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Die Bürde der schwarzen Magier III - Das Heiligtum von Yukai

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P18 / Mix
Hoher Lord Akkarin Lord Dannyl Lord Dorrien Lord Rothen Regin Sonea
02.08.2016
04.06.2019
56
813.938
87
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290 Reviews
Dieses Kapitel
5 Reviews
 
18.04.2017 13.227
 
Hallo ihr Lieben,

Heute kommen wir zu Teil 2 dieses Bandes und die Vorarbeit, die in den bisherigen Kapiteln an Rahmenhandlung geleistet wurde, wird nun ihren Lauf nehmen. Es wird Spannung geben, unerwartete Feinde und Verbündete doch vor allem jede Menge Intrigen :)

Herzlichen Dank an MFZ, Black Glitter und Lady Alanna für die Reviews zum letzten Kapitel :)

In diesem Kapitel gibt es übrigens mal wieder ein bisschen Sachakanisch. Was nicht selbsterklärend ist, ist mit Übersetzung mit Erklärungen verlinkt. Die komplette Übersetzung findet ihr außerdem noch einmal am Ende des Kapitels.

Und jetzt viel Spaß beim Lesen :)



***






Teil 2






Kapitel 18 – Geheimnisse



Die Dunkelheit über der Stadt und hinter den Fenstern der Häuser war absolut, als sie durch die Nordtore in den Äußeren Ring ritten. Bis auf ein paar vereinzelte Betrunkene, die aus den Bolhäusern nach Hause wankten, waren die Gassen leer. Sonea kam dies gelegen, da sie es vorzog, unerkannt zu bleiben.

Sie hatten die Gilde eine Stunde vor Einbruch der Dämmerung verlassen. Außer Akkarin war niemand gekommen, um sie und Dannyl zu verabschieden. Er und Sonea hatten einander in der Empfangshalle ihrer Residenz ihr ganz persönliches Auf Wiedersehen gesagt, nachdem Sonea die wenigen Stunden dieser Nacht wach in seinen Armen gelegen hatte, während seine Präsenz in ihrem Geist verweilte. Obwohl sie keine Intimitäten ausgetauscht hatten, hatte Sonea sich ihm näher denn je gefühlt. Sie hatten kein Wort gesprochen, aber es hatte auch nichts zu besprechen gegeben. Als Sonea aufgestanden war, hatte Lorlen noch geschlafen und sie hatte ihm nur einen vorsichtigen Kuss gegeben, um ihn nicht zu wecken. Die Erinnerung daran ließ ihr Herz schwer werden. Kaum, dass sie die Gildentore passiert hatten, hatte sie bereits begonnen, ihren Mann und ihren kleinen Sohn zu vermissen.

Sonea wusste, sie würde beide vielleicht niemals wiedersehen.

Sie unterdrückte ein Seufzen und wandte den Kopf zu ihrem Begleiter.

Hochgewachsen und das Gesicht unter der Kapuze seiner Robe verborgen erinnerte Dannyl in der Dunkelheit ein wenig an Akkarin, wenn auch seine Statur eine andere war. Er war breitschultriger, und obwohl er auf seine eigene Weise attraktiv war, empfand Sonea ihn als weniger maskulin. Warum hätte sie indes nicht zu sagen vermocht. Verglichen mit Akkarin erschienen ihr alle anderen Männer selten als das.

Sonea konnte hören, wie Dannyl in der Dunkelheit leise vor sich hinsummte. Ich wünschte, ich könnte so unbeschwert sein wie er, fuhr es ihr durch den Kopf. Aber im Gegensatz zu ihm hatte sie eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was die Sachakaner mit ihr tun würden, wenn die Verhandlungen scheiterten oder sie eine Chance sahen, sie und Dannyl dem Imperator auszuliefern. Wahrscheinlich würde ihr Schutzbefohlener in dieser Hinsicht weniger zu befürchten haben, schließlich hatte er keinen König ermordet. Oder er tat nur so unbeschwert, obwohl er sich insgeheim genauso viele Sorgen machte, wie sie.

