Die Bürde der schwarzen Magier III - Das Heiligtum von Yukai
von Lady Sonea
Kurzbeschreibung
Anderthalb Jahre nach dem Massaker von Arvice ist Sonea noch immer gebrochen von ihrer Erfahrung mit Marika. Sachaka steht derweil gebeutelt von Kämpfen am Rande des Ruins. Als die Situation eskaliert und Kyralia erneut in Gefahr gerät, sind sich die Anführer der Kriegsparteien einig, dass nur noch Verhandlungen den Konflikt beenden können. Als Vermittler fordern sie den Mann, dessen Ruf sich bis über die Grenzen der Verbündeten Länder hinaus verbreitet hat: Auslandsadministrator Dannyl. Gegen den Willen des Hohen Lords entscheidet Sonea, Dannyl zum Ort der Verhandlungen, einem alten Tempel in der Wüste von Duna, zu eskortieren. Doch die Konferenz wirft ihre Schatten voraus und das nicht nur, weil Sonea sich wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert sieht. Schon bald bemerken sie und Dannyl, dass jede Partei ihr eigenes Spiel spielt, und sie müssen die richtigen Verbündeten finden, um zu die drohende Katastrophe zu verhindern …
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P18 / Mix
Hoher Lord Akkarin
Lord Dannyl
Lord Dorrien
Lord Rothen
Regin
Sonea
02.08.2016
04.06.2019
56
813.938
87
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Dieses Kapitel
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06.02.2018
13.109
Hallo ihr Lieben, bevor es losgeht habe ich noch eine Ankündung bezüglich einer Änderung bei den noch hochzuladenden Kapiteln von Yukai. Diese Änderung hatte persönliche Gründe und wird die einzige ihrer Art sein, die ich je bei meinen Geschichten vornehmen werde.
Herzlichen Dank an Sabrina Snape, Black Glitter und Lady Alanna für die Reviews zum letzten Kapitel. Ganz lieben Dank auch für die anonyme Empfehlung :)
Es hatte ihn einige Stunden gekostet, seine Arbeit wieder aufzunehmen. Die Ereignisse der Nacht und die Erkenntnis, dass all seine Bemühungen umsonst gewesen waren und er selbst nichts als eine Figur in der Kyrima-Partie der zwei wichtigsten Männer Sachakas war, hatten Ivasako ähnlich bestürzt zurückgelassen, wie einst der Tod seines Meisters. Es hatte Ienara viel Überzeugungsarbeit gekostet, ihn dazu zu bringen, in sein Büro zu gehen und zumindest zu versuchen, so etwas wie Normalität in den Rest des Tages zu bringen.
Und so hatte Ivasako mit dem Beantworten der Post begonnen, die am Vormittags gekommen war. Inzwischen hatte der Raka seine Lebensgeister geweckt und nur das Wissen, erst gegen Mittag erwacht zu sein, erinnerte ihn daran, dass er im Morgengrauen zu Bett gegangen war.
Sich um die Anfragen verschiedener Ashaki aus der Stadt und den fruchtbaren Regionen zu kümmern, hatte eine ähnlich beruhigende Wirkung wie Buchhaltung und Steuereinnahmen. Zumindest, wenn man Erstere nicht auf ihre Korrektheit überprüfen musste. Die Arbeit half Ivasako seine Gedanken auszusortieren.
Nach Stunden des unterbewussten Grübelns hatte der Palastmeister jedoch nur begriffen, dass er zu wenig Informationen besaß, um die Wahrheit über den Vorfall in Yukai und damit zusammenhängende Verschwörungen zu erkennen. Für seine eigene Handlungsfähigkeit war das höchst ungünstig.
Ein Sklave trat ein und warf sich zu Boden. „Der Imperator wünscht Euch im Kuppelzimmer zu sprechen.“
Ivasako legte seine Schreibfeder beiseite. „Ich bin unterwegs.“
Nachdem er sein Büro mit Magie verschlossen hatte, stieg er die große Treppe in den zweiten Stock empor. Er schritt einen mit Vasen dekorierten Korridor entlang und erklomm eine weitere Treppe, die zu der höchstgelegenen Kuppel des Palasts führte. Auf dem Weg dorthin wurde er von drei Sklaven mit Früchten und Erfrischungen überholt.
Er fand Kachiro nicht alleine vor. Sein Sohn leistete ihm Gesellschaft, zusammen mit zwei Ashaki, von denen Ivasako wusste, dass sie mit Kachiro befreundet waren. Sakori und Chirachi. Hin und wieder ritten die drei Männer gemeinsam auf die Jagd in einem kleinen Wald nahe Arvice. Ivasako erinnerte sich, dass sie am Tag nach dem Sommernachtsfest auch ausgeritten waren. Tarachi stand an einem der Spitzbogenfenster, wo ihn das Sonnenlicht nicht blendete und bedachte Ivasako mit einem finsteren Blick.
Der Palastmeister warf sich zu Boden. „Mein Imperator, wie kann ich Euch dienen?“
„Nach dem Desaster der vergangenen Nacht gilt es nun, die nächsten Schritte zu planen.“ Kachiro wies auf den freien Sessel zwischen Sakori und Hariko. Der Zorn der vergangenen Nacht war einer grimmigen Entschlossenheit gewichen, die noch nie etwas Gutes bedeutet hatte. „Und dafür brauche ich Euch.“
Voll Unbehagen nahm Ivasako Platz. Yakari rollte sich um seine Beine zusammen. Angesichts der Sommerhitze fühlte sich das an, als habe er sich in eine Decke aus Reberwolle gewickelt. Er sah jedoch davon ab, Yakari fortzuscheuchen. Die Nähe des P’anaals erfüllte ihn mit einer wohltuenden Ruhe und bewahrte ihn davor, die Nerven zu verlieren.
Ein Sklave hielt ihm die Schale mit Früchten hin. Obwohl Ivasako keinen Appetit verspürte, wählte er eine kandierte Pachischeibe.
„Ich habe Sakori und Chirachi eingeladen, weil sie mit wichtigen Aufgaben betraut werden“, teilte der Imperator ihm mit, während er zwischen zwei Fenstern auf und ab schritt. „Vor einer Stunde hat Divako mich über die neusten Entwicklungen informiert. Es ist ihm gelungen, die Duna dazu zu bringen, ihn und Sarkaro nicht zu töten. An diesem Nachmittag haben sie das Bündnis zwischen unseren beiden Ländern gestärkt. Divako hat Arikhai davon überzeugt, dass Ishaka und die Verräter für den Anschlag und das Massaker im Tempel verantwortlich sind. Arikhai hat seinen Worten Glauben geschenkt und anschließend haben sie einen Pakt geschlossen, um Ishaka und die Verräter zu vernichten.
„Inzwischen sind Divako und Sarkaro auf dem Rückweg nach Sachaka, Arikhai wird ihnen folgen, sobald er weitere Duna-Stämme für einen Rachefeldzug gewonnen hat. Nach der Zerstörung des Tempels sollte das jedoch nur eine Formsache sein.“
Ivasako erschauderte. Also hatte Kachiro mit seiner kalten Berechnung richtig gelegen. Der Imperator hatte keine Zeit verschwendet und die Situation auf brillante Weise für seine Zwecke ausgenutzt. Seine Strategie sprach eine deutliche und beunruhigende Sprache.
„Divako und die Duna werden Ishaka und Takiro jagen und töten“, fuhr Kachiro fort. „Da sie sich mit den Verrätern verbündet haben, werden diese Verstärkung schicken. Ishaka ist nicht dumm. Er wird sich denken, dass ich meine Ashaki ausschicke, um ihn an einer Rückkehr zu hindern. In jedem Fall steht uns ein Krieg bevor. Ashaki Sakori wird die Ashaki, denen ich noch vertrauen kann, zusammenrufen und unseren Feinden entgegenführen.“
„Wenn Ishaka tatsächlich so gerissen ist, dann hat er seine Verbündeten unter den Ashaki schon längt informiert“, wandte Hariko ein. „Wäre es daher nicht besser, zunächst diese vernichten zu lassen, Vater?“
„Und das wird auch geschehen.“ Die blaugoldenen Ärmel vor der Brust verschränkt fiel Kachiros Blick auf Ivasako. „Die meisten von Ishakas Verbündeten leben in der Stadt. Ich will, dass Ihr sie ausfindig macht und festnehmt. Ihr erhaltet die Erlaubnis, ihre Gedanken zu lesen. Die Palastwache wird zu diesem Zweck nicht ausreichen. Ashaki Chirachi wird Euch daher mit seinen Leuten unterstützen.“
„Ja, mein Imperator“, sagte Ivasako sein Unbehagen zurückdrängend. Ein Teil von ihm hoffte noch immer darauf, dass diese Rebellin am vergangenen Abend gelogen hatte, und dass Ishaka unschuldig war. Die Rebellen machten noch mehr Ärger als die Verräter. Sie waren nicht umsonst von ihrem Volk ausgestoßen worden. Somit bestand zumindest eine verschwindende Wahrscheinlichkeit, dass Ishaka nichts mit dem Anschlag zu tun hatte.
Ich darf mich nicht von meinem Zorn leiten lassen, dachte er. Bevor ich etwas unternehme, muss ich versuchen, die Wahrheit herauszufinden.
„Es wird eine Weile dauern, diese Leute zu finden“, sagte er. „Bis jetzt sind sie nicht auffällig geworden, vermutlich haben sie im Verborgenen gearbeitet.“
Das Gold auf Kachiros Ärmeln blitzte ärgerlich im Sonnenlicht. „Dann fangt bei seinen Freunden an. Ihr habt sie doch auf den Parties getroffen.“
„Ja, mein Imperator“, wiederholte Ivasako. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie Tarachi ihn misstrauisch betrachtete. Er wartet nur darauf, dass er mir etwas nachweisen kann … „Ich schlage vor, sie alle zur gleichen Zeit festzunehmen, damit einander nicht vorwarnen können. Dazu muss ich jedoch einige Vorbereitungen treffen.“
„Dann fangt damit sofort nach dieser Besprechung an“, befahl Kachiro. „Eure Buchhaltung läuft Euch nicht weg.“
Nein, das tut sie ganz sicher nicht. „Warum überhaupt eine Armee?“, fragte Ivasako. „Warum befehlt Ihr Eurem Spion nicht, Ishaka zu töten?“
„Ich brauche ihn, um herauszufinden, was Ishaka als Nächstes plant“, antwortete Kachiro. „Doch er wird sterben, keine Sorge.“
„Außerdem wären da immer noch die Verräter“, fügte Sakori hinzu. „Egal, ob Ishaka und seine Anhänger überleben, die Verräter werden sich nicht zurückziehen. Nicht jetzt, wo sie ein wichtiges Teilziel erreicht haben.“
„Die Spaltung Sachakas“, sagte Ivasako tonlos.
„Exakt.“
„Ich werde Ishaka am Leben lassen, bis ich seine Pläne in Erfahrung gebracht habe“, sprach Kachiro. „Die Ashaki sind bereits informiert, Sakori wird bei Einbruch der Nacht die Stadt verlassen. Morgen früh trifft er auf die Ashaki aus der näheren Umgebung, die übrigen werden sich ihm unterwegs anschließen. So können sie die Verräter in den Ödländern abfangen und auf dem Weg dorthin weitere von Ishakas Anhängern töten. Je nachdem, was Ishakas Pläne ergeben, wären sie zudem schnell wieder zurück. Was Ishakas Anhänger angeht, sollten diese jedoch keine Gefahr mehr darstellen, sobald Ihr und Chirachi Euch ihnen angenommen habt.“
„Ja, mein Imperator“, sagte Ivasako und der Ashaki wiederholte die Worte.
Damit wäre es also entschieden, dachte der Palastmeister. Er hatte richtig vermutet. Kachiro hatte seine Kriegsvorbereitungen an ihm vorbei über seine beiden Ashaki-Freunde organisiert und finanziert, um das Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben. Doch was er da plante, war Wahnsinn. Ivasako konnte nicht zulassen, dass der Imperator dieses Land zugrunde richtete. Doch er konnte auch nicht zulassen, dass Männer wie Ishaka und Tarko dieses Land auf eine noch ganz andere Weise zugrunde richteten.
Wenn es niemanden gibt, dem du vertrauen kannst, dann höre auf das, was dein Herz dir sagt.
Der Palastmeister lächelte humorlos. Ja, er hatte seine Entscheidung getroffen.
So schlimm kann es nicht werden, sagte Sonea sich wieder und wieder, während sie Marika durch den Palastgarten folgte. Auf dem gepflegten Rasen glänzte noch der Tau, die Luft war jedoch schon behaglich warm. Er will sicher nur, dass ich ihn wasche oder etwas in dieser Art.
Allein die Vorstellung, diesen Mann waschen zu müssen, war widerwärtig. Sonea zog dies jedoch eines weiteren Liebesaktes vor. Nach dieser Nacht musste er genug haben.
Marikas Pranke hatte ihre Hand fest umschlossen, zu fest um sich loszureißen, hätte sie das gewollt. Es fühlte sich falsch an und seine Hand war viel zu warm.
Endlich erreichten sie das Badehaus. Marika führte sie durch den linken Eingang. Nur benommen nahm Sonea die prächtige Einrichtung des Umkleideraums, das Mosaik auf dem Boden und die Bänke aus Marmor wahr. Kaum, dass die Tür hinter ihnen zugefallen war, war Marika hinter ihr und schlang einen Arm um sie. Mit seiner anderen Hand strich er Soneas Haar zur Seite und küsste ihren Nacken verlangend. Sonea schloss die Augen. Das Verlangen, sich seinen Armen zu entreißen, wurde übermächtig, doch sie ahnte, ihr Widerstand würde ähnliche Konsequenzen wie in der vergangenen Nacht nach sich ziehen.
„Zieh dich aus“, befahl er.
Sonea konnte nur nicken. Mit zitternden Händen öffnete sie das Oberteil ihres Kleides.
„Warum brauchst du so lange?“
„Ich bitte um Verzeihung, Meister“, brachte sie hervor. Rasch streifte sie ihre Sachen ab, wobei sie fast über den Saum ihres Rockes gestolpert wäre. Sofort war Marika wieder hinter ihr. Seine Pranken umschlossen ihre Brüste, kneteten sie und zwirbelten ihre Spitzen, bis Sonea ein ungewollter Laut entfuhr. Mit einem leisen Lachen schob eine Hand ihre Senkel auseinander und strich über ihren Schoß.
Sonea presste die Lippen zusammen, als seine Finger ihre geschundene Haut berührten. Es brannte mehr, als dass es den Effekt gehabt hätte, den er offenkundig beabsichtigte. Sie hielt absolut still, wagte es kaum zu atmen. Dann schob er zwei Finger tief in sie hinein und bewegte sie grob.
Ihr entfuhr ein qualvoller Laut, als er weitere geschundene Stellen entdeckte und diese auf eine Weise malträtierte, die unter anderen Umständen und mit dem richtigen Mann erregend gewesen wäre. Sonea rang nach Luft.
„Wieso wirst du nicht feucht?“, verlangte er zu wissen. „Verlangt es dir so sehr nach meiner Zunge?“
Das hättest du wohl gerne, dachte Sonea. Sie hätte alles dafür gegeben, würde er sie so behandeln, wie Akkarin es getan hatte, wenn sie denn schon mit ihm ins Bett musste. Auch auf die Gefahr hin, dass es schmerzhafte Erinnerungen zum Leben erweckte. Aber Marika war ein Monster. Sanftheit und Einfühlungsvermögen existierten in seiner Welt nicht.
„Ich bin wund, Meister“, sagte sie leise. „Bitte. Nicht schon wieder.“ Sie würde ihm alles geben, was er von ihr verlangte, wenn er ihrem Körper nur die Zeit ließ, sich zu erholen.
„Meinetwegen“, knurrte er zu ihrer Erleichterung. „Du hast noch andere Öffnungen, die ich benutzen kann.“
Sonea erstarrte. Sie wollte das nicht erneut tun müssen, aber sie wusste auch, dass sie es nicht aushalten würde, wenn er jetzt erneut mit ihr schlief.
Marika ließ von ihr ab. „Dreh dich zu mir und dann knie dich hin“, befahl er.
Sonea gehorchte.
„Die Beine ein Stück mehr auseinander.“
Unbehaglich öffnete sie ihre Schenkel. Sie fühlte sich auf unerfreuliche Weise exponiert. Ienara hatte ihr beigebracht, beim Knien die Schenkel geschlossen und den Rücken gerade zu halten. Ihre Hände mussten so liegen, dass sie sie jederzeit rasch emporstrecken konnte, während sie den Blick gesenkt halten musste. Vielleicht ist es anders, wenn er mit einer Sklavin allein ist, überlegte Sonea. Oder es war nur eine weitere Möglichkeit, sie zu demütigen.
Rasch entledigte Marika sich seiner Kleidung und warf sie achtlos zu Boden. Dann trat er auf Sonea zu, seine Hände pressten sich auf ihre Schläfen. „Verwöhn mich mit deinem Mund.“
Sie erschauderte. „Ja, Meister.“
Während sie mit ihm beschäftigt war, las er ihre Gedanken. Sonea sah sich unfähig, sich dagegen zu wehren und versuchte, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Was auch immer Marika sah, schien ihn zu erregen.
Bevor er sich in ihren Mund ergoss, ließ er von ihr ab. „Komm mit“, sagte er.
Zitternd kam Sonea auf die Beine und folgte ihm durch die Tür zum Bad. Es sah aus, wie das Bad der Cachira, nur kleiner und prächtiger. Marika ließ ihr jedoch keine Zeit, sich umzusehen und scheuchte sie ins Wasser.
„Hast du eine Lieblingsseife?“, fragte er.
Die Frage kam so überraschend, dass Sonea für einen Augenblick ihre Furcht vergaß.
„Pachi, Meister.“
Eine Seife wählend kam Marika auf sie zu. Unwillkürlich wich Sonea zurück, bis sie gegen Beckenrand stieß. Marika lachte leise. „Und jetzt nehme ich mir, was dein früherer Meister nicht benutzen wollte“, sagte er. „Dreh dich um.“
Sonea erstarrte. „Nein!“, entfuhr es ihr.
Akkarin hatte das einmal mit ihr versucht, doch obwohl er dabei sehr behutsam gewesen war, war es unangenehm gewesen und hatte Sonea überhaupt nicht gefallen. Danach hatten sie keinen weiteren Versuch gewagt. Was, wenn Marika sie sich auf diese Weise mit Gewalt nahm? Sie brauchte nur an sein riesiges Gemächt zu denken, um bei der Vorstellung Übelkeit zu empfinden. Was, wenn er etwas kaputt machte?
Marika schlang einen Arm um ihre Taille, drehte sie herum und schob sie gegen den Beckenrand. „Du hast dich bereit erklärt, mein Eigentum zu sein“, sagte er leise, aber drohend. „Und mit meinem Eigentum kann ich machen, was ich will.“
Sonea fand, das Einfordern von Unterwerfung nichts mit Bereitwilligkeit zu tun. „Bitte Meister“, flehte sie. „Tut mir nicht noch mehr weh.“
„Dann sei gefügig“, sagte er unbarmherzig. Seine Hand schloss sich um ihren Nacken und drückte ihren Oberkörper nach vorne, während er mit einem Fuß ihre Beine auseinander schob.
„Ich bin gefügig. Ihr seid zu groß.“
Der König von Sachaka lachte schallend. „Das hat noch nie eine zu mir gesagt!“, rief er. „Haben die Kyralier alle so kleine Schwänze?“
Sonea fühlte sich beleidigt. Auch ohne Vergleichsmöglichkeiten war ihr Akkarins Männlichkeit nicht gerade klein vorgekommen.
Sie hörte das leise Plätschern von Wasser, dann strich etwas Hartes über ihr Gesäß. Sonea zuckte zusammen, dann erkannte sie, dass es die Seife war. Mit Bewegungen, die verrieten, dass er das nicht zum ersten Mal tat, strich Marika mit der Seife über die Falte zwischen ihren Gesäßbacken und umkreiste die Öffnung. Unwillkürlich spannte Sonea sich an. Sie wollte nicht, dass er sie auf diese Weise bekam, sie hätte ihn angefleht, sich mit ihrem Mund zufriedenzugeben, doch sie konnte spüren, wie versessen er darauf war, sie sich dort zu nehmen, wo sie noch unberührt war.
„Bleib locker“, befahl er. Die Spitze seines Fingers drückte leicht gegen ihre Hinterpforte. „Du sollst dich nicht anspannen.“
„Ich …“, begann sie hilflos.
„Wenn du dich nicht entspannst, tut es weh.“
Das war Sonea auch bewusst. Einen tiefen Atemzug nehmend schloss sie die Augen und streckte ihm ihr Gesäß ein Stück weiter entgegen.
Eine Hand strich über ihren Schoß und verteilte auch dort Seife. Zuerst brannte es erneut, dann verwandelte sich das Gefühl in eine süße Erregung, die Sonea nicht empfinden wollte, während sie zugleich nicht wollte, dass er aufhörte, sie dort zu berühren. Irgendwie war es verstörend.
Marika zog seine Hand fort und drückte erneut gegen ihre Hinterpforte. Bevor Sonea wusste, wie ihr geschah, war sein Finger in ihr. Sie sog leise die Luft ein.
„War das so schwer?“, fragte er mit einer Freundlichkeit, die sie ihm nicht glauben konnte.
„Nein, Meister“, brachte sie hervor.
„Gut.“ Er begann seinen Finger in ihr zu bewegen. Es war nicht angenehm, aber Sonea glaubte, es aushalten zu können, wenn er sie nicht so gewaltsam wie in der vergangenen Nacht nahm. Zugleich befiel sie jedoch die leise Furcht davor, wie es sein würde, wenn er richtig in ihr war.
Nach und nach schob Marika einen zweiten und dann einen dritten Finger in sie. Sie versuchte, es zuzulassen, damit er nicht wieder auf die Idee kam, sie zu bestrafen oder etwas zerstörte, das sie nicht mehr heilen konnte. Sie bemerkte, wie er immer wieder Seife verwendete, als wolle er dafür sorgen, dass es weiterhin angenehm blieb. Sie konnte jedoch nicht glauben, dass er das aus Nettigkeit tat.
„Du bist eine gute Sklavin“, murmelte er sich über sie beugend. „Warum warst du das nicht schon letzte Nacht?“
„Weil …“, begann sie, spürend, dass er eine Antwort von ihr erwartete, „ich noch nicht gefügig war.“
„Aber jetzt bist du gefügig?“
Der Drang zu rebellieren war noch immer da. Sonea konnte sich nicht vorstellen, dass er jemals ganz verschwand. Aber die Nacht mit ihm hatte etwas in ihr auf immer zerbrochen.
„Ja, Meister“, flüsterte sie.
Marika zog seine Finger aus ihr heraus. An den folgenden Geräuschen konnte Sonea erkennen, dass er seine Hände wusch. Wenigstens legt er dabei Wert auf Hygiene, fuhr es ihr durch den Kopf. Sie wäre nicht begeistert gewesen, hätte er sie mit der Hand berührt, die gerade noch in ihrem Gesäß gesteckt hatte, selbst wenn sie es hinterher abwaschen konnte.
Er umfasste ihre Hüften und glitt nahezu mühelos in sie hinein. „Du hast Glück, dass ich bei unerfahrenen Sklavinnen nicht zerstören will, was ihren Nutzen für mich mindert“, murmelte er. Dann begann er sich überraschend behutsam in ihr zu bewegen.
Jetzt, wo er in ihr war, war es unangenehm, aber nicht mehr schmerzhaft. Nur, dass es mit jeder seiner Bewegungen unangenehmer wurde, bis Sonea glaubte, ihr Unterleib würde jeden Augenblick platzen.
„Hör auf, dich aus mir herauszudrücken“, knurrte er.
„Ich mache nichts, Meister“, protestierte sie.
„Du bist nicht entspannt.“
Sonea schnitt eine Grimasse, erleichtert, weil er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Wie sollte sie jemals entspannt sein, wenn er in ihr war?
Seine Hand griff in ihr Haar und zog ihren Kopf zurück, während die andere in ihrem Schoß verschwand und die unerwünschte Erregung zurückbrachte. „Ah, das ist schon besser“, sagte er und glitt tiefer in sie hinein.
Das unangenehme Gefühl war noch immer da, wurde jedoch von einer steigenden Erregung verdrängt.
„Willst du, dass ich es dir besorge?“, fragte er.
Alles in ihr schrie danach, die Frage zu verneinen, aber Sonea fühlte sich dazu zu zerstört. Und einem absurden Teil von ihr verlangte es danach, dass er das tat.
„Ja, Meister“, flüsterte sie.
