Die Bürde der schwarzen Magier III - Das Heiligtum von Yukai
von Lady Sonea
Kurzbeschreibung
Anderthalb Jahre nach dem Massaker von Arvice ist Sonea noch immer gebrochen von ihrer Erfahrung mit Marika. Sachaka steht derweil gebeutelt von Kämpfen am Rande des Ruins. Als die Situation eskaliert und Kyralia erneut in Gefahr gerät, sind sich die Anführer der Kriegsparteien einig, dass nur noch Verhandlungen den Konflikt beenden können. Als Vermittler fordern sie den Mann, dessen Ruf sich bis über die Grenzen der Verbündeten Länder hinaus verbreitet hat: Auslandsadministrator Dannyl. Gegen den Willen des Hohen Lords entscheidet Sonea, Dannyl zum Ort der Verhandlungen, einem alten Tempel in der Wüste von Duna, zu eskortieren. Doch die Konferenz wirft ihre Schatten voraus und das nicht nur, weil Sonea sich wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert sieht. Schon bald bemerken sie und Dannyl, dass jede Partei ihr eigenes Spiel spielt, und sie müssen die richtigen Verbündeten finden, um zu die drohende Katastrophe zu verhindern …
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P18 / Mix
Hoher Lord Akkarin
Lord Dannyl
Lord Dorrien
Lord Rothen
Regin
Sonea
02.08.2016
04.06.2019
56
813.938
87
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Dieses Kapitel
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02.05.2017
9.917
Hallo ihr Lieben,
Ich hoffe, ihr verzeiht mir, dass dieses Kapitel etwas kürzer wird. Von nun an werden wieder längere Kapitel folgen. Bei einigen hatte ich sogar Mühe, sie noch ein wenig zu kürzen, weil einfach zu viel Wichtiges in ihnen passiert (wahrscheinlich werdet ihr dann noch stöhnen :D). Dafür kommt dieses Kapitel entgegen meinen früheren Befürchtungen pünktlich, da der CampNaNoWriMo dann doch sehr schnell sehr erfolgreich war. Wie genau ich mich mit der Überarbeitung von „Der Zorn der schwarzen Sonnen“ geschlagen habe, könnt ihr hier in meinem Blog lesen.
Herzlichen Dank an Sabrina Snape, Black Glitter und Chaos Chemikerin für die Reviews und Diskussionen zum letzten Kapitel :)
Und jetzt viel Spaß beim Lesen :)
Immer wieder Sachaka. Unwillig und von einem unguten Gefühl erfüllt starrte Sonea auf die Straße, die zu ihren Füßen allmählich abfiel und schließlich zwischen zwei Felsen verschwand. Dieses Land zu betreten war niemals eine gute Idee und für ihren Geschmack hatte sie es bereits viel zu häufig getan. Plötzlich erkannte Sonea, das sie dumm gewesen war zu glauben, sie würde niemals wieder einen Fuß auf sachakanischen Boden setzen, als Akkarin dieses Versprechen von ihr verlangt hatte. Sie war eine der einzigen beiden einsatzfähigen schwarzen Magier der Gilde, sie würde immer wieder hierher kommen, solange sie nicht tot war oder dieser Krieg andauerte.
Und deswegen muss ich mich meiner Vergangenheit stellen.
Ein Seufzen unterdrückend schob Sonea ihre düsteren Gedanken beiseite.
Es hilft alles nichts, sagte sie sich. Ich muss das tun, denn dann besteht vielleicht die Chance, dass dieser Krieg eines Tages ein Ende findet.
Nachdem sie ihr Kleid gegen die praktischere Kluft ihrer Tarnkleidung getauscht und der Captain des Forts sie auf den neusten Stand bezüglich möglicher Aktivitäten der Sachakaner gebracht hatte, war es früher Abend geworden, bis sie den Pass hinter sich gelassen hatten. Die über den Berggipfeln hängenden Wolken hatten sich aufgelöst und die Strahlen der schrägstehenden Sonne erhellten von irgendwo hinter ihnen die Hänge der flacheren Berge im Osten. Ein feiner Dunst stieg aus den Tälern auf, die bereits in Schatten versunken waren.
Als Sonea erstmals diesen Weg genommen hatte, hatte die Gilde sie und Akkarin ausgestoßen. Kaum ein Jahr später war fast die komplette Gilde hier entlang geritten, um Marikas Armee in der Ettkriti-Ebene zu begegnen. Schaudernd schob sie die Erinnerungen beiseite. Sie wollte nicht daran denken, dass ihr Weg auch dieses Mal durch die Ettkriti-Ebene führen würde, bevor sie weiter nach Norden zogen. Doch dieses Mal würden sie in Begleitung der Verräter reisen.
Sonea fragte sich, wie sie wohl sein würden. Bisher war sie nur wenigen von ihnen begegnet und ihre Begegnungen waren nur von kurzer Dauer gewesen. Die Frauen dieses Volkes waren stolz, selbstbewusst und kriegerisch, hieß es. Und sie waren schön.
Ob ich Danyara wiedersehen werde? Seit dem Überfall auf den Palast hatte sie ihre einstige Freundin nicht mehr gesehen. Sie wusste nicht einmal, ob Dany sie überhaupt wiedersehen wollte. Bei ihrer letzten Begegnung hatten sie sich gestritten, weil Sonea auch nach fast einem halben Jahr nicht über Akkarin hinweg gewesen war. Nach ihrem Streit hatte Sonea keine Gelegenheit gehabt, noch einmal mit ihrer Freundin zu sprechen. An jenem Abend hatte Marika mit seinen Ashaki im Palast seinen bevorstehenden Feldzug gegen Kyralia gefeiert. Und in der Nacht hatten Akkarin und einige Verräter den Palast überfallen. Danyara und die anderen Mädchen aus Marikas Cachira waren von den Verrätern in Sicherheit gebracht worden, während Akkarin nach ihr gesucht hatte. Sonea hatte sich nicht einmal verabschieden können.
So viel war unausgesprochen geblieben. Und doch ließ der Gedanke, ihre Freundin könne zu der Delegation der Verräter gehören, ihr Herz höher schlagen und erfüllte sie mit einer ungeahnten Mischung aus Vorfreude und Panik.
„Von allen Orten, die ich bereist habe, ist dies derjenige, auf den ich am meisten verzichten könnte. Dagegen ist Lonmar nahezu lieblich.“
Sonea wandte den Kopf zu ihrem Begleiter. Dannyls Gesicht drückte in etwa das aus, was sie gerade empfand. „Ich weiß, was Ihr meint.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln, von dem sie hoffte, dass es Zuversicht ausdrückte. „Aber wir können unbesorgt weiterreisen. Die Verräter hätten es gemeldet, würde die Straße in die Ödländer nicht sicher sein. Wenn wir die Berge verlassen, werden wir dort auf unsere Eskorte treffen.“
Am Morgen hatte Akkarin sie benachrichtigt, dass sich die Eskorte verzögert hatte, weil sie einen Umweg hatten nehmen müssen. Savedra hatte als neuen Treffpunkt die Ettkriti-Ebene vorgeschlagen. Jedoch nicht, ohne Akkarin zu versichern, dass der Weg dorthin sicher war.
Der Auslandsadministrator wirkte dennoch beunruhigt, aber dem wusste Sonea nicht abzuhelfen. Sie beide verbanden, jeder auf seine Art, keine guten Erinnerungen mit diesem Land. Und sie begann sich zu fragen, ob es mit Duna ähnlich werden würde. Nun, wir werden es bald herausfinden.
Sie drückte ihre Fersen in die Flanken des Pferdes und dirigierte es die Straße hinab. Dannyl hielt sich dicht an ihrer Seite. Hinter den Bergen in ihrem Rücken ging die Sonne unter und allmählich wurde es dunkler.
„Wir reiten, bis wir die Straße nicht mehr erkennen können“, teilte Sonea ihrem Begleiter mit. Auch wenn die Gegend sicher war, wollte sie kein unnötiges Risiko eingehen und ihre Entdeckung riskieren. Die Nacht würde mondlos sein, was es unmöglich machen würde, die Reise in der Dunkelheit ohne Lichtquelle fortzusetzen.
„Und wo sollen wir Rast machen?“, fragte Dannyl, die schroffen Berghänge mit einem Ausdruck des Entsetzens betrachtend. „Die einzige Stelle, an die ich mich erinnere, würden wir frühestens morgen früh erreichen.“
„Wir levitieren uns und die Pferde auf einen Felsvorsprung“, antwortete Sonea. „Das wird zwar ein wenig eng, aber so sind wir vor unerwünschten Blicken sicher.“
Es war seltsam, jemandem von höheren Rang Anweisungen zu erteilen. Als Oberhaupt der Diplomaten der Gilde war Dannyls Posten mit dem des Administrators vergleichbar, während Sonea nur eine Studienleiterin war. Doch in Bezug auf ihrer beider Sicherheit musste er sich ihrem Kommando beugen.
Während sie der Straße folgten, verblassten die Sonnenstrahlen allmählich und die Schatten zwischen den Felsen wurden tiefer, während aus den Tälern ein fahlblauer Dunst aufstieg. Als die Straße kaum noch zu erkennen war, entdeckte Sonea eine Stelle, die ihr für eine Rast geeignet schien. In einer Höhe vom etwa einhundert Fuß wich die Felswand ein Stück zurück.
„Ich gehe nachsehen, ob wir und die Pferde dort genug Platz haben“, teilte sie Dannyl mit. „Wenn ich will, dass Ihr mit den Pferden nachkommt, werfe ich zwei kleine Steine die Straße hinab. Es genügt, wenn nur einer von uns seine Magie unnötig verbraucht.“
Dannyl nickte. Obwohl er darum bemüht war, sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen, konnte Sonea sie förmlich spüren.
„Ich beeile mich“, versprach sie. Dann griff sie nach ihrer Magie, schuf daraus eine Scheibe unter ihren Füßen und schwebte an der Felswand hinauf.
Der Felsvorsprung war schmal, bot jedoch ausreichend Platz für zwei Menschen und zwei Pferde. Sonea hoffte, die Pferde würden mit der ungewohnten Höhe zurechtkommen und nicht versuchen, den Vorsprung zu verlassen. Im Dunkeln umhertastend fand sie zwei kleine Steine und warf sie. Der Wind trug das Geräusch davon, als sie auf der Straße auftrafen und so konnte sie nur hoffen, dass Dannyl ihr Zeichen bemerkt hatte.
Wenige Augenblicke später nahm Sonea das Vibrieren von Magie wahr, dann schwebte Dannyl mit den beiden Pferden vor ihr in der Luft. „Da hast du dir etwas wirklich Kuscheliges ausgesucht“, bemerkte er.
„Ich dachte, Ihr würdet es zu schätzen wissen, die Tradition der letzten Tage aufrechtzuerhalten“, gab sie zurück.
Dannyl lachte leise. „Du beschwerst dich, weil ich mit dir flirte, schaffst aber immer wieder Situationen, in denen du mit mir flirtest.“
„Dannyl, das ist wirklich schmeichelhaft, aber auch wenn Ihr ein wahrhaftiger Frauenschwarm seid, seid Ihr nun wirklich nicht mein Typ.“
„Das habe ich bemerkt“, erwiderte Dannyl, während er die Beine der Pferde mit Magie hobbelte. „Und um ehrlich zu sein, bin ich sehr erleichtert.“
Sonea blinzelte verwirrt. „Ich dachte immer, Ihr würdet das genießen.“
„Meistens ist es eher ein Fluch.“
„Warum? Als Junggeselle müsstet Ihr Euch über das Angebot doch freuen.“
„Ah, das würde ich, würden diese Frauen mein Typ sein.“
Und Sonea verstand. Armer Dannyl, dachte sie. Hoffentlich findet er eines Tages noch seine Liebe. Es war so viel besser, wenn es jemanden gab, den man liebte und der die eigenen Gefühle erwiderte. Dadurch ließ sich vieles so viel besser ertragen.
Sie packte ihre Decken aus und bereitete zwei Lager vor. „Gebt mir Eure Kraft“, sagte sie dann. „Während ihr schlaft, werde ich Wache halten.“
Dannyl hielt ihr seine Hände hin. Sonea griff danach und kaum dass sie einander berührten, wurde sie sich seiner Magie bewusst.
„Weck mich, wenn die Hälfte der Nacht vorbei ist“, sagte Dannyl anschließend. Er bedeckte seinen Mund mit einer Hand und gähnte ausgiebig. „Dann löse ich dich ab.“
Sonea nickte nur. Sie wusste, sie würde ihn nicht wecken. Dannyl hatte ihr zu viel seiner Magie gegeben. Und er brauchte den Schlaf dringender als sie. „Gute Nacht, Dannyl.“
„Gute Nacht, Sonea.“ Dannyl rollte sich in seine Decke und nur wenige Augenblicke später konnte Sonea seine tiefen und regelmäßigen Atemzüge hören.
Seufzend lehnte sie sich gegen die Felswand in ihrem Rücken. Sie entschied, sie würde Dannyl nur bitten sie abzulösen, sollten ihr vor Müdigkeit die Augen zufallen. Sie wusste, sie musste schlafen. Die Reise dauerte lange genug, um die Kontrolle über ihre Magie zu verlieren, wenn sie ihrem Körper die nötige Ruhe dauerhaft verweigerte. Zugleich fürchtete sie den Schlaf jedoch. Sie wusste, dann würden die Träume wiederkehren. Von Arvice, vom Palast und von Marika.
Um sich abzulenken, richtete sie ihren Willen auf ihr Blutjuwel.
- Akkarin?
- Sonea!, kam seine fast sofortige Antwort. In seiner Gedankenstimme konnte Sonea eine vage Besorgnis spüren. Wie geht es dir?
- Wir sind jetzt in Sachaka. Wir haben einen sicheren Platz gefunden, um dort die Nacht zu verbringen. Der Weg bis zur Ettkriti-Ebene ist sicher.
- Ich habe zugesehen, als ihr das Fort erreicht habt, sandte er. Doch ich wollte wissen, wie es dir geht.
- Ich weiß es nicht, antwortete sie ehrlich. Auch mit dem Geheimniswahrer brachte sie es nicht über sich, ihm etwas vorzumachen. Sie mochte es nicht, Geheimnisse vor ihm zu haben. Die Sache mit dem Nemmin war bereits schlimm genug. Ich versuche, mich auf meine Mission zu konzentrieren. Alles andere kann ich sowieso nicht beeinflussen.
- Du kannst mich jederzeit rufen, wenn du jemanden zum Reden brauchst.
- Ich weiß, erwiderte sie. Danke. Wie geht es Lorlen?
- Er ist munter und fröhlich. Takan hat ihn vor einer Stunde zu Bett gebracht.
Sonea lächelte und drängte die Tränen zurück, die sich plötzlich in ihre Augen stahlen.
- Er fehlt mir, sandte sie. Und du mir auch.
- Du hast mein Blutjuwel.
- Aber das ist nicht dasselbe.
- Nein, stimmte er zu und sie glaubte, einen Anflug von Bedauern von ihm zu empfangen. Das ist es nicht.
Mit jedem Besuch, den Dorrien dem zerstörten Wildwasser abstattete, war das Dorf mehr und mehr wiederhergestellt. Wo wenige Wochen zuvor noch eine Wüste aus Trümmern, Felsbrocken und Erdreich geherrscht hatte, standen nun bei über der Hälfte der Häuser die Dachstühle. Wo die Lawine Wälder und Nutzflächen gerodet hatte, waren neue Äcker angelegt worden. Das wenige überlebende Vieh, zu dem sich inzwischen die Gaben der Bewohner der Nachbardörfer gesellt hatten, graste auf einer Weide am Waldrand.
Bei diesem Anblick verspürte Dorrien einen hehren Stolz auf die Dorfbewohner. In nur wenigen Wochen hatten sie ihre zerstörten Existenzen nahezu wieder vollständig aufgebaut. Und das trotz zwei gewissen Kriegern, dachte er. Doch abgesehen von Kerrin und Iskren hatte die Gilde an dem Wiederaufbau keinen geringen Anteil.
Als er auf den Dorfplatz ritt, war es beinahe so, als wäre Wildwasser niemals zerstört worden. Eine Schar Rassook stob protestierend auseinander, als er dicht gefolgt von Loken auf seinem Pferd zwischen den Häusern hindurchsprengte.
Das Heilerzelt stand noch immer in der Mitte des Dorfplatzes. Als Dorrien und Loken ihre Pferde zügelten, trat eine grüngewandete Frau heraus.
„Lord Dorrien!“, rief sie. „Kein anderer als Ihr kommt mit einem solchen Spektakel.“
Grinsend saß Dorrien ab. „Das könnte daran liegen, dass ich immer das Gefühl habe, zu einem Notfall zu eilen.“
Lady Celia lachte.
„Mylady.“ Loken war neben Dorrien getreten und verneigte sich tief. „Ich grüße Euch.“
„Guten Tag, Loken“, erwiderte sie. „Was führt dich her?“
Die Wangen des Schmieds färbten sich rosa. „Ich helfe Rorin ein wenig aus, Mylady.“
„Das ist sehr nobel von dir“, sagte sie. „Überhaupt ist das Bergvolk ein sehr hilfsbereites und zuvorkommendes.“
„Und das trotz der Rauheit, die man uns nachsagt. Ist man einmal hier, will man nicht mehr weg. So ist’s Lord Dorrien auch ergangen.“
Die junge Heilerin lächelte. „Das kann ich nur zu gut verstehen.“
Dorrien stieß den Schmied unauffällig in die Seite. „Komm“, murmelte er.
Loken warf ihm einen fragenden Blick zu. Dorrien schüttelte kaum merklich den Kopf. „Lady Celia, Loken und ich bringen nur eben unsere Pferde unter, dann bin ich sofort wieder bei Euch.“
Lady Celia blinzelte verwirrt und nickte dann. „Tut dies. Es ist ja nicht so, als hätten wir gerade einen Notfall.“
Ihr ein kurzes Lächeln schenkend, führte Dorrien den Schmied ein Stück abseits. „Loken, lass mich mit ihr reden“, sagte er leise.
„Aber Ihr hattet versprochen, mir zu helfen, Mylord“, protestierte Loken.
„Das habe ich. Und deswegen will ich dir die Peinlichkeit ersparen, von ihr einen Korb zu bekommen. Willst du ihr deine Liebe gestehen, bevor sicher ist, ob sie dich mag?“
„Sie wusste meinen Namen“, sagte Loken hilflos.
Dorrien widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. Manchmal konnte Loken so unglaublich einfältig sein! „Ich muss mit Lady Celia einige berufliche Sachen besprechen“, erklärte er. „Dabei werde ich versuchen, etwas herauszufinden.“ Er drückte dem Schmied die Zügel seines Pferdes in die Hand. „Und jetzt geh und bring die Pferde in Rorins Stall unter.“
„Ja, Mylord“, erwiderte Loken mit sichtlichem Unwillen.
Dorrien nickte und als Loken die Pferde vom Dorfplatz führte, wandte er sich wieder der Heilerin zu.