Wenigstens werden sie unsere Gedanken nicht lesen können, dachte sie. Ihre Hand fuhr unter den Haaransatz in ihrem Nacken, wo Akkarin den Geheimniswahrer platziert hatte. Das Gefühl, einen Fremdkörper in sich zu haben, war noch immer präsent, und wenn Sonea daran dachte, wie lange sie gebraucht hatte, um sich an ihren Körperschmuck zu gewöhnen, würde sie mindestens bis zur Aschenwüste brauchen, um die bloße Existenz des kleinen grünen Juwels zu vergessen. Sobald sie die Stadt verlassen hatten, würde auch Dannyl seinen Geheimniswahrer erhalten. Bis jetzt wusste er nur über seine Funktion bescheid. Sonea fragte sich, was er dazu sagen würde, wenn er erfuhr, wie er ihn tragen musste.

Als sie den Rand der Hüttenviertel erreichten, hinter dem die Behausungen allmählich in ein Gras- und Weideland übergingen, atmete sie innerlich auf. Ihr Aufbruch war bewusst bei Nacht erfolgt. Sie wussten nicht, ob die Sachakaner Spione in der Stadt hatten, wenn es ihnen gelungen war, die Briefe mit den Auslieferungsforderungen unbemerkt bis Imardin zu schmuggeln. Auch wenn die Grenze streng bewacht wurde, durften sie nicht ausschließen, dass einer ihrer Feinde unbemerkt über die Berge gelangt war, um die Gilde auszuspionieren. Aus demselben Grund würden sie bis zu den Ödländern in einer Tarnung reisen. Aber auch, um die Bevölkerung nicht unnötig zu beunruhigen. Nach zwei Jahren Krieg und mehreren unerwarteten Angriffen der Sachakaner waren die Bewohner Imardins und der Städte und Dörfer entlang der Straßen auf den Anblick reisender Magier sensibilisiert. Insbesondere, wenn diese schwarze Roben trugen.

Ungefähr eine Meile hinter der Stadt machte Sonea die Silhouette eines Bauernhofs ein Stück abseits der Straße aus. „Folgt mir“, sagte sie zu Dannyl und lenkte ihr Pferd dorthin.

Nachdem sie eine Mauer passiert hatten, fand Sonea sich in einem kleinen Hof wieder. Neben dem Eingang zum Wohnhaus brannten zwei Laternen. Als sie die vertraute Gestalt erblickte, die in der Mitte des Hofs auf sie wartete, machte ihr Herz einen Sprung.

„Cery!“

Sie beeilte sich, abzusitzen und schritt auf ihren Freund zu. „Es ist so schön, dich zu sehen!“, rief sie und umarmte ihn.

„Hai!“, entfuhr es Cery. Obwohl er nicht größer war, als sie selbst, hob er sie hoch und wirbelte sie im Kreis. „Wenn du dich öfter bei mir blicken lassen würdest, würdest du mich auch öfter sehen!“

Sonea verzog das Gesicht. „Als Frau des Hohen Lords treibt man sich nicht mehr in Bolhäusern herum“, entgegnete sie lachend. „Ich könnte mich verkleiden, aber ich fürchte, inzwischen kennt jeder in der Stadt mein Gesicht.“

„Dann kommst du mal zu mir und Nenia nach Hause. Das Nordviertel’s keine üble Gegend.“

„Wenn das hier vorbei ist“, versprach Sonea. „Wie geht es deiner Frau?“

„Sie’s schon wieder schwanger.“

„Das wäre dann schon euer drittes Kind!“

„Allerdings.“

Sonea betrachtete ihren Freund staunend. Vom kleinen Straßengauner zum ehemals mächtigsten Dieb Imardins und schließlich zum Captain der Stadtwache im Äußeren Ring hatte Cery es weit gebracht. Obwohl er einen Teil seines Erfolges Akkarin zu verdanken hatte, hatte Cery das meiste aus eigener Kraft geschafft. Inzwischen hatte er sogar ein Haus im Nordviertel gekauft, wo er mit seiner Frau, einer ehemaligen Hure, die ihm ein Bordellbesitzer als Gefälligkeit gegeben hatte, wohnte. Mittlerweile hatte Nenia ihre Schneiderlehre beendet und im Erdgeschoss einen kleinen Laden eröffnet. Sonea ahnte jedoch, dass seine Verstecke in den Tunneln unter der Stadt noch immer in Benutzung waren. Ebenso wie dieser Bauernhof nicht dazu diente, Landwirtschaft zu betreiben. Cery hatte ihn gekauft kurz, nachdem er der Stadtwache beigetreten war. Auch wenn er es abstritt, war Sonea überzeugt, dass beide Ereignisse miteinander zu tun hatten. Sie kannte ihren Freund. Ein Haus außerhalb der Reichweite der Stadtwache war der perfekte Ort für einen Umschlagplatz von Schmuggelware.

