fragte er behutsam.
Stumme Tränen liefen über ihre Wangen. „Weil du nicht gefragt hast.“
Einen plötzlichen Impuls folgend machte Regin einen Schritt auf sie zu und schloss sie in seine Arme. Trassia krallte sich in den Stoff an seiner Brust und begann hemmungslos zu weinen.
Sie hat mich vermisst, erkannte er ein plötzliches Glücksgefühl verspürend. Sie mag mir noch zürnen, aber sie liebt mich noch immer.
„Nicht weinen, liebste Trassia“, flüsterte er in ihr Haar, während er über ihren Rücken strich. „Nicht weinen.“ Behutsam nahm er ihr Gesicht zwischen seine Hände und küsste ihre Lippen. Ihre Schluchzer versiegten und sie erwiderte seinen Kuss.
Plötzlich stieß sie ihn von sich. „Was fällt dir ein!“, fauchte sie. „Wie kannst du es wagen? Wir sind kein Paar mehr!“
„Das hat dich gerade nicht davon abgehalten, mich zu küssen.“
Sie gab ihm eine schallende Ohrfeige.
„Au!“, entfuhr es ihm. „Ich bin hergekommen, um dich um Verzeihung zu bitten und das ist alles, was ich bekomme?“
Sie schlug ihn erneut. „Ist das jetzt besser?“
„Ich hatte auf ein wenig mehr Zuwendung gehofft“, erwiderte er.
„Geh!“, fauchte sie. „Und wag es bloß nicht, dich jemals wieder hier blicken zu lassen!“
„Ich habe verstanden“, sagte Regin trocken. „Es wird der Tag kommen, an dem du deine Worte bereuen wirst.“ Mit diesen Worten verließ er das Apartment. Auf dem Flur sah er Lady Indria in einer der Türen sehen. Ihr finsterer Blick verfolgte ihn auf dem Weg nach draußen und durch den Park.
Gut gemacht, Lord Regin!, dachte er wütend, während er an der Arena vorbei stapfte. Was hatte er sich nur dabei gedacht, sie aufzusuchen? Jetzt würde sie ihn ganz sicher nicht mehr zurücknehmen.
Die Lust auf Abendessen war ihm vergangen. Aber es war Vierttag. Regin wusste, wohin er gehen konnte.
„Hakaro sagt, er wäre jetzt soweit.“
Die vier Männer, die sich mit ihren Sklaven in dem von einer aufgehenden Sonne erhellten Kuppelzimmer versammelt hatten, rückten ihre Sessel zu Ashaki Tarko. Ivasako streckte seine Hände aus und berührte die von Doraka und die seines Kriegsmeisters. Die seit Wochen in ihm herrschende Spannung drohte ihn zu ersticken. Die Feindseligkeiten zwischen den drei Armeen in den fruchtbaren Regionen, die sich bis jetzt auf das Erobern und Zerstören von Ashaki-Anwesen oder Kämpfe kleinerer Gruppen, die auf dem Weg zu ihrer favorisierten Partei aneinandergeraten waren, beschränkt hatten, erreichten nun ihren Höhepunkt.
Hakaro hatte einem seiner Späher das Blutjuwel gegeben. Dieser befand sich nun auf einem Hügel verborgen zwischen Dornbeersträuchern. Unter ihm breitete sich das vertrocknete Grasland der fruchtbaren Regionen im Sommer aus. Der Anblick hätte nicht einer gewissen Lieblichkeit entbehrt, würde sich nicht weit unter ihm am Fuße des Hügels eine größere Gruppe Personen befinden, die allesamt auf etwas in der Ferne starrten. Selbst aus der Entfernung wirkten sie auf Ivasako wild und gefährlich. Und wütend.
Ihr Anblick entsprach seiner Vorstellung der Verräter besser, als das Bild, das er von Varakos Frau im Kopf hatte, wenn der Ashaki sie zu Festen im Palast mitnahm. Sie wirkte immer so unterwürfig und scheu, doch inzwischen war der Palastmeister überzeugt, dass sie das nur spielte.
Der Späher wandte den Blick nach rechts und dann sah Ivasako, was die Aufmerksamkeit der Verräter erregt hatte.
Eine große Gruppe Reiter näherte sich von der Kuppe eines anderen Hügels, das Cravas auf den Bannern. Ivasako schüttelte unwillkürlich den Kopf. Kachiros Anhänger haben nicht das Recht, dieses Symbol zu tragen, dachte er. Sie hätten ein anderes wählen sollen.
Für Ivasako wäre allein das Grund genug gewesen, Hakaros Leute anzuweisen, ihren Gegnern die Banner wegzunehmen und zu verbrennen.
Mit einer quälenden Langsamkeit, die mehr seiner eigenen Ungeduld als der tatsächlichen Bewegung beider Armeen zu verdanken war, näherten sich Verräter und Ashaki einander. Es war soweit. Obwohl Ivasako nur ein Zuschauer im mehrere Tagesreisen entfernten Arvice war, war seine Unruhe noch nie so groß gewesen. Und er dankte Marika im Stillen, dass dieser ihn an seinen eigenen Feldzügen nie durch das Blutjuwel hatte teilhaben lassen.
Es gab kein Gespräch zwischen den Anführern beider Armeen, keinen Versuch, zu vermitteln. Als die Ashaki in Reichweite kamen, schlugen sie los.
Eine Wand von Feuerschlägen raste auf die Verräter zu. Die Luft geriet in Bewegung, als diese sich mit Schilden schützten und auf dieselbe Weise antworteten. Die Pferde mehrerer Ashaki scheuten, doch offenkundig waren die meisten auf magische Schlachten trainiert. Für Land-Ashaki, die in Nachbarschaftskriege verwickelt und den Angriffen der Ichani ausgesetzt waren, nicht unüblich. Die Verräter stürmten nach vorne, als würde es sie nicht kümmern, dass ihre Gegner sie niederreiten konnten. Hier und da sah Ivasako etwas in der Morgensonne glitzern. Dolche.
Und dann wusste Ivasako, was sie vorhatten.
„Sie wollen die Pferde verletzen“, sagte er. „Damit zwingen sie die Ashaki, zu Fuß zu kämpfen.“
Der Schild der Ashaki konnte nicht das gesamte Pferd schützen. Die Beine brauchten eine gewisse Bewegungsfreiheit. Obwohl sie auf diese Weise schneller waren, war genau dies ihre Schwachstelle.
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal froh über die Durchtriebenheit der Verräter sein würde“, bemerkte Doraka.
Die Erheiterung der Berater hielt nur kurz. Denn nur wenige Augenblicke später geschah etwas, das Ivasako an den Gesetzen der Natur zweifeln ließ, als ein Reiter und sein Pferd in einen Feuerball mit einer so klar definierten Oberfläche gehüllt waren, als befänden sie sich in einer Glaskugel. Nur einen Augenblick später zerbarst der Feuerball und eine Woge gleißender Magie raste über das Schlachtfeld. Zwei weitere folgten unmittelbar.
„Was war das?“, fragte Tarko.
„Ich glaube, das war eine dieser Waffen der Gildenmagier“, sagte Ivako. „Sie ist unter dem Schild explodiert und hat den Ashaki getötet.“
„Und die Verräter haben die Waffen durch die Schwachstelle im unteren Teil des Schildes geschickt“, fügte Ivasako hinzu.
„Ich dachte, die Gildenmagier haben sich von den Verrätern distanziert. Wieso versorgen sie sie trotzdem noch mit diesen Waffen?“, wunderte sich Tarko.
„Entweder die Waffen wurden den Verrätern gegeben, die mit uns und den Gildenmagiern arbeiten oder sie haben sie früher erhalten“, antwortete Ivasako. Der Kurier hatte ihm versichert, dass die Gildenmagier seit dem Vorfall in Yukai keine neuen Waffen an die Verräter geliefert hatten. Der Anführer hielt Savedra unter dem Vorwand hin, dass seine Magier gerade damit beschäftigt waren, eine neue Waffe zu erschaffen und zu testen, diese jedoch noch nicht einsatzbereit war. Ivasako wusste nicht, wie viel Glauben er einer solchen Behauptung schenken sollte. Sollte sie sich jedoch als wahr erweisen, so hatten seine eigenen Leute bessere Chancen, Divako und die Duna mit den Gildenmagiern zu vernichten.
Einige Ashaki reagierten geistesgegenwärtig und beeilten sich, von ihren Pferden abzusteigen und diese fortzujagen. Dann griffen sie die Verräter an. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sich das Bild in ein Chaos aus gleißender Magie, verwandelt. Darin erblühten in unregelmäßigen Abständen Feuerbälle und weiße Nebel wie tödliche Blumen, wo die Waffen der Gildenmagier auf die Schilde der Ashaki trafen.
- Sagt Hakaro, er möge Sakoris Leute nun angreifen, wies Ivasako den Späher an. Aber er soll es so aussehen lassen, als würden sie das nicht tun, um den Verrätern zu helfen.
Der Späher bestätigte und zog sich zurück, um Hakaro das Blutjuwel zu übergeben. Mehrere Minuten geschah nichts, dann spürte Ivasako die Präsenz des Ashaki.
- Wir sind unterwegs, um Sakoris Leuten in die Flanke zu fallen, sandte Hakaro.
- Gut, antwortete Ivasako. Für den Fall, dass Eure Leute an die Verräter geraten: Sagt ihnen, sie sollen nur jene töten, die sie angreifen.
- Verstanden, antwortete Hakaro. Ich hoffe, das wird nicht notwendig sein.
Ich auch, dachte Ivasako. Varakos letzter Bericht lag einen Tag zurück. Die Verräter, die sich gegen ihre Anführerin gestellt hatten, konnten mehr geworden sein. Oder sie waren tot.
Der Plan schien aufzugehen. Die Ashaki, die der Palastmeister ausgesandt hatte, hatten die Verräter in der Nacht umrundet und fiel Kachiros Anhängern nun in die Seite. Sakoris Plan war somit gescheitert. Hätte die Armee des Palastmeisters nicht gewusst, dass ein Teil der Verräter für sie kämpfte, so hätten beide Ashaki-Gruppen sich gegen Ivara und ihre Schwestern zusammengetan und sich anschließend gegenseitig umgebracht.
Bleibt nur noch zu hoffen, dass es bei uns nicht dazu kommt, dachte Ivara.
Nachdem es ihr gelungen war, Estara für ihre Sache zu gewinnen, hatten sich ihnen weitere Schwestern angeschlossen. Estara hatte ihr die Namen jener genannt, von denen sie wusste, dass sie sich gegen Savedra stellen würden, wenn sie die Wahrheit erfuhren. Es waren nicht viele gewesen, aber immerhin war es diesen gelungen, bis zum Morgen ein paar weitere vertrauenswürdige Schwestern einzuweihen.
Bevor sie Vakiris Anwesen verlassen hatten, hatten die anderen Magierinnen Ivara ihre Quellen zur Verfügung gestellt. Damit war sie vermutlich noch immer schwächer, als die meisten ihrer Schwestern, doch Ivara fühlte sich weniger verwundbar. Für einen oder zwei Ashaki würde es vermutlich reichen. Schließlich hatten diese sich in den letzten Tagen schon den einen oder anderen Kampf geliefert.
Ivara griff nach ihrer Magie und schleuderte einen Kraftschlag gegen einen Ashaki, dessen Schild gerade von einer Schildsenker-Phiole geschwächt worden war. Diejenigen Verräter, die damit ausgestattet waren, hatten die Anweisung, mit einer Schwester zu arbeiten, die dem Gegner den anschließenden vernichtenden Schlag verpasste. Zu gern hätte Ivara die Phiolen selbst geworfen, doch Sahiri war geschickter darin, diese mit winzigen Illusionen zu tarnen. Zudem brauchte es nicht viel Magie, um einen Ashaki zu töten, dessen Schild gerade geschwächt war. Die simple Strategie funktionierte überraschend gut und Ivara fand, dass sie und Sahiri ein gutes Team waren.
Der Kraftschlag traf den Ashaki mitten in die Brust und er brach zusammen. Ihr Messer ziehend stürzte Ivara vor und nahm seine Kraft, bevor sein sterbender Körper die Kontrolle darüber verlieren konnte. Was für ein dummer Gorin!, dachte sie. Sicher war er ein Stadt-Ashaki.
Als sie sich erhob, war Sahiri an ihre Seite geeilt. „Wen als Nächstes?“
Ivara blickte sich um. Um sie herum waren alle in Kämpfe verwickelt, niemand nahm von ihnen Notiz.
Nicht weit entfernt mühte sich Elari mit einem Magier in einer einfachen Uniform ab – ein in Magie unterwiesener Sklave.
„Lass uns Elari und Yasira helfen“, sagte Ivara. „Ihr Gegner wird nicht mit einem Angriff von hinten rechnen.“
Sahiri lächelte durchtrieben. „Ganz besonders nicht, wenn es sich dabei um eine kleine Phiole aus Glas handelt.“
„Ganz sicher nicht“, stimmte Ivara zu. Die Phiole würde den Schild am meisten dort schwächen, wo sie auftraf.
Ihre Schwester warf eine Phiole. Im nächsten Moment war der Schild des Magiers von einem weißen Nebel umgeben. Ivara zögerte nicht und brach ihm mit einem Kraftschlag das Genick.
„Hol dir seine Magie!“, rief sie Elari zu.
Die andere Frau lächelte grimmig und stürmte ihren Dolch gezogen auf den reglosen Körper des Magiers zu.
Lächelnd sah Ivara ihr einen Augenblick zu, dann verwandelte sich das Lächeln in Verwirrung, als Sakoris Leute wie auf ein lautloses Kommando die Flucht antraten.
- Hinterher!, befahl Estara.
„Los!“, zischte Ivara ihrer Schwester zu.
Während sie rannten, attackierten sie ihre Gegner mit einem Hagel aus Kraftschlägen, unter dem mehrere Ashaki zusammenbrachen. Einigen gelang es, sich auf ihre Pferde zu retten, und das Weite zu suchen.
Ivara fluchte lauthals. Um sie herum kamen ihre Schwestern zum Stehen. In der Ferne setzten einige von Hakaros Magiern den Flüchtenden auf Pferden hinterher. Die übrigen Ashaki hatten sich ein Stück zurückgezogen und verharrten dort, als seien sie unschlüssig, was sie mit den Verrätern tun sollten.
„Ärgere dich nicht“, erklang Estaras Stimme neben ihr. „Wir haben ihnen ordentlich zugesetzt.“
„Sie werden sich mit Divako vereinen.“
„Aber sie sind geschwächt. Bis dahin wird ihnen nicht viel Zeit bleiben, sich zu stärken.“
Während wir diesen Kampf dank der Ashaki und der Waffen der Gildenmagier nahezu unbeschadet überstanden haben. Ivara kam nicht umhin, sich über diese Bilanz zu freuen.
Neben ihr war Estara erstarrt.
„Was ist?“, fragte Ivara.
Die Anführerin der Armee packte ihr Handgelenk.
- Savedra will, dass wir uns Hakaro vornehmen.
Ivaras Herz setzte einen Schlag aus. Sie hatte gewusst, dass es dazu kommen würde. Aber sie hatte darauf gesetzt, dass bis dahin mehr Schwestern auf ihrer Seite waren.
- Und was machen wir nun?, fragte sie. Fast jede von uns hat ein Blutjuwel von Savedra. Sie werden die Wahrheit herausfinden.
- Dann müssen wir jetzt die Enrasa-Karten aufdecken.
Estara ließ ihre Hand los. Mit entschlossener Miene zog sie ihren Blutring vom Finger und steckte ihn in eine Hosentasche.
„Was ist?“, rief eine ihrer Schwestern. „Warum greifen wir die Ashaki nicht an?“
„Diese Ashaki haben uns geholfen“, antwortete Estara. „Kämpfen wir gegen sie, so schwächen wir uns selbst. Stattdessen sollten wir uns darauf vorbereiten, der Armee der Duna zu begegnen. Sie sind der gemeinsame Feind von uns und diesen Ashaki. Und von den Gildenmagiern.“
„Sieh dir die Ashaki doch einmal an!“, rief eine andere Verräterin. „Sie warten nur darauf, dass wir sie angreifen! Wenn wir uns jetzt zurückziehen, werden sie uns in den Rücken fallen.“
„Das werden sie nicht“, antwortete Ivara. „Weil wir mit ihnen zusammenarbeiten.“
Unter ihren Schwestern brach ein Tumult aus. Einige protestierten laut, andere reagierten mit Entsetzen, bis auf einmal alle zu streiten begannen. Mit den Ashaki, die im Hintergrund warteten, war die Szene so unwirklich, dass sie aus einem Traum hätte stammen können.
Dann fiel der erste Feuerschlag.
„Was um alles in der Welt tun sie da?“, murmelte Ashaki Doraka. „Fangen sie gerade an, sich gegenseitig zu töten?“
„Sieht ganz so aus“, sagte Tarko.
Mit wachsendem Entsetzen beobachtete Ivasako durch Hakaros Blutjuwel, wie die Verräter aufeinander losgingen. Obwohl er keine allzu großen Stücke auf diese Frauen hielt, glaubte er, selten etwas Grauenhafteres gesehen zu haben. Nur wenige Augenblicke zuvor hatten sie Sakoris Armee auseinandergenommen und in die Flucht geschlagen und jetzt kämpften sie gegeneinander.
„Entweder es gehört zum Plan der Verräter, die auf unserer Seite sind, oder Savedra hat erfahren, dass sich ein paar ihrer Töchter von ihr abgewandt haben“, überlegte Ivasako.
Er hörte, wie jemand scharf die Luft einsog. Eine Frau.
Reflexartig öffnete er die Augen und sah zu Mivara. Sie kniete zu Tarkos Füßen, dessen gekühlten Raka haltend. Tarko indes schien ihre Anwesenheit derweil vollkommen vergessen zu haben, so wie den Raka, der inzwischen kalt sein musste. Als ihre Blicke einander begegneten, hatte die Sklavin sich jedoch wieder unter Kontrolle.
Nachdem Ivasako die vergangene Stunde in die Schlacht in den fruchtbaren Regionen erlebt hatte, als wäre er an Hakaros Stelle dort gewesen, war es seltsam, wieder hier zu sein. Verwirrt hatte er festgestellt, dass die Sonne höher gestiegen war und sich die Kühle der Nacht unter ihr verflüchtigt hatte.
„Wenn sie so weitermachen, haben wir bald keine Verbündeten mehr“, bemerkte Ivako. „Wir sollten eingreifen.“
„Wir wissen nicht, welche Verräter auf unserer Seite sind“, wandte der Palastmeister ein. „Somit macht es keinen Sinn.“
„Dann möge Hakaro die Verräter zu einem Angriff provozieren“, sprach Tarko. „Diejenigen, die auf unserer Seite sind, werden sich zurückhalten, während die übrigen kämpfen werden.“
Sofern sie sich nicht von den Ashaki betrogen fühlen. Für Ivasakos Geschmack war diese Idee zu riskant.
„Mir wäre wohler bei dieser Sache, wenn wir wüssten, welche Verräter auf unserer Seite sind“, sagte er. „Ihr Kampf sollte ein rasches Ende finden, bevor sie zu viel ihrer Magie verbrauchen und ihre Anführerin es bemerkt.“
„Wenn sie nicht schon per Blutjuwel über die Situation informiert ist“, bemerkte Doraka. „Wahrscheinlich sitzt sie wie eine giftige Faren in ihrem Netz in den Bergen und lauert nur darauf, sich unbequemer Verräter zu entledigen.“
„Und außerdem: Woher wissen wir, ob sie sich nicht gegen uns wenden, wenn dieser Krieg vorbei ist?“, fügte Ivako hinzu.
Ivasako interessierte nicht, was die Anführerin der Verräter dachte. Wenn ihre Leute fernab ihres Verstecks außer Kontrolle gerieten, konnte auch sie nur wenig tun. Was nach diesem Krieg war, interessierte ihn im Augenblick ebenso wenig. In diesem Augenblick interessierte ihn einzig, was sie tun konnten, um die Katastrophe zu verhindern.
„Dort draußen kämpfen Menschen für dieselbe Sache, für die wir kämpfen“, sagte er. „Es mag sein, dass wir ihnen noch nicht vollständig vertrauen. Es mag sein, dass wir irgendwann gegen sie kämpfen müssen. Doch für den Augenblick stehen wir auf derselben Seite. Wenn wir wollen, dass sie weiterhin auf unserer Seite stehen, ist es unsere Pflicht zu helfen.“
Mit einem leisen Seufzen schloss er die Augen. „Hakaro und seine Ashaki mögen sich zum Angriff bereitmachen. Sie sollen sich den Verrätern vorsichtig nähern. Sollten diese nicht reagieren, so sollen die Ashaki die Verräter mit schwachen magischen Schlägen angreifen. Diejenigen, die mit uns zusammenarbeiten, werden sich zurückhalten.“
„Was macht Euch so sicher, dass das funktioniert, Palastmeister?“, fragte Tarko. „Was, wenn sie denken, wir hätten unser Wort gebrochen?“
Ivasako sah zu Mivara, die kaum merklich nickte.
„Vertrauen.“
Es war seltsam mitten in den Ödländern reglos auf Pferden zu sitzen, wenn die Zeit drängte und sie die fruchtbaren Regionen erreichen mussten. Seit mehr als einer Stunde starrte Ishaka reglos ins Leere. Immerhin besaß er die Güte, seine Begleiter über das, was auch immer er sah, zu informieren.
Soweit Asara wusste, beobachtete er abwechselnd – oder auch gleichzeitig, dessen war Asara nicht sicher – den Palastmeister und seinen Vetter aus den fruchtbaren Regionen, der mit Hakaro kämpfte.
Mit dem Höhersteigen der Sonne wurde die Luft immer wärmer, doch Asara spürte es kaum. Sie führte ihre eigene Unterhaltung mit Vikacha und mit Nachiri, die Kontakt zu einer Verräterin hatte, die ebenfalls an den Kämpfen beteiligt war.
Bis jetzt war die Schlacht erfreulich gut gelaufen. Offenkundig war es Ivara gelungen, ihre Schwestern davon zu überzeugen, dass sie zuerst Sakoris Armee angriffen. Hakaro hatte die Gelegenheit genutzt, seine Gegner ebenfalls zu attackieren. Diejenigen, die das Gemetzel überlebt hatten, waren in Richtung der Ödländer geflohen. Wahrscheinlich würden sie sich dort mit Divako vereinen, doch das Wichtigste war: Durch den gemeinsamen Angriff hatten die anderen beiden Armeen so gut wie keine Verluste erlitten.
„Die Verräter bekämpfen einander“, sprach Ishaka mit der tonlosen Stimme, mit der er schon den ganzen Morgen über sprach.
Asara richtete ihren Willen auf ihr Blutjuwel.
- Nachiri! Was ist da los?
- Savedra hat den Befehl gegeben, Hakaros Armee anzugreifen. Estara hat versucht, das zu verhindern. Dabei kam heraus, dass einige von uns mit dem Palastmeister verbündet sind, woraufhin es zum Kampf kam. Nachiris Präsenz veränderte sich und Asara verspürte Beunruhigung. Savedra hat befohlen, diese zu töten.
Asara fluchte. Damit würden ihre Schwestern sich gegenseitig umgebracht haben, bevor die Duna überhaupt in Reichweite waren.
„Ishaka!“, rief sie. „Sagt Hakaro, er und seine Leute sollen versuchen, meine Schwestern auseinanderzutreiben. Wenn sie sich beruhigt haben, lässt sich vielleicht vernünftig mit ihnen reden.“
Der Ashaki wandte sich in seinem Sattel um. Es war seine erste Bewegung an diesem Morgen. „Und dabei das eigene Leben riskieren? Angesichts der Armee der Duna, die uns bald erreichen wird, halte ich das für eine schlechte Idee. Es wäre besser, sie einfach zu töten.“
Wütend schüttelte Asara den Kopf. „Meine Schwestern könnten mächtige Verbündete sein.“
„Ishaka hat recht“, sprach Takiro. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sage, doch es spricht für Eure Leute, dass sie uns geholfen haben. Aber wir haben bereits genug Ärger mit Divako und Arikhai.“
„Die Gildenmagier haben Euch ihre Unterstützung zugesagt“, widersprach Asara. „Ihr wärt nicht auf Euch allein gestellt.“
„Bis die Gildenmagier hier sind, ist es vielleicht schon zu spät, Asara“, sagte Ishaka. „Sie würden Divakos kleines Imperium vernichten und ein neues errichten. Aber wir hätten daran keinen Anteil mehr.“
„Und deswegen soll Hakaro verdammt nochmal meinen Schwestern helfen!“, fuhr Asara ihn an. Sie war kurz davor, Estara per Gedankenrede zu informieren. Aber damit hätte sie Savedra verraten, dass sie noch am Leben war.
Hätte ich gewusst, dass wir uns aufteilen, hätte ich in Yukai darauf bestanden, dass wir einander Blutjuwelen machen, dachte sie verärgert.
Lenyaka lenkte ihr Pferd neben Ishaka. „Ihr solltet besser tun, was sie sagt“, sagte sie leise, aber gefährlich. „Denn sonst habt Ihr nicht nur eine wütende Verräterin gegen Euch, sondern auch eine wütende Ex-Verräterin. Und diese sind für ihre Skrupellosigkeit wohlbekannt.“
„Ihr vergesst, dass Takiro und ich mit unseren Sklaven in der Überzahl sind“, bemerkte Ishaka. „Und wir verfügen über die größere magische Stärke. Also glaubt nicht, Ihr könntet mir drohen.“
„Dafür, dass Ihr so sehr auf unsere Hilfe gesetzt habt, verhaltet Ihr Euch gerade ziemlich unkooperativ“, grollte Asara.
„Es war geplant, dass die Verräterin, die zu Euren Leuten unterwegs ist, diese auf unsere Seite bringt“, sagte Takiro. „Wäre ihr das gelungen, hätten wir dieses Problem jetzt nicht.“
„Ivara hat meine Schwestern erst gestern erreicht. Sie alle haben Blutjuwelen unserer Anführerin. Was glaubt Ihr, wie schnell wird es ihr gelingen, andere zu überzeugen, ohne dass Savedra es mitbekommt? Und was glaubt Ihr, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich nicht alle darauf einlassen werden, weil sie Savedras Politik seit Kriegsbeitritt als zu zurückhaltend empfunden haben?“
Sie konnte sehen, dass ihre Worte die beiden Ashaki nicht überzeugten. Asara fand, sie war dumm gewesen, es überhaupt mit einer Zusammenarbeit zu versuchen. Besser, sie und ihre beiden Schwestern wären zur Zuflucht gereist, um Savedra zu stürzen.
Fieberhaft ging Asara die Möglichkeiten durch, die ihr blieben. Doch es lief auf eine einzige Sache hinaus: Sie musste das Wohl ihres Volkes über das einer einzigen Schwester stellen. Auch wenn das Risiko groß war, dass es nicht helfen würde.
„Wenn Hakaro und seine Leute wüssten, wen sie nicht angreifen sollen, wärt ihr dann einverstanden, dass seine Leute die übrigen töten?“
Ishaka musterte sie durchdringend, was Asara jedoch unbeeindruckt ließ. „Wir mögen für diesen Krieg auf derselben Seite kämpfen, doch Eure Skrupellosigkeit spricht für Euer Volk.“
„Dasselbe könnte ich über Euresgleichen sagen“, gab Asara kühl zurück.