„Das Wetter ist so herrlich heute“, sagte er. „Was haltet Ihr davon, mir Euren Bericht bei einem kleinen Spaziergang um das Dorf herum zu geben?“
„Eine hervorragende Idee“, stimmte Lady Celia zu. „Dann komme ich auch endlich ein wenig aus dem Zelt heraus.“
Sie verließen das Dorf und schlugen den Weg zum Waldrand ein. Während sie am Rand der Bäume entlang wanderten, berichtete die Heilerin Dorrien von jeder Verletzung und jedem Fieber, das sie während der vergangenen Woche geheilt hatte. Erfreut stellte Dorrien fest, dass ihre Arbeit ihr noch immer Freude zu bereiten schien.
„Sehnt Ihr Euch nicht allmählich zurück nach dem Stadtleben?“, fragte er. „Ich habe mir sagen lassen, Lord Kerrin und Lord Iskren könnten es kaum noch erwarten, zurückbeordert zu werden, weil sie den Komfort der Gilde vermissen.“
„Ich finde das Leben hier gar nicht so unkomfortabel“, erwiderte Lady Celia. „Magie erleichtert vieles, das Essen ist zwar einfacher, aber ebenso hervorragend wie die Küche der Häuser. Und die Luft ist so unglaublich klar und rein.“
„Solche Worte höre ich nicht oft von jemandem aus den Häusern.“
Lady Celia wandte den Kopf. Ihre grünen Augen funkelten. „Ein wenig vermisse ich die Gilde“, gab sie zu. „Aber nicht so sehr, wie ich erwartet habe. Es ist sehr erfrischend, der Stadt und der Universität für eine Weile zu entfliehen. Zuhause sind alle so steif und gezwungen – etwas, das man von den Menschen hier überhaupt nicht sagen kann.“
„Ja, die Menschen hier sind wirklich besonders“, stimmte Dorrien zu. „Als ich nach meinem Abschluss hierher kam, habe ich mich sofort in diese Gegend verliebt, und wollte nicht mehr fort.“ Er bedachte die Heilerin mit einem abschätzenden Blick. „Wer weiß, vielleicht ergeht es Euch ähnlich?“
Celia lachte und gab ihm einen leichten Klaps auf den Unterarm. „Versucht Ihr etwa mit mir zu flirten, Lord Dorrien?“
„Nein“, antwortete Dorrien ernsthaft. Er hielt inne und wandte sich ihr zu. „Ich versuche Euch dazu zu bringen, Euch in die Berge zu verlieben.“
„Und warum solltet Ihr das tun, Lord Dorrien?“
„Weil ein Heiler nicht genug ist. Meine Novizin kann mir nur helfen, wenn sie hier ist. Eine richtige Unterstützung wird sie jedoch erst in zwei oder drei Jahren sein. Und selbst dann werden nicht immer genügend Heiler hier sein. Ich betreue Dörfer im Umkreis mehrerer Tagesreisen, ich kann nicht überall sein. Nach Vianas Abschluss werde ich mich zudem freiwillig für die Schichten bei den Verrätern melden. Sie ist gewillt, mich zu begleiten. Wenn ich könnte, würde ich sogar schon jetzt gehen. Aber ich würde mich schlecht dabei fühlen, die Menschen hier so lange ohne medizinische Hilfe zurückzulassen.“
Erst als er Lady Celias Blick begegnete, erkannte er, wie sehr er sich in Leidenschaft geredet hatte.
„Es ist Euch ernst damit, nicht wahr?“, fragte sie.
Dorrien konnte nur nicken.
Zum ersten Mal hatte er einem anderen Heiler gegenüber seine geheimsten Wünsche so eindringlich geäußert. Seine Versuche, mehr Heiler in die abgelegenen Winkel Kyralias zu entsenden, waren bisher immer kläglich gescheitert. Sonea, der Krieg und die Situation ihrer Verbündeten hatten daran jedoch etwas geändert. Und Celia schien der Öffnung gegenüber dem einfachen Volk nicht abgeneigt.
„Als Lady Vinara jemanden suchte, den sie nach Wildwasser schicken konnte, habe ich mich freiwillig gemeldet“, sagte sie schließlich. „Ich helfe gerne aus oder vertrete Euch für einige Monate. Doch ich weiß nicht, ob ich bereit wäre, dauerhaft hier zu leben.“
Die Endgültigkeit in ihrer Stimme ließ Dorrien aufhorchen. Und er erkannte, obwohl er nicht wirklich mit einer Zusage gerechnet hatte, dass der Beginn ihres Gesprächs Hoffnungen in ihm zum Leben erweckt hatte.
„Warum?“, fragte er. „Was hält Euch davon ab?“
Als sie sich ihm zuwandte, schimmerten ihre grünen Augen. „Weil es in Imardin jemand gibt, der auf mich wartet.“
Eine orange Scheibe schob sich über den Rand der trostlosen Ebene, als Dannyl erwachte. Die Kälte der Bergnächte war durch Decke und Kleider bis in seine Glieder gekrochen. Instinktiv griff er nach seiner Magie und wärmte sich auf.
Dann sah er sich um. Er befand sich auf einem Felsvorsprung hoch über der Straße. Einen langen Augenblick war er verwirrt, dann erinnerte er sich wieder, dass sie am vergangenen Abend hier entlanggeritten waren, bis sie ohne Licht nichts mehr sehen konnten. Daraufhin hatten sie sich einen geschützten Schlafplatz gesucht.
„Guten Morgen.“
Dannyl wandte den Kopf. Sonea saß noch immer so, wie am vergangenen Abend. Hatte sie sich überhaupt bewegt?
„Guten Morgen, Sonea“, erwiderte er. Er runzelte die Stirn. Sie hatte versprochen, ihn zu seiner Wache zu wecken, doch das hatte sie nicht und nun war es hell. „Wieso hast du mich nicht geweckt?“
„Gestern Abend habt Ihr mir Eure gesamte Magie übertragen. Ich hielt es für besser, Euch schlafen zu lassen.“
Als Dannyl seine Magiereserven prüfte, erkannte er, dass sie recht hatte. Seine Magie hatte sich nur zum Teil wieder regeneriert. In seinem Eifer, auf diese Weise zu ihrer beider Überleben beizutragen, hatte er das nicht bedacht. Dennoch gönnte er sich den Luxus und ließ Magie durch seinen Körper strömen, bis ihm nicht mehr kalt war. Er gab nicht viel anderes, wofür er seine Magie während ihrer Reise einsetzen würde. Es würde ein paar Stunden dauern, bevor die Luft behaglich warm wurde und er wollte diese weder frierend verbringen noch bis dahin unter einem Wärmeschild reiten. Denn das wäre dann wirklich eine Verschwendung der Magie gewesen, die er Sonea geben konnte.
Er betrachtete Sonea genauer. Die Schatten unter ihren Augen, die am Tag zuvor schon dagewesen waren, hatten sich vertieft. Sie wirkte blass und angespannt. „Heute Abend werde ich dir etwas weniger Magie geben“, sagte er.
„Das ist nicht nötig“, wehrte sie ab.
„Warum?“, fragte er, spürend, dass sie ihm auswich. „Keinem von uns beiden ist geholfen, wenn du dich schneller stärken kannst, aber dafür auf deinen Schlaf verzichten musst.“
„Es wäre nur eine weitere Nacht. Bis wir auf die Verräter treffen.“
„Ich dachte, der Weg bis zur Ettkriti-Ebene wäre sicher.“
Ihre Mundwinkel verzogen sich zu etwas, von dem Dannyl nicht hätte sagen können, ob es Sturheit oder Unbehagen war. „Das ist richtig, doch ich ziehe es vor, vorsichtig zu sein.“
Er konnte ihr ansehen, dass dies nicht der wahre Grund war. Auch am vergangenen Morgen in diesem Gasthaus war sie ihm ausgewichen. Nicht so deutlich wie jetzt, doch Dannyl hatte bereits da gespürt, dass irgendetwas sie beschäftigte. Er bezweifelte, dass sie nur so war, weil sie sich um seine Sicherheit sorgte, denn so wie er Sonea einschätzte, würde sie dies eher herunterspielen, um ihn nicht zu beunruhigen.
Nein, sie wich ihm aus, weil sie nicht wollte, dass er sie in einem Moment der Schwäche erlebte.
Und er war sicher, das hatte mit Sachaka zu tun.
„Ich vertraue deinem Urteil“, sagte er. „Wenn du lieber sichergehen möchtest, dann wirst du dafür deine Gründe haben.“
Ab der übernächsten Nacht würden die Verräter seinen und Soneas Schutz übernehmen. Sofern sie dann überhaupt noch Wache halten mussten, würden ihre Schichten kurz ausfallen und Sonea würde sich nicht mehr übernächtigen brauchen. Dannyl entschied, es dabei zu belassen, anstatt seine Autorität spielen zu lassen. Vermutlich hätte Sonea ihm ohnehin unter dem Vorwand, für seine Sicherheit zuständig zu sein, widersprochen. Wenn es ihr damit besserging, dann sollte es so sein.
Sie räumten ihr Lager, dann schwebten sie mitsamt den Pferden zurück auf die Straße. Allmählich stieg die Sonne höher, die Luft zwischen den hohen Felsen war indes noch empfindlich kalt und Dannyl war für seinen Reiseumhang dankbar. Die Berge wurden flacher, doch die Ebene der Ödländer war noch ein ganzes Stück entfernt.
„Wann ungefähr werden wir das Flachland erreichen?“, fragte Dannyl.
„Spätestens morgen früh, vielleicht auch schon heute Abend“, antwortete Sonea.
„So schnell?“ Er hatte damit gerechnet, dass sie die Ettkriti-Ebene erst am nächsten Abend erreichen würden. Zumindest hatte die Armee der Gilde zwei Jahre zuvor drei Tage bis dorthin gebraucht.
„Wir sind sehr viel schneller als damals“, sagte Sonea. „Damals hatten wir ein Lager, das es auf- und abzubauen galt. Zu zweit können wir unsere Pausen jedoch kurz halten.“
Im Nachhinein kam Dannyl die damalige Reise zur Ettkriti-Ebene wie eine halbe Ewigkeit vor. Wahrscheinlich, weil wir unterwegs waren, um einem übermächtigen Feind zu begegnen, überlegte er. Mit diesem Gedanken hatte er das Ende ihrer Reise zugleich gefürchtet und herbeigesehnt. Gefürchtet, weil er sicher gewesen war, zu sterben und herbeigesehnt, damit er es nicht länger fürchten musste.
Und jetzt?, fragte er sich. Fürchte ich die Konfrontation mit den Abgesandten unserer Feinde?
Mit einem Mal wurde Dannyl bewusst, dass ein Teil von ihm genau das tat. Es war das erste Mal, dass er Verhandlungen mit Feinden der Gilde führen würde. Die Gilde und ihre Verbündeten hatten gegen diese Leute gekämpft. Sie alle waren schwarze Magier, wohingegen er der einzige ’niedere’ Magier war. Trotz einer Eskorte von Verrätern und Sonea an seiner Seite fühlte Dannyl sich bei dem bloßen Gedanken schutzlos.
Aber auf dieser Konferenz sind sie Diplomaten. Sie wären dumm, uns dort mit Feindseligkeit zu begegnen, wenn sie an einem Frieden interessiert sind. Vielleicht sollte ich sie einfach als das betrachten.
Die neuen Palastwachen hatten sich hervorragend gemacht. Inzwischen waren sie nahezu so gut, wie die Männer, die Ivasako nach dem Massaker von Arvice geblieben waren. In den Techniken der Gildenmagier übertrafen sie seine übrigen Männer sogar, was daran lag, dass sie neu genug waren, dass Ivasako sie getrennt von den anderen unterrichten konnte. Die Männer, die ihm schon seit Jahren dienten, wurden hingegen oft mit Kachiros Wachen, die nichts von diesen Tricks wussten, trainiert.
Wie gut, dass Marika nicht einmal seinen Beratern erzählt hat, dass er die Tricks der Gildenmagier an die Palastwache weitergegeben hat!, dachte Ivasako nun. Doch nach allem, was sich während der Herrschaft von dessen Vater zugetragen hatte, war dieses Misstrauen wohlbegründet gewesen.
Doch vielleicht hatte Marika dieses Wissen auch in weiser Voraussicht einzig mit ihm geteilt.
Im Stall übergab Ivasako sein Pferd einem Sklaven und schritt dann über den weitläufigen Hof zum Palast, während seine Schüler ins Haus der Palastwache zurückkehrten, um ein spätes Morgenmahl einzunehmen, bevor sie zu ihrem täglichen Dienst antraten. An solchen Tagen schätzte er das frühe Aufstehen. Wenn die Palastwachen trainiert waren, war immer noch genügend Tag übrig, um sich der eigentlichen Arbeit zu widmen.
Im Fall des Palastmeisters bedeutete das: jede Menge Papierkrieg.
In der Eingangshalle kam ihm einer von Kachiros persönlichen Sklaven entgegen.
„Der Imperator wünscht Euch in seinen Gemächern zu sehen, Meister Ivasako“, sagte er, nachdem er sich vor Ivasako zu Boden geworfen hatte.
Ivasakos Herz setzte einen Schlag aus. Was kann er wollen?, fragte er sich unbehaglich. Weiß er, dass ich auf Tarkos Party an einer Diskussion mit ihm, Ishaka und Takiro teilgenommen habe? Sieht er in mir eine Gefahr?
Dass Tarko in den Palast beordert und einer Art Verhör unterzogen worden war, lag erst wenige Tage zurück. Ivasako war bei jener Begebenheit zugegen gewesen und hatte Kachiros Misstrauen hautnah miterlebt. Der Imperator war überraschend gut über das Thema, das Ivasako mit Ishaka vor dessen Abreise nach Duna wiederholt diskutiert hatte, informiert gewesen.
Nein, dachte er dann, während er die Stufen zum obersten Stockwerk emporstieg. Wenn dem so wäre, hätten seine Wachen mich hier empfangen.
Kachiro konnte unmöglich Beweise haben. Keiner der Beteiligten würde freiwillig zugeben, an einer Diskussion teilgenommen zu haben, in der die Politik des Imperators in Frage gestellt wurde.
Und überhaupt: Was ist falsch daran, wachsam zu sein und darauf zu achten, ob Kachiro einen Fehler macht? Was ist falsch daran, die Richtigkeit seiner Entscheidungen anzuzweifeln? Viele Ashaki tun dies. Und das war schon immer so.
Kachiro schien zu ahnen, dass in der Stadt etwas im Gange war. Ivasakos Vorhaben zu verhindern, dass der Imperator Sachaka durch einen Angriff auf Kyralia endgültig in den Ruin trieb, wurde damit nahezu unmöglich. Nicht mit Ishaka und Takiro in Duna. Tarko wird Euch wenn nötig zur Seite stehen, waren die Worte des Ashaki vor seiner Abreise gewesen. Aber sucht seine Hilfe nur, wenn Euch keine Wahl bleibt.
Nach Tarkos Verhör hoffte Ivasako, das würde nicht nötig sein. Eine Zusammenarbeit mit Tarko war riskant, jetzt wo Kachiros Misstrauen erweckt war.
Endlich erreichte er die große Doppeltür am Ende des Korridors. Kachiros Wachen salutierten und ließen ihn ein. Einen tiefen Atemzug nehmend trat Ivasako in den Zugang dahinter.
Kachiro saß auf seinem bevorzugten Diwan, zu seinen Füßen mehrere Sklaven, die die Reste seines Morgenmahls hielten.
„Setzt Euch, Palastmeister“, sprach der Imperator, nachdem Ivasako sich vor ihm zu Boden geworfen und ihn gefragt hatte, wie er ihm dienen konnte.
Ivasako kam der Aufforderung nach. Ein Sklave reichte ihm Raka, dann schickt Kachiro alle bis auf seinen Leibwächter hinaus. Tarachi schenkte Ivasako einen finsteren Blick und fuhr dann fort, seinen Meister zu beobachten.
„Worüber wünscht Ihr mit mir zu sprechen, mein Imperator?“, eröffnete Ivasako das Gespräch. „Wünscht Ihr einen Statusbericht zum Training der Palastwachen?“
„Auch wenn mir die Sicherheit des Palasts besonders in diesen Zeiten wichtig ist, will ich gleich zur Sache kommen.“ Mit einer lässigen Bewegung seiner Hand bedeutete Kachiro dem Sklaven mit der Karaffe, seinen Raka aufzufüllen. „Denn ich sehe den Palast dank Eurer Arbeit in guten Händen.“
„Euer Lob ehrt mich, mein Imperator“, erwiderte Ivasako und senkte den Kopf.
Kachiro nahm das mit einem Nicken zur Kenntnis. „Ihr seid der einzige meiner Berater, der in Arvice geblieben ist“, fuhr er fort. „Ich muss sicher sein, dass ich mich auf Euch verlassen kann.“
Ruhig bleiben, ermahnte Ivasako sich. Er hatte gelernt, seine Worte entsprechend zu wählen. Und es gab nichts, was er sich vorzuwerfen hatte. Trotzdem fühlte er sich unter Kachiros prüfendem Blick ertappt.
„Mein Imperator, selbstverständlich könnt Ihr das“, sagte er. „So wie Euch ist mir daran gelegen, Marikas Erbe fortzuführen und seine Vision wahrwerden und Sachaka wieder zu einem mächtigen Imperium erblühen zu lassen.“
Zu seiner Überraschung lächelte Kachiro. „Tatsächlich habe ich nichts anderes von Euch erwartet“, sagte er. „Ihr seid Eurem früheren Meister noch immer sehr ergeben und damit auch seinem Nachfolger.“
Die subtile Respektlosigkeit versetzte Ivasako einen Stich. Vor Marika hätte Kachiro es nie gewagt, so mit ihm zu reden. Er entschied jedoch, die Spitze zu übergehen. Sollte der Imperator ihn doch unterschätzen!
„Und deswegen vertraue ich Euch“, fuhr der Imperator fort. Bedächtig trank er von seinem Raka, dann sah er Ivasako direkt an. „Tatsächlich kommt mir Eure Absicht, Euch mehr in die Politik zu integrieren, dabei sehr gelegen.“
„Wie das?“, fragte Ivasako Verwirrung vorgebend, während er die plötzliche Panik niederkämpfte.
„Ohne Ishaka und Takiro, die den vergangenen Wochen Unruhe unter den Stadt-Ashaki verbreitet haben, brauche ich jemanden, der über die Geschehnisse in der Stadt auf dem Laufenden ist.“
„Und dabei denkt Ihr an mich.“
Aus den Augenwinkeln sah er, wie Kachiros Leibwächter ihn abschätzend musterte. Ob er darüber nachdenkt, ob ich eine Bedrohung für seinen Meister bin? Oder kann er mich nur einfach nicht leiden?
„Richtig, Palastmeister.“ Mit einem dünnen Lächeln fuhr Kachiro fort: „Dadurch, dass Euch ausgerechnet Ishaka in die Welt der Politik eingeführt hat, werden die Ashaki Euch ein gewisses Vertrauen entgegenbringen.“
Ivasako hob eine Augenbraue. „Also soll ich für Euch spionieren“, folgerte er.
Kachiro schien amüsiert. „Wenn Ihr es so ausdrücken wollt, ja.“ Er runzelte die Stirn. „Der Gedanke scheint Euch nicht zu behagen.“
„Es behagt mir nicht, mich unter die Stadt-Ashaki zu begeben. Aber vor diesem Problem sah ich mich schon, als ich beschloss, mich mehr für Politik zu interessieren, um Euch ein besserer Berater zu sein“, erwiderte Ivasako glatt.
