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Die Bürde der schwarzen Magier III - Das Heiligtum von Yukai

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P18 / Mix
Hoher Lord Akkarin Lord Dannyl Lord Dorrien Lord Rothen Regin Sonea
02.08.2016
04.06.2019
56
813.938
87
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Dieses Kapitel
6 Reviews
 
16.05.2017 13.638
 
Hallo ihr Lieben,

Mit dieser Entwicklung habt ihr hoffentlich nicht gerechnet! Ansonsten hoffe ich, dass die Geschichte für euch bald ein wenig interessanter wird, auch wenn Yukai noch weniger für Fans von Pairings bereithält, als meine Geschichten es ohnehin schon tun^^

Herzlichen Dank an Araponia, Lady Kadala und Lady Alanna für die Reviews zu letzten Kapitel <3

Dass ich die Kapitel vor dem Hochladen noch einmal Korrekturlese, heißt übrigens nicht, dass sie keine Fehler mehr enthalten. Besonders Wortdreher, fehlende/überflüssige Wörter und komische Halbsätze sind Zeichen, dass ich an der Stelle etwas umgeschrieben habe. Für sachdienliche Hinweise per PN bin ich immer dankbar :)

Und jetzt viel Spaß beim Lesen!





***



Kapitel 20 – Der Anschlag



Entsetzt starrte Sonea auf die leblosen Körper. Sie konnte nicht begreifen, wie das hatte passieren können. Diese Magierinnen hatten den Auftrag gehabt, sie und Dannyl nach Yukai zu eskortieren. Sie hatten darauf gebaut, dass sie von ihnen eskortiert wurden. Ohne sie hätten sie niemals zu zweit reisen dürfen.

Schon als sie den Rauch von den Hügeln aus erblickt hatten, hatte Sonea geahnt, dass das nichts Gutes bedeuten konnte. Auf dem Weg über die Ebene hatte sich ihr ungutes Gefühl verstärkt, als sie mehrere Vallook über den Rauchschwaden hatte kreisen sehen. Und dann hatten sie die verkohlten Frauenkörper gefunden.

Sonea sah sich unfähig, das Grauen in ihr in Worte zu fassen. Der Geruch von verbranntem Fleisch hing noch immer über dem Ort und erweckte unerfreuliche Erinnerungen an die Nacht, in der Akkarin und die Verräter den Palast überfallen hatten, zum Leben. Dieser Geruch würde sie immer an das erinnern, was sie damals getan hatte und sie wusste, ein Teil von ihr würde niemals aufhören, es zu bereuen.

Aber es war richtig gewesen.

Ihre plötzliche Übelkeit mit Magie vertreibend zwang sie ihre Aufmerksamkeit zurück auf das, was von ihrer Eskorte übriggeblieben war.

Drei der Körper waren offenkundig der Einwirkung großer Mengen Magie zum Opfer gefallen. Zwei Körper waren vollständig verkohlt, ein dritter war mit roten Brandblasen übersät. Sonea kniete neben ihm nieder und berührte die Stirn der Frau. Sie war tot.

Sonea untersuchte die Leiche. Die Totenstarre hatte bereits eingesetzt, es war zu spät sie zu retten.

Eine weitere Magierin lag reglos ein Stück abseits. Sonea eilte zu ihr. Vielleicht hatte sie sich nur erschöpft und sie konnte sie heilen. Von einer unguten Vorahnung erfüllt untersuchte sie die Frau. Eine kurze Berührung genügte jedoch, um ihr zu sagen, dass sie wenige Stunden zuvor an magischer Erschöpfung gestorben war. An ihrer Halsbeuge war ein flacher Schnitt, der ihr mit einer scharfen Klinge zugefügt worden war.

„Nein“, flüsterte sie. „Das hätte nicht passieren dürfen.“

„Sonea.“ Dannyl fasste sie behutsam am Arm. „Du kannst sie nicht mehr retten. Lass sie ruhen.“

„Sie hätten nicht sterben sollen!“, sagte sie. „Wir sind zu spät gekommen!“

„Wären wir früher gekommen, wären auch wir gestorben. Wer auch immer für das hier verantwortlich ist, wollte unsere Mission vereiteln. Er hätte dafür gesorgt, dass wir sie nicht ausführen können.“

„Und warum hat er dann nicht hier auf uns gewartet?“, verlangte sie zu wissen.

Dannyl sah sich um. „Hier gibt es keine Verstecke. Vielleicht wartet er irgendwo anders, um uns in einen Hinterhalt zu locken.“

Sonea erschauderte. Sie besaß das einhundertfache ihres natürlichen Potentials und einen Speicherstein, der mindestens das Zehnfache enthielt – genug um sich einem halben Dutzend Sachakaner zu stellen. Dennoch fühlte sie sich mit einem Mal schwach und verletzlich. Als sie gegen Marika gekämpft hatte, hatte sie eine ähnlich große Menge an Magie besessen und er hatte sie besiegt.

Sie ließ sich neben der toten Magierin zu Boden fallen. Einen tiefen Atemzug nehmend zwang sie sich dazu, ruhiger zu werden und sich wieder ihrer Umgebung bewusst zu werden. Dannyl hatte recht, diese Gegend bot kein gutes Versteck. Nicht einmal die Hügel mir ihrer zerstörten Schlucht boten einen ernsthaften Schutz. Wirklich sicher würden sie erst wieder sein, wenn sie das Fort erreichten. Doch das lag mehrere Tagesreisen entfernt und sie hatten eine Mission zu erfüllen.

„Wir müssen hier fort“, sagte sie. „Aber vorher muss ich Akkarin Bericht erstatten und nach neuen Anweisungen fragen.“

Dannyl nickte nur. „Ich behalte die Gegend im Auge.“

Ohne etwas darauf zu erwidern, richtete Sonea ihren Willen auf ihr Blutjuwel.

- Akkarin!

Die Antwort kam prompt.

- Sonea! Seine Stimme klang besorgt. Was ist passiert?

- Unsere Eskorte wurde überfallen und getötet. Sie sind bereits einige Stunden tot. Sollen wir die Mission abbrechen und nach Kyralia zurückkehren?

- Hast du Hinweise darauf gefunden, wer die Angreifer sind?

- Nein. Aber ich habe auch noch nicht danach gesucht. Wir haben die Leichen gerade erst gefunden.

- Dann tu das jetzt. Ich werde Savedra informieren. Sieh dich vor, die Angreifer könnten noch in der Nähe sein. Wenn du damit fertig bist, zieht euch an einen sicheren Ort zurück. Am besten möglichst weit fort von der Ettkriti-Ebene.

Seine Präsenz verblasste und Sonea wusste, das Gespräch war vorerst beendet. Ein Seufzen unterdrückend wandte sie sich zu Dannyl und teilte ihm mit, was Akkarin ihr gesagt hatte.

„Ich werde dir helfen“, erbot sich der junge Auslandsadministrator. „Allerdings habe ich keine Ahnung vom Spurenlesen.“

„Das macht nichts.“ Sonea hob die Schultern. „Akkarin hat darauf bestanden, dass ich ein paar Tricks von den Kriegern lerne, die entlang unserer Grenze patrouillieren.“ Das meiste hatte Kayan ihr während ihres letzten Jahres gezeigt. Als Vorbereitung auf diese Mission hatte sie jedoch auch von Akkarins Erfahrung profitieren können. Im Gegensatz zu den Kriegern war er mit Sachaka, insbesondere den Ödländern, vertraut. Und er wusste, wie man mit Hilfe von schwarzer Magie diese Techniken verbessern konnte.

„Dann such du das Gelände ab“, entschied Dannyl. „Ich untersuche die Leichen. Je eher wir hier fertig sind, desto eher können wir uns in Sicherheit bringen.“

Obwohl Sonea schwante, er hatte diese Aufteilung nur vorgeschlagen, um sie vor möglichen Erinnerungen an traumatische Erlebnisse zu schützen, nickte sie. Zum Glück weiß er nur über eines dieser Erlebnisse Bescheid, dachte sie. Und das lag solange zurück, dass es sie nicht mehr schrecken konnte.

„Ihr seid der Auslandsadministrator“, sagte sie achselzuckend. „Ihr habt das Kommando.“

Für einen kurzen Augenblick glaubte sie, Selbstgefälligkeit in Dannyls Gesicht zu lesen, dann wandte er sich ab. Ein Schnauben unterdrückend begann sie, das Gelände abzusuchen.

Soneas Kenntnisse im Spurenlesen umfassten Lebewesen, die zur Fortbewegung dienten, wie Pferde oder Gorin, sowie andere Tierarten, die in diesem Fall jedoch kaum relevant sein würden. Kein Limek, Bovar oder P’anaal würde so etwas mit einer Gruppe schwarzer Magierinnen machen. Außerdem wusste Sonea wie man nach magischen Spuren, die für das Auge unsichtbar waren, suchte.

Als sie den Ort des Verbrechens zur Hälfte umrundet hatte, entdeckte Sonea mehrere Hufabdrücke. In die Hocke gehend betrachtete sie die Abdrücke näher. Sie zählte die Spuren von insgesamt fünf verschiedenen Pferden.

Sie runzelte die Stirn. Hatte eine einzelne Person dieses Massaker begangen und die Pferde der Verräter mitgenommen? Ihr Blick fiel auf die drei Vallook, die sie von einem nahen Felsen aus mit ihren gelben Augen beäugten, nachdem sie und Dannyl sie von den Leichen weggescheucht hatten. Zu schade, dass ich nicht einfach ihre Gedanken lesen kann, dachte sie. Möglicherweise waren die Raubvögel in der Nähe gewesen. Aber sie waren Tiere. Den Novizen wurde nicht umsonst in ihren ersten Lektionen über Gedankenverschmelzung eingeschärft, sich von niederen Lebewesen fernzuhalten. Der Geist eines Tieres war mit dem menschlichen nicht kompatibel, der Versuch, die Gedanken eines Tieres zu lesen, konnte zu Wahnsinn führen.

Ein Seufzen unterdrückend folgte Sonea der Spur zurück zu den Leichen, in der Hoffnung, dort Fußabdrücke zu finden, doch die Spur endete, wo der Boden geschwärzt war.

Sonea wandte sich um und folgte der Spur tiefer in die Ebene. Nach einigen Dutzend Schritten verschwand sie jedoch erneut. Kopfschüttelnd lief sie zurück und begann mit der Untersuchung der zweiten Hälfte.

Als sie fast wieder bei ihren und Dannyls Spuren war, stieß sie endlich auf etwas Interessantes. Vier unterschiedliche Fußabdrücke, wiederkehrend in einem Abstand, der implizierte, dass diese Personen gerannt waren, und daneben die Hufabdrücke von fünf Pferden.

Also waren die Angreifer zu fünft, schloss Sonea. Sie haben die Verräter gejagt und hier gestellt. Aber von wo kamen sie?

Sie pfiff nach ihrem Pferd.

„Sonea, was hast du vor?“

„Ich will sehen, aus welcher Richtung die Verfolger kamen.“

„Das ist vielleicht nicht nötig.“

„Warum?“, fragte sie.

„Weil ich etwas gefunden habe, was uns vielleicht etwas über ihre Herkunft verrät.“

Sonea griff nach den Zügeln ihres Pferdes und ging zurück. „Was ist es?“, fragte sie aufgeregt.

„Ein Dolch.“ Dannyl reichte ihr ein Messer. Seine Klinge war rußgeschwärzt, doch die Juwelen an seinem Griff glitzerten in der Sonne. „Kennst du dieses Symbol?“

Sonea nahm das Messer entgegen. In die Klinge war eine Sichel, von deren oberer Spitze Tränen aus Blut tropften, eingraviert und mit Blattgold verziert. Sie erschauderte. „Das ist das Cravas“, sagte sie.

„Das was?“

„Das Cravas. Das ist so etwas wie ein Incal. Allerdings hat nur der König eines.“ Und seine Sklaven.

„Interessant“, murmelte Dannyl. „Verräter und Imperialisten vereinbaren Friedensverhandlungen und Kachiro schickt heimlich ein Tötungskommando, damit diese scheitern, weil er keinen Frieden mit dem Volk will, das seine Sklaven entführt, und seiner Eroberung Kyralias im Weg steht.“

„Oder“, sagte Sonea. „Jemand wollte, dass wir das denken.“

Sie sahen sich an. Wenn das wahr war, dann hatten die Schwierigkeiten gerade erst begonnen.


***


Als Ivasako sich zum vierten Mal an diesem Vormittag aus seinem Rakakrug einschenkte, fielen nur noch einige wenige Tropfen der fast schwarzen Flüssigkeit in seine Tasse. „Jorika“, sagte er. „Geh in die Küchen und bring mir neuen Raka.“

Sein kleiner Assistent sprang von dem gepolsterten Hocker, auf dem er sich gelümmelt hatte, während er darauf wartete, dass Ivasako seine morgendliche Post beantwortete, damit er sie Kurieren überbringen oder an bestimmte Ashaki in der Stadt liefern konnte.

„Ja, Meister Ivasako!“, rief er freudig und rannte zur Tür.

„Falls der Küchenmeister gerade frisches Gebäck gemacht hat, nimm dir etwas davon mit!“, rief Ivasako ihm nach.