„Also“, sagte Ishaka. „Ich höre.“
Asara richtete ihren Willen auf das andere Blutjuwel.
- Vikacha!, sandte sie. Ich brauche deine Hilfe. Es ist sehr wichtig. Und es muss schnell gehen.
Ivara hatte schon viele Kämpfe gefochten. Sie hatte gegen Ashaki gekämpft, deren Sklaven sie befreit hatte, hatte Ashaki auf ihrem Weg nach Arvice und während der anschließend dort stattfindenden Schlacht getötet. Und sie hatte in Yukai gegen Ichani und Duna gekämpft, als die Situation dort in nur einer Nacht eskaliert war. Kämpfen war für sie eine willkommene Abwechslung von dem langweiligen Alltag, in dem sie die Ehefrau eines Ashaki am Rand der Ödländer spielte. Kämpfen bedeutete Nervenkitzel und die Befriedigung unterdrückter Aggressionen.
Aber sie hatte noch nie gegen ihre eigenen Schwestern gekämpft.
Für Ivara hatte sich selten etwas entsetzlicher angefühlt.
Ob Asara auch so empfunden hat, als sie Zalava getötet hat?, fragte sie sich, während sie ihre Gegnerin mit einem gezielten Kraftschlag tötete. Der Schild der Frau war für die Dauer eines Augenblicks durchlässig geworden, nachdem Ivara eine Phiole geworfen hatte, die sie von einer gefallenen Schwester erbeutet hatte. Ihre Schwestern waren es nicht gewohnt, sich gegen die Waffen der Gildenmagier zu verteidigen und Ivara konnte auf diese Weise einen beträchtlichen Teil ihrer eigenen Magie sparen.
Eine Frau rannte auf sie zu. Die Verzweiflung, die sich wenige Minuten zuvor noch auf ihrem Gesicht gespiegelt hatte, war so etwas wie einer irren Hoffnung gewichen. „Es gibt eine Nachricht aus Arvice“, sagte Estara atemlos. „Hakaros Leute werden angreifen. Auf diese Weise wollen sie alle, die weiterhin zu Savedra halten, zu einem Angriff provozieren. Wir sind angehalten, uns zurückzuhalten und sie zu unterstützen, damit sie nicht eine von uns erwischen.“
Das war nicht gerade die beste Nachricht, aber von all ihren Möglichkeiten war es die vielversprechendste.
Ivara schenkte ihrer Schwestern ein grimmiges Lächeln. „Worauf warten wir dann noch?“
Sie sah sich nach ihrem nächsten Opfer um. Ganz in der Nähe war eine Magierin, die gerade auf dem Weg zu Yasira war. Sie war niemand, den Ivara gut kannte, weil sie schon seit Jahren nur noch für gelegentliche Besuche in die Zuflucht kam, was ihre Schuldgefühle verringerte.
Entschlossen griff sie nach einer Phiole und warf sie auf den Schild ihrer Schwester. Diese sah die Phiole niemals kommen, weil sie ganz auf Yasira fixiert war. Im nächsten Augenblick war ihr Schild in ein Inferno aus Flammen gehüllt. Ivara zögerte nicht und brach ihr mit einem Kraftschlag das Genick. Dann stürmte sie nach vorne und nahm den Rest ihrer Magie in sich auf.
„Das war meine Krippenschwester.“
Ivara fuhr herum. Sahiri stand hinter ihr, in ihren Augen loderte ein dunkles Feuer. In einer Hand hielt sie ihren blutverschmierten Dolch, weiße Magie züngelte von der anderen.
„Das tut mir leid für dich“, sagte Ivara und meinte es ehrlich. „Glaubst du, mir fällt es leicht, meine eigenen Schwestern zu töten? Hier sind auch einige meiner eigenen Krippenschwestern, die nicht auf meiner Seite stehen.“
„Du verstehst nicht“, zischte Sahiri. Ein gewaltiger Kraftschlag prallte gegen Ivaras Schild. „Savedra tut das einzig Richtige. Du und deine kleine Rebellion zerstören ihre Pläne.“
Ivara konterte mit Feuerschlag. „Savedra hat unsere Ideale verraten. Und jeder, der ihr weiterhin folgt, macht sich mitschuldig.“
„Savedra versucht nur, Sachaka zu einem besseren Ort zu machen.“
„Indem sie was tut?“, fragte Ivara. „Eine neue Gesellschaft von Sklaven errichten? Jede ihrer Töchter tötet, die das herausfindet? Das Leben unserer Verbündeten riskieren?“
Sie griff nach einer Phiole. Sie hatte keine Wahl.
Sahiri verschwand hinter einer Wand aus Nebel. Ivara jagte einen Hagel von Kraftschlägen hindurch, doch entweder hatte ihre Schwester die Phiole kurz vor Erreichen des Schildes zerstört oder sie hatte ihren Schild verstärkt, weil sie den Angriff vorausgesehen hatte.
Sahiri antwortete mit Feuerschlag. „Denkst du, ich wäre nicht vorbereitet, liebste Schwester?“
„Nein“, gab Ivara zurück. „Aber früher oder später wirst du dich erschöpfen.“
Während Sahiri ihren Schild mit Feuerschlagen bombardierte, warf Ivara zwei weitere Phiolen. Eine tarnte sie nur halbherzig, um Sahiris Aufmerksamkeit auf diese zu lenken und nur einen Augenblick rasten Flammen über Sahiris Schild. Ihre magischen Reserven überprüfend, stellte Ivara fest, dass sie die Stärke ihrer magischen Schläge reduzieren musste, wenn sie sich nicht in den nächsten Minuten erschöpfen wollte, und formte einen etwas schwächeren Kraftschlag.
Mittlerweile hatten Hakaros Leute mit dem Angriff begonnen. Ivara bekam dies jedoch nur am Rande mit. Sie war zu sehr damit beschäftigt, um ihr eigenes Überleben zu kämpfen, während ihre magischen Reserven schwanden.
Etwas traf ihren Schild von irgendwo, dann war sie von Flammen umgeben.
So fühlt es sich also an, fuhr es ihr durch den Kopf. Ihre Instinkte sagten ihr, dass sie dringend ihren Schild verstärken musste, doch als sie die Magie hineingeben wollte, traf sie etwas in den Rücken und warf sie zu Boden. Ivara rang nach Luft und versuchte aufzustehen, doch etwas hielt sie gefangen.
„Hol sie dir!“, hörte sie eine Stimme rufen.
Zwei Stiefel füllten ihr Blickfeld aus. „Liebend gern“, sagte Sahiri.
Dann war da ein brennender Schmerz in ihrem Nacken und dann nichts mehr.
Nach einigen Diskussionen hatten die Ashaki begonnen, die Verräter anzugreifen. Die Strategie funktionierte leidlich, doch wenn sie damit die Leben einiger ihrer Verbündeten retten konnten, dann war das immer noch besser, als den Ereignissen ihren Lauf zu lassen.
Inzwischen waren Ivasako und seine Berater wieder ganz auf den Kampf konzentriert. Das Kuppelzimmer um ihn herum hatte sich aufgelöst und Ivasako wähnte sich in Harkos Körper irgendwo in den fruchtbaren Regionen und kämpfte gegen eine Verräterin. So wie seine Berater. Die Situation war reichlich absurd, doch der Palastmeister hatte kaum Gelegenheit, sich darüber zu wundern, weil ihn das Geschehen so sehr in seinen Bann gezogen hatte.
Etwas streifte sein Bein.
Nicht jetzt, Yakari. Er verstand, dass sich der P’anaal langweilte, wenn ihm sein Herrchen über Stunden keinerlei Aufmerksamkeit schenkte und er in einem Raum gefangen war, in dem es nichts für ihn gab. So betrachtet wäre Yakari im Park besser aufgehoben gewesen, doch als Ivasako sich mit seinen Beratern im Morgengrauen getroffen hatte, hatte er dieses Detail in der Aussicht auf die bevorstehende Schlacht nicht bedacht.
Erneut streifte Yakari sein Bein. Ivasako schob den P’anaal mit dem Fuß zur Seite.
Wenige Augenblicke später spürte er etwas an seinem Arm.
Und es fühlte sich nicht wie ein P’anaal an.
Er riss sich von dem Kampfgeschehen los und beschränkte sich darauf, seinen Beratern die Bilder, die er von Hakaro empfing, zu übertragen. Dann öffnete er die Augen.
Mivara kniete an seiner Seite, ihre schönen Augen groß vor Furcht.
„Bitte, Meister Ivasako“, flüsterte sie. „Ihr müsst meine Gedanken lesen.“
Er runzelte die Stirn. Tarko und die anderen waren vertieft in die Gedankenübertragung. Doch um Mivaras Gedanken zu lesen, musste er die Verbindung unterbrechen.
„Bitte“, flüsterte sie. „Es würde zu lange dauern, Varako zu holen.“
Ivasako erstarrte. Bei seiner letzten Wahrheitslesung hatte er begriffen, dass sie bereit war, sich wenn nötig für ihr Volk zu opfern. Er begriff, dass es ihre Entscheidung war. Und er hatte für sich entschieden, für sie einzustehen.
Einen tiefen Atemzug nehmend löste er die Verbindung zu den anderen. Die Ashaki blinzelten und blickten umher, als wären sie gerade aus einem Traum erwacht.
„Was ist passiert?“, fragte Doraka.
Ivasako ignorierte ihn. „Ashaki Tarko, ich muss erneut Eure Sklavin ausborgen.“
Tarko runzelte die Stirn. Er sah sich um und sein Gesicht verfinsterte sich, als er sah, dass Mivara seine Seite verlassen hatte.
„Was hat das zu bedeuten?“, verlangte er zu wissen.
„Das erkläre ich Euch hinterher“, sagte Ivasako. „Die Zeit drängt.“
Den Ashaki keine weitere Beachtung schenkend bedeutete Ivasako der Sklavin, sich vor ihn zu knien. Dann berührte er ihre Schläfen.
- Ich sende Euch nun die Bilder der Verräter, die überleben müssen, sandte sie. Leitet sie an Hakaro weiter.
- Verstanden, antwortete Ivasako. Im Gegenzug sorge ich dafür, dass Tarko dir nichts antun kann.
Auf ihre Worte empfing er eine sarkastische Erheiterung.
- Sehr viel schlimmer als mit meinem letzten Meister kann es nicht kommen.
Ivasako hatte Gerüchte über jenen Mann gehört. Vermutlich hatte sie recht. Doch das änderte nichts daran, dass er sich für ihr Wohlergehen verantwortlich fühlte.
- Hakaro!, rief er. Ich sende Euch jetzt gleich die Gesichter unserer Verbündeten. Teilt sie mit Euren Leuten.
- Ja, Palastmeister, kam die prompte Antwort.
Während der nächsten Minuten leitete Ivasako die Bilder, die er aus Mivaras Gedanken erhielt, an den Ashaki weiter. Hin und wieder musste Mivara mit ihren Leuten Rücksprache halten, da sie die Bilder nur von anderen erhielt, doch schließlich hatte sie ihn alle Verräter genannt, von denen sie wusste.
- Es kann sein, dass es noch weitere gibt, aber das wussten meine Leute nicht, sandte sie.
- Sollte dem so sein, so werden sie sich bemerkbar machen, erwiderte Ivasako. Ich stehe in deiner Schuld.
- Ihr seid zu gütig, Palastmeister.
Ivasako ließt seine Finger auf Mivaras Schläfen, bis die Schlacht vorbei war. Dann machte er sich bereit, einen raschen Schild um sich und Mivara zu errichten, dann löste er seine Finger von den Schläfen der jungen Frau.
„Und jetzt verlange ich eine Erklärung, Palastmeister.“
Bedächtig wandte Ivasako sich zu seinem Kriegsmeister. „Ich habe soeben das Leben unserer Verbündeten gerettet“, sagte er kühl.
„Und was hat Mivara damit zu tun?“
„Mivara kennt einige Sklaven, die für die Verräter arbeiten“, antwortete er seine Worte sorgfältig wählend. „Von ihnen wusste sie, wer von Savedras Armee für uns kämpft.“
Tarko schien diese Antwort nicht zufriedenzustellen. „Und woher kennt Mivara diese Sklaven? Seit sie mir gehört, hat sie das Haus nicht ohne mich verlassen. Erst recht nicht in den letzten Wochen.“
- Rikaro! Komm mit ein paar Männern zum Kuppelzimmer. Es könnte sein, dass Tarko und die anderen Ashaki gleich hinausgebeten werden müssen.
- Verstanden, Palastmeister.
„Sollte es nicht genügen, dass Mivara uns gerade einen großen Gefallen hat?“, fragte Ivasako. „Ihr solltet stolz auf sie sein.“
„Sie gehört zu den Verrätern“, sagte Doraka. „So ist es doch, nicht wahr?“
Mivaras Erbleichen war ihm und ihrem Meister Antwort genug.
„Mivara, komm her“, befahl Tarko.
„Ja, Meister“, erwiderte die junge Frau.
Ivasako bekam den Arm der jungen Frau zu fassen. „Ich fordere Mivara ein“, erklärte er. „Ich habe ihr meinen Schutz versprochen.“
„Es steht Euch nicht zu, Sklaven nach Belieben einzufordern“, erwiderte Tarko. „Ihr seid nur stellvertretender Herrscher. Weder ich noch die anderen Ashaki werden es dulden, wenn ein ehemaliger Sklave die ihm gegebene Macht missbraucht.“
Ivasako spürte, wie sich sein Puls beschleunigte. „Eine Sklavin, die Euch nichts getan hat, zu schützen, sehe ich nicht als Machtmissbrauch“, gab er zurück. „Vielmehr tue ich damit uns allen einen Gefallen.“
„Sie gehört zu den Verrätern. Wer weiß, was sie diesen an Informationen gegeben hat.“
„Alles, was sie getan hat, hat zu diesem Bündnis geführt, Ashaki Tarko. Ich verstehe, dass Ihr es Euch nicht mehr von ihr besorgen lassen wollt, daher fordere ich sie ein.“
„Ihr vergesst, wer ich bin, Palastmeister“, grollte Tarko. Mit finsterer Miene kam er auf Ivasako zu. „Wenn Ihr weiterhin mit mir zusammenarbeiten wollt, überlasst mir meine Sklavin, damit ich sie bestrafen kann.“
Ivasako begriff, dass er nicht die Macht hatte, Tarkos Entscheidung anzufechten. Nicht, wenn er nicht die Macht über Sachaka verlieren wollte. Und das zählte im Augenblick mehr als ein Einzelschicksal.
„Es tut mir leid“, sagte er zu Mivara. „Doch ich kann nicht noch einen Krieg riskieren.“
„Es ist in Ordnung“, erwiderte sie überraschend ruhig. „Ich habe meinen Zweck erfüllt.“
Dann wurde sie von Tarko nach draußen gezerrt.
Mit einem Seufzen ließ Ivasako sich zurück in seinen Sessel sinken. Von irgendwo trottete Yakari auf ihn zu und legte seinen Kopf auf Ivasakos Schoß. Der Palastmeister streckte eine Hand aus und strich über das weiche Fell. Er hatte getan, was er konnte, um Mivara zu schützen und nicht einen Krieg in seinem kleinen Imperium zu riskieren. Aber warum kam es ihm dann so vor, als hätte er zu wenig getan, weil er nicht sehen wollte, dass seine Macht ihn bereits verdorben hatte?
So fand ihn Rikaro.
„Ist alles in Ordnung, Palastmeister?“, fragte er. „Wir sahen deine Berater den Palast verlassen. Aber sie sahen nicht so aus, als hätte sie Ärger gemacht.“
„Nein“, sagte Ivasako müde. „Weil ich mich im letzten Augenblick daran erinnert habe, dass ich mir das nicht leisten kann.“
„Ich wäre jetzt so gerne in den fruchtbaren Regionen.“
Sonea sah auf. Ein weiterer Tag auf ihrer Reise durch die Ödländer neigte sich seinem Ende zu. Und sie waren noch immer zwei Wochen vom Nordpass entfernt.
„Glaubt mir, Dannyl. Dort gibt es um diese Jahreszeit nicht viel“, warf Tylava ein. Seit sie sich als kooperativ erwiesen hatte, legte sie wie Nirili und Dannyl große Strecken zu Fuß zurück. Sonea ritt als Einzige die gesamte Zeit, und obwohl sie das als unfair empfand, hatte sie eine gute Ausrede. Tylavas Kooperation endete jedoch jenseits ihrer gemeinsamen Ziele, was sie zu einer schnippischen und anstrengenden Reisegefährtin machte. Meist waren es sie und Nirili, die die Wortgefechte führten. „Im Sommer werden die fruchtbaren Regionen so trocken, dass man sie von den Ödländern kaum noch unterscheiden kann.“
„Mich interessiert weniger die Landschaft als die Schlacht zwischen den beiden Ashaki-Gruppen und den Verrätern“, entgegnete Dannyl ruhig.
„Dort wartet nichts als der Tod auf Euch.“
„Ah, ich dachte weniger daran, mich umbringen zu lassen, als zwischen ihnen zu vermitteln.“
Sonea bewunderte ihn für seine Gelassenheit. Sie zog es vor, möglichst wenig mit Tylava zu sprechen, weil es nur dazu führte, dass sie diese Frau auf der Stelle zu Asche verbrennen wollte. Unter anderen Umständen wäre ihre Reaktion weniger heftig ausgefallen, aber die Reise und ihre Schwangerschaft sorgten dafür, dass ihre Geduld allmählich zur Neige ging.
„Was würdest du tun wollen, Dannyl?“, fragte sie. „Die Ashaki miteinander versöhnen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Darauf würden sie sich nicht einlassen.“ Für Sachaka würde das nichts ändern. Und damit auch nicht für Kyralia.
„Das ist eine nette, aber unrealistische Tagträumerei.“ Dannyl ging neben ihr her, sein Pferd am Zügel haltend. Als er zu ihr hoch sah, lächelte er schief. „Ich würde lieber versuchen, die Verräter zu vereinen.“ Er hielt inne. „Das heißt, ich hätte es gerne.“
„Oh, Dannyl!“, hauchte sie.
Sonea glaubte, nie stärker mit ihm mitgefühlt zu haben. Das Bündnis mit den Verrätern war Dannyls größter Erfolg in seiner Karriere als Botschafter gewesen. Ein halbes Jahr hatte er bei den schwarzen Magierinnen gelebt und ein nahezu freundschaftliches Verhältnis zu ihrer Anführerin gepflegt. Sonea wollte sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlte, das zerbrechen zu sehen.
Ein Drittel der Verräter hatte bei dem Kampf gegen ihre Schwestern ihr Leben gelassen und es wären noch mehr geworden, hätten die Ashaki keine Informationen darüber erhalten, wer von den schwarzen Magierinnen mit ihnen verbündet war. Darunter Ivara, deren Mut und Entschlossenheit Sonea in Yukai zu schätzen gelernt hatte.
„Halb so schlimm“, erwiderte Dannyl mit einem schiefen Lächeln. „Das Einzige, worüber ich wohl nie hinwegkommen werde, ist, dass ich mich in Savedra getäuscht habe.“
„Das konntest du nicht wissen. Akkarin konnte das nicht wissen. Nicht einmal die Verräter wussten es.“
„Wo sie recht hat, hat sie recht“, warf Tylava ein.
Entnervt verdrehte Sonea die Augen.
„Tylava“, sagte Nirili ungewöhnlich schroff. „Benimm dich oder wir versetzen dich wieder in magische Erschöpfung.“
Die Rebellin zog einen Schmollmund und schwieg. Dieser Zustand würde jedoch nicht lange anhalten. Sonea sah zu Nirili. Die Züge der Verräterin hatten sich verhärtet, während sie mit leerem Blick auf einen Punkt am Horizont starrte. Jedoch nicht so, als würde sie eine Gedankenrede führen. Sie schien in ihrer eigenen Gedankenwelt gefangen und Sonea konnte nur erahnen, wie sehr sie um ihre Schwestern in den fruchtbaren Regionen trauerte.
„Es ist trotzdem frustrierend“, sagte Dannyl mehr wie zu sich selbst. „Wer weiß, wie viele Verräter übrigbleiben, wenn das hier vorbei ist!“
„Was mich und Asara betrifft, so sind wir bereit weiterhin mit der Gilde zusammenzuarbeiten“, sagte Nirili. „Sofern Ihr das noch wollt.“
Sonea verspürte ein jähes Gefühl von Wärme. „Wenn nicht, dann werden Dannyl und der Hohe Lord die anderen Magier davon überzeugen. Wir haben Euch so viel zu verdanken und Ihr habt bewiesen, dass Ihr unser Vertrauen verdient habt.“
Nirili hob die Schultern. „Es wäre verständlich, wenn ihr das Vertrauen in uns komplett verloren hättet.“
„Ich bin sicher, das wird auch bei manchen Magiern der Fall sein“, sagte Dannyl. „Aber Lady Sonea hat es bereits gesagt: Der Hohe Lord und ich werden sie überzeugen. Anders könnte es dagegen mit dem König und den Herrschern der anderen Länder unserer Allianz aussehen.“
Und das konnte tatsächlich zu einem Problem werden. Insbesondere, wenn es um die Aufnahme Sachakas in die Verbündeten Länder ging, so wie Dannyl es einst in Yukai vorgeschlagen hatte. Von Akkarin hatte Sonea erfahren, wie Merin darüber dachte. Der König von Kyralia war nicht allzu angetan, dass die Verräter die Sicherheit von zwei Gildenmagiern zugunsten ihrer militanten Ziele riskiert hatten. Er rechnete Asara und ihren Mitstreiterinnen ihr Opfer hoch an, doch zugleich schien er das Vertrauen in das Volk schwarzer Magierinnen verloren zu haben.
„Ist es nur wegen Savedra?“, fragte Nirili. „Weil sie Gildenmagier getäuscht und Euer und Lady Soneas Leben aufs Spiel gesetzt hat?“
„Zum Großteil, ja“, antwortete Dannyl. „Doch unser König ist nicht sehr erfreut, dass nun auch Eure Magierinnen gegeneinander kämpfen. Er will kein Volk in der Allianz, das zerstritten ist und sich untereinander bekriegt. Das haben wir bereits mit den Lan, doch diese leben auf einem Inselreich und haben nur sehr schwache magische Blutlinien. Die Verräter wären dagegen eine potentielle Gefahr. Selbiges gilt für die Ashaki.“
„Es kommt natürlich auch darauf an, wie die ganze Situation aussieht, wenn dieser Krieg vorbei ist“, fügte Sonea hinzu. „Wer überlebt und wer sich als vertrauenswürdig erweist. König Merin ist harsch in seinen Urteilen, was er als König auch sein muss, doch er ist auch bereit, eine zweite Chance zu geben.“
Für einen kurzen Augenblick wandte Dannyl den Kopf und zwinkerte ihr zu, dann richtete er den Blick wieder auf den Weg zu seinen Füßen. Die Sonne war hinter den Bergen im Westen verschwunden und die langen Schatten verdichteten sich über den Ödländern. Schon bald würde es zu dunkel sein, um den Weg zu erkennen.
„Damit hat er Savedra etwas voraus“, bemerkte Nirili. „Und einigen gewissen Ashaki auch.“
„Ich denke, das ist auch eine kulturelle Frage“, sprach Dannyl. „In Sachaka wird eine Schuld auf die Nachkommen übertragen und die Gesellschaft ist härter, extremer. Auch Kyralia hat seine harschen Seiten, insgesamt ist es jedoch sehr viel gemäßigter und fortschrittlicher. Das ermöglicht es uns, die entsprechenden Prinzipien zu leben.“
„Ihr habt mir gerade etwas erklärt, was mir noch nie so ganz bewusst war, Dannyl Gildenmagier“, sprach Nirili. „Und jetzt verstehe ich auch, warum Ihr keinerlei Forderungen an die Ashaki gestellt habt. Eure Prinzipien basieren auf einer Garantie auf Frieden, die in Sachaka nicht existiert. Doch wenn diese hergestellt ist, ist es vielleicht möglich, diese Denkweise auch im sachakanischen Volk zu verbreiten.“
Das Gespräch begann sich zusehends um Diplomatie zu drehen, doch an diesem Tag stand Sonea nicht der Sinn danach. Sie fand es ermüdend, jetzt zu diskutieren, was vielleicht nach diesem Krieg sein würde und dafür Pläne zu schmieden. Das hier war keine Kyrima-Partie, bei der sich die nächsten Schritte des Gegners vorausahnen oder berechnen ließen – es gab mehr als nur zwei Mitspieler und diese scherten sich um Regeln.
Um sich abzulenken, richtete sie ihren Willen auf ihr Blutjuwel.
- Gibt es Neuigkeiten aus der Gilde?
- Nicht viel, antwortete Akkarin kaum, dass sie die Frage zu Ende formuliert hatte. Unsere Alchemisten sind mit der Herstellung der Schilddiebe beschäftigt. Es müssen täglich neue hergestellt werden, weil die Krieger noch immer im Steinbruch üben.
- Ist es so schwer, die so gewonnene Magie fokussiert einzusetzen?, fragte Sonea.
- Es erfordert einiges an Geschick und Kontrolle. Doch die Krieger machen Fortschritte. Im Ernstfall wird es wahrscheinlich kaum einen Unterschied machen. Wir wissen jedoch nicht, wie unsere Gegner auf die neue Waffe reagieren werden. Einigen Kriegern ist es bei den Übungen gelungen, einen zweiten Schild zu errichten. Möglicherweise werden die Sachakaner dies ebenfalls versuchen.
- Falls es mir und Dannyl gelingt, die Armee der Gilde rechtzeitig zu erreichen, würde ich es begrüßen, wenn wir die Gelegenheit erhalten, die neuen Waffen zu testen. Das heißt …, sie zögerte, weil sie nicht wusste, wie Dannyl dazu stand, zumindest ich sollte sie testen.
- Wenn alles nach Plan verläuft, wirst du dazu ausreichend Gelegenheit erhalten, versprach Akkarin.
- Ich bin schon sehr gespannt, erwiderte Sonea. Sie bedauerte noch immer, nicht viel mehr als die Idee zu diesem Projekt beigetragen zu haben. Sie versuchte sich damit zu trösten, dass sie stattdessen Dannyl das Leben gerettet hatte. Was gibt es sonst Neues?
- Viklin wird im Frühjahr heiraten.
- Nein!, sandte Sonea . Das Mädchen, das er bei dem Ball im Frühjahr getroffen hat?
- Ja. Ich kann nur für sie hoffen, dass sie mit ihm zurechtkommt. Andernfalls bedauere ich sie schon jetzt.
- Sie kommt genug mit ihm zurecht, wenn sie schon beschlossen haben, zu heiraten.
- Ehen innerhalb der Häuser basieren mehr auf Politik denn als auf Liebe, entgegnete Akkarin. Und Viklin kann sehr charmant sein, wenn er will.
- Ich nehme an, wir müssen zu dieser Hochzeit?
- Ich fürchte ja. Viklin hat mich gebeten, die Vermählung durchzuführen.
- Du hast doch hoffentlich nicht zugesagt?, entfuhr es Sonea.
- Ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass ich nicht gewillt bin, ihm diesen Gefallen zu tun, weil er mich sein Leben lang herablassend behandelt hat. Nichtsdestotrotz werden wir zu der Hochzeit gehen, Sonea. Er ist mein Bruder.
Sonea war nicht begeistert, aber sie wusste auch, dass Akkarin auf Grund seiner gesellschaftlichen Verpflichtungen nicht fehlen durfte. Und als seine Frau wurde von ihr erwartet, dass sie ihn begleitete.
- Es wird gewiss amüsant, versprach Akkarin und Sonea wusste, er hatte ihren Gedanken gelauscht. Zumindest, wenn man sich dazu entscheidet, meine Familie und ihre Eigenheiten mit Humor zu betrachten.
Sicher hatte er das über die Jahre hin perfektioniert. Bis auf gelegentliche Begegnungen im Palast war Sonea von den Delvons weitgehend verschont. Wenn sie jedoch daran dachte, wie Akkarin über ihr Blutjuwel die anderen Magier im Abendsaal zu kommentieren pflegte, konnte sie sich vorstellen, dass er nicht zu viel versprochen hatte.
- Und jetzt erzählt mir etwas von Lorlen, sofern es Eure Zeit erlaubt, Hoher Lord, sandte sie dann.
Ein Stöhnen unterdrückend rieb Regin sich die Schläfen. Eine Reihe grauenhafter Nächte in einem unbequemen Bett ohne eine Frau an seiner Seite lagen hinter ihm. Es waren die schlimmsten Nächte seines Lebens gewesen. Und das alles nur, weil Trassia überreagiert hat, dachte er düster. Sein Versuch sie zurückzuerobern war fehlgeschlagen. Als er Trassia zuletzt gesehen hatte, waren ihre Augen gerötet gewesen. Aber ob wegen sie ihrer Trennung geweint hatte, oder weil die neusten Nachrichten aus Sachaka sie erreicht hatten, würde er niemals erfahren.
Hätte Regin gewollt, so hätte er das Scheitern der Verhandlungen zu seinem Vorteil genutzt. Er wäre zu Trassia gegangen und hätte sie getröstet, so wie er es während Soneas Entführung getan hatte.
Ich muss mich auf die Besprechung konzentrieren, rief er sich ins Gedächtnis.
Soeben hatte der Hohe Lord von den Plänen ihrer neuen Verbündeten berichtet. Regin wusste, er hätte aufgeregt und voll Tatendrang sein müssen, weil er daran seinen Anteil hatte, wäre er nicht so tief in seinem Selbstmitleid versunken.
Es wird mir guttun, für eine Weile von hier wegzukommen, dachte er. Vielleicht wird es so, wie damals bei Yirakos Invasion.
„Imperialisten und Duna sind nun vereint“, teilte Akkarin den höheren Magiern gerade mit. „Die Verräter und die vom Palastmeister ausgesandte Armee verfolgen sie. Sie versuchen ihre Gegner gemeinsam mit einer zweiten Armee, die der Palastmeister aus seinen verbleibenden Ashaki zusammengestellt hat, von zwei Seiten daran zu hindern, in die fruchtbaren Regionen einzudringen. Zugleich versucht die Rebellin, die Divako für uns ausspioniert, diesen dazu zu verleiten, sich in Kyralia zu stärken, bevor sie sich ihren Gegnern stellen.“
Der Plan war gewagt, wusste Regin. Sowohl Sachakaner als auch Duna wollten Akkarins Tod, weil er in Arvice so viele ihrer Leute getötet hatte. Und sie wollten Sonea, weil diese den König ermordet hatte. Und wenn ihnen Kyralia gehörte, hatten sie auch die Macht, Sachaka zurückzuerobern.
Der Plan versprach jedoch die besten Chancen, dem Krieg ein für alle Mal ein Ende zu bereiten.
„Wie viele Ashaki sind nun auf Seite der Verräter?“, fragte Balkan.
„Einhundert in Hakaros Armee und weitere sechzig in der Gruppe, die der Palastmeister nach der Schlacht in den fruchtbaren Regionen mobilisiert hat“, antwortete Akkarin.
„Das ist nicht viel“, sagte Osen mit besorgter Miene. „Nicht angesichts der Stärke der Duna.“
„Wir haben Speichersteine und Schildsenker“, erinnerte Regin. „Und diese neuen Waffen.“
„Die noch immer von allen Kriegern nur ungenügend kontrolliert werden“, entgegnete der Hohe Lord. „Sie verschwenden wertvolle Magie, die effektiver eingesetzt werden könnte.“
„Lord Balkan, wie bald können die Krieger bereit sein?“, fragte der Administrator.
„In etwa einer Woche.“
„So viel Zeit haben wir nicht mehr“, sagte Lady Vinara. „Dann müssen sie nur mäßig vorbereitet gehen.“
„Dem stimme ich zu“, sprach Akkarin. „Doch das ändert nichts daran, dass es unsere Chancen verschlechtert.“
„Wie lange würden die Duna in die fruchtbaren Regionen brauchen?“, fragte Osen.
„Etwa zwei Wochen.“
„Und nach Kyralia?“
„Bis zur Grenze ungefähr acht Tage.“
„Das ließe uns eine Woche zur Vorbereitung“, sagte Regin. „Anstatt die Duna in den Ödländern zu konfrontieren, sollten wir uns ihnen am Nordpass stellen. Sonea und der Auslandsadministrator können uns auch dort unterstützen. Und die Rebellin bei Divako arbeitet ohnehin daran, die Duna nach Kyralia zu locken. Die Sachakaner werden sich darauf einlassen, weil sie auf diese Weise ihre Chance sehen, Kyralia endlich zu erobern und an unser magisches Wissen zu gelangen.“
„Wir sind nicht für einen Kampf in den Bergen gerüstet“, sagte Balkan. „Das Gelände eignet sich nicht für einen Kampf schwarzer Magier.“
„Die Duna sind den Kampf in den Bergen nicht gewohnt“, widersprach Regin. „Und die Ashaki auch nicht. Die Verräter dagegen schon und die Strategie, an der ich die letzten Wochen gearbeitet habe, könnte unter diesen Bedingungen endlich zum Einsatz kommen.“
„Nichtsdestotrotz bräuchten wir mehr Magie, um uns zu schützen, denn auf ebenem Gelände.“
„Und unsere Feinde wären gefährlich nahe an Kyralia.“
„Auf der Straße zum Nordpass werden sie kaum Gelegenheit haben, sich zu verteidigen“, entgegnete Regin. „Mit den Verrätern und den Ashaki hinter sich und uns am Fort würden sie in der Falle sitzen.“
„Eine Falle, die sie wittern könnten“, wandte Balkan ein.
„Nicht unbedingt.“ Die Augenbrauen des schwarzen Magiers hatten sich nachdenklich zusammengezogen. „Arikhai ist voll Zorn, weil ich seinen Vater getötet habe. Und er denkt, wir wären für die Zerstörung des Tempels mitverantwortlich, weil die Verräter unsere Verbündeten sind. Zudem bietet das Land die Möglichkeit, die magischen und logistischen Ressourcen wieder aufzufüllen, was eine anschließende Zerschlagung von Ivasakos Imperium wahrscheinlicher macht.“
Regin runzelte die Stirn. Damit stiegen die Chancen, dieses Imperium anschließend zu halten, weil es zu weniger Verlusten gekommen war.
„Arikhai hat genug Duna um sich geschart, um einen Angriff auf die Gilde riskieren zu können“, fuhr der Hohe Lord fort. „Insofern hätte er einen guten Grund, von seinem ursprünglichen Ziel abzuweichen.“
Osen seufzte. „Das ist Wahnsinn“, sagte er kopfschüttelnd. „Dieser Plan kann nur scheitern.“
„Nicht mehr oder weniger, als wenn wir uns ihnen in den Ödländern stellen“, brummte Balkan.
„Und wir hätten einen weiteren Vorteil“, fügte Regin hinzu. „Uns bleiben drei weitere Tage zur Vorbereitung. Drei Tage, in denen die Krieger mit den Schilddieben trainieren und die Magier und Novizen Akkarin ihre Magie geben können. Und wenn wir alle gehen, dann hätten wir bis zum Nordpass das Tausendfache der Magie eines durchschnittlichen Magiers zusätzlich zur Verfügung. Das entspricht etwa zehn Sachakanern.“
„Im Idealfall.“ Akkarin legte die Spitzen seiner langen Finger aneinander. „Bei wohlhabenden Ashaki kann man davon ausgehen, dass sie das doppelte dieser Stärke besitzen. Der Kampf mag sie geschwächt haben, doch wir sollten lieber vom schlimmsten Fall ausgehen. Doch es ist beschlossen, dass wir nicht alle gehen.“
„Vielleicht ist Lord Regins Vorschlag tatsächlich die bessere Alternative“, überlegte Lady Vinara. „Die zusätzliche Magie kann einen Teil von dem kompensieren, was durch die Probleme mit der Kontrolle der Schilddiebe verlorengeht. Dieser Angriff betrifft uns alle. Es sollten nicht nur die Krieger und die ausgewählten Heiler und Alchemisten gehen.“
„Es macht keinen Sinn, dass alle von uns gehen, Vinara“, widersprach Balkan. „Die Gilde hat bereits genug Verluste durch diesen Krieg erlitten. Diejenigen, die gehen, wurden gezielt auf diese Schlacht vorbereitet. Sie müssen genügen.“
„Mit den Speichersteinen und Schilddieben sind die Krieger ebenso wehrhaft wie die gesamte Gilde“, fügte Regin hinzu. „Es kommt nicht auf unsere Zahl, sondern auf unsere Stärke an.“
„Die sich verdoppeln würde, würden wir alle zum Nordpass gehen.“ Lady Vinara schürzte missbilligend die Lippen. „Es gefällt mir nicht, doch wenn wir den Kampf in die Berge verlegen, müssen wir mit allem kämpfen, was wir haben.“
Heiler, dachte Regin verächtlich. „Würden wir in der Ebene kämpfen, so würde ich Euch zustimmen“, sagte er. „Doch die Berge bieten uns einen strategischen Vorteil in Form zahlreicher Möglichkeiten für einen Hinterhalt. Zudem können immer nur einige von uns kämpfen, weil auf der Straße zum Nordpass zu wenig Platz ist.“
„Es ist wichtig, dass genug Magier zurückbleiben, um die Gilde wieder aufzubauen, sollten wir die Schlacht verlieren“, sagte Peakin. Für Regin hieß dies übersetzt in etwa so viel wie, dass das Oberhaupt der Alchemisten froh war, nicht kämpfen zu müssen. Peakin hatte während der Schlacht in Ettkriti-Ebene eine Kampfgruppe geleitet und war bei Yirakos Invasion dabei gewesen, aber er war alles andere als ein Krieger. Bei strategischen Diskussionen glänzte er nur selten mit Brillanz, und auch wenn er kein Feigling war, hatte er eingesehen, dass man das Kämpfen besser denen überließ, die darin ausgebildet waren.
„Die Gilde verfügt über mehr Magie als nur die ihrer Magier.“
Die Diskussion erstarb ob der tiefen, kühlen Stimme. Alle, auch Regin, wandten sich dem Oberhaupt der Gilde zu. „Ein Teil der Magie, die ich Marika genommen habe, wird noch immer in Speichersteinen verwahrt. Sonea hat einen dieser Speichersteine mit nach Yukai genommen, doch der Rest lagert noch immer an einem sicheren Ort.“
„Und wo ist dieser sichere Ort?“, fragte Balkan mit einem Anflug von Misstrauen.
„Würde ich dies gegenüber anderen erwähnen, wäre er nicht mehr sicher.“
Unwillkürlich spürte Regin, wie sich ein Grinsen auf sein Gesicht stahl. Das war so typisch für den Hohen Lord. Aber auch für die höheren Magier ihm zu misstrauen.
Osen sah aus, als wolle er protestieren, wagte es jedoch nicht, Akkarin in irgendeiner Form zu widersprechen.
Als würde er diese Magie zu seinem Vorteil nutzen, dachte Regin. Er war jedoch nicht überrascht. Irgendwie hatte er immer geahnt, dass Akkarin nach seiner Wiederwahl nicht all seine magischen Reserven offengelegt hatte.
„Als wir vor zwei Jahren gegen Marikas Armee gekämpft haben, haben wir dies in der Ettkriti-Ebene getan“, erinnerte Lady Vinara. „Einer der Gründe war, dass wir nicht wussten, ob sie über Elyne gehen. Der andere war, dass ein Kampf auf unebenem Terrain auch für uns gefährlich sein könnte.“
„Damals hatten wir weniger Erfahrung“, widersprach Balkan. „Und wir hatten Monate der Vorbereitungszeit. Zeit, in der Akkarin und Sonea sich stärken konnten. Dieses Mal hatten wir nur ein paar Wochen. Wir sind unseren Gegnern unterlegen. Angesichts dessen stehen unsere Chancen in den Bergen besser.“
„Man könnte unterhalb des Nordpasses einen ähnlichen Hinterhalt schaffen, wie damals am Südpass“, schlug Regin vor. „Was dann von unseren Feinden übrig ist, wird geschwächt das Fort erreichen und für uns eine leichtere Beute sein.“
„Wäre das Fort weit genug entfernt, um der Explosion standzuhalten?“, fragte das Oberhaupt der Heiler. „Würde das genügen, um unsere Feinde am Eindringen nach Kyralia zu hindern?“
„Wir kennen die Wirkungsweise der wilden Speichersteine viel besser als vor zwei Jahren“, sprach der Hohe Lord. „Damit können wir bessere Aussagen darüber machen, welcher Abstand für uns empfehlenswert ist.“
Lady Vinara wirkte nicht überzeugt, erhob jedoch keinen weiteren Einspruch. Regin schüttelte den Kopf. Natürlich war das Unternehmen gefährlich. Aber war es das nicht immer?
„Hoher Lord, Ihr habt das letzte Wort in dieser Angelegenheit“, sprach Regins ehemaliger Mentor. „Bleibt es dabei, dass nur die Krieger und die ausgewählten Heiler und Alchemisten gehen und unsere Gegner am Nordpass erwarten?“
Als dieser antwortete, verspürte Regin eine fast verlorengeglaubte Aufregung. In wenigen Tagen würden sie am Nordpass sein. Und er konnte all seine Sorgen in Imardin zurücklassen.
„Ja. Jedoch werde ich den König um Erlaubnis bitten, die Magie der Stadtbevölkerung hinzuziehen, sollte diese einverstanden sein.“
„Also, Viana. Wenn man eine Säure und eine Base miteinander reagieren lässt, was passiert dann?“
Rothens neue Novizin runzelte die Stirn, wobei sich ihre Nasenspitze kräuselte. „Das hängt von ihrer Menge und Konzentration ab“, antwortete sie. „Aber im Idealfall neutralisieren sie sich.“
„Richtig!“, rief Farand. „Kannst du mir auch die Formel nennen, mit der man den Säuregehalt des Resultats ausrechnen kann?“
Eifrig nickend nahm Viana ihr Notizbuch zur Hand und begann zu schreiben. Von seiner Perspektive aus konnte Rothen nicht viel mehr als ihre ordentliche Schrift erkennen. Schließlich reichte sie dem jungen Elyner das Geschriebene.
„Und wieder richtig!“, sagte Farand erfreut. „Lord Rothen, damit sollte Eure Novizin die Sommerprüfungen bestehen.“
Rothen lächelte. „Das will ich doch hoffen“, sagte er.
Viana schien sich ob dieser Aussicht zu entspannen. Seit sie Dorrien als Mentor verloren hatte, wirkte sie nervöser und unkonzentrierter. Die Novizen mieden sie, aber da sie Privatunterricht erhielt, ließen sie Viana weitgehend in Ruhe. Die Lehrer, die sich ihrer angenommen hatten, behandelten sie jedoch allesamt freundlich, soweit Rothen das sagen konnte. Seine erste Aktion als ihr neuer Mentor hatte darin bestanden, ihr einen anderen Lehrer für Kriegskunst zu suchen. Da er bereits bei Farand gute Erfahrungen mit Lord Dayend gemacht hatte, hatte er sich für diesen entschieden. Zumindest bis Sonea zurückkehrte. Dorrien würde diese Entscheidung nicht gefallen, aber er hatte keine Entscheidungsgewalt mehr, und Rothens Interesse bestand darin, Viana einen Lehrer zu geben, bei dem sie sich wohl fühlte. Dayend war jung, überaus freundlich und zuvorkommend und er war – worin Rothen im Gegensatz zu seinem Sohn einen Vorteil sah – Elyner. Über die Skandale, die die Gilde für Wochen in Aufregung versetzten, konnte Dayend nur lächeln.
Unglücklicherweise würde Dayend am nächsten Tag mit weiteren Kriegern zum Nordpass aufbrechen. Und so hatte Rothen entschieden, Vianas Unterricht bis zur Rückkehr der Krieger auf die anderen beiden Disziplinen zu beschränken und ihr zu Beginn des nächsten Halbjahres einige zusätzliche Stunden in Kriegskunst geben zu lassen.
Sofern die Gilde dann noch existierte. Wenn er an den Plan dachte, mit dem die Gilde und ihre gegenwärtigen Verbündeten ihre Feinde aufzuhalten gedachten, dann befürchtete Rothen das Schlimmste.
Aber er tat weder sich noch seinen beiden Novizen einen Gefallen, wenn er sich jetzt deswegen grämte.
„Danke, dass du mit mir lernst, Farand“, sagte Viana. Hastig sah sie zu Rothen. „Und Euch danke ich natürlich auch, Mylord.“
„Für mich ist das zugleich auch Wiederholung“, winkte Farand ab. „Sollte ich nach meinem Abschluss unterrichten dürfen, so hätte ich eine gute Referenz vorzuweisen.“
„Ich hoffe doch, dass du weiterhin mein Assistent bleibst“, sagte Rothen seinem Novizen spielerisch mit dem Zeigefinger drohend. „Denn ich will mir nur ungern einen anderen für diese Aufgabe suchen.“
Viana und Farand beim Lernen zu beobachten, während er selbst den Unterricht des Vorbereitungskurses vorbereitete, erfüllte ihn mit Freude und lenkte ihn von seinen viel essentielleren Sorgen ab. Sonea und Dannyl waren noch immer irgendwo in Sachaka und eine weitere Schlacht, bei der sie dieses Mal nur auf wenig Hilfe zählen konnten, stand kurz bevor. Seit Tagen befand sich die Gilde im Ausnahmezustand. Rothens einziger Trost war, dass er selbst in Imardin bleiben würde und sich mit seinen beiden Novizen ablenken konnte. Es war besser als daran zu denken, dass wenn die Gilde diese Schlacht verlor, weder Viana ihre Sommerprüfungen noch Farand seinen Abschluss machen würde.
„Aber Ihr unterrichtet auch, Mylord“, wandte Farand ein. „Und während Ihr dies tut, muss ich mich schließlich auch beschäftigen.“
Rothen betrachtete seinen Novizen voll Zuneigung. Von allen Novizen, denen er sich bis jetzt angenommen hatte, hatte Farand ihm die wenigsten Schwierigkeiten bereitet. Obwohl ihn der bloße Gedanke schmerzte, wusste Rothen, er würde ihn gehenlassen, sollte Farand nach seinem Abschluss einen anderen Weg einschlagen wollen. Und er würde ihn auch dabei unterstützen.
„Wenn Unterrichten dein Wunsch ist, dann werde ich mich für dich verbürgen, sollten die höheren Magier sich angesichts deiner Vorgeschichte weigern.“
„Sie lassen Lady Sonea ebenfalls unterrichten.“
„Lady Sonea ist die Frau unseres Oberhauptes“, erinnerte Rothen. „Damit sind die höheren Magier eher geneigt, bei ihr eine Ausnahme zu machen.“
„So wie damals als …“, begann Farand und brach dann mit einem hastigen Blick zu Viana ab. „Oh, Verzeihung.“ Er klappte seine Bücher zu. „Ich denke, es wird Zeit, schlafen zu gehen“, sagte er und erhob sich. „Bevor Ihr mich wieder scheltet, weil ich zu viel gelernt habe, Lord Rothen.“
„Zu viel lernen ist nicht gesund“, sagte Rothen. „Besonders in Kombination mit zu wenig Schlaf.“
Farand grinste ungewöhnlich kühn. „Und Ihr werdet nicht müde, mich daran zu erinnern.“
Lachend wies Rothen zur Tür. „Los verschwinde.“
„Gute Nacht, Mylord.“ Der junge Elyner verneigte sich. Er er zwinkerte Viana zu. „Gute Nacht, Viana.“
„Gute Nacht, Farand“, erwiderte sie.
„Du solltest auch zusehen, dass du Schlaf bekommst, Viana“, sagte Rothen in die Stille, die sich in seinem Wohnzimmer ausgebreitet hatte.
„Ich bin noch nicht müde, Mylord.“ Nervös senkte sie den Blick und starrte auf ihre Notizen. „Dann kann ich die Zeit auch zum Lernen nutzen.“
„Natürlich“, sagte Rothen freundlich. „So wirst du vielleicht schneller müde.“
Statt einer Antwort nickte sie nur. Rothen betrachtete sie nachdenklich. Sie wirkte alles andere als glücklich. Er unterdrückte ein Seufzen. „Viana, ich möchte, dass du weißt, dass ich nicht das Mentorenamt für dich übernommen habe, um deine Beziehung mit meinem Sohn zu kontrollieren“, begann er. „Ich habe es getan, weil ich eine Schwäche für Novizen mit Schwierigkeiten habe. Unter meiner Obhut erholen sie sich für gewöhnlich von dem, was sie gequält hat. Und ich hoffe, dass dies auch bei dir der Fall sein wird. Du hast eine gute Ausbildung verdient und“, er lächelte schief, „Dorrien würde es mir niemals verzeihen, würde ich dich vernachlässigen.“
„Ich habe nicht angenommen, dass Ihr unsere Beziehung kontrollieren wollt, Mylord“, entgegnete Viana scheu.
„Aber?“, hakte er vorsichtig nach.
„Ich habe das Gefühl, dass Ihr mir trotz all Eurer Freundlichkeit zürnt, weil ich Euren Sohn in Schwierigkeiten gebracht habe, wenn ich das so sagen darf.“
Das war völliger Unsinn. Ja, Rothen war verärgert. Aber nicht wegen Viana. Er brauchte sie nur anzusehen, um zu wissen, dass er ihr nicht zürnen konnte. „Viana, du hast Dorrien nicht in Schwierigkeiten gebracht“, sagte er. „Das schafft er ganz alleine.“
Es hatte ein Scherz werden sollen, doch an dem Entsetzen in Vianas Gesicht konnte er sehen, dass der Versuch fehlgeschlagen war. „Es tut mir leid“, sagte er. „Ich wollte dich nicht kränken.“
„Nun, ganz unrecht habt Ihr nicht“, erwiderte sie.
Und das ist eine bodenlose Untertreibung … Rothen konnte sehen, dass sie irgendetwas noch immer beschäftigte. Anscheinend war er noch nicht bei dem eigentlichen Problem angelangt. Er wusste jedoch nicht, wie er am besten zu ihr durchdringen konnte.
Ein Seufzen unterdrückend erhob er sich und bereitete sich einen Sumi zu. „Möchtest du auch etwas?“, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Danke, Mylord.“
„Falls du etwas möchtest, so kannst du es dir jederzeit nehmen. Auch wenn du jetzt im Novizenquartier wohnst, darfst du dich hier wie zuhause fühlen.“
„Danke, Mylord“, sagte Viana erneut.
Mit der Tasse in beiden Händen ließ Rothen sich wieder in seinem Sessel nieder. „Möchtest du mir sagen, was dich bedrückt?“, fragte er behutsam.
Sie zögerte.
„Du brauchst nicht, wenn du nicht willst. Aber indem du mit mir darüber sprichst, kann ich dir besser helfen.“
Viana öffnete den Mund und erstarrte, als es klopfte.
Rothen ließ seine Tasse sinken. Er hatte Tania schon vor zwei Stunden fortgeschickt. Zudem war ihr Klopfen zurückhaltender. Die Namen mehrerer Magier, die genug Dreistigkeit für einen solch späten Besuch besaßen, schossen ihm durch den Kopf.
„Herein!“, rief er und streckte seinen Willen nach der Tür aus.
Er hatte mit allem gerechnet. Nur nicht mit dem großen, schwarzen Schatten, der den Flur ausfüllte.
„Guten Abend, Lord Rothen.“
„Hoher Lord“, sagte Rothen steif. Was macht er hier? Und um diese Zeit?
„Ich wünsche mit Euch zu sprechen.“
„Natürlich“, brachte Rothen sich an seine Manieren erinnernd hervor. „Kommt herein.“
Nahezu lautlos glitt der schwarze Magier in den Raum.
„Bitte, Hoher Lord. Setzt Euch.“
„Danke, doch das ist nicht nötig.“ Akkarins Augen blitzten zu Viana.
Rothen sah zu seiner Novizin. „Würde es dir etwas ausmachen, in Dorriens altem Zimmer weiterzulernen?“
Sie schüttelte den Kopf. Rasch stapelte sie ihre Bücher und Unterlagen, klemmte sie sich unter den Arm und verneigte sich erst vor Akkarin und dann vor Rothen, bevor sie in dem kleinen Nebenraum verschwand.
Als sie fort war, senkte sich unbehagliche Stille über den Raum. Um sich nicht ganz in der Rolle des Unterlegenen zu fühlen, entschied Rothen ebenfalls zu stehen. Denn auch dann war Akkarin noch immer einschüchternd genug. Es geschah nicht oft, dass der Hohe Lord ihn allein in seinem Apartment aufsuchte. Doch wann immer er es tat, fühlte Rothen sich wieder an den Tag erinnert, an dem dieser Mann ihm Sonea weggenommen hatte.
„Also“, begann er unsicher, „was kann ich für Euch tun?“
„Ich wünsche, dass Ihr ab morgen für die Dauer meiner Abwesenheit Lorlen zu Euch nehmt. Ich weiß, dass Ihr unterrichtet und Eure Vorbereitungen für die Sommerprüfungen Eurer Novizen zu erledigen habt. Deswegen werden Takan und Lorlens Amme sich tagsüber um ihn kümmern.“
Für einen Augenblick war Rothen sprachlos. Für ihn klang das weniger wie ein Wunsch, denn wie ein Befehl. Lorlen war noch anstrengender als Dorrien als Baby und alleine das wäre Grund genug für ein Nein gewesen. Aber Akkarin war kein Mann, dem man sich verweigerte, und Rothen liebte das Baby trotz der zahlreichen Nerven, die es ihn bereits gekostet hatte. Die Vorstellung, dass es mit Akkarins Diener ganz allein in der Residenz war, war ihm unerträglich. Es brauchte eine Familie und ein Diener sollte nicht Tag und Nacht damit beschäftigt sein, auf ein Kleinkind aufzupassen.