„Nun“, sagte Kachiro. „Dann hilft es Euch vielleicht, dass Ihr das für das Imperium tut.“
Es war unmöglich, das Lächeln aufzuhalten. „Ihr glaubt gar nicht, wie sehr mir das hilft, mein Imperator.“
Als Ivasako wenig später Kachiros Gemächer verließ, spürte er, wie sich eine fast euphorische Erleichterung in ihm breitmachte. Kachiro hatte keinen Verdacht geschöpft – im Gegenteil: Er schenkte ihm sein Vertrauen. Das war überraschend und erfreulich.
Und dennoch empfand Ivasako Schuldgefühle.
Warum tue ich das?, fragte er sich. Ich habe nichts getan, um Kachiros wie auch immer geartete Pläne zu durchkreuzen.
Oder lag es schlichtweg daran, dass er es nicht gewohnt war, seine eigenen Pläne zu verfolgen?
Befindend, dass er erst seine Gedanken ordnen musste, bevor er sich wieder seiner Arbeit widmen konnte, wandte er sich in den Palastgarten. Um diese Zeit hielt sich dort außer den Sklaven, die sich um die Beete und den Rasen kümmerten, niemand auf. Nur ein Schwarm Chivills stritt wie so oft um die Kelche eines Alutastrauchs und in der Krone eines Parrabaumes krächzten mehrere Parrook.
Ivasako fand seine Bank verlassen vor. Die Augen schließend ließ er sich darauf nieder. Von irgendwo streifte Yakari zwischen den Büschen hervor und legte seinen Kopf auf Ivasakos Schoß. Der Palastmeister streckte eine Hand aus und kraulte den Kopf des P’anaals. Das leise Schnurren und das Vibrieren unter seinen Fingern brachten sein aufgewühltes Gemüt zur Ruhe und half, seine Gedanken zu sortieren.
Kachiro hatte ihn also angewiesen, das zu tun, was Ivasako längst mit Ishaka vereinbart hatte. Nur mit dem Unterschied, dass er von Ivasako Informationen erwartete, die dieser nicht mit ihm zu teilen bereit war. Etwas Besseres hätte ihm kaum passieren können, fand Ivasako. Er musste nur einen Weg finden, Kachiro mit den richtigen Informationen zu versorgen. Vielleicht würde das seinem eigenen Plan sogar zum Vorteil gereichen.
„Warum ist der sonst so beschäftigte Palastmeister nicht bei der Arbeit?“, fragte eine liebliche Stimme.
Ivasako zuckte zusammen. Ienara stand ein paar Schritte vor ihm, den Hals ihrer Vyer mit beiden Händen umschlossen.
„Ich muss über etwas nachdenken.“
Ienara musterte ihn mit ihren unergründlichen Augen. „Möchtest du mir davon erzählen?“, fragte sie.
„Ich denke, es kann nicht schaden“, sagte Ivasako mit einem schiefen Lächeln. Ienara war eine gute Zuhörerin. Bei politischen Themen hatte sie immer einen weisen Rat für ihn. Er bedeutete ihr, sich neben ihn zu setzen. Dann schuf er einen schalldichten Schild um sie beide und berichtete ihr von seinem Gespräch mit Kachiro.
„Ich weiß nicht, Ivasako“, sagte sie, nachdem er geendet hatte. „Das alles erscheint mir zu einfach. Was, wenn er dich auf diese Weise in Sicherheit wiegen will, damit du dich und Ishaka verrätst?“
„Aber was soll ich verraten, Ienara? Dass Ishaka und ich ihn vor einer Dummheit bewahren wollen? Wenn Kachiro nicht mit sich reden lässt, müssen wir es mit subtileren Mitteln versuchen.“
„Und die Stadt-Ashaki rebellieren lassen – darauf würde es doch hinauslaufen, nicht wahr?“
Ivasako seufzte. Widerwillig musste er sich eingestehen, dass sie ein Argument gebracht hatte, dass er nicht abstreiten konnte. Mit einem Mal kam er sich dumm vor, weil er Kachiros Absicht nicht sofort begriffen hatte. Zugleich wusste er jedoch, dass es ihm in dieser Hinsicht noch immer an Erfahrung mangelte und er verfluchte sich selbst, weil er erst so spät entschieden hatte, die Welt der Ashaki zu betreten.
„Ich habe weder vor, die Stadt-Ashaki rebellieren zu lassen noch Kachiro zu stürzen“, sagte er. „Doch wenn sich so viele seiner Ashaki gegen seine Politik stellen, kommt er vielleicht zur Vernunft.“
Ienara legte den Kopf zur Seite. „Ist es das, was du glaubst?“
„Es ist das, was ich hoffe.“
Sie schwieg eine Weile, die Hände im Schoß gefaltet. „Verzeih, wenn ich dir einen solchen Verrat unterstellt habe“, sagte sie schließlich. „Aber was du auch vorhast: Lass mich daran teilhaben, ich kann dir helfen.“
„Wenn du das tust, stehe ich tiefer in deiner Schuld, als du dir vorstellen kannst“, sagte Ivasako. „Aber ich will dich nicht in diese Sache reinziehen.“ Was er und Ishaka taten, grenzte an Hochverrat. Ivasako wollte nicht an das denken, was er vielleicht tun musste, sollten seine subtilen Versuche, Kachiro zur Vernunft zu bringen, scheitern.
Ienaras Augen blitzten verärgert. „Glaubst du, ich will noch weiterleben, wenn Kachiro dich hinrichtet?“, gab sie zurück. „Lass mich dir helfen und du wirst eher Erfolg haben. Vergiss nicht, dass ich mehr als zwanzig Jahre Marika gedient habe.“
Ivasako betrachtete sie nachdenklich. Er wusste, er konnte ihr vertrauen. Und er kannte sie lange genug, um zu wissen, wenn sie nicht mit sich reden ließ. „Ich werde darauf zurückkommen, wenn ich deinen Rat gebrauchen kann“, sagte er.
Er konnte ihr ansehen, dass sie nicht vollständig überzeugt war. „Pass auf dich auf“, sagte sie. „Und lass dich nicht ausnutzen. Weder von Kachiro noch von Ishaka.“
„Das werde ich nicht“, versprach Ivasako. „Ich tue es für Sachaka.“
Mit einem schiefen Lächeln streckte sie eine Hand aus und berührte seine Wange. „Manchmal wünschte ich, deine Herkunft würde dir nicht im Weg stehen. Du wärst ein guter Herrscher für dieses Land.“
Auch in der zweiten Woche fühlte es sich für Regin noch immer merkwürdig an, den Nachmittag des Tages, an dem er und Balkan Lord Vorels Abendklasse unterrichteten, zur freien Verfügung zu haben. Da Trassia im Heilerquartier Dienst hatte, versuchte er die Zeit bis zu ihrem Schichtende sinnvoll auszufüllen. So hatte er sich Balkan angeschlossen, als dieser erklärt hatte, diese Nachmittage für die Vorbereitung der Tests zu nutzen, denen er seine Kurse einen Monat vor Beginn der Sommerprüfungen unterziehen wollte.
„Ich bin für jede Hilfe dankbar, Regin“, hatte sein ehemaliger Mentor erklärt. „Auf diese Weise erhaltet Ihr zugleich einen ersten Einblick in das Abnehmen von Prüfungen von Seite des Lehrers. Angesichts Eurer Ziele werdet Ihr davon profitieren.“
Und so hatte Regin sich in eine Arbeit gestürzt, die nur wenig mit der Arena zu tun hatte, und bei der er sich so überhaupt nicht gefordert fühlte. Manche Aspekte der Prüfungsvorbereitung waren neu und interessant gewesen, doch bei weitem nicht so spannend, wie gemeinsam mit den Kriegern gegen Akkarin und Sonea zu kämpfen. Nach nur zwei Wochen langweilte Regin sich zutiefst. Die Übungen, die die Krieger unter sich durchführten, waren für ihn keine Herausforderung. Er war Zweitbester seines Jahrgangs gewesen. Vergleichen mit dem Kampf gegen schwarze Magier ödeten diese Schaukämpfe ihn an.
„Ohne Sonea fallen unsere wöchentlichen Übungen aus“, sagte Regin, als er und Balkan zu Beginn des Abendunterrichts die Universität verließen, „die Arena ist jedoch um diese Zeit nicht anderweitig belegt.“
Balkan runzelte die Stirn. „Lord Regin, worauf wollt Ihr hinaus?“
Es war eine seltsame Ironie, dass Regin diese Übungen vermisste, obwohl er sich fast jedes Mal über den Hohen Lord und seine kratzbürstige Frau ärgerte. Insbesondere, wenn er daran dachte, dass Sonea ihn ganz allein fertigmachen konnte. Sie und ihr unheimlicher Mann waren die einzigen Gegner, bei denen er sich gefordert fühlte, ohne fürchten zu müssen, dass sie ihn zu töten beabsichtigten.
„Ich finde, wir sollten unseren wöchentlichen Übungskampf gegen unsere schwarzen Magier wieder aufleben lassen.“
Sie stiegen die Stufen hinab und betraten den Park. „Und wie stellt Ihr Euch das ohne Sonea vor? Der Hohe Lord und sie kämpfen gemeinsam. Er kann sich schlecht in zwei Magier aufteilen und ihren Part für sie übernehmen.“
„Er könnte einzeln gegen uns antreten. Für den Fall, dass er und Sonea im Kampf getrennt werden oder einer von ihnen fällt. Es wäre nicht das erste Mal.“
Akkarin war der einzige schwarze Magier der Gilde, der seine Stärke mit Hilfe seiner beiden Quellen auf einem gewissen Niveau hielt. Akkarins Stärke wurde, so wie die von Sonea und Lord Sarrin, regelmäßig von den Oberhäuptern der Disziplinen überprüft, um sicherzugehen, dass er sich nicht über das bei seiner Wiederwahl festgelegte Maß hinaus stärkte. Auf diese Weise war er ein realistischer Gegner in der Arena und bereit, sofort auf geringere Bedrohungen zu reagieren. Jegliche weitere Magie wurde in Speichersteinen für Krisenzeiten aufbewahrt, und, da der Ausgang der Verhandlungen in Yukai ungewiss war, seit einer Weile wieder im Dome.
Sie verließen die Treppenstufen und wandten sich zum Park. Die Sonne war hinter einer gelb- und ockerfarbenen Wolkenbank im Westen versunken und warf breite Balken aus Licht auf die Welt und ließ die Dächer der Stadt in flüssigem Gold erstrahlten. Die Luft war lau und erfüllt von dem lieblichen Abendkonzert der Vögel.
„Akkarin ist der beste Einzelkämpfer, den ich kenne“, sagte Balkan. „Hätte er Übungsbedarf, so würde er sich diesen beschaffen.“
„Warum dann nicht Lord Sarrin hinzuziehen?“, fragte Regin. „Er besitzt so gut wie keine Erfahrung im Kämpfen außer als Leiter im Gruppenkampf. Er könnte Sonea vorübergehend ersetzen und dabei seine Fähigkeiten erweitern.“
„Ihr vergesst, dass Lord Sarrin nur als Reserve und Wissenshüter gedacht war“, erinnerte Balkan. „So wie Ihr sein hohes Alter vergesst. Sein Verstand mag einwandfrei arbeiten, doch die Reaktion und die Lernbereitschaft sind bei einem Siebzigjährigen nicht mehr so gut wie bei Euch oder meiner Wenigkeit.“
„Während des Krieges hat er gegen den sachakanischen Spion gekämpft. Und er war bei Yirakos Invasion an Akkarins Seite.“
„Lord Sarrin kämpft nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Damals befand sich Sonea in Gefangenschaft und wir wussten nicht, ob sie jemals wieder freikommt.“
„Und was, wenn Auslandsadministrator Dannyls Mission scheitert?“, fragte Regin. „Was, wenn der Krieg weitergeht? Sollte Lord Sarrin dann nicht bestens vorbereitet sein? Die Verräter können nicht immer da sein, um uns zu helfen. Und so bald würde kein Nachfolger für Sonea gefunden.“
Balkan warf ihm einen abschätzenden Seitenblick zu. „Ihr sorgt Euch, dass Akkarin sich zu sehr auf Sonea verlässt.“
Es war mehr eine Frage denn eine Feststellung. Regin schüttelte den Kopf. „Während Soneas Gefangenschaft hat er das Gegenteil zu Genüge bewiesen.“ Seine Sorge galt vielmehr der Möglichkeit, dass Sonea nicht von ihrem Auftrag zurückkehrte. Regin fand, sie begingen einen Fehler, wenn sich nicht darauf vorbereiteten.
„Akkarin und Sonea sind die stärkste Waffe, die die Gilde gegen die Sachakaner aufbieten kann“, sagte er. „Wenn auch nur eine geringe Chance besteht, dass Lord Sarrin ihren Platz ausfüllen kann, dann sollten wir sie nicht ungenutzt lassen.“
Balkan runzelte die Stirn. „Ich verstehe Eure Beweggründe, doch ich bezweifle, dass sich das realisieren lässt.“
„Warum?“, fragte Regin. „Lord Sarrin mag Alchemist sein, doch er ist dem Kämpfen nicht abgeneigt, wenn es darum geht, Kyralia zu verteidigen.“
„Ich bezweifle nicht, dass Lord Sarrin keine Einwände hätte, in unsere wöchentlichen Übungen involviert zu werden“, entgegnete sein ehemaliger Mentor knapp. „Trotz seines Alters.“
Regin horchte auf. An der leichten Veränderung des Tons in Balkans Stimme hatte er bemerkt, dass da noch mehr war. „Sondern?“, hakte er nach.
„Der Hohe Lord wird die Idee ablehnen.“
Regins Verwirrung wuchs. „Und warum?“, verlangte er zu wissen. „Weil er nur mit Sonea kämpfen will?“
„Lord Regin“, ermahnte Balkan. „Ich muss doch sehr bitten. Ihr sprecht von unserem Anführer. Etwas mehr Respekt.“
„Ich bitte um Verzeihung, Mylord“, erwiderte Regin und senkte den Kopf. „Ich wollte nicht respektlos sein. „Ich verstehe nur nicht, warum der Hohe Lord dies ablehnen sollte.“
„Regin“, sagte sein ehemaliger Mentor mit einer Spur von Ungeduld in der Stimme. „Ich kenne Akkarin, seit er mein Schüler war. Ich mag nicht all seine Beweggründe kennen noch könnte ich seine Aktionen vorausahnen, doch ich weiß, wann er einen Vorschlag ablehnt.“
Balkan war Akkarins Lehrer gewesen? Als Regin näher darüber nachdachte, stellte er jedoch fest, dass sie gar nicht so abwegig war. Das Oberhaupt der Krieger war nur ungefähr zehn Jahre älter als der Hohe Lord. Und nach allem, was er wusste, hatte Balkan schon früh zu unterrichten begonnen. Er fragte sich, wie es wohl gewesen war, den berüchtigten Novizen zu unterrichten, der Akkarin einst gewesen war, und er nahm sich vor, Balkan bei Gelegenheit danach zu fragen.
Sie schritten durch das unterirdische Portal und betraten die sandige Fläche der Arena. Die Novizen ihres Abendkurses waren noch nicht eingetroffen, was Regin gelegen kam. Für ihn war das Thema noch nicht erledigt.
„Woher wisst Ihr, dass er diese Idee ablehnen würde?“
Sein ehemaliger Mentor betrachtete ihn unwirsch. „Weil er sie sonst vorgeschlagen hätte.“
Bevor Regin etwas darauf erwidern konnte, strömte ein Dutzend lachender und lärmender Novizen durch das Portal und sie begannen mit dem Unterricht.
Sonea starrte in den glitzernden Sternenhimmel über ihr, die Sinne ausgestreckt und auf andere Präsenzen in ihrer Umgebung lauschend. Die Nacht war eisig und so wickelte sie sich fester in ihren Reiseumhang, darauf bedacht, ihre Magie zu sparen. Ein Stück neben ihr lag Dannyl unter seiner Decke zusammengerollt und schlief.
Sie hatten eine geschützte Stelle abseits der Straße gefunden, um dort ihre letzte Nacht vor Erreichen der Ödländer zu verbringen. Ein kleiner Bach, der vielmehr ein Rinnsal war, sickerte zwischen zwei Felsen hindurch. Er bot nicht viel Wasser, doch es war genug, um ihre Wasservorräte aufzufüllen und die Pferde trinken zu lassen.
Unter dem Vorwand, dass sie der Ruhe auf dem Weg bis zum Treffpunkt nicht traute, hatte sie durchgesetzt, die komplette Nachtwache zu übernehmen. Sie hatte Dannyl ansehen können, dass er hinter ihrer Entscheidung noch etwas anderes vermutete, doch zu ihrer Erleichterung hatte er keine Fragen gestellt.
Der wahre Grund war jedoch weniger Soneas Furcht, dass auf dem Weg zur Ettkriti-Ebene eine Gefahr lauerte, von der die Krieger am Fort und die Verräter nichts wussten, als die Furcht einzuschlafen. Während der ersten Tage ihrer Reise war es besser gewesen. Dannyls Gegenwart, seine heitere Art und ihre Lektionen, die ihm dabei helfen sollten, seinen Geheimniswahrer zu kontrollieren, hatten dazu beigetragen. Seit sie in diesem Bolhaus von Marika geträumt hatte, war es jedoch schlimmer denn je. Und nun war sie in Sachaka, was ihrem Auftrag und dem Wiedersehen mit Marikas Beratern eine Endgültigkeit verlieh, die sie insgeheim wünschen ließ, dass sie wieder nach Hause zurückkehren könnte.
Zugleich wusste sie jedoch, dass das unmöglich war. Sie hatte sich dafür entschieden, das hier zu tun. Es war notwendig. Nicht nur für sie, sondern für Dannyl und für die Gilde und ihre Verbündeten. Sie würde sich ihrer Furcht stellen müssen.
Ich muss meine persönlichen Gefühle zurückstellen, dachte sie. Die Gilde hat Vorrang vor allem anderen. Ich weiß, dass es irgendwann so kommen würde, seit uns die Gilde wieder aufgenommen hat.
Sie hatte nur nicht damit gerechnet, dass es so schwer sein würde.
Ein Teil von Sonea wollte nichts als schlafen. Schlafen, vergessen und nicht diese Träume haben müssen. Sie machten alles nur noch schlimmer. Ohne diese Träume würde sie sich Marikas Beratern besser stellen können.
Und wenn wir morgen auf die Verräter treffen, was mache ich dann?, fragte sie sich. Es würde keinen Grund mehr geben, die Nacht über wach zu bleiben und sie wusste, dass sie nicht bis Yukai ohne Schlaf durchhalten würde.
Aber wie sollte sie schlafen, wenn sie auf dieser Reise kein Nemmin nehmen durfte? Und was, wenn Dannyl und die Verräter bemerkten, wenn sie nicht gut schlief? Alles davon beinhaltete für Sonea ein ungeahntes Grauen. Sie wollte weder diese Träume noch das Mitleid der anderen, das unweigerlich damit einhergehen würde.