„Findest du, dass du es verdienst?“
Sie hatte stillgehalten, als er sie gedehnt hatte. Für sie wäre das Grund genug gewesen. Doch wahrscheinlich sah er das anders.
„Nein, Meister.“
„Und deswegen wirst du mich darum bitten, wenn es soweit ist.“
Sie konnte nur nicken. Als es soweit war, bat sie ihn um seine Erlaubnis. Und nachdem er mit ihr fertig war, bedankte sie sich dafür und dafür, dass er sie auf eine völlig neue Weise genommen hatte.
Sonea fuhr sich übers Gesicht. Sie erinnerte wie aufgelöst sie anschließend gewesen war und wie sehr sie sich für ihre Erregung geschämt hatte. Sie hatte sich geschändet und beschmutzt gefühlt. In den ersten Wochen hatte Marika ihre Lust wieder und wieder erzwungen und sie darum betteln lassen, sie zum Höhepunkt zu bringen. Wenn er sich anschließend an ihr vergangen hatte, war er grob gewesen. Nur mit quälender Langsamkeit hatte Sonea sich an ihn gewöhnt und es hatte bis nach ihrem Sprung vom Nordturm gedauert, bis er nicht mehr so grob gewesen war.
Ja, er war grausam gewesen. Aber nicht auf Grund der Dinge, die er mit ihr getan hatte, sondern weil sie ihm nicht erlaubt hatte, derart über sie zu verfügen.
Der Anblick des Hauses, das sich vor einer Wand drohender Regenwolken vor ihm erhob, erschien Regin so unwirklich wie alles an diesem Tag. Angefangen davon, wie er in seinem neuen Quartier erwacht war – allein und mit einem erbarmungslosen Gefühl von Leere – über die entsetzlichen Neuigkeiten aus Yukai, bis dahin, dass er nach jenem katastrophalen Dinner ein halbes Jahr zuvor zurückgekehrt war.
Ich bin ein Krieger der Magiergilde, rief er sich ins Gedächtnis. Ich habe dem Tod ins Auge gesehen. Also kann ich auch meinem Vater gegenübertreten.
„Bring mich zu meinem Vater“, befahl Regin, als ein Diener ihm die Tür öffnete. Er hatte keine Lust, in den Empfangsraum komplimentiert zu werden und zu warten, bis man sich bequemte, ihm zu empfangen. Zudem war er der Magier. Würde er darauf bestehen, so müsste sich sein Vater vor ihm verneigen.
Der Gedanke erfüllte ihn mit neuem Mut.
„Ja, Mylord“, erwiderte der Diener mit einer tiefen Verneigung.
Regin lächelte in sich hinein. Es war ein gutes Gefühl, dass die Diener seiner Eltern ihn mit noch mehr Respekt behandelten, seit er ein vollständig ausgebildeter Magier war.
Margun von Winar saß an seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer. Ob er einen Brief oder eine Rede schrieb, konnte Regin nicht erkennen. Es war jedoch nicht ungewöhnlich, dass sein Vater auch am Wochenende arbeitete.
„Schick Flavia mit Sumi und Gebäck für zwei Personen her“, wies Margun den Diener an, kaum dass dieser Regin angekündigt hatte, und scheuchte ihn mit einer ungeduldigen Bewegung seiner Hand fort.
Dann widmete er sich wieder seinem Brief.
Was ich auch tue, er freut sich kein bisschen, mich zu sehen, fuhr es Regin durch den Kopf. Magier gaben einer Familie Prestige und sollten die Eltern mit Stolz erfüllen. Sein älterer Bruder war jedoch immer der interessantere Sohn gewesen. Weil er das Familienerbe antrat.
„Guten Tag, Vater“, grüßte er. „Wie ist es dir ergangen?“
Margun sah nicht auf.
„Falls es dich interessiert, es geht mir gut. Lord Balkan überträgt mir mehr und mehr Verantwortung. Ich unterrichte, bin sein Stellvertreter und trainiere die Krieger in einer Strategie für den Kampf gegen die Sachakaner, die ich selbst entwickelt habe. Balkans Nachfolge ist mir damit nahezu sicher, wenn er in einigen Jahren in Ruhestand geht. Mit etwas Glück werde ich bis dahin Leiter der strategischen Studien sein.“
Margun sah nicht auf. Seine Schreibfeder kratzte leise über das Papier, während er mit lässigen, aber eleganten Bewegungen Buchstaben und Wörter aneinanderreihte.
„Ich sehe, dass es interessantere Dinge gibt, als den Sohn, der bald zu einem der wichtigsten Männer der Gilde gehört“, bemerkte Regin.
Margun sah noch immer nicht auf. Er tauchte die Schreibfeder ins Tintenfass und schrieb weiter.
„Ich habe die Beziehung mit Trassia von Haron beendet.“
„Das wurde auch Zeit.“
Seine Worte waren so beiläufig, dass Regin einen vertrauten Zorn in sich spürte. „Ah“, sagte er. „Häuserpolitik ist also das Thema, mit dem ich dich zum Reden bringen kann. Und nicht meine Karriere in der Gilde.“
„Deine Karriere in der Gilde ist für mich erst von Belang, wenn du Hoher Lord geworden bist“, sagte sein Vater.
Nun, das war eine eindeutige Antwort. Sie beide wussten, das Regin niemals Hoher Lord würde. Nicht, solange Akkarin und Sonea lebten.
„Das ist bedauerlich“, sagte Regin. „Denn ich werde deine politischen Ränkespiele nicht unterstützen.“
Margun erwiderte nichts darauf und fuhr mit seinem Schreibwerk fort.
Die Tür ging auf und Flavia kam mit einem Tablett mit duftenden Kegelkuchen und dampfend heißem Sumi. Während Regin bemüht war, sie zu ignorieren, stellte sie die Sachen auf dem Schreibtisch ab, schenkte zwei Tassen Sumi ein und empfahl sich.
Regins Vater legte seine Schreibfeder beiseite, verschloss das Tintenfass und legte das Pergament zum Trocknen auf die Seite. Dann wählte er eine der beiden Tassen und lehnte sich zurück. Den Sumi und das Gebäck ignorierend blieb Regin stehen.
„Ich habe mich immer gefragt, was du an dem Mädchen findest“, bemerkte Margun. „Ihre Familie ist weder sonderlich einflussreich noch lebt sie eine derart alte Tradition, wie wir das tun. Du könntest bessere Frauen haben. Ich hätte da eine Liste vielversprechender Kandidatinnen.“
„Du meinst Kandidatinnen für eine Verbindung, von der du dir politische Vorteile versprichst“, gab Regin zurück. „Danke, Vater. Ich verzichte.“
„Also bist du nicht deswegen gekommen?“
Regin schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht vor, mich in nächster Zeit zu binden.“
„Was willst du dann?“
„Ich dachte, es würde dich vielleicht interessieren, dass Trassia und ich kein Paar mehr sind.“ Es auszusprechen tat weh, aber er war sicher, mit der Zeit würde es besser werden. „So feindselig, wie du ihr damals bei dem Dinner begegnet bist, muss das doch ein großer Triumph für dich sein.“
„Ich habe mich nicht feindselig verhalten, ich habe nur eine Wahrheit ausgesprochen.“
„Und mir damit vor Augen geführt, dass ich deine Einmischung in mein Leben nicht mehr länger wünsche.“
„Regin, bist du gekommen, um zu streiten?“
„Ich bin hier, um klarzustellen, dass ich auch in Zukunft keinen Anteil an deinen politischen Spielen haben will. Aus demselben Grund verbitte ich mir, dass du oder Mutter mir Heiratskandidatinnen vorschlagen. Und sollte ich eines Tages eine neue Frau gefunden haben, so verbitte ich mir ihr gegenüber jede Herablassung.“
Margun von Winar starrte ihn an. Er öffnete seinen Mund, doch Regin ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Und ich nehme Flavia mit.“
„Was willst du mit Flavia?“
„Als du ihre Eltern eingestellt hast, hast du sie mir als Dienerin zugeteilt. Auch nach meinem Beitritt zur Gilde hat sie sich um meine Belange gekümmert, wenn ich dich und Mutter freitags oder in den Ferien besucht habe. Ihr habt genug Diener, ihr könnt sie entbehren.“
„Du hast Geld, du kannst deine eigene Dienerin einstellen.“
„Ich will Flavia. Sie wird von mir ein besseres Gehalt bekommen, als der Hungerlohn, den du ihr zahlst. Zudem vertraue ich ihr weit genug, dass sie nicht meine Sachen stiehlt.“
„Du willst sie, weil du jemanden zum Benutzen brauchst“, stellte Margun fest. Er durchbohrte Regin mit seinem Blick. „Streite es nicht ab, ich weiß, dass du es mit ihr getrieben hast. Dein Glück, dass du erst nach deiner Aufnahme in die Gilde damit begonnen hast. Auf Bastarde in der Familie kann ich verzichten.“
Seine Worte trafen Regin, jedoch nicht so, wie sie es einst getan hätten. Der Vorwurf, wie Margun zu sein, traf viel tiefer.
„Dann sollte es dich erleichtern, dein Haus frei von Menschen zu haben, die dir Schande bereiten“, sagte Regin.
„Wenn du weiterhin Schande über dich bringen willst, dann werde ich dich nicht aufhalten“, entgegnete sein Vater. „Oder wird es bei den Gildenmagiern gerne gesehen, wenn man mit seiner Dienerin ins Bett geht?“
Es gab Magier, denen Regin eine Affäre mit ihrer Dienerin zutraute. Aber wahrscheinlich hielten sie das geheim, weil es einen Skandal ausgelöst hätte. Ja, er wollte Flavia, weil man sich mit ihr so unkompliziert vergnügen konnte und er genau das jetzt brauchte. Doch er brauchte auch jemanden, der seine Räumlichkeiten sauber hielt und ihm seine Mahlzeiten brachte. Für beides war Flavia seine bevorzugte Wahl.
„Was ich mit Flavia vorhabe, geht dich nichts an, Vater“, sagte er hart. „Ich werde sie mitnehmen und dann brauchst du mich nicht mehr sehen, wenn du das nicht wünschst.“
Margun musterte ihn abschätzend. „Das wünsche ich.“
Eine halbe Stunde später war Regin zurück in der Gilde. Bevor er gegangen war, hatte er seiner Mutter kurz guten Tag gesagt und ihr einen Kuss auf die Wange gegeben. Drosalia hatte mit einigen Frauen, von denen Regin wusste, dass ihre Männer politische Bande mit seinem Vater unterhielten, im Garten gesessen.
Als er aus der Kutsche stieg, raste sein Puls noch immer. Zugleich verspürte er jedoch ein Gefühl von Befreiung. Indem er seinem Vater die Meinung gesagt und dafür gesorgt hatte, dass dieser ihn nicht mehr sehen wollte, war er der Lösung von dem Fluch seiner Familie ein großes Stück nähergekommen. Und dann würde er Trassia beweisen, dass er nicht wie sein Vater war.
Doch vor allem hatte er Flavia bekommen.
Gleich am nächsten Morgen würde das junge Mädchen in die Dienerquartiere auf dem Gelände der Gilde ziehen. Bis dahin stand Regin noch eine einsame, aber von Vorfreude erfüllte Nacht bevor. Er hatte die richtige Entscheidung getroffen. Und das erfüllte ihn mit einem stillen Hochgefühl.
Sein Hochgefühl hielt genau bis zum Eingang der Magierquartiere, aus dem zwei junge Frauen kamen. Die eine trug ein freizügiges Rüschenkleid, die entblößten Schultern wurden nur von widerspenstigen goldenen Locken bedeckt. Die andere trug eine Robe, deren Grün nicht über den Zorn ihrer eigenen Locken hinwegtäuschen konnte.
Trassia und Luzille.
Einen tiefen Atemzug nehmend straffte Regin sich, darum bemüht, sich seinen inneren Aufruhr nicht anmerken zu lassen. Wo er bei seinem Vater hart geblieben war, drohte nun seine gesamte Entschlossenheit sich in Nichts aufzulösen.
„Guten Tag, die Ladies“, grüßte er.
„Lord Regin“, sagte Luzille säuerlich. Ihre Stimme war so schneidend als wolle sie ihn zu Gorinfutter verarbeiten.
Neben ihr schnappte Trassia leise nach Luft. Für einen kurzen Moment begegneten ihre Blicke einander. Ihre Augen waren gerötet und lagen in dunklen Höhlen. Sie wirkte blass und mitgenommen. Regin hätte zu gern gewusst, ob es seinetwegen war oder weil sie über Luzille von dem Anschlag erfahren hatte. Sie war eine Frau und damit verhielt sie sich oft entgegen dem gesunden Menschenverstand.
Weswegen sie früher oder später einsehen wird, dass ich richtig gehandelt habe …
„Regin“, sagte Trassia leise. „Ich …“
„Was auch immer es ist, was du von mir willst, behalte es für dich“, sagte er schroffer als beabsichtigt. „Das mit uns ist vorbei, es interessiert mich nicht mehr.“
Bevor ihre Augen sich mit Tränen füllen konnten, hatte er sich abgewandt und war in dem Korridor zu seinem Quartier einbogen. Hinter sich konnte er noch Luzille wütendes Zischen hören.
„So ein Idiot! Wenn du mich fragst, dann hat er dich gar nicht verdient, Süße …“
Dann hatte er seine Tür erreicht und schloss Trassia, ihre Freundin, seinen Vater und den Rest der Welt aus.
Regins Atem ging schnell und er spürte, wie ihm das Herz noch immer bis in seinen Hals schlug. Die kurze Begegnung hatte ihn mehr getroffen, als er erwartet hatte. Und auf Grund seiner Reaktion würde Trassia nun glauben, dass er sich nicht geändert hatte.
Du kommst so nach deinem Vater! Und nach deinem Onkel! Ich dachte, du wärst anders … dass du dich geändert hättest.
Bei der Erinnerung ballte Regin seine Fäuste.
Oh, ich werde dir zeigen, wie sehr ich mich geändert habe!
Mit den schmerzhaften Erinnerungen an Marika waren weitere gekommen. Erinnerungen an ihre erste Zeit in der Cachira, an all das, was sie als beschämend oder demütigend empfunden hatte, und an die Ablehnung, mit der ihr einige von Marikas Sklavinnen begegnet waren, weil sie als Bedrohung für ihr Verhältnis zu ihrem Meister empfunden hatten.
Ein Name stach dabei ganz besonders heraus.
Keya.
Die Sklavin, die Sonea wie eine weibliche Version des Regins aus ihrem ersten Jahr an der Universität erschienen war, hatte alles getan, um ihr das Leben im Palast zu einer noch größeren Hölle zu machen, als es dank Marika bereits gewesen war. Einzig die Furcht vor Bestrafung hatte das Mädchen davon abgehalten, handgreiflich zu werden. Keya hatte den Fehler gemacht, sich zu viel auf ihre Position als Marikas Lieblingssklavin einzubilden. Sie hatte es nicht ertragen, als der König anfangen hatte, Sonea zu bevorzugen, und hatte Sonea schließlich zu einem Duell herausgefordert.
Anders als formale Duelle in der Gilde kämpften in Sachaka miteinander um die Gunst ihres Meisters konkurrierende Sklaven gegeneinander. In erster Linie waren diese Kämpfe jedoch eines: grausame Unterhaltung, die häufig mit dem Tod von mindestens einem Kontrahenten endete. Anfangs hatte Sonea nicht begriffen, warum der Gegner getötet werden musste. Um sich nur den Respekt der anderen Sklaven zu sichern, war es eine denkbar brutale Option. Durch das Gespräch mit Takan vor ihrer Abreise begriff sie nun, dass das Prinzip der Erfüllung auch hier eine Rolle spielte. Verlor man die Gunst seines Meisters, so war die Erfüllung verwirkt. Und damit auch das eigene Leben.
Aber Keya hat dieses Prinzip nie gelebt. Sie war selbstsüchtig und dumm. Sie dachte, sie könnte Marika besitzen, dabei hat sie ihm gehört. Sie war keine gute Sklavin.
Die Eifersucht der anderen Sklavin hatte Sonea in die unglückliche Position gebracht, Keya töten zu müssen. Danach hatten die anderen Sklavinnen sie respektiert und genug gefürchtet, um sie in Ruhe zu lassen.
Sonea erinnerte sich, wie entsetzlich sie sich in den Tagen darauf gefühlt hatte. Die Erinnerung daran, wie ihr Schwert in Keyas Leib gefahren war, hatten sie bis in den Schlaf verfolgt. Sie hatte sich selbst dafür gehasst und sich Marika hingegeben, um sich zu bestrafen.
Ich hätte damals sterben sollen, dachte sie. Mein eigenes Leben war längst verwirkt.
Nur wegen Danyara hatte sie überlebt. Sonea wünschte, es wäre wegen Akkarin gewesen.
Je länger Sonea darüber nachdachte, desto mehr wurde ihr bewusst, dass sie alles Negative aus jener Zeit – auch Keya – verdrängt hatte, bis nur noch das Angenehme übriggeblieben war. Allerdings war das ’Angenehme’ auch nur eine Verherrlichung der weniger negativen Aspekte.
Ob das irgendwann dazu geführt hätte, dass ich in Marika meine Erfüllung sehe?, fragte Sonea sich nun. Die Vorstellung ließ sie erschaudern. Sie konnte nicht glauben, dass es darum ging. In den Märchen wurde das immer als romantisch dargestellt und reflektierte ihre eigene Vorstellung dieses Prinzips. Allerdings basierte ihre Vorstellung auf Freiwilligkeit.
Sonea schloss die Augen. Die Hitze erschwerte ihr das Denken. Obwohl auf dem Dünenkamm ein angenehmer Wind ging, hatte sich der Sand aufgeheizt. Die allmählich nach Westen wandernde Sonne verhieß jedoch, dass es in wenigen Stunden erträglicher würde. Noch hatte Sonea weit und breit kein Lebenszeichen entdeckt. Entweder hatte niemand in Yukai überlebt oder sie und Dannyl waren in eine Richtung geflohen, in der man sie nicht vermutete.
Oder die übrigen Überlebenden waren an einen anderen Ort geflohen.
Sie richtete ihren Willen auf den Ring an ihrer Hand. Akkarin war in der Bibliothek seiner Residenz und schrieb seine Gedanken zum aktuellen Stand des Schilddieb-Projekts auf. Augenblicklich wusste sie, dass sich Caria und Takan um Lorlen kümmerten und dass dieser an diesem Tag ungewohnt quengelig war.
Eine leise Enttäuschung verspürend zog Sonea sich zurück.
- Du störst nicht.
Sonea zuckte zusammen. Ein wenig Sand rieselte in ihre Augen und sie fluchte leise.
- Was du da machst, sieht wichtig aus.
- Nicht so wichtig wie das Wohlergehen meiner Frau.
- Es geht mir gut, sandte sie.
- Dich beschäftigt etwas. Sonst hättest du das Blutjuwel nicht benutzt.
Er brauchte ihre Gedanken nicht zu lesen, um sie zu kennen. Obwohl sie sich ertappt fühlte, spürte Sonea, wie ein Lächeln an ihren Mundwinkeln zerrte.
- Was reizt dich daran, mich im Bett zu unterwerfen?
Akkarin schwieg eine lange Weile. Sonea konnte jedoch spüren, dass er über eine passende Antwort nachdachte. Er wusste, sie würde sich nicht damit zufriedengeben, wenn er ihre Frage mit seiner dunklen Seite begründete.
- Mich reizt, dass es mir eine Macht über dich gibt, die über schwarze Magie und Furcht erhaben ist, antwortete er schließlich. Mir gefällt, wie du dich mir hingibst und zu Dingen bereit bist, für die du dich sonst schämen würdest. Mir gefällt, auf eine Weise für dich Verantwortung zu übernehmen, gegen die du dich nicht auflehnst. Mir gefällt, dich zu meinem willigen Spielzeug zu machen. Und mir gefällt, dich nach meinem Willen zu formen.
Für einen Moment wusste Sonea nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte nicht mit so viel Offenheit gerechnet. Da war ein mildes Entsetzen, eine Furcht, die immer da war und sie erkannte, dass seine dunkle Seite diese in ihr auslöste. Aber seine Worte sprachen etwas in ihr an und ihr Puls beschleunigte sich.
- Also willst du meinen Willen nicht brechen, folgerte Sonea.
- Nein. Wo bliebe dann die Herausforderung?, erwiderte er erheitert. Seine Präsenz veränderte sich geringfügig, als er wieder ernst wurde. Es besteht ein Unterschied dazwischen, zu etwas gezwungen zu werden und daran zu zerbrechen oder es freiwillig zu tun. Du kannst keinen Menschen brechen, der sich dir freiwillig unterwirft.
Das machte Sinn, fand Sonea. Und sie begriff.
- Deswegen konntest du nicht mehr mit mir schlafen, sandte sie. Weil du glaubtest, es wäre nicht freiwillig, sondern irgendwie durch Marika bedingt.
- Ja.
- Also ist es nur ein Spiel?
- Nein.
Sie schüttelte verwirrt den Kopf, völlig vergessend, dass er sie nicht sehen konnte.
- Und wieso habe ich es dann immer für ein Spiel gehalten?
- Weil ich wollte, dass du das glaubst. Weil du nicht sehen solltest, was Sachaka aus mir gemacht hat.
Sonea verstand, warum er sie davor beschützen wollte. Aber sie hatte sich bereits auf ihn eingelassen. Es war zu spät, um sie vor ihm zu beschützen. Und das wollte sie auch gar nicht.
- Aber Sachaka hat auch mich verändert, entgegnete sie sich an Marika erinnernd. Für ihn war es kein Spiel gewesen. Akkarin, ich hätte es verstanden.
- Es fällt mir schwer, diese Seite an mir zu verstehen und zu akzeptieren, Sonea. Ich kann nicht ändern, was ich geworden bin. Es treibt mich zu Dingen, die ich niemals tun wollte und nach denen es mir dennoch verlangt. Ich habe mir lange Zeit gewünscht, ich könnte es rückgängig machen.
Seine Erfahrungen unterschieden sich von ihren. In einer Hinsicht waren sie jedoch gleich: Das Erlebte hatte sie verändert und auf eine verdrehte Weise ergänzten sie einander.
- Du würdest mir niemals etwas antun, was ich nicht auch will, nicht wahr?, fragte sie.
- Nicht, wenn ich es kontrollieren kann.
- Und wo ist dann der Unterschied zwischen Spiel und Ernst?
- Wo ist der Unterschied zwischen einer Affäre und einer Ehe?
Sonea brauchte eine Weile, um den Sinn seiner Worte zu begreifen. Dennoch war ihr noch immer nicht klar, warum er so sehr mit seiner dunklen Seite haderte. Wo war das Problem, wenn er gar nicht beabsichtigte, sie zu seiner Befriedigung zu missbrauchen?
- Als ich mir meiner dunklen Seite bewusst wurde, war ich Dakovas Sklave, fuhr er fort als habe er ihre Gedanken gelesen. Ich war fasziniert und abgestoßen von dem, was er mit Isara tat. Nach einer Weile fing es an, mir zu gefallen, und ich hasste mich dafür. Ich habe mich verdorben gefühlt. Takan hat mich ausgelacht und prüde genannt. Erst mit der Zeit begriff ich, dass es auch einen anderen Weg geben kann. Dass es den Charakter eines Spiels haben kann, wenn beide es wollen und die Grenzen des anderen respektieren. Aber angesichts dessen, was ich für dich empfinde – was wir beide füreinander empfinden – ist es immer mehr gewesen.
Und dennoch hatte er Bedenken. Weil er sie nicht verletzen wollte. Weil er glaubte, sie wollte das nur vertiefen, weil Marika etwas in ihr zerbrochen hatte. Und damit hatte er recht gehabt. Wenn auch nur zum Teil. In der Zeit nach Marika hatte Sonea keinen Willen gehabt, keinen Stolz und nur bedingte Scham. Sie hatte vergessen und sich in ihrer dunklen Seite verlieren wollen.
Aber ich habe die Spielregeln nicht beachtet, erkannte sie. Ich habe mich ein zweites Mal in unsere Beziehung gestürzt, ohne nachzudenken und weil ich vergessen wollte. Es war weder ihr noch Akkarin aufgefallen. Sie war sich der Problematik ihres Tuns nicht bewusst gewesen und Akkarin war zu sehr damit beschäftigt gewesen, seine dunkle Seite zu kontrollieren.
Sachaka hatte sie beide verändert, aber es hatte auch etwas hervorgeholt, was schon zuvor da gegeben war. Die Verwüstung, die zwei dunkle Jahre in Sonea getobt hatte, war jedoch verschwunden. Was übriggeblieben war, war der tiefe Wunsch, diesen Weg weiterzugehen und ihre Beziehung auf eine noch intensivere Ebene zu bringen.