Doch Jorika hatte ihn offenkundig nicht mehr gehört. Mit einem leisen Seufzen legte Ivasako seine Schreibfeder zur Seite und trocknete den Brief in seiner Hand mit einer sanften Bewegung seines Willens. Ich sollte mich freuen, dass er seinen Aufgaben mit so großer Begeisterung nachkommt, dachte er. Für einen Neunjährigen war Jorika ein sehr fleißiger und aufgeweckter Assistent – er eignete sich besser, als so mancher Sklave, den der Palastmeister im Laufe der Jahre in Betracht gezogen hatte. Zugleich fürchtete Ivasako jedoch, dass Jorika verbraucht war, bevor er das Erwachsenenalter erreichte. Strenge und der wiederholte Versuch, den Jungen in seiner Motivation zu zügeln, waren jedoch erfolglos geblieben.

Ivasako griff nach dem nächsten Brief, las ihn erneut und verfasste dann seine Antwort auf einem frischen Bogen Pergament. Er hatte gerade den zweiten Absatz geschrieben, als es klopfte.

„Komm rein, Jorika!“, rief er, ohne aufzusehen.

„Ich bin’s, Palastmeister“, erklang eine tiefe Stimme.

Fast hätte Ivasako Tinte über den Brief verschüttet. „Rikaro!“, rief er. „Wirklich!“

„Ich habe geklopft“, erwiderte sein Stellvertreter erheitert. „Soll ich demnächst auch noch meinen Namen nennen, bevor ich dein Büro betrete?“

„Schon gut“, winkte Ivasako ab. „Ich war nur so sehr mit meiner Arbeit beschäftigt, dass ich dachte, Jorika wäre schon mit dem Raka zurück.“ Dass Rikaro ihn in seiner dienstfreien Zeit aufsuchte, war selten. Ivasako legte seine Schreibfeder beiseite und betrachtete den anderen Mann. Er trug seine Uniform, die Jacke jedoch nur lose geknöpft, was seinem Besuch einen halb-offiziellen Anlass verlieh.

„Rikaro, was kann ich für dich tun?“, fragte er.

„Ich war vorhin im Badehaus“, begann sein Stellvertreter. „Und dabei habe ich etwas gehört, das dich vielleicht interessieren könnte.“

Ivasako runzelte die Stirn. „Im Bad der Palastwachen? Was soll dort geschehen sein?“

„Ich bin mir noch nicht ganz sicher. Aber es wird eine längere Geschichte.“

Was auch immer es war – es schien wichtig genug, die eigentliche Arbeit für eine Weile niederzulegen. In all den Jahren, die Rikaro zur Palastwache gehörte, hatte Ivasako gelernt, auf dessen Urteil zu vertrauen. Rikaro würde kaum wegen einer Banalität seine Zeit stehlen.

„Setzt dich“, sagte Ivasako auf den Sessel vor seinem Schreibtisch deutend. Er legte seine Schreibfeder zur Seite und verschloss das Tintenfass, dann sah er seinen Stellvertreter direkt an. „Was hast du gesehen?“

„Du kennst doch Chariko und Sakachi, Palastmeister.“

„Die beiden Söhne von Ashaki Aviko.“

„Genau.“

Der Ashaki war bei der Schlacht von Arvice gefallen. Seine Söhne waren noch zu jung gewesen, um nach sachakanischem Recht das Erbe anzutreten. Hätte Kachiro damals nicht verfügt, dass Ivasako sich unter den minderjährigen Söhnen gefallener Ashaki Kandidaten für seine Palastwache aussuchen durfte, hätte sie das Schicksal von Sklaven erwartet. Chariko und Sakachi hatten das Angebot mit Freuden angenommen. Auch als Palastwachen waren sie nicht vollständig frei, doch ihre Privilegien und die Ehre, die ihnen damit zuteilwurde, suchten in Sachaka ihresgleichen.

„Haben sie etwas angestellt?“, fragte Ivasako.

„Nein, Palastmeister. Aber ich fürchte, ich hatte damals recht damit, dass sie ein wenig leichtgläubig sind.“

Von unguten Vorahnungen, die er nicht näher benennen konnte, erfüllt, beugte Ivasako sich über den Schreibtisch. „Erzähl mir genau, was passiert ist“, verlangte er.

„Als ich heute Morgen ins Bad ging, waren die beiden Brüder gerade dort. Sie waren so wie immer, haben mir einen guten Morgen gewünscht, und nachdem sie ihr Bad beendet hatten, haben sie das Becken verlassen. Sie …“, ein dumpfes Geräusch von der Tür ließ sie beide zusammenzucken. Doch als Ivasako einen Blick durch ein bestimmtes Blutjuwel warf, entspannte er sich wieder.

„Was hat dir die Tür getan, dass sie deine Füße zu spüren bekommt?“, rief er und streckte seinen Willen aus.

Jorika trat ein, die Hände voll mit einem dampfenden Krug Raka und einer Schale Gebäck. Anscheinend hatte er doch zugehört. „Ich bitte um Verzeihung, Meister Ivasako“, sagte er. „Meister Rikaro.“

„Stell die Sachen ab und dann lass uns allein“, wies Ivasako seinen kleinen Assistenten an.

Jorika machte ein enttäuschtes Gesicht und sofort bereute Ivasako seine Worte. Doch so sehr er dem Jungen vertraute, respektierte er Rikaros Bedürfnis nach Diskretion.

„Nimm dir etwas von dem Gebäck und dann kümmere dich darum, dass die Briefe zugestellt werden“, sagte er auf den Stapel am Rande seines Schreibtischs deutend.

„Und was ist mit den Briefen, die Ihr noch nicht beantwortet habt, Meister Ivasako?“

„Die können warten.“

Nicht mehr ganz so enttäuscht griff Jorika nach den Briefen, bediente sich an dem Gebäck und stopfte davon in die Hosentaschen so viel er nur konnte. Dann ließ er Ivasako und seinen Stellvertreter allein.

Rikaro bediente sich an dem Raka und nahm sich ein Stück Gebäck, nachdem Ivasako seinerseits danach gegriffen hatte. Hartkekse mit Alutablütenwasser.

„Ich konnte hören, wie sie sich im Ankleideraum unterhielten“, fuhr Rikaro fort. „Nach einer Weile kam ein weiterer Mann hinzu und sie unterhielten sich zu dritt. Zu Beginn hörte ich nicht richtig zu, weswegen ich eine Weile brauchte, die Stimme zu erkennen.“

„Wer war es?“, fragte Ivasako.

„Tarachi.“

„Kachiros Leibwächter? Er unterhält sich sonst nie mit den Palastwachen!“

„Nun, vielleicht versucht er, mehr Kontakt zu uns herzustellen“, sagte Rikaro. „Schließlich sollten Kachiros Leute nicht nur in der Theorie mit uns zusammenarbeiten. Das wäre zumindest der Grund für die Fragen, die er den beiden Jungen gestellt hat.“

Kachiros Leibwächter war für einen Sklaven ungewöhnlich arrogant und gab sich, als wolle er mit Ivasako und seinen Männern nichts zu tun haben. Ivasako war das nur recht, denn so musste er einer Person weniger verheimlichen, dass er seine eigenen Männer in den Tricks der Gildenmagier ausbildete. Dass Tarachi sich mit einem Mal für die Palastwache interessierte, war ungewohnt.

„Vielleicht ist ihm daran gelegen, die Sicherheit des Palasts zu erhöhen, weil Kachiro einen Aufstand der Stadt-Ashaki fürchtet“, überlegte er.

„Möglich“, stimmte Rikaro zu. „Aber ein wenig seltsam war es schon, wie er die Fragen gestellt hat.“ Er stopfte sich einen Hartkeks in den Mund. „Als Sakachi sagte, dass er, sein Bruder und die anderen Neuen einige Tricks besser beherrschen als der Rest von uns, stellte Tarachi einige Fragen, die die beiden Jungen fast dazu gebracht hätten, unser Geheimnis zu verraten, hätte ich mein Bad nicht beendet und das Gespräch unterbrochen.“

Ivasakos Herz setzte einen Schlag aus. So dicht waren sie davor gewesen, sich zu verraten? „Ich werde mich um die beiden Jungs kümmern“, sagte er. „Sie müssen lernen, sich gegen verbale Attacken zu behaupten. Sonst haben sie in der Palastwache nichts verloren.“

„Tu das, Palastmeister.“

Ivasako trank einen Schluck Raka. „Ich stehe in der Schuld, Rikaro. Du warst rechtzeitig zur Stelle. Nichts auszudenken, wenn sie sich verraten hätten!“

„Ich werde ein Auge auf Tarachi halten“, versprach Rikaro. „Ich traue ihm nicht.“

„Ich hege auch keine allzu große Sympathie für ihn“, sagte Ivasako. Er mochte es nicht, wenn ein Sklave sich für etwas Besseres hielt, bloß weil er über Magie gebot. Und er mochte nicht, wie Tarachi die Männer der Palastwache behandelte, weil er sich auf seinen Status als Kachiros Leibwächter zu viel einbildete. Egal ob Sklave oder von hoher Geburt – die Männer der Palastwache waren alle gleich. Dennoch nahm er Tarachis Existenz hin. Es ersparte ihm das zweifelhafte Vergnügen, einen Mann mit seinem Leben zu beschützen, für den er nicht genug Ergebenheit aufbrachte, um das zu wollen. „Aber er wäre nicht der Leibwächter des Imperators, wenn dieser ihm kein Vertrauen schenken würde.“

„Und was, wenn Kachiro ihn zum Spionieren geschickt hat?“

„Wieso sollte er?“, fragte Ivasako. „Er weiß nicht, was Marika mir von seinem Wissen vermacht hat.“

„Ich traue ihm dennoch nicht.“

„Es steht dir frei, Tarachi zu beobachten, solange du dabei nicht deine Arbeit vernachlässigst“, sagte Ivasako.

„Ja, Palastmeister.“ Rikaro leerte seinen Raka und erhob sich. „Aber das solltest du auch tun. Ich hatte heute den Eindruck, er wolle die beiden Jungen aushorchen.“

Wenn Rikaro das sagte, dann war es besser, diese Möglichkeit nicht zu ignorieren. „Dann ist es umso besser, dass du damit sofort zu mir gekommen bist“, sagte Ivasako.

Aber woher hatte Tarachi dieses Wissen?, fragte er sich, nachdem er das Büro wieder für sich hatte. Hatte jemand aus der Palastwache eine entsprechende Bemerkung fallenlassen? Oder hegte Tarachi nur einen bloßen Verdacht? Oder, fragte Ivasako sich mit Schrecken, hat Kachiro ihn geschickt, weil er mir und der Palastwache nicht mehr traut?

In den vergangenen Wochen hatte Ivasako alles getan, um das Vertrauen des Imperators in seine Absichten zu stärken. Er konnte nicht glauben, dass Kachiro an ihm zweifelte. Andererseits hatte Kachiro gerade erst versucht, über Ashaki Tarko etwas über Ishakas Pläne herauszufinden. Was, wenn er darüber zu dem Schuss gekommen war, dass sein Palastmeister ebenfalls in diese Angelegenheit involviert war? Oder handelte Tarachi aus eigenem Antrieb?

Jorikas Rückkehr unterbrach seine Kontemplation. „Die Briefe sind an Kuriere übergeben, die anderen habe ich selbst überbracht.“

„Gut“, sagte Ivasako.

„Und Ienara wartet schon auf Euch“, fuhr Jorika fort. „Es ist schon nach Mittag.“

Schon so spät? Erschrocken stand Ivasako auf. „Dann sollte ich sie nicht länger warten lassen. Du kannst dir den Rest des Tages freinehmen. Spiel ein wenig mit Yakari, wenn du magst.“

„Ich stehe in Eurer Schuld, Meister Ivasako!“, rief Jorika.

Lachend wuschelte Ivasako durch das wilde Haar des Jungen und folgte ihm nach draußen.

Vor der Cachira stand eine Sänfte und mehrere Sklaven mit dem Cravas auf die kräftigen Oberarme tätowiert warteten davor. Ienara selbst empfing ihn im Gemeinschaftsraum mit ungeduldiger Miene. „Du wolltest bis zum Mittag hier sein“, sagte sie vorwurfsvoll.

„Verzeih mir.“ Ivasako nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände und küsste sie. „Doch mir ist etwas dazwischen gekommen.“

„Auf den Märkten wird es nun voll sein.“

„Mit diesem Argument hätten wir bei Sonnenaufgang gehen müssen“, entgegnete Ivasako.

Sie bedachte ihn mit einem verärgerten Blick, als wolle sie sagen „Du hast wieder einmal zu viel gearbeitet“, erhob jedoch keine weiteren Einwände.

„Komm“, sagte Ivasako. „Wir werden auch jetzt noch Stoffe für deine Sommergarderobe finden. Wenn die Leute meine Uniform sehen, werden sie uns von selbst Platz machen.“

Besänftigt ließ Ienara sich von ihm nach draußen führen. Ivasako hatte ihr schon bei Ishakas Abreise versprochen, mit ihr einkaufen zu gehen. Ienara brauchte neue Kleider, der heiße Sommer nahte und von nun an würde sie ihn öfter zu den Parties der Ashaki begleiten. Ihre neue Garderobe würde ein wenig freizügiger als ihre jetzige sein, da die Ashaki sie für Ivasakos Sklavin hielten, wenn auch sie nicht so freizügig gekleidet war, wie die jungen Sklavinnen der Ashaki.

„Was bedrückt dich, Palastmeister?“, fragte Ienara, während die Sklaven ihre Sänfte die Prachtstraße entlang trugen.