Mit einem Mal begriff sie, wie es Akkarin ergangen sein musste, als die Gilde sie damals verbannt hatte. Die Träume hatten jedoch aufgehört, als sie ein Paar geworden waren. Aber wieso hatte sie dann diese Träume? Liebte sie ihn nicht so sehr wie er sie? Hatte es damals bei ihm an der anfänglichen Verliebtheit gelegen, die dazu neigte, alles andere in Bedeutungslosigkeit versinken zu lassen? Oder lag es daran, dass ihre Erlebnisse in Sachaka sich von seinen unterschieden und ein Ausmaß angenommen hatten, dass sie ihre Beziehung beeinflussten?
Oder – sie hielt den Atem an – war das mit Marika mehr als das? Habe ich ihn geliebt?
Die Furcht davor, mehr für den ehemaligen König von Sachaka empfunden zu haben, war nie ganz gewichen. Jetzt, wo sie auf sich gestellt und allein mit ihren Ängsten war, drohte sie Sonea zu überwältigen. Ja, sie hatte ihn gehasst und gefürchtet, aber zugleich hatte sie es genossen, sich ihm und ihrer Unanständigkeit hinzugeben. Ein dunkler Teil ihrer Selbst hatte seine Sklavin sein wollen.
Und sie war ziemlich sicher, dass das nichts mit Abhängigkeit zu tun hatte.
Ich wünschte, ich könnte Akkarin fragen, wie er seine Träume schließlich losgeworden ist, dachte sie. Oder mit ihm darüber sprechen.
Aber damit würde sie ihn verletzen. Er durfte niemals erfahren, was seit ein paar Wochen in ihr vorging. Es war schlimm genug, dass er überhaupt davon aus Marikas Gedanken erfahren hatte. Weil Sonea das Gefühl nicht abschütteln konnte, ihn damals betrogen zu haben.
So sollte es nicht sein. Es war nicht richtig, dass sie mit dem einzigen Menschen, der sie verstand, nicht sprechen konnte, weil sie ihm nicht weh tun wollte.
Sonea schlang die Arme um ihre angewinkelten Beine, während sie die plötzliche Übelkeit niederkämpfte. Manchmal ertappte sie sich dabei, sich zu fragen, wie dieses halbe Jahr mit Marika verlaufen wäre, hätte sie gewusst, dass Akkarin noch am Leben war. Hätte sich ihm schließlich auch hingegeben, weil er ihre dunkle Seite entfesselt und Dinge mit ihr getan hatte, die ihr Mann zumindest damals nicht gewagt hatte? Unter diesem Aspekt kam Sonea nicht umhin, sich wie eine Ehebrecherin zu fühlen. Oder eine Hure.
Das ist doch albern, schalt sie sich dann. Dieses Wissen hätte nichts geändert. Marika hat dir keine Wahl gelassen.
Aber, was auch immer er mit ihr getan hatte, Sonea konnte nicht wegdiskutieren, dass er etwas in ihr zum Leben erweckt hatte, das sie nicht mehr rückgängig machen konnte.
Zwei Tage, nachdem sie den Nordpass überquert hatten, wurden die Berge allmählich flacher. Dahinter erstreckten sich die Ödländer, trostlos, wild und weit. Bisher hatte Dannyl sie nur im Winter oder zu Beginn des Frühlings erblickt. Jetzt, wo der Frühling seinen Höhepunkt erreicht hatte, war die braune, karge Ebene hier und da von grünen Stellen bedeckt, wo widerstandsfähige Gräser und kleine Blumen aus der Erde sprossen. Der Anblick war nahezu lieblich, verglichen mit dem, was Dannyl in der Vergangenheit von diesem Landstrich gesehen hatte.
Die Straße war weiterhin sicher. Zwei Mal am Tag kontaktierte Sonea ihren Mann per Blutjuwel, um Bericht zu erstatten und Neuigkeiten zu erhalten. Bis jetzt hatten die Verräter jedoch keine Bewegungen ihrer Feinde in dieser Gegend gemeldet.
Trotzdem verspürte Dannyl eine nagende Unruhe, was weniger an seiner Begleiterin als an dem Umstand, dass sie durch ein feindliches Land reisten, lag. Er vertraute darauf, dass Sonea ihn wenn nötig mit ihrem Leben verteidigen würde. Ihre Macht war jedoch trotz schwarzer Magie begrenzt. Er wusste, er würde sich sicherer fühlen, wenn sie ihre Reise mit der Eskorte fortsetzten.
Als Treffpunkt hatten sie die Hügelgruppe am Rande der Ettkriti-Ebene ausgemacht, wo die Gilde während der Schlacht vor zwei Jahren ihr Lager aufgeschlagen hatte. Für Dannyl war das ein denkwürdiger Ort und er fragte sich, wie Sonea das empfand.
Es war beinahe der Mittag ihres dritten Tages in Sachaka, als sie die Hügel erreichten. Die Hänge waren von spärlichem Gras bewachsen, doch das war es nicht, was Dannyls Aufmerksamkeit erregte. Die kleine Schlucht, die einst von einem aus den Bergen kommenden Bach durchflossen wurde, war gänzlich verschwunden. Damals bei der Schlacht war sie von den Verrätern mit einem wilden Speicherstein zerstört worden, nachdem es ihnen gelungen war, ein paar Sachakaner hineinzulocken. Von weitem wurde das Ausmaß der Zerstörung erst wirklich sichtbar. Die Hänge, zwischen denen sich die Schlucht erstreckt hatte, waren durch die Explosion abgerutscht und seitdem erodiert. Die Schlucht war nun breiter und zwei Dutzend Schritt hoch mit Erde und Felsen gefüllt. Mittlerweile hatte sich das Wasser des Baches einen neuen Weg gesucht und floss nun am Fuße der Hügel entlang in die Ebene. Dort, wo einst der Eingang zur Schlucht gewesen war, hatte sich ein kleiner See gebildet.
Gut, dass der Speicherstein nur so wenig Magie enthalten hat, dass er nicht die kompletten Hügel zerstört hat, fuhr es Dannyl durch den Kopf. Das Lager der Gilde war nur eine Meile entfernt am Hang eines anderen Hügels gewesen. Die bei der Explosion freigesetzte Magie war größtenteils nach oben und zu den Ausgängen der Schlucht entwichen.
„Sie sind noch nicht da.“ Sonea hatte ihr Pferd angehalten und starrte hinüber zu den Hügeln.
„Vielleicht sind wir einfach nur zu früh“, sagte Dannyl.
„Oder sie wurden aufgehalten.“ Sie zuckte die Schultern. „Wie auch immer. Hätte ich das gewusst, hätte ich Euch nicht in diesem Tempo durch die Berge gescheucht.“
Sie wirkt besorgt, stellte Dannyl fest. Oder sie ist einfach nur angespannt, weil sie keine guten Erinnerungen mit diesem Ort verbindet. Wenn man von Elyne oder vom Nordpass kam, führte der Weg in die fruchtbaren Regionen Sachakas durch diese Ebene. Er und Sonea würde eine Weile weiter in Richtung Arvice ziehen, bis sie die Straße nach Duna erreichten.
„Dann hättest du mich aber um diese interessante Erfahrung gebracht“, entgegnete er in dem Versuch, sie durch einen kleinen Scherz aufzuheitern.
Sonea betrachtete ihn mit schmalen Augen. „Interessante Erfahrung? Was wollt Ihr damit sagen, Auslandsadministrator?“
Dannyl lachte. „Dass mir erst durch unsere Mission bewusst geworden bist, wie herrisch du sein kannst.“
„Oh, ich kann sehr herrisch sein, wenn ich will!“, sagte sie. „Ich halte mich nur meist damit zurück, damit ich nicht so sehr gefürchtet werde.“
„Du meinst, nicht so sehr wie dein Mann?“
Sie hob die Augenbrauen. „Findet Ihr mich furchteinflößend, Dannyl?“
„Ein wenig“, gab er zu.
„Aber Ihr kanntet mich doch schon, als ich nur ein Mädchen aus den Hüttenvierteln war.“
„Sagen wir, die Furcht ist mit der Zeit gewachsen“, sagte er, bemüht diplomatisch zu sein. Er wusste nicht, wie er ihr sagen sollte, dass sie seit ihrer Entführung finsterer und düsterer geworden war und ihrem Mann damit ähnlicher geworden war. Obwohl sie bei weitem nicht so furchteinflößend wie Akkarin war, war es nicht zu übersehen. Sachaka hatte etwas in ihr verändert.
Darunter war sie jedoch immer noch die Sonea von früher.
„Ich will Euch keine Angst machen, Dannyl“, sagte sie. „Ihr seid für mich wie ein Freund. Ich will nicht, dass meine Freunde mich fürchten.“
„Es ist auch mehr Ehrfurcht als Furcht“, erwiderte Dannyl. „Ich wollte dich nur ein wenig aufziehen.“
Offenkundig nicht erfreut, verzog sie das Gesicht. „Das ist Euch wahrhaftig gelungen.“ Sie wies zu dem See. „Wir werden dort auf die Verräter warten. Dort sind wir am besten vor unerwünschten Blicken geschützt. Und wir können unsere Wasservorräte auffrischen. Wer weiß, wann wir wieder auf Wasser stoßen.“
Dannyl nickte. „Eine gute Idee.“
Sie hielten auf die Hügel zu. Am Ufer des Sees holten sie ihren Proviant und ihre Wasserschläuche aus dem Gepäck. Während die Pferde tranken, teilten sie sich eine kleine Mahlzeit. Dannyl tauchte seine Hände in das klare Wasser und wusch sich den Staub aus dem Gesicht. „Ein Bad wäre jetzt genau das richtige“, sagte er.
„Das halte ich für keine gute Idee.“
„Ich will nur sauber für unsere Eskorte sein“, entgegnete Dannyl sein charmantestes Lächeln aufsetzend. „Was sollen sie sonst von ihrem Fürsprecher halten?“ Obwohl die Worte leicht dahin gesagt waren, fühlte er sich völlig verdreckt. Für seinen Geschmack lag sein letztes Bad schon zu lange zurück.
„Die Verräter haben wie wir eine lange Reise hinter sich. Auch sie werden staubig und verschwitzt sein.“
Dannyl schüttelte den Kopf. Sie glaubte doch nicht etwa wieder, er versuche, mit ihr zu flirten? „Wenn ich aus beruflichen Gründen mit anderen zu tun habe, fühle ich mich wohler, wenn ich frisch gebadet bin“, sagte er. „Du kannst dich gerne wegdrehen.“
„Das würde ich auch“, sagte sie trocken. „Aber Dannyl, was wenn jemand kommt und wir uns verteidigen müssen?“
Daran hatte Dannyl nicht gedacht. Allerdings war er auch kein Krieger. Die Straße war sicher gewesen, solange sie noch in den Bergen gewesen waren. An diesem Morgen hatten sie die Berge jedoch verlassen. Die Hügelgruppe am Rand der Ettkriti-Ebene war weit und breit der einzige Ort, der so etwas wie Schutz bot. Dannyl wäre es lieber gewesen, die Eskorte am Nordpass zu treffen, allerdings hätten sie und die Verräter dadurch wertvolle Zeit verloren. Es hießt, die Delegierten der Sachakaner und der Duna waren bereits auf dem Weg nach Yukai und es war in ihrer aller Interesse, diese Verhandlungen aufzunehmen, bevor die Situation erneut eskalierte.
„Diese Hügel sind die einzige Erhebung weit und breit“, sagte er. „Von ihrem höchsten Punkt aus können wir die Ebene beobachten und sehen, ob sich uns jemand nähert.“
„Ja“, stimmte Sonea zu. „Ich wollte nach dem Essen ohnehin dort hinauf, um nach den Verrätern Ausschau zu halten.“ Sie runzelte die Stirn. „Wenn niemand in Sicht ist, könnt Ihr meinetwegen ein Bad nehmen, während ich die Gegend beobachte.“
„Einverstanden.“
Sie verstauten ihre Vorräte und erklommen die Überreste des Hügels, an dessen Fuße sie Rast gemacht hatten. In der Mittagssonne hatte sich die Luft aufgeheizt und Dannyl begann in seiner Kaufmannskleidung zu schwitzen und wünschte sich seine luftige Robe zurück. Dem Drang widerstehend, seine Magie für solch unnütze Aktionen wie das Heilen von Anstrengung zu verschwenden, warf einen Blick zu Sonea. Ihr schien die Kletterpartie weniger auszumachen, allerdings war sie durch ihr Schwertkampftraining zweifelsohne ausdauernder als er.
Als sie die Kuppe des Hügels fast erreicht hatten, bedeutete die kleine schwarze Magierin ihm, sich auf den Boden zu legen. Gemeinsam krochen sie weiter, bis sie die Ebene vor sich sehen konnten.
„Jetzt brauche ich wirklich ein Bad“, scherzte Dannyl.
Ihre dunklen Augen blitzten kurz zu ihm, bevor sie mit einer Hand ihre Augen abschirmte und die Ebene abzusuchen begann.
Dannyl tat es ihr gleich. „Kannst du irgendwo Reiter sehen?“
„Nein. Und auch nichts anderes, was sich bewegt.“
„Die Sicht ist sehr gut.“
Sie nickte. „Ihr könntet mindestens drei Bäder nehmen, bis etwas, das sich nähert, die Hügel erreicht.“
„Dann sollte ich wirklich präsentabel sein“, erwiderte er erheitert.
Soneas Augenbrauen zogen sich zusammen. „Wenn sie bis heute Abend noch nicht aufgetaucht sind, werde ich den Hohen Lord kontaktieren und fragen, ob er etwas über den Verbleib der Eskorte weiß.“
„Er würde dich auch von sich aus kontaktieren, wenn er etwas erfährt, nicht wahr?“
„Ja“, sagte Sonea. „Und deswegen brauchen wir nicht in Panik zu verfallen.“
„Oh, ich bin ganz entspannt“, sagte Dannyl, während er innerlich vor Nervosität zu zerreißen drohte. Wir sind früher hier, als geplant, redete er sich ein. Die Verräter werden noch kommen. Vielleicht war der Weg blockiert oder sie mussten ihren Feinden ausweichen.
Dennoch hatte er kein gutes Gefühl bei der Sache. Oder lag das an diesem Land?
Sonea bedachte ihn mit einem unwirschen Blick und fuhr dann fort, die Ebene zu beobachteten. „Ihr braucht mir nichts vormachen, Dannyl. Und ich würde lügen, wäre ich nicht auch ein wenig nervös … wartet“, sie kniff die Augen zusammen und starrte auf irgendetwas am Horizont, „ … seht Ihr das? Ist das Rauch?“
Das Gefühl des sich Ertapptfühlens übergehend, folgte Dannyl ihrem ausgestreckten Arm. Und dann sah er es auch. In der Ferne stiegen mehrere dünne Rauchsäulen in den Himmel. „Ob dort jemand lagert?“, überlegte er laut. „Vielleicht Ichani?“
„Ich weiß es nicht, Dannyl. Doch jemand, der auf so offenem Gelände ein Feuer macht, wäre ziemlich dumm.“
„Oder ziemlich stark.“
Er konnte ihr ansehen, dass sie ihre Zweifel an dieser Erklärung hatte. Die Rauchsäulen ließen auf eine größere Gruppe schließen, doch von hier aus konnte er nichts sehen, das nach einem Lager aussah.
„Das gefällt mir nicht.“ Langsam schob Sonea sich den Hügel hinab. „Wir sollten nachsehen.“
„Warte!“ Dannyl beeilte sich, ihr zu folgen. „Was, wenn es eine Falle ist?“
„Unwahrscheinlich. Es wäre strategisch klüger, eine Falle hier aufzustellen.“
„Und wenn sie gedacht ist, um uns von hier fortzulocken?“
„Wenn das der Fall ist, würde wer auch immer dort draußen ist früher oder später herkommen“, entgegnete sie hart. „Insofern können wir uns ihm auch sofort stellen.“
„Aber“, begann er. „Könnten wir uns hier nicht besser verteidigen?“
Ihre Augen blitzten gefährlich. „Ja. Aber ich kämpfe lieber dort, wo ich meine Gegner im Auge habe.“
„Hier könnte ich mich hinter den Felsblöcken in der Schlucht verstecken. Es wäre sicherer. Für uns beide.“
Sonea zögerte. „Ich weiß, es ist meine Aufgabe, Euch zu beschützen, Dannyl. Aber was, wenn dort drüben jemand unsere Hilfe braucht? Ich könnte es nicht verantworten, jemanden sterben zu lassen, nur weil ich mich vor einer magischen Konfrontation fürchte.“
Dannyl öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch sie schnitt ihm das Wort ab. „Ihr werdet hierbleiben. Ich gehe alleine und sehe nach.“
„Auf keinen Fall!“, widersprach Dannyl. „Ich komme mit!“
„Dannyl, wenn mir etwas passiert, könnt Ihr vielleicht entkommen.“
„Sonea, wir sind mitten in Sachaka. Ohne einen schwarzen Magier, der mich beschützt, werde ich nicht weit kommen. Es ist sicherer, wenn wir zusammenbleiben.“
Ihre Augen blitzten vor Zorn, als sie sich zu ihm umwandte. „Dannyl“, sagte sie streng. „Was, wenn da draußen ein paar Ichani einfach nur eine Falle für eine Gruppe unbedarfter Händler aufgestellt haben? Wäre wäre es dann nicht besser, wenn sie gar nichts von Euch erfahren?“
Das war eine Möglichkeit, an die Dannyl wiederum nicht glaubte. Er ahnte indes, sie würden diese Diskussion nicht friedlich beenden können, weil Sonea zu stur war, um empfänglich für vernünftige Argumente zu sein.
„Ich bin der Ranghöhere von uns beiden“, sagte er. „Und deswegen entscheide ich, dass wir gemeinsam nachsehen, wenn ich dich schon nicht davon abhalten kann, dorthin zu gehen.“
„Ihr mögt den höheren Rang bekleiden, doch da ich zu Eurem Schutz hier bin, müsst Ihr in allen Dingen, die Eure Sicherheit betreffen, mir gehorchen“, gab sie erbost zurück.
All meine Diplomatie versagt bei ihr, dachte Dannyl. Nun, er kannte Wege, um zu ihr durchzudringen, doch damit würde er sich eher ihre Feindschaft einhandeln. Und das war nichts, worauf er angesichts der Zeit, die sie miteinander verbringen würden, erpicht war. „Vielleicht sollten wir das unter Zuhilfenahme einer höheren Instanz klären“, schlug er vor.
Ihre Augen weiteten sich. Dannyl konnte ihr ansehen, wie sehr sie mit sich rang, zu entscheiden, ob sie ihren Mann in ihren Streit involvieren wollte oder nicht.
„Also schön“, gab sie schließlich nach. „Tut, was Ihr nicht lassen könnt. Aber auf Eure eigene Verantwortung.“
Fragen zum Kapitel:
Aus welchen Gründen mag Sonea es nicht, Geheimnisse vor Akkarin zu haben?
Mischt Dorrien sich zu sehr in Lokens und Lady Celias Angelegenheiten ein?
Mischt Dannyl sich zu sehr in Soneas Handhabung seines Schutzes ein? Wie entwickelt sich das Verhältnis der beiden von seinem Beschützerinstinkt abgesehen?