Er sah zu Akkarin auf. „Nach allem, was zwischen uns vorgefallen ist, sollte ich mich weigern“, sagte er hart. Seine Worte brachten den vertrauten Zorn der vergangenen Wochen zurück und er spürte, wie sich etwas in ihm löste, das ihn zu lange gequält hatte. „Und denkt nicht, ich würde es für Euch tun. Ich tue es für Sonea.“
Akkarin hob kaum merklich die Augenbrauen und trat dann mit hinter dem Rücken verschränkten Händen zum Fenster. „Lord Rothen, ich weiß, wir hatten unsere Differenzen“, sagte er den Blick in die Dunkelheit gerichtet. „Doch es könnte sein, dass weder ich noch Sonea zurückkehren. In diesem Fall braucht Lorlen eine Familie. Und die hat er bei Euch.“
Und was ist mit deiner Schwester? Oder Soneas Familie?, wollte Rothen fragen. Doch er wusste, dass weder die Hüttenviertel noch Elyne der geeignete Ort waren, damit Lorlen so aufwuchs, wie Sonea und Akkarin es sich wünschten.
Rothen schluckte. „Ich werde mich um ihn kümmern, als wäre es mein eigenes Kind“, versprach er. „Für Sonea.“
Akkarin wandte sich um. Sein durchdringender Blick jagte Rothen einen Schauer über den Rücken. „Ich weiß, dass Ihr voll Zorn auf mich seid. Doch Ihr sollt wissen, dass mich dies nicht berührt, obwohl ich Euch und alles, was Ihr für meine Familie getan habt, schätze. Ich wäre Euch dankbar, wenn es Euch eines Tages gelingt, Euren Groll gegen mich Sonea zuliebe abzulegen.“
„Ich werde sehen, was ich tun kann“, sagte Rothen. „Aber ich kann nichts versprechen.“
Akkarins Mundwinkel zuckten kaum merklich. „Das ist auch nicht nötig.“
Er löste sich vom Fenster und schritt zurück zur Tür. Auf der Schwelle zum Flur hielt er noch einmal inne. „Takan wird Lorlen morgen früh vorbei bringen. Ich wünsche Euch eine geruhsame Nacht.“
Etwas löste sich endgültig in Rothen und sein Zorn verflog. Was auch immer dieser Mann getan hatte, hatte er nur getan, weil er es musste. Auch in Dorriens und Vianas Fall hatte er richtig gehandelt und Rothen konnte ihm zugestehen, dass er seinem Sohn einst die Chance sich zu beweisen gegeben hatte. Aber der Hohe Lord war nicht schuld an dieser Situation. Das hatte Dorrien sich ganz allein zu verdanken. Und Regin. Bei ihnen war Rothens Zorn besser aufgehoben.
„Akkarin!“
Der schwarze Magier hielt inne.
„Passt auf Sonea auf. Und auf Euch.“ Bemüht, sich von dem durchdringenden Blick des schwarzen Magiers nicht verunsichern zu lassen, fügte er hinzu: „Damit Lorlen noch eine Familie hat, wenn Ihr zurückkehrt.“
Der Anflug eines Lächelns huschte über das Gesicht des anderen Mannes. „Darauf habt Ihr mein Wort, Rothen.“
Und im nächsten Kapitel haben einige unserer Helden Anlass zur Freude, während es für andere ein wenig schmerzhaft werden könnte … ;)
Fragen zum Kapitel
Wie gefällt euch Ivaras Gastauftritt?
Wie findet ihr die Schlacht zwischen Verrätern und den Truppen Ishakas bzw. Sakoris?
Wie macht Ivasako sich während der Schlacht? Wie denkt ihr über Mivara und ihre Offenbarung?
Was haltet ihr von Trassias Aktion, Regin erst aus ihrer Wohnung zu werfen und dann selbst auszuziehen? Warum glaubt ihr, hat sie das getan?
Wie denkt ihr über das Gespräch zwischen Dannyl und Nirili?
Kann der Plan der Gilde funktionieren?
Wie denkt ihr über das Gespräch von Rothen und Akkarin?
Für alle, die es noch nicht über andere Kanäle mitbekommen haben: Diesen Monat ist wieder Camp-NaNoWriMo. Das bedeutet für euch, dass Antworten auf eure Reviews und Mails länger als üblich dauern. Allzu schlimm sollte es hoffentlich nicht werden, da ich nur überarbeite. Aber so seid ihr immerhin vorgewarnt, sollte es im Überarbeitungswahn doch zu Verzögerungen kommen :D
Ganz lieben Dank an Emmi, Black Glitter und Lady Alanna für die Reviews und anregenden Diskussionen zum letzten Kapitel <3
***
Kapitel 43 – Aufgeflogen
Ivara rannte als ginge es um ihr Leben. Tatsächlich ging es jedoch um sehr viel mehr. Am Tag zuvor hatte sie die fruchtbaren Regionen erreicht. Ihre Schwestern waren zwei Tage vor ihr und bewegten sich auf die Ashaki zu, die Kachiro unter der Führung von Ashaki Sakori ausgesandt hatte. Ursprünglich hatten sie eine Armee aufstellen sollen, um Ishakas Anhänger aufzuhalten. Dieser – oder besser gesagt, sein Mitverschwörer – hatte den Imperator jedoch gestürzt und kontrollierte nun Arvice und Umgebung. Den Berichten zufolge, die Ivara abwechselnd von Savedra oder den Verrätern erhielt, die sich um Asara scharten, hatten sich beide Ashaki-Lager wiederholt bekämpft. Die Verräter hatten dabei auf beiden Seiten Schaden angerichtet.
Ivara hatte selten eine derart große Nervosität verspürt. Wenn sie ihre Schwestern nicht rechtzeitig erreichte, würden diese zu viele von den falschen Ashaki töten. Dabei war es absurd, überhaupt in Kategorien von ’richtig’ und ’falsch’ zu denken, wenn es um die Ashaki ging.
Auf ihrem Weg nach Süden war Ivara abwechselnd die beiden Pferde geritten, die Asara ihr mitgegeben hatte. Die Stute war in der Aschenwüste in einer Felsspalte steckengeblieben und hatte sich das Unterbein gebrochen. Ivara war nichts anderes übriggeblieben, als das Tier zu töten. Um den Hengst – ein sehr schönes, wenn auch nicht allzu schnelles Tier mit sandfarbenem Fell – zu schonen, rannte sie weite Strecken zu Fuß und ritt nur, wenn sie eine Pause brauchte. Im Sattel konnte sie dösen und das Pferd gehorchte ihr weit genug, um auch dann noch geradeaus zu reiten.
Ivara erreichte die Kuppe eines Hügels. Dahinter erstreckten sich Weideland und Felder, am Horizont entdeckte sie Mauern eines Ashaki-Landhauses. Das Gras hatte unter der sommerlichen Hitze seine Saftigkeit eingebüßt und war nun eher gelb als grün, weiter unten plätscherte ein Bach.
- Savedra, wohin?
Ein Bild blitzte vor ihren Augen auf. Ein Anwesen, das bis vor einem Tag noch einem Ashaki gehört hatte, und nun von den Verrätern eingenommen war.
- Halte dich östlich. Dann kannst du die anderen in zwei Stunden erreichen. Ich habe Estara bereits über dein Kommen informiert.
- Verstanden.
Ivara steckte das Blutjuwel fort. Auch wenn sie ihre Gedanken in ihrem Geheimniswahrer verbergen konnte und sie gut darin war, anderen etwas vorzumachen, war ihr nicht ganz wohl bei der Sache. Savedra hatte einen ausgeprägten Instinkt für Verrat und Heimlichtuerei. Es war besser, sie möglichst lange im Unklaren zu lassen.
Sie führte ihren Hengst durch einen lichten Marinhain zum Bach. Insekten zirpten in der Mittagshitze und die trockenen Blätter raschelten in einer schwachen Brise. Die Marin waren an einigen Stellen noch grün, nahmen jedoch allmählich, die orange-rote Färbung reifer Früchte an.
Am Bach stillten Ivara und ihr animalischer Begleiter ihren Durst. Um sich abzukühlen, tauchte sie den Kopf für einen langen Augenblick in das Wasser. Als Ivara den Kopf wieder herauszog, fühlte sie sich so frisch, wie seit Tagen nicht mehr.
„Und weiter geht’s“, sagte sie zu ihrem Pferd und saß auf.
Obwohl es in den fruchtbaren Regionen Straßen und Wege gab, zog Ivara es vor, querfeldein zu reiten. Sie war schneller und die Wahrscheinlichkeit einer Begegnung mit den Ashaki war geringer. Während der Mittag zum Nachmittag wurde, nahm die Hitze weiter zu. Verglichen mit den Ödländern oder Duna empfand Ivara diese jedoch als angenehm. Nun, auch Duna war nicht so übel, dachte sie. Wenn sie sich an Tarrekh erinnerte, dann hatte die Hitze in ihrem Leib die der Wüstensonne übertroffen.
Als die Mauern des Anwesens, das Savedra ihr gezeigt hatte, am Horizont auftauchten, stieg Ivaras Spannung. Ihrem Hengst die Absätze ihrer Stiefel in die Flanken schlagend, beschleunigte sie in einen Galopp.
Ich kann keine ganze Armee überzeugen, dachte sie wieder und wieder. Vielleicht würde es ihr bei einigen ihrer Schwestern gelingen. Doch sie alle hatten Blutjuwelen von Savedra. Was, wenn sie den Befehl erhielten, sie zu töten, so wie es bei Zalava und Asara geschehen war?
Sie erreichte das Anwesen von der Rückseite. Nach einem endlosen Ritt entlang der Mauer erreichte Ivara endlich das Tor. Die Verräterin, die ihr öffnete, war ihr unbekannt.
„Ich bin Vakiri“, stellte sich die Frau vor. „Das Anwesen hat meinem Mann gehört.“
„Wo finde ich Estara?“, fragte Ivara.
„Im Raum des Meisters. Ich bringe dich zu ihr.“
Ivara saß ab und übergab ihr Pferd einem Sklaven. Sie nahm an, dass diese von ihren Schwestern befreit worden waren, doch es würde noch eine Weile dauern, bis sie anfingen, sich entsprechend zu verhalten. Sofern sie überhaupt solange am Leben blieben.
Estara saß auf einem Diwan, in der einen Hand einen Weinkelch, neben sich eine Schale mit Früchten. Auf dem Boden war eine Karte der fruchtbaren Regionen ausgebreitet, Kreise darauf markierten die Anwesen von Ashaki. Zwei große Kreuze zeigten die Positionen der feindlichen Armeen. Sakori, las Ivara. Und Hakaro.
„Ich grüße dich, Ivara“, sagte Estara erfreut. „Savedra hat mir dein Kommen angekündigt.“
„Ich bin so schnell hergeeilt, wie ich konnte.“ Ivara umrundete die Karte und umarmte ihre Schwester. „Fast dachte ich, ich würde es nicht mehr rechtzeitig schaffen.“
„Noch haben wir nicht viel ausgerichtet, außer uns hier eine Basis zu schaffen“, erwiderte Estara und küsste sie auf beide Wangen. „Ich bin froh, dass du Yukai überlebt hast.“
„Es war ziemlich knapp.“
„Dafür kannst du uns nun unterstützen.“ Estara bedeutete ihr, sich neben sie zu setzen. „Iss“, forderte sie Ivara auf. „Das Obst ist köstlich. Vakiris Sklaven können dir Wein bringen.“
„Vielleicht später“, sagte Ivara. „Wasser würde meinen Durst besser löschen.“
„Bei einer solch langen und anstrengenden Reise nur verständlich.“ Estara lächelte. „Uns erging es nicht anders, doch zum Glück haben wir auf diesem Anwesen einen großen Vorrat von Lebensmitteln gefunden.“
Ivara unterdrückte ein Seufzen. Das hier ist ein hoffnungsloses Unterfangen, fuhr es ihr durch den Kopf. Sie wählte eine Marinspalte und lutschte daran. „Wie sieht euer Plan aus?“, fragte sie zu der Karte nickend.
„Die Armeen der beiden Ashaki-Gruppierungen sind ganz in der Nähe. Die von Hakaro ist nur einen halben Tag entfernt. Bei Nacht werden wir ausziehen und sie angreifen.“
„Wäre es nicht besser, sie gegeneinander kämpfen zu lassen und unsere Magie für die Duna aufzusparen?“, fragte Ivara.
„Egal wie uneins sich die Ashaki in der Vergangenheit waren, so findet diese Uneinigkeit spätestens dann ein Ende, wenn wir ins Spiel kommen“, widersprach Estara. „Wenn wir darauf hoffen, dass sie einander bekämpfen, werden sie sich verbünden und wir verlieren. Dann können uns die Gildenmagier auch nicht mehr helfen.“
Das war ein denkbar schlechtes Szenario. Aber Ivara konnte auch nicht zulassen, dass ihre Schwestern Hakaros Armee angriffen.
„Ich halte Sakori für den leichteren Gegner“, sagte sie. „Seine Leute können wir sicher vernichten und Divako und den Duna damit einen Schlag verpassen. Immerhin tragen wir eine Mitschuld an der Verwüstung von Yukai. Der Palastmeister dagegen kontrolliert die furchtbaren Regionen. Es geht ihm mehr darum, sein kleines Imperium zu halten. Darum, es ihm zu nehmen, sollten wir uns kümmern, wenn alles andere erledigt ist.“
Eine nachdenkliche Falte hatte sich zwischen Estaras Augenbrauen gebildet. „Das klingt logisch“, sagte sie. „Meine Kundschafterinnen berichten, dass Hakaro noch keine Anstalten gemacht hat, uns anzugreifen, obwohl einige von den hier lebenden Schwestern sich in den letzten Tagen Kämpfe mit seinen Verbündeten geliefert haben. Sakori dagegen ist auf dem Weg hierher. Andererseits …“, sie starrte auf die Karte, „... könnte Hakaros Zögern auch bedeuten, dass die beiden sich abgesprochen haben und nur darauf warten, dass wir uns genau zwischen ihnen befinden.“
Ivara lächelte, als ihr mit einem Mal eine Idee kam. Sie kannte Estara als eine vernünftige Person, die zwar harsch in ihren Entscheidungen, aber auch immer offen für vernünftige Argumente war.
„Kennst du die Geschichte von dem P’anaal-Weibchen, das das Leben seiner Jungen riskierte, weil sie unbedingt das Jagdgebiet eines anderen P’anaals für sich wollte?“, fragte sie.
Ihre Schwester schüttelte den Kopf. „Das ist nicht aus dem Land des sichelförmigen Mondes, nicht wahr?“
„Nein. Es ist eine Geschichte, die man sich bei den Duna erzählt“, log Ivara glatt. „Wenn du willst, erzähle ich sie dir. Ich bin sicher, sie wird dir bei deiner Entscheidung helfen.“
***
Rothen betrachtete die fünfzehn Jungen und Mädchen, die nicht unterschiedlicher hätten sein können, mit Wohlwollen. Zu Beginn dieses Kurses waren sie einander noch mit Misstrauen begegnet, doch die Spiele, die er und Lord Larkin mit ihnen veranstalteten, hatten sie einander nähergebracht.
Indem sie die Rollen getauscht hatten, hatten sie ein Gefühl dafür bekommen, wie es war, in der Haut jemandes anderer Herkunft zu stecken. Besonders für die Sprösslinge der Häuser hatte sich dies als heilsam erwiesen. Die Kinder aus den Arbeiterfamilien des Äußeren Ringes hatten es genossen, die arroganten Adelskinder zu spielen – zu sehr für Rothens Geschmack – so dass er sie schließlich untereinander ’reich und arm’ hatte spielen lassen.
Lord Larkin hatte den Kurs an einem Nachmittag ins Krankenhaus geführt, damit alle sehen konnten, dass die Menschen in den Hüttenvierteln nicht weniger schlecht und weniger wert waren, als Reichen und Mächtigen. Diesen Nachmittag verbrachten sie damit, die Regeln der Gilde zu lernen und anhand von Beispielen zu verinnerlichen.
„Eure Regeln widersprechen sich, Mylord“, erklärte ein Junge aus den Hüttenvierteln.
Rothen runzelte die Stirn. „Inwiefern?“
„Es heißt, man darf keinem anderen Menschen schaden, außer um die Verbündeten Länder zu verteidigen. Aber dann habt Ihr gesagt, dass wir den anderen Magiern gehorchen müssen.“
„Richtig“, sagte Rothen. „Was ist dir daran unklar?“
„Wenn ein Magier mir befiehlt, jemanden zu töten, verstoße ich gegen die erste Regel.“
Der Junge dachte mit. An diesem Tag empfand Rothen das jedoch als anstrengend.
„Wenn du mit einem solchen Befehl deinen Eid gegenüber der Gilde oder ein Gesetz brichst, ist es deine Pflicht, diesem Magier den Gehorsam zu verweigern“, sagte er.
„Und wenn es nicht direkt erkennbar ist?“, fragte der Junge weiter. „Was, wenn der Magier mich squimpt?“
„Wenn er dich zu einem Verbrechen verleitet und du es nicht bemerkst – was eigentlich nicht passieren sollte, da wir von unseren Novizen erwarten, die Regeln und Gesetze zu kennen – dann ist unser Gesetz auf deiner Seite. Es kann allerdings sein, dass du dich einer Wahrheitslesung unterziehen musst, um deine Unschuld zu beweisen. Dasselbe gilt, solltest du erpresst werden.“
„Tut das weh?“, fragte ein Mädchen aus den Häusern furchterfüllt.
Rothen dachte an einen Tag in einem längst vergangenen Winter zurück. „Nein“, sagte er, sich zu einem Lächeln zwingend. Zumindest sollte es das nicht.
Als es zum Unterrichtsende läutete, atmete er innerlich auf. „Lernt die Regeln und denkt euch bis zur nächsten Woche ein paar weitere Beispiele aus“, sagte er. „Gerne auch Fälle, in denen ihr in einen Konflikt mit diesen Regeln geratet. Wir werden das dann nachstellen.“
Die Kinder strömten aus dem Klassenzimmer. Rothen hätte erwartet, dass sie nach dieser Stunde Fragen hatten, doch anscheinend fürchteten sie ihn zu sehr, um ihn einzeln anzusprechen.
Oh, wie ich hoffe, dass sie nicht zu Feinden werden, sobald sie den Eid gesprochen haben!, dachte er.
Auch das war einer der Gründe, warum er Soneas Hilfe hätte gebrauchen können. Eine schwarze Magierin, die im Krieg zahlreiche Heldentaten vollbracht hatte, war furchteinflößender als ein alternder, viel zu gutmütiger Alchemist.
Er verließ das Klassenzimmer und wandte sich zur Treppe. Die Universität war mit Magiern und Novizen bevölkert, als wäre es ein ganz gewöhnlicher Tag. Doch das war es nicht. Alle wussten von der Armee, die die Gilde in wenigen Tagen entsenden würde und wo Rothen hinkam, war dies das Hauptgesprächsthema. Selbst in seinem Vorbereitungskurs war dieses Thema diskutiert worden und Rothen hatte die erste halbe Stunde genutzt, seinen Schülern zu erklären, warum es so wichtig war, dass die Gilde Magier aus allen Schichten der Bevölkerung aufnahm.
„Und das nicht nur, damit wir genug Magier haben, um gegen die Sachakaner zu kämpfen, sondern auch, weil wir zivilisierter sind als die Sachakaner“, hatte er gesagt und erklärt, wie restriktiv in dem Land hinter den Bergen entschieden wurde, wer über Magie gebieten durfte und wer nicht. Das hatte keinem seiner Schüler gefallen.
In der Eingangshalle sah Rothen einen gehetzt wirkenden Administrator nach draußen eilen, während eine Gruppe Diener Kisten und Körbe in einen Korridor trug. Proviant für unsere Armee?
Um schnell zu reisen, würde jeder Magier eine bestimmte Menge an haltbaren Lebensmitteln erhalten, die er auf seinem Pferd transportierte. Ein Karren war selbst von Pferden gezogen langsamer, als wenn sie bei dieser Unternehmung auf Fuhrwerk verzichteten.
Rothen fand Lord Sarrin und die anderen Alchemisten, die sich freiwillig gemeldet hatten, in dem Kellerlabor, in dem sie einst die Schildsenker hergestellt hatten.
„Der Hohe Lord war heute Mittag hier und hat mir geholfen, die Lösungen für die Krieger zu magisieren, die die Phiolen einsetzen“, teilte das ehemalige Oberhaupt der Alchemisten Rothen mit, als er eintrat.
Rothen nickte. In der vergangenen Woche hatten die Krieger, die mit den neuen Schildwaffen kämpfen würden, Tests im Steinbruch durchgeführt, woraufhin Akkarin und Sarrin die Formel noch einmal verfeinert hatten.
„Was kann ich tun?“, fragte er.
„Helft Lord Peakin beim Abmischen der Basislösung. Dann kann Lord Genel mir bei der Zubereitung der Kontaktlösung zur Hand gehen.“
Die Schilddiebe wurden in mehreren Schritten hergestellt. Es gab eine Basislösung, die mit dem Blut eines Magiers magisiert wurde, und eine zweite Lösung, die dazu neigte, Energie aufzunehmen. Beide durften jedoch erst zusammengeführt werden, wenn ihre alchemistischen Bestandteile fertig abgemischt waren, weil beide sich andernfalls neutralisierten, anstatt zu einem Gemisch zu reagieren, dem man seinen Willen aufzwingen konnte. Das Blut der Krieger konnte hingegen auch später hinzugefügt werden. Den Grund verstand Rothen nicht so genau und er wollte es auch nicht, weil es sich dabei um schwarzmagisches Wissen handelte.
Der junge Alchemist schien höchst erfreut, eine andere Aufgabe zu erhalten. Jedoch nicht, weil es ihm widerstrebte, die winzigen Phiolen, die Blut und etwas enthielten, von dem Rothen nur wusste, dass es schwarzmagisch war, sondern weil er mit dem ehemaligen Oberhaupt der Alchemisten zusammenarbeiten konnte. Dieser war seltsamerweise begehrter als sein Nachfolger, der selbst ein herausragender Alchemist war.
Vermutlich, weil Peakin kein schwarzer Magier ist.
Rothen nickte dem anderen Alchemisten zu, der mit Lord Genels ehemaligem Klassenkameraden Jarend die Phiolen abfüllte, und gesellte sich zu Lord Larkin.
Er warf einen Blick auf die Namensliste. Drei Namen waren bereits durchgestrichen, die zugehörigen Basislösungen warteten in beschrifteten Reagenzgläsern auf einem kleinen Gestell. Natürlich haben Balkan und Regin schon ihre Phiolen, dachte Rothen trocken.
„Für wenn stellt Ihr gerade Schilddiebe her?“, fragte er.
„Für den Hohen Lord“, antwortete Larkin. „Noch zehn Stück, dann sind seine Phiolen bereit für Lord Sarrins Lösung. Doch zunächst brauchen wir mehr Basislösung.“
Rothen sah auf die Namensliste. „Einhundert Schilddiebe nur für Akkarin!“, entfuhr es ihm. „Damit sind wir bis in die Nacht beschäftigt!“ Und warum war die Zahl mit einem Stern versehen?
„Nicht ganz. Die letzten fünfzig sind für Sonea.“
Rothen erschauderte. Bewahrte Akkarin ihr Blut auf? Besser, er dachte nicht darüber nach, zu welch finsteren Zwecken er dieses gebrauchen könnte.
Offenkundig hatte der Lehrer für Alchemie sein furchterfülltes Gesicht gesehen. „Die Phiolen für Sonea enthalten kein Blut“, beruhigte er Rothen. „Sie wird dieses selbst hinzufügen, sobald sie und Dannyl auf unsere Armee treffen. Akkarin wünscht zudem Schilddiebe für Dannyl, damit er sich im Ernstfall verteidigen kann.“
Als Friedensbotschafter sollte Dannyl nicht aktiv an dem bevorstehenden Kampf gegen die Duna teilnehmen. Doch eine Schlacht ließ sich nicht bis ins kleinste Detail planen, sie würden nicht verhindern können, dass Dannyl nicht in die Kämpfe involviert wurde. Wahrscheinlich würde Dannyl darauf bestehen, an der Schlacht teilzunehmen, um die Parteien zum Einlenken zu bringen.
Das Abmischen der Zutaten für die Basislösung war eine eintönige Arbeit. Rothen und Larkin maßen Pulver und Flüssigkeiten ab, destillierten Wasser und mischten alles in einem größeren Gefäß, das mit Magie beheizt wurde, zusammen. Während der einzelnen Schritte mussten sie die Lösung abwechselnd abkühlen und die Öffnung des Gefäßes während des Erhitzens mit einer magischen Barriere verschließen. Anschließend kühlten sie die Lösung erneut und füllten sie in Reagenzgläser ab.
Es war schon lange dunkel, als Rothen das Kellerlabor verließ. Er fühlte sich schmutzig und verschwitzt, jedoch zu müde, um noch ins Badehaus zu gehen. Sarrin und seinem Nachfolger schien es nicht anders zu ergehen.
„Sollen die jungen Magier das Wasser dreckig machen“, sagte Peakin, während sie den von Laternen erhellten Weg zum Magierquartier entlang schritten. In den akkurat geschnittenen Hecken zirpten nachtaktive Insekten und die Blumen in den Beeten strömten einen betörenden Duft aus. Irgendwo im Wald sang ein Mullook seine einsame Melodie.
So eine schöne Sommernacht, dachte Rothen. Und wir verbringen unsere Zeit in einem Kellerraum, weil die Gilde sich wieder einmal auf eine Schlacht vorbereitet.
Aber wenn diese Schlacht geschlagen war, würde ein für alle Mal Frieden herrschen.
Auf die eine oder andere Weise.
***
Während der vergangenen Woche hatte Sakori in den fruchtbaren Regionen weitere Anhänger um sich geschart. Hakaro hatte Selbiges mit der Armee gemacht, die Tarko ausgesandt hatte. Die Verräter, die sich mit Ivasakos Leuten verbündet hatten, setzten alles daran, Sakori und seinen Anhängern zu schaden, wobei sie eine Spur der Verwüstung durch die fruchtbaren Regionen zogen. Aber es gab noch immer genügend Verräter, die jeden Ashaki angriffen, dem sie begegneten. Ivasakos Kriegsmeister hatte Hakaro daher angewiesen, nur noch geschlossen vorzugehen und auf die Aktionen der Verräter zu reagieren.
Obwohl in der Stadt Ruhe herrschte und das Leben im Palast ohne einen anspruchsvollen Imperator beschaulich geworden war, hatte Ivasako keinen ruhigen Augenblick. An manchen Tagen glaubte er, mehr über die verschiedenen Blutjuwelen, die unter seiner Armee im Einsatz waren, zu kommunizieren, als in gesprochenen Wörtern. Allenthalben erreichten ihn Nachrichten von Truppenbewegungen und Ashaki, die sich für die eine oder andere Seite entschieden hatten. Und Ashaki Varako kam regelmäßig in den Palast, um über die Bewegungen von Divako und den Duna zu berichten.
Täglich diskutierte Ivasako mit den drei Männern, die er neben Hakaro zu seinen Beratern ernannt hatte. Tarko und seine beiden Freunde Doraka und Ivako hatten ebenfalls Verbindungen zu Ashaki in den fruchtbaren Regionen und trugen damit dazu bei, das Mosaik aus Informationen zu komplettieren.