- Wie kann es mehr sein, wenn du gewisse Dinge ablehnst?, fragte sie.
- Weil … Sonea, warum willst du das wissen?
- Weil ich mir über etwas klarwerden muss.
Akkarin schwieg und Sonea nahm an, der suchte nach Worten, um ihr das Konzept zu erklären.
- Ein Spiel hat den Charakter eines kurzweiligen Zeitvertreibs, antwortete er schließlich. Das, was ich mir wünsche, wonach ich strebe, wäre eine dauerhafte Situation, allerdings mit einem an die Situation angepassten Machtverhältnis. Es gibt Situationen, in der wir einander auf Augenhöhe begegnen müssen, sofern man dem Hohen Lord überhaupt auf Augenhöhe begegnen kann.
Sonea erschauderte. Was er wollte, erinnerte sie an sein Verhältnis zu Takan. Auch dieser hatte sich freiwillig in eine solche Bezeihung begeben, nur dass er und nicht Akkarin darauf bestanden hatte. Wie kam es, dass Akkarin diesen Wunsch in den Menschen, die ihm nahestanden, auslöste?
- Wie kommt es, dass du danach strebst?, wollte sie wissen. Hätten deine Erlebnisse in Sachaka nicht auch das Gegenteil bewirken können?
- Das hätte es. Doch ich war schon immer mehr der Anführer, als dass ich mich habe führen lassen. Aber ich hätte mir nie träumen lassen, dass es sich auch auf diese Weise manifestiert.
- Warum warst du bei Takan dagegen?
- Das mit Takan ist etwas anderes. Es ist … kompliziert. Das mit dir hingegen ist eine Vorliebe. Ich bezweifle jedoch, dass ich das nach meiner Rückkehr gewollt hätte. So wie ich nicht wollte, dass Takan sich mir unterwirft.
- Glaubst du, es wäre irgendwann dazu gekommen, wärst du Dakova nicht begegnet?, fragte sie.
- Ich bezweifle es. Ich war naiv, Sonea. Inzwischen frage ich mich sogar, ob ich jemals zufrieden gewesen wäre. So sehr ich mit mir hadern mag, so sehr glaube ich, dass mir früher etwas gefehlt hat. Auch wenn ich es lieber gesehen hätte, hätte ich diese Seite an mir auf anderem Wege entdeckt.
Dann hatte ich Glück, dass du mir geholfen hast, meine dunkle Seite zu entdecken, dachte Sonea. Sie hätte nie gewusst, was ihr entgangen wäre. Doch sie fand auch, es hätte dabei bleiben sollen. Mit der Zeit wären sie weiter und weiter gegangen, weil sie beide mehr gewollt hätten. Marika hatte all das zerstört, indem er ihren Horizont auf brutale Weise erweitert hatte, und jetzt mussten sie und Akkarin mit den Folgen leben. So sollte es nicht sein.
- Wäre es nach mir gegangen, so hätte ich dir diese Erlebnisse erspart, sandte Akkarin. Es genügt, wenn einer von uns beiden das erleben musste. Ich habe lange gebraucht, um meine dunkle Seite zu kontrollieren. Was ich in Marikas Gedanken gesehen habe und wie du dich durch ihn verändert hast, stellt diese Kontrolle auf eine harte Probe.
- Das tut mir leid, sandte Sonea. Und danke für deine Offenheit.
Akkarin sandte ihr etwas, die einem mentalen Schulterzucken gleichkam.
- Ich halte es für wichtig, dieses Thema mit dir zu diskutieren. Ich habe dir immer nur erzählt, was du wissen brauchst, weil ich zu sehr gefürchtet habe, dass du dich von mir distanzierst, wenn du zu viel über meine dunkle Seite erfährst. Doch die letzten beiden Monate haben mir gezeigt, dass ich meine Prinzipien überdenken muss.
Irgendwie war es zu einem essentiellen Bestandteil ihrer Beziehung geworden. Und Sonea begriff, dass es zu viel mit ihren Persönlichkeiten zu tun hatte, als dass sie es ignorieren durften. Von ihnen hing ab, was sie daraus machten. Lange Zeit hatte Sonea geglaubt, es wäre einzig Akkarins Verantwortung, weil er in allem die Führung übernahm. Jetzt erkannte sie jedoch, dass sie ebenso einen Anteil daran hatte. Aber das konnte nur funktionieren, wenn sie ihre eigenen Motive hinterfragte. Akkarin erwartete von ihr, ihm wenn nötig seine Grenzen aufzuzeigen. Und damit unterschieden sie sich von Männern wie Marika und Dakova und ihren Sklavinnen.
Das Heimweh wurde übermächtig und Sonea griff nach ihrer Magie, um das Gefühl zu dämpfen. Sie war weit fort von zuhause, ohne Nahrung und mit zu wenig magischen Reserven. Sie wusste nicht, ob sie es überhaupt bis zur Grenze von Elyne schafften.
- Wie hat eigentlich die Gilde auf das Scheitern der Konferenz reagiert?, wechselte sie das Thema. Waren sie sehr außer sich?
- Ja. Ganz besonders Rothen.
Armer Rothen, dachte Sonea. Jedes Mal, wenn sie oder Dannyl die Verbündeten Länder verließen, war er krank vor Sorge. Und jedes Mal waren sie berechtigt.
- Kannst du ihm bitte ausrichten, dass Dannyl und ich wohlauf sind?
- Selbstverständlich. Auch wenn ich befürchte, dass er dann wieder anfängt, mich mit Fragen zu penetrieren.
Sonea verkniff sich ein Lächeln. Nachdem Rothen gemerkt hatte, dass Akkarin nicht gewillt war, ihm täglich Bericht über Soneas und Dannyls Alltag in Yukai zu erstatten, hatte er begonnen, Akkarin unter belanglosen Vorwänden aufzusuchen, was dieser natürlich sofort durchschaut hatte. So wie Sonea ihren Ziehvater kannte, musste ihn das rasend machen. Und auch wenn sie verstand, warum Akkarin sich nicht darauf einließ, tat Rothen ihr leid.
- Gibt es noch etwas, das ich wissen wollte?, fragte sie.
- Die Gilde hat auf meinen Vorschlag, sich mit den Feinden – sprich Kachiro – zu verbünden, mit Entsetzen reagiert. Erheitert fuhr er fort: Tatsächlich bezweifle ich jedoch, dass Ishaka und die Verräter gemeinsame Sache machen. Dann hätte es während der Konferenz deutlichere Anzeichen gegeben. Ein Bündnis mit Ishaka wäre angesichts der Situation realistischer, wenn auch dies auf Widerstand stoßen wird. Doch dazu müssten wir in Erfahrung bringen, ob er überlebt hat.
Das klang nach einer guten Option. Von allen Delegierten stimmte Ishaka am meisten mit den Forderungen der Gilde überein. Zumindest, sofern er die Wahrheit gesprochen hatte. Wirklich vertrauen konnten sie niemanden mehr.
- Und wie verfährst du wegen Savedra?, fragte sie weiter. Wirst du ihr verheimlichen, was passiert ist?
- Nein. Es gibt zu viele Wege, auf denen Savedra von der Zerstörung des Tempels erfahren kann. Jedoch gedenke ich ihr zu verschweigen, dass wir die Wahrheit über den Anschlag kennen.
- Ist das denn möglich?, fragte Sonea. Es ist ihr Blutjuwel.
Sie konnte seine Erheiterung spüren.
- Ich habe ein kleines schwarzmagisches Artefakt hergestellt, was verhindert, dass sie zu viel erfährt.
- Sei trotzdem vorsichtig, sandte sie. Wer weiß, was geschieht, wenn sie erfährt, dass wir wissen, was sie getan hat.
- Das werde ich. Diese Sache erfordert eine sehr behutsame Vorgehensweise. Die Konsequenzen, die andernfalls entstehen würden, wären verhängnisvoll.
Das glaubte Sonea auch, ohne viel Ahnung von Politik zu haben. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass die vergangene Nacht wirklich geschehen war. Doch vielleicht waren sie auch nur Opfer einer äußerst geschickten Intrige geworden, die dem Zweck galt, die Gilde von ihren Verbündeten zu trennen.
Nachdem Divako und Sarkaro den Tempel verlassen hatten, hatte Asara sich hinter dem Trümmerhaufen, den sie als Versteck gewählt hatte, hervorgewagt und hatte ihre beiden Schwestern geweckt. Jetzt saßen sie mit teils grantiger und teils verstörter Miene in einem Quartier auf dem Boden des Felsenkessels, das von einem der Ichani bewohnt gewesen war. Von allen auf dieser Ebene hatte es unter dem Kampf am wenigsten gelitten.
„Ich kann es nicht glauben“, murmelte Nirili tonlos. „Mein ganzes Leben habe ich zu Zalava aufgesehen. Wir waren zwar keine Krippenschwestern, aber ich habe sie sehr bewundert. Sie hatte so etwas Rechtschaffenes.“
„Nur, dass Rechtschaffenheit sich auch zum Negativen wenden kann“, sagte Ivara trocken. Sie hob den Kopf und begegnete Asaras Augen. „So schonungslos wie ich mit meinen Feinden umgehe, kann ich mir dennoch vorstellen, wie furchtbar es für dich gewesen sein muss, sie zu töten.“
„Das war es.“ Asara versuchte, die Erinnerungen zu verdrängen und scheiterte. Sie würde nie das Gefühl vergessen, als sie sich über den Körper ihrer Schwester gebeugt und ihre letzte Magie genommen hatte. Von dem Gefühl, das Richtige getan zu haben, war nichts als Grauen übriggeblieben.
Die Betroffenheit ihrer beiden Schwestern gab ihr neuen Mut. Sie hatten nichts von dieser Verschwörung gewusst. Damit musste sie das, was es jetzt zu tun galt, nicht alleine tun.
„Ich verstehe nicht, wie Savedra das tun konnte“, flüsterte Nirili. „Wie korrumpiert muss sie sein, dass sie ihre eigenen Töchter tötet? Wäre es nur um eine Kollaboration mit den Rebellen gegangen, hätte sie das anders erledigen können. Belara hatte doch gar nichts damit zu tun!“
„Belara musste sterben, weil sie etwas gewusst hat“, sagte Asara ruhig. „Ich nehme an, bei ihren Schwestern war es ähnlich.“ Sie nickte wie zu sich selbst. „Dass sie noch freundschaftlichen Kontakt zu den Rebellen hatten, kam ihr dabei wahrscheinlich gelegen.“
„Das würde erklären, warum Belara dabei war, wenn sie sich von den Rebellen schon vor Monaten distanziert hat“, sagte Ivara. Nirili zuckte zusammen, doch Ivara fuhr fort. „Sie haben irgendwie die Wahrheit herausgefunden, doch Savedra hat davon erfahren und einen effizienten Weg gesucht, um sie loszuwerden und ihren Ziel zugleich ein Stück näherzukommen.“
„Und um es so aussehen zu lassen, als traue sie weder den anderen Parteien noch den Rebellen, mit denen einige unserer Schwestern in Kontakt stehen, hat sie uns zum Verhandeln nach Yukai geschickt“, fügte Asara hinzu.
„Und natürlich hat sie dafür gesorgt, dass wir nicht nur Vertreter unserer Regionen sind, sondern Bewunderer von Dannyl und Sonea, um für sie umzukehren“, sagte Ivara.
„Das klingt, als würde sie einen sehr bösen Plan verfolgen“, sagte Nirili, die ganz blass geworden war.
„Allerdings“, stimmte Ivara unheilvoll zu. „Ich wette meine Quellen, dass sie niemals Frieden wollte. Auch wenn mir nicht ganz klar ist, wie der Dolch in dieses Mosaik passt.“
Ihr wolltet doch immer wissen, woher der Dolch kam …
Asara zuckte zusammen. „Ich weiß, woher sie ihn hat!“
Ihre beiden Schwestern starrten sie an.
„Von Takedo.“ Asara machte eine bedeutungsvolle Pause. Das jähe Triumphgefühl fühlte sich absurd an. „Und dieser hat ihn Gochara genommen, als er und Miriko sich bei ihm eingenistet hatten. Mir sind die genauen Umstände nicht klar, aber es kam wohl zum Streit zwischen den Ichani und ihrem unfreiwilligen Gastgeber.“
„Und woher weißt du das?“, fragte Nirili.
„Gochara hat er mir gesagt, bevor er starb.“ Und um seinen Statusverlust zu vertuschen, hatte er das Cravas in einen anderen Dolch eingraviert. „Aber wir sollten Savedra nicht wissen lassen, dass wir bescheid wissen“, fügte Asara hinzu. „Habt ihr noch eure Blutjuwelen?“
Ihre beiden Schwestern nickten.
„Gut. Eine von euch muss Savedra berichten, dass die Situation eskaliert ist und ich tot bin. Tut so, als wüsstet ihr nichts von dem Anschlag oder als würdet ihr es nicht glauben und fragt sie, nach ihren Befehlen.“
„Um diese dann zu missachten“, folgerte Ivara finster.
Ein humorloses Lächeln zerrte an Asaras Mundwinkeln. „Ihr habt gehört, was ich Euch über Divako und Arikhai berichtet habe. Wenn Savedras Plan die ganze Zeit über darin bestand, die Konferenz zum Scheitern zu bringen, ist es an uns, zu retten, was noch zu retten ist.“
„Das kann ich übernehmen“, erbot sich Ivara.
„Aber sei vorsichtig“, warnte Asara. „Tue nichts, was ihr Misstrauen erweckt.“
„Ich habe einen Geheimniswahrer. Und ich kann ziemlich gut schauspielern.“
„Ich traue mir das trotz Geheimniswahrers nicht zu“, sagte Nirili.
Asara winkte ab. „Soll Savedra doch denken, Ivara hätte als Einzige von uns überlebt.“
Asara griff in ihre Hosentasche und zog ein zusammengewickeltes Stück Stoff heraus. „Ich habe Zalavas Blutjuwel gefunden“, sagte sie. All die vergangenen Wochen hatte sie sich geärgert, weil ihr Blutjuwel in Arvice geblieben war, und jetzt hatte sie eines und die Vorstellung, es zu benutzen, erregte in ihr eine große Übelkeit. „Ich denke, ich sollte es zerstören.“
„Nicht“, sagte Nirili. „Was, wenn es dir noch einmal nützlich wird?“
„Savedra soll sie für tot halten“, warf Ivara ein. „Wieso sollte es das?“
„Weil …“, begann Nirili und brach ab, als Asara die Luft einsog.
„Im richtigen Augenblick eingesetzt könnte es tatsächlich von Nutzen sein“, sagte sie und verstaute das Tuch mitsamt dem kleinen roten Stein in ihrer Hosentasche.
„Ich frage mich, wie unsere Schwestern in der Zuflucht reagieren, wenn sie die Wahrheit erfahren“, sagte Nirili.
„Eine gute Frage“, stimmte Ivara zu. „Ich nehme an, wir lassen für den Augenblick im Unklaren?“
„Ja.“ Asara stieß sich von der Wand ab, an der sie gelehnt hatte, und begann in dem kleinen Raum auf und ab zu schreiten. „Ich bezweifle jedoch, dass die anderen allesamt hinter ihr stehen. Was auch immer Savedra plant, Belara und die anderen von der Eskorte haben es irgendwie herausgefunden, und mussten deswegen sterben. Savedra hätte diese Heimlichtuerei nicht nötig, würde sie ehrenhaft handeln.“
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Nirili.
Asara seufzte. „Das einzig Richtige tun und unseren schlechten Ruf noch schlechter machen. Und wir müssen Dannyl und Sonea finden.“
„Und es wäre ja nicht auszudenken, wenn Ishaka sich dagegen entscheidet, uns in der Politik mitwirken zu lassen“, murmelte Ivara ironisch.
„Sofern Ishaka überhaupt noch die Macht hat, etwas zu bewirken“, entgegnete Nirili.
„Wenn seine Anhänger von dem Vorfall in Yukai erfahren, werden sie wahrscheinlich aktiv“, sagte Asara. „In jedem Fall wäre er gegenüber Kachiro das kleinere Übel.“ Sie erschauderte, als ihr der Sinn ihrer Worte bewusst wurde. Die Konferenz war verloren, aber die Enrasa-Karten waren neu gemischt worden. Dieser Krieg war noch lange nicht vorbei.
Nirili stand auf. „Worauf warten wir dann noch? Packen wir unsere Sachen und machen uns auf den Weg, die beiden Gildenmagier zu suchen.“
„Ja“, sagte Asara. „Es wird Zeit.“
Sie brauchten eine Weile, um die Überreste ihrer Habseligkeiten in den Trümmern zu finden. In jeder anderen Situation hätte Asara sich levitiert, doch sie wollte die wenige Magie, die sie zur Verfügung hatte, nicht für etwas so Unnötiges verbrauchen. Sie konnte sich nicht entsinnen, wann sie sich zuletzt so schwach und verwundbar gefühlt hatte. Die Jahre vor ihrer Initialisierung hatte sie in der Sicherheit der Zuflucht verbracht. Später hatte sie trotz zahlreicher Einsätze immer Quellen zur Verfügung gehabt, um sich zu stärken.
Als sie das Herz des Tempels durchquerten, sog Nirili scharf die Luft ein. „Nicht einmal hier haben sie sich zurückgehalten“, hauchte sie. „Und der Kristall ist fort.“
„Der Kristall?“ Asara ließ ihren Blick durch die Verwüstung wandern. „Das kann nicht sein. Als ich Arikhai und Divako belauscht habe ich ihn noch …“ Sie hielt inne. Der Sockel, auf dem der Kristall all die Wochen über gestanden hatte, war leer.
„Er ist sicher letzte Nacht zerstört worden“, sagte Ivara ungeduldig. „Kommt jetzt.“
Und dann dämmerte ihr die Erkenntnis. Der Kristall war nicht umsonst als das Herz des Tempels bezeichnet worden. Er war das Heiligtum.
Was haben wir getan?
Die Schlucht war in tiefe Schatten getaucht, als sie den Tempel verließen und zu den Ställen gingen. Hier war die Verwüstung weniger groß, doch Asara erblickte auch hier und da
Tote. Die Vallook werden sich freuen, dachte sie.
„Warum sind sie einfach abgezogen ohne sich zu vergewissern, dass wir tot sind?“, fragte Nirili.
„Weil sie nicht davon ausgehen, dass wir in dieser Wüste lange überleben, besonders …“, Asara hielt inne und ihre Worte blieben ihr im Hals stecken, „... wenn sie keine Pferde zurückgelassen haben.“
„Wundervoll“, sagte Ivara grantig. „Und wie sollen wir dann von hier fortkommen? Ohne Pferde werden unsere Wasservorräte aufgebraucht sein, lange bevor wir wieder Wasser finden.“
„Oh, ich will nicht hier sterben!“, rief Nirili.
Asara warf einen Blick in die Schlucht. „Wir werden bei Nacht reisen“, entschied sie. „Wenn wir jeden Abend bei Einbruch der Dämmerung aufbrechen und wandern, bis die Sonne aufgeht, können wir es schaffen. Die Tiefbrunnen kann man in einem strammen Tagesmarsch erreichen, sofern man sich nicht verläuft.“
„Und wo sollen wir tagsüber Schutz suchen?“
„Nicht ganz Duna besteht nur aus Sandhügeln. Wir werden an geschützten Stellen lagern, wenn wir sie finden. Für alle anderen Fälle habe ich von Arikhai einige Tricks erfahren, wie man Schutz finden kann, wenn weit und breit nichts als Dünen sind.“
„Das klingt nach einem Plan“, murmelte Ivara. „Also brechen wir auf.“
Asara nickte. „Lasst hier, was ihr nicht unbedingt braucht. Wasser und Nahrungsmittel sollte Vorrang haben. Nehmt von euren persönlichen Dingen nur mit, wovon ihr euch nicht trennen könnt.“
Die Nacht zog rasch herauf, während sie durch die Schlucht gingen. Von dem Zeltdorf der Duna waren nur die Feuerstellen übriggeblieben. Ihre Sinne ausstreckend erkannte Asara, dass die Umgebung frei von fremden Präsenzen war. Das war beruhigend. Sie hatten kaum ihr natürliches Potential wiedererlangt. Einem wütenden Duna in die Arme zu laufen hätte ihren Tod bedeutet. Auch Ivara wusste das. Denn ihre Sprüche darüber, den Duna zu verführen, damit er sie verschonte, blieben dieses Mal aus.
In der Schlucht waren sie vor Blicken geschützt und der Weg war gut begehbar und so gab Asara ein schnelles Tempo vor. Ihrem Zeitgefühl nach zu urteilen, war es Mitternacht, als sie den Ausgang der Schlucht erreichten.
Von dort aus wandte Asara sich nach Süden. Irgendwo dort waren die Menschen, die sie um jeden Preis vor den Duna erreichen mussten. Um sicherzugehen, dass niemand sie verfolgen konnte, verwischten sie ihre Spuren mit der wenigen Magie, die sie hatten.
„Und wie sollen wir die Gildenmagier in dieser Wüste finden?“, fragte Nirili, während sie den Hang einer weiteren Düne erklommen. Asara hatte aufgehört zu zählen, wie viele sie bereits passiert hatten. „Süden ist keine allzu genaue Angabe und Spuren sind nach einem Tag im Sand nur schwer zu finden.“
„Sie werden den Weg nehmen, den wir gekommen sind“, sagte Asara. „Sie wissen, dass sie sich andernfalls verlaufen.“
„Und wenn sie sich schon verlaufen haben?“, fragte Ivara. „So sehr ich die beiden Gildenmagier mag, bin ich nicht gerade scharf darauf, bei der Suche nach ihnen in dieser verdammten Wüste zu sterben.“
„Wir brauchen Dannyl, also werden wir ihn suchen“, entschied Asara. „Ohne ihn sind wir sowieso verloren.“
„Ich will auch nicht hier sterben. Aber das kann uns auch passieren, wenn wir sie finden oder ein paar Duna begegnen“, sagte Nirili. „Die größten Chancen haben wir, wenn wir zusammenbleiben.“
„Das denke ich auch“, sagte Asara. „Also kommt weiter.“
Insgeheim war sie jedoch nicht allzu zuversichtlich, dass sie Dannyl und Sonea finden würden. Sobald es hell wurde, würde es ihnen leichter fallen, die Spuren anderer Reisender zu lesen. In der Dunkelheit wagte Asara es jedoch nicht, eine Lichtkugel zu erschaffen. Auf den Dünenkämmen würden sie von weitem zu sehen sein, aber damit sanken ihre Chancen, diese Wüste lebend zu verlassen.
Ihr Herz schlug viel zu schnell, ihre Beine protestierten von dem stundenlangen Stapfen durch den Sand und sie war völlig außer Atem, als sie den Kamm der Düne erreichten. Erschöpft ließ Asara sich in den Sand sinken. Ihre beiden Schwestern taten es ihr gleich.
„So werden wir nicht weit kommen“, murmelte Ivara und sprach damit aus, was Asara dachte. „Wir sind diese Umgebung nicht gewohnt. Wir …“
Sie brach ab, als Nirili sie anstieß. „Seht mal, da unten bewegt sich etwas“, wisperte sie.
Asaras Herz setzte einen Schlag aus. Angestrengt spähte sie in das in Schatten getauchte Dünental, das sich vor ihnen ausbreitete. Dort waren mehrere schwarze Schemen zu erkennen. Einer davon bewegte sich. Dann hätte sie beinahe laut aufgelacht. „Pferde“, sagte sie. „Es sind fünf.“
„Dann sind ihre Besitzer nicht weit“, überlegte Ivara. „Wir könnten sie stehlen, bevor sie zurückkommen.“
„Weit und breit ist niemand außer uns“, flüsterte Nirili. „Das hätte ich gespürt.“
Es gab nur eine Möglichkeit, wie Pferde dorthin gekommen waren. Die Duna hatten alle Pferde aus dem Stall getrieben, damit mögliche Überlebende nicht weit kamen. Aber sie hatten nicht alle Tiere mitnehmen können. Wahrscheinlich hatten sie einige geschlachtet und den Rest vertrieben. Von neuem Tatendrang erfüllt, kam Asara auf die Beine. „Dann los, holen wir uns die Pferde.“
Die Pferde scheuten nicht. Es waren nicht gerade die besten, aber das kam nicht überraschend. „Jede von euch nimmt zwei Pferde“, sagte sie einer plötzlichen Eingebung folgend. „Reitet sie abwechselnd und wenn sie nicht mehr können, esst sie.“
„Und was ist mit dir?“, fragte Nirili.
„Ich werde nicht mit euch kommen.“ Asara umarmte ihre Schwestern und küsste sie auf beide Wangen. Dann erklärte sie ihnen, was sie zu tun hatten.