Was haltet ihr von dem Auftrag, den Kachiro Ivasako gibt? Könnten dabei Probleme auftreten und wenn ja, welche? Könnte Ienara tatsächlich eine so gute Hilfe sein, wie sie sich anpreist?
Was haltet ihr von Regins Idee?
Welche Parallelen/Unterschiede seht ihr zwischen Soneas Rückkehr nach Sachaka und Akkarins Rückkehr in ’The High Lord’?
Und zuletzt noch eine Spekulantenfrage: Was glaubt ihr, haben Sonea und Dannyl da entdeckt?
Im nächsten Kapitel erfahrt ihr, was Sonea und Dannyl entdeckt haben. Außerdem erfährt Ivasako etwas, das ihn sehr beunruhigt und Asara ist so voll Zorn wie schon lange nicht mehr.
Ich hoffe, ihr verzeiht mir, dass dieses Kapitel etwas kürzer wird. Von nun an werden wieder längere Kapitel folgen. Bei einigen hatte ich sogar Mühe, sie noch ein wenig zu kürzen, weil einfach zu viel Wichtiges in ihnen passiert (wahrscheinlich werdet ihr dann noch stöhnen :D). Dafür kommt dieses Kapitel entgegen meinen früheren Befürchtungen pünktlich, da der CampNaNoWriMo dann doch sehr schnell sehr erfolgreich war. Wie genau ich mich mit der Überarbeitung von „Der Zorn der schwarzen Sonnen“ geschlagen habe, könnt ihr hier in meinem Blog lesen.
Herzlichen Dank an Sabrina Snape, Black Glitter und Chaos Chemikerin für die Reviews und Diskussionen zum letzten Kapitel :)
Und jetzt viel Spaß beim Lesen :)
***
Kapitel 19 – Immer wieder Sachaka
Immer wieder Sachaka. Unwillig und von einem unguten Gefühl erfüllt starrte Sonea auf die Straße, die zu ihren Füßen allmählich abfiel und schließlich zwischen zwei Felsen verschwand. Dieses Land zu betreten war niemals eine gute Idee und für ihren Geschmack hatte sie es bereits viel zu häufig getan. Plötzlich erkannte Sonea, das sie dumm gewesen war zu glauben, sie würde niemals wieder einen Fuß auf sachakanischen Boden setzen, als Akkarin dieses Versprechen von ihr verlangt hatte. Sie war eine der einzigen beiden einsatzfähigen schwarzen Magier der Gilde, sie würde immer wieder hierher kommen, solange sie nicht tot war oder dieser Krieg andauerte.
Und deswegen muss ich mich meiner Vergangenheit stellen.
Ein Seufzen unterdrückend schob Sonea ihre düsteren Gedanken beiseite.
Es hilft alles nichts, sagte sie sich. Ich muss das tun, denn dann besteht vielleicht die Chance, dass dieser Krieg eines Tages ein Ende findet.
Nachdem sie ihr Kleid gegen die praktischere Kluft ihrer Tarnkleidung getauscht und der Captain des Forts sie auf den neusten Stand bezüglich möglicher Aktivitäten der Sachakaner gebracht hatte, war es früher Abend geworden, bis sie den Pass hinter sich gelassen hatten. Die über den Berggipfeln hängenden Wolken hatten sich aufgelöst und die Strahlen der schrägstehenden Sonne erhellten von irgendwo hinter ihnen die Hänge der flacheren Berge im Osten. Ein feiner Dunst stieg aus den Tälern auf, die bereits in Schatten versunken waren.
Als Sonea erstmals diesen Weg genommen hatte, hatte die Gilde sie und Akkarin ausgestoßen. Kaum ein Jahr später war fast die komplette Gilde hier entlang geritten, um Marikas Armee in der Ettkriti-Ebene zu begegnen. Schaudernd schob sie die Erinnerungen beiseite. Sie wollte nicht daran denken, dass ihr Weg auch dieses Mal durch die Ettkriti-Ebene führen würde, bevor sie weiter nach Norden zogen. Doch dieses Mal würden sie in Begleitung der Verräter reisen.
Sonea fragte sich, wie sie wohl sein würden. Bisher war sie nur wenigen von ihnen begegnet und ihre Begegnungen waren nur von kurzer Dauer gewesen. Die Frauen dieses Volkes waren stolz, selbstbewusst und kriegerisch, hieß es. Und sie waren schön.
Ob ich Danyara wiedersehen werde? Seit dem Überfall auf den Palast hatte sie ihre einstige Freundin nicht mehr gesehen. Sie wusste nicht einmal, ob Dany sie überhaupt wiedersehen wollte. Bei ihrer letzten Begegnung hatten sie sich gestritten, weil Sonea auch nach fast einem halben Jahr nicht über Akkarin hinweg gewesen war. Nach ihrem Streit hatte Sonea keine Gelegenheit gehabt, noch einmal mit ihrer Freundin zu sprechen. An jenem Abend hatte Marika mit seinen Ashaki im Palast seinen bevorstehenden Feldzug gegen Kyralia gefeiert. Und in der Nacht hatten Akkarin und einige Verräter den Palast überfallen. Danyara und die anderen Mädchen aus Marikas Cachira waren von den Verrätern in Sicherheit gebracht worden, während Akkarin nach ihr gesucht hatte. Sonea hatte sich nicht einmal verabschieden können.
So viel war unausgesprochen geblieben. Und doch ließ der Gedanke, ihre Freundin könne zu der Delegation der Verräter gehören, ihr Herz höher schlagen und erfüllte sie mit einer ungeahnten Mischung aus Vorfreude und Panik.
„Von allen Orten, die ich bereist habe, ist dies derjenige, auf den ich am meisten verzichten könnte. Dagegen ist Lonmar nahezu lieblich.“
Sonea wandte den Kopf zu ihrem Begleiter. Dannyls Gesicht drückte in etwa das aus, was sie gerade empfand. „Ich weiß, was Ihr meint.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln, von dem sie hoffte, dass es Zuversicht ausdrückte. „Aber wir können unbesorgt weiterreisen. Die Verräter hätten es gemeldet, würde die Straße in die Ödländer nicht sicher sein. Wenn wir die Berge verlassen, werden wir dort auf unsere Eskorte treffen.“
Am Morgen hatte Akkarin sie benachrichtigt, dass sich die Eskorte verzögert hatte, weil sie einen Umweg hatten nehmen müssen. Savedra hatte als neuen Treffpunkt die Ettkriti-Ebene vorgeschlagen. Jedoch nicht, ohne Akkarin zu versichern, dass der Weg dorthin sicher war.
Der Auslandsadministrator wirkte dennoch beunruhigt, aber dem wusste Sonea nicht abzuhelfen. Sie beide verbanden, jeder auf seine Art, keine guten Erinnerungen mit diesem Land. Und sie begann sich zu fragen, ob es mit Duna ähnlich werden würde. Nun, wir werden es bald herausfinden.
Sie drückte ihre Fersen in die Flanken des Pferdes und dirigierte es die Straße hinab. Dannyl hielt sich dicht an ihrer Seite. Hinter den Bergen in ihrem Rücken ging die Sonne unter und allmählich wurde es dunkler.
„Wir reiten, bis wir die Straße nicht mehr erkennen können“, teilte Sonea ihrem Begleiter mit. Auch wenn die Gegend sicher war, wollte sie kein unnötiges Risiko eingehen und ihre Entdeckung riskieren. Die Nacht würde mondlos sein, was es unmöglich machen würde, die Reise in der Dunkelheit ohne Lichtquelle fortzusetzen.
„Und wo sollen wir Rast machen?“, fragte Dannyl, die schroffen Berghänge mit einem Ausdruck des Entsetzens betrachtend. „Die einzige Stelle, an die ich mich erinnere, würden wir frühestens morgen früh erreichen.“
„Wir levitieren uns und die Pferde auf einen Felsvorsprung“, antwortete Sonea. „Das wird zwar ein wenig eng, aber so sind wir vor unerwünschten Blicken sicher.“
Es war seltsam, jemandem von höheren Rang Anweisungen zu erteilen. Als Oberhaupt der Diplomaten der Gilde war Dannyls Posten mit dem des Administrators vergleichbar, während Sonea nur eine Studienleiterin war. Doch in Bezug auf ihrer beider Sicherheit musste er sich ihrem Kommando beugen.
Während sie der Straße folgten, verblassten die Sonnenstrahlen allmählich und die Schatten zwischen den Felsen wurden tiefer, während aus den Tälern ein fahlblauer Dunst aufstieg. Als die Straße kaum noch zu erkennen war, entdeckte Sonea eine Stelle, die ihr für eine Rast geeignet schien. In einer Höhe vom etwa einhundert Fuß wich die Felswand ein Stück zurück.
„Ich gehe nachsehen, ob wir und die Pferde dort genug Platz haben“, teilte sie Dannyl mit. „Wenn ich will, dass Ihr mit den Pferden nachkommt, werfe ich zwei kleine Steine die Straße hinab. Es genügt, wenn nur einer von uns seine Magie unnötig verbraucht.“
Dannyl nickte. Obwohl er darum bemüht war, sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen, konnte Sonea sie förmlich spüren.
„Ich beeile mich“, versprach sie. Dann griff sie nach ihrer Magie, schuf daraus eine Scheibe unter ihren Füßen und schwebte an der Felswand hinauf.
Der Felsvorsprung war schmal, bot jedoch ausreichend Platz für zwei Menschen und zwei Pferde. Sonea hoffte, die Pferde würden mit der ungewohnten Höhe zurechtkommen und nicht versuchen, den Vorsprung zu verlassen. Im Dunkeln umhertastend fand sie zwei kleine Steine und warf sie. Der Wind trug das Geräusch davon, als sie auf der Straße auftrafen und so konnte sie nur hoffen, dass Dannyl ihr Zeichen bemerkt hatte.
Wenige Augenblicke später nahm Sonea das Vibrieren von Magie wahr, dann schwebte Dannyl mit den beiden Pferden vor ihr in der Luft. „Da hast du dir etwas wirklich Kuscheliges ausgesucht“, bemerkte er.
„Ich dachte, Ihr würdet es zu schätzen wissen, die Tradition der letzten Tage aufrechtzuerhalten“, gab sie zurück.
Dannyl lachte leise. „Du beschwerst dich, weil ich mit dir flirte, schaffst aber immer wieder Situationen, in denen du mit mir flirtest.“
„Dannyl, das ist wirklich schmeichelhaft, aber auch wenn Ihr ein wahrhaftiger Frauenschwarm seid, seid Ihr nun wirklich nicht mein Typ.“
„Das habe ich bemerkt“, erwiderte Dannyl, während er die Beine der Pferde mit Magie hobbelte. „Und um ehrlich zu sein, bin ich sehr erleichtert.“
Sonea blinzelte verwirrt. „Ich dachte immer, Ihr würdet das genießen.“
„Meistens ist es eher ein Fluch.“
„Warum? Als Junggeselle müsstet Ihr Euch über das Angebot doch freuen.“
„Ah, das würde ich, würden diese Frauen mein Typ sein.“
Und Sonea verstand. Armer Dannyl, dachte sie. Hoffentlich findet er eines Tages noch seine Liebe. Es war so viel besser, wenn es jemanden gab, den man liebte und der die eigenen Gefühle erwiderte. Dadurch ließ sich vieles so viel besser ertragen.
Sie packte ihre Decken aus und bereitete zwei Lager vor. „Gebt mir Eure Kraft“, sagte sie dann. „Während ihr schlaft, werde ich Wache halten.“
Dannyl hielt ihr seine Hände hin. Sonea griff danach und kaum dass sie einander berührten, wurde sie sich seiner Magie bewusst.
„Weck mich, wenn die Hälfte der Nacht vorbei ist“, sagte Dannyl anschließend. Er bedeckte seinen Mund mit einer Hand und gähnte ausgiebig. „Dann löse ich dich ab.“
Sonea nickte nur. Sie wusste, sie würde ihn nicht wecken. Dannyl hatte ihr zu viel seiner Magie gegeben. Und er brauchte den Schlaf dringender als sie. „Gute Nacht, Dannyl.“
„Gute Nacht, Sonea.“ Dannyl rollte sich in seine Decke und nur wenige Augenblicke später konnte Sonea seine tiefen und regelmäßigen Atemzüge hören.
Seufzend lehnte sie sich gegen die Felswand in ihrem Rücken. Sie entschied, sie würde Dannyl nur bitten sie abzulösen, sollten ihr vor Müdigkeit die Augen zufallen. Sie wusste, sie musste schlafen. Die Reise dauerte lange genug, um die Kontrolle über ihre Magie zu verlieren, wenn sie ihrem Körper die nötige Ruhe dauerhaft verweigerte. Zugleich fürchtete sie den Schlaf jedoch. Sie wusste, dann würden die Träume wiederkehren. Von Arvice, vom Palast und von Marika.
Um sich abzulenken, richtete sie ihren Willen auf ihr Blutjuwel.
- Akkarin?
- Sonea!, kam seine fast sofortige Antwort. In seiner Gedankenstimme konnte Sonea eine vage Besorgnis spüren. Wie geht es dir?
- Wir sind jetzt in Sachaka. Wir haben einen sicheren Platz gefunden, um dort die Nacht zu verbringen. Der Weg bis zur Ettkriti-Ebene ist sicher.
- Ich habe zugesehen, als ihr das Fort erreicht habt, sandte er. Doch ich wollte wissen, wie es dir geht.
- Ich weiß es nicht, antwortete sie ehrlich. Auch mit dem Geheimniswahrer brachte sie es nicht über sich, ihm etwas vorzumachen. Sie mochte es nicht, Geheimnisse vor ihm zu haben. Die Sache mit dem Nemmin war bereits schlimm genug. Ich versuche, mich auf meine Mission zu konzentrieren. Alles andere kann ich sowieso nicht beeinflussen.
- Du kannst mich jederzeit rufen, wenn du jemanden zum Reden brauchst.
- Ich weiß, erwiderte sie. Danke. Wie geht es Lorlen?
- Er ist munter und fröhlich. Takan hat ihn vor einer Stunde zu Bett gebracht.
Sonea lächelte und drängte die Tränen zurück, die sich plötzlich in ihre Augen stahlen.
- Er fehlt mir, sandte sie. Und du mir auch.
- Du hast mein Blutjuwel.
- Aber das ist nicht dasselbe.
- Nein, stimmte er zu und sie glaubte, einen Anflug von Bedauern von ihm zu empfangen. Das ist es nicht.
***
Mit jedem Besuch, den Dorrien dem zerstörten Wildwasser abstattete, war das Dorf mehr und mehr wiederhergestellt. Wo wenige Wochen zuvor noch eine Wüste aus Trümmern, Felsbrocken und Erdreich geherrscht hatte, standen nun bei über der Hälfte der Häuser die Dachstühle. Wo die Lawine Wälder und Nutzflächen gerodet hatte, waren neue Äcker angelegt worden. Das wenige überlebende Vieh, zu dem sich inzwischen die Gaben der Bewohner der Nachbardörfer gesellt hatten, graste auf einer Weide am Waldrand.
Bei diesem Anblick verspürte Dorrien einen hehren Stolz auf die Dorfbewohner. In nur wenigen Wochen hatten sie ihre zerstörten Existenzen nahezu wieder vollständig aufgebaut. Und das trotz zwei gewissen Kriegern, dachte er. Doch abgesehen von Kerrin und Iskren hatte die Gilde an dem Wiederaufbau keinen geringen Anteil.
Als er auf den Dorfplatz ritt, war es beinahe so, als wäre Wildwasser niemals zerstört worden. Eine Schar Rassook stob protestierend auseinander, als er dicht gefolgt von Loken auf seinem Pferd zwischen den Häusern hindurchsprengte.
Das Heilerzelt stand noch immer in der Mitte des Dorfplatzes. Als Dorrien und Loken ihre Pferde zügelten, trat eine grüngewandete Frau heraus.
„Lord Dorrien!“, rief sie. „Kein anderer als Ihr kommt mit einem solchen Spektakel.“
Grinsend saß Dorrien ab. „Das könnte daran liegen, dass ich immer das Gefühl habe, zu einem Notfall zu eilen.“
Lady Celia lachte.
„Mylady.“ Loken war neben Dorrien getreten und verneigte sich tief. „Ich grüße Euch.“
„Guten Tag, Loken“, erwiderte sie. „Was führt dich her?“
Die Wangen des Schmieds färbten sich rosa. „Ich helfe Rorin ein wenig aus, Mylady.“
„Das ist sehr nobel von dir“, sagte sie. „Überhaupt ist das Bergvolk ein sehr hilfsbereites und zuvorkommendes.“
„Und das trotz der Rauheit, die man uns nachsagt. Ist man einmal hier, will man nicht mehr weg. So ist’s Lord Dorrien auch ergangen.“
Die junge Heilerin lächelte. „Das kann ich nur zu gut verstehen.“
Dorrien stieß den Schmied unauffällig in die Seite. „Komm“, murmelte er.
Loken warf ihm einen fragenden Blick zu. Dorrien schüttelte kaum merklich den Kopf. „Lady Celia, Loken und ich bringen nur eben unsere Pferde unter, dann bin ich sofort wieder bei Euch.“
Lady Celia blinzelte verwirrt und nickte dann. „Tut dies. Es ist ja nicht so, als hätten wir gerade einen Notfall.“
Ihr ein kurzes Lächeln schenkend, führte Dorrien den Schmied ein Stück abseits. „Loken, lass mich mit ihr reden“, sagte er leise.
„Aber Ihr hattet versprochen, mir zu helfen, Mylord“, protestierte Loken.
„Das habe ich. Und deswegen will ich dir die Peinlichkeit ersparen, von ihr einen Korb zu bekommen. Willst du ihr deine Liebe gestehen, bevor sicher ist, ob sie dich mag?“
„Sie wusste meinen Namen“, sagte Loken hilflos.
Dorrien widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. Manchmal konnte Loken so unglaublich einfältig sein! „Ich muss mit Lady Celia einige berufliche Sachen besprechen“, erklärte er. „Dabei werde ich versuchen, etwas herauszufinden.“ Er drückte dem Schmied die Zügel seines Pferdes in die Hand. „Und jetzt geh und bring die Pferde in Rorins Stall unter.“
„Ja, Mylord“, erwiderte Loken mit sichtlichem Unwillen.
Dorrien nickte und als Loken die Pferde vom Dorfplatz führte, wandte er sich wieder der Heilerin zu.
„Das Wetter ist so herrlich heute“, sagte er. „Was haltet Ihr davon, mir Euren Bericht bei einem kleinen Spaziergang um das Dorf herum zu geben?“
„Eine hervorragende Idee“, stimmte Lady Celia zu. „Dann komme ich auch endlich ein wenig aus dem Zelt heraus.“
Sie verließen das Dorf und schlugen den Weg zum Waldrand ein. Während sie am Rand der Bäume entlang wanderten, berichtete die Heilerin Dorrien von jeder Verletzung und jedem Fieber, das sie während der vergangenen Woche geheilt hatte. Erfreut stellte Dorrien fest, dass ihre Arbeit ihr noch immer Freude zu bereiten schien.