In alldem bekam Ienara ihn nicht oft zu Gesicht. Sie beklagte sich jedoch mit keinem einzigen Wort und das nicht einmal, wenn Ivasako nicht in der Stimmung war, um mit ihr zu schlafen. Anstatt Ansprüche zu stellen, lag sie in Ivasakos Armen, wenn dieser des Nachts mögliche Szenarien durchspielte und darüber nachgrübelte, wie die Handvoll Verräter, die sich ihnen angeschlossen hatten, eine gesamte Armee ihrer eigenen Leute überzeugen wollte.
Wenigstens haben sie die Rebellen dazu gebracht, für uns anstatt für Divako zu arbeiten.
Dank diesen wussten sie, was sie in den nächsten Wochen von Norden erwartete. Und das war alles andere als erfreulich.
„Ich habe Neuigkeiten von Hakaro“, sprach Tarko. Ein warmer Wind wehte durch die geöffneten Fenster des Besprechungsraumes. Der Himmel hatte sich zugezogen und es sah aus, als würde die wochenlange Sommerhitze eine Pause einlegen. „Diese könnten uns einen Vorteil verschaffen.“
„Sprecht“, forderte Ivasako seinen Kriegsmeister auf.
„Ein Späher hat einen von Sakoris Sklaven aufgegriffen und gefangen genommen. Der Mann hatte den Fehler gemacht, sich zu weit vom Lager zu entfernen, um mit einigen anderen Sklaven in einem nahen Fluss Wäsche zu waschen. Sie wurden von Sakoris Magiern bewacht, doch es gelang dem Kundschafter, einen der Sklaven zu entführen.“
„Taugen seine Informationen etwas?“, fragte Doraka.
„Er gehört zu Sakoris persönlichen Sklaven“, antwortete Tarko. „Er hat diesen auch mehrfach bei Besprechungen bedient.“
„Dann hat er höchstwahrscheinlich ein Blutjuwel und kann uns ausspionieren“, sagte Ivasako.
„Das hatte er. Aus diesem Grund hat Hakaro ihn getötet.“
Ivasako gefiel nicht, wenn Sklaven durch ihren Krieg gegen Kachiros Gegner zu Schaden kamen, doch unglücklicherweise ließ sich das nicht vermeiden. „Dann hoffe ich, dass die Informationen nützlich sind und er für etwas gestorben ist, was wir nicht bereits durch die Rebellen erfahren haben“, sagte er.
„Sind sie. Sakori glaubt, die Verräter hätten sich das mit dem Bündnis mit uns anders überlegt, weil sie seit ihrer Ankunft in den Ödländern auch einige von unseren Leuten getötet haben. Deswegen will er ihre Armee zwischen seine und die von Hakaro bringen.“
Das konnte böse enden, wenn Ivasako einen Fehler machte. Doch zugleich bot dies eine unerwartete Chance.
„Dann möge Hakaro den Verrätern zu Sakori folgen“, sagte er. „Er soll es wie eine Jagd aussehen lassen. Und wenn Sakori und die Verräter aufeinandertreffen, wird Hakaro Sakoris Armee angreifen.“
Nach Ivasakos letzten Informationen war die Verräterin, die versuchte, ihre eigenen Leute von einem Angriff gegen Ivasakos Armee abzubringen, in den fruchtbaren Regionen eingetroffen. Wenn es ihr bis dahin gelungen war ihre Schwestern umzustimmen, konnten sie sich den Duna gemeinsam entgegenstellen.
Die Tür ging auf und Jorika platzte in den Raum. Die drei Ashaki fuhren herum und Ivasako glaubte, zumindest in Ivakos Miene so etwas wie Missbilligung zu lesen.
„Meister Ivasako!“, rief der Junge und warf sich zu Boden. „Da ist ein Kyralier, der Euch sprechen will.“
So, ein Kyralier? Das konnte nur der Kurier sein, den Ashaki Varako ihm zwei Wochen zuvor angekündigt hatte. „Bring ihn in den Audienzraum und versorge ihn mit Erfrischungen“, wies Ivasako seinen kleinen Assistenten an. „Ich kümmere mich um ihn, sobald ich hier fertig bin.“
„Habe ich schon gemacht, Meister Ivasako.“
„Sehr gut.“ Ivasako wandte sich wieder zu seinen Beratern. „Dann sollten wir nun einen detaillierten Plan ausarbeiten, wie wir das Problem mit Sakori lösen, bevor Divako die fruchtbaren Regionen erreicht.
Eine Stunde später saß er in der Thronhalle, Ienara an seiner Seite. Am anderen Ende der Halle schwangen die großen Türen zurück und ein einzelner Kyralier trat ein. Seine Haut war so bleich wie die der wenigen anderen Kyralier, die Ivasako in seinem Leben zu sehen bekommen hatte. Sein dunkles Haar war eher braun als schwarz und wie seine Uniform mit dem Staub einer langen Reise bedeckt.
Bei seinem Anblick ballte sich eine Faust in Ivasakos Magengrube zusammenballte. Dieser Mann war nur ein Nichtmagier, doch er war von dem Mann geschickt, der an der Ermordung seines Meisters beteiligt gewesen war. Mit einem Mal löste der Anblick des Konfekts, das Ienara für ihn hielt, Übelkeit aus.
„Großer Palastmeister Ivasako“, sprach der Kyralier und verneigte sich höchst unterwürfig, als er vor dem Thron angelangt war. „Mein Name ist Marven von Dalin. Bitte verzeiht meinen Auftritt, doch ich hielt es für wichtiger, Euch sofort aufzusuchen, als mich um mein Äußeres zu sorgen.“
Sein Sachakanisch war nicht schlecht, doch sein Akzent war grauenhaft.
„Mir wurde bereits von Eurer Ankunft und dem Angebot der Gildenmagier berichtet, Marven von Dalin“, sagte Ivasako. „Was ist so wichtig, dass Ihr mich dennoch sofort aufsucht?“
Der Kurier streifte den Handschuh an seiner rechten Hand ab. Darunter erblickte Ivasako einen goldenen Ring. Mit einem roten Juwel.
„Ich stehe in direktem Kontakt mit dem Anführer der Gildenmagier, dem Hohen Lord Akkarin. Auf diese Weise müssen die Informationen nicht mehr den umständlichen Weg über die Verräter nehmen.“
Ivasako horchte auf. Die Nachrichten, die er in den vergangenen beiden Wochen von den Gildenmagiern erhalten hatte, liefen über mehrere Blutjuwelen, bevor sie den Palast erreichten. Der Anführer informierte einen Krieger an der Grenze, dieser informierte eine Verräterin, die mit Varakos Frau in Verbindung stand und über diesen gelangte die Information schließlich zu Ivasako.
Die Versuchung, dem Mann das Blutjuwel abzunehmen und mit dem Anführer der Gildenmagier persönlich zu sprechen, war groß. Ivasako hätte zu gern herausgefunden, wen dieser in jener Nacht im Palast alles ermordet hatte. Und es verlangte ihm zu erfahren, inwiefern Akkarin an dem Mord an seinem Meister beteiligt gewesen war. Hatte er Marikas Kraft genommen, damit Sonea ihm den Todesstoß versetzen konnte, oder hatte er ihr ihre Magie wiedergegeben und sie hatte es selbst getan?
Ivasako riss sich von seinen unerfreulichen Gedanken los. Damit konnte er sich befassen, wenn dieser Krieg vorbei war.
„Was habt Ihr von den Gildenmagiern zu berichten?“, fragte er.
„Die Gildenmagier bereiten sich darauf vor, mit ihrer Armee gen Sachaka zu ziehen“, berichtete Dalin. „In drei Tagen sind sie soweit. Sie würden es begrüßen, wenn Eure Leute ihnen entgegenkommen und in ihre Richtung treiben, was von Euren Gegnern noch übrig ist.“
„Ich dachte, sie kommen zu uns“, sagte Ivasako verwirrt. „Oder habe ich das falsch verstanden?“
„Sie kommen uns entgegen. Doch sie mussten die Anführerin der Verräter glauben lassen, dass sie auf deren Seite seien.“
Angesichts der schieren Größe von Arikhais Armee, war das vermutlich die bessere Alternative. Zudem waren Divako und die Duna noch immer mehrere Tagesreisen von den fruchtbaren Regionen entfernt.
„Jorika!“
Die Türen gingen auf und sein kleiner Assistent eilte in die Thronhalle.
„Dieser Mann wird unser Gast sein“, teilte Ivasako ihm mit. „Sorge dafür, dass er ein gutes Zimmer im Gästehaus, ein Bad, etwas zu essen und frische Kleider bekommt.“
***
Als Nastias Schild durch Regins finalen Feuerschlag einen tödlichen Treffer erlitt, hob Regin die Hand. „Schluss für heute!“, rief er und ließ seinen Schild fallen. „Es ist spät und ich würde es mir nie verzeihen, wenn du morgen im Unterricht einschläfst.“
Die Novizin kicherte. „In der ersten Stunde habe ich Alchemie. Das ist auch so zum Einschlafen.“
Regin lachte. Es war ihm nicht anders gegangen, wenn auch Alchemie noch immer interessanter als Heilkunst war. Er konnte sich für gefährliche Experimente begeistern, jedoch nicht für die ihnen unterliegende Theorie.
„Lass das nicht Lord Elben hören!“
„Oh, solange Ihr mich nicht verratet, Mylord.“
„Ganz sicher nicht“, versprach Regin. „Darauf hast du mein Wort.“
Sie verließen die Arena. Die Sonne, die um diese Jahreszeit erst spät unterging, war hinter den Bäumen versunken, der Abendunterricht war längst vorbei. Balkan hatte Regins Gesuch, Nastias Talent zu fördern, eingewilligt. Und Regin hatte hehre Freude an ihren Einzelstunden, jetzt wo es niemanden mehr gab, der ihm deswegen eine Szene gemacht hätte.
Flavia war nicht eifersüchtig, aber willig, ob er sie gerade wollte oder nicht. Neben den Vorbereitungen für die Armee war Nastias Privatunterricht zudem eine willkommene Abwechslung.
„Wie habe ich heute gekämpft, Mylord?“, fragte Nastia, als sie durch das Portal schritten.
„Du hast gute Fortschritte seit unserer letzten Stunde gemacht“, antwortete Regin. In der Dunkelheit des Tunnels konnte er ihr Gesicht nicht sehen, doch so, wie sie die Luft einsog, hatte er sie in Verlegenheit gebracht.
Als sie ins Freie traten, waren ihre Wangen leicht gerötet. „Lord Regin?“, fragte sie.
Er wandte sich zu ihr. „Ja?“
„Ich finde es wirklich nett von Euch, dass Ihr Euch meiner annehmt.“
„Du hast großes Talent. Es wäre eine Verschwendung, das nicht zu fördern.“
„Also tut Ihr das nicht, weil Ihr Euch etwas aus mir macht“, folgerte sie.
Mit einem leisen Unbehagen erkannte Regin, dass das Gespräch eine Wendung genommen hatte, die ihm missfiel. „Ich halte dich für eine gute und intelligente Novizin“, antwortete er vorsichtig. „Und ich bin sicher, du wirst eine großartige Kriegerin werden.“
Sie lächelte, doch das Lächeln erreichte nicht ihre Augen.
Regin unterdrückte ein Seufzen. Sein neuerliches Junggesellendasein sorgte dafür, dass die Novizinnen, aber auch einige der jüngeren Magierinnen ihm vermehrt nachstellten. Anfangs hatte ihn das geschmeichelt und er war versucht gewesen, die eine oder andere Magierin zu verführen, um sich über Trassia hinwegzutrösten. Aber solange er noch nach einem Weg suchte, Trassia zurückzugewinnen, war das keine Option. In der Gilde blieb nichts lange ein Geheimnis und Gerüchte breiteten sich schneller aus, als der Harrel flüchten konnte. Regin durfte sich – nicht einmal aus Verzweiflung – einen Fehler erlauben, der ihren Zorn weiter anfachte. Er durfte nicht einmal flirten. Ohne Flavia, deren Verschwiegenheit er sich sicher war, wäre das eine unvorstellbare Strafe gewesen. Er war ein Mann und er hatte gewisse Bedürfnisse, die nach Erfüllung verlangten. Doch jedes Mal, wenn er kurz davor war, dem nachzugeben, musste er wieder an Coille denken. Es hatte nicht funktioniert, weil er die ganze Zeit nur an Trassia hatte denken können. Mit Flavia hatte er dieses Problem nicht. Weil sie schon immer da gewesen war. Und weil sie nur eine Dienerin war.
Könnte ich meine Magie doch einfach verwenden, um meine Gefühle und mein Gewissen abzustellen!, dachte er sehnsüchtig. Dann würde er tun können, was ihm beliebte und nicht mehr durch das Gefängnis seiner Moral begrenzt sein.
„Verzeih, wenn ich falsche Hoffnungen in dir erweckt habe, Nastia“, sagte er daher. „Das war nicht meine Absicht.“
„Also bin ich nur eine Novizin für Euch.“
„Nein“, sagte er und schüttelte den Kopf. „Ich sehe in dir eine sehr talentierte Novizin. Aber du bist meine Schülerin. Ich würde gegen die Regeln verstoßen, für die ich mich so sehr eingesetzt habe, wenn ich mich mit dir einlassen würde.“
„Ich verstehe“, sagte sie. „Das wäre auch ziemlich heuchlerisch.“
„Genau.“ Er machte eine Pause und sah sie an. „Und es würde kein Geheimnis bleiben.“
Sie lächelte schief. „Ich danke Euch, für Eure Ehrlichkeit, Lord Regin. Ihr habt recht, Ihr solltet wirklich nur mein Lehrer sein. Gute Nacht.“
Mit diesen Worten wandte sie sich ab und lief zu den Novizenquartieren. Regin sah ihr nach. Jetzt hatte er sie glauben lassen, er hätte doch romantische Gefühle für sie. Doch bis sie ihr Studium beendet hatte, würde sie sich längst in einen anderen verliebt haben.
Seufzend machte er sich auf den Weg zu den Magierquartieren. In der kleinen Eingangshalle wollte er sich in den Flur begeben, auf dem sein düsteres Apartment lag und wo Flavia ihn mit dem Abendessen wartete, doch dann hielt er inne.
Sie wird jetzt zuhause sein, dachte er. Der Zeitpunkt war günstig. Und Regin hatte lange genug gewartet.
Und wenn sie noch immer wütend ist, kann ich sie vielleicht damit überzeugen, dass ich Nastia soeben einen Korb gegeben habe.
Von neuem Tatendrang erfüllt erklomm er die Stufen ins Obergeschoss. Niemand begegnete ihm, um diese Zeit waren die meisten Magier in ihren Quartieren, korrigierten Tests, bereiteten Unterricht vor oder gaben sich entspannenden Freizeitbeschäftigungen hin. Für Regin bedeutete das vor allem eines: Sollte Trassia ihm eine Szene machen, würde es weniger Zeugen geben.
Vor ihrer Tür blieb er stehen. Er strich sich übers Haar, klopfte den Arenastaub aus seiner Robe, dann klopfte er einen tiefen Atemzug nehmend.
„Herein!“
Regin runzelte die Stirn. Die Stimme klang fremd und sie war männlich. Konnte es sein, dass Trassia schon einen neuen Liebhaber hatte?
Die Tür schwang auf und er trat ein. Ein junger Magier in purpurfarbenen Roben saß an einem Tisch zusammen mit einer Frau gekleidet in die neuste kyralische Mode und zwei kleinen Kindern. Auf dem Tisch standen mehrere dampfende Schüsseln und Platten.
Verwirrt sah Regin sich um. Er glaubte zu träumen. War das nicht das Apartment, das er ein halbes Jahr lang bewohnt hatte?
„Verzeihung“, murmelte er. „Ich habe mich wohl in der Tür geirrt.“
„Und ich dachte, Ihr wärt Lord Orrel“, erwiderte der Magier.
„Zu wem wolltet Ihr?“, fragte seine Frau.
„Ich wollte Lady Trassia besuchen“, stammelte Regin.
„Lady Trassia ist ins Heilerquartier gezogen“, antwortete der Alchemist.
Die Eröffnung traf Regin völlig unerwartet. „Wann?“, fragte er.
„Am letzten Wochenende.“
Das war schnell gegangen. Wohnraum im Heilerquartier war begrenzt und wurde vorzugsweise an Heiler vergeben, die auf Abruf verfügbar sein mussten.
„Als wir hörten, dass ein schönes Apartment im Magierquartier frei werden sollte, haben wir sofort entschieden, es zu nehmen“, fügte die Frau hinzu. „Mit zwei Kindern weiterhin im Haus meiner Eltern zu wohnen, war keine dauerhafte Lösung.“
„Ich verstehe“, erwiderte Regin. Er deutete eine Verneigung an. „Dann möchte ich die späte Störung entschuldigen.“
So schnell es ihm ohne seine Würde zu verlieren möglich war, eilte er nach draußen. Wie hatte das passieren können?
In das Gefühl von Demütigung stahl sich allmählich ein leiser Zorn, als Regin erneut den abendlichen Park durchquerte. Mittlerweile hatte sich die Dämmerung über das Universitätsgelände gelegt und Novizen aus dem ersten Jahr eilten die Wege entlang und entzündeten die Laternen mit Magie.
Die Wohnungen der Heiler befanden sich in den höheren Etagen des Heilerquartiers. Im Erdgeschoss waren die Behandlungs- und Patientenzimmer, darüber lagen Unterrichtsräume, Lagerräume und medizinische Labors. Und darüber wohnten die Heiler, die nicht mit ihren Ehepartnern im Magierquartier oder in der Stadt lebten.
Auf dem Weg nach oben hielt Regin einen an ihm vorbeieilenden Heiler an und fragte ihn, wo Lady Trassia wohnte. Dann erklomm er die Stufen in die höheren Stockwerke.
Trassias neues Apartment lag auf der Vorderseite mit Blick auf die Universität und die Arena. Von hinter der Tür erklangen die fröhlichen Stimmen zweier Frauen.
Oh bitte, lass es nicht Luzille sein!, flehte Regin innerlich. Die aufgekratzte, herrschsüchtige Elynerin war die letze Person, die er jetzt bei Trassia sehen wollte. Er überlegte, wieder zu gehen und es ein anderes Mal zu versuchen, doch dann hätte er beinahe laut aufgelacht. Er hatte gegen zahlreiche schwarze Magier gekämpft. Er war der zweitbeste Krieger seines Jahrgangs. Und da hatte er Angst vor einer Nichtmagierin?
Ich bin bis hierhin gekommen, also werde ich es auch zu Ende bringen, dachte er entschlossen.
Einen tiefen Atemzug nehmend klopfte er.
„Herein!“, rief Trassia ungewohnt fröhlich und die Tür schwang auf, während die Frauen ihr Gespräch munter fortsetzten.
„Guten Abend, die Ladies“, grüßte Regin und trat ein.
Das Gespräch erstarb. Trassias Mund klappte auf. Für einen kurzen Augenblick glaubte Regin, sie würde aufspringen und ihm um den Hals fallen, doch dann verfinsterte sich ihre Miene.
Lady Indria hatte sich zuerst wieder gefasst. „Lord Regin“, sagte sie kühl. „Welch Überraschung, Euch hier zu sehen. Ist Euer privater Abendunterricht etwa schon zu Ende?“
Der Spott in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Regin fühlte sich gescholten. Er begann sich zu fragen, was Trassia ihr alles über ihn erzählt hatte. Auf ihre Weise war die junge Heilerin ebenso schlimm wie Luzille. Indria war Trassias Mentorin gewesen, als er mit Coille angebandelt hatte und mit Kayan auf Patrouille gewesen war. Auch damals hatten die beiden Frauen einander sehr nahe gestanden, jetzt waren sie beste Freundinnen. Regin behagte das nicht. Trassia hatte zu viele Freundinnen, die sich gegen ihn zusammenrotten konnten. Und als ehrenhafter Krieger hatte er kein wirksames Mittel dagegen.
„Lady Trassia zu besuchen erschien mir als guter Anlass, den Abendunterricht früher zu beenden“, erwiderte er sein Unbehagen beiseiteschiebend.
Seine ehemalige Freundin betrachtete ihn abschätzig. „Was, wenn ich nicht von dir besucht werden will?“
„Vielleicht solltest du erst einmal anhören, was ich dir zu sagen habe, liebste Trassia.“
Mit einem Schnauben verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Wieso sollte ich das?“
Lady Indria erhob sich. „Ich denke, Lady Lorea wird nicht mehr auftauchen“, sagte sie. „Wahrscheinlich hat es im Krankenhaus einen Notfall gegeben.“ Sie warf einen zögernden Blick zu Trassia. „Kann ich dich alleine lassen?“
„Geh nur“, erwiderte Trassia. „Ich werde schon mit ihm fertig.“
„Wenn nicht, ruf nach mir.“
Trassia rang sich ein schiefes Lächeln ab. „Gute Nacht, Indria.“
„Gute Nacht, Liebes.“
Regin einen letzten finsteren Blick zuwerfend rauschte die Heilerin aus dem Raum.
„Also Regin, was willst du?“, verlangte Trassia zu wissen, nachdem sich die Tür hinter Indria geschlossen hatte.
„Ich wollte dich sehen.“
„Ist das der einzige Grund, für den ich meinen Frauenabend unterbrochen habe?“
„Anscheinend Grund genug, dass du Lady Indria nicht aufgehalten hast“, erwiderte Regin.
Trassia verzog das Gesicht. „Ich habe dir nicht verziehen, wenn es das ist, was du wissen willst“, sagte sie. „Aber ich war zu lange mit dir zusammen und zu vermissen, obwohl du ein Mistkerl bist.“
„Und doch bist du aus unserer Wohnung ausgezogen.“
„Es war nicht mehr unsere Wohnung“, stellte sie richtig.
„Warum hast du das getan?“, verlangte er zu wissen. Sie hatte ihn nicht nur aus diesem wunderschönen Apartment rausgeworfen, sie war auch noch selbst ausgezogen – aber erst, nachdem sie dafür gesorgt hatte, dass er nicht mehr dorthin zurückkonnte! So ein kleines Biest!, dachte Regin erbost. Ihre Freundschaft mit Luzille tut ihr nicht gut. So viel Manipulativität und Durchtriebenheit waren nicht Trassias Art. Ihre elynische Freundin musste sie dazu angestiftet haben. Er kannte Luzilles Einstellung zu Männern von den formalen Dinnern in der Residenz des Hohen Lords. „Es war Luzille, die dich darauf gebraucht hat. So ist es doch, nicht wahr?“
„Sobald ich etwas tue, was dir nicht passt, machst du Luzille dafür verantwortlich!“, sagte Trassia erbost. „Vielleicht war sie es dieses Mal ja gar nicht. Vielleicht war es ja Indria!“
Regin schnaubte. Warum rottete Trassia nicht gleich all ihre Freundinnen zusammen und hetzte sie ihm auf den Hals? Dann würde er wenigstens wissen, wem er in Zukunft aus dem Weg gehen musste.
„Und wieso sollte Lady Indria das getan haben?“
Trassia seufzte. „Regin, ich bin eine Heilerin. Und ich bin alleinstehend. Das Magierquartier ist nicht der richtige Ort für mich. Hier bin ich schneller zur Stelle, wenn einer der Patienten dringend einen Heiler braucht.“
„Dann hättest du auch gleich hierher ziehen können“, entgegnete Regin. „Aber du hast es vorgezogen, mich rauszuwerfen.“
Ihre dunklen Augen füllten sich mit Tränen und ihre Unterlippe begann zu zittern. „Weil ich nicht ausziehen wollte“, sagte sie leise. „Ich habe gedacht, ich könnte dort alleine weiterleben. Doch dann wurde mir klar, dass ich das nicht konnte, Regin.“
Mit einem Mal schämte er sich, weil er so harsch über sie geurteilt hatte. „Warum hast du das nicht gleich gesagt?“, fragte er behutsam.
Stumme Tränen liefen über ihre Wangen. „Weil du nicht gefragt hast.“
Einen plötzlichen Impuls folgend machte Regin einen Schritt auf sie zu und schloss sie in seine Arme. Trassia krallte sich in den Stoff an seiner Brust und begann hemmungslos zu weinen.
Sie hat mich vermisst, erkannte er ein plötzliches Glücksgefühl verspürend. Sie mag mir noch zürnen, aber sie liebt mich noch immer.
„Nicht weinen, liebste Trassia“, flüsterte er in ihr Haar, während er über ihren Rücken strich. „Nicht weinen.“ Behutsam nahm er ihr Gesicht zwischen seine Hände und küsste ihre Lippen. Ihre Schluchzer versiegten und sie erwiderte seinen Kuss.
Plötzlich stieß sie ihn von sich. „Was fällt dir ein!“, fauchte sie. „Wie kannst du es wagen? Wir sind kein Paar mehr!“
„Das hat dich gerade nicht davon abgehalten, mich zu küssen.“
Sie gab ihm eine schallende Ohrfeige.
„Au!“, entfuhr es ihm. „Ich bin hergekommen, um dich um Verzeihung zu bitten und das ist alles, was ich bekomme?“
Sie schlug ihn erneut. „Ist das jetzt besser?“
„Ich hatte auf ein wenig mehr Zuwendung gehofft“, erwiderte er.
„Geh!“, fauchte sie. „Und wag es bloß nicht, dich jemals wieder hier blicken zu lassen!“
„Ich habe verstanden“, sagte Regin trocken. „Es wird der Tag kommen, an dem du deine Worte bereuen wirst.“ Mit diesen Worten verließ er das Apartment. Auf dem Flur sah er Lady Indria in einer der Türen sehen. Ihr finsterer Blick verfolgte ihn auf dem Weg nach draußen und durch den Park.
Gut gemacht, Lord Regin!, dachte er wütend, während er an der Arena vorbei stapfte. Was hatte er sich nur dabei gedacht, sie aufzusuchen? Jetzt würde sie ihn ganz sicher nicht mehr zurücknehmen.
Die Lust auf Abendessen war ihm vergangen. Aber es war Vierttag. Regin wusste, wohin er gehen konnte.
***
„Hakaro sagt, er wäre jetzt soweit.“
Die vier Männer, die sich mit ihren Sklaven in dem von einer aufgehenden Sonne erhellten Kuppelzimmer versammelt hatten, rückten ihre Sessel zu Ashaki Tarko. Ivasako streckte seine Hände aus und berührte die von Doraka und die seines Kriegsmeisters. Die seit Wochen in ihm herrschende Spannung drohte ihn zu ersticken. Die Feindseligkeiten zwischen den drei Armeen in den fruchtbaren Regionen, die sich bis jetzt auf das Erobern und Zerstören von Ashaki-Anwesen oder Kämpfe kleinerer Gruppen, die auf dem Weg zu ihrer favorisierten Partei aneinandergeraten waren, beschränkt hatten, erreichten nun ihren Höhepunkt.
Hakaro hatte einem seiner Späher das Blutjuwel gegeben. Dieser befand sich nun auf einem Hügel verborgen zwischen Dornbeersträuchern. Unter ihm breitete sich das vertrocknete Grasland der fruchtbaren Regionen im Sommer aus. Der Anblick hätte nicht einer gewissen Lieblichkeit entbehrt, würde sich nicht weit unter ihm am Fuße des Hügels eine größere Gruppe Personen befinden, die allesamt auf etwas in der Ferne starrten. Selbst aus der Entfernung wirkten sie auf Ivasako wild und gefährlich. Und wütend.