„Kommst du denn nicht mit uns?“
Asara schüttelte den Kopf. „Ich habe da noch etwas anderes zu erledigen.“ Sie lächelte schief. „Damit das Gerücht um uns und Ishaka nicht länger ein Gerücht bleibt. Passt auf euch auf und viel Glück.“ Mit diesen Worten schwang sie sich auf den Rücken ihres Pferdes und verließ das Dünental.
Dannyl erwachte davon, dass er bis auf die Knochen fror. Für einen langen Moment war er verwirrt. Sollte er nicht in seinem Quartier im Tempel liegen und unter der Hitze leiden, die aus der Luft im Felsenkessel durch die Fensterschlitze sickerte? Und wieso lag er stattdessen im Wüstensand? Dann brachen die Ereignisse der letzten Nacht wie ein Sandsturm über ihn herein, und er fuhr hoch.
„Uhh!“
„Hallo, Dannyl“, erklang eine vertraute Stimme. „Wie geht es dir?“
Gegen den Schwindel ankämpfend nahm Dannyl ein paar tiefe Atemzüge. Sonea saß mehrere Schritt von ihm entfernt im Sand, die Beine gekreuzt. Von ihrem Gesicht war im blassen Licht der Sterne nicht viel zu sehen.
„Aufgeräumt“, antwortete er. „Schon fast zu ruhig.“ Er runzelte die Stirn. Nach der vergangenen Nacht fühlte sich das nicht richtig an. Zugleich spürte er jedoch instinktiv, dass es davor auch nicht richtig gewesen war. „Wie lange habe ich geschlafen?“
„Den ganzen Tag.“
Das war nicht gut. Seine magischen Reserven überprüfend stellte er fest, dass er seine Magie noch nicht vollständig regeneriert hatte. Nach ihrer überstürzten Flucht und ohne Nahrung und Wasser wunderte ihn das jedoch nicht.
„Werden wir verfolgt?“
„Bis jetzt nicht. Wir sollten die Dunkelheit nutzen, um weiterzuziehen. Aber vorher sollten wir so viel Wasser trinken, wie wir können. Ich weiß nicht, wann wir unterwegs wieder etwas finden werden, unser Weg führt uns fernab aller Reiserouten. Die Trinkschläuche, die bei den Pferden waren, werden nicht ewig reichen.“
Dannyl nickte. Seine Kehle war wie ausgedörrt und er begann die Wüste zu verfluchen. „Haben wir wenigstens etwas zu essen?“
Die kleine schwarze Magierin neigte den Kopf zur Seite. Das, was Dannyl von ihren dunklen Augen sehen konnte, schien ihn nachdenklich zu mustern. „Ich habe nichts Essbares gefunden.“
Und in dem Versuch, ihr Leben zu retten, hatten sie keine Gelegenheit gehabt, Proviant mitzunehmen. Zu einer Umkehr war es zu spät. Die Aussicht, stattdessen in der Wüste zu sterben, was indes nicht weniger verlockend. Mit Magie konnte man seine Körperfunktionen beeinflussen, um länger ohne Nahrung und Wasser zu überleben, als ein Nichtmagier. In einer Wüste verschaffte ihnen das jedoch weniger Zeit als Dannyl gutheißen konnte.
„Tut mir leid, falls ich dir letzte Nacht einen Schrecken eingejagt habe“, sagte er mit einem schiefen Lächeln.
„Dannyl, das hast du nicht“, sagte Sonea sanft. „Jeder darf auch mal schwach sein. An deiner Stelle wäre es mir nicht anders ergangen.“
Aber sie hatte viel entsetzlichere Dinge durchlebt als er. Dannyl spürte die Erwartungen der Gilde, aber auch die der anderen Parteien, wie eine schwere Last auf seinen Schultern, die ihm die Luft zum Atmen nahm. Sein Scheitern würde dazu führen, dass der Krieg so bald kein Ende fand. Vielleicht war er sogar das Ende der Gilde.
Du bist eine Enttäuschung …
„Mach dir keine Vorwürfe“, sagte Sonea als habe sie seine Gedanken gelesen.
Er zuckte zusammen. „Wie kommst du darauf, dass ich mir Vorwürfe mache?“, fragte er unschuldig.
„Wir sind seit zwei Monaten beinahe Tag und Nacht zusammen. Das ist genug Zeit, um einen anderen Menschen kennenzulernen.“
„Das ist es“, stimmte er sich zu einem Lächeln zwingend zu.
„Dannyl, rede mit mir“, sagte Sonea. „Wir sind Freunde. Und wir sind aufeinander angewiesen. Ich wünsche, dass du dich mir mitteilst, bevor du es in dich hineinfrisst. Denn ich weiß, dass du besonders bei Problemen zu Verschlossenheit neigst. Aber das ist nicht gesund.“
Sie kennt mich besser, als gut für uns beide ist, fuhr es ihm durch den Kopf. Aber dafür war es zu spät, seit er erkannt hatte, dass er keine bessere Freundin hätte finden können.
„Wenn wir wieder unterwegs sind“, entschied er.
Sie betrachtete ihn zweifelnd.
„Bis ich mit meiner Geschichte fertig bin, ist es Morgen.“
Sie hob eine Augenbraue. „Ich werde dich daran erinnern, sobald wir unterwegs sind.“
„Ich gedenke keine Ausflüchte zu machen, Sonea“, sagte Dannyl. Und er wusste, sie würde dafür sorgen, dass er bei dem Versuch keinen Erfolg hatte. „So bin ich nicht. Ich will nur wie du einfach nach Hause. Ich bin es so leid, Sonea.“
Sie seufzte leise. „Ich auch, Dannyl.“
Nachdem sie an der Tränke ihren Durst gestillt hatten und Dannyl seiner Begleiterin seine spärlich regenerierte Magie gegeben hatte, banden sie die Pferde los uns und ritten gen Westen. Außerhalb der Oase schien die Luft noch kälter und alsbald begann Dannyl vor Kälte zu zittern. Anders als auf dem Hinweg hatten sie weder Decken noch ihre Reisemäntel. Als Magier hätte er nichts davon gebraucht, um sich warmzuhalten. Aber er musste seine Magie für Sonea aufheben. Sie war seine einzige Hoffnung, wieder nach Hause zu kommen.
Während fügten sich die Informationen, auf die Dannyl sich lange keinen Reim hatte machen können, in seinem Kopf zu einem Gesamtbild zusammen. Einiges war schmerzhaft und verstörend, anderes traurig, doch dazwischen erkannte er auch eine Wahrheit, die ihn zutiefst entsetzte.
„Es war Savedra“, sagte er in die Stille, die nur von dem leisen Geräusch, das die Hufe ihrer Pferde im Wüstensand hinterließen, unterbrochen wurde. „Es war die ganze Zeit Savedra.“
„Ja“, sagte Sonea nur. „Es tut mir leid, Dannyl. Ich weiß, du hast sie sehr geschätzt.“
„Ich habe ihr vertraut.“
Wortlos streckte sie eine Hand aus und berührte seinen Arm. Aber es gab nichts, was sie ihm hätte sagen können. Er hatte geglaubt, Krieg und Macht würden die Anführerin dieses rechtschaffenen Volkes nicht korrumpieren. Und doch war es geschehen. Savedra hatte nicht gezögert, ihre Eskorte für welches Ziel auch immer hinzurichten. Damit hatte sie sein und Soneas Leben leichtfertig riskiert, um ihre Tat auf die anderen Teilnehmer der Konferenz zu schieben.
„Habe ich einen Fehler gemacht, Sonea?“, fragte er.
„Weil du ihr vertraut hast?“
Er nickte.
„Wir mussten das Bündnis mit den Verrätern eingehen. Ohne sie hätten wir diesen Krieg schon längst verloren und wären entweder tot oder Sklaven.“
Dem konnte Dannyl nur zustimmen. Aber hätte er sich auch so bemüht, hätte er gewusst, dass sie eines Tages sein Leben mutwillig in Gefahr bringen würde? „Ich kann einfach nicht begreifen, wie ich das nicht sehen konnte. Für gewöhnlich täuscht mich meine Menschenkenntnis nicht.“
„Du konntest nicht wissen, dass sie so skrupellos ist, wenn es dafür nie Anzeichen gab“, sagte Sonea. „Manche Menschen verbergen ihre wahren Absichten sehr gut. Und wer weiß, vielleicht hat der Krieg diesen Sinneswandel erst bewirkt. Vielleicht hat sie keinen anderen Weg gesehen?“
An seine Begegnungen mit der großen Mutter zurückdenkend hatte Dannyl sie stets als ausgeglichene Person, die ihre Entscheidungen niemals unbedacht traf, kennengelernt. Das hier passte nicht zu Savedra, aber vielleicht hatte Sonea recht und der Krieg hatte sie verändert.
„Aber warum dann der Konferenz zustimmen und mich als Vermittler wollen?“, fragte er. „Durch den Anschlag hat sie dafür gesorgt, dass die Konferenz zum Scheitern verurteilt war, bevor sie überhaupt begonnen hat.“
„Ich weiß es nicht, Dannyl.“
Das alles ergab keinen Sinn. Dannyl ahnte – nein wusste – dass sich ein entscheidendes Detail, um das Mosaik zu vervollständigen, seiner Kenntnis entzog. Warum sollte Savedra ihre Leute töten und den Verdacht auf die anderen Parteien lenken, um die Konferenz zu sabotieren? Was hatte sie davon, wenn sie Frieden wollte? Machte es die Situation nicht noch komplizierter, wenn Sachaka auch ohne ihr Zutun kurz vor einem zweiten Bürgerkrieg stand?
Dann setzte sein Herz einen Schlag aus.
„Ich glaube, ich weiß, was sie vorhat.“
„Was?“, fragte Sonea atemlos.
„Die Macht über Sachaka an sich zu reißen.“
Neben ihm sog Sonea scharf die Luft ein. „Und es fällt niemandem auf, weil alle zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind.“
„Exakt.“ Und es würde Sachaka ebenso wenig guttun, wie Kachiro. Denn eine Herrschaft militanter Magierinnen würde Sachaka in ein Land von Herrinnen und Sklaven verwandeln, sofern sie die Ashaki überhaupt leben ließen.
„Wenn das stimmt, dann müssen die anderen Parteien davon erfahren“, sagte Dannyl. „Aber ich muss zuerst einen Weg finden, sie wieder zusammenzubringen.“
Sonea betrachtete ihn lächelnd. „Da ist der Dannyl, den ich kenne.“
Obwohl sie das sagte, als spiele sie mit einem Kind Verstecken, musste er unwillkürlich grinsen. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren.
In einem mörderischen Tempo trieb Asara ihr Pferd durch die nächtliche Wüste. Sie wusste, wohin sie wollte, und sie musste vor Divako dort sein. Ihre Schwestern waren unterwegs zu anderen Orten, um die Aufgaben zu erledigen, mit denen Asara sie betraut hatte. Hätte ich das vorausgesehen, hätte ich darauf bestanden, dass wir uns Blutjuwelen machen, dachte sie. Der Fund der Pferde hatte ihr jedoch ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Möglichkeiten, die kriegsentscheidend sein konnten.
Trotz ihres Umhangs und des Schals vor ihrem Gesicht fror Asara bis auf die Knochen. Um Magie zu sparen, verzichtete sie auf einen wärmenden Schild. Insgeheim wusste sie jedoch, dass ihre Magie kaum ausreichen würde, sollte sie auf Divako oder die Rebellen treffen. Sie wusste, dass Lenyaka und einige andere ihrer ehemaligen Schwestern überlebt hatten.
Mit meinem natürlichen Potential kann ich mich allenfalls mit einem Gildenmagier messen, dachte Asara ein Schnauben unterdrückend.
Die Nachtluft belebte ihre Sinne und beruhigte das Chaos ihrer Gedanken. Allmählich war Asara wieder fähig, über das Massaker im Tempel hinauszudenken. So viel war zu tun und so viel war ungewiss und sie wusste nicht einmal, ob sie das Richtige tat. Und sie war auf sich gestellt und hatte niemandem, dem sie ihre Gedanken …
Asaras Herz machte einen Sprung. Was seit dem vergangenen Abend geschehen war, der Tod ihrer Schwestern, Zalavas Magie zu nehmen und Savedras Verrat – all das hatte alles andere in den Hintergrund gedrängt. Obwohl sie wusste, dass es natürlich war, sich in einer kritischen Situation auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, fühlte sie sich schuldig.
- Vikacha!
Die Antwort ließ einige Augenblicke auf sich warten.
- Asara?, sandte er zusammen mit einer Woge von Trägheit und Verwirrung.
Durch das Blutjuwel konnte Asara sehen, dass er in einem großen Bett in Anjiakas Gemächern lag. Zwei von Anjiakas Sklavinnen leisteten ihm Gesellschaft. Augenblicklich wusste sie, dass er keine von ihnen ohne ihren Befehl angerührt hätte. Ihre Erleichterung rührte jedoch weniger daher als von der Tatsache, dass er bei ihrer Schwester und in Sicherheit war.
- Habe ich dich geweckt?, fragte sie.
- Ja. Aber das macht nichts. Ist etwas passiert?
Während der nächsten Stunde berichtete Asara ihm, was seit ihrem letzten Gespräch geschehen war. Obwohl es am Tag zuvor stattgefunden habe, schien ein ganzes Leben dazwischen zu liegen. Vikacha hörte zu und mit jedem neuen Detail wurde sein Entsetzen größer.
- Ich weiß nicht, was ich von Savedra erwartet habe, sandte er schließlich. Doch irgendwie bin ich nicht überrascht. Bei ihrer männerfeindlichen Politik würde es mich nicht wundern, wenn sie seit Jahren den Sturz der Ashaki plant. Ich traue ihr zu, dafür die Prinzipien deines Volkes zu verraten.
Das Entsetzliche an seinen Worten war nicht seine Offenheit, sondern dass er damit Asaras schlimmste Befürchtungen aussprach.
- Ivara ist auf dem Weg zur Zuflucht. Sie versucht, die Wahrheit herauszufinden. Vikacha, es ist wichtig, dass niemand erfährt, dass ich noch am Leben bin. Du kannst Anjiaka einweihen, ich vertraue ihr, dass sie nichts damit zu tun hat. Aber achte genau auf ihre Reaktion auf Savedras Verrat, bevor du ihr von mir erzählst.
- Ja, geliebte Meisterin, antwortete er.
Asara schnaubte leise. Die Bewegung ließ ihre steifgefrorene Nase schmerzen.
- Wenn Anjiaka auf unserer Seite ist, geh zu Varala und finde heraus, ob sie sich uns anschließt. Am besten noch morgen früh.
- Ja, geliebte Meisterin, wiederholte er.
Asara verdrehte die Augen. Sie war nicht in der Stimmung für seine Neckereien.
- Jetzt werden mir auch einige Dinge klar, die ich heute erfahren habe.
- Was?, fragte Asara alarmiert.
- Heute Morgen erhielt ich eine Nachricht von einem meiner ’Freunde’. Das war schon seltsam, weil ich sonst immer zu ihnen muss, um Informationen einzuholen. Doch anscheinend war die Nachricht wichtig genug, um mich zu kontaktieren. Kachiro hat Ishaka und Takiro zu Ichani erklärt.
Das war bemerkenswert schnell gegangen. Als hätte Kachiro nur darauf gewartet. Und Asara wusste nun, dass Divako die Wahrheit gesprochen hatte und die beiden tatsächlich noch am Leben waren.
- Und das erzählst du mir jetzt?
- Ich habe versucht dich zu rufen, doch du hast nicht geantwortet. Gegen Nachmittag bin ich schließlich losgezogen und habe meine Freunde aufgesucht. Dabei habe ich weitere interessante Dinge erfahren.
- Los, raus damit!, befahl Asara ungeduldig.
Zu ihrer Befriedigung empfing sie Schuldgefühle.
- Heute waren zwei Ashaki im Palast, die zu Kachiros engsten Freunden zählen.
- Sakori und Chirachi.
- Ja. Ich weiß nicht, was sie dort getan haben, doch anschließend schickten sie Boten zu einigen anderen Ashaki in der Stadt. Sakori verließ gegen Abend die Stadt in Begleitung mehrere Magier.
Asara pfiff leise durch die Zähne. Für gewöhnlich lud Kachiro nur zu Festen in den Palast ein.
- Könnten sie seine neuen Berater sein?, fragte sie.
- Möglich, antwortete Vikacha. Doch für mich sieht das nach der Planung eines geheimen militärischen Schlags aus.
Asaras Herz setzte einen Schlag aus. Wenn das der Fall war, dann war die Lage noch ernster, als sie bisher geglaubt hatte.
- Verzeih, dass ich dich nicht gerufen habe, fuhr Vikacha fort. Der Zusammenhang mit der Ächtung von Ishaka und Takiro hat mich stutzig gemacht und ich war bis in den Abend unterwegs. Ich wollte dich erneut rufen, nachdem ich mich ein wenig ausgeruht hatte, doch dabei bin ich eingeschlafen.
- Schon in Ordnung, antwortete Asara. Ich stehe in deiner Schuld, weil du so aufmerksam bist.
Eine Weile ritt sie schweigend weiter, ihre Gedanken in Aufruhr. Es gab so viel zu bedenken und Vikachas Beobachtungen verkomplizierten die gesamte Situation. Das Imperium war dabei in seine verschiedenen Parteien zu zerbrechen und ihrem eigenen Volk stand dasselbe bevor. Es fühlte sich an, wie der Anfang vom Ende.
Unter dem weiten, sternenklaren Wüstenhimmel fühlte sich dies seltsam und unwirklich an.
Asara erschauderte, als sie erkannte, dass sie die Einzige war, die mit beiden Seiten in Kontakt stand.
- Steh auf und wecke Anjiaka und die anderen, wies sie Vikacha an. Wenn du dich vergewissert hast, dass wir Anjiaka vertrauen können, sag ihr, sie soll Mivara rufen. Sie soll Anjiaka umgehend alles berichten, was sie über die Verschwörung in Erfahrung bringen kann. Tarko ist Ishakas mächtigster Verbündeter in der Stadt. Ihn zu beobachten ist jetzt wichtiger denn je.
- Ich werde deine Schwester sofort wecken, antwortete Vikacha. Darf ich fragen, was du vorhast?
- Das weiß ich noch nicht genau. Aber wenn ich Erfolg habe, wird Sachaka nicht mehr so sein, wie es war.
An diesem Abend hatte Ivasako seine erst gegen Mittag aufgenommene Arbeit früher niedergelegt. Er hatte mehr Wein getrunken als üblich und das köstliche Essen, das zwei Sklaven zur Cachira gebracht hatten, kaum angerührt. Wo er Ienara sonst seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenkte, hörte er nicht einmal zu, als sie ihm berichtete, wie sie und Lasara am Nachmittag im Palastgarten spazieren gegangen waren.
Allerdings war seit diesem Tag auch nichts mehr, wie es sein sollte.
Auf eine gewisse Weise war es dieses Mal sogar schlimmer, als nach Marikas Tod. Wo der Verlust seines Meisters in erster Linie persönlicher Natur gewesen war und Ivasako seine Sorgen auf vier Berater hatte abwälzen können, war er nun auf sich gestellt. Ienara hatte nur wenig Möglichkeiten, ihn zu unterstützen. Sie hatte stets einen weisen Rat für ihn oder war einfach nur da. Doch sie konnte Ivasako weder seine Entscheidung abnehmen noch besaß sie die Macht eines Magiers.
Nach dem Abendmahl hatte Ivasako sich zurückgezogen. Sensibel, wie sie war, war Ienara im Raum des Meisters geblieben und hatte ihre Stickarbeit wieder aufgenommen. Also war Ivasako allein zu Bett gegangen und Yakari hatte sich quer über seine Füße gelegt. Ienara mochte es nicht, wenn der P’anaal im Bett schlief. Für gewöhnlich scheuchte sie ihn auf seine Decke neben der Tür. Doch als sie ins Bett gekommen war, hatte sie einfach nur ihr Gewand abgestreift und war zu Ivasako unter die Decke geschlüpft.
Ivasako hatte die Arme um sie gelegt, ihr einen Kuss auf die Stirn gedrückt und wenig später war sie eingeschlafen.
Und jetzt lag er da. Schlaflos. Rastlos. Den Kopf voll mit unerfreulichen Gedanken, die wie ein Sturm in ihm tobten.
Er wusste, was er zu tun hatte, damit sein Geist zur Ruhe kam. Doch der bloße Gedanke erfüllte ihn mit Furcht. Es war das Letzte, was er tun wollte. Aber es war der einzige Weg.
Jetzt, in der Stille der Dunkelheit, erkannte er, dass es seit zwei Jahren auf genau das hier hinausgelaufen war.
Irgendwie war es leichter, wenn Marika es mir befohlen hat, dachte er. Mit dem Befehl seines Meisters hatte Ivasako sich aus der Verantwortung ziehen können. Was es jedoch nicht angenehmer gemacht hatte. Es hatte ihm nur die Schuld genommen.
Ich tue es auch jetzt für Marika, redete Ivasako sich ein. Er hätte nicht gewollt, dass es so weit kommt.
Aber Marika hätte Ishaka und Takiro ebenfalls zu Ichani erklärt. Er hätte keinen Augenblick gezögert und sie jagen lassen. In dieser Hinsicht war er ähnlich unnachgiebig gewesen wie Kachiro. Ivasako hätte beiden Männern recht gegeben, würde ein Teil von ihm sich nicht noch immer weigern zu glauben, dass Ishaka tatsächlich mit den Verrätern kollaborierte und den Mord an der Eskorte der Gildenmagier von seinen Anhängern hatte ausführen lassen. Sie würden niemandem aufgefallen sein, weil der Weg nach Duna nicht über die Ettkriti-Ebene führte. Es wäre so einfach gewesen, aber Ivasako scheiterte daran, einen logischen Grund für diese Aktion zu finden. Wozu diese Heimlichtuerei, wenn er und seine Anhänger gemeinsam mit den Verrätern und den Gildenmagiern mächtiger als Kachiro und die Duna waren?
Zwei Dinge standen jedoch ohne Zweifel fest: Weder Kachiro noch ein Bündnis zwischen Ishaka und den Verrätern würde Sachaka guttun.
Ivasako wusste sehr genau, was Kachiro plante. Ishakas Absichten waren für ihn dagegen noch immer unklar. Da das Blutjuwel von Ishaka kontrolliert wurde, konnte der Palastmeister auf dessen Wort nicht vertrauen.
Aber er musste die Wahrheit herausfinden. Nur dann würde er guten Gewissens tun können, was getan werden musste.
Wenn ich Ishaka in eine Situation bringe, in der er sich bedroht fühlt, dann ist das meine größte Chance auf die Wahrheit, die ich bekommen kann.
Um eine solche Situation herbeizuführen, würde er jedoch sehr genau planen müssen. Und dann waren da noch Ashaki Chirachi und die Magier, mit denen er Ivasako bei der Festnahme von Ishakas Anhängern unterstützen würde. Ivasako würde einen Großteil der Palastwache für diese Aktion abziehen müssen. Seine eigenen Leute. Ein paar werden zurückbleiben müssen, um den Palast zu sichern, überlegte er, während er im Kopf die Namen der Männer durchging, die er für sein Vorhaben benötigte und sie auf die Ashaki verteilte, von denen er wusste, dass sie mit Ishaka sympathisierten.
Ivasako war ein genügend guter Kyrima-Spieler, um zu erkennen, dass sein Plan gewagt war. Er ging ein hohes Risiko ein, dass ihn mehr als nur sein Leben kosten konnte. Aber sein Leben war ohnehin verwirkt, wenn er den falschen Leuten seine Loyalität schenkte.
Es war der einzige Weg, um Sachaka zu retten.
Er wandte sich zu der Frau, die in seinen Armen schlief. „Ienara“, murmelte er und strich über ihre Stirn. „Wach auf.“
Ienara regte sich und schlug die Augen auf. Zu Ivasakos Faszination war sie hellwach, so als habe sie die ganze Zeit damit gerechnet, dass er sie wecken würde.
„Du hast deine Entscheidung getroffen“, sagte sie nur.
„Ja.“ Mit einem Seufzen richtete Ivasako sich auf. „Ienara, du musst etwas für mich tun.“
„Was, mein geliebter Palastmeister?“
In ihrem Blick lag eine Entschlossenheit, die eine unbändige Zuneigung in ihm auslöste. Sie würde alles tun, was er von ihr verlangte. Obwohl sie dasselbe Ziel verfolgten, fühlte es sich an, als würde er sie benutzen. Aber es musste sein. Es war die ganze Zeit darauf hinausgelaufen.
Der Sturm in ihm verebbte und die Ruhe, die sich über ihn legte, war wie eine Befreiung.
Es war entschieden. Am nächsten Tag würde er den größten Kyrima-Zug in der Geschichte Sachakas machen.