„Sehnt Ihr Euch nicht allmählich zurück nach dem Stadtleben?“, fragte er. „Ich habe mir sagen lassen, Lord Kerrin und Lord Iskren könnten es kaum noch erwarten, zurückbeordert zu werden, weil sie den Komfort der Gilde vermissen.“
„Ich finde das Leben hier gar nicht so unkomfortabel“, erwiderte Lady Celia. „Magie erleichtert vieles, das Essen ist zwar einfacher, aber ebenso hervorragend wie die Küche der Häuser. Und die Luft ist so unglaublich klar und rein.“
„Solche Worte höre ich nicht oft von jemandem aus den Häusern.“
Lady Celia wandte den Kopf. Ihre grünen Augen funkelten. „Ein wenig vermisse ich die Gilde“, gab sie zu. „Aber nicht so sehr, wie ich erwartet habe. Es ist sehr erfrischend, der Stadt und der Universität für eine Weile zu entfliehen. Zuhause sind alle so steif und gezwungen – etwas, das man von den Menschen hier überhaupt nicht sagen kann.“
„Ja, die Menschen hier sind wirklich besonders“, stimmte Dorrien zu. „Als ich nach meinem Abschluss hierher kam, habe ich mich sofort in diese Gegend verliebt, und wollte nicht mehr fort.“ Er bedachte die Heilerin mit einem abschätzenden Blick. „Wer weiß, vielleicht ergeht es Euch ähnlich?“
Celia lachte und gab ihm einen leichten Klaps auf den Unterarm. „Versucht Ihr etwa mit mir zu flirten, Lord Dorrien?“
„Nein“, antwortete Dorrien ernsthaft. Er hielt inne und wandte sich ihr zu. „Ich versuche Euch dazu zu bringen, Euch in die Berge zu verlieben.“
„Und warum solltet Ihr das tun, Lord Dorrien?“
„Weil ein Heiler nicht genug ist. Meine Novizin kann mir nur helfen, wenn sie hier ist. Eine richtige Unterstützung wird sie jedoch erst in zwei oder drei Jahren sein. Und selbst dann werden nicht immer genügend Heiler hier sein. Ich betreue Dörfer im Umkreis mehrerer Tagesreisen, ich kann nicht überall sein. Nach Vianas Abschluss werde ich mich zudem freiwillig für die Schichten bei den Verrätern melden. Sie ist gewillt, mich zu begleiten. Wenn ich könnte, würde ich sogar schon jetzt gehen. Aber ich würde mich schlecht dabei fühlen, die Menschen hier so lange ohne medizinische Hilfe zurückzulassen.“
Erst als er Lady Celias Blick begegnete, erkannte er, wie sehr er sich in Leidenschaft geredet hatte.
„Es ist Euch ernst damit, nicht wahr?“, fragte sie.
Dorrien konnte nur nicken.
Zum ersten Mal hatte er einem anderen Heiler gegenüber seine geheimsten Wünsche so eindringlich geäußert. Seine Versuche, mehr Heiler in die abgelegenen Winkel Kyralias zu entsenden, waren bisher immer kläglich gescheitert. Sonea, der Krieg und die Situation ihrer Verbündeten hatten daran jedoch etwas geändert. Und Celia schien der Öffnung gegenüber dem einfachen Volk nicht abgeneigt.
„Als Lady Vinara jemanden suchte, den sie nach Wildwasser schicken konnte, habe ich mich freiwillig gemeldet“, sagte sie schließlich. „Ich helfe gerne aus oder vertrete Euch für einige Monate. Doch ich weiß nicht, ob ich bereit wäre, dauerhaft hier zu leben.“
Die Endgültigkeit in ihrer Stimme ließ Dorrien aufhorchen. Und er erkannte, obwohl er nicht wirklich mit einer Zusage gerechnet hatte, dass der Beginn ihres Gesprächs Hoffnungen in ihm zum Leben erweckt hatte.
„Warum?“, fragte er. „Was hält Euch davon ab?“
Als sie sich ihm zuwandte, schimmerten ihre grünen Augen. „Weil es in Imardin jemand gibt, der auf mich wartet.“
***
Eine orange Scheibe schob sich über den Rand der trostlosen Ebene, als Dannyl erwachte. Die Kälte der Bergnächte war durch Decke und Kleider bis in seine Glieder gekrochen. Instinktiv griff er nach seiner Magie und wärmte sich auf.
Dann sah er sich um. Er befand sich auf einem Felsvorsprung hoch über der Straße. Einen langen Augenblick war er verwirrt, dann erinnerte er sich wieder, dass sie am vergangenen Abend hier entlanggeritten waren, bis sie ohne Licht nichts mehr sehen konnten. Daraufhin hatten sie sich einen geschützten Schlafplatz gesucht.
„Guten Morgen.“
Dannyl wandte den Kopf. Sonea saß noch immer so, wie am vergangenen Abend. Hatte sie sich überhaupt bewegt?
„Guten Morgen, Sonea“, erwiderte er. Er runzelte die Stirn. Sie hatte versprochen, ihn zu seiner Wache zu wecken, doch das hatte sie nicht und nun war es hell. „Wieso hast du mich nicht geweckt?“
„Gestern Abend habt Ihr mir Eure gesamte Magie übertragen. Ich hielt es für besser, Euch schlafen zu lassen.“
Als Dannyl seine Magiereserven prüfte, erkannte er, dass sie recht hatte. Seine Magie hatte sich nur zum Teil wieder regeneriert. In seinem Eifer, auf diese Weise zu ihrer beider Überleben beizutragen, hatte er das nicht bedacht. Dennoch gönnte er sich den Luxus und ließ Magie durch seinen Körper strömen, bis ihm nicht mehr kalt war. Er gab nicht viel anderes, wofür er seine Magie während ihrer Reise einsetzen würde. Es würde ein paar Stunden dauern, bevor die Luft behaglich warm wurde und er wollte diese weder frierend verbringen noch bis dahin unter einem Wärmeschild reiten. Denn das wäre dann wirklich eine Verschwendung der Magie gewesen, die er Sonea geben konnte.
Er betrachtete Sonea genauer. Die Schatten unter ihren Augen, die am Tag zuvor schon dagewesen waren, hatten sich vertieft. Sie wirkte blass und angespannt. „Heute Abend werde ich dir etwas weniger Magie geben“, sagte er.
„Das ist nicht nötig“, wehrte sie ab.
„Warum?“, fragte er, spürend, dass sie ihm auswich. „Keinem von uns beiden ist geholfen, wenn du dich schneller stärken kannst, aber dafür auf deinen Schlaf verzichten musst.“
„Es wäre nur eine weitere Nacht. Bis wir auf die Verräter treffen.“
„Ich dachte, der Weg bis zur Ettkriti-Ebene wäre sicher.“
Ihre Mundwinkel verzogen sich zu etwas, von dem Dannyl nicht hätte sagen können, ob es Sturheit oder Unbehagen war. „Das ist richtig, doch ich ziehe es vor, vorsichtig zu sein.“
Er konnte ihr ansehen, dass dies nicht der wahre Grund war. Auch am vergangenen Morgen in diesem Gasthaus war sie ihm ausgewichen. Nicht so deutlich wie jetzt, doch Dannyl hatte bereits da gespürt, dass irgendetwas sie beschäftigte. Er bezweifelte, dass sie nur so war, weil sie sich um seine Sicherheit sorgte, denn so wie er Sonea einschätzte, würde sie dies eher herunterspielen, um ihn nicht zu beunruhigen.
Nein, sie wich ihm aus, weil sie nicht wollte, dass er sie in einem Moment der Schwäche erlebte.
Und er war sicher, das hatte mit Sachaka zu tun.
„Ich vertraue deinem Urteil“, sagte er. „Wenn du lieber sichergehen möchtest, dann wirst du dafür deine Gründe haben.“
Ab der übernächsten Nacht würden die Verräter seinen und Soneas Schutz übernehmen. Sofern sie dann überhaupt noch Wache halten mussten, würden ihre Schichten kurz ausfallen und Sonea würde sich nicht mehr übernächtigen brauchen. Dannyl entschied, es dabei zu belassen, anstatt seine Autorität spielen zu lassen. Vermutlich hätte Sonea ihm ohnehin unter dem Vorwand, für seine Sicherheit zuständig zu sein, widersprochen. Wenn es ihr damit besserging, dann sollte es so sein.
Sie räumten ihr Lager, dann schwebten sie mitsamt den Pferden zurück auf die Straße. Allmählich stieg die Sonne höher, die Luft zwischen den hohen Felsen war indes noch empfindlich kalt und Dannyl war für seinen Reiseumhang dankbar. Die Berge wurden flacher, doch die Ebene der Ödländer war noch ein ganzes Stück entfernt.
„Wann ungefähr werden wir das Flachland erreichen?“, fragte Dannyl.
„Spätestens morgen früh, vielleicht auch schon heute Abend“, antwortete Sonea.
„So schnell?“ Er hatte damit gerechnet, dass sie die Ettkriti-Ebene erst am nächsten Abend erreichen würden. Zumindest hatte die Armee der Gilde zwei Jahre zuvor drei Tage bis dorthin gebraucht.
„Wir sind sehr viel schneller als damals“, sagte Sonea. „Damals hatten wir ein Lager, das es auf- und abzubauen galt. Zu zweit können wir unsere Pausen jedoch kurz halten.“
Im Nachhinein kam Dannyl die damalige Reise zur Ettkriti-Ebene wie eine halbe Ewigkeit vor. Wahrscheinlich, weil wir unterwegs waren, um einem übermächtigen Feind zu begegnen, überlegte er. Mit diesem Gedanken hatte er das Ende ihrer Reise zugleich gefürchtet und herbeigesehnt. Gefürchtet, weil er sicher gewesen war, zu sterben und herbeigesehnt, damit er es nicht länger fürchten musste.
Und jetzt?, fragte er sich. Fürchte ich die Konfrontation mit den Abgesandten unserer Feinde?
Mit einem Mal wurde Dannyl bewusst, dass ein Teil von ihm genau das tat. Es war das erste Mal, dass er Verhandlungen mit Feinden der Gilde führen würde. Die Gilde und ihre Verbündeten hatten gegen diese Leute gekämpft. Sie alle waren schwarze Magier, wohingegen er der einzige ’niedere’ Magier war. Trotz einer Eskorte von Verrätern und Sonea an seiner Seite fühlte Dannyl sich bei dem bloßen Gedanken schutzlos.
Aber auf dieser Konferenz sind sie Diplomaten. Sie wären dumm, uns dort mit Feindseligkeit zu begegnen, wenn sie an einem Frieden interessiert sind. Vielleicht sollte ich sie einfach als das betrachten.
***
Die neuen Palastwachen hatten sich hervorragend gemacht. Inzwischen waren sie nahezu so gut, wie die Männer, die Ivasako nach dem Massaker von Arvice geblieben waren. In den Techniken der Gildenmagier übertrafen sie seine übrigen Männer sogar, was daran lag, dass sie neu genug waren, dass Ivasako sie getrennt von den anderen unterrichten konnte. Die Männer, die ihm schon seit Jahren dienten, wurden hingegen oft mit Kachiros Wachen, die nichts von diesen Tricks wussten, trainiert.
Wie gut, dass Marika nicht einmal seinen Beratern erzählt hat, dass er die Tricks der Gildenmagier an die Palastwache weitergegeben hat!, dachte Ivasako nun. Doch nach allem, was sich während der Herrschaft von dessen Vater zugetragen hatte, war dieses Misstrauen wohlbegründet gewesen.
Doch vielleicht hatte Marika dieses Wissen auch in weiser Voraussicht einzig mit ihm geteilt.
Im Stall übergab Ivasako sein Pferd einem Sklaven und schritt dann über den weitläufigen Hof zum Palast, während seine Schüler ins Haus der Palastwache zurückkehrten, um ein spätes Morgenmahl einzunehmen, bevor sie zu ihrem täglichen Dienst antraten. An solchen Tagen schätzte er das frühe Aufstehen. Wenn die Palastwachen trainiert waren, war immer noch genügend Tag übrig, um sich der eigentlichen Arbeit zu widmen.
Im Fall des Palastmeisters bedeutete das: jede Menge Papierkrieg.
In der Eingangshalle kam ihm einer von Kachiros persönlichen Sklaven entgegen.
„Der Imperator wünscht Euch in seinen Gemächern zu sehen, Meister Ivasako“, sagte er, nachdem er sich vor Ivasako zu Boden geworfen hatte.
Ivasakos Herz setzte einen Schlag aus. Was kann er wollen?, fragte er sich unbehaglich. Weiß er, dass ich auf Tarkos Party an einer Diskussion mit ihm, Ishaka und Takiro teilgenommen habe? Sieht er in mir eine Gefahr?
Dass Tarko in den Palast beordert und einer Art Verhör unterzogen worden war, lag erst wenige Tage zurück. Ivasako war bei jener Begebenheit zugegen gewesen und hatte Kachiros Misstrauen hautnah miterlebt. Der Imperator war überraschend gut über das Thema, das Ivasako mit Ishaka vor dessen Abreise nach Duna wiederholt diskutiert hatte, informiert gewesen.
Nein, dachte er dann, während er die Stufen zum obersten Stockwerk emporstieg. Wenn dem so wäre, hätten seine Wachen mich hier empfangen.
Kachiro konnte unmöglich Beweise haben. Keiner der Beteiligten würde freiwillig zugeben, an einer Diskussion teilgenommen zu haben, in der die Politik des Imperators in Frage gestellt wurde.
Und überhaupt: Was ist falsch daran, wachsam zu sein und darauf zu achten, ob Kachiro einen Fehler macht? Was ist falsch daran, die Richtigkeit seiner Entscheidungen anzuzweifeln? Viele Ashaki tun dies. Und das war schon immer so.
Kachiro schien zu ahnen, dass in der Stadt etwas im Gange war. Ivasakos Vorhaben zu verhindern, dass der Imperator Sachaka durch einen Angriff auf Kyralia endgültig in den Ruin trieb, wurde damit nahezu unmöglich. Nicht mit Ishaka und Takiro in Duna. Tarko wird Euch wenn nötig zur Seite stehen, waren die Worte des Ashaki vor seiner Abreise gewesen. Aber sucht seine Hilfe nur, wenn Euch keine Wahl bleibt.
Nach Tarkos Verhör hoffte Ivasako, das würde nicht nötig sein. Eine Zusammenarbeit mit Tarko war riskant, jetzt wo Kachiros Misstrauen erweckt war.
Endlich erreichte er die große Doppeltür am Ende des Korridors. Kachiros Wachen salutierten und ließen ihn ein. Einen tiefen Atemzug nehmend trat Ivasako in den Zugang dahinter.
Kachiro saß auf seinem bevorzugten Diwan, zu seinen Füßen mehrere Sklaven, die die Reste seines Morgenmahls hielten.
„Setzt Euch, Palastmeister“, sprach der Imperator, nachdem Ivasako sich vor ihm zu Boden geworfen und ihn gefragt hatte, wie er ihm dienen konnte.
Ivasako kam der Aufforderung nach. Ein Sklave reichte ihm Raka, dann schickt Kachiro alle bis auf seinen Leibwächter hinaus. Tarachi schenkte Ivasako einen finsteren Blick und fuhr dann fort, seinen Meister zu beobachten.
„Worüber wünscht Ihr mit mir zu sprechen, mein Imperator?“, eröffnete Ivasako das Gespräch. „Wünscht Ihr einen Statusbericht zum Training der Palastwachen?“
„Auch wenn mir die Sicherheit des Palasts besonders in diesen Zeiten wichtig ist, will ich gleich zur Sache kommen.“ Mit einer lässigen Bewegung seiner Hand bedeutete Kachiro dem Sklaven mit der Karaffe, seinen Raka aufzufüllen. „Denn ich sehe den Palast dank Eurer Arbeit in guten Händen.“
„Euer Lob ehrt mich, mein Imperator“, erwiderte Ivasako und senkte den Kopf.
Kachiro nahm das mit einem Nicken zur Kenntnis. „Ihr seid der einzige meiner Berater, der in Arvice geblieben ist“, fuhr er fort. „Ich muss sicher sein, dass ich mich auf Euch verlassen kann.“
Ruhig bleiben, ermahnte Ivasako sich. Er hatte gelernt, seine Worte entsprechend zu wählen. Und es gab nichts, was er sich vorzuwerfen hatte. Trotzdem fühlte er sich unter Kachiros prüfendem Blick ertappt.
„Mein Imperator, selbstverständlich könnt Ihr das“, sagte er. „So wie Euch ist mir daran gelegen, Marikas Erbe fortzuführen und seine Vision wahrwerden und Sachaka wieder zu einem mächtigen Imperium erblühen zu lassen.“
Zu seiner Überraschung lächelte Kachiro. „Tatsächlich habe ich nichts anderes von Euch erwartet“, sagte er. „Ihr seid Eurem früheren Meister noch immer sehr ergeben und damit auch seinem Nachfolger.“
Die subtile Respektlosigkeit versetzte Ivasako einen Stich. Vor Marika hätte Kachiro es nie gewagt, so mit ihm zu reden. Er entschied jedoch, die Spitze zu übergehen. Sollte der Imperator ihn doch unterschätzen!
„Und deswegen vertraue ich Euch“, fuhr der Imperator fort. Bedächtig trank er von seinem Raka, dann sah er Ivasako direkt an. „Tatsächlich kommt mir Eure Absicht, Euch mehr in die Politik zu integrieren, dabei sehr gelegen.“
„Wie das?“, fragte Ivasako Verwirrung vorgebend, während er die plötzliche Panik niederkämpfte.
„Ohne Ishaka und Takiro, die den vergangenen Wochen Unruhe unter den Stadt-Ashaki verbreitet haben, brauche ich jemanden, der über die Geschehnisse in der Stadt auf dem Laufenden ist.“
„Und dabei denkt Ihr an mich.“
Aus den Augenwinkeln sah er, wie Kachiros Leibwächter ihn abschätzend musterte. Ob er darüber nachdenkt, ob ich eine Bedrohung für seinen Meister bin? Oder kann er mich nur einfach nicht leiden?
„Richtig, Palastmeister.“ Mit einem dünnen Lächeln fuhr Kachiro fort: „Dadurch, dass Euch ausgerechnet Ishaka in die Welt der Politik eingeführt hat, werden die Ashaki Euch ein gewisses Vertrauen entgegenbringen.“
Ivasako hob eine Augenbraue. „Also soll ich für Euch spionieren“, folgerte er.
Kachiro schien amüsiert. „Wenn Ihr es so ausdrücken wollt, ja.“ Er runzelte die Stirn. „Der Gedanke scheint Euch nicht zu behagen.“
„Es behagt mir nicht, mich unter die Stadt-Ashaki zu begeben. Aber vor diesem Problem sah ich mich schon, als ich beschloss, mich mehr für Politik zu interessieren, um Euch ein besserer Berater zu sein“, erwiderte Ivasako glatt.
„Nun“, sagte Kachiro. „Dann hilft es Euch vielleicht, dass Ihr das für das Imperium tut.“
Es war unmöglich, das Lächeln aufzuhalten. „Ihr glaubt gar nicht, wie sehr mir das hilft, mein Imperator.“
Als Ivasako wenig später Kachiros Gemächer verließ, spürte er, wie sich eine fast euphorische Erleichterung in ihm breitmachte. Kachiro hatte keinen Verdacht geschöpft – im Gegenteil: Er schenkte ihm sein Vertrauen. Das war überraschend und erfreulich.