Es war sinnlos zu lügen. Wahrscheinlich hatte er bereits seine Grübelmiene aufgelegt.

In wenigen Worten berichtete er Ienara von seinem Gespräch mit Rikaro.

Als er geendet hatte, war ihre Miene ernst. „Jetzt verstehe ich so einiges“, murmelte sie.

Ivasakos Eingeweide erstarrten. „Was?“, fragte er.

„Er hat es auch bei mir versucht. Zuerst dachte ich, er versuche, Anschluss im Palast zu finden. Kachiros Sklaven sind bald zwei Jahre hier und noch immer gehören sie nicht wirklich zu uns.“

Das war Ivasako auch wiederholt aufgefallen. Einige Sklaven hatten sich darüber bei ihm beschwert. Als Palastmeister konnte er jedoch auch nicht viel mehr tun, als an Marikas ehemalige Sklaven zu appellieren. Die Palastsklaven waren eine eingeschworene Gemeinschaft und viele hegten keine große Sympathie für den Imperator. So betrachtet schien Ienaras Beobachtung logisch. Doch wenn seine Worte nun auch ihr Misstrauen erregt hatten, musste mehr dahinter stecken. Sie hätte es in ihrem Leben nicht weit gebracht, hätte sie eine schlechte Beobachtungsgabe oder würde sie unbedacht handeln.

„Was hat Tarachi getan?“, fragte er.

„Wenn Kachiro ihn nicht braucht, gesellt er sich oft zu mir und Lasara, wenn ich Vyer spiele. Doch er machte den Eindruck, als würde er die Musik mögen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Sklave sich für dieselben Dinge, wie sein Meister begeistert. Aber jetzt frage ich mich, ob er versucht, über mich an dich heranzukommen.“

„Hat er dir Fragen gestellt?“

Ienara schüttelte den Kopf. „Und er hat auch nichts außer einem leichten anfänglichen Unbehagen gezeigt, das bei dem Neuling nicht ungewöhnlich nicht.“

„Beobachte ihn weiter. Wenn er für Kachiro spioniert, wird er bald versuchen, dein Vertrauen zu gewinnen.“

„Das ist wahrscheinlich“, stimmte sie zu. Sie runzelte die Stirn. „Es ist möglich, dass er anfangs aus eigener Intention kam und Kachiro ihn als Spion benutzt, nachdem er davon erfuhr. So wie er es bei dir getan hat, um Informationen über die Stadt-Ashaki zu enthalten.“

Und weil Tarachi sein eigenes Unbehagen bis dahin bereits abgelegt hatte, konnte er spionieren, ohne verdächtigt zu werden.

„Ich glaube“, riss Ienara ihn aus seinen Gedanken, „wir sind zu sehr davon ausgegangen, dass er und Kachiros Leute sich wie die Palastgarde verhalten. Unter Marika hätte keine Palastwache es gewagt, ihr eigenes Spiel zu spielen.“

„Nein, das hätte sie nicht“, stimmte Ivasako zu. Neue Palastwachen waren für gewöhnlich darauf bedacht, sich in das Leben im Palast einzufügen und gemocht und geschätzt zu werden. Allerdings waren dies Söhne der Ashaki oder Sklaven und keine Abteilung persönlicher Wachen des neuen Imperators.

In jedem Fall wussten sie nun, dass sie einen weiteren Gegenspieler hatten. Tarachi, Kachiros Versuch, Ivasako als Spion einzusetzen, und Tarkos Einladung in den Palast waren zu viele Zufälle in zu kurzer Zeit.


***


Nachdem sie bis zum späten Nachmittag in Richtung der Berge zurückgeritten waren, hatten sie wieder unebeneres Gelände erreicht. Sonea hatte zwei dicht zusammenstehende Felsen gefunden, deren Spitzen einen Überhang schufen, unter dem sie sich und ihre Pferde für eine Weile verstecken konnten.

Obwohl sie keine Spur von Verfolgern gesehen hatten und Sonea ihm versichert hatte, dass niemand außer ihnen in dieser Gegend war, war Dannyl unruhig. Mehrfach war er versucht gewesen, sein eigenes Blutjuwel zu benutzen. Akkarin hatte ihm jedoch eingeschärft, das nur im äußersten Notfall zu tun und Sonea die Kommunikation zu überlassen. Da Dannyl sich nie wirklich sicher war, was er über dieses Artefakt preisgab, war ihm das recht. Jetzt hingegen verlangte es ihm nach Informationen und er musste sich darauf verlassen, dass der Hohe Lord seiner Frau bald von seinem Gespräch mit der Anführerin der Verräter berichtete. Die kleine schwarze Magierin war für seine Sicherheit zuständig und sie und Akkarin kannten dieses Land besser als er. Und sie waren Krieger.

Mit einem Seufzen lehnte Sonea sich gegen die Felswand und trank einen Schluck Wasser.

„Hier“, sagte sie zu Dannyl und reichte ihm den Schlauch. „Ihr solltet auch etwas trinken.“

Dannyl nickte dankbar und nahm den Schlauch entgegen. „Ich frage mich, ob ich eine dieser Frauen gekannt habe.“

„Nach dem Überfall auf Arvice hat Savedra einige ihrer Leute von ihren Posten abgezogen, weil sie dort nicht mehr unerkannt operieren konnten“, sagte Sonea. Sie schlang ihre Arme um ihren schlanken Körper, als müsse sie sich festhalten. „Sie müssen Euch nicht zwingend damals in der Zuflucht begegnet sein.“

„Das ist wahr“, murmelte Dannyl. „Hat der Hohe Lord sich inzwischen wieder gemeldet?“, fragte er dann.

„Nein.“ Sie hob die Schultern. „Entweder er hat Savedra noch nicht erreicht oder sie reden noch immer. Oder er wollte warten, bis wir in Sicherheit sind.“

„Hat er gesagt, dass er dich rufen wird?“

„Nein.“ Sonea lächelte schief. „Er verliert nie viele Worte.“

Dannyl verkniff sich ein Lächeln. Das sah Akkarin ähnlich. Aber er konnte nicht mehr länger warten. Sie waren zu zweit auf feindlichem Territorium unterwegs zu einem Ort, an dem sie auf fünf Gruppen treffen würden, von denen mindestens drei ihnen feindlich gesonnen waren. Plötzlich erkannte er, dass er von Anfang an kein gutes Gefühl bei dieser Mission gehabt hatte. Die Sachakaner waren ein unnachgiebiges, stolzes und aggressives Volk, dessen magische Stärke ihnen eine gewisse Arroganz verlieh, was sie gefährlich und unberechenbar machte. Und das hatten all ihre Gruppierungen, egal ob Ashaki, Verräter oder Ichani, gemein.

„Dann ruf ihn jetzt.“

Sie nickte und griff nach seiner Hand. „Ihr solltet hören, was er zu sagen hat.“

Dannyl nickte. Gedankenrede war immer noch die direkteste Art der Kommunikation.

Sofort wurde er sich zwei fremder Präsenzen bewusst. Soneas Präsenz war stark und für einen kurzen Augenblick konnte er ihre Nervosität spüren, bevor sie sie beiseiteschob. Akkarins Präsenz indes war emotionslos und verborgen, aber Dannyl konnte sich noch gut daran erinnern, welche Macht hinter ihr steckte.

- Sonea, Dannyl!, sandte der Hohe Lord. Geht es euch gut?

- Ja, antwortete Sonea. -Wir haben ein Versteck gefunden, wo wir vorerst bleiben können.

- Was hat die Untersuchung des Tatorts ergeben?

- Die Verräter waren zu Fuß unterwegs. Sie wurden von fünf Reitern verfolgt. Es kam zum Kampf. Die Reiter müssen um ein Vielfaches stärker als die Verräter gewesen sein. Drei Magierinnen sind bei lebendigem Leibe verbrannt, als ihre Schilde zusammenbrachen und sie einen tödlichen Treffer erlitten. Einer weiteren wurde mit einem Dolch ihre gesamte Magie entnommen. Sie war jedoch schon zu lange tot, als dass ich sie hätte wiederbeleben können. Bei mindestens einer der drei verbrannten Leichen muss die Magie erst aus ihr herausgebrochen sein, nachdem die Angreifer bereits die Flucht ergriffen hatten. Zumindest erklärt das, warum ihre Hufspuren erst wieder außerhalb des Bereichs zu sehen sind, in dem der Boden geschwärzt ist. Nach ungefähr dreißig Schritt haben sie ihre Spur jedoch mit Magie verborgen, was eine Verfolgung unmöglich macht.

- Gute Arbeit, lobte Akkarin. Habt ihr irgendeinen Anhaltspunkt, wer die Täter waren?

- Wir haben nur den Dolch, den Dannyl gefunden hat. Darauf ist das Cravas eingraviert. Dannyl und ich glauben, dass dies das Werk von Imperialisten war oder jemand es so aussehen lassen wollte. So wie damals als die Ichani Euch den Mord an Lord Jolen unterschieben wollte.

Der Hohe Lord schwieg eine lange Weile.

- Die Spuren der Verräter, die du gefunden hast?, fragte er dann. Sind sie gerannt?

- Ja.

- Ich nehme an, sie verschwinden ebenfalls in dem Bereich, der von der frei gewordenen Magie zerstört wurde.

- Ja, antwortete Sonea verständnislos. Worauf wollt Ihr hinaus?

- Savedra hatte die Eskorte mit Blutjuwelen ausgestattet. Sie erhielt jedoch keinen Hilferuf, was darauf hindeutet, dass die Eskorte überrascht wurde. Verräter, insbesondere die Söldnerinnen, pflegen weite Strecken im Laufschritt zurückzulegen. Es kann sein, dass sie gar nicht geflohen sind, sondern zu Eurem Treffpunkt unterwegs waren und anhielten, als sie bemerkten, dass jemand hinter ihnen war.

Dannyls Herz machte einen Sprung, als er verstand, worauf der Hohe Lord anspielte.

- Oder sie dachten, es wären Freunde, sandte er.

- Richtig.

- Also haben die Verräter ihre Mörder gekannt?

- Möglicherweise. Doch das ist nur Spekulation. Sicher ist nur, dass die Täter einer Gruppierung angehören, die Eure Teilnahme an der Konferenz und einen damit verbundenen Frieden verhindern wollen. Nach allem, was wir wissen, könnten diese sogar aus den Reihen der Verräter selbst kommen.

- Wie das?, fragte Sonea.

- Nicht alle Verräter sind über die Friedensverhandlungen glücklich, sandte Akkarin. Sie fürchten, Savedra könnte den Frieden für ihr Volk nur herbeiführen können, indem sie Zugeständnisse macht, mit denen sie nicht einverstanden sind.

- Und was sollen wir nun tun?, fragte Dannyl.

- Reist abseits der Straßen und meidet offenes Gelände. Wenn ihr es durchqueren müsst, dann nur bei Nacht. Spart eure Magie, so gut ihr könnt. Dannyl, Ihr werdet Sonea weiterhin Eure Magie geben.

- Also reisen wir weiter nach Yukai, folgerte Dannyl.

- Die Dringlichkeit Eurer Mission hat sich durch diesen Vorfall erhöht. Wer auch immer den Frieden verhindern will, er wird es weiterhin versuchen. Ihr seid unsere größte Chance, diesen Krieg zu beenden und einen Kompromiss zu finden, der für alle Parteien akzeptabel ist. Sowohl ich als auch Savedra wünschen, dass Ihr auf der Konferenz vermittelt. Dieser Vorfall muss in Yukai zur Sprache gebracht und aufgeklärt werden, bevor an ein Einstellen der Feindseligkeiten überhaupt zu denken ist.

- Ich verstehe, sandte Dannyl. Er begriff, wie viel von ihm abhing. Die Feindschaft zwischen den Verrätern und ihren Gegnern würde sich durch dieses Massaker vertiefen. Ich werde alles daran setzen, sie zur Vernunft zu bringen.

- Weiß man inzwischen, wer die Frauen waren?, fragte Sonea.

- Söldner, antwortete Akkarin. Dannyl kann sich vielleicht an die eine oder andere von seinen Verhandlungen mit den Verrätern erinnern.

Von Sonea ging eine jähe Erleichterung aus.

- Dass wir sie nicht kannten, macht es nicht weniger entsetzlich, sandte sie.

- Nein.

- Bekommen wir eine neue Eskorte zugeteilt?, fragte Dannyl.

- Savedra hält das für unklug. Jedoch nicht, weil sie um ihre Töchter fürchtet, sondern weil sie ihnen nicht mehr vertraut oder sie so weit entfernt leben, dass sie Wochen bräuchten, um euch zu erreichen. Ihr seid auf euch gestellt.

Sonea löste ihre Hand von Dannyls. Blinzelnd wurde er sich wieder seiner Umgebung bewusst. Die kleine schwarze Magierin hatte ihre Augen geschlossen und ihr Gesichtsausdruck war konzentriert. Dannyl hätte zu gern gewusst, was sie noch mit Akkarin zu besprechen hatte, doch er nahm an, dass es sich um etwas Privates handelte, was ihn nichts anging.

Schließlich öffnete sie ihre Augen und wandte sich ihm zu.

„Er wünscht, dass wir erst aufbrechen, wenn es dunkel ist“, sagte sie. „Und er erwartet, dass wir ihm zwei Mal pro Tag Bericht erstatten.“

Sie wirkt besorgt, stellte Dannyl fest. Akkarin mochte sie nicht ohne einen Vorrat an Magie gehengelassen haben, aber Dannyl war auch bewusst, dass dieser nicht gegen eine ganze Armee reichte.