Und im nächsten werden die Enrasa-Karten neu gemischt …
Fragen zum Kapitel
Was haltet ihr von Kachiros Plan und wie schlägt Ivasako sich hier?
Gelingt es Regin, sich von seinen Eltern zu distanzieren? Was steckt dahinter, dass er Flavia zu sich holt?
Spekulantenfrage: Was hat Trassia versucht Regin zu sagen, als er ihr vor dem Magierquartier begegnet ist?
Was haltet ihr von Soneas und Akkarins Gespräch über seine ’dunkle Seite’?
Kann der Plan, den Asara mit ihren Schwestern schmiedet, funktionieren? Was glaubt ihr, hat sie vor?
Spekulantenfrage: Was plant Ivasako?
Herzlichen Dank an Sabrina Snape, Black Glitter und Lady Alanna für die Reviews zum letzten Kapitel. Ganz lieben Dank auch für die anonyme Empfehlung :)
***
Kapitel 39 – Das Spiel seines Lebens
Es hatte ihn einige Stunden gekostet, seine Arbeit wieder aufzunehmen. Die Ereignisse der Nacht und die Erkenntnis, dass all seine Bemühungen umsonst gewesen waren und er selbst nichts als eine Figur in der Kyrima-Partie der zwei wichtigsten Männer Sachakas war, hatten Ivasako ähnlich bestürzt zurückgelassen, wie einst der Tod seines Meisters. Es hatte Ienara viel Überzeugungsarbeit gekostet, ihn dazu zu bringen, in sein Büro zu gehen und zumindest zu versuchen, so etwas wie Normalität in den Rest des Tages zu bringen.
Und so hatte Ivasako mit dem Beantworten der Post begonnen, die am Vormittags gekommen war. Inzwischen hatte der Raka seine Lebensgeister geweckt und nur das Wissen, erst gegen Mittag erwacht zu sein, erinnerte ihn daran, dass er im Morgengrauen zu Bett gegangen war.
Sich um die Anfragen verschiedener Ashaki aus der Stadt und den fruchtbaren Regionen zu kümmern, hatte eine ähnlich beruhigende Wirkung wie Buchhaltung und Steuereinnahmen. Zumindest, wenn man Erstere nicht auf ihre Korrektheit überprüfen musste. Die Arbeit half Ivasako seine Gedanken auszusortieren.
Nach Stunden des unterbewussten Grübelns hatte der Palastmeister jedoch nur begriffen, dass er zu wenig Informationen besaß, um die Wahrheit über den Vorfall in Yukai und damit zusammenhängende Verschwörungen zu erkennen. Für seine eigene Handlungsfähigkeit war das höchst ungünstig.
Ein Sklave trat ein und warf sich zu Boden. „Der Imperator wünscht Euch im Kuppelzimmer zu sprechen.“
Ivasako legte seine Schreibfeder beiseite. „Ich bin unterwegs.“
Nachdem er sein Büro mit Magie verschlossen hatte, stieg er die große Treppe in den zweiten Stock empor. Er schritt einen mit Vasen dekorierten Korridor entlang und erklomm eine weitere Treppe, die zu der höchstgelegenen Kuppel des Palasts führte. Auf dem Weg dorthin wurde er von drei Sklaven mit Früchten und Erfrischungen überholt.
Er fand Kachiro nicht alleine vor. Sein Sohn leistete ihm Gesellschaft, zusammen mit zwei Ashaki, von denen Ivasako wusste, dass sie mit Kachiro befreundet waren. Sakori und Chirachi. Hin und wieder ritten die drei Männer gemeinsam auf die Jagd in einem kleinen Wald nahe Arvice. Ivasako erinnerte sich, dass sie am Tag nach dem Sommernachtsfest auch ausgeritten waren. Tarachi stand an einem der Spitzbogenfenster, wo ihn das Sonnenlicht nicht blendete und bedachte Ivasako mit einem finsteren Blick.
Der Palastmeister warf sich zu Boden. „Mein Imperator, wie kann ich Euch dienen?“
„Nach dem Desaster der vergangenen Nacht gilt es nun, die nächsten Schritte zu planen.“ Kachiro wies auf den freien Sessel zwischen Sakori und Hariko. Der Zorn der vergangenen Nacht war einer grimmigen Entschlossenheit gewichen, die noch nie etwas Gutes bedeutet hatte. „Und dafür brauche ich Euch.“
Voll Unbehagen nahm Ivasako Platz. Yakari rollte sich um seine Beine zusammen. Angesichts der Sommerhitze fühlte sich das an, als habe er sich in eine Decke aus Reberwolle gewickelt. Er sah jedoch davon ab, Yakari fortzuscheuchen. Die Nähe des P’anaals erfüllte ihn mit einer wohltuenden Ruhe und bewahrte ihn davor, die Nerven zu verlieren.
Ein Sklave hielt ihm die Schale mit Früchten hin. Obwohl Ivasako keinen Appetit verspürte, wählte er eine kandierte Pachischeibe.
„Ich habe Sakori und Chirachi eingeladen, weil sie mit wichtigen Aufgaben betraut werden“, teilte der Imperator ihm mit, während er zwischen zwei Fenstern auf und ab schritt. „Vor einer Stunde hat Divako mich über die neusten Entwicklungen informiert. Es ist ihm gelungen, die Duna dazu zu bringen, ihn und Sarkaro nicht zu töten. An diesem Nachmittag haben sie das Bündnis zwischen unseren beiden Ländern gestärkt. Divako hat Arikhai davon überzeugt, dass Ishaka und die Verräter für den Anschlag und das Massaker im Tempel verantwortlich sind. Arikhai hat seinen Worten Glauben geschenkt und anschließend haben sie einen Pakt geschlossen, um Ishaka und die Verräter zu vernichten.
„Inzwischen sind Divako und Sarkaro auf dem Rückweg nach Sachaka, Arikhai wird ihnen folgen, sobald er weitere Duna-Stämme für einen Rachefeldzug gewonnen hat. Nach der Zerstörung des Tempels sollte das jedoch nur eine Formsache sein.“
Ivasako erschauderte. Also hatte Kachiro mit seiner kalten Berechnung richtig gelegen. Der Imperator hatte keine Zeit verschwendet und die Situation auf brillante Weise für seine Zwecke ausgenutzt. Seine Strategie sprach eine deutliche und beunruhigende Sprache.
„Divako und die Duna werden Ishaka und Takiro jagen und töten“, fuhr Kachiro fort. „Da sie sich mit den Verrätern verbündet haben, werden diese Verstärkung schicken. Ishaka ist nicht dumm. Er wird sich denken, dass ich meine Ashaki ausschicke, um ihn an einer Rückkehr zu hindern. In jedem Fall steht uns ein Krieg bevor. Ashaki Sakori wird die Ashaki, denen ich noch vertrauen kann, zusammenrufen und unseren Feinden entgegenführen.“
„Wenn Ishaka tatsächlich so gerissen ist, dann hat er seine Verbündeten unter den Ashaki schon längt informiert“, wandte Hariko ein. „Wäre es daher nicht besser, zunächst diese vernichten zu lassen, Vater?“
„Und das wird auch geschehen.“ Die blaugoldenen Ärmel vor der Brust verschränkt fiel Kachiros Blick auf Ivasako. „Die meisten von Ishakas Verbündeten leben in der Stadt. Ich will, dass Ihr sie ausfindig macht und festnehmt. Ihr erhaltet die Erlaubnis, ihre Gedanken zu lesen. Die Palastwache wird zu diesem Zweck nicht ausreichen. Ashaki Chirachi wird Euch daher mit seinen Leuten unterstützen.“
„Ja, mein Imperator“, sagte Ivasako sein Unbehagen zurückdrängend. Ein Teil von ihm hoffte noch immer darauf, dass diese Rebellin am vergangenen Abend gelogen hatte, und dass Ishaka unschuldig war. Die Rebellen machten noch mehr Ärger als die Verräter. Sie waren nicht umsonst von ihrem Volk ausgestoßen worden. Somit bestand zumindest eine verschwindende Wahrscheinlichkeit, dass Ishaka nichts mit dem Anschlag zu tun hatte.
Ich darf mich nicht von meinem Zorn leiten lassen, dachte er. Bevor ich etwas unternehme, muss ich versuchen, die Wahrheit herauszufinden.
„Es wird eine Weile dauern, diese Leute zu finden“, sagte er. „Bis jetzt sind sie nicht auffällig geworden, vermutlich haben sie im Verborgenen gearbeitet.“
Das Gold auf Kachiros Ärmeln blitzte ärgerlich im Sonnenlicht. „Dann fangt bei seinen Freunden an. Ihr habt sie doch auf den Parties getroffen.“
„Ja, mein Imperator“, wiederholte Ivasako. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie Tarachi ihn misstrauisch betrachtete. Er wartet nur darauf, dass er mir etwas nachweisen kann … „Ich schlage vor, sie alle zur gleichen Zeit festzunehmen, damit einander nicht vorwarnen können. Dazu muss ich jedoch einige Vorbereitungen treffen.“
„Dann fangt damit sofort nach dieser Besprechung an“, befahl Kachiro. „Eure Buchhaltung läuft Euch nicht weg.“
Nein, das tut sie ganz sicher nicht. „Warum überhaupt eine Armee?“, fragte Ivasako. „Warum befehlt Ihr Eurem Spion nicht, Ishaka zu töten?“
„Ich brauche ihn, um herauszufinden, was Ishaka als Nächstes plant“, antwortete Kachiro. „Doch er wird sterben, keine Sorge.“
„Außerdem wären da immer noch die Verräter“, fügte Sakori hinzu. „Egal, ob Ishaka und seine Anhänger überleben, die Verräter werden sich nicht zurückziehen. Nicht jetzt, wo sie ein wichtiges Teilziel erreicht haben.“
„Die Spaltung Sachakas“, sagte Ivasako tonlos.
„Exakt.“
„Ich werde Ishaka am Leben lassen, bis ich seine Pläne in Erfahrung gebracht habe“, sprach Kachiro. „Die Ashaki sind bereits informiert, Sakori wird bei Einbruch der Nacht die Stadt verlassen. Morgen früh trifft er auf die Ashaki aus der näheren Umgebung, die übrigen werden sich ihm unterwegs anschließen. So können sie die Verräter in den Ödländern abfangen und auf dem Weg dorthin weitere von Ishakas Anhängern töten. Je nachdem, was Ishakas Pläne ergeben, wären sie zudem schnell wieder zurück. Was Ishakas Anhänger angeht, sollten diese jedoch keine Gefahr mehr darstellen, sobald Ihr und Chirachi Euch ihnen angenommen habt.“
„Ja, mein Imperator“, sagte Ivasako und der Ashaki wiederholte die Worte.
Damit wäre es also entschieden, dachte der Palastmeister. Er hatte richtig vermutet. Kachiro hatte seine Kriegsvorbereitungen an ihm vorbei über seine beiden Ashaki-Freunde organisiert und finanziert, um das Überraschungsmoment auf seiner Seite zu haben. Doch was er da plante, war Wahnsinn. Ivasako konnte nicht zulassen, dass der Imperator dieses Land zugrunde richtete. Doch er konnte auch nicht zulassen, dass Männer wie Ishaka und Tarko dieses Land auf eine noch ganz andere Weise zugrunde richteten.
Wenn es niemanden gibt, dem du vertrauen kannst, dann höre auf das, was dein Herz dir sagt.
Der Palastmeister lächelte humorlos. Ja, er hatte seine Entscheidung getroffen.
***
So schlimm kann es nicht werden, sagte Sonea sich wieder und wieder, während sie Marika durch den Palastgarten folgte. Auf dem gepflegten Rasen glänzte noch der Tau, die Luft war jedoch schon behaglich warm. Er will sicher nur, dass ich ihn wasche oder etwas in dieser Art.
Allein die Vorstellung, diesen Mann waschen zu müssen, war widerwärtig. Sonea zog dies jedoch eines weiteren Liebesaktes vor. Nach dieser Nacht musste er genug haben.
Marikas Pranke hatte ihre Hand fest umschlossen, zu fest um sich loszureißen, hätte sie das gewollt. Es fühlte sich falsch an und seine Hand war viel zu warm.
Endlich erreichten sie das Badehaus. Marika führte sie durch den linken Eingang. Nur benommen nahm Sonea die prächtige Einrichtung des Umkleideraums, das Mosaik auf dem Boden und die Bänke aus Marmor wahr. Kaum, dass die Tür hinter ihnen zugefallen war, war Marika hinter ihr und schlang einen Arm um sie. Mit seiner anderen Hand strich er Soneas Haar zur Seite und küsste ihren Nacken verlangend. Sonea schloss die Augen. Das Verlangen, sich seinen Armen zu entreißen, wurde übermächtig, doch sie ahnte, ihr Widerstand würde ähnliche Konsequenzen wie in der vergangenen Nacht nach sich ziehen.
„Zieh dich aus“, befahl er.
Sonea konnte nur nicken. Mit zitternden Händen öffnete sie das Oberteil ihres Kleides.
„Warum brauchst du so lange?“
„Ich bitte um Verzeihung, Meister“, brachte sie hervor. Rasch streifte sie ihre Sachen ab, wobei sie fast über den Saum ihres Rockes gestolpert wäre. Sofort war Marika wieder hinter ihr. Seine Pranken umschlossen ihre Brüste, kneteten sie und zwirbelten ihre Spitzen, bis Sonea ein ungewollter Laut entfuhr. Mit einem leisen Lachen schob eine Hand ihre Senkel auseinander und strich über ihren Schoß.
Sonea presste die Lippen zusammen, als seine Finger ihre geschundene Haut berührten. Es brannte mehr, als dass es den Effekt gehabt hätte, den er offenkundig beabsichtigte. Sie hielt absolut still, wagte es kaum zu atmen. Dann schob er zwei Finger tief in sie hinein und bewegte sie grob.
Ihr entfuhr ein qualvoller Laut, als er weitere geschundene Stellen entdeckte und diese auf eine Weise malträtierte, die unter anderen Umständen und mit dem richtigen Mann erregend gewesen wäre. Sonea rang nach Luft.
„Wieso wirst du nicht feucht?“, verlangte er zu wissen. „Verlangt es dir so sehr nach meiner Zunge?“
Das hättest du wohl gerne, dachte Sonea. Sie hätte alles dafür gegeben, würde er sie so behandeln, wie Akkarin es getan hatte, wenn sie denn schon mit ihm ins Bett musste. Auch auf die Gefahr hin, dass es schmerzhafte Erinnerungen zum Leben erweckte. Aber Marika war ein Monster. Sanftheit und Einfühlungsvermögen existierten in seiner Welt nicht.
„Ich bin wund, Meister“, sagte sie leise. „Bitte. Nicht schon wieder.“ Sie würde ihm alles geben, was er von ihr verlangte, wenn er ihrem Körper nur die Zeit ließ, sich zu erholen.
„Meinetwegen“, knurrte er zu ihrer Erleichterung. „Du hast noch andere Öffnungen, die ich benutzen kann.“
Sonea erstarrte. Sie wollte das nicht erneut tun müssen, aber sie wusste auch, dass sie es nicht aushalten würde, wenn er jetzt erneut mit ihr schlief.
Marika ließ von ihr ab. „Dreh dich zu mir und dann knie dich hin“, befahl er.
Sonea gehorchte.
„Die Beine ein Stück mehr auseinander.“
Unbehaglich öffnete sie ihre Schenkel. Sie fühlte sich auf unerfreuliche Weise exponiert. Ienara hatte ihr beigebracht, beim Knien die Schenkel geschlossen und den Rücken gerade zu halten. Ihre Hände mussten so liegen, dass sie sie jederzeit rasch emporstrecken konnte, während sie den Blick gesenkt halten musste. Vielleicht ist es anders, wenn er mit einer Sklavin allein ist, überlegte Sonea. Oder es war nur eine weitere Möglichkeit, sie zu demütigen.
Rasch entledigte Marika sich seiner Kleidung und warf sie achtlos zu Boden. Dann trat er auf Sonea zu, seine Hände pressten sich auf ihre Schläfen. „Verwöhn mich mit deinem Mund.“
Sie erschauderte. „Ja, Meister.“
Während sie mit ihm beschäftigt war, las er ihre Gedanken. Sonea sah sich unfähig, sich dagegen zu wehren und versuchte, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Was auch immer Marika sah, schien ihn zu erregen.
Bevor er sich in ihren Mund ergoss, ließ er von ihr ab. „Komm mit“, sagte er.
Zitternd kam Sonea auf die Beine und folgte ihm durch die Tür zum Bad. Es sah aus, wie das Bad der Cachira, nur kleiner und prächtiger. Marika ließ ihr jedoch keine Zeit, sich umzusehen und scheuchte sie ins Wasser.
„Hast du eine Lieblingsseife?“, fragte er.
Die Frage kam so überraschend, dass Sonea für einen Augenblick ihre Furcht vergaß.
„Pachi, Meister.“
Eine Seife wählend kam Marika auf sie zu. Unwillkürlich wich Sonea zurück, bis sie gegen Beckenrand stieß. Marika lachte leise. „Und jetzt nehme ich mir, was dein früherer Meister nicht benutzen wollte“, sagte er. „Dreh dich um.“
Sonea erstarrte. „Nein!“, entfuhr es ihr.
Akkarin hatte das einmal mit ihr versucht, doch obwohl er dabei sehr behutsam gewesen war, war es unangenehm gewesen und hatte Sonea überhaupt nicht gefallen. Danach hatten sie keinen weiteren Versuch gewagt. Was, wenn Marika sie sich auf diese Weise mit Gewalt nahm? Sie brauchte nur an sein riesiges Gemächt zu denken, um bei der Vorstellung Übelkeit zu empfinden. Was, wenn er etwas kaputt machte?
Marika schlang einen Arm um ihre Taille, drehte sie herum und schob sie gegen den Beckenrand. „Du hast dich bereit erklärt, mein Eigentum zu sein“, sagte er leise, aber drohend. „Und mit meinem Eigentum kann ich machen, was ich will.“
Sonea fand, das Einfordern von Unterwerfung nichts mit Bereitwilligkeit zu tun. „Bitte Meister“, flehte sie. „Tut mir nicht noch mehr weh.“
„Dann sei gefügig“, sagte er unbarmherzig. Seine Hand schloss sich um ihren Nacken und drückte ihren Oberkörper nach vorne, während er mit einem Fuß ihre Beine auseinander schob.
„Ich bin gefügig. Ihr seid zu groß.“
Der König von Sachaka lachte schallend. „Das hat noch nie eine zu mir gesagt!“, rief er. „Haben die Kyralier alle so kleine Schwänze?“
Sonea fühlte sich beleidigt. Auch ohne Vergleichsmöglichkeiten war ihr Akkarins Männlichkeit nicht gerade klein vorgekommen.
Sie hörte das leise Plätschern von Wasser, dann strich etwas Hartes über ihr Gesäß. Sonea zuckte zusammen, dann erkannte sie, dass es die Seife war. Mit Bewegungen, die verrieten, dass er das nicht zum ersten Mal tat, strich Marika mit der Seife über die Falte zwischen ihren Gesäßbacken und umkreiste die Öffnung. Unwillkürlich spannte Sonea sich an. Sie wollte nicht, dass er sie auf diese Weise bekam, sie hätte ihn angefleht, sich mit ihrem Mund zufriedenzugeben, doch sie konnte spüren, wie versessen er darauf war, sie sich dort zu nehmen, wo sie noch unberührt war.
„Bleib locker“, befahl er. Die Spitze seines Fingers drückte leicht gegen ihre Hinterpforte. „Du sollst dich nicht anspannen.“
„Ich …“, begann sie hilflos.
„Wenn du dich nicht entspannst, tut es weh.“
Das war Sonea auch bewusst. Einen tiefen Atemzug nehmend schloss sie die Augen und streckte ihm ihr Gesäß ein Stück weiter entgegen.
Eine Hand strich über ihren Schoß und verteilte auch dort Seife. Zuerst brannte es erneut, dann verwandelte sich das Gefühl in eine süße Erregung, die Sonea nicht empfinden wollte, während sie zugleich nicht wollte, dass er aufhörte, sie dort zu berühren. Irgendwie war es verstörend.
Marika zog seine Hand fort und drückte erneut gegen ihre Hinterpforte. Bevor Sonea wusste, wie ihr geschah, war sein Finger in ihr. Sie sog leise die Luft ein.
„War das so schwer?“, fragte er mit einer Freundlichkeit, die sie ihm nicht glauben konnte.
„Nein, Meister“, brachte sie hervor.
„Gut.“ Er begann seinen Finger in ihr zu bewegen. Es war nicht angenehm, aber Sonea glaubte, es aushalten zu können, wenn er sie nicht so gewaltsam wie in der vergangenen Nacht nahm. Zugleich befiel sie jedoch die leise Furcht davor, wie es sein würde, wenn er richtig in ihr war.
Nach und nach schob Marika einen zweiten und dann einen dritten Finger in sie. Sie versuchte, es zuzulassen, damit er nicht wieder auf die Idee kam, sie zu bestrafen oder etwas zerstörte, das sie nicht mehr heilen konnte. Sie bemerkte, wie er immer wieder Seife verwendete, als wolle er dafür sorgen, dass es weiterhin angenehm blieb. Sie konnte jedoch nicht glauben, dass er das aus Nettigkeit tat.
„Du bist eine gute Sklavin“, murmelte er sich über sie beugend. „Warum warst du das nicht schon letzte Nacht?“
„Weil …“, begann sie, spürend, dass er eine Antwort von ihr erwartete, „ich noch nicht gefügig war.“
„Aber jetzt bist du gefügig?“
Der Drang zu rebellieren war noch immer da. Sonea konnte sich nicht vorstellen, dass er jemals ganz verschwand. Aber die Nacht mit ihm hatte etwas in ihr auf immer zerbrochen.
„Ja, Meister“, flüsterte sie.
Marika zog seine Finger aus ihr heraus. An den folgenden Geräuschen konnte Sonea erkennen, dass er seine Hände wusch. Wenigstens legt er dabei Wert auf Hygiene, fuhr es ihr durch den Kopf. Sie wäre nicht begeistert gewesen, hätte er sie mit der Hand berührt, die gerade noch in ihrem Gesäß gesteckt hatte, selbst wenn sie es hinterher abwaschen konnte.
Er umfasste ihre Hüften und glitt nahezu mühelos in sie hinein. „Du hast Glück, dass ich bei unerfahrenen Sklavinnen nicht zerstören will, was ihren Nutzen für mich mindert“, murmelte er. Dann begann er sich überraschend behutsam in ihr zu bewegen.
Jetzt, wo er in ihr war, war es unangenehm, aber nicht mehr schmerzhaft. Nur, dass es mit jeder seiner Bewegungen unangenehmer wurde, bis Sonea glaubte, ihr Unterleib würde jeden Augenblick platzen.
„Hör auf, dich aus mir herauszudrücken“, knurrte er.
„Ich mache nichts, Meister“, protestierte sie.
„Du bist nicht entspannt.“
Sonea schnitt eine Grimasse, erleichtert, weil er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Wie sollte sie jemals entspannt sein, wenn er in ihr war?
Seine Hand griff in ihr Haar und zog ihren Kopf zurück, während die andere in ihrem Schoß verschwand und die unerwünschte Erregung zurückbrachte. „Ah, das ist schon besser“, sagte er und glitt tiefer in sie hinein.
Das unangenehme Gefühl war noch immer da, wurde jedoch von einer steigenden Erregung verdrängt.
„Willst du, dass ich es dir besorge?“, fragte er.
Alles in ihr schrie danach, die Frage zu verneinen, aber Sonea fühlte sich dazu zu zerstört. Und einem absurden Teil von ihr verlangte es danach, dass er das tat.
„Ja, Meister“, flüsterte sie.
„Findest du, dass du es verdienst?“
Sie hatte stillgehalten, als er sie gedehnt hatte. Für sie wäre das Grund genug gewesen. Doch wahrscheinlich sah er das anders.
„Nein, Meister.“
„Und deswegen wirst du mich darum bitten, wenn es soweit ist.“
Sie konnte nur nicken. Als es soweit war, bat sie ihn um seine Erlaubnis. Und nachdem er mit ihr fertig war, bedankte sie sich dafür und dafür, dass er sie auf eine völlig neue Weise genommen hatte.
Sonea fuhr sich übers Gesicht. Sie erinnerte wie aufgelöst sie anschließend gewesen war und wie sehr sie sich für ihre Erregung geschämt hatte. Sie hatte sich geschändet und beschmutzt gefühlt. In den ersten Wochen hatte Marika ihre Lust wieder und wieder erzwungen und sie darum betteln lassen, sie zum Höhepunkt zu bringen. Wenn er sich anschließend an ihr vergangen hatte, war er grob gewesen. Nur mit quälender Langsamkeit hatte Sonea sich an ihn gewöhnt und es hatte bis nach ihrem Sprung vom Nordturm gedauert, bis er nicht mehr so grob gewesen war.