Ihr Anblick entsprach seiner Vorstellung der Verräter besser, als das Bild, das er von Varakos Frau im Kopf hatte, wenn der Ashaki sie zu Festen im Palast mitnahm. Sie wirkte immer so unterwürfig und scheu, doch inzwischen war der Palastmeister überzeugt, dass sie das nur spielte.
Der Späher wandte den Blick nach rechts und dann sah Ivasako, was die Aufmerksamkeit der Verräter erregt hatte.
Eine große Gruppe Reiter näherte sich von der Kuppe eines anderen Hügels, das Cravas auf den Bannern. Ivasako schüttelte unwillkürlich den Kopf. Kachiros Anhänger haben nicht das Recht, dieses Symbol zu tragen, dachte er. Sie hätten ein anderes wählen sollen.
Für Ivasako wäre allein das Grund genug gewesen, Hakaros Leute anzuweisen, ihren Gegnern die Banner wegzunehmen und zu verbrennen.
Mit einer quälenden Langsamkeit, die mehr seiner eigenen Ungeduld als der tatsächlichen Bewegung beider Armeen zu verdanken war, näherten sich Verräter und Ashaki einander. Es war soweit. Obwohl Ivasako nur ein Zuschauer im mehrere Tagesreisen entfernten Arvice war, war seine Unruhe noch nie so groß gewesen. Und er dankte Marika im Stillen, dass dieser ihn an seinen eigenen Feldzügen nie durch das Blutjuwel hatte teilhaben lassen.
Es gab kein Gespräch zwischen den Anführern beider Armeen, keinen Versuch, zu vermitteln. Als die Ashaki in Reichweite kamen, schlugen sie los.
Eine Wand von Feuerschlägen raste auf die Verräter zu. Die Luft geriet in Bewegung, als diese sich mit Schilden schützten und auf dieselbe Weise antworteten. Die Pferde mehrerer Ashaki scheuten, doch offenkundig waren die meisten auf magische Schlachten trainiert. Für Land-Ashaki, die in Nachbarschaftskriege verwickelt und den Angriffen der Ichani ausgesetzt waren, nicht unüblich. Die Verräter stürmten nach vorne, als würde es sie nicht kümmern, dass ihre Gegner sie niederreiten konnten. Hier und da sah Ivasako etwas in der Morgensonne glitzern. Dolche.
Und dann wusste Ivasako, was sie vorhatten.
„Sie wollen die Pferde verletzen“, sagte er. „Damit zwingen sie die Ashaki, zu Fuß zu kämpfen.“
Der Schild der Ashaki konnte nicht das gesamte Pferd schützen. Die Beine brauchten eine gewisse Bewegungsfreiheit. Obwohl sie auf diese Weise schneller waren, war genau dies ihre Schwachstelle.
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal froh über die Durchtriebenheit der Verräter sein würde“, bemerkte Doraka.
Die Erheiterung der Berater hielt nur kurz. Denn nur wenige Augenblicke später geschah etwas, das Ivasako an den Gesetzen der Natur zweifeln ließ, als ein Reiter und sein Pferd in einen Feuerball mit einer so klar definierten Oberfläche gehüllt waren, als befänden sie sich in einer Glaskugel. Nur einen Augenblick später zerbarst der Feuerball und eine Woge gleißender Magie raste über das Schlachtfeld. Zwei weitere folgten unmittelbar.
„Was war das?“, fragte Tarko.
„Ich glaube, das war eine dieser Waffen der Gildenmagier“, sagte Ivako. „Sie ist unter dem Schild explodiert und hat den Ashaki getötet.“
„Und die Verräter haben die Waffen durch die Schwachstelle im unteren Teil des Schildes geschickt“, fügte Ivasako hinzu.
„Ich dachte, die Gildenmagier haben sich von den Verrätern distanziert. Wieso versorgen sie sie trotzdem noch mit diesen Waffen?“, wunderte sich Tarko.
„Entweder die Waffen wurden den Verrätern gegeben, die mit uns und den Gildenmagiern arbeiten oder sie haben sie früher erhalten“, antwortete Ivasako. Der Kurier hatte ihm versichert, dass die Gildenmagier seit dem Vorfall in Yukai keine neuen Waffen an die Verräter geliefert hatten. Der Anführer hielt Savedra unter dem Vorwand hin, dass seine Magier gerade damit beschäftigt waren, eine neue Waffe zu erschaffen und zu testen, diese jedoch noch nicht einsatzbereit war. Ivasako wusste nicht, wie viel Glauben er einer solchen Behauptung schenken sollte. Sollte sie sich jedoch als wahr erweisen, so hatten seine eigenen Leute bessere Chancen, Divako und die Duna mit den Gildenmagiern zu vernichten.
Einige Ashaki reagierten geistesgegenwärtig und beeilten sich, von ihren Pferden abzusteigen und diese fortzujagen. Dann griffen sie die Verräter an. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sich das Bild in ein Chaos aus gleißender Magie, verwandelt. Darin erblühten in unregelmäßigen Abständen Feuerbälle und weiße Nebel wie tödliche Blumen, wo die Waffen der Gildenmagier auf die Schilde der Ashaki trafen.
- Sagt Hakaro, er möge Sakoris Leute nun angreifen, wies Ivasako den Späher an. Aber er soll es so aussehen lassen, als würden sie das nicht tun, um den Verrätern zu helfen.
Der Späher bestätigte und zog sich zurück, um Hakaro das Blutjuwel zu übergeben. Mehrere Minuten geschah nichts, dann spürte Ivasako die Präsenz des Ashaki.
- Wir sind unterwegs, um Sakoris Leuten in die Flanke zu fallen, sandte Hakaro.
- Gut, antwortete Ivasako. Für den Fall, dass Eure Leute an die Verräter geraten: Sagt ihnen, sie sollen nur jene töten, die sie angreifen.
- Verstanden, antwortete Hakaro. Ich hoffe, das wird nicht notwendig sein.
Ich auch, dachte Ivasako. Varakos letzter Bericht lag einen Tag zurück. Die Verräter, die sich gegen ihre Anführerin gestellt hatten, konnten mehr geworden sein. Oder sie waren tot.
***
Der Plan schien aufzugehen. Die Ashaki, die der Palastmeister ausgesandt hatte, hatten die Verräter in der Nacht umrundet und fiel Kachiros Anhängern nun in die Seite. Sakoris Plan war somit gescheitert. Hätte die Armee des Palastmeisters nicht gewusst, dass ein Teil der Verräter für sie kämpfte, so hätten beide Ashaki-Gruppen sich gegen Ivara und ihre Schwestern zusammengetan und sich anschließend gegenseitig umgebracht.
Bleibt nur noch zu hoffen, dass es bei uns nicht dazu kommt, dachte Ivara.
Nachdem es ihr gelungen war, Estara für ihre Sache zu gewinnen, hatten sich ihnen weitere Schwestern angeschlossen. Estara hatte ihr die Namen jener genannt, von denen sie wusste, dass sie sich gegen Savedra stellen würden, wenn sie die Wahrheit erfuhren. Es waren nicht viele gewesen, aber immerhin war es diesen gelungen, bis zum Morgen ein paar weitere vertrauenswürdige Schwestern einzuweihen.
Bevor sie Vakiris Anwesen verlassen hatten, hatten die anderen Magierinnen Ivara ihre Quellen zur Verfügung gestellt. Damit war sie vermutlich noch immer schwächer, als die meisten ihrer Schwestern, doch Ivara fühlte sich weniger verwundbar. Für einen oder zwei Ashaki würde es vermutlich reichen. Schließlich hatten diese sich in den letzten Tagen schon den einen oder anderen Kampf geliefert.
Ivara griff nach ihrer Magie und schleuderte einen Kraftschlag gegen einen Ashaki, dessen Schild gerade von einer Schildsenker-Phiole geschwächt worden war. Diejenigen Verräter, die damit ausgestattet waren, hatten die Anweisung, mit einer Schwester zu arbeiten, die dem Gegner den anschließenden vernichtenden Schlag verpasste. Zu gern hätte Ivara die Phiolen selbst geworfen, doch Sahiri war geschickter darin, diese mit winzigen Illusionen zu tarnen. Zudem brauchte es nicht viel Magie, um einen Ashaki zu töten, dessen Schild gerade geschwächt war. Die simple Strategie funktionierte überraschend gut und Ivara fand, dass sie und Sahiri ein gutes Team waren.
Der Kraftschlag traf den Ashaki mitten in die Brust und er brach zusammen. Ihr Messer ziehend stürzte Ivara vor und nahm seine Kraft, bevor sein sterbender Körper die Kontrolle darüber verlieren konnte. Was für ein dummer Gorin!, dachte sie. Sicher war er ein Stadt-Ashaki.
Als sie sich erhob, war Sahiri an ihre Seite geeilt. „Wen als Nächstes?“
Ivara blickte sich um. Um sie herum waren alle in Kämpfe verwickelt, niemand nahm von ihnen Notiz.
Nicht weit entfernt mühte sich Elari mit einem Magier in einer einfachen Uniform ab – ein in Magie unterwiesener Sklave.
„Lass uns Elari und Yasira helfen“, sagte Ivara. „Ihr Gegner wird nicht mit einem Angriff von hinten rechnen.“
Sahiri lächelte durchtrieben. „Ganz besonders nicht, wenn es sich dabei um eine kleine Phiole aus Glas handelt.“
„Ganz sicher nicht“, stimmte Ivara zu. Die Phiole würde den Schild am meisten dort schwächen, wo sie auftraf.
Ihre Schwester warf eine Phiole. Im nächsten Moment war der Schild des Magiers von einem weißen Nebel umgeben. Ivara zögerte nicht und brach ihm mit einem Kraftschlag das Genick.
„Hol dir seine Magie!“, rief sie Elari zu.
Die andere Frau lächelte grimmig und stürmte ihren Dolch gezogen auf den reglosen Körper des Magiers zu.
Lächelnd sah Ivara ihr einen Augenblick zu, dann verwandelte sich das Lächeln in Verwirrung, als Sakoris Leute wie auf ein lautloses Kommando die Flucht antraten.
- Hinterher!, befahl Estara.
„Los!“, zischte Ivara ihrer Schwester zu.
Während sie rannten, attackierten sie ihre Gegner mit einem Hagel aus Kraftschlägen, unter dem mehrere Ashaki zusammenbrachen. Einigen gelang es, sich auf ihre Pferde zu retten, und das Weite zu suchen.
Ivara fluchte lauthals. Um sie herum kamen ihre Schwestern zum Stehen. In der Ferne setzten einige von Hakaros Magiern den Flüchtenden auf Pferden hinterher. Die übrigen Ashaki hatten sich ein Stück zurückgezogen und verharrten dort, als seien sie unschlüssig, was sie mit den Verrätern tun sollten.
„Ärgere dich nicht“, erklang Estaras Stimme neben ihr. „Wir haben ihnen ordentlich zugesetzt.“
„Sie werden sich mit Divako vereinen.“
„Aber sie sind geschwächt. Bis dahin wird ihnen nicht viel Zeit bleiben, sich zu stärken.“
Während wir diesen Kampf dank der Ashaki und der Waffen der Gildenmagier nahezu unbeschadet überstanden haben. Ivara kam nicht umhin, sich über diese Bilanz zu freuen.
Neben ihr war Estara erstarrt.
„Was ist?“, fragte Ivara.
Die Anführerin der Armee packte ihr Handgelenk.
- Savedra will, dass wir uns Hakaro vornehmen.
Ivaras Herz setzte einen Schlag aus. Sie hatte gewusst, dass es dazu kommen würde. Aber sie hatte darauf gesetzt, dass bis dahin mehr Schwestern auf ihrer Seite waren.
- Und was machen wir nun?, fragte sie. Fast jede von uns hat ein Blutjuwel von Savedra. Sie werden die Wahrheit herausfinden.
- Dann müssen wir jetzt die Enrasa-Karten aufdecken.
Estara ließ ihre Hand los. Mit entschlossener Miene zog sie ihren Blutring vom Finger und steckte ihn in eine Hosentasche.
„Was ist?“, rief eine ihrer Schwestern. „Warum greifen wir die Ashaki nicht an?“
„Diese Ashaki haben uns geholfen“, antwortete Estara. „Kämpfen wir gegen sie, so schwächen wir uns selbst. Stattdessen sollten wir uns darauf vorbereiten, der Armee der Duna zu begegnen. Sie sind der gemeinsame Feind von uns und diesen Ashaki. Und von den Gildenmagiern.“
„Sieh dir die Ashaki doch einmal an!“, rief eine andere Verräterin. „Sie warten nur darauf, dass wir sie angreifen! Wenn wir uns jetzt zurückziehen, werden sie uns in den Rücken fallen.“
„Das werden sie nicht“, antwortete Ivara. „Weil wir mit ihnen zusammenarbeiten.“
Unter ihren Schwestern brach ein Tumult aus. Einige protestierten laut, andere reagierten mit Entsetzen, bis auf einmal alle zu streiten begannen. Mit den Ashaki, die im Hintergrund warteten, war die Szene so unwirklich, dass sie aus einem Traum hätte stammen können.
Dann fiel der erste Feuerschlag.
***
„Was um alles in der Welt tun sie da?“, murmelte Ashaki Doraka. „Fangen sie gerade an, sich gegenseitig zu töten?“
„Sieht ganz so aus“, sagte Tarko.
Mit wachsendem Entsetzen beobachtete Ivasako durch Hakaros Blutjuwel, wie die Verräter aufeinander losgingen. Obwohl er keine allzu großen Stücke auf diese Frauen hielt, glaubte er, selten etwas Grauenhafteres gesehen zu haben. Nur wenige Augenblicke zuvor hatten sie Sakoris Armee auseinandergenommen und in die Flucht geschlagen und jetzt kämpften sie gegeneinander.
„Entweder es gehört zum Plan der Verräter, die auf unserer Seite sind, oder Savedra hat erfahren, dass sich ein paar ihrer Töchter von ihr abgewandt haben“, überlegte Ivasako.
Er hörte, wie jemand scharf die Luft einsog. Eine Frau.
Reflexartig öffnete er die Augen und sah zu Mivara. Sie kniete zu Tarkos Füßen, dessen gekühlten Raka haltend. Tarko indes schien ihre Anwesenheit derweil vollkommen vergessen zu haben, so wie den Raka, der inzwischen kalt sein musste. Als ihre Blicke einander begegneten, hatte die Sklavin sich jedoch wieder unter Kontrolle.
Nachdem Ivasako die vergangene Stunde in die Schlacht in den fruchtbaren Regionen erlebt hatte, als wäre er an Hakaros Stelle dort gewesen, war es seltsam, wieder hier zu sein. Verwirrt hatte er festgestellt, dass die Sonne höher gestiegen war und sich die Kühle der Nacht unter ihr verflüchtigt hatte.
„Wenn sie so weitermachen, haben wir bald keine Verbündeten mehr“, bemerkte Ivako. „Wir sollten eingreifen.“
„Wir wissen nicht, welche Verräter auf unserer Seite sind“, wandte der Palastmeister ein. „Somit macht es keinen Sinn.“
„Dann möge Hakaro die Verräter zu einem Angriff provozieren“, sprach Tarko. „Diejenigen, die auf unserer Seite sind, werden sich zurückhalten, während die übrigen kämpfen werden.“
Sofern sie sich nicht von den Ashaki betrogen fühlen. Für Ivasakos Geschmack war diese Idee zu riskant.
„Mir wäre wohler bei dieser Sache, wenn wir wüssten, welche Verräter auf unserer Seite sind“, sagte er. „Ihr Kampf sollte ein rasches Ende finden, bevor sie zu viel ihrer Magie verbrauchen und ihre Anführerin es bemerkt.“
„Wenn sie nicht schon per Blutjuwel über die Situation informiert ist“, bemerkte Doraka. „Wahrscheinlich sitzt sie wie eine giftige Faren in ihrem Netz in den Bergen und lauert nur darauf, sich unbequemer Verräter zu entledigen.“
„Und außerdem: Woher wissen wir, ob sie sich nicht gegen uns wenden, wenn dieser Krieg vorbei ist?“, fügte Ivako hinzu.
Ivasako interessierte nicht, was die Anführerin der Verräter dachte. Wenn ihre Leute fernab ihres Verstecks außer Kontrolle gerieten, konnte auch sie nur wenig tun. Was nach diesem Krieg war, interessierte ihn im Augenblick ebenso wenig. In diesem Augenblick interessierte ihn einzig, was sie tun konnten, um die Katastrophe zu verhindern.
„Dort draußen kämpfen Menschen für dieselbe Sache, für die wir kämpfen“, sagte er. „Es mag sein, dass wir ihnen noch nicht vollständig vertrauen. Es mag sein, dass wir irgendwann gegen sie kämpfen müssen. Doch für den Augenblick stehen wir auf derselben Seite. Wenn wir wollen, dass sie weiterhin auf unserer Seite stehen, ist es unsere Pflicht zu helfen.“
Mit einem leisen Seufzen schloss er die Augen. „Hakaro und seine Ashaki mögen sich zum Angriff bereitmachen. Sie sollen sich den Verrätern vorsichtig nähern. Sollten diese nicht reagieren, so sollen die Ashaki die Verräter mit schwachen magischen Schlägen angreifen. Diejenigen, die mit uns zusammenarbeiten, werden sich zurückhalten.“
„Was macht Euch so sicher, dass das funktioniert, Palastmeister?“, fragte Tarko. „Was, wenn sie denken, wir hätten unser Wort gebrochen?“
Ivasako sah zu Mivara, die kaum merklich nickte.
„Vertrauen.“
***
Es war seltsam mitten in den Ödländern reglos auf Pferden zu sitzen, wenn die Zeit drängte und sie die fruchtbaren Regionen erreichen mussten. Seit mehr als einer Stunde starrte Ishaka reglos ins Leere. Immerhin besaß er die Güte, seine Begleiter über das, was auch immer er sah, zu informieren.
Soweit Asara wusste, beobachtete er abwechselnd – oder auch gleichzeitig, dessen war Asara nicht sicher – den Palastmeister und seinen Vetter aus den fruchtbaren Regionen, der mit Hakaro kämpfte.
Mit dem Höhersteigen der Sonne wurde die Luft immer wärmer, doch Asara spürte es kaum. Sie führte ihre eigene Unterhaltung mit Vikacha und mit Nachiri, die Kontakt zu einer Verräterin hatte, die ebenfalls an den Kämpfen beteiligt war.
Bis jetzt war die Schlacht erfreulich gut gelaufen. Offenkundig war es Ivara gelungen, ihre Schwestern davon zu überzeugen, dass sie zuerst Sakoris Armee angriffen. Hakaro hatte die Gelegenheit genutzt, seine Gegner ebenfalls zu attackieren. Diejenigen, die das Gemetzel überlebt hatten, waren in Richtung der Ödländer geflohen. Wahrscheinlich würden sie sich dort mit Divako vereinen, doch das Wichtigste war: Durch den gemeinsamen Angriff hatten die anderen beiden Armeen so gut wie keine Verluste erlitten.
„Die Verräter bekämpfen einander“, sprach Ishaka mit der tonlosen Stimme, mit der er schon den ganzen Morgen über sprach.
Asara richtete ihren Willen auf ihr Blutjuwel.
- Nachiri! Was ist da los?
- Savedra hat den Befehl gegeben, Hakaros Armee anzugreifen. Estara hat versucht, das zu verhindern. Dabei kam heraus, dass einige von uns mit dem Palastmeister verbündet sind, woraufhin es zum Kampf kam. Nachiris Präsenz veränderte sich und Asara verspürte Beunruhigung. Savedra hat befohlen, diese zu töten.
Asara fluchte. Damit würden ihre Schwestern sich gegenseitig umgebracht haben, bevor die Duna überhaupt in Reichweite waren.
„Ishaka!“, rief sie. „Sagt Hakaro, er und seine Leute sollen versuchen, meine Schwestern auseinanderzutreiben. Wenn sie sich beruhigt haben, lässt sich vielleicht vernünftig mit ihnen reden.“
Der Ashaki wandte sich in seinem Sattel um. Es war seine erste Bewegung an diesem Morgen. „Und dabei das eigene Leben riskieren? Angesichts der Armee der Duna, die uns bald erreichen wird, halte ich das für eine schlechte Idee. Es wäre besser, sie einfach zu töten.“
Wütend schüttelte Asara den Kopf. „Meine Schwestern könnten mächtige Verbündete sein.“
„Ishaka hat recht“, sprach Takiro. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sage, doch es spricht für Eure Leute, dass sie uns geholfen haben. Aber wir haben bereits genug Ärger mit Divako und Arikhai.“
„Die Gildenmagier haben Euch ihre Unterstützung zugesagt“, widersprach Asara. „Ihr wärt nicht auf Euch allein gestellt.“
„Bis die Gildenmagier hier sind, ist es vielleicht schon zu spät, Asara“, sagte Ishaka. „Sie würden Divakos kleines Imperium vernichten und ein neues errichten. Aber wir hätten daran keinen Anteil mehr.“
„Und deswegen soll Hakaro verdammt nochmal meinen Schwestern helfen!“, fuhr Asara ihn an. Sie war kurz davor, Estara per Gedankenrede zu informieren. Aber damit hätte sie Savedra verraten, dass sie noch am Leben war.
Hätte ich gewusst, dass wir uns aufteilen, hätte ich in Yukai darauf bestanden, dass wir einander Blutjuwelen machen, dachte sie verärgert.
Lenyaka lenkte ihr Pferd neben Ishaka. „Ihr solltet besser tun, was sie sagt“, sagte sie leise, aber gefährlich. „Denn sonst habt Ihr nicht nur eine wütende Verräterin gegen Euch, sondern auch eine wütende Ex-Verräterin. Und diese sind für ihre Skrupellosigkeit wohlbekannt.“
„Ihr vergesst, dass Takiro und ich mit unseren Sklaven in der Überzahl sind“, bemerkte Ishaka. „Und wir verfügen über die größere magische Stärke. Also glaubt nicht, Ihr könntet mir drohen.“
„Dafür, dass Ihr so sehr auf unsere Hilfe gesetzt habt, verhaltet Ihr Euch gerade ziemlich unkooperativ“, grollte Asara.
„Es war geplant, dass die Verräterin, die zu Euren Leuten unterwegs ist, diese auf unsere Seite bringt“, sagte Takiro. „Wäre ihr das gelungen, hätten wir dieses Problem jetzt nicht.“
„Ivara hat meine Schwestern erst gestern erreicht. Sie alle haben Blutjuwelen unserer Anführerin. Was glaubt Ihr, wie schnell wird es ihr gelingen, andere zu überzeugen, ohne dass Savedra es mitbekommt? Und was glaubt Ihr, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich nicht alle darauf einlassen werden, weil sie Savedras Politik seit Kriegsbeitritt als zu zurückhaltend empfunden haben?“
Sie konnte sehen, dass ihre Worte die beiden Ashaki nicht überzeugten. Asara fand, sie war dumm gewesen, es überhaupt mit einer Zusammenarbeit zu versuchen. Besser, sie und ihre beiden Schwestern wären zur Zuflucht gereist, um Savedra zu stürzen.
Fieberhaft ging Asara die Möglichkeiten durch, die ihr blieben. Doch es lief auf eine einzige Sache hinaus: Sie musste das Wohl ihres Volkes über das einer einzigen Schwester stellen. Auch wenn das Risiko groß war, dass es nicht helfen würde.
„Wenn Hakaro und seine Leute wüssten, wen sie nicht angreifen sollen, wärt ihr dann einverstanden, dass seine Leute die übrigen töten?“
Ishaka musterte sie durchdringend, was Asara jedoch unbeeindruckt ließ. „Wir mögen für diesen Krieg auf derselben Seite kämpfen, doch Eure Skrupellosigkeit spricht für Euer Volk.“
„Dasselbe könnte ich über Euresgleichen sagen“, gab Asara kühl zurück.
„Also“, sagte Ishaka. „Ich höre.“
Asara richtete ihren Willen auf das andere Blutjuwel.
- Vikacha!, sandte sie. Ich brauche deine Hilfe. Es ist sehr wichtig. Und es muss schnell gehen.
***
Ivara hatte schon viele Kämpfe gefochten. Sie hatte gegen Ashaki gekämpft, deren Sklaven sie befreit hatte, hatte Ashaki auf ihrem Weg nach Arvice und während der anschließend dort stattfindenden Schlacht getötet. Und sie hatte in Yukai gegen Ichani und Duna gekämpft, als die Situation dort in nur einer Nacht eskaliert war. Kämpfen war für sie eine willkommene Abwechslung von dem langweiligen Alltag, in dem sie die Ehefrau eines Ashaki am Rand der Ödländer spielte. Kämpfen bedeutete Nervenkitzel und die Befriedigung unterdrückter Aggressionen.
Aber sie hatte noch nie gegen ihre eigenen Schwestern gekämpft.
Für Ivara hatte sich selten etwas entsetzlicher angefühlt.
Ob Asara auch so empfunden hat, als sie Zalava getötet hat?, fragte sie sich, während sie ihre Gegnerin mit einem gezielten Kraftschlag tötete. Der Schild der Frau war für die Dauer eines Augenblicks durchlässig geworden, nachdem Ivara eine Phiole geworfen hatte, die sie von einer gefallenen Schwester erbeutet hatte. Ihre Schwestern waren es nicht gewohnt, sich gegen die Waffen der Gildenmagier zu verteidigen und Ivara konnte auf diese Weise einen beträchtlichen Teil ihrer eigenen Magie sparen.
Eine Frau rannte auf sie zu. Die Verzweiflung, die sich wenige Minuten zuvor noch auf ihrem Gesicht gespiegelt hatte, war so etwas wie einer irren Hoffnung gewichen. „Es gibt eine Nachricht aus Arvice“, sagte Estara atemlos. „Hakaros Leute werden angreifen. Auf diese Weise wollen sie alle, die weiterhin zu Savedra halten, zu einem Angriff provozieren. Wir sind angehalten, uns zurückzuhalten und sie zu unterstützen, damit sie nicht eine von uns erwischen.“
Das war nicht gerade die beste Nachricht, aber von all ihren Möglichkeiten war es die vielversprechendste.
Ivara schenkte ihrer Schwestern ein grimmiges Lächeln. „Worauf warten wir dann noch?“
Sie sah sich nach ihrem nächsten Opfer um. Ganz in der Nähe war eine Magierin, die gerade auf dem Weg zu Yasira war. Sie war niemand, den Ivara gut kannte, weil sie schon seit Jahren nur noch für gelegentliche Besuche in die Zuflucht kam, was ihre Schuldgefühle verringerte.
Entschlossen griff sie nach einer Phiole und warf sie auf den Schild ihrer Schwester. Diese sah die Phiole niemals kommen, weil sie ganz auf Yasira fixiert war. Im nächsten Augenblick war ihr Schild in ein Inferno aus Flammen gehüllt. Ivara zögerte nicht und brach ihr mit einem Kraftschlag das Genick. Dann stürmte sie nach vorne und nahm den Rest ihrer Magie in sich auf.
„Das war meine Krippenschwester.“
Ivara fuhr herum. Sahiri stand hinter ihr, in ihren Augen loderte ein dunkles Feuer. In einer Hand hielt sie ihren blutverschmierten Dolch, weiße Magie züngelte von der anderen.