Als habe sie seine Gedanken gelesen, sagte sie: „Dannyl, macht Euch keine Sorgen um Eure Sicherheit. Ich habe geschworen, Euch mit meinem Leben zu beschützen und ich werde mein Wort halten.“

„Das habe ich nie angezweifelt“, erwiderte er.

Der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. „Ihr solltet jetzt schlafen“, sagte sie dann. „In ein paar Stunden wird es dunkel und dann brechen wir auf. Ich werde solange Wache halten.“


***


„Denkt daran, die Flüssigkeit nur langsam zu erhitzen“, ermahnte Rothen seine Klasse. „Und umgebt euch mit einem schwachen Schild, wenn ihr es tut. Ich will keinen von euch ins Heilerquartier schicken müssen.“

„Ja, Mylord“, erwiderten die Novizen ehrfürchtig, aber ohne Furcht. Rothen war nicht überrascht, Aufregung in ihren Gesichtern zu lesen. Sie alle waren begierig darauf, spannende und gefährliche Experimente durchzuführen. In den unteren Klassen waren Novizen oft von der Alchemie enttäuscht, weil dort nur ungefährliche Experimente gelehrt wurden. Rothen hatte jedoch einen Weg gefunden, auch diese Novizen von einer Disziplin zu begeistern, die von den meisten als langweilig empfunden wurde. Mädchen pflegten sich meist für Heilkunst zu interessieren, und seit die Schwierigkeiten mit den Sachakanern begonnen hatten, erfreute sich Kriegskunst ungeahnter Beliebtheit.

Und das, obwohl meine und Farands Schildsenker so viel zu unserem Überleben beigetragen haben, dachte er. Diese waren inzwischen jedoch von Sonea und Sarrin mit schwarzer Magie effizienter gemacht worden. Selbst wenn Rothen die Details gekannt hätte, hätte er das seine Novizen niemals lehren wollen.

Es klopfte kurz und, als er seinen Willen nach der Tür ausstreckte, trat ein Diener ein.

„Lord Rothen“, sagte er und verneigte sich. „Der Hohe Lord erwartet Eure unverzügliche Anwesenheit im Büro des Administrators. Lord Elben wurde bereits informiert, Eure Nachmittagsklasse zu vertreten.“

So, Akkarin verlangt mich in Osens Büro zu sprechen? Wenn der Hohe Lord das tat, dann musste es wichtig sein.

Dann setzte Rothens Herz einen Schlag aus. Sonea und Dannyl waren in Sachaka. War ihnen etwas zugestoßen?

Mit einem Mal verspürte er den irren Drang, dem Klassenzimmer zu entfliehen.

„Sag ihm, bin unterwegs“, wies er den Diener an.

Nachdem er seinen Novizen Anweisungen gegeben hatte, um den Unterrichtsraum bis zu Lord Elbens Ankunft nicht zu verwüsten, eilte er auf den Flur und die fragilen, verzierten Treppen hinab in die Empfangshalle. Auf halbem Weg kam ihm Lord Elben entgegen. In nur wenigen Worten informierte Rothen ihn über das aktuelle Unterrichtsthema seiner Klasse, dann eilte er weiter.

Er fand Akkarin und Osen alleine im Büro des Administrators. Osen wirkte noch blasser und gestresster als sonst und Rothen konnte ihm ansehen, dass dies nicht an der Gegenwart des schwarzen Magiers lag. Er war eindeutig besorgt. Akkarins Miene war wie immer kühl und verschlossen. Als Rothen ihn näher betrachtete, glaubte er, auch in dessen harschen Gesichtszügen Spuren von Besorgnis zu lesen.

„Hoher Lord“, grüßte er mit wachsender Furcht. „Administrator. Wie kann ich Euch behilflich sein?“

Osen wies auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch. „Setzt Euch, Lord Rothen.“

Dankend nahm Rothen Platz. „Ist dies eine persönliche Unterredung?“, fragte er.

„Die höheren Magier werden später zu uns stoßen.“ Akkarin stieß sich von dem Fensterrahmen ab, an dem er wie ein großer, finsterer Schatten gelehnt hatte, und begann in dem kleinen Raum auf und ab zu schreiten. Wie ein hungriger Limek. „Der Administrator und ich hielten es jedoch für besser, Euch zunächst alleine zu informieren, weil Ihr persönlich involviert seid.“

Rothen wurde kalt.

„Worüber?“, verlangte er zu wissen. „Was ist passiert?“

„Es gab einen Vorfall in der Ettkriti-Ebene. Die Eskorte, die Sonea und Dannyl zugeteilt wurde, ist tot. Wir müssen davon ausgehen, dass es ein Mordanschlag war, auch wenn wir nicht …“

Der Rest der Worte ging in einem Rauschen unter, als Rothens schlimmsten Befürchtungen wahr wurden. „Nein“, brachte er hervor. „Das kann nicht sein. Das darf nicht …“

„Rothen“, sagte Administrator Osen sanft. „Sonea und Dannyl geht es gut. Als sie dort eintrafen, waren die Verräter bereits tot. Doch es ist möglich, dass der oder die Mörder auch nach ihren Leben trachten.“

Rothen starrte den anderen Mann an. Er sollte erleichtert sein, dass seine beiden ehemaligen Schützlinge wohlauf waren, doch er fürchtete zu sehr, das würde nicht andauern. Beide hatten in Sachaka traumatische Erfahrungen gemacht und waren dabei nur knapp mit dem Leben davongekommen. Ohne schwarze Magie war Dannyl auf den Schutz anderer angewiesen. Und Sonea … sie war bereits einmal entführt worden. Rothen konnte nur erahnen, was sie dabei durchgemacht hatte. Er war jedoch sicher, dass eine erneute Entführung sie zerstören würde.

„Und wie soll es jetzt weitergehen?“, fragte er. „Werden Sonea und Dannyl zurückkehren?“

„Darüber werden wir uns nun beraten.“

Osens Worte erfüllten Rothen mit düsteren Vorahnungen, worauf das hier hinauslaufen würde. Wäre es nach Rothen gegangen, so hätten Dannyl und Sonea auf der Stelle ihre Mission beendet. Doch die ganze Sache war komplizierter als das. Dannyl war in einem wichtigen diplomatischen Auftrag unterwegs, der den Krieg beenden konnte. Rothen war dumm gewesen, auf den Schutz der Verräter und ungeschriebene diplomatische Gesetze zu vertrauen.

Die Tür ging auf und Lord Balkan betrat das Büro dicht gefolgt von Regin. Rothen unterdrückte ein Stöhnen, als er die wichtigtuerische Miene des jungen Kriegers sah. Glaubte dieser Bengel ernsthaft, irgendeinen Einfluss zu haben, nur weil er Balkans Assistent war? Wenig später betrat Lord Peakin den Raum und es vergingen nur wenige Minuten, bis auch die beiden Heilerinnen eingetroffen waren.

„Das ist eine entsetzliche Tragödie“, hauchte Lady Vinara, nachdem Osen die höheren Magier über die Details des Vorfalls informiert hatte. „Sonea und Dannyl können von Glück sagen, dass sie den Treffpunkt erst erreichten, als es schon vorbei war.“

„Hätte Sonea die Verräter nicht retten können?“, fragte Peakin verwirrt.

„Dazu war es zu spät und der Schaden zu groß“, antwortete Lord Balkan. „Nach allem, was wir wissen, wurde die Eskorte schnell und effizient getötet. Darauf lässt sowohl Soneas Untersuchung des Tatorts als auch die Tatsache, dass Savedra keinen Hilferuf erhalten hat, schließen.“

„Sofern es nicht ein Überraschungsangriff war“, wandte Regin ein. „Die Verräter könnten ihre Mörder für Verbündete gehalten haben und sich nicht geschützt haben.“

„Dann wäre die Verwüstung weitaus größer gewesen“, widersprach Balkan.

„Und was ist mit dem Dolch, den Dannyl gefunden hat?“, fragte Rothen.

„Den könnte der Täter dort deponiert haben, um den Verdacht von sich zu weisen.“

„Also könnten es Verräter oder ehemalige Verräter sein“, folgerte Lord Peakin.

„Oder es waren ihre Feinde.“ Mit einer nachdenklichen Geste fuhr Balkan sich übers Kinn. „Der Angriff kann überraschend gekommen sein, jedoch nicht so überraschend, dass die Eskorte auf der Stelle starb. Vielleicht haben sie gekämpft, doch bevor sie sich komplett erschöpft haben, haben ihre Gegner eine Angriffstechnik verwendet, die zum plötzlichen Tod drei der Frauen geführt hat, während einer vierten ihre Magie genommen wurde, als sie im Sterben lag.“

Osen fuhr sich über die Stirn und seufzte. „Was auch immer heute in der Ettkriti-Ebene geschehen ist, wir können von hier aus nicht viel unternehmen, um den Vorfall weiter zu untersuchen“, sagte er. „Wir sollten lieber überlegen, ob Sonea und der Auslandsadministrator ihre Mission abbrechen und zu uns zurückkehren.“

„Die Sicherheit der beiden hat höchste Priorität“, sagte Lady Vinara sofort und Rothen nickte zustimmend.

Lord Balkan stich sich übers Kinn. „Hoher Lord, wie stark ist Sonea?“

„Sie besitzt mehr als das Einhundertfache ihrer eigenen Magie und darüber hinaus einen Speicherstein mit einem Teil der Magie, die ich dem König von Sachaka genommen habe“, antwortete Akkarin. „Außerdem habe ich ihr einen kleinen Vorrat an modifizierten Schildsenkern mitgegeben. Sie und Dannyl tragen zudem je einen Geheimniswahrer, der das Lesen ihrer Gedanken verhindert, sollten sie in Gefangenschaft geraten.“

„Damit könnten sie einen oder zwei schwarze Magier sicher besiegen“, brummte Balkan. „Vielleicht ein halbes Dutzend. Alles darüber hinaus ist reine Spekulation.“

„Können Dannyl und Sonea es sicher zurück zur Grenze schaffen?“

Der Blick des Hohen Lords glitt für einen Moment ins Leere und Rothen nahm an, er hielt Rücksprache mit den Magiern am Nordpass. „Der Rückweg zum Fort ist sicher“, sagte er.

Damit konnten sie in drei Tagen wieder in Sicherheit sein. Rothen war jedoch unfähig aufzuatmen. Sein Gefühl sagte ihm, dass Sonea und Dannyl noch lange nicht in Sicherheit sein würden. Ich wusste, irgendetwas würde passieren!, dachte er. Es war ein Fehler, sie gehenzulassen.

Der Administrator seufzte erneut. „Mir gefällt das alles nicht“, sagte er und sprach damit aus, was Rothen dachte. „Es wäre am sichersten, Sonea und Dannyl zurückzubeordern, doch damit würden alle Bemühungen der vergangenen Wochen und Monate zunichtegemacht und ein Ende des Krieges in weite Ferne rücken.“

„Die Frage, die wir uns auch stellen sollten, ist: Galt dieser Angriff den Verrätern oder galt er Sonea und Dannyl?“, sagte Regin. „Wenn es nur um die Verräter ging, wären Sonea und Dannyl in Sicherheit. Galt der Angriff jedoch in Wahrheit ihnen, dann wird, wer auch immer das getan hat, sie bis Duna jagen.“

„Sie sind alleine in Sachaka“, sagte Rothen verärgert. „Sie wären auch dann nicht in Sicherheit, hätte der Angriff allein den Verrätern gegolten.“

„Wir haben weder für das eine noch für das andere ausreichend Hinweise“, sagte Osen beschwichtigend. „Doch wir sollten vom Schlimmsten ausgehen.“

„Wie hat die Anführerin der Verräter denn Mord ihrer Töchter reagiert?“, fragte Lady Vinara.

„Sie war bestürzt“, antwortete Akkarin. „Und sie hat mir zugesagt, den Vorfall zu untersuchen.“

Mehrere Magier atmeten leise aus. Und auch Rothen war erleichtert. Vergeltungsmaßnahmen würden den Konflikt wieder verschärfen.

„Erhalten Sonea und Dannyl eine neue Eskorte?“, fragte das Oberhaupt der Heiler weiter.

„Das hält Savedra für zu gefährlich.“

„Für wen?“, verlangte Rothen zu wissen. „Sonea und Dannyl sind in den Ödländern völlig auf sich gestellt. Wenn ihnen keine neue Eskorte zugeteilt wird, sollten sie zurückkehren!“

„Eine Umkehr kommt nicht in Frage“, sagte Akkarin leise und mit einem warnenden Unterton. „Diese Konferenz ist für alle beteiligten Parteien sehr wichtig. Und damit auch für uns. Dannyl muss in Yukai vermitteln. Möglicherweise ist die Konferenz unsere beste Möglichkeit, etwas über den Anschlag herauszufinden.“

„Aber auch die Gefährlichste“, wandte Rothen verärgert ein. „Der Vorfall sollte erst aufgeklärt werden, bevor Sonea und Dannyl zu dieser Konferenz gehen.“

Die Augen des schwarzen Magiers blitzen für einen Moment zu ihm und Rothen musste sich zwingen, dem Blick des anderen Mannes standzuhalten.