Ja, er war grausam gewesen. Aber nicht auf Grund der Dinge, die er mit ihr getan hatte, sondern weil sie ihm nicht erlaubt hatte, derart über sie zu verfügen.
***
Der Anblick des Hauses, das sich vor einer Wand drohender Regenwolken vor ihm erhob, erschien Regin so unwirklich wie alles an diesem Tag. Angefangen davon, wie er in seinem neuen Quartier erwacht war – allein und mit einem erbarmungslosen Gefühl von Leere – über die entsetzlichen Neuigkeiten aus Yukai, bis dahin, dass er nach jenem katastrophalen Dinner ein halbes Jahr zuvor zurückgekehrt war.
Ich bin ein Krieger der Magiergilde, rief er sich ins Gedächtnis. Ich habe dem Tod ins Auge gesehen. Also kann ich auch meinem Vater gegenübertreten.
„Bring mich zu meinem Vater“, befahl Regin, als ein Diener ihm die Tür öffnete. Er hatte keine Lust, in den Empfangsraum komplimentiert zu werden und zu warten, bis man sich bequemte, ihm zu empfangen. Zudem war er der Magier. Würde er darauf bestehen, so müsste sich sein Vater vor ihm verneigen.
Der Gedanke erfüllte ihn mit neuem Mut.
„Ja, Mylord“, erwiderte der Diener mit einer tiefen Verneigung.
Regin lächelte in sich hinein. Es war ein gutes Gefühl, dass die Diener seiner Eltern ihn mit noch mehr Respekt behandelten, seit er ein vollständig ausgebildeter Magier war.
Margun von Winar saß an seinem Schreibtisch im Arbeitszimmer. Ob er einen Brief oder eine Rede schrieb, konnte Regin nicht erkennen. Es war jedoch nicht ungewöhnlich, dass sein Vater auch am Wochenende arbeitete.
„Schick Flavia mit Sumi und Gebäck für zwei Personen her“, wies Margun den Diener an, kaum dass dieser Regin angekündigt hatte, und scheuchte ihn mit einer ungeduldigen Bewegung seiner Hand fort.
Dann widmete er sich wieder seinem Brief.
Was ich auch tue, er freut sich kein bisschen, mich zu sehen, fuhr es Regin durch den Kopf. Magier gaben einer Familie Prestige und sollten die Eltern mit Stolz erfüllen. Sein älterer Bruder war jedoch immer der interessantere Sohn gewesen. Weil er das Familienerbe antrat.
„Guten Tag, Vater“, grüßte er. „Wie ist es dir ergangen?“
Margun sah nicht auf.
„Falls es dich interessiert, es geht mir gut. Lord Balkan überträgt mir mehr und mehr Verantwortung. Ich unterrichte, bin sein Stellvertreter und trainiere die Krieger in einer Strategie für den Kampf gegen die Sachakaner, die ich selbst entwickelt habe. Balkans Nachfolge ist mir damit nahezu sicher, wenn er in einigen Jahren in Ruhestand geht. Mit etwas Glück werde ich bis dahin Leiter der strategischen Studien sein.“
Margun sah nicht auf. Seine Schreibfeder kratzte leise über das Papier, während er mit lässigen, aber eleganten Bewegungen Buchstaben und Wörter aneinanderreihte.
„Ich sehe, dass es interessantere Dinge gibt, als den Sohn, der bald zu einem der wichtigsten Männer der Gilde gehört“, bemerkte Regin.
Margun sah noch immer nicht auf. Er tauchte die Schreibfeder ins Tintenfass und schrieb weiter.
„Ich habe die Beziehung mit Trassia von Haron beendet.“
„Das wurde auch Zeit.“
Seine Worte waren so beiläufig, dass Regin einen vertrauten Zorn in sich spürte. „Ah“, sagte er. „Häuserpolitik ist also das Thema, mit dem ich dich zum Reden bringen kann. Und nicht meine Karriere in der Gilde.“
„Deine Karriere in der Gilde ist für mich erst von Belang, wenn du Hoher Lord geworden bist“, sagte sein Vater.
Nun, das war eine eindeutige Antwort. Sie beide wussten, das Regin niemals Hoher Lord würde. Nicht, solange Akkarin und Sonea lebten.
„Das ist bedauerlich“, sagte Regin. „Denn ich werde deine politischen Ränkespiele nicht unterstützen.“
Margun erwiderte nichts darauf und fuhr mit seinem Schreibwerk fort.
Die Tür ging auf und Flavia kam mit einem Tablett mit duftenden Kegelkuchen und dampfend heißem Sumi. Während Regin bemüht war, sie zu ignorieren, stellte sie die Sachen auf dem Schreibtisch ab, schenkte zwei Tassen Sumi ein und empfahl sich.
Regins Vater legte seine Schreibfeder beiseite, verschloss das Tintenfass und legte das Pergament zum Trocknen auf die Seite. Dann wählte er eine der beiden Tassen und lehnte sich zurück. Den Sumi und das Gebäck ignorierend blieb Regin stehen.
„Ich habe mich immer gefragt, was du an dem Mädchen findest“, bemerkte Margun. „Ihre Familie ist weder sonderlich einflussreich noch lebt sie eine derart alte Tradition, wie wir das tun. Du könntest bessere Frauen haben. Ich hätte da eine Liste vielversprechender Kandidatinnen.“
„Du meinst Kandidatinnen für eine Verbindung, von der du dir politische Vorteile versprichst“, gab Regin zurück. „Danke, Vater. Ich verzichte.“
„Also bist du nicht deswegen gekommen?“
Regin schüttelte den Kopf. „Ich habe nicht vor, mich in nächster Zeit zu binden.“
„Was willst du dann?“
„Ich dachte, es würde dich vielleicht interessieren, dass Trassia und ich kein Paar mehr sind.“ Es auszusprechen tat weh, aber er war sicher, mit der Zeit würde es besser werden. „So feindselig, wie du ihr damals bei dem Dinner begegnet bist, muss das doch ein großer Triumph für dich sein.“
„Ich habe mich nicht feindselig verhalten, ich habe nur eine Wahrheit ausgesprochen.“
„Und mir damit vor Augen geführt, dass ich deine Einmischung in mein Leben nicht mehr länger wünsche.“
„Regin, bist du gekommen, um zu streiten?“
„Ich bin hier, um klarzustellen, dass ich auch in Zukunft keinen Anteil an deinen politischen Spielen haben will. Aus demselben Grund verbitte ich mir, dass du oder Mutter mir Heiratskandidatinnen vorschlagen. Und sollte ich eines Tages eine neue Frau gefunden haben, so verbitte ich mir ihr gegenüber jede Herablassung.“
Margun von Winar starrte ihn an. Er öffnete seinen Mund, doch Regin ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Und ich nehme Flavia mit.“
„Was willst du mit Flavia?“
„Als du ihre Eltern eingestellt hast, hast du sie mir als Dienerin zugeteilt. Auch nach meinem Beitritt zur Gilde hat sie sich um meine Belange gekümmert, wenn ich dich und Mutter freitags oder in den Ferien besucht habe. Ihr habt genug Diener, ihr könnt sie entbehren.“
„Du hast Geld, du kannst deine eigene Dienerin einstellen.“
„Ich will Flavia. Sie wird von mir ein besseres Gehalt bekommen, als der Hungerlohn, den du ihr zahlst. Zudem vertraue ich ihr weit genug, dass sie nicht meine Sachen stiehlt.“
„Du willst sie, weil du jemanden zum Benutzen brauchst“, stellte Margun fest. Er durchbohrte Regin mit seinem Blick. „Streite es nicht ab, ich weiß, dass du es mit ihr getrieben hast. Dein Glück, dass du erst nach deiner Aufnahme in die Gilde damit begonnen hast. Auf Bastarde in der Familie kann ich verzichten.“
Seine Worte trafen Regin, jedoch nicht so, wie sie es einst getan hätten. Der Vorwurf, wie Margun zu sein, traf viel tiefer.
„Dann sollte es dich erleichtern, dein Haus frei von Menschen zu haben, die dir Schande bereiten“, sagte Regin.
„Wenn du weiterhin Schande über dich bringen willst, dann werde ich dich nicht aufhalten“, entgegnete sein Vater. „Oder wird es bei den Gildenmagiern gerne gesehen, wenn man mit seiner Dienerin ins Bett geht?“
Es gab Magier, denen Regin eine Affäre mit ihrer Dienerin zutraute. Aber wahrscheinlich hielten sie das geheim, weil es einen Skandal ausgelöst hätte. Ja, er wollte Flavia, weil man sich mit ihr so unkompliziert vergnügen konnte und er genau das jetzt brauchte. Doch er brauchte auch jemanden, der seine Räumlichkeiten sauber hielt und ihm seine Mahlzeiten brachte. Für beides war Flavia seine bevorzugte Wahl.
„Was ich mit Flavia vorhabe, geht dich nichts an, Vater“, sagte er hart. „Ich werde sie mitnehmen und dann brauchst du mich nicht mehr sehen, wenn du das nicht wünschst.“
Margun musterte ihn abschätzend. „Das wünsche ich.“
Eine halbe Stunde später war Regin zurück in der Gilde. Bevor er gegangen war, hatte er seiner Mutter kurz guten Tag gesagt und ihr einen Kuss auf die Wange gegeben. Drosalia hatte mit einigen Frauen, von denen Regin wusste, dass ihre Männer politische Bande mit seinem Vater unterhielten, im Garten gesessen.
Als er aus der Kutsche stieg, raste sein Puls noch immer. Zugleich verspürte er jedoch ein Gefühl von Befreiung. Indem er seinem Vater die Meinung gesagt und dafür gesorgt hatte, dass dieser ihn nicht mehr sehen wollte, war er der Lösung von dem Fluch seiner Familie ein großes Stück nähergekommen. Und dann würde er Trassia beweisen, dass er nicht wie sein Vater war.
Doch vor allem hatte er Flavia bekommen.
Gleich am nächsten Morgen würde das junge Mädchen in die Dienerquartiere auf dem Gelände der Gilde ziehen. Bis dahin stand Regin noch eine einsame, aber von Vorfreude erfüllte Nacht bevor. Er hatte die richtige Entscheidung getroffen. Und das erfüllte ihn mit einem stillen Hochgefühl.
Sein Hochgefühl hielt genau bis zum Eingang der Magierquartiere, aus dem zwei junge Frauen kamen. Die eine trug ein freizügiges Rüschenkleid, die entblößten Schultern wurden nur von widerspenstigen goldenen Locken bedeckt. Die andere trug eine Robe, deren Grün nicht über den Zorn ihrer eigenen Locken hinwegtäuschen konnte.
Trassia und Luzille.
Einen tiefen Atemzug nehmend straffte Regin sich, darum bemüht, sich seinen inneren Aufruhr nicht anmerken zu lassen. Wo er bei seinem Vater hart geblieben war, drohte nun seine gesamte Entschlossenheit sich in Nichts aufzulösen.
„Guten Tag, die Ladies“, grüßte er.
„Lord Regin“, sagte Luzille säuerlich. Ihre Stimme war so schneidend als wolle sie ihn zu Gorinfutter verarbeiten.
Neben ihr schnappte Trassia leise nach Luft. Für einen kurzen Moment begegneten ihre Blicke einander. Ihre Augen waren gerötet und lagen in dunklen Höhlen. Sie wirkte blass und mitgenommen. Regin hätte zu gern gewusst, ob es seinetwegen war oder weil sie über Luzille von dem Anschlag erfahren hatte. Sie war eine Frau und damit verhielt sie sich oft entgegen dem gesunden Menschenverstand.
Weswegen sie früher oder später einsehen wird, dass ich richtig gehandelt habe …
„Regin“, sagte Trassia leise. „Ich …“
„Was auch immer es ist, was du von mir willst, behalte es für dich“, sagte er schroffer als beabsichtigt. „Das mit uns ist vorbei, es interessiert mich nicht mehr.“
Bevor ihre Augen sich mit Tränen füllen konnten, hatte er sich abgewandt und war in dem Korridor zu seinem Quartier einbogen. Hinter sich konnte er noch Luzille wütendes Zischen hören.
„So ein Idiot! Wenn du mich fragst, dann hat er dich gar nicht verdient, Süße …“
Dann hatte er seine Tür erreicht und schloss Trassia, ihre Freundin, seinen Vater und den Rest der Welt aus.
Regins Atem ging schnell und er spürte, wie ihm das Herz noch immer bis in seinen Hals schlug. Die kurze Begegnung hatte ihn mehr getroffen, als er erwartet hatte. Und auf Grund seiner Reaktion würde Trassia nun glauben, dass er sich nicht geändert hatte.
Du kommst so nach deinem Vater! Und nach deinem Onkel! Ich dachte, du wärst anders … dass du dich geändert hättest.
Bei der Erinnerung ballte Regin seine Fäuste.
Oh, ich werde dir zeigen, wie sehr ich mich geändert habe!
***
Mit den schmerzhaften Erinnerungen an Marika waren weitere gekommen. Erinnerungen an ihre erste Zeit in der Cachira, an all das, was sie als beschämend oder demütigend empfunden hatte, und an die Ablehnung, mit der ihr einige von Marikas Sklavinnen begegnet waren, weil sie als Bedrohung für ihr Verhältnis zu ihrem Meister empfunden hatten.
Ein Name stach dabei ganz besonders heraus.
Keya.
Die Sklavin, die Sonea wie eine weibliche Version des Regins aus ihrem ersten Jahr an der Universität erschienen war, hatte alles getan, um ihr das Leben im Palast zu einer noch größeren Hölle zu machen, als es dank Marika bereits gewesen war. Einzig die Furcht vor Bestrafung hatte das Mädchen davon abgehalten, handgreiflich zu werden. Keya hatte den Fehler gemacht, sich zu viel auf ihre Position als Marikas Lieblingssklavin einzubilden. Sie hatte es nicht ertragen, als der König anfangen hatte, Sonea zu bevorzugen, und hatte Sonea schließlich zu einem Duell herausgefordert.
Anders als formale Duelle in der Gilde kämpften in Sachaka miteinander um die Gunst ihres Meisters konkurrierende Sklaven gegeneinander. In erster Linie waren diese Kämpfe jedoch eines: grausame Unterhaltung, die häufig mit dem Tod von mindestens einem Kontrahenten endete. Anfangs hatte Sonea nicht begriffen, warum der Gegner getötet werden musste. Um sich nur den Respekt der anderen Sklaven zu sichern, war es eine denkbar brutale Option. Durch das Gespräch mit Takan vor ihrer Abreise begriff sie nun, dass das Prinzip der Erfüllung auch hier eine Rolle spielte. Verlor man die Gunst seines Meisters, so war die Erfüllung verwirkt. Und damit auch das eigene Leben.
Aber Keya hat dieses Prinzip nie gelebt. Sie war selbstsüchtig und dumm. Sie dachte, sie könnte Marika besitzen, dabei hat sie ihm gehört. Sie war keine gute Sklavin.
Die Eifersucht der anderen Sklavin hatte Sonea in die unglückliche Position gebracht, Keya töten zu müssen. Danach hatten die anderen Sklavinnen sie respektiert und genug gefürchtet, um sie in Ruhe zu lassen.
Sonea erinnerte sich, wie entsetzlich sie sich in den Tagen darauf gefühlt hatte. Die Erinnerung daran, wie ihr Schwert in Keyas Leib gefahren war, hatten sie bis in den Schlaf verfolgt. Sie hatte sich selbst dafür gehasst und sich Marika hingegeben, um sich zu bestrafen.
Ich hätte damals sterben sollen, dachte sie. Mein eigenes Leben war längst verwirkt.
Nur wegen Danyara hatte sie überlebt. Sonea wünschte, es wäre wegen Akkarin gewesen.
Je länger Sonea darüber nachdachte, desto mehr wurde ihr bewusst, dass sie alles Negative aus jener Zeit – auch Keya – verdrängt hatte, bis nur noch das Angenehme übriggeblieben war. Allerdings war das ’Angenehme’ auch nur eine Verherrlichung der weniger negativen Aspekte.
Ob das irgendwann dazu geführt hätte, dass ich in Marika meine Erfüllung sehe?, fragte Sonea sich nun. Die Vorstellung ließ sie erschaudern. Sie konnte nicht glauben, dass es darum ging. In den Märchen wurde das immer als romantisch dargestellt und reflektierte ihre eigene Vorstellung dieses Prinzips. Allerdings basierte ihre Vorstellung auf Freiwilligkeit.
Sonea schloss die Augen. Die Hitze erschwerte ihr das Denken. Obwohl auf dem Dünenkamm ein angenehmer Wind ging, hatte sich der Sand aufgeheizt. Die allmählich nach Westen wandernde Sonne verhieß jedoch, dass es in wenigen Stunden erträglicher würde. Noch hatte Sonea weit und breit kein Lebenszeichen entdeckt. Entweder hatte niemand in Yukai überlebt oder sie und Dannyl waren in eine Richtung geflohen, in der man sie nicht vermutete.
Oder die übrigen Überlebenden waren an einen anderen Ort geflohen.
Sie richtete ihren Willen auf den Ring an ihrer Hand. Akkarin war in der Bibliothek seiner Residenz und schrieb seine Gedanken zum aktuellen Stand des Schilddieb-Projekts auf. Augenblicklich wusste sie, dass sich Caria und Takan um Lorlen kümmerten und dass dieser an diesem Tag ungewohnt quengelig war.
Eine leise Enttäuschung verspürend zog Sonea sich zurück.
- Du störst nicht.
Sonea zuckte zusammen. Ein wenig Sand rieselte in ihre Augen und sie fluchte leise.
- Was du da machst, sieht wichtig aus.
- Nicht so wichtig wie das Wohlergehen meiner Frau.
- Es geht mir gut, sandte sie.
- Dich beschäftigt etwas. Sonst hättest du das Blutjuwel nicht benutzt.
Er brauchte ihre Gedanken nicht zu lesen, um sie zu kennen. Obwohl sie sich ertappt fühlte, spürte Sonea, wie ein Lächeln an ihren Mundwinkeln zerrte.
- Was reizt dich daran, mich im Bett zu unterwerfen?
Akkarin schwieg eine lange Weile. Sonea konnte jedoch spüren, dass er über eine passende Antwort nachdachte. Er wusste, sie würde sich nicht damit zufriedengeben, wenn er ihre Frage mit seiner dunklen Seite begründete.
- Mich reizt, dass es mir eine Macht über dich gibt, die über schwarze Magie und Furcht erhaben ist, antwortete er schließlich. Mir gefällt, wie du dich mir hingibst und zu Dingen bereit bist, für die du dich sonst schämen würdest. Mir gefällt, auf eine Weise für dich Verantwortung zu übernehmen, gegen die du dich nicht auflehnst. Mir gefällt, dich zu meinem willigen Spielzeug zu machen. Und mir gefällt, dich nach meinem Willen zu formen.
Für einen Moment wusste Sonea nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte nicht mit so viel Offenheit gerechnet. Da war ein mildes Entsetzen, eine Furcht, die immer da war und sie erkannte, dass seine dunkle Seite diese in ihr auslöste. Aber seine Worte sprachen etwas in ihr an und ihr Puls beschleunigte sich.
- Also willst du meinen Willen nicht brechen, folgerte Sonea.
- Nein. Wo bliebe dann die Herausforderung?, erwiderte er erheitert. Seine Präsenz veränderte sich geringfügig, als er wieder ernst wurde. Es besteht ein Unterschied dazwischen, zu etwas gezwungen zu werden und daran zu zerbrechen oder es freiwillig zu tun. Du kannst keinen Menschen brechen, der sich dir freiwillig unterwirft.
Das machte Sinn, fand Sonea. Und sie begriff.
- Deswegen konntest du nicht mehr mit mir schlafen, sandte sie. Weil du glaubtest, es wäre nicht freiwillig, sondern irgendwie durch Marika bedingt.
- Ja.
- Also ist es nur ein Spiel?
- Nein.
Sie schüttelte verwirrt den Kopf, völlig vergessend, dass er sie nicht sehen konnte.
- Und wieso habe ich es dann immer für ein Spiel gehalten?
- Weil ich wollte, dass du das glaubst. Weil du nicht sehen solltest, was Sachaka aus mir gemacht hat.
Sonea verstand, warum er sie davor beschützen wollte. Aber sie hatte sich bereits auf ihn eingelassen. Es war zu spät, um sie vor ihm zu beschützen. Und das wollte sie auch gar nicht.
- Aber Sachaka hat auch mich verändert, entgegnete sie sich an Marika erinnernd. Für ihn war es kein Spiel gewesen. Akkarin, ich hätte es verstanden.
- Es fällt mir schwer, diese Seite an mir zu verstehen und zu akzeptieren, Sonea. Ich kann nicht ändern, was ich geworden bin. Es treibt mich zu Dingen, die ich niemals tun wollte und nach denen es mir dennoch verlangt. Ich habe mir lange Zeit gewünscht, ich könnte es rückgängig machen.
Seine Erfahrungen unterschieden sich von ihren. In einer Hinsicht waren sie jedoch gleich: Das Erlebte hatte sie verändert und auf eine verdrehte Weise ergänzten sie einander.
- Du würdest mir niemals etwas antun, was ich nicht auch will, nicht wahr?, fragte sie.
- Nicht, wenn ich es kontrollieren kann.
- Und wo ist dann der Unterschied zwischen Spiel und Ernst?
- Wo ist der Unterschied zwischen einer Affäre und einer Ehe?
Sonea brauchte eine Weile, um den Sinn seiner Worte zu begreifen. Dennoch war ihr noch immer nicht klar, warum er so sehr mit seiner dunklen Seite haderte. Wo war das Problem, wenn er gar nicht beabsichtigte, sie zu seiner Befriedigung zu missbrauchen?
- Als ich mir meiner dunklen Seite bewusst wurde, war ich Dakovas Sklave, fuhr er fort als habe er ihre Gedanken gelesen. Ich war fasziniert und abgestoßen von dem, was er mit Isara tat. Nach einer Weile fing es an, mir zu gefallen, und ich hasste mich dafür. Ich habe mich verdorben gefühlt. Takan hat mich ausgelacht und prüde genannt. Erst mit der Zeit begriff ich, dass es auch einen anderen Weg geben kann. Dass es den Charakter eines Spiels haben kann, wenn beide es wollen und die Grenzen des anderen respektieren. Aber angesichts dessen, was ich für dich empfinde – was wir beide füreinander empfinden – ist es immer mehr gewesen.
Und dennoch hatte er Bedenken. Weil er sie nicht verletzen wollte. Weil er glaubte, sie wollte das nur vertiefen, weil Marika etwas in ihr zerbrochen hatte. Und damit hatte er recht gehabt. Wenn auch nur zum Teil. In der Zeit nach Marika hatte Sonea keinen Willen gehabt, keinen Stolz und nur bedingte Scham. Sie hatte vergessen und sich in ihrer dunklen Seite verlieren wollen.
Aber ich habe die Spielregeln nicht beachtet, erkannte sie. Ich habe mich ein zweites Mal in unsere Beziehung gestürzt, ohne nachzudenken und weil ich vergessen wollte. Es war weder ihr noch Akkarin aufgefallen. Sie war sich der Problematik ihres Tuns nicht bewusst gewesen und Akkarin war zu sehr damit beschäftigt gewesen, seine dunkle Seite zu kontrollieren.
Sachaka hatte sie beide verändert, aber es hatte auch etwas hervorgeholt, was schon zuvor da gegeben war. Die Verwüstung, die zwei dunkle Jahre in Sonea getobt hatte, war jedoch verschwunden. Was übriggeblieben war, war der tiefe Wunsch, diesen Weg weiterzugehen und ihre Beziehung auf eine noch intensivere Ebene zu bringen.
- Wie kann es mehr sein, wenn du gewisse Dinge ablehnst?, fragte sie.
- Weil … Sonea, warum willst du das wissen?
- Weil ich mir über etwas klarwerden muss.
Akkarin schwieg und Sonea nahm an, der suchte nach Worten, um ihr das Konzept zu erklären.
- Ein Spiel hat den Charakter eines kurzweiligen Zeitvertreibs, antwortete er schließlich. Das, was ich mir wünsche, wonach ich strebe, wäre eine dauerhafte Situation, allerdings mit einem an die Situation angepassten Machtverhältnis. Es gibt Situationen, in der wir einander auf Augenhöhe begegnen müssen, sofern man dem Hohen Lord überhaupt auf Augenhöhe begegnen kann.