„Das tut mir leid für dich“, sagte Ivara und meinte es ehrlich. „Glaubst du, mir fällt es leicht, meine eigenen Schwestern zu töten? Hier sind auch einige meiner eigenen Krippenschwestern, die nicht auf meiner Seite stehen.“
„Du verstehst nicht“, zischte Sahiri. Ein gewaltiger Kraftschlag prallte gegen Ivaras Schild. „Savedra tut das einzig Richtige. Du und deine kleine Rebellion zerstören ihre Pläne.“
Ivara konterte mit Feuerschlag. „Savedra hat unsere Ideale verraten. Und jeder, der ihr weiterhin folgt, macht sich mitschuldig.“
„Savedra versucht nur, Sachaka zu einem besseren Ort zu machen.“
„Indem sie was tut?“, fragte Ivara. „Eine neue Gesellschaft von Sklaven errichten? Jede ihrer Töchter tötet, die das herausfindet? Das Leben unserer Verbündeten riskieren?“
Sie griff nach einer Phiole. Sie hatte keine Wahl.
Sahiri verschwand hinter einer Wand aus Nebel. Ivara jagte einen Hagel von Kraftschlägen hindurch, doch entweder hatte ihre Schwester die Phiole kurz vor Erreichen des Schildes zerstört oder sie hatte ihren Schild verstärkt, weil sie den Angriff vorausgesehen hatte.
Sahiri antwortete mit Feuerschlag. „Denkst du, ich wäre nicht vorbereitet, liebste Schwester?“
„Nein“, gab Ivara zurück. „Aber früher oder später wirst du dich erschöpfen.“
Während Sahiri ihren Schild mit Feuerschlagen bombardierte, warf Ivara zwei weitere Phiolen. Eine tarnte sie nur halbherzig, um Sahiris Aufmerksamkeit auf diese zu lenken und nur einen Augenblick rasten Flammen über Sahiris Schild. Ihre magischen Reserven überprüfend, stellte Ivara fest, dass sie die Stärke ihrer magischen Schläge reduzieren musste, wenn sie sich nicht in den nächsten Minuten erschöpfen wollte, und formte einen etwas schwächeren Kraftschlag.
Mittlerweile hatten Hakaros Leute mit dem Angriff begonnen. Ivara bekam dies jedoch nur am Rande mit. Sie war zu sehr damit beschäftigt, um ihr eigenes Überleben zu kämpfen, während ihre magischen Reserven schwanden.
Etwas traf ihren Schild von irgendwo, dann war sie von Flammen umgeben.
So fühlt es sich also an, fuhr es ihr durch den Kopf. Ihre Instinkte sagten ihr, dass sie dringend ihren Schild verstärken musste, doch als sie die Magie hineingeben wollte, traf sie etwas in den Rücken und warf sie zu Boden. Ivara rang nach Luft und versuchte aufzustehen, doch etwas hielt sie gefangen.
„Hol sie dir!“, hörte sie eine Stimme rufen.
Zwei Stiefel füllten ihr Blickfeld aus. „Liebend gern“, sagte Sahiri.
Dann war da ein brennender Schmerz in ihrem Nacken und dann nichts mehr.
***
Nach einigen Diskussionen hatten die Ashaki begonnen, die Verräter anzugreifen. Die Strategie funktionierte leidlich, doch wenn sie damit die Leben einiger ihrer Verbündeten retten konnten, dann war das immer noch besser, als den Ereignissen ihren Lauf zu lassen.
Inzwischen waren Ivasako und seine Berater wieder ganz auf den Kampf konzentriert. Das Kuppelzimmer um ihn herum hatte sich aufgelöst und Ivasako wähnte sich in Harkos Körper irgendwo in den fruchtbaren Regionen und kämpfte gegen eine Verräterin. So wie seine Berater. Die Situation war reichlich absurd, doch der Palastmeister hatte kaum Gelegenheit, sich darüber zu wundern, weil ihn das Geschehen so sehr in seinen Bann gezogen hatte.
Etwas streifte sein Bein.
Nicht jetzt, Yakari. Er verstand, dass sich der P’anaal langweilte, wenn ihm sein Herrchen über Stunden keinerlei Aufmerksamkeit schenkte und er in einem Raum gefangen war, in dem es nichts für ihn gab. So betrachtet wäre Yakari im Park besser aufgehoben gewesen, doch als Ivasako sich mit seinen Beratern im Morgengrauen getroffen hatte, hatte er dieses Detail in der Aussicht auf die bevorstehende Schlacht nicht bedacht.
Erneut streifte Yakari sein Bein. Ivasako schob den P’anaal mit dem Fuß zur Seite.
Wenige Augenblicke später spürte er etwas an seinem Arm.
Und es fühlte sich nicht wie ein P’anaal an.
Er riss sich von dem Kampfgeschehen los und beschränkte sich darauf, seinen Beratern die Bilder, die er von Hakaro empfing, zu übertragen. Dann öffnete er die Augen.
Mivara kniete an seiner Seite, ihre schönen Augen groß vor Furcht.
„Bitte, Meister Ivasako“, flüsterte sie. „Ihr müsst meine Gedanken lesen.“
Er runzelte die Stirn. Tarko und die anderen waren vertieft in die Gedankenübertragung. Doch um Mivaras Gedanken zu lesen, musste er die Verbindung unterbrechen.
„Bitte“, flüsterte sie. „Es würde zu lange dauern, Varako zu holen.“
Ivasako erstarrte. Bei seiner letzten Wahrheitslesung hatte er begriffen, dass sie bereit war, sich wenn nötig für ihr Volk zu opfern. Er begriff, dass es ihre Entscheidung war. Und er hatte für sich entschieden, für sie einzustehen.
Einen tiefen Atemzug nehmend löste er die Verbindung zu den anderen. Die Ashaki blinzelten und blickten umher, als wären sie gerade aus einem Traum erwacht.
„Was ist passiert?“, fragte Doraka.
Ivasako ignorierte ihn. „Ashaki Tarko, ich muss erneut Eure Sklavin ausborgen.“
Tarko runzelte die Stirn. Er sah sich um und sein Gesicht verfinsterte sich, als er sah, dass Mivara seine Seite verlassen hatte.
„Was hat das zu bedeuten?“, verlangte er zu wissen.
„Das erkläre ich Euch hinterher“, sagte Ivasako. „Die Zeit drängt.“
Den Ashaki keine weitere Beachtung schenkend bedeutete Ivasako der Sklavin, sich vor ihn zu knien. Dann berührte er ihre Schläfen.
- Ich sende Euch nun die Bilder der Verräter, die überleben müssen, sandte sie. Leitet sie an Hakaro weiter.
- Verstanden, antwortete Ivasako. Im Gegenzug sorge ich dafür, dass Tarko dir nichts antun kann.
Auf ihre Worte empfing er eine sarkastische Erheiterung.
- Sehr viel schlimmer als mit meinem letzten Meister kann es nicht kommen.
Ivasako hatte Gerüchte über jenen Mann gehört. Vermutlich hatte sie recht. Doch das änderte nichts daran, dass er sich für ihr Wohlergehen verantwortlich fühlte.
- Hakaro!, rief er. Ich sende Euch jetzt gleich die Gesichter unserer Verbündeten. Teilt sie mit Euren Leuten.
- Ja, Palastmeister, kam die prompte Antwort.
Während der nächsten Minuten leitete Ivasako die Bilder, die er aus Mivaras Gedanken erhielt, an den Ashaki weiter. Hin und wieder musste Mivara mit ihren Leuten Rücksprache halten, da sie die Bilder nur von anderen erhielt, doch schließlich hatte sie ihn alle Verräter genannt, von denen sie wusste.
- Es kann sein, dass es noch weitere gibt, aber das wussten meine Leute nicht, sandte sie.
- Sollte dem so sein, so werden sie sich bemerkbar machen, erwiderte Ivasako. Ich stehe in deiner Schuld.
- Ihr seid zu gütig, Palastmeister.
Ivasako ließt seine Finger auf Mivaras Schläfen, bis die Schlacht vorbei war. Dann machte er sich bereit, einen raschen Schild um sich und Mivara zu errichten, dann löste er seine Finger von den Schläfen der jungen Frau.
„Und jetzt verlange ich eine Erklärung, Palastmeister.“
Bedächtig wandte Ivasako sich zu seinem Kriegsmeister. „Ich habe soeben das Leben unserer Verbündeten gerettet“, sagte er kühl.
„Und was hat Mivara damit zu tun?“
„Mivara kennt einige Sklaven, die für die Verräter arbeiten“, antwortete er seine Worte sorgfältig wählend. „Von ihnen wusste sie, wer von Savedras Armee für uns kämpft.“
Tarko schien diese Antwort nicht zufriedenzustellen. „Und woher kennt Mivara diese Sklaven? Seit sie mir gehört, hat sie das Haus nicht ohne mich verlassen. Erst recht nicht in den letzten Wochen.“
- Rikaro! Komm mit ein paar Männern zum Kuppelzimmer. Es könnte sein, dass Tarko und die anderen Ashaki gleich hinausgebeten werden müssen.
- Verstanden, Palastmeister.
„Sollte es nicht genügen, dass Mivara uns gerade einen großen Gefallen hat?“, fragte Ivasako. „Ihr solltet stolz auf sie sein.“
„Sie gehört zu den Verrätern“, sagte Doraka. „So ist es doch, nicht wahr?“
Mivaras Erbleichen war ihm und ihrem Meister Antwort genug.
„Mivara, komm her“, befahl Tarko.
„Ja, Meister“, erwiderte die junge Frau.
Ivasako bekam den Arm der jungen Frau zu fassen. „Ich fordere Mivara ein“, erklärte er. „Ich habe ihr meinen Schutz versprochen.“
„Es steht Euch nicht zu, Sklaven nach Belieben einzufordern“, erwiderte Tarko. „Ihr seid nur stellvertretender Herrscher. Weder ich noch die anderen Ashaki werden es dulden, wenn ein ehemaliger Sklave die ihm gegebene Macht missbraucht.“
Ivasako spürte, wie sich sein Puls beschleunigte. „Eine Sklavin, die Euch nichts getan hat, zu schützen, sehe ich nicht als Machtmissbrauch“, gab er zurück. „Vielmehr tue ich damit uns allen einen Gefallen.“
„Sie gehört zu den Verrätern. Wer weiß, was sie diesen an Informationen gegeben hat.“
„Alles, was sie getan hat, hat zu diesem Bündnis geführt, Ashaki Tarko. Ich verstehe, dass Ihr es Euch nicht mehr von ihr besorgen lassen wollt, daher fordere ich sie ein.“
„Ihr vergesst, wer ich bin, Palastmeister“, grollte Tarko. Mit finsterer Miene kam er auf Ivasako zu. „Wenn Ihr weiterhin mit mir zusammenarbeiten wollt, überlasst mir meine Sklavin, damit ich sie bestrafen kann.“
Ivasako begriff, dass er nicht die Macht hatte, Tarkos Entscheidung anzufechten. Nicht, wenn er nicht die Macht über Sachaka verlieren wollte. Und das zählte im Augenblick mehr als ein Einzelschicksal.
„Es tut mir leid“, sagte er zu Mivara. „Doch ich kann nicht noch einen Krieg riskieren.“
„Es ist in Ordnung“, erwiderte sie überraschend ruhig. „Ich habe meinen Zweck erfüllt.“
Dann wurde sie von Tarko nach draußen gezerrt.
Mit einem Seufzen ließ Ivasako sich zurück in seinen Sessel sinken. Von irgendwo trottete Yakari auf ihn zu und legte seinen Kopf auf Ivasakos Schoß. Der Palastmeister streckte eine Hand aus und strich über das weiche Fell. Er hatte getan, was er konnte, um Mivara zu schützen und nicht einen Krieg in seinem kleinen Imperium zu riskieren. Aber warum kam es ihm dann so vor, als hätte er zu wenig getan, weil er nicht sehen wollte, dass seine Macht ihn bereits verdorben hatte?
So fand ihn Rikaro.
„Ist alles in Ordnung, Palastmeister?“, fragte er. „Wir sahen deine Berater den Palast verlassen. Aber sie sahen nicht so aus, als hätte sie Ärger gemacht.“
„Nein“, sagte Ivasako müde. „Weil ich mich im letzten Augenblick daran erinnert habe, dass ich mir das nicht leisten kann.“
***
„Ich wäre jetzt so gerne in den fruchtbaren Regionen.“
Sonea sah auf. Ein weiterer Tag auf ihrer Reise durch die Ödländer neigte sich seinem Ende zu. Und sie waren noch immer zwei Wochen vom Nordpass entfernt.
„Glaubt mir, Dannyl. Dort gibt es um diese Jahreszeit nicht viel“, warf Tylava ein. Seit sie sich als kooperativ erwiesen hatte, legte sie wie Nirili und Dannyl große Strecken zu Fuß zurück. Sonea ritt als Einzige die gesamte Zeit, und obwohl sie das als unfair empfand, hatte sie eine gute Ausrede. Tylavas Kooperation endete jedoch jenseits ihrer gemeinsamen Ziele, was sie zu einer schnippischen und anstrengenden Reisegefährtin machte. Meist waren es sie und Nirili, die die Wortgefechte führten. „Im Sommer werden die fruchtbaren Regionen so trocken, dass man sie von den Ödländern kaum noch unterscheiden kann.“
„Mich interessiert weniger die Landschaft als die Schlacht zwischen den beiden Ashaki-Gruppen und den Verrätern“, entgegnete Dannyl ruhig.
„Dort wartet nichts als der Tod auf Euch.“
„Ah, ich dachte weniger daran, mich umbringen zu lassen, als zwischen ihnen zu vermitteln.“
Sonea bewunderte ihn für seine Gelassenheit. Sie zog es vor, möglichst wenig mit Tylava zu sprechen, weil es nur dazu führte, dass sie diese Frau auf der Stelle zu Asche verbrennen wollte. Unter anderen Umständen wäre ihre Reaktion weniger heftig ausgefallen, aber die Reise und ihre Schwangerschaft sorgten dafür, dass ihre Geduld allmählich zur Neige ging.
„Was würdest du tun wollen, Dannyl?“, fragte sie. „Die Ashaki miteinander versöhnen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Darauf würden sie sich nicht einlassen.“ Für Sachaka würde das nichts ändern. Und damit auch nicht für Kyralia.
„Das ist eine nette, aber unrealistische Tagträumerei.“ Dannyl ging neben ihr her, sein Pferd am Zügel haltend. Als er zu ihr hoch sah, lächelte er schief. „Ich würde lieber versuchen, die Verräter zu vereinen.“ Er hielt inne. „Das heißt, ich hätte es gerne.“
„Oh, Dannyl!“, hauchte sie.
Sonea glaubte, nie stärker mit ihm mitgefühlt zu haben. Das Bündnis mit den Verrätern war Dannyls größter Erfolg in seiner Karriere als Botschafter gewesen. Ein halbes Jahr hatte er bei den schwarzen Magierinnen gelebt und ein nahezu freundschaftliches Verhältnis zu ihrer Anführerin gepflegt. Sonea wollte sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlte, das zerbrechen zu sehen.
Ein Drittel der Verräter hatte bei dem Kampf gegen ihre Schwestern ihr Leben gelassen und es wären noch mehr geworden, hätten die Ashaki keine Informationen darüber erhalten, wer von den schwarzen Magierinnen mit ihnen verbündet war. Darunter Ivara, deren Mut und Entschlossenheit Sonea in Yukai zu schätzen gelernt hatte.
„Halb so schlimm“, erwiderte Dannyl mit einem schiefen Lächeln. „Das Einzige, worüber ich wohl nie hinwegkommen werde, ist, dass ich mich in Savedra getäuscht habe.“
„Das konntest du nicht wissen. Akkarin konnte das nicht wissen. Nicht einmal die Verräter wussten es.“
„Wo sie recht hat, hat sie recht“, warf Tylava ein.
Entnervt verdrehte Sonea die Augen.
„Tylava“, sagte Nirili ungewöhnlich schroff. „Benimm dich oder wir versetzen dich wieder in magische Erschöpfung.“
Die Rebellin zog einen Schmollmund und schwieg. Dieser Zustand würde jedoch nicht lange anhalten. Sonea sah zu Nirili. Die Züge der Verräterin hatten sich verhärtet, während sie mit leerem Blick auf einen Punkt am Horizont starrte. Jedoch nicht so, als würde sie eine Gedankenrede führen. Sie schien in ihrer eigenen Gedankenwelt gefangen und Sonea konnte nur erahnen, wie sehr sie um ihre Schwestern in den fruchtbaren Regionen trauerte.
„Es ist trotzdem frustrierend“, sagte Dannyl mehr wie zu sich selbst. „Wer weiß, wie viele Verräter übrigbleiben, wenn das hier vorbei ist!“
„Was mich und Asara betrifft, so sind wir bereit weiterhin mit der Gilde zusammenzuarbeiten“, sagte Nirili. „Sofern Ihr das noch wollt.“
Sonea verspürte ein jähes Gefühl von Wärme. „Wenn nicht, dann werden Dannyl und der Hohe Lord die anderen Magier davon überzeugen. Wir haben Euch so viel zu verdanken und Ihr habt bewiesen, dass Ihr unser Vertrauen verdient habt.“
Nirili hob die Schultern. „Es wäre verständlich, wenn ihr das Vertrauen in uns komplett verloren hättet.“
„Ich bin sicher, das wird auch bei manchen Magiern der Fall sein“, sagte Dannyl. „Aber Lady Sonea hat es bereits gesagt: Der Hohe Lord und ich werden sie überzeugen. Anders könnte es dagegen mit dem König und den Herrschern der anderen Länder unserer Allianz aussehen.“
Und das konnte tatsächlich zu einem Problem werden. Insbesondere, wenn es um die Aufnahme Sachakas in die Verbündeten Länder ging, so wie Dannyl es einst in Yukai vorgeschlagen hatte. Von Akkarin hatte Sonea erfahren, wie Merin darüber dachte. Der König von Kyralia war nicht allzu angetan, dass die Verräter die Sicherheit von zwei Gildenmagiern zugunsten ihrer militanten Ziele riskiert hatten. Er rechnete Asara und ihren Mitstreiterinnen ihr Opfer hoch an, doch zugleich schien er das Vertrauen in das Volk schwarzer Magierinnen verloren zu haben.
„Ist es nur wegen Savedra?“, fragte Nirili. „Weil sie Gildenmagier getäuscht und Euer und Lady Soneas Leben aufs Spiel gesetzt hat?“
„Zum Großteil, ja“, antwortete Dannyl. „Doch unser König ist nicht sehr erfreut, dass nun auch Eure Magierinnen gegeneinander kämpfen. Er will kein Volk in der Allianz, das zerstritten ist und sich untereinander bekriegt. Das haben wir bereits mit den Lan, doch diese leben auf einem Inselreich und haben nur sehr schwache magische Blutlinien. Die Verräter wären dagegen eine potentielle Gefahr. Selbiges gilt für die Ashaki.“
„Es kommt natürlich auch darauf an, wie die ganze Situation aussieht, wenn dieser Krieg vorbei ist“, fügte Sonea hinzu. „Wer überlebt und wer sich als vertrauenswürdig erweist. König Merin ist harsch in seinen Urteilen, was er als König auch sein muss, doch er ist auch bereit, eine zweite Chance zu geben.“
Für einen kurzen Augenblick wandte Dannyl den Kopf und zwinkerte ihr zu, dann richtete er den Blick wieder auf den Weg zu seinen Füßen. Die Sonne war hinter den Bergen im Westen verschwunden und die langen Schatten verdichteten sich über den Ödländern. Schon bald würde es zu dunkel sein, um den Weg zu erkennen.
„Damit hat er Savedra etwas voraus“, bemerkte Nirili. „Und einigen gewissen Ashaki auch.“
„Ich denke, das ist auch eine kulturelle Frage“, sprach Dannyl. „In Sachaka wird eine Schuld auf die Nachkommen übertragen und die Gesellschaft ist härter, extremer. Auch Kyralia hat seine harschen Seiten, insgesamt ist es jedoch sehr viel gemäßigter und fortschrittlicher. Das ermöglicht es uns, die entsprechenden Prinzipien zu leben.“
„Ihr habt mir gerade etwas erklärt, was mir noch nie so ganz bewusst war, Dannyl Gildenmagier“, sprach Nirili. „Und jetzt verstehe ich auch, warum Ihr keinerlei Forderungen an die Ashaki gestellt habt. Eure Prinzipien basieren auf einer Garantie auf Frieden, die in Sachaka nicht existiert. Doch wenn diese hergestellt ist, ist es vielleicht möglich, diese Denkweise auch im sachakanischen Volk zu verbreiten.“
Das Gespräch begann sich zusehends um Diplomatie zu drehen, doch an diesem Tag stand Sonea nicht der Sinn danach. Sie fand es ermüdend, jetzt zu diskutieren, was vielleicht nach diesem Krieg sein würde und dafür Pläne zu schmieden. Das hier war keine Kyrima-Partie, bei der sich die nächsten Schritte des Gegners vorausahnen oder berechnen ließen – es gab mehr als nur zwei Mitspieler und diese scherten sich um Regeln.
Um sich abzulenken, richtete sie ihren Willen auf ihr Blutjuwel.
- Gibt es Neuigkeiten aus der Gilde?
- Nicht viel, antwortete Akkarin kaum, dass sie die Frage zu Ende formuliert hatte. Unsere Alchemisten sind mit der Herstellung der Schilddiebe beschäftigt. Es müssen täglich neue hergestellt werden, weil die Krieger noch immer im Steinbruch üben.
- Ist es so schwer, die so gewonnene Magie fokussiert einzusetzen?, fragte Sonea.
- Es erfordert einiges an Geschick und Kontrolle. Doch die Krieger machen Fortschritte. Im Ernstfall wird es wahrscheinlich kaum einen Unterschied machen. Wir wissen jedoch nicht, wie unsere Gegner auf die neue Waffe reagieren werden. Einigen Kriegern ist es bei den Übungen gelungen, einen zweiten Schild zu errichten. Möglicherweise werden die Sachakaner dies ebenfalls versuchen.
- Falls es mir und Dannyl gelingt, die Armee der Gilde rechtzeitig zu erreichen, würde ich es begrüßen, wenn wir die Gelegenheit erhalten, die neuen Waffen zu testen. Das heißt …, sie zögerte, weil sie nicht wusste, wie Dannyl dazu stand, zumindest ich sollte sie testen.
- Wenn alles nach Plan verläuft, wirst du dazu ausreichend Gelegenheit erhalten, versprach Akkarin.
- Ich bin schon sehr gespannt, erwiderte Sonea. Sie bedauerte noch immer, nicht viel mehr als die Idee zu diesem Projekt beigetragen zu haben. Sie versuchte sich damit zu trösten, dass sie stattdessen Dannyl das Leben gerettet hatte. Was gibt es sonst Neues?
- Viklin wird im Frühjahr heiraten.
- Nein!, sandte Sonea . Das Mädchen, das er bei dem Ball im Frühjahr getroffen hat?
- Ja. Ich kann nur für sie hoffen, dass sie mit ihm zurechtkommt. Andernfalls bedauere ich sie schon jetzt.
- Sie kommt genug mit ihm zurecht, wenn sie schon beschlossen haben, zu heiraten.
- Ehen innerhalb der Häuser basieren mehr auf Politik denn als auf Liebe, entgegnete Akkarin. Und Viklin kann sehr charmant sein, wenn er will.
- Ich nehme an, wir müssen zu dieser Hochzeit?
- Ich fürchte ja. Viklin hat mich gebeten, die Vermählung durchzuführen.
- Du hast doch hoffentlich nicht zugesagt?, entfuhr es Sonea.
- Ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass ich nicht gewillt bin, ihm diesen Gefallen zu tun, weil er mich sein Leben lang herablassend behandelt hat. Nichtsdestotrotz werden wir zu der Hochzeit gehen, Sonea. Er ist mein Bruder.
Sonea war nicht begeistert, aber sie wusste auch, dass Akkarin auf Grund seiner gesellschaftlichen Verpflichtungen nicht fehlen durfte. Und als seine Frau wurde von ihr erwartet, dass sie ihn begleitete.
- Es wird gewiss amüsant, versprach Akkarin und Sonea wusste, er hatte ihren Gedanken gelauscht. Zumindest, wenn man sich dazu entscheidet, meine Familie und ihre Eigenheiten mit Humor zu betrachten.
Sicher hatte er das über die Jahre hin perfektioniert. Bis auf gelegentliche Begegnungen im Palast war Sonea von den Delvons weitgehend verschont. Wenn sie jedoch daran dachte, wie Akkarin über ihr Blutjuwel die anderen Magier im Abendsaal zu kommentieren pflegte, konnte sie sich vorstellen, dass er nicht zu viel versprochen hatte.
- Und jetzt erzählt mir etwas von Lorlen, sofern es Eure Zeit erlaubt, Hoher Lord, sandte sie dann.
***
Ein Stöhnen unterdrückend rieb Regin sich die Schläfen. Eine Reihe grauenhafter Nächte in einem unbequemen Bett ohne eine Frau an seiner Seite lagen hinter ihm. Es waren die schlimmsten Nächte seines Lebens gewesen. Und das alles nur, weil Trassia überreagiert hat, dachte er düster. Sein Versuch sie zurückzuerobern war fehlgeschlagen. Als er Trassia zuletzt gesehen hatte, waren ihre Augen gerötet gewesen. Aber ob wegen sie ihrer Trennung geweint hatte, oder weil die neusten Nachrichten aus Sachaka sie erreicht hatten, würde er niemals erfahren.
Hätte Regin gewollt, so hätte er das Scheitern der Verhandlungen zu seinem Vorteil genutzt. Er wäre zu Trassia gegangen und hätte sie getröstet, so wie er es während Soneas Entführung getan hatte.
Ich muss mich auf die Besprechung konzentrieren, rief er sich ins Gedächtnis.
Soeben hatte der Hohe Lord von den Plänen ihrer neuen Verbündeten berichtet. Regin wusste, er hätte aufgeregt und voll Tatendrang sein müssen, weil er daran seinen Anteil hatte, wäre er nicht so tief in seinem Selbstmitleid versunken.
Es wird mir guttun, für eine Weile von hier wegzukommen, dachte er. Vielleicht wird es so, wie damals bei Yirakos Invasion.
„Imperialisten und Duna sind nun vereint“, teilte Akkarin den höheren Magiern gerade mit. „Die Verräter und die vom Palastmeister ausgesandte Armee verfolgen sie. Sie versuchen ihre Gegner gemeinsam mit einer zweiten Armee, die der Palastmeister aus seinen verbleibenden Ashaki zusammengestellt hat, von zwei Seiten daran zu hindern, in die fruchtbaren Regionen einzudringen. Zugleich versucht die Rebellin, die Divako für uns ausspioniert, diesen dazu zu verleiten, sich in Kyralia zu stärken, bevor sie sich ihren Gegnern stellen.“
Der Plan war gewagt, wusste Regin. Sowohl Sachakaner als auch Duna wollten Akkarins Tod, weil er in Arvice so viele ihrer Leute getötet hatte. Und sie wollten Sonea, weil diese den König ermordet hatte. Und wenn ihnen Kyralia gehörte, hatten sie auch die Macht, Sachaka zurückzuerobern.