„Rothen“, sagte Osen. „Mir gefällt das auch nicht, aber die anderen Parteien sind bereits auf dem Weg dorthin oder schon dort eingetroffen. Sie werden vielleicht keinen zweiten Verhandlungen zustimmen, wenn wir die Konferenz absagen.“

Das sah Rothen ein, aber deswegen musste es ihm noch lange nicht gefallen. „Und wie sollen Sonea und Dannyl nun sicher bis Yukai kommen?“, fragte er ungehalten.

„Sie werden entlang der Berge reisen, wo sie vor Entdeckungen weitgehend sicher sind. Sollte der Anschlag wirklich nur ihrer Eskorte gegolten haben, so werden sie wahrscheinlich unbehelligt ziehen können.“

„Was ich für sehr waghalsig halte“, bemerkte Lady Vinara trocken.

„Wir haben keine andere Wahl, Vinara“, sagte Balkan ungewöhnlich sanft. „Wir mögen ihre Leben riskieren, doch wir würden noch viele weitere Leben riskieren, wenn wir Dannyl zurückbeordern und dieser Krieg weitergeht.“

Es muss doch eine andere Lösung geben!, dachte Rothen verzweifelt. Diese ganze Mission war von Anfang an Wahnsinn gewesen. Jetzt vor allem eines: ein Selbstmordkommando.

„Sonea und Dannyl werden bis auf weiteres in ihrer Tarnung weiterreisen“, sagte Akkarin. „Jemand, der hinter ihnen her ist, wird nach zwei Personen in Roben Ausschau halten.“

Rothen schüttelte den Kopf. Die Worte des schwarzen Magiers beruhigten ihn nicht im Geringsten. Wie konnte er dabei nur so kalt sein?

„Also sind alle damit einverstanden, dass Sonea und Dannyl ihre Mission fortsetzen?“, fragte Osen mit einem elendigen Gesichtsausdruck.

Die höheren Magier nickten nacheinander. Einige mit Unbehagen, aber nicht minder entschlossen.

„Lord Rothen?“

Rothen zuckte zusammen.

„Was ist mit Euch?“

Er nickte zögernd, obwohl er nichts lieber wünschte, als dass Sonea und Dannyl nach Hause zurückkehrten.

„Jetzt, wo das geklärt ist, hätte ich gerne mein Büro zurück“, sagte Osen mit einer geschäftigen Geste auf einen Stapel Briefe.

„Natürlich, Administrator.“ Balkan erhob sich. „Ich wünsche Euch noch einen angenehmen Nachmittag.“

Der Administrator verzog das Gesicht zu einem gequälten Lächeln. Nach und nach verabschiedeten sich die höheren Magier. Der Hohe Lord verließ das Büro und schritt mit wallenden Roben davon. Die Art und Weise, auf die er das tat, verwandelte Rothens Sorge in grenzenlosen Zorn.

„Bitte entschuldigt mich“, sagte er zu Osen und hastete aus dem Raum. Er sah noch Lady Vinaras besorgten Blick, dann war er aus der Tür.

„Akkarin!“

Der schwarze Magier hielt inne und wandte sich um.

„Lord Rothen“, sagte er, als sei er milde überrascht. „Was kann ich für Euch tun?“

Die Fäuste ballend schritt Rothen auf ihn zu. „Wie konntet Ihr sie gehenlassen?“, verlangte er zu wissen.

Akkarin betrachtete ihn eine Weile ausdruckslos. Dann verzog sich sein Mund zu einem humorlosen Halblächeln. „Rothen, Ihr wisst, wie Sonea ist“, erwiderte er schließlich kühl. „Ich hätte sie nur mit Gewalt von ihrer Entscheidung abhalten können.“

„Dann hättet Ihr das tun sollen“, gab Rothen zurück. „Es ist schlimm genug, dass Dannyls Anwesenheit bei den Verhandlungen gefordert ist. Es hätte andere Wege gegeben!“

„Und welche? Hättet Ihr einen konstruktiven Vorschlag gehabt, hättet Ihr diesen vor Wochen einreichen können. Wir haben damals alle Optionen diskutiert. Dannyls Teilnahme an dieser Konferenz ist eine zwingende Notwendigkeit, wenn wir eine Chance haben wollen, dass dieser Krieg jemals ein Ende findet. Sonea ist seine größte Überlebenschance.“

Als ob er das nicht wüsste! „Darum geht es doch gar nicht!“, grollte Rothen.

Akkarin hob eine Augenbraue. „Und worum geht es dann?“

„Es geht darum, was diese Mission mit Sonea macht. Der Anschlag hat sie bereits in größere Gefahr gebracht. Was, wenn sie wieder entführt wird? Ist Euch das egal?“

„Sonea ist sich der Risiken wohlbewusst“, erwiderte Akkarin unbeeindruckt von seinem Zorn.

Die scheinbare Gleichgültigkeit machte Rothen noch wütender. Mit einem Mal war dieser Mann wieder das Monster, das Rothen und Sonea einst so viel Leid verursacht hatte. Nein – er war es noch immer. Wie hatte ihm das entgehen können?

„Ihr sprecht so, als würde Euch das alles kaltlassen“, warf er dem anderen Mann vor. „Wollt Ihr ihr Wohl für die Gilde riskieren? Sie ist Eure Frau!“

„Das ist sie, nicht wahr?“, erwiderte Akkarin leise. Er lächelte versonnen, wie über einen privaten Scherz, doch als er fortfuhr, schwand das Lächeln aus seinem Gesicht und seine Stimme wurde warnend. „Glaubt nicht, ich würde mich nicht um sie sorgen, Rothen. Aber Sonea und ich haben eine Verantwortung der Gilde gegenüber, der wir unsere Beziehung unterordnen müssen. Sowohl sie als auch ich sind uns der Bedeutung dessen bewusst. An Eurer Stelle tätet Ihr gut daran zu überlegen, ob Ihr die Gilde für Sonea opfern wollt. Oder Sonea für die Gilde.“

Mit diesen Worten wandte er sich ab und schritt mit wallenden Roben in Richtung Ausgang. Rothen starrte ihm mit einem übermächtigen Gefühl von Ohnmacht hinterher.


***


Am vergangenen Abend hatten sie die Grenze zu Duna überquert. Von hier aus war es noch eine mehrtägige Reise bis Yukai. Die Ausläufer der Aschenwüste wichen allmählich einer welligen Ebene aus goldenem Sand, die sich bis zum Horizont zog. Wenn man nicht wusste, wie man an Wasser gelangte, war man hier verloren, wusste Asara. Die Sonne brannte von einem gnadenlosen blauen Himmel und heizte den Sand auf. Damit war es hier nicht weniger heiß als in der Aschenwüste, wo die Hitze zusammen mit übelkeitserregenden Gerüchen aus Erdspalten stieg, in deren Tiefen flüssiges Gestein wie heißes Blut rauschte. Nur mit dem Unterschied, dass die Quelle der Hitze hier von oben kam.

Nichtsdestotrotz zog Asara die Wüste von Duna der Aschenwüste vor. Hier war die Sonne ihr einziger Feind. Ihr Vorwärtskommen war indes auch nicht viel schneller als zuvor und der Karren, den sie abwechselnd mit zwei Pferden zogen, beschleunigte ihre Reise nicht gerade. Mehrmals pro Tag hielten sie, um Wasser mit Magie aus dem Boden zu ziehen und ihre Vorräte aufzufüllen. Wenn sie einen Unterschlupf fanden, verharrten sie dort, bis es Nacht wurde, und zogen dann weiter. Denn auch so weit im Norden waren die Nächte so eisig wie in den Ödländern und damit hervorragend zum Reisen geeignet.

Es hieß, entlang eines schmalen Streifens entlang der Küste war Duna grüner. Weiter im Norden wuchsen zudem dichte Wälder mit exotischen Bäumen und Tieren, die den Parrook, Zills und Chivills nur entfernt ähnelten. Angeblich regnete es dort jeden Tag für einige Stunden und das Land war dementsprechend grün und fruchtbar. Yukai hingegen lag mitten in der Wüste. Die alten Duna hatten den Ort, an dem ihr Heiligtum erbaut war, mit Bedacht gewählt. Die Priester von einst und ihre Schüler sollten dort Enthaltsamkeit lernen und ganz ihrer Gottheit, der Sonne, dienen.

Obwohl die Anbetung der Sonne vor vielen Jahrhunderten der Anbetung des Blutes der Erde gewichen war, erachteten die Duna dem Tempel von Yukai noch immer als heilig. Asara begriff nicht, wie man überhaupt auf die Idee kommen konnte, die Sonne, den Mond oder was auch immer anzubeten. Die Geschichte ihres Landes und ihre eigenen Erfahrungen zeigten ihr, dass sich der Lauf der Natur nicht durch Beten beeinflussen ließ. Respekt und Ehrerbietung war etwas, das man einem Menschen entgegenbrachte, wie einem Anführer. Welchen Sinn hatte es, einem Ding Ehre zu erweisen?

Trotz ihres Unverständnisses war sie für Yukai dankbar. An diesem Ort war jede Form von Gewalt verboten und die Duna heiligten diese Regel wie den Ort selbst. Ihre sachakanischen Verbündeten würden sich an diese Regel halten, wenn sie keinen Krieg mit ganz Duna riskieren wollten. Das machte Asara den Sohn von Kriegsherr Karami sympathisch. Mit seinem Vorschlag, die Konferenz hier stattfinden zu lassen, zwang er alle Parteien, sich auf den Sinn und Zweck ihres Treffens zu konzentrierten und ihre Streitigkeiten beizulegen.

Als Zalava ihr Pferd zum Stehen brachte, glaubte Asara zunächst, ihr Wasservorrat sei erneut ausgegangen. Doch nur einen Augenblick später drehte sich ihre Schwester um, ihre Miene so finster, dass Asara zurückzuckte.

„Die Eskorte der Gildenmagier wurde angegriffen.“

Asaras Herz setzte einen Schlag aus. Hinter sich konnte sie ihre anderen Schwestern nach Luft schnappen hören. „Geht es ihnen gut?“, fragte sie.

Zalava verzog das Gesicht, ihre schwarzen Augen funkelten gefährlich. „Sie sind tot“, zischte sie.

Asara wollte etwas sagen, doch ihr fehlten die Worte. Ihren Schwestern schien es indes nicht anders zu ergehen. Das Entsetzen in ihren Gesichtern reflektierte ihre eigenen Gefühle, bis Asara den Blick abwenden musste.

Lahiri fasste sich als Erste. „Aber ...“, begann sie verstört. „Sie gehörten zu unseren besten Söldnerinnen. Wie konnte das passieren?“

„Irgendjemand, der nicht will, dass diese Konferenz stattfindet, wird sie getötet haben.“

„Ich kann es nicht glauben“, flüsterte Ivara schließlich. „Eine meiner Krippenschwestern war der Eskorte zugeteilt.“

Das ist ein böser Traum, dachte Asara. Das kann nur ein böser Traum sein. Auch sie hatte die Frauen gekannt, die die Gildenmagier nach Yukai geleiten sollten, wenn auch sie zu keiner ein besonders enges Verhältnis gepflegt hatte. Das kann einfach nicht wahr sein. Und doch hatte ein Teil von ihr die ganze Zeit damit gerechnet, dass so etwas passieren würde. Sie verspürte einen ungeahnten Zorn in sich aufwallen, noch größer als jener, als Ashaki Chivaka ihre Schwester Vara von den Roten Hügeln getötet hatte. Und groß genug, dass sie keine Worte dafür fand.

Asara ärgerte sich mehr denn je, dass sie ihr Blutjuwel in Arvice gelassen hatte. So wichtig es war, dass ihre Leute dort Informationen direkt an Savedra übermitteln konnten, so sehr verlangte es ihr danach, selbst mit der Großen Mutter zu sprechen. Ich hätte Savedra um ein zweites Blutjuwel bitten sollen, dachte sie. Aber sie hatte sich darauf verlassen, dass der Rest der Delegation mit Blutjuwelen ausgestattet war.

„Wer auch immer das getan hat, wird dafür bluten“, grollte Arlava. „Lavara war meine Krippenschwester.“

„Und ich habe wenige Tage vor ihrer Abreise noch mit Belara über das Training von Marikas kleinen Prinzessinnen gesprochen“, sagte Asara.

„Wir müssen sie rächen!“, erklärte Nirili leidenschaftlich.