Sonea erschauderte. Was er wollte, erinnerte sie an sein Verhältnis zu Takan. Auch dieser hatte sich freiwillig in eine solche Bezeihung begeben, nur dass er und nicht Akkarin darauf bestanden hatte. Wie kam es, dass Akkarin diesen Wunsch in den Menschen, die ihm nahestanden, auslöste?
- Wie kommt es, dass du danach strebst?, wollte sie wissen. Hätten deine Erlebnisse in Sachaka nicht auch das Gegenteil bewirken können?
- Das hätte es. Doch ich war schon immer mehr der Anführer, als dass ich mich habe führen lassen. Aber ich hätte mir nie träumen lassen, dass es sich auch auf diese Weise manifestiert.
- Warum warst du bei Takan dagegen?
- Das mit Takan ist etwas anderes. Es ist … kompliziert. Das mit dir hingegen ist eine Vorliebe. Ich bezweifle jedoch, dass ich das nach meiner Rückkehr gewollt hätte. So wie ich nicht wollte, dass Takan sich mir unterwirft.
- Glaubst du, es wäre irgendwann dazu gekommen, wärst du Dakova nicht begegnet?, fragte sie.
- Ich bezweifle es. Ich war naiv, Sonea. Inzwischen frage ich mich sogar, ob ich jemals zufrieden gewesen wäre. So sehr ich mit mir hadern mag, so sehr glaube ich, dass mir früher etwas gefehlt hat. Auch wenn ich es lieber gesehen hätte, hätte ich diese Seite an mir auf anderem Wege entdeckt.
Dann hatte ich Glück, dass du mir geholfen hast, meine dunkle Seite zu entdecken, dachte Sonea. Sie hätte nie gewusst, was ihr entgangen wäre. Doch sie fand auch, es hätte dabei bleiben sollen. Mit der Zeit wären sie weiter und weiter gegangen, weil sie beide mehr gewollt hätten. Marika hatte all das zerstört, indem er ihren Horizont auf brutale Weise erweitert hatte, und jetzt mussten sie und Akkarin mit den Folgen leben. So sollte es nicht sein.
- Wäre es nach mir gegangen, so hätte ich dir diese Erlebnisse erspart, sandte Akkarin. Es genügt, wenn einer von uns beiden das erleben musste. Ich habe lange gebraucht, um meine dunkle Seite zu kontrollieren. Was ich in Marikas Gedanken gesehen habe und wie du dich durch ihn verändert hast, stellt diese Kontrolle auf eine harte Probe.
- Das tut mir leid, sandte Sonea. Und danke für deine Offenheit.
Akkarin sandte ihr etwas, die einem mentalen Schulterzucken gleichkam.
- Ich halte es für wichtig, dieses Thema mit dir zu diskutieren. Ich habe dir immer nur erzählt, was du wissen brauchst, weil ich zu sehr gefürchtet habe, dass du dich von mir distanzierst, wenn du zu viel über meine dunkle Seite erfährst. Doch die letzten beiden Monate haben mir gezeigt, dass ich meine Prinzipien überdenken muss.
Irgendwie war es zu einem essentiellen Bestandteil ihrer Beziehung geworden. Und Sonea begriff, dass es zu viel mit ihren Persönlichkeiten zu tun hatte, als dass sie es ignorieren durften. Von ihnen hing ab, was sie daraus machten. Lange Zeit hatte Sonea geglaubt, es wäre einzig Akkarins Verantwortung, weil er in allem die Führung übernahm. Jetzt erkannte sie jedoch, dass sie ebenso einen Anteil daran hatte. Aber das konnte nur funktionieren, wenn sie ihre eigenen Motive hinterfragte. Akkarin erwartete von ihr, ihm wenn nötig seine Grenzen aufzuzeigen. Und damit unterschieden sie sich von Männern wie Marika und Dakova und ihren Sklavinnen.
Das Heimweh wurde übermächtig und Sonea griff nach ihrer Magie, um das Gefühl zu dämpfen. Sie war weit fort von zuhause, ohne Nahrung und mit zu wenig magischen Reserven. Sie wusste nicht, ob sie es überhaupt bis zur Grenze von Elyne schafften.
- Wie hat eigentlich die Gilde auf das Scheitern der Konferenz reagiert?, wechselte sie das Thema. Waren sie sehr außer sich?
- Ja. Ganz besonders Rothen.
Armer Rothen, dachte Sonea. Jedes Mal, wenn sie oder Dannyl die Verbündeten Länder verließen, war er krank vor Sorge. Und jedes Mal waren sie berechtigt.
- Kannst du ihm bitte ausrichten, dass Dannyl und ich wohlauf sind?
- Selbstverständlich. Auch wenn ich befürchte, dass er dann wieder anfängt, mich mit Fragen zu penetrieren.
Sonea verkniff sich ein Lächeln. Nachdem Rothen gemerkt hatte, dass Akkarin nicht gewillt war, ihm täglich Bericht über Soneas und Dannyls Alltag in Yukai zu erstatten, hatte er begonnen, Akkarin unter belanglosen Vorwänden aufzusuchen, was dieser natürlich sofort durchschaut hatte. So wie Sonea ihren Ziehvater kannte, musste ihn das rasend machen. Und auch wenn sie verstand, warum Akkarin sich nicht darauf einließ, tat Rothen ihr leid.
- Gibt es noch etwas, das ich wissen wollte?, fragte sie.
- Die Gilde hat auf meinen Vorschlag, sich mit den Feinden – sprich Kachiro – zu verbünden, mit Entsetzen reagiert. Erheitert fuhr er fort: Tatsächlich bezweifle ich jedoch, dass Ishaka und die Verräter gemeinsame Sache machen. Dann hätte es während der Konferenz deutlichere Anzeichen gegeben. Ein Bündnis mit Ishaka wäre angesichts der Situation realistischer, wenn auch dies auf Widerstand stoßen wird. Doch dazu müssten wir in Erfahrung bringen, ob er überlebt hat.
Das klang nach einer guten Option. Von allen Delegierten stimmte Ishaka am meisten mit den Forderungen der Gilde überein. Zumindest, sofern er die Wahrheit gesprochen hatte. Wirklich vertrauen konnten sie niemanden mehr.
- Und wie verfährst du wegen Savedra?, fragte sie weiter. Wirst du ihr verheimlichen, was passiert ist?
- Nein. Es gibt zu viele Wege, auf denen Savedra von der Zerstörung des Tempels erfahren kann. Jedoch gedenke ich ihr zu verschweigen, dass wir die Wahrheit über den Anschlag kennen.
- Ist das denn möglich?, fragte Sonea. Es ist ihr Blutjuwel.
Sie konnte seine Erheiterung spüren.
- Ich habe ein kleines schwarzmagisches Artefakt hergestellt, was verhindert, dass sie zu viel erfährt.
- Sei trotzdem vorsichtig, sandte sie. Wer weiß, was geschieht, wenn sie erfährt, dass wir wissen, was sie getan hat.
- Das werde ich. Diese Sache erfordert eine sehr behutsame Vorgehensweise. Die Konsequenzen, die andernfalls entstehen würden, wären verhängnisvoll.
Das glaubte Sonea auch, ohne viel Ahnung von Politik zu haben. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass die vergangene Nacht wirklich geschehen war. Doch vielleicht waren sie auch nur Opfer einer äußerst geschickten Intrige geworden, die dem Zweck galt, die Gilde von ihren Verbündeten zu trennen.
***
Nachdem Divako und Sarkaro den Tempel verlassen hatten, hatte Asara sich hinter dem Trümmerhaufen, den sie als Versteck gewählt hatte, hervorgewagt und hatte ihre beiden Schwestern geweckt. Jetzt saßen sie mit teils grantiger und teils verstörter Miene in einem Quartier auf dem Boden des Felsenkessels, das von einem der Ichani bewohnt gewesen war. Von allen auf dieser Ebene hatte es unter dem Kampf am wenigsten gelitten.
„Ich kann es nicht glauben“, murmelte Nirili tonlos. „Mein ganzes Leben habe ich zu Zalava aufgesehen. Wir waren zwar keine Krippenschwestern, aber ich habe sie sehr bewundert. Sie hatte so etwas Rechtschaffenes.“
„Nur, dass Rechtschaffenheit sich auch zum Negativen wenden kann“, sagte Ivara trocken. Sie hob den Kopf und begegnete Asaras Augen. „So schonungslos wie ich mit meinen Feinden umgehe, kann ich mir dennoch vorstellen, wie furchtbar es für dich gewesen sein muss, sie zu töten.“
„Das war es.“ Asara versuchte, die Erinnerungen zu verdrängen und scheiterte. Sie würde nie das Gefühl vergessen, als sie sich über den Körper ihrer Schwester gebeugt und ihre letzte Magie genommen hatte. Von dem Gefühl, das Richtige getan zu haben, war nichts als Grauen übriggeblieben.
Die Betroffenheit ihrer beiden Schwestern gab ihr neuen Mut. Sie hatten nichts von dieser Verschwörung gewusst. Damit musste sie das, was es jetzt zu tun galt, nicht alleine tun.
„Ich verstehe nicht, wie Savedra das tun konnte“, flüsterte Nirili. „Wie korrumpiert muss sie sein, dass sie ihre eigenen Töchter tötet? Wäre es nur um eine Kollaboration mit den Rebellen gegangen, hätte sie das anders erledigen können. Belara hatte doch gar nichts damit zu tun!“
„Belara musste sterben, weil sie etwas gewusst hat“, sagte Asara ruhig. „Ich nehme an, bei ihren Schwestern war es ähnlich.“ Sie nickte wie zu sich selbst. „Dass sie noch freundschaftlichen Kontakt zu den Rebellen hatten, kam ihr dabei wahrscheinlich gelegen.“
„Das würde erklären, warum Belara dabei war, wenn sie sich von den Rebellen schon vor Monaten distanziert hat“, sagte Ivara. Nirili zuckte zusammen, doch Ivara fuhr fort. „Sie haben irgendwie die Wahrheit herausgefunden, doch Savedra hat davon erfahren und einen effizienten Weg gesucht, um sie loszuwerden und ihren Ziel zugleich ein Stück näherzukommen.“
„Und um es so aussehen zu lassen, als traue sie weder den anderen Parteien noch den Rebellen, mit denen einige unserer Schwestern in Kontakt stehen, hat sie uns zum Verhandeln nach Yukai geschickt“, fügte Asara hinzu.
„Und natürlich hat sie dafür gesorgt, dass wir nicht nur Vertreter unserer Regionen sind, sondern Bewunderer von Dannyl und Sonea, um für sie umzukehren“, sagte Ivara.
„Das klingt, als würde sie einen sehr bösen Plan verfolgen“, sagte Nirili, die ganz blass geworden war.
„Allerdings“, stimmte Ivara unheilvoll zu. „Ich wette meine Quellen, dass sie niemals Frieden wollte. Auch wenn mir nicht ganz klar ist, wie der Dolch in dieses Mosaik passt.“
Ihr wolltet doch immer wissen, woher der Dolch kam …
Asara zuckte zusammen. „Ich weiß, woher sie ihn hat!“
Ihre beiden Schwestern starrten sie an.
„Von Takedo.“ Asara machte eine bedeutungsvolle Pause. Das jähe Triumphgefühl fühlte sich absurd an. „Und dieser hat ihn Gochara genommen, als er und Miriko sich bei ihm eingenistet hatten. Mir sind die genauen Umstände nicht klar, aber es kam wohl zum Streit zwischen den Ichani und ihrem unfreiwilligen Gastgeber.“
„Und woher weißt du das?“, fragte Nirili.
„Gochara hat er mir gesagt, bevor er starb.“ Und um seinen Statusverlust zu vertuschen, hatte er das Cravas in einen anderen Dolch eingraviert. „Aber wir sollten Savedra nicht wissen lassen, dass wir bescheid wissen“, fügte Asara hinzu. „Habt ihr noch eure Blutjuwelen?“
Ihre beiden Schwestern nickten.
„Gut. Eine von euch muss Savedra berichten, dass die Situation eskaliert ist und ich tot bin. Tut so, als wüsstet ihr nichts von dem Anschlag oder als würdet ihr es nicht glauben und fragt sie, nach ihren Befehlen.“
„Um diese dann zu missachten“, folgerte Ivara finster.
Ein humorloses Lächeln zerrte an Asaras Mundwinkeln. „Ihr habt gehört, was ich Euch über Divako und Arikhai berichtet habe. Wenn Savedras Plan die ganze Zeit über darin bestand, die Konferenz zum Scheitern zu bringen, ist es an uns, zu retten, was noch zu retten ist.“
„Das kann ich übernehmen“, erbot sich Ivara.
„Aber sei vorsichtig“, warnte Asara. „Tue nichts, was ihr Misstrauen erweckt.“
„Ich habe einen Geheimniswahrer. Und ich kann ziemlich gut schauspielern.“
„Ich traue mir das trotz Geheimniswahrers nicht zu“, sagte Nirili.
Asara winkte ab. „Soll Savedra doch denken, Ivara hätte als Einzige von uns überlebt.“
Asara griff in ihre Hosentasche und zog ein zusammengewickeltes Stück Stoff heraus. „Ich habe Zalavas Blutjuwel gefunden“, sagte sie. All die vergangenen Wochen hatte sie sich geärgert, weil ihr Blutjuwel in Arvice geblieben war, und jetzt hatte sie eines und die Vorstellung, es zu benutzen, erregte in ihr eine große Übelkeit. „Ich denke, ich sollte es zerstören.“
„Nicht“, sagte Nirili. „Was, wenn es dir noch einmal nützlich wird?“
„Savedra soll sie für tot halten“, warf Ivara ein. „Wieso sollte es das?“
„Weil …“, begann Nirili und brach ab, als Asara die Luft einsog.
„Im richtigen Augenblick eingesetzt könnte es tatsächlich von Nutzen sein“, sagte sie und verstaute das Tuch mitsamt dem kleinen roten Stein in ihrer Hosentasche.
„Ich frage mich, wie unsere Schwestern in der Zuflucht reagieren, wenn sie die Wahrheit erfahren“, sagte Nirili.
„Eine gute Frage“, stimmte Ivara zu. „Ich nehme an, wir lassen für den Augenblick im Unklaren?“
„Ja.“ Asara stieß sich von der Wand ab, an der sie gelehnt hatte, und begann in dem kleinen Raum auf und ab zu schreiten. „Ich bezweifle jedoch, dass die anderen allesamt hinter ihr stehen. Was auch immer Savedra plant, Belara und die anderen von der Eskorte haben es irgendwie herausgefunden, und mussten deswegen sterben. Savedra hätte diese Heimlichtuerei nicht nötig, würde sie ehrenhaft handeln.“
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Nirili.
Asara seufzte. „Das einzig Richtige tun und unseren schlechten Ruf noch schlechter machen. Und wir müssen Dannyl und Sonea finden.“
„Und es wäre ja nicht auszudenken, wenn Ishaka sich dagegen entscheidet, uns in der Politik mitwirken zu lassen“, murmelte Ivara ironisch.
„Sofern Ishaka überhaupt noch die Macht hat, etwas zu bewirken“, entgegnete Nirili.
„Wenn seine Anhänger von dem Vorfall in Yukai erfahren, werden sie wahrscheinlich aktiv“, sagte Asara. „In jedem Fall wäre er gegenüber Kachiro das kleinere Übel.“ Sie erschauderte, als ihr der Sinn ihrer Worte bewusst wurde. Die Konferenz war verloren, aber die Enrasa-Karten waren neu gemischt worden. Dieser Krieg war noch lange nicht vorbei.
Nirili stand auf. „Worauf warten wir dann noch? Packen wir unsere Sachen und machen uns auf den Weg, die beiden Gildenmagier zu suchen.“
„Ja“, sagte Asara. „Es wird Zeit.“
Sie brauchten eine Weile, um die Überreste ihrer Habseligkeiten in den Trümmern zu finden. In jeder anderen Situation hätte Asara sich levitiert, doch sie wollte die wenige Magie, die sie zur Verfügung hatte, nicht für etwas so Unnötiges verbrauchen. Sie konnte sich nicht entsinnen, wann sie sich zuletzt so schwach und verwundbar gefühlt hatte. Die Jahre vor ihrer Initialisierung hatte sie in der Sicherheit der Zuflucht verbracht. Später hatte sie trotz zahlreicher Einsätze immer Quellen zur Verfügung gehabt, um sich zu stärken.
Als sie das Herz des Tempels durchquerten, sog Nirili scharf die Luft ein. „Nicht einmal hier haben sie sich zurückgehalten“, hauchte sie. „Und der Kristall ist fort.“
„Der Kristall?“ Asara ließ ihren Blick durch die Verwüstung wandern. „Das kann nicht sein. Als ich Arikhai und Divako belauscht habe ich ihn noch …“ Sie hielt inne. Der Sockel, auf dem der Kristall all die Wochen über gestanden hatte, war leer.
„Er ist sicher letzte Nacht zerstört worden“, sagte Ivara ungeduldig. „Kommt jetzt.“
Und dann dämmerte ihr die Erkenntnis. Der Kristall war nicht umsonst als das Herz des Tempels bezeichnet worden. Er war das Heiligtum.
Was haben wir getan?
Die Schlucht war in tiefe Schatten getaucht, als sie den Tempel verließen und zu den Ställen gingen. Hier war die Verwüstung weniger groß, doch Asara erblickte auch hier und da
Tote. Die Vallook werden sich freuen, dachte sie.
„Warum sind sie einfach abgezogen ohne sich zu vergewissern, dass wir tot sind?“, fragte Nirili.
„Weil sie nicht davon ausgehen, dass wir in dieser Wüste lange überleben, besonders …“, Asara hielt inne und ihre Worte blieben ihr im Hals stecken, „... wenn sie keine Pferde zurückgelassen haben.“
„Wundervoll“, sagte Ivara grantig. „Und wie sollen wir dann von hier fortkommen? Ohne Pferde werden unsere Wasservorräte aufgebraucht sein, lange bevor wir wieder Wasser finden.“
„Oh, ich will nicht hier sterben!“, rief Nirili.
Asara warf einen Blick in die Schlucht. „Wir werden bei Nacht reisen“, entschied sie. „Wenn wir jeden Abend bei Einbruch der Dämmerung aufbrechen und wandern, bis die Sonne aufgeht, können wir es schaffen. Die Tiefbrunnen kann man in einem strammen Tagesmarsch erreichen, sofern man sich nicht verläuft.“
„Und wo sollen wir tagsüber Schutz suchen?“
„Nicht ganz Duna besteht nur aus Sandhügeln. Wir werden an geschützten Stellen lagern, wenn wir sie finden. Für alle anderen Fälle habe ich von Arikhai einige Tricks erfahren, wie man Schutz finden kann, wenn weit und breit nichts als Dünen sind.“
„Das klingt nach einem Plan“, murmelte Ivara. „Also brechen wir auf.“
Asara nickte. „Lasst hier, was ihr nicht unbedingt braucht. Wasser und Nahrungsmittel sollte Vorrang haben. Nehmt von euren persönlichen Dingen nur mit, wovon ihr euch nicht trennen könnt.“
Die Nacht zog rasch herauf, während sie durch die Schlucht gingen. Von dem Zeltdorf der Duna waren nur die Feuerstellen übriggeblieben. Ihre Sinne ausstreckend erkannte Asara, dass die Umgebung frei von fremden Präsenzen war. Das war beruhigend. Sie hatten kaum ihr natürliches Potential wiedererlangt. Einem wütenden Duna in die Arme zu laufen hätte ihren Tod bedeutet. Auch Ivara wusste das. Denn ihre Sprüche darüber, den Duna zu verführen, damit er sie verschonte, blieben dieses Mal aus.
In der Schlucht waren sie vor Blicken geschützt und der Weg war gut begehbar und so gab Asara ein schnelles Tempo vor. Ihrem Zeitgefühl nach zu urteilen, war es Mitternacht, als sie den Ausgang der Schlucht erreichten.
Von dort aus wandte Asara sich nach Süden. Irgendwo dort waren die Menschen, die sie um jeden Preis vor den Duna erreichen mussten. Um sicherzugehen, dass niemand sie verfolgen konnte, verwischten sie ihre Spuren mit der wenigen Magie, die sie hatten.
„Und wie sollen wir die Gildenmagier in dieser Wüste finden?“, fragte Nirili, während sie den Hang einer weiteren Düne erklommen. Asara hatte aufgehört zu zählen, wie viele sie bereits passiert hatten. „Süden ist keine allzu genaue Angabe und Spuren sind nach einem Tag im Sand nur schwer zu finden.“
„Sie werden den Weg nehmen, den wir gekommen sind“, sagte Asara. „Sie wissen, dass sie sich andernfalls verlaufen.“
„Und wenn sie sich schon verlaufen haben?“, fragte Ivara. „So sehr ich die beiden Gildenmagier mag, bin ich nicht gerade scharf darauf, bei der Suche nach ihnen in dieser verdammten Wüste zu sterben.“
„Wir brauchen Dannyl, also werden wir ihn suchen“, entschied Asara. „Ohne ihn sind wir sowieso verloren.“
„Ich will auch nicht hier sterben. Aber das kann uns auch passieren, wenn wir sie finden oder ein paar Duna begegnen“, sagte Nirili. „Die größten Chancen haben wir, wenn wir zusammenbleiben.“
„Das denke ich auch“, sagte Asara. „Also kommt weiter.“
Insgeheim war sie jedoch nicht allzu zuversichtlich, dass sie Dannyl und Sonea finden würden. Sobald es hell wurde, würde es ihnen leichter fallen, die Spuren anderer Reisender zu lesen. In der Dunkelheit wagte Asara es jedoch nicht, eine Lichtkugel zu erschaffen. Auf den Dünenkämmen würden sie von weitem zu sehen sein, aber damit sanken ihre Chancen, diese Wüste lebend zu verlassen.
Ihr Herz schlug viel zu schnell, ihre Beine protestierten von dem stundenlangen Stapfen durch den Sand und sie war völlig außer Atem, als sie den Kamm der Düne erreichten. Erschöpft ließ Asara sich in den Sand sinken. Ihre beiden Schwestern taten es ihr gleich.
„So werden wir nicht weit kommen“, murmelte Ivara und sprach damit aus, was Asara dachte. „Wir sind diese Umgebung nicht gewohnt. Wir …“
Sie brach ab, als Nirili sie anstieß. „Seht mal, da unten bewegt sich etwas“, wisperte sie.
Asaras Herz setzte einen Schlag aus. Angestrengt spähte sie in das in Schatten getauchte Dünental, das sich vor ihnen ausbreitete. Dort waren mehrere schwarze Schemen zu erkennen. Einer davon bewegte sich. Dann hätte sie beinahe laut aufgelacht. „Pferde“, sagte sie. „Es sind fünf.“
„Dann sind ihre Besitzer nicht weit“, überlegte Ivara. „Wir könnten sie stehlen, bevor sie zurückkommen.“
„Weit und breit ist niemand außer uns“, flüsterte Nirili. „Das hätte ich gespürt.“
Es gab nur eine Möglichkeit, wie Pferde dorthin gekommen waren. Die Duna hatten alle Pferde aus dem Stall getrieben, damit mögliche Überlebende nicht weit kamen. Aber sie hatten nicht alle Tiere mitnehmen können. Wahrscheinlich hatten sie einige geschlachtet und den Rest vertrieben. Von neuem Tatendrang erfüllt, kam Asara auf die Beine. „Dann los, holen wir uns die Pferde.“
Die Pferde scheuten nicht. Es waren nicht gerade die besten, aber das kam nicht überraschend. „Jede von euch nimmt zwei Pferde“, sagte sie einer plötzlichen Eingebung folgend. „Reitet sie abwechselnd und wenn sie nicht mehr können, esst sie.“
„Und was ist mit dir?“, fragte Nirili.
„Ich werde nicht mit euch kommen.“ Asara umarmte ihre Schwestern und küsste sie auf beide Wangen. Dann erklärte sie ihnen, was sie zu tun hatten.
„Kommst du denn nicht mit uns?“
Asara schüttelte den Kopf. „Ich habe da noch etwas anderes zu erledigen.“ Sie lächelte schief. „Damit das Gerücht um uns und Ishaka nicht länger ein Gerücht bleibt. Passt auf euch auf und viel Glück.“ Mit diesen Worten schwang sie sich auf den Rücken ihres Pferdes und verließ das Dünental.
***
Dannyl erwachte davon, dass er bis auf die Knochen fror. Für einen langen Moment war er verwirrt. Sollte er nicht in seinem Quartier im Tempel liegen und unter der Hitze leiden, die aus der Luft im Felsenkessel durch die Fensterschlitze sickerte? Und wieso lag er stattdessen im Wüstensand? Dann brachen die Ereignisse der letzten Nacht wie ein Sandsturm über ihn herein, und er fuhr hoch.