Und dennoch empfand Ivasako Schuldgefühle.
Warum tue ich das?, fragte er sich. Ich habe nichts getan, um Kachiros wie auch immer geartete Pläne zu durchkreuzen.
Oder lag es schlichtweg daran, dass er es nicht gewohnt war, seine eigenen Pläne zu verfolgen?
Befindend, dass er erst seine Gedanken ordnen musste, bevor er sich wieder seiner Arbeit widmen konnte, wandte er sich in den Palastgarten. Um diese Zeit hielt sich dort außer den Sklaven, die sich um die Beete und den Rasen kümmerten, niemand auf. Nur ein Schwarm Chivills stritt wie so oft um die Kelche eines Alutastrauchs und in der Krone eines Parrabaumes krächzten mehrere Parrook.
Ivasako fand seine Bank verlassen vor. Die Augen schließend ließ er sich darauf nieder. Von irgendwo streifte Yakari zwischen den Büschen hervor und legte seinen Kopf auf Ivasakos Schoß. Der Palastmeister streckte eine Hand aus und kraulte den Kopf des P’anaals. Das leise Schnurren und das Vibrieren unter seinen Fingern brachten sein aufgewühltes Gemüt zur Ruhe und half, seine Gedanken zu sortieren.
Kachiro hatte ihn also angewiesen, das zu tun, was Ivasako längst mit Ishaka vereinbart hatte. Nur mit dem Unterschied, dass er von Ivasako Informationen erwartete, die dieser nicht mit ihm zu teilen bereit war. Etwas Besseres hätte ihm kaum passieren können, fand Ivasako. Er musste nur einen Weg finden, Kachiro mit den richtigen Informationen zu versorgen. Vielleicht würde das seinem eigenen Plan sogar zum Vorteil gereichen.
„Warum ist der sonst so beschäftigte Palastmeister nicht bei der Arbeit?“, fragte eine liebliche Stimme.
Ivasako zuckte zusammen. Ienara stand ein paar Schritte vor ihm, den Hals ihrer Vyer mit beiden Händen umschlossen.
„Ich muss über etwas nachdenken.“
Ienara musterte ihn mit ihren unergründlichen Augen. „Möchtest du mir davon erzählen?“, fragte sie.
„Ich denke, es kann nicht schaden“, sagte Ivasako mit einem schiefen Lächeln. Ienara war eine gute Zuhörerin. Bei politischen Themen hatte sie immer einen weisen Rat für ihn. Er bedeutete ihr, sich neben ihn zu setzen. Dann schuf er einen schalldichten Schild um sie beide und berichtete ihr von seinem Gespräch mit Kachiro.
„Ich weiß nicht, Ivasako“, sagte sie, nachdem er geendet hatte. „Das alles erscheint mir zu einfach. Was, wenn er dich auf diese Weise in Sicherheit wiegen will, damit du dich und Ishaka verrätst?“
„Aber was soll ich verraten, Ienara? Dass Ishaka und ich ihn vor einer Dummheit bewahren wollen? Wenn Kachiro nicht mit sich reden lässt, müssen wir es mit subtileren Mitteln versuchen.“
„Und die Stadt-Ashaki rebellieren lassen – darauf würde es doch hinauslaufen, nicht wahr?“
Ivasako seufzte. Widerwillig musste er sich eingestehen, dass sie ein Argument gebracht hatte, dass er nicht abstreiten konnte. Mit einem Mal kam er sich dumm vor, weil er Kachiros Absicht nicht sofort begriffen hatte. Zugleich wusste er jedoch, dass es ihm in dieser Hinsicht noch immer an Erfahrung mangelte und er verfluchte sich selbst, weil er erst so spät entschieden hatte, die Welt der Ashaki zu betreten.
„Ich habe weder vor, die Stadt-Ashaki rebellieren zu lassen noch Kachiro zu stürzen“, sagte er. „Doch wenn sich so viele seiner Ashaki gegen seine Politik stellen, kommt er vielleicht zur Vernunft.“
Ienara legte den Kopf zur Seite. „Ist es das, was du glaubst?“
„Es ist das, was ich hoffe.“
Sie schwieg eine Weile, die Hände im Schoß gefaltet. „Verzeih, wenn ich dir einen solchen Verrat unterstellt habe“, sagte sie schließlich. „Aber was du auch vorhast: Lass mich daran teilhaben, ich kann dir helfen.“
„Wenn du das tust, stehe ich tiefer in deiner Schuld, als du dir vorstellen kannst“, sagte Ivasako. „Aber ich will dich nicht in diese Sache reinziehen.“ Was er und Ishaka taten, grenzte an Hochverrat. Ivasako wollte nicht an das denken, was er vielleicht tun musste, sollten seine subtilen Versuche, Kachiro zur Vernunft zu bringen, scheitern.
Ienaras Augen blitzten verärgert. „Glaubst du, ich will noch weiterleben, wenn Kachiro dich hinrichtet?“, gab sie zurück. „Lass mich dir helfen und du wirst eher Erfolg haben. Vergiss nicht, dass ich mehr als zwanzig Jahre Marika gedient habe.“
Ivasako betrachtete sie nachdenklich. Er wusste, er konnte ihr vertrauen. Und er kannte sie lange genug, um zu wissen, wenn sie nicht mit sich reden ließ. „Ich werde darauf zurückkommen, wenn ich deinen Rat gebrauchen kann“, sagte er.
Er konnte ihr ansehen, dass sie nicht vollständig überzeugt war. „Pass auf dich auf“, sagte sie. „Und lass dich nicht ausnutzen. Weder von Kachiro noch von Ishaka.“
„Das werde ich nicht“, versprach Ivasako. „Ich tue es für Sachaka.“
Mit einem schiefen Lächeln streckte sie eine Hand aus und berührte seine Wange. „Manchmal wünschte ich, deine Herkunft würde dir nicht im Weg stehen. Du wärst ein guter Herrscher für dieses Land.“
***
Auch in der zweiten Woche fühlte es sich für Regin noch immer merkwürdig an, den Nachmittag des Tages, an dem er und Balkan Lord Vorels Abendklasse unterrichteten, zur freien Verfügung zu haben. Da Trassia im Heilerquartier Dienst hatte, versuchte er die Zeit bis zu ihrem Schichtende sinnvoll auszufüllen. So hatte er sich Balkan angeschlossen, als dieser erklärt hatte, diese Nachmittage für die Vorbereitung der Tests zu nutzen, denen er seine Kurse einen Monat vor Beginn der Sommerprüfungen unterziehen wollte.
„Ich bin für jede Hilfe dankbar, Regin“, hatte sein ehemaliger Mentor erklärt. „Auf diese Weise erhaltet Ihr zugleich einen ersten Einblick in das Abnehmen von Prüfungen von Seite des Lehrers. Angesichts Eurer Ziele werdet Ihr davon profitieren.“
Und so hatte Regin sich in eine Arbeit gestürzt, die nur wenig mit der Arena zu tun hatte, und bei der er sich so überhaupt nicht gefordert fühlte. Manche Aspekte der Prüfungsvorbereitung waren neu und interessant gewesen, doch bei weitem nicht so spannend, wie gemeinsam mit den Kriegern gegen Akkarin und Sonea zu kämpfen. Nach nur zwei Wochen langweilte Regin sich zutiefst. Die Übungen, die die Krieger unter sich durchführten, waren für ihn keine Herausforderung. Er war Zweitbester seines Jahrgangs gewesen. Vergleichen mit dem Kampf gegen schwarze Magier ödeten diese Schaukämpfe ihn an.
„Ohne Sonea fallen unsere wöchentlichen Übungen aus“, sagte Regin, als er und Balkan zu Beginn des Abendunterrichts die Universität verließen, „die Arena ist jedoch um diese Zeit nicht anderweitig belegt.“
Balkan runzelte die Stirn. „Lord Regin, worauf wollt Ihr hinaus?“
Es war eine seltsame Ironie, dass Regin diese Übungen vermisste, obwohl er sich fast jedes Mal über den Hohen Lord und seine kratzbürstige Frau ärgerte. Insbesondere, wenn er daran dachte, dass Sonea ihn ganz allein fertigmachen konnte. Sie und ihr unheimlicher Mann waren die einzigen Gegner, bei denen er sich gefordert fühlte, ohne fürchten zu müssen, dass sie ihn zu töten beabsichtigten.
„Ich finde, wir sollten unseren wöchentlichen Übungskampf gegen unsere schwarzen Magier wieder aufleben lassen.“
Sie stiegen die Stufen hinab und betraten den Park. „Und wie stellt Ihr Euch das ohne Sonea vor? Der Hohe Lord und sie kämpfen gemeinsam. Er kann sich schlecht in zwei Magier aufteilen und ihren Part für sie übernehmen.“
„Er könnte einzeln gegen uns antreten. Für den Fall, dass er und Sonea im Kampf getrennt werden oder einer von ihnen fällt. Es wäre nicht das erste Mal.“
Akkarin war der einzige schwarze Magier der Gilde, der seine Stärke mit Hilfe seiner beiden Quellen auf einem gewissen Niveau hielt. Akkarins Stärke wurde, so wie die von Sonea und Lord Sarrin, regelmäßig von den Oberhäuptern der Disziplinen überprüft, um sicherzugehen, dass er sich nicht über das bei seiner Wiederwahl festgelegte Maß hinaus stärkte. Auf diese Weise war er ein realistischer Gegner in der Arena und bereit, sofort auf geringere Bedrohungen zu reagieren. Jegliche weitere Magie wurde in Speichersteinen für Krisenzeiten aufbewahrt, und, da der Ausgang der Verhandlungen in Yukai ungewiss war, seit einer Weile wieder im Dome.
Sie verließen die Treppenstufen und wandten sich zum Park. Die Sonne war hinter einer gelb- und ockerfarbenen Wolkenbank im Westen versunken und warf breite Balken aus Licht auf die Welt und ließ die Dächer der Stadt in flüssigem Gold erstrahlten. Die Luft war lau und erfüllt von dem lieblichen Abendkonzert der Vögel.
„Akkarin ist der beste Einzelkämpfer, den ich kenne“, sagte Balkan. „Hätte er Übungsbedarf, so würde er sich diesen beschaffen.“
„Warum dann nicht Lord Sarrin hinzuziehen?“, fragte Regin. „Er besitzt so gut wie keine Erfahrung im Kämpfen außer als Leiter im Gruppenkampf. Er könnte Sonea vorübergehend ersetzen und dabei seine Fähigkeiten erweitern.“
„Ihr vergesst, dass Lord Sarrin nur als Reserve und Wissenshüter gedacht war“, erinnerte Balkan. „So wie Ihr sein hohes Alter vergesst. Sein Verstand mag einwandfrei arbeiten, doch die Reaktion und die Lernbereitschaft sind bei einem Siebzigjährigen nicht mehr so gut wie bei Euch oder meiner Wenigkeit.“
„Während des Krieges hat er gegen den sachakanischen Spion gekämpft. Und er war bei Yirakos Invasion an Akkarins Seite.“
„Lord Sarrin kämpft nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Damals befand sich Sonea in Gefangenschaft und wir wussten nicht, ob sie jemals wieder freikommt.“
„Und was, wenn Auslandsadministrator Dannyls Mission scheitert?“, fragte Regin. „Was, wenn der Krieg weitergeht? Sollte Lord Sarrin dann nicht bestens vorbereitet sein? Die Verräter können nicht immer da sein, um uns zu helfen. Und so bald würde kein Nachfolger für Sonea gefunden.“
Balkan warf ihm einen abschätzenden Seitenblick zu. „Ihr sorgt Euch, dass Akkarin sich zu sehr auf Sonea verlässt.“
Es war mehr eine Frage denn eine Feststellung. Regin schüttelte den Kopf. „Während Soneas Gefangenschaft hat er das Gegenteil zu Genüge bewiesen.“ Seine Sorge galt vielmehr der Möglichkeit, dass Sonea nicht von ihrem Auftrag zurückkehrte. Regin fand, sie begingen einen Fehler, wenn sich nicht darauf vorbereiteten.
„Akkarin und Sonea sind die stärkste Waffe, die die Gilde gegen die Sachakaner aufbieten kann“, sagte er. „Wenn auch nur eine geringe Chance besteht, dass Lord Sarrin ihren Platz ausfüllen kann, dann sollten wir sie nicht ungenutzt lassen.“
Balkan runzelte die Stirn. „Ich verstehe Eure Beweggründe, doch ich bezweifle, dass sich das realisieren lässt.“
„Warum?“, fragte Regin. „Lord Sarrin mag Alchemist sein, doch er ist dem Kämpfen nicht abgeneigt, wenn es darum geht, Kyralia zu verteidigen.“
„Ich bezweifle nicht, dass Lord Sarrin keine Einwände hätte, in unsere wöchentlichen Übungen involviert zu werden“, entgegnete sein ehemaliger Mentor knapp. „Trotz seines Alters.“
Regin horchte auf. An der leichten Veränderung des Tons in Balkans Stimme hatte er bemerkt, dass da noch mehr war. „Sondern?“, hakte er nach.
„Der Hohe Lord wird die Idee ablehnen.“
Regins Verwirrung wuchs. „Und warum?“, verlangte er zu wissen. „Weil er nur mit Sonea kämpfen will?“
„Lord Regin“, ermahnte Balkan. „Ich muss doch sehr bitten. Ihr sprecht von unserem Anführer. Etwas mehr Respekt.“
„Ich bitte um Verzeihung, Mylord“, erwiderte Regin und senkte den Kopf. „Ich wollte nicht respektlos sein. „Ich verstehe nur nicht, warum der Hohe Lord dies ablehnen sollte.“
„Regin“, sagte sein ehemaliger Mentor mit einer Spur von Ungeduld in der Stimme. „Ich kenne Akkarin, seit er mein Schüler war. Ich mag nicht all seine Beweggründe kennen noch könnte ich seine Aktionen vorausahnen, doch ich weiß, wann er einen Vorschlag ablehnt.“
Balkan war Akkarins Lehrer gewesen? Als Regin näher darüber nachdachte, stellte er jedoch fest, dass sie gar nicht so abwegig war. Das Oberhaupt der Krieger war nur ungefähr zehn Jahre älter als der Hohe Lord. Und nach allem, was er wusste, hatte Balkan schon früh zu unterrichten begonnen. Er fragte sich, wie es wohl gewesen war, den berüchtigten Novizen zu unterrichten, der Akkarin einst gewesen war, und er nahm sich vor, Balkan bei Gelegenheit danach zu fragen.
Sie schritten durch das unterirdische Portal und betraten die sandige Fläche der Arena. Die Novizen ihres Abendkurses waren noch nicht eingetroffen, was Regin gelegen kam. Für ihn war das Thema noch nicht erledigt.
„Woher wisst Ihr, dass er diese Idee ablehnen würde?“
Sein ehemaliger Mentor betrachtete ihn unwirsch. „Weil er sie sonst vorgeschlagen hätte.“
Bevor Regin etwas darauf erwidern konnte, strömte ein Dutzend lachender und lärmender Novizen durch das Portal und sie begannen mit dem Unterricht.
***
Sonea starrte in den glitzernden Sternenhimmel über ihr, die Sinne ausgestreckt und auf andere Präsenzen in ihrer Umgebung lauschend. Die Nacht war eisig und so wickelte sie sich fester in ihren Reiseumhang, darauf bedacht, ihre Magie zu sparen. Ein Stück neben ihr lag Dannyl unter seiner Decke zusammengerollt und schlief.
Sie hatten eine geschützte Stelle abseits der Straße gefunden, um dort ihre letzte Nacht vor Erreichen der Ödländer zu verbringen. Ein kleiner Bach, der vielmehr ein Rinnsal war, sickerte zwischen zwei Felsen hindurch. Er bot nicht viel Wasser, doch es war genug, um ihre Wasservorräte aufzufüllen und die Pferde trinken zu lassen.
Unter dem Vorwand, dass sie der Ruhe auf dem Weg bis zum Treffpunkt nicht traute, hatte sie durchgesetzt, die komplette Nachtwache zu übernehmen. Sie hatte Dannyl ansehen können, dass er hinter ihrer Entscheidung noch etwas anderes vermutete, doch zu ihrer Erleichterung hatte er keine Fragen gestellt.
Der wahre Grund war jedoch weniger Soneas Furcht, dass auf dem Weg zur Ettkriti-Ebene eine Gefahr lauerte, von der die Krieger am Fort und die Verräter nichts wussten, als die Furcht einzuschlafen. Während der ersten Tage ihrer Reise war es besser gewesen. Dannyls Gegenwart, seine heitere Art und ihre Lektionen, die ihm dabei helfen sollten, seinen Geheimniswahrer zu kontrollieren, hatten dazu beigetragen. Seit sie in diesem Bolhaus von Marika geträumt hatte, war es jedoch schlimmer denn je. Und nun war sie in Sachaka, was ihrem Auftrag und dem Wiedersehen mit Marikas Beratern eine Endgültigkeit verlieh, die sie insgeheim wünschen ließ, dass sie wieder nach Hause zurückkehren könnte.
Zugleich wusste sie jedoch, dass das unmöglich war. Sie hatte sich dafür entschieden, das hier zu tun. Es war notwendig. Nicht nur für sie, sondern für Dannyl und für die Gilde und ihre Verbündeten. Sie würde sich ihrer Furcht stellen müssen.
Ich muss meine persönlichen Gefühle zurückstellen, dachte sie. Die Gilde hat Vorrang vor allem anderen. Ich weiß, dass es irgendwann so kommen würde, seit uns die Gilde wieder aufgenommen hat.
Sie hatte nur nicht damit gerechnet, dass es so schwer sein würde.
Ein Teil von Sonea wollte nichts als schlafen. Schlafen, vergessen und nicht diese Träume haben müssen. Sie machten alles nur noch schlimmer. Ohne diese Träume würde sie sich Marikas Beratern besser stellen können.
Und wenn wir morgen auf die Verräter treffen, was mache ich dann?, fragte sie sich. Es würde keinen Grund mehr geben, die Nacht über wach zu bleiben und sie wusste, dass sie nicht bis Yukai ohne Schlaf durchhalten würde.
Aber wie sollte sie schlafen, wenn sie auf dieser Reise kein Nemmin nehmen durfte? Und was, wenn Dannyl und die Verräter bemerkten, wenn sie nicht gut schlief? Alles davon beinhaltete für Sonea ein ungeahntes Grauen. Sie wollte weder diese Träume noch das Mitleid der anderen, das unweigerlich damit einhergehen würde.
Mit einem Mal begriff sie, wie es Akkarin ergangen sein musste, als die Gilde sie damals verbannt hatte. Die Träume hatten jedoch aufgehört, als sie ein Paar geworden waren. Aber wieso hatte sie dann diese Träume? Liebte sie ihn nicht so sehr wie er sie? Hatte es damals bei ihm an der anfänglichen Verliebtheit gelegen, die dazu neigte, alles andere in Bedeutungslosigkeit versinken zu lassen? Oder lag es daran, dass ihre Erlebnisse in Sachaka sich von seinen unterschieden und ein Ausmaß angenommen hatten, dass sie ihre Beziehung beeinflussten?
Oder – sie hielt den Atem an – war das mit Marika mehr als das? Habe ich ihn geliebt?