„Und wie sollen wir das tun?“, fragte Zalava. „So sehr es mir selbst danach verlangt, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, wir haben einen anderen Auftrag. Zudem wissen wir nicht, wer sie getötet hat.“

„Dann finden wir es heraus.“

Zalava schüttelte den Kopf. „Wir können ihren Tod jetzt nicht rächen. Wir sind auf dem Weg zu einer Friedensverhandlung.“

„Unsere Schwestern zu töten war ein kriegerischer Akt!“, protestierte Ivara. „Wie können wir da über Frieden verhandeln? Es wird keinen Frieden geben, bis sie nicht gerächt sind!“

„Ivara hat recht!“, stimmte Lahiri mit ein. „Wer unsere Schwestern getötet hat, bedroht den Frieden, für den die Große Mutter sich so sehr eingesetzt hat.“

„Nein“, widersprach Zalava scharf. „Selbst wenn wir wüssten, wer für diesen Anschlag verantwortlich ist, wäre das zu gefährlich. All unsere Bemühungen um Frieden könnten damit zerstört werden.“

„Aber es gibt niemals Frieden, wenn unsere Feinde ihn zu verhindern suchen.“

„Ebenso wie es keinen Frieden gibt, wenn diejenigen, die sich am meisten für Frieden einsetzen, sinnlose Racheakte begehen“, sagte Asara, obwohl es ihr schwerfiel, ihren eigenen Zorn zu unterdrücken. „Auch mir verlangt es danach, unsere Schwestern zu rächen. Doch wenn wir ihre Mörder jagen, machen wir Savedras Arbeit der letzten Wochen zunichte. Der Krieg wird nie ein Ende finden, wenn wir und unsere Feinde ständig nach Rache für die erlittenen Verluste dürsten.“ Sie betrachtete ihre Schwestern unwirsch. „Ich habe einst ähnlich gedacht wie ihr, doch das war vor dem Krieg. Das hier ist die Chance, auf die unser Volk seit Generationen gewartet hat. Endlich können wir das Leben der Unfreien zum Guten wenden. Sollten wir jedoch in Yukai scheitern, so spricht für mich nichts dagegen, die Mörder zu jagen.“

Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Zalava ihr zuzwinkerte. Asara lächelte kaum merklich. „Doch wir dürfen nicht nur an unsere Schwestern denken“, fuhr sie fort, um das Augenmerk ihrer Schwestern wieder auf das Wesentliche zu lenken. „Denn sie hatten den Auftrag, zwei wichtige Gildenmagier zu eskortieren.“

Einige ihrer Schwestern schlugen sich vor die Stirn. Es war, als hätten sie alle das über ihren Zorn völlig vergessen.

„Was ist mit Dannyl und Akkarins Frau?“, fragte Nirili. „Konnten sie überleben?“

Asara sah zu ihrer älteren Schwester, erfüllt von Furcht. Hoffentlich wurde Sonea nicht erneut entführt, dachte sie. Wenn ihr und dem schönen Gildenmagier etwas passiert ist, werde ich für den Rest meines Lebens bereuen, nicht selbst zur Eskorte gehört zu haben. Während es bei Akkarins kleiner Frau hauptsächlich Schuldgefühle waren, weil Asara erst so spät erfahren hatte, wohin man sie entführt hatte, war Dannyl zu einem Freund geworden, seit sie ihn von Ashaki Divakos Anwesen gerettet hatte, wo er sich einst vor Marikas Palastwachen versteckt hatte, nicht wissend, dass dieser ein königlicher Berater war.

„Sie waren nicht dort, als es geschah“, antwortete Zalava, woraufhin Asara und einige andere hörbar ihren angehaltenem Atem ausstießen. „Unsere Schwestern erreichten den Treffpunkt vor ihnen, doch kurz vor ihrem Ziel wurden sie überfallen und getötet. Die beiden Gildenmagier fanden ihre Leichen, konnten jedoch keine Spuren finden, die ihnen einen Hinweis gegeben hätten, wohin die Angreifer verschwunden waren.“

„Hat Savedra eine Vermutung, wer das getan haben könnte?“, fragte Asara.

„Die Gildenmagier haben einen Dolch gefunden, auf dessen Klinge das Cravas eingraviert ist. Aber weder sie noch die Große Mutter wollen das als Beweis sehen, dass der Überfall wirklich von Imperialisten ausgeführt wurde. Es hätte auch jemand dafür sorgen können, dass es nur so aussieht.“

Die Rebellen!, dachte Asara. Oder Mirikos Ichani. Oder es gab eine neue Gruppe, von der sie noch nichts wussten, weil sie bis jetzt im Verborgenen gearbeitet hatte. Möglicherweise gehörten sie zu jenen Imperialisten, die mit Kachiros plötzlicher Friedenspolitik nicht einverstanden waren.

„Vielleicht war es nur Zufall“, überlegte Lahiri. „Was den Vorfall nicht weniger entsetzlich macht.“

„Genau“, fiel Nirili mit ein. „Denn das würde erklären, warum die Angreifer nicht gewartet haben, bis sie die beiden Gildenmagier mit erledigen können.“

„Um sie dann anzugreifen, wenn sie schutzlos durch die Ödländer ziehen?“ Ivara runzelte die Stirn. „Abgesehen davon, dass Akkarin seine Frau wohl kaum ohne gründliche Vorbereitung auf diese Mission geschickt hat, würde ich als Angreifer angesichts ihrer Gefährlichkeit diese Möglichkeit einem Kampf gegen meine Schwestern und einer gefürchteten höheren Gildenmagierin vorziehen.“

„Was voraussetzen würde, dass der oder diejenige weiß, dass der Botschafter von nur einer höheren Gildenmagierin beschützt wird“, wandte Arlava ein.

„Und das würde bedeuten, dass jemand aus unseren eigenen Reihen diesen Anschlag verübt hat“, sagte Lahiri.

Asara zuckte unwillkürlich zusammen. Die Vorstellung war zu entsetzlich.

„Diese ganzen Spekulationen bringen uns nicht weiter“, sagte Zalava. „Savedra wünscht, dass wir unsere Reise fortsetzen und dabei äußerst vorsichtig vorgehen.“

„Wird Savedra eine neue Eskorte schicken?“, fragte Nirili.

„Das hält sie für keine gute Idee. Momentan traut sie ihren eigenen Töchtern nicht. Denn irgendwie müssen die Informationen über die Eskorte und den Treffpunkt mit den Gildenmagiern nach draußen gelangt sein.“

Erneut verspürte Asara den vertrauten Zorn in sich auflodern. „Wir können die Gildenmagier nicht allein nach Yukai reisen lassen!“, rief sie aufgebracht. „Wir müssen umkehren und ihnen entgegen kommen!“

„Und dabei riskieren, dass wir auch einem Anschlag zum Opfer fallen?“

„Wenn dieser Anschlag auch ihnen galt, werden sie nicht bis Yukai kommen. Was, wenn es jemand von den anderen Abgesandten war?“

„Diese Möglichkeit besteht, doch wir dürfen uns nicht unnötig in Gefahr bringen.“

„Auslandsadministrator Dannyl ist der einzige Mann, der die Macht hat, die verschiedenen Parteien dazu zu bringen, miteinander zu reden“, gab Asara zurück. „Er muss beschützt werden!“

„Das kann Akkarins Frau ebenso gut erledigen. Sie ist eine höhere Magierin und sie ist in der Kampfweise der Gildenmagier ausgebildet. Sie hat gelernt, eine weitere Person zu beschützen. Und zu zweit können sie sich besser verbergen, als mit einer Gruppe von sechs weiteren Magierinnen.“

„Es war unser Volk, dass die Teilnahme des Auslandsadministrators an den Gesprächen gefordert hat“, entgegnete Asara erbost. „Wir brauchen ihn, um diesen Wahnsinn zu beenden. Was für Verbündete sind wir, wenn wir ihn und seine Begleiterin jetzt im Stich lassen?“

Zalava seufzte. „Asara, Liebes“, sagte sie sanft. „Sei doch vernünftig. Wir sind zwei Wochen von ihrer momentanen Position entfernt. Wenn die Angreifer noch in der Nähe sind und sie jagen, können wir nichts für sie tun.“

„Es ist unsere Pflicht, die Schwachen zu beschützen“, erinnerte Asara.

„Was ist mit unserem Karren und den Lebensmitteln für Yukai?“

„Wir lassen ihn hier“, antwortete Asara. „Ohne ihn sind wir schneller.“ Die Lebensmittel waren mit Magie konserviert und würden sich Monate halten. Sie verschwendeten nur ihre Zeit und Energie, wenn sie noch einmal nach Sachaka und zurück transportieren würden. „Wir vergraben den Karren im Sand. Wenn wir ihnen entgegenkommen, sind sie nur eine Woche lang auf sich gestellt. Sie könnten entlang der Berge reisen, wo sie vor den Blicken anderer geschützt sind. Ich verstehe, dass Savedra keine weiteren Töchter für die Eskorte ausschicken will. Aber wenn Dannyl stirbt, dann brauchen wir gar nicht erst nach Yukai gehen. Denn dann wird es erst Frieden geben, wenn entweder wir oder die Imperialisten tot sind!“

„Asara hat recht“, pflichteten Arlava und Lahiri ihr bei und ihre anderen beiden Schwestern nickten bestätigend. „Wir müssen umkehren.“

Zalava seufzte. „Glaubt mir, auch ich will den Botschafter und die Frau des Anführers der Gildenmagier in Sicherheit wissen“, sagte sie. „Aber die Große Mutter hat uns einen eindeutigen Befehl erteilt.“

„Dann ignorieren wir ihn“, sagte Ivara. „Für was soll sie uns bestrafen? Dass wir alles versucht haben, um diese Konferenz nicht scheitern zu lassen?“ Sie lachte trocken. „Das wird sie uns kaum vorwerfen können. Soll sie uns dafür doch zu Ichani erklären! Damit wird sie sich selbst keinen Gefallen tun.“

„Ich fürchte gegen fünf wütende Magierinnen komme ich nur an, wenn ich mich erschöpfe.“ Zalava betrachtete Asara und die anderen mit grimmiger Miene. „Wir kehren um und reiten den beiden Gildenmagiern entgegen. Jedoch erwarte ich keine Racheakte, sollten wir auf die Mörder unserer Schwestern stoßen.“

„Und wenn sie direkt hinter den Gildenmagiern sind und es zu einem Kampf kommt?“, fragte Nirili.

Zalava lächelte humorlos. „Dann wird selbst Savedra keine Einwände haben, wenn wir sie töten.“


***


Die Strahlen der Abendsonne fielen schräg in die Arena und ließen die Masten lange, gerade Schatten auf den sandigen Boden werfen. Die Luft in dem kleinen, abgesenkten Rund war noch angenehm warm.

„Das war sehr gut, Viana“, lobte Regin seine Schülerin. „Dafür, dass wir diese Art von Verteidigung erst zum zweiten Mal angewandt haben, hast du große Fortschritte gemacht.“

„Ich danke Euch, Lord Regin“, erwiderte Viana erfreut. „Lady Sonea hat vor einigen Wochen bereits etwas Ähnliches mit mir gemacht.“

Bestimmt, um sich zu profilieren, dachte Regin trocken. Als ob sie das nötig hat! Er erinnerte sich, dass Sonea ihm vor ihrer Abreise einen detaillierten Plan des Unterrichtsstoffs gegeben hatte, den sie mit Viana durchgenommen hatte. Dieses Detail hatte sie allerdings ausgelassen.

„Lady Sonea hat mit dir bereits den Zweikampf begonnen“, sagte Regin. „Ein wenig früh dafür, dass du in Kriegskunst noch auf dem Stand eines Erstjahresnovizen bist.“

„Sie war der Meinung, das würde mir besser helfen, als Angriffe auf einen Übungsschild, Mylord“, sagte Viana mit sichtlicher Verunsicherung. „Und erst recht, als Bücher zu lesen.“

Regin hob die Augenbrauen. „Und hat es geholfen?“

Seine Schülerin nickte.

Und damit hat sie nicht unrecht gehabt, dachte Regin unwillig. In einer so anwendungsbezogenen Disziplin wie der Kriegskunst lernte man mehr im aktiven Kampf, als in Übungen oder in der bloßen Theorie. Das hatten sein Onkel und Balkan ihm wieder und wieder eingepredigt und Regin hatte es nur zu gerne verinnerlicht. Allein deswegen war er dankbar, gleich zu Beginn eine Klasse übersprungen zu haben. Andernfalls hätte er ein ganzes Jahr auf dieses Vergnügen warten müssen.

„Dann machen wir zum Abschluss einen kleinen Kampf“, schlug er vor. „Nichts allzu Kompliziertes, doch du darfst alles bisher Gelernte anwenden. Ich werde auch nur damit antworten. Was hältst du davon?“

Viana lächelte erfreut.

Eine Hand auf ihre Schulter gelegt errichtete Regin ihren inneren Schild. Dann traten sie einige Schritte auseinander und auf sein Kommando begannen sie zu kämpfen.

Während sie sich duellierten, beobachtete Regin die Novizin genau. Viana war noch ein wenig unbeholfen, aber sie hatte eindeutig Potential. Oft reagierte sie ein wenig zu spät auf die Angriffe und ihre Kraftschläge waren noch nicht ganz sauber, doch sie dachte über ihre Strategie nach und lernte aus den Fehlern, die ihr unterliefen. Regin achtete darauf, sie nicht zu entmutigen, indem er Tricks anwandte, die sie noch nicht gelernt hatte, oder das Duell mit einem unerwarteten tödlichen Treffer beendete.

Erst als es zum Unterrichtsende läutete, erklärte er das Duell für beendet.

„Genug für heute“, sagte er. Er warf einen Blick zur Tribüne, wo eine schlanke Gestalt in grünen Roben saß. „Wir machen morgen Abend weiter. Morgen früh werde ich dich noch ein wenig in Theorie unterrichten.“

Viana nickte ernst. „Ja, Mylord“, sagte sie.

„Ich weiß, das ist langweilig“, fügte Regin hinzu. „Aber da müssen wir alle durch.“

„Vielleicht würde ich die Theorie lieber mögen, würde ich Kriegskunst bevorzugen“, gab sie zu bedenken.“

Sei froh, dass du Lord Daron nie kennengelernt hast!, dachte Regin. „Es kommt weniger auf den Unterrichtsstoff, als auf den Lehrer an“, sagte er.