Der Plan versprach jedoch die besten Chancen, dem Krieg ein für alle Mal ein Ende zu bereiten.
„Wie viele Ashaki sind nun auf Seite der Verräter?“, fragte Balkan.
„Einhundert in Hakaros Armee und weitere sechzig in der Gruppe, die der Palastmeister nach der Schlacht in den fruchtbaren Regionen mobilisiert hat“, antwortete Akkarin.
„Das ist nicht viel“, sagte Osen mit besorgter Miene. „Nicht angesichts der Stärke der Duna.“
„Wir haben Speichersteine und Schildsenker“, erinnerte Regin. „Und diese neuen Waffen.“
„Die noch immer von allen Kriegern nur ungenügend kontrolliert werden“, entgegnete der Hohe Lord. „Sie verschwenden wertvolle Magie, die effektiver eingesetzt werden könnte.“
„Lord Balkan, wie bald können die Krieger bereit sein?“, fragte der Administrator.
„In etwa einer Woche.“
„So viel Zeit haben wir nicht mehr“, sagte Lady Vinara. „Dann müssen sie nur mäßig vorbereitet gehen.“
„Dem stimme ich zu“, sprach Akkarin. „Doch das ändert nichts daran, dass es unsere Chancen verschlechtert.“
„Wie lange würden die Duna in die fruchtbaren Regionen brauchen?“, fragte Osen.
„Etwa zwei Wochen.“
„Und nach Kyralia?“
„Bis zur Grenze ungefähr acht Tage.“
„Das ließe uns eine Woche zur Vorbereitung“, sagte Regin. „Anstatt die Duna in den Ödländern zu konfrontieren, sollten wir uns ihnen am Nordpass stellen. Sonea und der Auslandsadministrator können uns auch dort unterstützen. Und die Rebellin bei Divako arbeitet ohnehin daran, die Duna nach Kyralia zu locken. Die Sachakaner werden sich darauf einlassen, weil sie auf diese Weise ihre Chance sehen, Kyralia endlich zu erobern und an unser magisches Wissen zu gelangen.“
„Wir sind nicht für einen Kampf in den Bergen gerüstet“, sagte Balkan. „Das Gelände eignet sich nicht für einen Kampf schwarzer Magier.“
„Die Duna sind den Kampf in den Bergen nicht gewohnt“, widersprach Regin. „Und die Ashaki auch nicht. Die Verräter dagegen schon und die Strategie, an der ich die letzten Wochen gearbeitet habe, könnte unter diesen Bedingungen endlich zum Einsatz kommen.“
„Nichtsdestotrotz bräuchten wir mehr Magie, um uns zu schützen, denn auf ebenem Gelände.“
„Und unsere Feinde wären gefährlich nahe an Kyralia.“
„Auf der Straße zum Nordpass werden sie kaum Gelegenheit haben, sich zu verteidigen“, entgegnete Regin. „Mit den Verrätern und den Ashaki hinter sich und uns am Fort würden sie in der Falle sitzen.“
„Eine Falle, die sie wittern könnten“, wandte Balkan ein.
„Nicht unbedingt.“ Die Augenbrauen des schwarzen Magiers hatten sich nachdenklich zusammengezogen. „Arikhai ist voll Zorn, weil ich seinen Vater getötet habe. Und er denkt, wir wären für die Zerstörung des Tempels mitverantwortlich, weil die Verräter unsere Verbündeten sind. Zudem bietet das Land die Möglichkeit, die magischen und logistischen Ressourcen wieder aufzufüllen, was eine anschließende Zerschlagung von Ivasakos Imperium wahrscheinlicher macht.“
Regin runzelte die Stirn. Damit stiegen die Chancen, dieses Imperium anschließend zu halten, weil es zu weniger Verlusten gekommen war.
„Arikhai hat genug Duna um sich geschart, um einen Angriff auf die Gilde riskieren zu können“, fuhr der Hohe Lord fort. „Insofern hätte er einen guten Grund, von seinem ursprünglichen Ziel abzuweichen.“
Osen seufzte. „Das ist Wahnsinn“, sagte er kopfschüttelnd. „Dieser Plan kann nur scheitern.“
„Nicht mehr oder weniger, als wenn wir uns ihnen in den Ödländern stellen“, brummte Balkan.
„Und wir hätten einen weiteren Vorteil“, fügte Regin hinzu. „Uns bleiben drei weitere Tage zur Vorbereitung. Drei Tage, in denen die Krieger mit den Schilddieben trainieren und die Magier und Novizen Akkarin ihre Magie geben können. Und wenn wir alle gehen, dann hätten wir bis zum Nordpass das Tausendfache der Magie eines durchschnittlichen Magiers zusätzlich zur Verfügung. Das entspricht etwa zehn Sachakanern.“
„Im Idealfall.“ Akkarin legte die Spitzen seiner langen Finger aneinander. „Bei wohlhabenden Ashaki kann man davon ausgehen, dass sie das doppelte dieser Stärke besitzen. Der Kampf mag sie geschwächt haben, doch wir sollten lieber vom schlimmsten Fall ausgehen. Doch es ist beschlossen, dass wir nicht alle gehen.“
„Vielleicht ist Lord Regins Vorschlag tatsächlich die bessere Alternative“, überlegte Lady Vinara. „Die zusätzliche Magie kann einen Teil von dem kompensieren, was durch die Probleme mit der Kontrolle der Schilddiebe verlorengeht. Dieser Angriff betrifft uns alle. Es sollten nicht nur die Krieger und die ausgewählten Heiler und Alchemisten gehen.“
„Es macht keinen Sinn, dass alle von uns gehen, Vinara“, widersprach Balkan. „Die Gilde hat bereits genug Verluste durch diesen Krieg erlitten. Diejenigen, die gehen, wurden gezielt auf diese Schlacht vorbereitet. Sie müssen genügen.“
„Mit den Speichersteinen und Schilddieben sind die Krieger ebenso wehrhaft wie die gesamte Gilde“, fügte Regin hinzu. „Es kommt nicht auf unsere Zahl, sondern auf unsere Stärke an.“
„Die sich verdoppeln würde, würden wir alle zum Nordpass gehen.“ Lady Vinara schürzte missbilligend die Lippen. „Es gefällt mir nicht, doch wenn wir den Kampf in die Berge verlegen, müssen wir mit allem kämpfen, was wir haben.“
Heiler, dachte Regin verächtlich. „Würden wir in der Ebene kämpfen, so würde ich Euch zustimmen“, sagte er. „Doch die Berge bieten uns einen strategischen Vorteil in Form zahlreicher Möglichkeiten für einen Hinterhalt. Zudem können immer nur einige von uns kämpfen, weil auf der Straße zum Nordpass zu wenig Platz ist.“
„Es ist wichtig, dass genug Magier zurückbleiben, um die Gilde wieder aufzubauen, sollten wir die Schlacht verlieren“, sagte Peakin. Für Regin hieß dies übersetzt in etwa so viel wie, dass das Oberhaupt der Alchemisten froh war, nicht kämpfen zu müssen. Peakin hatte während der Schlacht in Ettkriti-Ebene eine Kampfgruppe geleitet und war bei Yirakos Invasion dabei gewesen, aber er war alles andere als ein Krieger. Bei strategischen Diskussionen glänzte er nur selten mit Brillanz, und auch wenn er kein Feigling war, hatte er eingesehen, dass man das Kämpfen besser denen überließ, die darin ausgebildet waren.
„Die Gilde verfügt über mehr Magie als nur die ihrer Magier.“
Die Diskussion erstarb ob der tiefen, kühlen Stimme. Alle, auch Regin, wandten sich dem Oberhaupt der Gilde zu. „Ein Teil der Magie, die ich Marika genommen habe, wird noch immer in Speichersteinen verwahrt. Sonea hat einen dieser Speichersteine mit nach Yukai genommen, doch der Rest lagert noch immer an einem sicheren Ort.“
„Und wo ist dieser sichere Ort?“, fragte Balkan mit einem Anflug von Misstrauen.
„Würde ich dies gegenüber anderen erwähnen, wäre er nicht mehr sicher.“
Unwillkürlich spürte Regin, wie sich ein Grinsen auf sein Gesicht stahl. Das war so typisch für den Hohen Lord. Aber auch für die höheren Magier ihm zu misstrauen.
Osen sah aus, als wolle er protestieren, wagte es jedoch nicht, Akkarin in irgendeiner Form zu widersprechen.
Als würde er diese Magie zu seinem Vorteil nutzen, dachte Regin. Er war jedoch nicht überrascht. Irgendwie hatte er immer geahnt, dass Akkarin nach seiner Wiederwahl nicht all seine magischen Reserven offengelegt hatte.
„Als wir vor zwei Jahren gegen Marikas Armee gekämpft haben, haben wir dies in der Ettkriti-Ebene getan“, erinnerte Lady Vinara. „Einer der Gründe war, dass wir nicht wussten, ob sie über Elyne gehen. Der andere war, dass ein Kampf auf unebenem Terrain auch für uns gefährlich sein könnte.“
„Damals hatten wir weniger Erfahrung“, widersprach Balkan. „Und wir hatten Monate der Vorbereitungszeit. Zeit, in der Akkarin und Sonea sich stärken konnten. Dieses Mal hatten wir nur ein paar Wochen. Wir sind unseren Gegnern unterlegen. Angesichts dessen stehen unsere Chancen in den Bergen besser.“
„Man könnte unterhalb des Nordpasses einen ähnlichen Hinterhalt schaffen, wie damals am Südpass“, schlug Regin vor. „Was dann von unseren Feinden übrig ist, wird geschwächt das Fort erreichen und für uns eine leichtere Beute sein.“
„Wäre das Fort weit genug entfernt, um der Explosion standzuhalten?“, fragte das Oberhaupt der Heiler. „Würde das genügen, um unsere Feinde am Eindringen nach Kyralia zu hindern?“
„Wir kennen die Wirkungsweise der wilden Speichersteine viel besser als vor zwei Jahren“, sprach der Hohe Lord. „Damit können wir bessere Aussagen darüber machen, welcher Abstand für uns empfehlenswert ist.“
Lady Vinara wirkte nicht überzeugt, erhob jedoch keinen weiteren Einspruch. Regin schüttelte den Kopf. Natürlich war das Unternehmen gefährlich. Aber war es das nicht immer?
„Hoher Lord, Ihr habt das letzte Wort in dieser Angelegenheit“, sprach Regins ehemaliger Mentor. „Bleibt es dabei, dass nur die Krieger und die ausgewählten Heiler und Alchemisten gehen und unsere Gegner am Nordpass erwarten?“
Als dieser antwortete, verspürte Regin eine fast verlorengeglaubte Aufregung. In wenigen Tagen würden sie am Nordpass sein. Und er konnte all seine Sorgen in Imardin zurücklassen.
„Ja. Jedoch werde ich den König um Erlaubnis bitten, die Magie der Stadtbevölkerung hinzuziehen, sollte diese einverstanden sein.“
***
„Also, Viana. Wenn man eine Säure und eine Base miteinander reagieren lässt, was passiert dann?“
Rothens neue Novizin runzelte die Stirn, wobei sich ihre Nasenspitze kräuselte. „Das hängt von ihrer Menge und Konzentration ab“, antwortete sie. „Aber im Idealfall neutralisieren sie sich.“
„Richtig!“, rief Farand. „Kannst du mir auch die Formel nennen, mit der man den Säuregehalt des Resultats ausrechnen kann?“
Eifrig nickend nahm Viana ihr Notizbuch zur Hand und begann zu schreiben. Von seiner Perspektive aus konnte Rothen nicht viel mehr als ihre ordentliche Schrift erkennen. Schließlich reichte sie dem jungen Elyner das Geschriebene.
„Und wieder richtig!“, sagte Farand erfreut. „Lord Rothen, damit sollte Eure Novizin die Sommerprüfungen bestehen.“
Rothen lächelte. „Das will ich doch hoffen“, sagte er.
Viana schien sich ob dieser Aussicht zu entspannen. Seit sie Dorrien als Mentor verloren hatte, wirkte sie nervöser und unkonzentrierter. Die Novizen mieden sie, aber da sie Privatunterricht erhielt, ließen sie Viana weitgehend in Ruhe. Die Lehrer, die sich ihrer angenommen hatten, behandelten sie jedoch allesamt freundlich, soweit Rothen das sagen konnte. Seine erste Aktion als ihr neuer Mentor hatte darin bestanden, ihr einen anderen Lehrer für Kriegskunst zu suchen. Da er bereits bei Farand gute Erfahrungen mit Lord Dayend gemacht hatte, hatte er sich für diesen entschieden. Zumindest bis Sonea zurückkehrte. Dorrien würde diese Entscheidung nicht gefallen, aber er hatte keine Entscheidungsgewalt mehr, und Rothens Interesse bestand darin, Viana einen Lehrer zu geben, bei dem sie sich wohl fühlte. Dayend war jung, überaus freundlich und zuvorkommend und er war – worin Rothen im Gegensatz zu seinem Sohn einen Vorteil sah – Elyner. Über die Skandale, die die Gilde für Wochen in Aufregung versetzten, konnte Dayend nur lächeln.
Unglücklicherweise würde Dayend am nächsten Tag mit weiteren Kriegern zum Nordpass aufbrechen. Und so hatte Rothen entschieden, Vianas Unterricht bis zur Rückkehr der Krieger auf die anderen beiden Disziplinen zu beschränken und ihr zu Beginn des nächsten Halbjahres einige zusätzliche Stunden in Kriegskunst geben zu lassen.
Sofern die Gilde dann noch existierte. Wenn er an den Plan dachte, mit dem die Gilde und ihre gegenwärtigen Verbündeten ihre Feinde aufzuhalten gedachten, dann befürchtete Rothen das Schlimmste.
Aber er tat weder sich noch seinen beiden Novizen einen Gefallen, wenn er sich jetzt deswegen grämte.
„Danke, dass du mit mir lernst, Farand“, sagte Viana. Hastig sah sie zu Rothen. „Und Euch danke ich natürlich auch, Mylord.“
„Für mich ist das zugleich auch Wiederholung“, winkte Farand ab. „Sollte ich nach meinem Abschluss unterrichten dürfen, so hätte ich eine gute Referenz vorzuweisen.“
„Ich hoffe doch, dass du weiterhin mein Assistent bleibst“, sagte Rothen seinem Novizen spielerisch mit dem Zeigefinger drohend. „Denn ich will mir nur ungern einen anderen für diese Aufgabe suchen.“
Viana und Farand beim Lernen zu beobachten, während er selbst den Unterricht des Vorbereitungskurses vorbereitete, erfüllte ihn mit Freude und lenkte ihn von seinen viel essentielleren Sorgen ab. Sonea und Dannyl waren noch immer irgendwo in Sachaka und eine weitere Schlacht, bei der sie dieses Mal nur auf wenig Hilfe zählen konnten, stand kurz bevor. Seit Tagen befand sich die Gilde im Ausnahmezustand. Rothens einziger Trost war, dass er selbst in Imardin bleiben würde und sich mit seinen beiden Novizen ablenken konnte. Es war besser als daran zu denken, dass wenn die Gilde diese Schlacht verlor, weder Viana ihre Sommerprüfungen noch Farand seinen Abschluss machen würde.
„Aber Ihr unterrichtet auch, Mylord“, wandte Farand ein. „Und während Ihr dies tut, muss ich mich schließlich auch beschäftigen.“
Rothen betrachtete seinen Novizen voll Zuneigung. Von allen Novizen, denen er sich bis jetzt angenommen hatte, hatte Farand ihm die wenigsten Schwierigkeiten bereitet. Obwohl ihn der bloße Gedanke schmerzte, wusste Rothen, er würde ihn gehenlassen, sollte Farand nach seinem Abschluss einen anderen Weg einschlagen wollen. Und er würde ihn auch dabei unterstützen.
„Wenn Unterrichten dein Wunsch ist, dann werde ich mich für dich verbürgen, sollten die höheren Magier sich angesichts deiner Vorgeschichte weigern.“
„Sie lassen Lady Sonea ebenfalls unterrichten.“
„Lady Sonea ist die Frau unseres Oberhauptes“, erinnerte Rothen. „Damit sind die höheren Magier eher geneigt, bei ihr eine Ausnahme zu machen.“
„So wie damals als …“, begann Farand und brach dann mit einem hastigen Blick zu Viana ab. „Oh, Verzeihung.“ Er klappte seine Bücher zu. „Ich denke, es wird Zeit, schlafen zu gehen“, sagte er und erhob sich. „Bevor Ihr mich wieder scheltet, weil ich zu viel gelernt habe, Lord Rothen.“
„Zu viel lernen ist nicht gesund“, sagte Rothen. „Besonders in Kombination mit zu wenig Schlaf.“
Farand grinste ungewöhnlich kühn. „Und Ihr werdet nicht müde, mich daran zu erinnern.“
Lachend wies Rothen zur Tür. „Los verschwinde.“
„Gute Nacht, Mylord.“ Der junge Elyner verneigte sich. Er er zwinkerte Viana zu. „Gute Nacht, Viana.“
„Gute Nacht, Farand“, erwiderte sie.
„Du solltest auch zusehen, dass du Schlaf bekommst, Viana“, sagte Rothen in die Stille, die sich in seinem Wohnzimmer ausgebreitet hatte.
„Ich bin noch nicht müde, Mylord.“ Nervös senkte sie den Blick und starrte auf ihre Notizen. „Dann kann ich die Zeit auch zum Lernen nutzen.“
„Natürlich“, sagte Rothen freundlich. „So wirst du vielleicht schneller müde.“
Statt einer Antwort nickte sie nur. Rothen betrachtete sie nachdenklich. Sie wirkte alles andere als glücklich. Er unterdrückte ein Seufzen. „Viana, ich möchte, dass du weißt, dass ich nicht das Mentorenamt für dich übernommen habe, um deine Beziehung mit meinem Sohn zu kontrollieren“, begann er. „Ich habe es getan, weil ich eine Schwäche für Novizen mit Schwierigkeiten habe. Unter meiner Obhut erholen sie sich für gewöhnlich von dem, was sie gequält hat. Und ich hoffe, dass dies auch bei dir der Fall sein wird. Du hast eine gute Ausbildung verdient und“, er lächelte schief, „Dorrien würde es mir niemals verzeihen, würde ich dich vernachlässigen.“
„Ich habe nicht angenommen, dass Ihr unsere Beziehung kontrollieren wollt, Mylord“, entgegnete Viana scheu.
„Aber?“, hakte er vorsichtig nach.
„Ich habe das Gefühl, dass Ihr mir trotz all Eurer Freundlichkeit zürnt, weil ich Euren Sohn in Schwierigkeiten gebracht habe, wenn ich das so sagen darf.“
Das war völliger Unsinn. Ja, Rothen war verärgert. Aber nicht wegen Viana. Er brauchte sie nur anzusehen, um zu wissen, dass er ihr nicht zürnen konnte. „Viana, du hast Dorrien nicht in Schwierigkeiten gebracht“, sagte er. „Das schafft er ganz alleine.“
Es hatte ein Scherz werden sollen, doch an dem Entsetzen in Vianas Gesicht konnte er sehen, dass der Versuch fehlgeschlagen war. „Es tut mir leid“, sagte er. „Ich wollte dich nicht kränken.“
„Nun, ganz unrecht habt Ihr nicht“, erwiderte sie.
Und das ist eine bodenlose Untertreibung … Rothen konnte sehen, dass sie irgendetwas noch immer beschäftigte. Anscheinend war er noch nicht bei dem eigentlichen Problem angelangt. Er wusste jedoch nicht, wie er am besten zu ihr durchdringen konnte.
Ein Seufzen unterdrückend erhob er sich und bereitete sich einen Sumi zu. „Möchtest du auch etwas?“, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Danke, Mylord.“
„Falls du etwas möchtest, so kannst du es dir jederzeit nehmen. Auch wenn du jetzt im Novizenquartier wohnst, darfst du dich hier wie zuhause fühlen.“
„Danke, Mylord“, sagte Viana erneut.
Mit der Tasse in beiden Händen ließ Rothen sich wieder in seinem Sessel nieder. „Möchtest du mir sagen, was dich bedrückt?“, fragte er behutsam.
Sie zögerte.
„Du brauchst nicht, wenn du nicht willst. Aber indem du mit mir darüber sprichst, kann ich dir besser helfen.“
Viana öffnete den Mund und erstarrte, als es klopfte.
Rothen ließ seine Tasse sinken. Er hatte Tania schon vor zwei Stunden fortgeschickt. Zudem war ihr Klopfen zurückhaltender. Die Namen mehrerer Magier, die genug Dreistigkeit für einen solch späten Besuch besaßen, schossen ihm durch den Kopf.
„Herein!“, rief er und streckte seinen Willen nach der Tür aus.
Er hatte mit allem gerechnet. Nur nicht mit dem großen, schwarzen Schatten, der den Flur ausfüllte.
„Guten Abend, Lord Rothen.“
„Hoher Lord“, sagte Rothen steif. Was macht er hier? Und um diese Zeit?
„Ich wünsche mit Euch zu sprechen.“
„Natürlich“, brachte Rothen sich an seine Manieren erinnernd hervor. „Kommt herein.“
Nahezu lautlos glitt der schwarze Magier in den Raum.
„Bitte, Hoher Lord. Setzt Euch.“
„Danke, doch das ist nicht nötig.“ Akkarins Augen blitzten zu Viana.
Rothen sah zu seiner Novizin. „Würde es dir etwas ausmachen, in Dorriens altem Zimmer weiterzulernen?“
Sie schüttelte den Kopf. Rasch stapelte sie ihre Bücher und Unterlagen, klemmte sie sich unter den Arm und verneigte sich erst vor Akkarin und dann vor Rothen, bevor sie in dem kleinen Nebenraum verschwand.
Als sie fort war, senkte sich unbehagliche Stille über den Raum. Um sich nicht ganz in der Rolle des Unterlegenen zu fühlen, entschied Rothen ebenfalls zu stehen. Denn auch dann war Akkarin noch immer einschüchternd genug. Es geschah nicht oft, dass der Hohe Lord ihn allein in seinem Apartment aufsuchte. Doch wann immer er es tat, fühlte Rothen sich wieder an den Tag erinnert, an dem dieser Mann ihm Sonea weggenommen hatte.
„Also“, begann er unsicher, „was kann ich für Euch tun?“
„Ich wünsche, dass Ihr ab morgen für die Dauer meiner Abwesenheit Lorlen zu Euch nehmt. Ich weiß, dass Ihr unterrichtet und Eure Vorbereitungen für die Sommerprüfungen Eurer Novizen zu erledigen habt. Deswegen werden Takan und Lorlens Amme sich tagsüber um ihn kümmern.“
Für einen Augenblick war Rothen sprachlos. Für ihn klang das weniger wie ein Wunsch, denn wie ein Befehl. Lorlen war noch anstrengender als Dorrien als Baby und alleine das wäre Grund genug für ein Nein gewesen. Aber Akkarin war kein Mann, dem man sich verweigerte, und Rothen liebte das Baby trotz der zahlreichen Nerven, die es ihn bereits gekostet hatte. Die Vorstellung, dass es mit Akkarins Diener ganz allein in der Residenz war, war ihm unerträglich. Es brauchte eine Familie und ein Diener sollte nicht Tag und Nacht damit beschäftigt sein, auf ein Kleinkind aufzupassen.
Er sah zu Akkarin auf. „Nach allem, was zwischen uns vorgefallen ist, sollte ich mich weigern“, sagte er hart. Seine Worte brachten den vertrauten Zorn der vergangenen Wochen zurück und er spürte, wie sich etwas in ihm löste, das ihn zu lange gequält hatte. „Und denkt nicht, ich würde es für Euch tun. Ich tue es für Sonea.“
Akkarin hob kaum merklich die Augenbrauen und trat dann mit hinter dem Rücken verschränkten Händen zum Fenster. „Lord Rothen, ich weiß, wir hatten unsere Differenzen“, sagte er den Blick in die Dunkelheit gerichtet. „Doch es könnte sein, dass weder ich noch Sonea zurückkehren. In diesem Fall braucht Lorlen eine Familie. Und die hat er bei Euch.“
Und was ist mit deiner Schwester? Oder Soneas Familie?, wollte Rothen fragen. Doch er wusste, dass weder die Hüttenviertel noch Elyne der geeignete Ort waren, damit Lorlen so aufwuchs, wie Sonea und Akkarin es sich wünschten.
Rothen schluckte. „Ich werde mich um ihn kümmern, als wäre es mein eigenes Kind“, versprach er. „Für Sonea.“
Akkarin wandte sich um. Sein durchdringender Blick jagte Rothen einen Schauer über den Rücken. „Ich weiß, dass Ihr voll Zorn auf mich seid. Doch Ihr sollt wissen, dass mich dies nicht berührt, obwohl ich Euch und alles, was Ihr für meine Familie getan habt, schätze. Ich wäre Euch dankbar, wenn es Euch eines Tages gelingt, Euren Groll gegen mich Sonea zuliebe abzulegen.“
„Ich werde sehen, was ich tun kann“, sagte Rothen. „Aber ich kann nichts versprechen.“
Akkarins Mundwinkel zuckten kaum merklich. „Das ist auch nicht nötig.“
Er löste sich vom Fenster und schritt zurück zur Tür. Auf der Schwelle zum Flur hielt er noch einmal inne. „Takan wird Lorlen morgen früh vorbei bringen. Ich wünsche Euch eine geruhsame Nacht.“
Etwas löste sich endgültig in Rothen und sein Zorn verflog. Was auch immer dieser Mann getan hatte, hatte er nur getan, weil er es musste. Auch in Dorriens und Vianas Fall hatte er richtig gehandelt und Rothen konnte ihm zugestehen, dass er seinem Sohn einst die Chance sich zu beweisen gegeben hatte. Aber der Hohe Lord war nicht schuld an dieser Situation. Das hatte Dorrien sich ganz allein zu verdanken. Und Regin. Bei ihnen war Rothens Zorn besser aufgehoben.
„Akkarin!“
Der schwarze Magier hielt inne.
„Passt auf Sonea auf. Und auf Euch.“ Bemüht, sich von dem durchdringenden Blick des schwarzen Magiers nicht verunsichern zu lassen, fügte er hinzu: „Damit Lorlen noch eine Familie hat, wenn Ihr zurückkehrt.“
Der Anflug eines Lächelns huschte über das Gesicht des anderen Mannes. „Darauf habt Ihr mein Wort, Rothen.“
***
Und im nächsten Kapitel haben einige unserer Helden Anlass zur Freude, während es für andere ein wenig schmerzhaft werden könnte … ;)
Fragen zum Kapitel
Wie gefällt euch Ivaras Gastauftritt?
Wie findet ihr die Schlacht zwischen Verrätern und den Truppen Ishakas bzw. Sakoris?
Wie macht Ivasako sich während der Schlacht? Wie denkt ihr über Mivara und ihre Offenbarung?
Was haltet ihr von Trassias Aktion, Regin erst aus ihrer Wohnung zu werfen und dann selbst auszuziehen? Warum glaubt ihr, hat sie das getan?
Wie denkt ihr über das Gespräch zwischen Dannyl und Nirili?
Kann der Plan der Gilde funktionieren?
Wie denkt ihr über das Gespräch von Rothen und Akkarin?