Die Furcht davor, mehr für den ehemaligen König von Sachaka empfunden zu haben, war nie ganz gewichen. Jetzt, wo sie auf sich gestellt und allein mit ihren Ängsten war, drohte sie Sonea zu überwältigen. Ja, sie hatte ihn gehasst und gefürchtet, aber zugleich hatte sie es genossen, sich ihm und ihrer Unanständigkeit hinzugeben. Ein dunkler Teil ihrer Selbst hatte seine Sklavin sein wollen.
Und sie war ziemlich sicher, dass das nichts mit Abhängigkeit zu tun hatte.
Ich wünschte, ich könnte Akkarin fragen, wie er seine Träume schließlich losgeworden ist, dachte sie. Oder mit ihm darüber sprechen.
Aber damit würde sie ihn verletzen. Er durfte niemals erfahren, was seit ein paar Wochen in ihr vorging. Es war schlimm genug, dass er überhaupt davon aus Marikas Gedanken erfahren hatte. Weil Sonea das Gefühl nicht abschütteln konnte, ihn damals betrogen zu haben.
So sollte es nicht sein. Es war nicht richtig, dass sie mit dem einzigen Menschen, der sie verstand, nicht sprechen konnte, weil sie ihm nicht weh tun wollte.
Sonea schlang die Arme um ihre angewinkelten Beine, während sie die plötzliche Übelkeit niederkämpfte. Manchmal ertappte sie sich dabei, sich zu fragen, wie dieses halbe Jahr mit Marika verlaufen wäre, hätte sie gewusst, dass Akkarin noch am Leben war. Hätte sich ihm schließlich auch hingegeben, weil er ihre dunkle Seite entfesselt und Dinge mit ihr getan hatte, die ihr Mann zumindest damals nicht gewagt hatte? Unter diesem Aspekt kam Sonea nicht umhin, sich wie eine Ehebrecherin zu fühlen. Oder eine Hure.
Das ist doch albern, schalt sie sich dann. Dieses Wissen hätte nichts geändert. Marika hat dir keine Wahl gelassen.
Aber, was auch immer er mit ihr getan hatte, Sonea konnte nicht wegdiskutieren, dass er etwas in ihr zum Leben erweckt hatte, das sie nicht mehr rückgängig machen konnte.
***
Zwei Tage, nachdem sie den Nordpass überquert hatten, wurden die Berge allmählich flacher. Dahinter erstreckten sich die Ödländer, trostlos, wild und weit. Bisher hatte Dannyl sie nur im Winter oder zu Beginn des Frühlings erblickt. Jetzt, wo der Frühling seinen Höhepunkt erreicht hatte, war die braune, karge Ebene hier und da von grünen Stellen bedeckt, wo widerstandsfähige Gräser und kleine Blumen aus der Erde sprossen. Der Anblick war nahezu lieblich, verglichen mit dem, was Dannyl in der Vergangenheit von diesem Landstrich gesehen hatte.
Die Straße war weiterhin sicher. Zwei Mal am Tag kontaktierte Sonea ihren Mann per Blutjuwel, um Bericht zu erstatten und Neuigkeiten zu erhalten. Bis jetzt hatten die Verräter jedoch keine Bewegungen ihrer Feinde in dieser Gegend gemeldet.
Trotzdem verspürte Dannyl eine nagende Unruhe, was weniger an seiner Begleiterin als an dem Umstand, dass sie durch ein feindliches Land reisten, lag. Er vertraute darauf, dass Sonea ihn wenn nötig mit ihrem Leben verteidigen würde. Ihre Macht war jedoch trotz schwarzer Magie begrenzt. Er wusste, er würde sich sicherer fühlen, wenn sie ihre Reise mit der Eskorte fortsetzten.
Als Treffpunkt hatten sie die Hügelgruppe am Rande der Ettkriti-Ebene ausgemacht, wo die Gilde während der Schlacht vor zwei Jahren ihr Lager aufgeschlagen hatte. Für Dannyl war das ein denkwürdiger Ort und er fragte sich, wie Sonea das empfand.
Es war beinahe der Mittag ihres dritten Tages in Sachaka, als sie die Hügel erreichten. Die Hänge waren von spärlichem Gras bewachsen, doch das war es nicht, was Dannyls Aufmerksamkeit erregte. Die kleine Schlucht, die einst von einem aus den Bergen kommenden Bach durchflossen wurde, war gänzlich verschwunden. Damals bei der Schlacht war sie von den Verrätern mit einem wilden Speicherstein zerstört worden, nachdem es ihnen gelungen war, ein paar Sachakaner hineinzulocken. Von weitem wurde das Ausmaß der Zerstörung erst wirklich sichtbar. Die Hänge, zwischen denen sich die Schlucht erstreckt hatte, waren durch die Explosion abgerutscht und seitdem erodiert. Die Schlucht war nun breiter und zwei Dutzend Schritt hoch mit Erde und Felsen gefüllt. Mittlerweile hatte sich das Wasser des Baches einen neuen Weg gesucht und floss nun am Fuße der Hügel entlang in die Ebene. Dort, wo einst der Eingang zur Schlucht gewesen war, hatte sich ein kleiner See gebildet.
Gut, dass der Speicherstein nur so wenig Magie enthalten hat, dass er nicht die kompletten Hügel zerstört hat, fuhr es Dannyl durch den Kopf. Das Lager der Gilde war nur eine Meile entfernt am Hang eines anderen Hügels gewesen. Die bei der Explosion freigesetzte Magie war größtenteils nach oben und zu den Ausgängen der Schlucht entwichen.
„Sie sind noch nicht da.“ Sonea hatte ihr Pferd angehalten und starrte hinüber zu den Hügeln.
„Vielleicht sind wir einfach nur zu früh“, sagte Dannyl.
„Oder sie wurden aufgehalten.“ Sie zuckte die Schultern. „Wie auch immer. Hätte ich das gewusst, hätte ich Euch nicht in diesem Tempo durch die Berge gescheucht.“
Sie wirkt besorgt, stellte Dannyl fest. Oder sie ist einfach nur angespannt, weil sie keine guten Erinnerungen mit diesem Ort verbindet. Wenn man von Elyne oder vom Nordpass kam, führte der Weg in die fruchtbaren Regionen Sachakas durch diese Ebene. Er und Sonea würde eine Weile weiter in Richtung Arvice ziehen, bis sie die Straße nach Duna erreichten.
„Dann hättest du mich aber um diese interessante Erfahrung gebracht“, entgegnete er in dem Versuch, sie durch einen kleinen Scherz aufzuheitern.
Sonea betrachtete ihn mit schmalen Augen. „Interessante Erfahrung? Was wollt Ihr damit sagen, Auslandsadministrator?“
Dannyl lachte. „Dass mir erst durch unsere Mission bewusst geworden bist, wie herrisch du sein kannst.“
„Oh, ich kann sehr herrisch sein, wenn ich will!“, sagte sie. „Ich halte mich nur meist damit zurück, damit ich nicht so sehr gefürchtet werde.“
„Du meinst, nicht so sehr wie dein Mann?“
Sie hob die Augenbrauen. „Findet Ihr mich furchteinflößend, Dannyl?“
„Ein wenig“, gab er zu.
„Aber Ihr kanntet mich doch schon, als ich nur ein Mädchen aus den Hüttenvierteln war.“
„Sagen wir, die Furcht ist mit der Zeit gewachsen“, sagte er, bemüht diplomatisch zu sein. Er wusste nicht, wie er ihr sagen sollte, dass sie seit ihrer Entführung finsterer und düsterer geworden war und ihrem Mann damit ähnlicher geworden war. Obwohl sie bei weitem nicht so furchteinflößend wie Akkarin war, war es nicht zu übersehen. Sachaka hatte etwas in ihr verändert.
Darunter war sie jedoch immer noch die Sonea von früher.
„Ich will Euch keine Angst machen, Dannyl“, sagte sie. „Ihr seid für mich wie ein Freund. Ich will nicht, dass meine Freunde mich fürchten.“
„Es ist auch mehr Ehrfurcht als Furcht“, erwiderte Dannyl. „Ich wollte dich nur ein wenig aufziehen.“
Offenkundig nicht erfreut, verzog sie das Gesicht. „Das ist Euch wahrhaftig gelungen.“ Sie wies zu dem See. „Wir werden dort auf die Verräter warten. Dort sind wir am besten vor unerwünschten Blicken geschützt. Und wir können unsere Wasservorräte auffrischen. Wer weiß, wann wir wieder auf Wasser stoßen.“
Dannyl nickte. „Eine gute Idee.“
Sie hielten auf die Hügel zu. Am Ufer des Sees holten sie ihren Proviant und ihre Wasserschläuche aus dem Gepäck. Während die Pferde tranken, teilten sie sich eine kleine Mahlzeit. Dannyl tauchte seine Hände in das klare Wasser und wusch sich den Staub aus dem Gesicht. „Ein Bad wäre jetzt genau das richtige“, sagte er.
„Das halte ich für keine gute Idee.“
„Ich will nur sauber für unsere Eskorte sein“, entgegnete Dannyl sein charmantestes Lächeln aufsetzend. „Was sollen sie sonst von ihrem Fürsprecher halten?“ Obwohl die Worte leicht dahin gesagt waren, fühlte er sich völlig verdreckt. Für seinen Geschmack lag sein letztes Bad schon zu lange zurück.
„Die Verräter haben wie wir eine lange Reise hinter sich. Auch sie werden staubig und verschwitzt sein.“
Dannyl schüttelte den Kopf. Sie glaubte doch nicht etwa wieder, er versuche, mit ihr zu flirten? „Wenn ich aus beruflichen Gründen mit anderen zu tun habe, fühle ich mich wohler, wenn ich frisch gebadet bin“, sagte er. „Du kannst dich gerne wegdrehen.“
„Das würde ich auch“, sagte sie trocken. „Aber Dannyl, was wenn jemand kommt und wir uns verteidigen müssen?“
Daran hatte Dannyl nicht gedacht. Allerdings war er auch kein Krieger. Die Straße war sicher gewesen, solange sie noch in den Bergen gewesen waren. An diesem Morgen hatten sie die Berge jedoch verlassen. Die Hügelgruppe am Rand der Ettkriti-Ebene war weit und breit der einzige Ort, der so etwas wie Schutz bot. Dannyl wäre es lieber gewesen, die Eskorte am Nordpass zu treffen, allerdings hätten sie und die Verräter dadurch wertvolle Zeit verloren. Es hießt, die Delegierten der Sachakaner und der Duna waren bereits auf dem Weg nach Yukai und es war in ihrer aller Interesse, diese Verhandlungen aufzunehmen, bevor die Situation erneut eskalierte.
„Diese Hügel sind die einzige Erhebung weit und breit“, sagte er. „Von ihrem höchsten Punkt aus können wir die Ebene beobachten und sehen, ob sich uns jemand nähert.“
„Ja“, stimmte Sonea zu. „Ich wollte nach dem Essen ohnehin dort hinauf, um nach den Verrätern Ausschau zu halten.“ Sie runzelte die Stirn. „Wenn niemand in Sicht ist, könnt Ihr meinetwegen ein Bad nehmen, während ich die Gegend beobachte.“
„Einverstanden.“
Sie verstauten ihre Vorräte und erklommen die Überreste des Hügels, an dessen Fuße sie Rast gemacht hatten. In der Mittagssonne hatte sich die Luft aufgeheizt und Dannyl begann in seiner Kaufmannskleidung zu schwitzen und wünschte sich seine luftige Robe zurück. Dem Drang widerstehend, seine Magie für solch unnütze Aktionen wie das Heilen von Anstrengung zu verschwenden, warf einen Blick zu Sonea. Ihr schien die Kletterpartie weniger auszumachen, allerdings war sie durch ihr Schwertkampftraining zweifelsohne ausdauernder als er.
Als sie die Kuppe des Hügels fast erreicht hatten, bedeutete die kleine schwarze Magierin ihm, sich auf den Boden zu legen. Gemeinsam krochen sie weiter, bis sie die Ebene vor sich sehen konnten.
„Jetzt brauche ich wirklich ein Bad“, scherzte Dannyl.
Ihre dunklen Augen blitzten kurz zu ihm, bevor sie mit einer Hand ihre Augen abschirmte und die Ebene abzusuchen begann.
Dannyl tat es ihr gleich. „Kannst du irgendwo Reiter sehen?“
„Nein. Und auch nichts anderes, was sich bewegt.“
„Die Sicht ist sehr gut.“
Sie nickte. „Ihr könntet mindestens drei Bäder nehmen, bis etwas, das sich nähert, die Hügel erreicht.“
„Dann sollte ich wirklich präsentabel sein“, erwiderte er erheitert.
Soneas Augenbrauen zogen sich zusammen. „Wenn sie bis heute Abend noch nicht aufgetaucht sind, werde ich den Hohen Lord kontaktieren und fragen, ob er etwas über den Verbleib der Eskorte weiß.“
„Er würde dich auch von sich aus kontaktieren, wenn er etwas erfährt, nicht wahr?“
„Ja“, sagte Sonea. „Und deswegen brauchen wir nicht in Panik zu verfallen.“
„Oh, ich bin ganz entspannt“, sagte Dannyl, während er innerlich vor Nervosität zu zerreißen drohte. Wir sind früher hier, als geplant, redete er sich ein. Die Verräter werden noch kommen. Vielleicht war der Weg blockiert oder sie mussten ihren Feinden ausweichen.
Dennoch hatte er kein gutes Gefühl bei der Sache. Oder lag das an diesem Land?
Sonea bedachte ihn mit einem unwirschen Blick und fuhr dann fort, die Ebene zu beobachteten. „Ihr braucht mir nichts vormachen, Dannyl. Und ich würde lügen, wäre ich nicht auch ein wenig nervös … wartet“, sie kniff die Augen zusammen und starrte auf irgendetwas am Horizont, „ … seht Ihr das? Ist das Rauch?“
Das Gefühl des sich Ertapptfühlens übergehend, folgte Dannyl ihrem ausgestreckten Arm. Und dann sah er es auch. In der Ferne stiegen mehrere dünne Rauchsäulen in den Himmel. „Ob dort jemand lagert?“, überlegte er laut. „Vielleicht Ichani?“
„Ich weiß es nicht, Dannyl. Doch jemand, der auf so offenem Gelände ein Feuer macht, wäre ziemlich dumm.“
„Oder ziemlich stark.“
Er konnte ihr ansehen, dass sie ihre Zweifel an dieser Erklärung hatte. Die Rauchsäulen ließen auf eine größere Gruppe schließen, doch von hier aus konnte er nichts sehen, das nach einem Lager aussah.
„Das gefällt mir nicht.“ Langsam schob Sonea sich den Hügel hinab. „Wir sollten nachsehen.“
„Warte!“ Dannyl beeilte sich, ihr zu folgen. „Was, wenn es eine Falle ist?“
„Unwahrscheinlich. Es wäre strategisch klüger, eine Falle hier aufzustellen.“
„Und wenn sie gedacht ist, um uns von hier fortzulocken?“
„Wenn das der Fall ist, würde wer auch immer dort draußen ist früher oder später herkommen“, entgegnete sie hart. „Insofern können wir uns ihm auch sofort stellen.“
„Aber“, begann er. „Könnten wir uns hier nicht besser verteidigen?“
Ihre Augen blitzten gefährlich. „Ja. Aber ich kämpfe lieber dort, wo ich meine Gegner im Auge habe.“
„Hier könnte ich mich hinter den Felsblöcken in der Schlucht verstecken. Es wäre sicherer. Für uns beide.“
Sonea zögerte. „Ich weiß, es ist meine Aufgabe, Euch zu beschützen, Dannyl. Aber was, wenn dort drüben jemand unsere Hilfe braucht? Ich könnte es nicht verantworten, jemanden sterben zu lassen, nur weil ich mich vor einer magischen Konfrontation fürchte.“
Dannyl öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch sie schnitt ihm das Wort ab. „Ihr werdet hierbleiben. Ich gehe alleine und sehe nach.“
„Auf keinen Fall!“, widersprach Dannyl. „Ich komme mit!“
„Dannyl, wenn mir etwas passiert, könnt Ihr vielleicht entkommen.“
„Sonea, wir sind mitten in Sachaka. Ohne einen schwarzen Magier, der mich beschützt, werde ich nicht weit kommen. Es ist sicherer, wenn wir zusammenbleiben.“
Ihre Augen blitzten vor Zorn, als sie sich zu ihm umwandte. „Dannyl“, sagte sie streng. „Was, wenn da draußen ein paar Ichani einfach nur eine Falle für eine Gruppe unbedarfter Händler aufgestellt haben? Wäre wäre es dann nicht besser, wenn sie gar nichts von Euch erfahren?“
Das war eine Möglichkeit, an die Dannyl wiederum nicht glaubte. Er ahnte indes, sie würden diese Diskussion nicht friedlich beenden können, weil Sonea zu stur war, um empfänglich für vernünftige Argumente zu sein.
„Ich bin der Ranghöhere von uns beiden“, sagte er. „Und deswegen entscheide ich, dass wir gemeinsam nachsehen, wenn ich dich schon nicht davon abhalten kann, dorthin zu gehen.“
„Ihr mögt den höheren Rang bekleiden, doch da ich zu Eurem Schutz hier bin, müsst Ihr in allen Dingen, die Eure Sicherheit betreffen, mir gehorchen“, gab sie erbost zurück.
All meine Diplomatie versagt bei ihr, dachte Dannyl. Nun, er kannte Wege, um zu ihr durchzudringen, doch damit würde er sich eher ihre Feindschaft einhandeln. Und das war nichts, worauf er angesichts der Zeit, die sie miteinander verbringen würden, erpicht war. „Vielleicht sollten wir das unter Zuhilfenahme einer höheren Instanz klären“, schlug er vor.
Ihre Augen weiteten sich. Dannyl konnte ihr ansehen, wie sehr sie mit sich rang, zu entscheiden, ob sie ihren Mann in ihren Streit involvieren wollte oder nicht.
„Also schön“, gab sie schließlich nach. „Tut, was Ihr nicht lassen könnt. Aber auf Eure eigene Verantwortung.“
***
Fragen zum Kapitel:
Aus welchen Gründen mag Sonea es nicht, Geheimnisse vor Akkarin zu haben?
Mischt Dorrien sich zu sehr in Lokens und Lady Celias Angelegenheiten ein?
Mischt Dannyl sich zu sehr in Soneas Handhabung seines Schutzes ein? Wie entwickelt sich das Verhältnis der beiden von seinem Beschützerinstinkt abgesehen?
Was haltet ihr von dem Auftrag, den Kachiro Ivasako gibt? Könnten dabei Probleme auftreten und wenn ja, welche? Könnte Ienara tatsächlich eine so gute Hilfe sein, wie sie sich anpreist?
Was haltet ihr von Regins Idee?
Welche Parallelen/Unterschiede seht ihr zwischen Soneas Rückkehr nach Sachaka und Akkarins Rückkehr in ’The High Lord’?
Und zuletzt noch eine Spekulantenfrage: Was glaubt ihr, haben Sonea und Dannyl da entdeckt?
Im nächsten Kapitel erfahrt ihr, was Sonea und Dannyl entdeckt haben. Außerdem erfährt Ivasako etwas, das ihn sehr beunruhigt und Asara ist so voll Zorn wie schon lange nicht mehr.