Ihre Wangen färbten sich rosa. „Oh, wie recht Ihr damit habt, Mylord!“ Sie verneigte sich. „Ich wünsche Euch einen schönen Abend.“

Regin nickte. „Und denk an deine Hausaufgaben!“

Ihm ein scheues Lächeln schenkend eilte sie aus der Arena. Regin beeilte sich, die Kampffläche ebenfalls zu verlassen. Kaum dass er das Portal durchschritten hatte, fand er sich Trassia gegenüber. Sie wirkte aufgelöst.

„Dieses Mal bin ich aber wirklich unschuldig, liebste Trassia.“

„Oh Regin!“, rief sie und fiel ihm um den Hals.

„Heh!“, entfuhr es ihm. Mit einer solchen Reaktion auf den Privatunterricht einer Novizin hatte er nicht gerechnet. „Vertraust du mir so wenig? Hältst du mich für einen solchen Weiberheld?“

Statt einer Antwort begann sie zu weinen. „Aber, liebste Trassia“, sagte er unbehaglich. „Das ist doch kein Grund zu weinen.“

„Sonea“, schluchzte sie nur. „Ich habe sie im Heilerquartier davon reden hören.“

Natürlich!, dachte Regin und kam sich wie ein Idiot vor, weil er nicht gleich darauf gekommen war. Die Nachricht über den Anschlag hatte sich kaum, dass die Besprechung zu Ende gewesen war, in der gesamten Universität herumgesprochen. Obwohl kein Gildenmagier den fremden schwarzen Magiern zum Opfer gefallen war, stand die gesamte Gilde unter Schock. Es waren ihre Verbündeten, die gestorben waren, und ihre momentan einzige Hoffnung auf ein Ende des Krieges befand sich möglicherweise in Lebensgefahr.

„Es ist alles gut“, flüsterte er in Trassias dunkle Locken. „Sonea und der Auslandsadministrator sind in Sicherheit.“

„Aber sie werden ihre Mission nicht abbrechen, nicht wahr?“

Regin löste sich ein Stück von ihr und sah in ihre Augen. „Nein, das können sie nicht.“

„Ein Heiler hat gesagt, dass der Anschlag vielleicht Auslandsadministrator Dannyl gegolten hat und er und Sonea nun verfolgt werden“, sagte Trassia. „Oder dass jemand es auf Sonea abgesehen hat.“

„Nun, sie ist eine unserer drei schwarzen Magier.“ Regin streckte eine Hand aus und strich behutsam die Tränen von Trassias Wange. „Ich will dir keine Angst machen, aber es wäre eine Lüge zu behaupten, dass die Sachakaner es nicht auf sie absehen würden.“

„Ich weiß.“ Sie schloss die Augen. „Aber Regin, es geht das Gerücht, die Sachakaner wollen Sonea, weil sie ihren König ermordet hat.“

Regin unterdrückte einen Fluch. Welcher Idiot hat das verbreitet? Über dieses Detail wussten nur diejenigen bescheid, die damals am Fort dabei gewesen waren, als Sonea und Akkarin Bericht erstattet hatten. Balkan hatte Regin irgendwann eingeweiht, weil er als sein Assistent früher oder später davon erfahren würde, jedoch nicht ohne ihm den Schwur abzunehmen, mit niemandem darüber zu sprechen. Nicht einmal mit Sonea. Allein es zu erfahren hatte Regin entsetzt. Jedoch nicht, weil seine beste Freundin kaltblütig einen König ermordet hatte, sondern weil diese Aktion erahnen ließ, was sie während ihrer Entführung durchgemacht hatte.

Aber wenn Balkan es mir erzählt hat, haben vielleicht auch andere Magier es weitererzählt, überlegte er. Oder war dieses Gerücht von selbst entstanden? Es rankten sich genug haarsträubende Geschichten um Soneas Entführung und ihr Verhältnis zu König Marika, die ein solches Gerücht rechtfertigten. Einige Gildenmagier behaupteten, der König von Sachaka habe sie jeden Tag gefoltert, andere wiederum glaubten, aus der Art und Weise wie sie und Akkarin miteinander umgingen herauszulesen, dass sie Marikas Geliebte gewesen war.

Ich werde der Sache nachgehen, entschied Regin. Schon allein um Soneas Privatsphäre zu wahren.

„Ihre Kräfte waren blockiert“, sagte er. „Wie soll sie das geschafft haben?“

Trassia hob die Schultern. „Vielleicht war Akkarin rechtzeitig zur Stelle, um seine Magie zu nehmen.“

„Dann muss er aber sehr schnell gewesen sein. Der König von Sachaka war der mächtigste Magier der bekannten Welt.“

Sie neigte zweifelnd den Kopf.

„Hey“, sagte Regin. Er nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände und küsste sie. „Mach dir keine Sorgen. Ich bin sicher, Sonea und Dannyl werden sich schon irgendwie durchschlagen.“

„Sie hätte niemals gehen dürfen.“

„Es war die einzige Möglichkeit.“

Sie bedachte ihn mit einem zweifelnden Blick, sagte jedoch nichts. Aber Regin hätte auch nicht gewusst, was er hätte sagen sollen, um ihr diese Sicherheit zu geben. Das stand nicht in seiner Macht. „Komm“, sagte er. „Lass uns ein wenig spazieren gehen.“

„Regin, ich weiß, du meinst es gut.“ Trassia zögerte. „Aber … können wir vielleicht einfach nur nach Hause gehen?“

Regin nickte. „Natürlich, liebste Trassia“, erwiderte und nahm ihre Hand. „Wenn es dir hilft, werden wir den ganzen Abend nur tun, was du möchtest.“

Sie schenkte ihm ein schiefes Lächeln. „Das ist sehr lieb von dir, Regin.“

„Für meine Liebste ist das doch selbstverständlich.“ Insgeheim fand er jedoch, ein wenig Ablenkung würde ihm selbst guttun. Den gesamten Nachmittag über hatte er alle Gedanken an den Anschlag verdrängt, jetzt hingegen kehrten seine Sorgen mit aller Macht zurück. Sonea war seine beste Freundin und die Hälfte der wirkungsvollsten Verteidigung, die die Gilde besaß. Und sie war unterwegs zu einem Ort, an dem sie vielen feindlich gesonnenen schwarzen Magiern begegnen würde, darunter ehemalige Anhänger des Mannes, den sie ermordet hatte.

„Hast du wirklich geglaubt, ich wäre auf Dorriens Novizin eifersüchtig?“, fragte Trassia, während sie durch den Park gingen.

„Nach der Sache mit Nastia hätte mich das nicht gewundert.“

„Oh“, machte sie. „Aber auf Viana bin ich wirklich nicht eifersüchtig.“

„Warum nicht?“, wollte Regin wissen.

„Weil“, Trassia errötete und sah zu Boden, „ich glaube, dass sie nicht dein Typ ist.“

Regin lachte. „Du meinst, weil sie nicht aus den Häusern kommt?“

„Bitte entschuldige.“

„Schon gut“, sagte er. „Viana ist die erste Novizin, die unterrichten kann, ohne dass sie mich offen anschmachtet. Was nicht heißen soll, dass ich mit jenen flirte, die es tun.“

Trassia gab ihn einen Klaps, woraufhin er ihr Handgelenk umfasste und festhielt. „Komm nicht auf dumme Gedanken“, murmelte er und zog sie in den Schutz einer Hecke.

„Was sonst?“, fragte sie.

„Muss ich dich küssen.“

Ihre Augen weiteten sich, dann lächelte sie. „Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Aber“, fügte sie hinzu, plötzlich wieder ernst. „Ich weiß nicht, ob mich das von meinen Sorgen ablenken wird.“

„Und wenn ich dich auf dumme Gedanken bringe?“

Sie betrachtete ihn mit schmalen Augen. „Das solltest du bei einem Mädchen wie mir nicht versuchen.“

Regin schlang einen Arm um ihre Taille. „Und wieso nicht?“

„Weil das nicht gut enden könnte.“

Regin zog sie zu sich. „Jetzt bringst du mich wirklich auf dumme Gedanken“, murmelte er. Dann beugte er sich zu ihr hinab und drückte seine Lippen auf ihre.


***


Bei Nacht zu reisen hatte etwas für sich, fand Sonea. Irgendwie fühlte sie sich vor ihren Erinnerungen weniger verfolgt, wenn sie bei Tag schlief, als in der Nacht, wo Gestalten in den Schatten zu lauern schienen, bereit, sie wieder zurück in ihre Vergangenheit zu ziehen. Sie bildete sich ein, sich im Licht des Tages sicherer zu fühlen und fand sich deswegen zugleich albern. Es war völlig unmöglich, den eigenen Erinnerungen zu entfliehen. Selbst, wenn sie es gewollt und all ihre Disziplin dafür aufgebracht hätte, hätte sie sie damit nicht auslöschen können. Wenn es einen Weg gab, Erinnerungen mit Magie zu löschen, dann war dieser bis jetzt noch nicht entdeckt worden. Und der Geheimniswahrer war nicht auf sich selbst anwendbar, das hatte Sonea bereits ausgetestet.

Sobald sie unwegsameres Gelände erreichten, wo sie besser vor den Blicken möglicher Verfolger geschützt waren, würden sie bei Tag weiterreisen. Um nicht entdeckt zu werden, reisten sie bei Nacht ohne Lichtkugeln, was jedoch die Gefahr barg, dass ihre Pferde sich verletzten. Sonea graute es vor dieser Aussicht so sehr, dass sie das offene Gelände vorgezogen hätte. Dort würden sie jedoch Schwierigkeiten haben, ein Versteck zu finden, wo sie ungesehen den Tag verbringen konnten. Mit einer Eskorte mächtiger schwarzer Magierinnen wäre das alles nicht nötig gewesen, doch jetzt war sie ganz allein für Dannyls Schutz verantwortlich. Also musste sie ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen, um seine Sicherheit zu gewährleisten.

Ich habe Marika ein halbes Jahr lang ertragen, sagte Sonea sich. Dann werde ich auch die Erinnerungen ertragen. In diesen kann er mir nichts mehr tun.

Während sie durch die Ödländer wanderten und die Bergkette im Westen allmählich näher rückte, waren es jedoch weniger die Erinnerungen an Arvice, die Sonea verfolgten, als die Bilder der verkohlten Leichen der Frauen, die zu ihrem Schutz eingeteilt worden waren. Sie waren gestorben, bevor sie ihre Mission überhaupt erfüllen konnten. Ihre Überreste hatten Erinnerungen an den Jungen geweckt, der bei eben jener Säuberung getötet worden war, bei der sie ihre magischen Fähigkeiten entdeckt hatte. Er war gestorben, weil die Magier ihn für denjenigen gehalten hatten, der den Stein nach Lord Fergun geworfen hatte. Nur weil sie sich geirrt hatten, hatte Sonea damals überlebt. Sie hatte die Magier für diese Aktion gehasst, inzwischen wusste sie, es war ein Unfall gewesen.

Nichtsdestotrotz hatte sie dieser Vorfall auf dem Nordplatz lange Zeit verfolgt. Er war für ihre langgehegte Abneigung gegen die Kriegskunst verantwortlich. Sonea hatte nur aufgehört, sich gegen diese Disziplin zu sträuben, als sie entschieden hatte, darin so gut zu werden wie es ihr möglich war, um eines Tages den Mann zu vernichten, den sie inzwischen geheiratet hatte. Bis die Sachakaner ihr erklärtes Feindbild geworden waren. Zwischendurch war es auch einmal Regin gewesen, dieser spielte in Soneas Erinnerung in diesem Zusammenhang jedoch nur eine untergeordnete Rolle.

Die Leichen der Verräter hatten sie jedoch auch wieder an etwas anderes erinnert.

Marika.

Während die Erinnerungen an den Jungen auf dem Nordplatz, dessen Namen sie nicht einmal gekannt hatte, inzwischen verblasst waren, sah sie die verkohlten Überreste des Königs von Sachaka noch immer so deutlich vor sich, als wäre es gestern gewesen. Selbst jetzt, wo Stunden vergangen waren, seit sie die Leichen gefunden hatten, glaubte Sonea noch immer den Geruch von verbranntem Fleisch zu riechen. So sehr, dass ihr davon regelrecht übel wurde.

Den plötzlichen Brechreiz mit einem tiefen Atemzug vertreibend zwang sie sich, ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Weg vor sich zu richten. Die Gelände war voll mit kleinen Felsen und Löchern und Spalten im Boden, die in der Dunkelheit nicht immer auf Anhieb zu erkennen waren. Sonea und Dannyl hatten ihre Pferde daher bei den Zügeln genommen und reisten zu Fuß weiter.

Inzwischen wanderten sie seit Stunden. Soneas Füße schmerzten von der ungewohnten Anstrengung, doch sie wagte es nicht, ihre Magie zu benutzen, um die Erschöpfung ihrer Muskeln wegzuheilen.

Bis jetzt hatten sie noch keine Spuren von möglichen Verfolgern ausmachen können. Das bedeutete indes nicht, dass ihnen niemand folgte. Diese Ungewissheit beunruhigte Sonea. Wer auch immer ihre Eskorte getötet hatte, war mächtig genug, es mit ihr aufzunehmen. Was, wenn die Attentäter es eigentlich auf sie und Dannyl abgesehen hatten? Was, wenn sie sich nach der Ermordung ihrer Eskorte zurückgezogen hatten und ihnen nun folgten, bis sich ihnen eine Gelegenheit bot, um sie zu töten? Sonea fürchtete eine solche Möglichkeit. Sie hatte geschworen Dannyl zu beschützen, aber was, wenn die Angreifer stärker waren?