„Uhh!“
„Hallo, Dannyl“, erklang eine vertraute Stimme. „Wie geht es dir?“
Gegen den Schwindel ankämpfend nahm Dannyl ein paar tiefe Atemzüge. Sonea saß mehrere Schritt von ihm entfernt im Sand, die Beine gekreuzt. Von ihrem Gesicht war im blassen Licht der Sterne nicht viel zu sehen.
„Aufgeräumt“, antwortete er. „Schon fast zu ruhig.“ Er runzelte die Stirn. Nach der vergangenen Nacht fühlte sich das nicht richtig an. Zugleich spürte er jedoch instinktiv, dass es davor auch nicht richtig gewesen war. „Wie lange habe ich geschlafen?“
„Den ganzen Tag.“
Das war nicht gut. Seine magischen Reserven überprüfend stellte er fest, dass er seine Magie noch nicht vollständig regeneriert hatte. Nach ihrer überstürzten Flucht und ohne Nahrung und Wasser wunderte ihn das jedoch nicht.
„Werden wir verfolgt?“
„Bis jetzt nicht. Wir sollten die Dunkelheit nutzen, um weiterzuziehen. Aber vorher sollten wir so viel Wasser trinken, wie wir können. Ich weiß nicht, wann wir unterwegs wieder etwas finden werden, unser Weg führt uns fernab aller Reiserouten. Die Trinkschläuche, die bei den Pferden waren, werden nicht ewig reichen.“
Dannyl nickte. Seine Kehle war wie ausgedörrt und er begann die Wüste zu verfluchen. „Haben wir wenigstens etwas zu essen?“
Die kleine schwarze Magierin neigte den Kopf zur Seite. Das, was Dannyl von ihren dunklen Augen sehen konnte, schien ihn nachdenklich zu mustern. „Ich habe nichts Essbares gefunden.“
Und in dem Versuch, ihr Leben zu retten, hatten sie keine Gelegenheit gehabt, Proviant mitzunehmen. Zu einer Umkehr war es zu spät. Die Aussicht, stattdessen in der Wüste zu sterben, was indes nicht weniger verlockend. Mit Magie konnte man seine Körperfunktionen beeinflussen, um länger ohne Nahrung und Wasser zu überleben, als ein Nichtmagier. In einer Wüste verschaffte ihnen das jedoch weniger Zeit als Dannyl gutheißen konnte.
„Tut mir leid, falls ich dir letzte Nacht einen Schrecken eingejagt habe“, sagte er mit einem schiefen Lächeln.
„Dannyl, das hast du nicht“, sagte Sonea sanft. „Jeder darf auch mal schwach sein. An deiner Stelle wäre es mir nicht anders ergangen.“
Aber sie hatte viel entsetzlichere Dinge durchlebt als er. Dannyl spürte die Erwartungen der Gilde, aber auch die der anderen Parteien, wie eine schwere Last auf seinen Schultern, die ihm die Luft zum Atmen nahm. Sein Scheitern würde dazu führen, dass der Krieg so bald kein Ende fand. Vielleicht war er sogar das Ende der Gilde.
Du bist eine Enttäuschung …
„Mach dir keine Vorwürfe“, sagte Sonea als habe sie seine Gedanken gelesen.
Er zuckte zusammen. „Wie kommst du darauf, dass ich mir Vorwürfe mache?“, fragte er unschuldig.
„Wir sind seit zwei Monaten beinahe Tag und Nacht zusammen. Das ist genug Zeit, um einen anderen Menschen kennenzulernen.“
„Das ist es“, stimmte er sich zu einem Lächeln zwingend zu.
„Dannyl, rede mit mir“, sagte Sonea. „Wir sind Freunde. Und wir sind aufeinander angewiesen. Ich wünsche, dass du dich mir mitteilst, bevor du es in dich hineinfrisst. Denn ich weiß, dass du besonders bei Problemen zu Verschlossenheit neigst. Aber das ist nicht gesund.“
Sie kennt mich besser, als gut für uns beide ist, fuhr es ihm durch den Kopf. Aber dafür war es zu spät, seit er erkannt hatte, dass er keine bessere Freundin hätte finden können.
„Wenn wir wieder unterwegs sind“, entschied er.
Sie betrachtete ihn zweifelnd.
„Bis ich mit meiner Geschichte fertig bin, ist es Morgen.“
Sie hob eine Augenbraue. „Ich werde dich daran erinnern, sobald wir unterwegs sind.“
„Ich gedenke keine Ausflüchte zu machen, Sonea“, sagte Dannyl. Und er wusste, sie würde dafür sorgen, dass er bei dem Versuch keinen Erfolg hatte. „So bin ich nicht. Ich will nur wie du einfach nach Hause. Ich bin es so leid, Sonea.“
Sie seufzte leise. „Ich auch, Dannyl.“
Nachdem sie an der Tränke ihren Durst gestillt hatten und Dannyl seiner Begleiterin seine spärlich regenerierte Magie gegeben hatte, banden sie die Pferde los uns und ritten gen Westen. Außerhalb der Oase schien die Luft noch kälter und alsbald begann Dannyl vor Kälte zu zittern. Anders als auf dem Hinweg hatten sie weder Decken noch ihre Reisemäntel. Als Magier hätte er nichts davon gebraucht, um sich warmzuhalten. Aber er musste seine Magie für Sonea aufheben. Sie war seine einzige Hoffnung, wieder nach Hause zu kommen.
Während fügten sich die Informationen, auf die Dannyl sich lange keinen Reim hatte machen können, in seinem Kopf zu einem Gesamtbild zusammen. Einiges war schmerzhaft und verstörend, anderes traurig, doch dazwischen erkannte er auch eine Wahrheit, die ihn zutiefst entsetzte.
„Es war Savedra“, sagte er in die Stille, die nur von dem leisen Geräusch, das die Hufe ihrer Pferde im Wüstensand hinterließen, unterbrochen wurde. „Es war die ganze Zeit Savedra.“
„Ja“, sagte Sonea nur. „Es tut mir leid, Dannyl. Ich weiß, du hast sie sehr geschätzt.“
„Ich habe ihr vertraut.“
Wortlos streckte sie eine Hand aus und berührte seinen Arm. Aber es gab nichts, was sie ihm hätte sagen können. Er hatte geglaubt, Krieg und Macht würden die Anführerin dieses rechtschaffenen Volkes nicht korrumpieren. Und doch war es geschehen. Savedra hatte nicht gezögert, ihre Eskorte für welches Ziel auch immer hinzurichten. Damit hatte sie sein und Soneas Leben leichtfertig riskiert, um ihre Tat auf die anderen Teilnehmer der Konferenz zu schieben.
„Habe ich einen Fehler gemacht, Sonea?“, fragte er.
„Weil du ihr vertraut hast?“
Er nickte.
„Wir mussten das Bündnis mit den Verrätern eingehen. Ohne sie hätten wir diesen Krieg schon längst verloren und wären entweder tot oder Sklaven.“
Dem konnte Dannyl nur zustimmen. Aber hätte er sich auch so bemüht, hätte er gewusst, dass sie eines Tages sein Leben mutwillig in Gefahr bringen würde? „Ich kann einfach nicht begreifen, wie ich das nicht sehen konnte. Für gewöhnlich täuscht mich meine Menschenkenntnis nicht.“
„Du konntest nicht wissen, dass sie so skrupellos ist, wenn es dafür nie Anzeichen gab“, sagte Sonea. „Manche Menschen verbergen ihre wahren Absichten sehr gut. Und wer weiß, vielleicht hat der Krieg diesen Sinneswandel erst bewirkt. Vielleicht hat sie keinen anderen Weg gesehen?“
An seine Begegnungen mit der großen Mutter zurückdenkend hatte Dannyl sie stets als ausgeglichene Person, die ihre Entscheidungen niemals unbedacht traf, kennengelernt. Das hier passte nicht zu Savedra, aber vielleicht hatte Sonea recht und der Krieg hatte sie verändert.
„Aber warum dann der Konferenz zustimmen und mich als Vermittler wollen?“, fragte er. „Durch den Anschlag hat sie dafür gesorgt, dass die Konferenz zum Scheitern verurteilt war, bevor sie überhaupt begonnen hat.“
„Ich weiß es nicht, Dannyl.“
Das alles ergab keinen Sinn. Dannyl ahnte – nein wusste – dass sich ein entscheidendes Detail, um das Mosaik zu vervollständigen, seiner Kenntnis entzog. Warum sollte Savedra ihre Leute töten und den Verdacht auf die anderen Parteien lenken, um die Konferenz zu sabotieren? Was hatte sie davon, wenn sie Frieden wollte? Machte es die Situation nicht noch komplizierter, wenn Sachaka auch ohne ihr Zutun kurz vor einem zweiten Bürgerkrieg stand?
Dann setzte sein Herz einen Schlag aus.
„Ich glaube, ich weiß, was sie vorhat.“
„Was?“, fragte Sonea atemlos.
„Die Macht über Sachaka an sich zu reißen.“
Neben ihm sog Sonea scharf die Luft ein. „Und es fällt niemandem auf, weil alle zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind.“
„Exakt.“ Und es würde Sachaka ebenso wenig guttun, wie Kachiro. Denn eine Herrschaft militanter Magierinnen würde Sachaka in ein Land von Herrinnen und Sklaven verwandeln, sofern sie die Ashaki überhaupt leben ließen.
„Wenn das stimmt, dann müssen die anderen Parteien davon erfahren“, sagte Dannyl. „Aber ich muss zuerst einen Weg finden, sie wieder zusammenzubringen.“
Sonea betrachtete ihn lächelnd. „Da ist der Dannyl, den ich kenne.“
Obwohl sie das sagte, als spiele sie mit einem Kind Verstecken, musste er unwillkürlich grinsen. Vielleicht war doch noch nicht alles verloren.
***
In einem mörderischen Tempo trieb Asara ihr Pferd durch die nächtliche Wüste. Sie wusste, wohin sie wollte, und sie musste vor Divako dort sein. Ihre Schwestern waren unterwegs zu anderen Orten, um die Aufgaben zu erledigen, mit denen Asara sie betraut hatte. Hätte ich das vorausgesehen, hätte ich darauf bestanden, dass wir uns Blutjuwelen machen, dachte sie. Der Fund der Pferde hatte ihr jedoch ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Möglichkeiten, die kriegsentscheidend sein konnten.
Trotz ihres Umhangs und des Schals vor ihrem Gesicht fror Asara bis auf die Knochen. Um Magie zu sparen, verzichtete sie auf einen wärmenden Schild. Insgeheim wusste sie jedoch, dass ihre Magie kaum ausreichen würde, sollte sie auf Divako oder die Rebellen treffen. Sie wusste, dass Lenyaka und einige andere ihrer ehemaligen Schwestern überlebt hatten.
Mit meinem natürlichen Potential kann ich mich allenfalls mit einem Gildenmagier messen, dachte Asara ein Schnauben unterdrückend.
Die Nachtluft belebte ihre Sinne und beruhigte das Chaos ihrer Gedanken. Allmählich war Asara wieder fähig, über das Massaker im Tempel hinauszudenken. So viel war zu tun und so viel war ungewiss und sie wusste nicht einmal, ob sie das Richtige tat. Und sie war auf sich gestellt und hatte niemandem, dem sie ihre Gedanken …
Asaras Herz machte einen Sprung. Was seit dem vergangenen Abend geschehen war, der Tod ihrer Schwestern, Zalavas Magie zu nehmen und Savedras Verrat – all das hatte alles andere in den Hintergrund gedrängt. Obwohl sie wusste, dass es natürlich war, sich in einer kritischen Situation auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, fühlte sie sich schuldig.
- Vikacha!
Die Antwort ließ einige Augenblicke auf sich warten.
- Asara?, sandte er zusammen mit einer Woge von Trägheit und Verwirrung.
Durch das Blutjuwel konnte Asara sehen, dass er in einem großen Bett in Anjiakas Gemächern lag. Zwei von Anjiakas Sklavinnen leisteten ihm Gesellschaft. Augenblicklich wusste sie, dass er keine von ihnen ohne ihren Befehl angerührt hätte. Ihre Erleichterung rührte jedoch weniger daher als von der Tatsache, dass er bei ihrer Schwester und in Sicherheit war.
- Habe ich dich geweckt?, fragte sie.
- Ja. Aber das macht nichts. Ist etwas passiert?
Während der nächsten Stunde berichtete Asara ihm, was seit ihrem letzten Gespräch geschehen war. Obwohl es am Tag zuvor stattgefunden habe, schien ein ganzes Leben dazwischen zu liegen. Vikacha hörte zu und mit jedem neuen Detail wurde sein Entsetzen größer.
- Ich weiß nicht, was ich von Savedra erwartet habe, sandte er schließlich. Doch irgendwie bin ich nicht überrascht. Bei ihrer männerfeindlichen Politik würde es mich nicht wundern, wenn sie seit Jahren den Sturz der Ashaki plant. Ich traue ihr zu, dafür die Prinzipien deines Volkes zu verraten.
Das Entsetzliche an seinen Worten war nicht seine Offenheit, sondern dass er damit Asaras schlimmste Befürchtungen aussprach.
- Ivara ist auf dem Weg zur Zuflucht. Sie versucht, die Wahrheit herauszufinden. Vikacha, es ist wichtig, dass niemand erfährt, dass ich noch am Leben bin. Du kannst Anjiaka einweihen, ich vertraue ihr, dass sie nichts damit zu tun hat. Aber achte genau auf ihre Reaktion auf Savedras Verrat, bevor du ihr von mir erzählst.
- Ja, geliebte Meisterin, antwortete er.
Asara schnaubte leise. Die Bewegung ließ ihre steifgefrorene Nase schmerzen.
- Wenn Anjiaka auf unserer Seite ist, geh zu Varala und finde heraus, ob sie sich uns anschließt. Am besten noch morgen früh.
- Ja, geliebte Meisterin, wiederholte er.
Asara verdrehte die Augen. Sie war nicht in der Stimmung für seine Neckereien.
- Jetzt werden mir auch einige Dinge klar, die ich heute erfahren habe.
- Was?, fragte Asara alarmiert.
- Heute Morgen erhielt ich eine Nachricht von einem meiner ’Freunde’. Das war schon seltsam, weil ich sonst immer zu ihnen muss, um Informationen einzuholen. Doch anscheinend war die Nachricht wichtig genug, um mich zu kontaktieren. Kachiro hat Ishaka und Takiro zu Ichani erklärt.
Das war bemerkenswert schnell gegangen. Als hätte Kachiro nur darauf gewartet. Und Asara wusste nun, dass Divako die Wahrheit gesprochen hatte und die beiden tatsächlich noch am Leben waren.
- Und das erzählst du mir jetzt?
- Ich habe versucht dich zu rufen, doch du hast nicht geantwortet. Gegen Nachmittag bin ich schließlich losgezogen und habe meine Freunde aufgesucht. Dabei habe ich weitere interessante Dinge erfahren.
- Los, raus damit!, befahl Asara ungeduldig.
Zu ihrer Befriedigung empfing sie Schuldgefühle.
- Heute waren zwei Ashaki im Palast, die zu Kachiros engsten Freunden zählen.
- Sakori und Chirachi.
- Ja. Ich weiß nicht, was sie dort getan haben, doch anschließend schickten sie Boten zu einigen anderen Ashaki in der Stadt. Sakori verließ gegen Abend die Stadt in Begleitung mehrere Magier.
Asara pfiff leise durch die Zähne. Für gewöhnlich lud Kachiro nur zu Festen in den Palast ein.
- Könnten sie seine neuen Berater sein?, fragte sie.
- Möglich, antwortete Vikacha. Doch für mich sieht das nach der Planung eines geheimen militärischen Schlags aus.
Asaras Herz setzte einen Schlag aus. Wenn das der Fall war, dann war die Lage noch ernster, als sie bisher geglaubt hatte.
- Verzeih, dass ich dich nicht gerufen habe, fuhr Vikacha fort. Der Zusammenhang mit der Ächtung von Ishaka und Takiro hat mich stutzig gemacht und ich war bis in den Abend unterwegs. Ich wollte dich erneut rufen, nachdem ich mich ein wenig ausgeruht hatte, doch dabei bin ich eingeschlafen.
- Schon in Ordnung, antwortete Asara. Ich stehe in deiner Schuld, weil du so aufmerksam bist.
Eine Weile ritt sie schweigend weiter, ihre Gedanken in Aufruhr. Es gab so viel zu bedenken und Vikachas Beobachtungen verkomplizierten die gesamte Situation. Das Imperium war dabei in seine verschiedenen Parteien zu zerbrechen und ihrem eigenen Volk stand dasselbe bevor. Es fühlte sich an, wie der Anfang vom Ende.
Unter dem weiten, sternenklaren Wüstenhimmel fühlte sich dies seltsam und unwirklich an.
Asara erschauderte, als sie erkannte, dass sie die Einzige war, die mit beiden Seiten in Kontakt stand.
- Steh auf und wecke Anjiaka und die anderen, wies sie Vikacha an. Wenn du dich vergewissert hast, dass wir Anjiaka vertrauen können, sag ihr, sie soll Mivara rufen. Sie soll Anjiaka umgehend alles berichten, was sie über die Verschwörung in Erfahrung bringen kann. Tarko ist Ishakas mächtigster Verbündeter in der Stadt. Ihn zu beobachten ist jetzt wichtiger denn je.
- Ich werde deine Schwester sofort wecken, antwortete Vikacha. Darf ich fragen, was du vorhast?
- Das weiß ich noch nicht genau. Aber wenn ich Erfolg habe, wird Sachaka nicht mehr so sein, wie es war.
***
An diesem Abend hatte Ivasako seine erst gegen Mittag aufgenommene Arbeit früher niedergelegt. Er hatte mehr Wein getrunken als üblich und das köstliche Essen, das zwei Sklaven zur Cachira gebracht hatten, kaum angerührt. Wo er Ienara sonst seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenkte, hörte er nicht einmal zu, als sie ihm berichtete, wie sie und Lasara am Nachmittag im Palastgarten spazieren gegangen waren.
Allerdings war seit diesem Tag auch nichts mehr, wie es sein sollte.
Auf eine gewisse Weise war es dieses Mal sogar schlimmer, als nach Marikas Tod. Wo der Verlust seines Meisters in erster Linie persönlicher Natur gewesen war und Ivasako seine Sorgen auf vier Berater hatte abwälzen können, war er nun auf sich gestellt. Ienara hatte nur wenig Möglichkeiten, ihn zu unterstützen. Sie hatte stets einen weisen Rat für ihn oder war einfach nur da. Doch sie konnte Ivasako weder seine Entscheidung abnehmen noch besaß sie die Macht eines Magiers.
Nach dem Abendmahl hatte Ivasako sich zurückgezogen. Sensibel, wie sie war, war Ienara im Raum des Meisters geblieben und hatte ihre Stickarbeit wieder aufgenommen. Also war Ivasako allein zu Bett gegangen und Yakari hatte sich quer über seine Füße gelegt. Ienara mochte es nicht, wenn der P’anaal im Bett schlief. Für gewöhnlich scheuchte sie ihn auf seine Decke neben der Tür. Doch als sie ins Bett gekommen war, hatte sie einfach nur ihr Gewand abgestreift und war zu Ivasako unter die Decke geschlüpft.
Ivasako hatte die Arme um sie gelegt, ihr einen Kuss auf die Stirn gedrückt und wenig später war sie eingeschlafen.
Und jetzt lag er da. Schlaflos. Rastlos. Den Kopf voll mit unerfreulichen Gedanken, die wie ein Sturm in ihm tobten.
Er wusste, was er zu tun hatte, damit sein Geist zur Ruhe kam. Doch der bloße Gedanke erfüllte ihn mit Furcht. Es war das Letzte, was er tun wollte. Aber es war der einzige Weg.
Jetzt, in der Stille der Dunkelheit, erkannte er, dass es seit zwei Jahren auf genau das hier hinausgelaufen war.
Irgendwie war es leichter, wenn Marika es mir befohlen hat, dachte er. Mit dem Befehl seines Meisters hatte Ivasako sich aus der Verantwortung ziehen können. Was es jedoch nicht angenehmer gemacht hatte. Es hatte ihm nur die Schuld genommen.
Ich tue es auch jetzt für Marika, redete Ivasako sich ein. Er hätte nicht gewollt, dass es so weit kommt.
Aber Marika hätte Ishaka und Takiro ebenfalls zu Ichani erklärt. Er hätte keinen Augenblick gezögert und sie jagen lassen. In dieser Hinsicht war er ähnlich unnachgiebig gewesen wie Kachiro. Ivasako hätte beiden Männern recht gegeben, würde ein Teil von ihm sich nicht noch immer weigern zu glauben, dass Ishaka tatsächlich mit den Verrätern kollaborierte und den Mord an der Eskorte der Gildenmagier von seinen Anhängern hatte ausführen lassen. Sie würden niemandem aufgefallen sein, weil der Weg nach Duna nicht über die Ettkriti-Ebene führte. Es wäre so einfach gewesen, aber Ivasako scheiterte daran, einen logischen Grund für diese Aktion zu finden. Wozu diese Heimlichtuerei, wenn er und seine Anhänger gemeinsam mit den Verrätern und den Gildenmagiern mächtiger als Kachiro und die Duna waren?
Zwei Dinge standen jedoch ohne Zweifel fest: Weder Kachiro noch ein Bündnis zwischen Ishaka und den Verrätern würde Sachaka guttun.
Ivasako wusste sehr genau, was Kachiro plante. Ishakas Absichten waren für ihn dagegen noch immer unklar. Da das Blutjuwel von Ishaka kontrolliert wurde, konnte der Palastmeister auf dessen Wort nicht vertrauen.
Aber er musste die Wahrheit herausfinden. Nur dann würde er guten Gewissens tun können, was getan werden musste.
Wenn ich Ishaka in eine Situation bringe, in der er sich bedroht fühlt, dann ist das meine größte Chance auf die Wahrheit, die ich bekommen kann.
Um eine solche Situation herbeizuführen, würde er jedoch sehr genau planen müssen. Und dann waren da noch Ashaki Chirachi und die Magier, mit denen er Ivasako bei der Festnahme von Ishakas Anhängern unterstützen würde. Ivasako würde einen Großteil der Palastwache für diese Aktion abziehen müssen. Seine eigenen Leute. Ein paar werden zurückbleiben müssen, um den Palast zu sichern, überlegte er, während er im Kopf die Namen der Männer durchging, die er für sein Vorhaben benötigte und sie auf die Ashaki verteilte, von denen er wusste, dass sie mit Ishaka sympathisierten.
Ivasako war ein genügend guter Kyrima-Spieler, um zu erkennen, dass sein Plan gewagt war. Er ging ein hohes Risiko ein, dass ihn mehr als nur sein Leben kosten konnte. Aber sein Leben war ohnehin verwirkt, wenn er den falschen Leuten seine Loyalität schenkte.
Es war der einzige Weg, um Sachaka zu retten.
Er wandte sich zu der Frau, die in seinen Armen schlief. „Ienara“, murmelte er und strich über ihre Stirn. „Wach auf.“
Ienara regte sich und schlug die Augen auf. Zu Ivasakos Faszination war sie hellwach, so als habe sie die ganze Zeit damit gerechnet, dass er sie wecken würde.
„Du hast deine Entscheidung getroffen“, sagte sie nur.
„Ja.“ Mit einem Seufzen richtete Ivasako sich auf. „Ienara, du musst etwas für mich tun.“
„Was, mein geliebter Palastmeister?“
In ihrem Blick lag eine Entschlossenheit, die eine unbändige Zuneigung in ihm auslöste. Sie würde alles tun, was er von ihr verlangte. Obwohl sie dasselbe Ziel verfolgten, fühlte es sich an, als würde er sie benutzen. Aber es musste sein. Es war die ganze Zeit darauf hinausgelaufen.
Der Sturm in ihm verebbte und die Ruhe, die sich über ihn legte, war wie eine Befreiung.
Es war entschieden. Am nächsten Tag würde er den größten Kyrima-Zug in der Geschichte Sachakas machen.
***
Und im nächsten werden die Enrasa-Karten neu gemischt …
Fragen zum Kapitel
Was haltet ihr von Kachiros Plan und wie schlägt Ivasako sich hier?
Gelingt es Regin, sich von seinen Eltern zu distanzieren? Was steckt dahinter, dass er Flavia zu sich holt?
Spekulantenfrage: Was hat Trassia versucht Regin zu sagen, als er ihr vor dem Magierquartier begegnet ist?
Was haltet ihr von Soneas und Akkarins Gespräch über seine ’dunkle Seite’?
Kann der Plan, den Asara mit ihren Schwestern schmiedet, funktionieren? Was glaubt ihr, hat sie vor?
Spekulantenfrage: Was plant Ivasako?