Ihr Blutjuwel würde ihr nicht helfen, sollten die Sachakaner sie töten oder erneut entführen. Akkarin würde sie finden, aber er würde Wochen brauchen, um sie zu erreichen und sie hatte lange genug bei den Sachakanern gelebt, um einen recht guten Eindruck davon zu erhalten, wozu diese fähig waren. Ein paar Wochen waren ein paar Wochen zu viel. Was, wenn die Zeit ausreichte, um wieder in alte Verhaltensmuster zu fallen? Würde es dann noch ein Zurück geben?

„Es wird bald hell“, sagte sie, als sie über dem flachen Horizont im Osten einen silbernen Streifen erblickte. „Wir sollten uns einen Ort suchen, an dem wir den Tag verbringen können.“

Dannyl nickte. „So allmählich könnte ich eine Pause gebrauchen.“ Er streckte seinen Rücken. „Hat Akkarin sich noch einmal gemeldet?“

„Bis jetzt nicht.“ Allerdings würde er jetzt schlafen. Sofern er nicht damit beschäftigt war, sie die ganze Zeit über durch ihr Blutjuwel zu beobachten, um sofort erfahren, sollten sie und Dannyl in Gefahr geraten. „Ich werde ihm Bericht erstatten, sobald wir unser Lager aufgeschlagen haben. Wenn er Neuigkeiten hat, lasse ich es Euch sofort wissen.“

Dannyl wirkte beruhigt. Sonea konnte ihm seine Furcht nicht verübeln. Sein Vorgänger war bei einer diplomatischen Mission in Arvice gestorben, und solange sie nicht wussten, wer hinter dem Anschlag steckte, mussten sie davon ausgehen, dass er Dannyl gegolten hatte, weil jemand einen Erfolg der Konferenz verhindern wollte. Und in diesem Fall war es sogar sehr wahrscheinlich, dass sie verfolgt wurden.

Für Sonea war das ein weiterer Grund, möglichst bald die Berge zu erreichen. Dort würde es leicht, ihre Verfolger abzuhängen oder in einen Hinterhalt zu locken. Sie wollte nicht den weiten Weg bis Yukai von ihren Feinden gejagt werden. Und wer wusste schon, ob sie dort wirklich in Sicherheit waren. Wenn der Anschlag unter den Delegierten die Runde machte, würde das die Verhandlungen ohne Zweifel erschweren. Möglicherweise würde es sogar zu weiteren Konflikten führen.

Um Dannyl nicht zu beunruhigen, behielt sie ihre Gedanken jedoch für sich. Falls er sich all dessen bereits bewusst war, so musste sie es ihm nicht noch zusätzlich ins Gedächtnis rufen.

Als der Himmel im Osten von einem feurigen Glühen erhellt wurde, stießen sie auf eine Gruppe von Sträuchern mit kleinen harten Blättern und langen spitzen Dornen, die hoch und dicht genug waren, dass sie und ihre Pferde dahinter vor unerwünschten Blicken geschützt waren. Während Dannyl sich um die Pferde kümmerte und ein Wasserloch aus dem Boden aushob, sicherte Sonea die Lücken im Gebüsch mit Illusionen und errichtete einen Schild um das Lager, der kein Geräusch nach außen ließ, während sie und Dannyl alles hören konnten, was draußen vor sich ging.

Wer hätte gedacht, dass die magischen Barrieren meines Schlafzimmers auch einmal für etwas anderes gut sind!, fuhr es ihr durch den Kopf.

Nachdem das Lager gesichert war, ließ sie sich neben Dannyl nieder. „Ich übernehme die erste Wache“, sagte sie. „Gegen Mittag könnt Ihr mich ablösen.“

„Du hast seit mehr als zwei Tagen nicht mehr geschlafen“, wandte Dannyl ein. „Lass mich die erste Wache halten, dann kannst du dich ausruhen.“

Obwohl Sonea wusste, dass er recht hatte, würde sie sich dieses Mal nicht überreden lassen. Zudem war sie erschöpft und verspürte nicht die geringste Lust, mit ihm zu streiten. Dieses Mal würde er ihr nachgeben müssen. „Auslandsadministrator Dannyl“, sagte sie. Ihre Stimme klang strenger als beabsichtigt. „Möglicherweise werden wir verfolgt. Und wenn dem so ist, dann will ich bereit sein, wenn sie hier auftauchen.“

„Woher willst du wissen, dass sie während deiner Wache auftauchen? Was, wenn sie erst heute Nachmittag hier sind?“

„Weil es dann schwieriger für sie wäre, unbemerkt unserer Spur zu folgen.“ Sonea unterdrückte ein Seufzen. „Dannyl, ich habe keine Lust, mit Euch zu streiten. Ihr seid der Ranghöhere und was die Verhandlungen betrifft, so werde ich Euch nicht reinreden, aber ich bin für Eure Sicherheit zuständig. Also werdet Ihr während dieser Reise tun, was ich sage.“

Offenkundig hatten ihre Worte ihre Wirkung nicht verfehlt. Dannyl wirkte ob ihres Ausbruchs sogar ein wenig erschrocken. Soll er mich doch fürchten!, dachte Sonea grimmig. Das wird ihn kooperativer machen.

„Bitte verzeih“, sagte er. „Ich habe mein Leben bereits in deine Hände gelegt, als wir Imardin verlassen haben. Ich will nicht, dass du denkst, ich würde dir und deinem Urteil nicht vertrauen. Natürlich sollst du alles tun, um mich zu beschützen. Ich werde dich ablösen, sobald die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht.“

Sonea schenkte ihm ein huldvolles Lächeln. „Euer Vertrauen ehrt mich.“

Dannyl erwiderte ihr Lächeln. Dann reichte er ihr seine Hände. „Nimm meine Kraft, bevor ich mich hinlege.“

Sie nickte und umschlang seine Handgelenke. „Aber achtet darauf, Euch nicht zu sehr zu erschöpfen, sonst werde ich den ganzen Tag Wache halten müssen.“

„Keine Sorge“, erwiderte er. „Eine ausgeruhte schwarze Magierin ist mir allemal lieber, als eine grantige unausgeschlafene.“

Sonea verzog das Gesicht. „Sehr schmeichelhaft, Dannyl“, sagte sie trocken, während sie seine Magie in ihrer Quelle speicherte.

Er lachte leise, dann rollte er sich in seine Decke. Sonea lehnte sich gegen einen Felsen. Der Himmel über ihren Kopf hatte das Dunkelblau der Nacht verloren, in Soneas Rücken leuchtete er Rot und Orange, die Sonne war jedoch noch nicht aufgegangen. In Kyralia würde es noch dunkel sein, doch sie konnte nicht länger warten, weil Dannyl sonst eingeschlafen sein würde. Die Augen schließend streckte sie ihren Willen nach dem Blutjuwel aus, das sie kontrollierte.

Zu ihrer Überraschung war Akkarin bereits wach. Augenblicklich wusste Sonea, dass er vollständig angekleidet in einem Sessel in Lorlens Zimmer saß. Das schmale Stück Himmel, das sie aus seiner Perspektive über dem Wald hinter dem Fenster sehen konnte, wurde allmählich heller. Hatte er überhaupt geschlafen?

- Guten Morgen, sandte sie.

- Sonea! Seid ihr in Sicherheit?

- Vorerst ja, antwortete sie. Bis jetzt gibt es noch keine Anzeichen von Verfolgern. Ich habe die erste Wache übernommen, um bereit zu sein, falls jemand hier auftaucht.

- Ich habe eure kleine Diskussion mitbekommen.

- War es falsch von mir, mich durchzusetzen?

Akkarin ließ sich mit der Antwort Zeit. Von einer leisen Unruhe erfüllt, wartete Sonea. Sie wusste, er schätzte ihren Ungehorsam nicht besonders und fragte sich, wie er reagieren würde, wenn dieser sich gegen jemand anderen als ihn richtete.

- Nein, sandte er schließlich. Du und Dannyl seid beides starke Persönlichkeiten. Er ist es nicht gewohnt, mit jemandem zu reisen, der ihm auf diese Weise ebenbürtig ist. Ihr werdet lernen müssen, zu akzeptieren, wann der jeweils andere die Führung übernimmt.

- Ich denke, er hat bereits begriffen, wann dies an mir ist, entgegnete Sonea trocken. Sie hatte keine Schwierigkeiten damit, sich Dannyl in Bezug auf diplomatische Angelegenheiten unterzuordnen. Sie war als seine Leibwächterin auf diese Reise gegangen und nicht um Frieden unter den verfeindeten Parteien zu schaffen.

- Das ist möglich, sandte Akkarin. Tatsächlich wundert es mich nicht, dass du neuerdings so rebellisch bist.

- Weil er nicht du ist?

- Weil deine Vergangenheit dabei ist, dich einzuholen. Lass dich nicht davon beherrschen, Sonea. Es wird dir nicht guttun.

Und wie soll ich das tun, wenn es bereits begonnen hat?, dachte sie verzweifelt. Sie wusste, sie musste lernen, damit umzugehen. Nur dann konnte sie ihren Auftrag wirklich erfüllen und ihre Erlebnisse verarbeiten.

- Eigentlich hatte ich darauf gewartet, dass ihr euer Lager aufschlagt und du mir Bericht erstattest, unterbrach Akkarin ihre düsteren Gedanken. Denn ich habe Neuigkeiten.

So wie er das sagte, musste es etwas Positives sein. War die Konferenz vielleicht abgesagt worden und sie wurden zurück in die Sicherheit Kyralias beordert? Von hier aus würden sie etwa eine Woche zum Nordpass brauchen, doch damit wären sie sehr viel schneller wieder außer Gefahr, als wenn sie nach Yukai gingen.

- Was ist es?, fragte sie aufgeregt.

- Vorhin hat mich Savedra kontaktiert. Ihre Botschafterinnen kommen dir und Dannyl entgegen. In ungefähr einer Woche werden sie bei euch sein, wenn ihr entlang der Berge nach Norden reist.

Soneas Herz machte einen Sprung. Das waren wirklich gute Neuigkeiten.

- Aber ich dachte, sie wollte niemand zu unserer Hilfe schicken?

- Ihre Delegation hat diese Entscheidung eigenmächtig getroffen. Anscheinend haben du und Dannyl zumindest bei einer ihrer Magierinnen einen Eindruck hinterlassen, der groß genug ist, dass sie die anderen in ihrer Gruppe überzeugen konnte, umzukehren.

- Das ist wundervoll!, sandte Sonea.

Eine ungeahnte Erleichterung verspürend warf sie einen Blick zu Dannyl, dessen Atemzüge ruhig und regelmäßig geworden waren. Sie lächelte. Sie würde es ihm sagen, wenn er sie ablöste. Sie waren noch nicht ganz in Sicherheit, aber sie würden den weiten Weg bis Yukai nicht alleine reisen müssen.

Um sich wach zu halten, griff sie nach ihrem Gepäck und zog den Dolch hervor, den sie in der Ettkriti-Ebene gefunden hatten. Die Klinge glänzte rot in den Strahlen der aufgehenden Sonne und die Juwelen auf dem Schaft glitzerten. Sonea drehte die Klinge und beobachte, wie das Licht in der Gravur reflektiert wurde. Der Dolch war nicht so aufwändig gestaltet wie jener, den sie von Marika erbeutet hatte, sondern sah aus wie die der Dolch eines Ashaki. Das mit dieser Erkenntnis eingehende Gefühl von Vertrautheit war beunruhigend.

Dann schnaubte sie leise. Die Ashaki, die nach Yukai kamen, wären dumm, würden sie einen ihrer eigenen Dolche in der Ettkriti-Ebene deponieren. Und sie bezweifelte, dass ein Sachakaner das Werkzeug, mit dem er schwarze Magie praktizierte und das Zeichen seines Status war, leichtfertig verlieren würde.

Nein, der Dolch war mit Absicht dorthin gelegt worden. Aber die Vertrautheit kam nicht daher, dass sie einen Dolch wie diesen schon einmal gesehen hatte. Sie kam von den Erinnerungen, die sein Anblick mit sich brachte.

***


Fragen zum Kapitel

Welche Erinnerungen kommen Sonea beim Anblick der toten Frauen wieder hoch und wie verändert sich ihre Stimmung generell durch den Anschlag?

Habt ihr mit dem Anschlag gerechnet? Wäre es besser, wenn Sonea und Dannyl umkehren?

Ist Rothen zu recht auf Akkarin wütend?

Sollte Ivasako eher auf Rikaro oder auf Ienara hören? Welche Konsequenzen könnte das jeweils haben?

Entscheiden Asara und ihre Schwestern richtig, indem sie gegen Savedra rebellieren?

Haltet ihr Soneas Sorgen, es könnte für sie kein Zurück geben, sollte sie erneut entführt werden, für berechtigt?


Spekulantenfrage und Gewinnspiel für eine Bonusszene zu Yukai: Wer hat den Anschlag verübt und warum?
Antworten könnt ihr bis zu Beginn der Weihnachtspause einreichen. Diejenigen, die richtig raten, bekommen von mir eine Bonusszene zu „Yukai“ geschrieben :)


Im nächsten Kapitel passiert etwas, worauf einige von euch schon gewartet haben …
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