„Wie war die Verbrecherjagd?“, fragte sie. „Ich habe dich und Nenia gestern Abend vermisst.“

„Erfolgreich“, antwortete er. „Aber wir haben fast die ganze Nacht gebraucht. Fast hätt’ ich Gol hergeschickt.“

„Den hatte ich erwartet.“

Ein Räuspern ließ sie beide herumfahren. „Oh, verzeih!“, rief Sonea. „Cery, darf ich dir Auslandsadministrator Dannyl vorstellen?“ Sie sah zu ihrem Begleiter. „Das ist mein Jugendfreund Ceryni, jetzt Captain der Stadtwache. Sicher seid Ihr Euch schon einmal begegnet.“

„Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen, Mylord“, sagte Cery und verneigte sich vor Dannyl.

„Die Ehre ist ganz meinerseits Captain Ceryni.“ Dannyl neigte höflich den Kopf. „Ihr wart Soneas und Akkarins Trauzeuge, richtig?“

Cery nickte. „Und Ihr wart noch nicht Auslandsadministrator.“ Er machte eine Geste zu dem Gebäude hinter sich. „Drinnen habe ich Kleidung für euch, mit der ihr in Kyralia nicht auffallen werdet, und weitere für hinter der Grenze, falls ihr braucht. Dort könnt ihr euch auch umziehen.“

„Dann lasst uns nach drinnen gehen“, entschied Dannyl. „Bis es hell ist, sollten wir so viel Abstand wie möglich zu Stadt haben.“

Cery nickte. „Kommt“, sagte er und schritt voraus.

Sie durchquerten eine alte Holztür und traten in einen dunklen Flur. Cery wollte eine Laterne anzünden, doch Dannyl sagte: „Macht Euch keine Mühe, Captain.“

Eine Lichtkugel erhellte das Innere des Bauernhauses. Zu Soneas Überraschung wirkte es weniger verlassen, als sie angenommen hatte. Als sie sich umsah, fand sie sich in einem Raum wieder, der zum Kochen, Wohnen und Schlafen diente. Auf einem Tisch standen benutzte Teller und Becher, über dem Herd hing ein Kessel und die Betten in den Nischen waren ungemacht.

Wahrscheinlich sorgt Cery dafür, dass es bewohnt aussieht, um den wahren Zweck dieses Gehöfts zu verschleiern.

Von der Wohnstube aus führte eine hölzerne Treppe nach oben. Sonea und Dannyl erklommen diese hinter ihrem Freund. Im oberen Stockwerk führte Cery sie auf einen Flur, an dem mehrere Zimmer lagen. „Hier könnt ihr euch umziehen“, sagte er nacheinander auf zwei nebeneinanderliegende Zimmer deutend. „Eure Sachen liegen dort für euch bereit.“

„Ich danke Euch, Captain“, erwiderte Dannyl galant, bevor er in das erste der beiden Zimmer verschwand.

Ihre eigene Lichtkugel schaffend wandte Sonea sich zu ihrem Freund. „Danke, dass du das für uns tust, Cery.“

Ihr Freund grinste. „Du weißt doch, ich helfe gerne, Dinge zu verbergen.“

„Das glaube ich dir aufs Wort!“, rief Sonea. Dann wurde sie wieder ernst. „Ich sollte mich beeilen, wir müssen bald weiter. Aber ich komme dich besuchen, sobald ich zurück bin.“

Cery klopfte ihr auf die Schulter. „Und wenn nicht, dann besuche ich dich und deinen Mann.“

Sonea betrat das zweite Zimmer und schloss die Tür mit einem Seufzen hinter sich. Drei Kinder, dachte sie sehnsüchtig. Und unser Versuch, ein zweites zu machen, wurde jäh unterbrochen, weil Marika noch immer Macht über uns hat.

Ihre düsteren Gedanken beiseiteschiebend sah Sonea sich um. Auf dem Bett lagen ein feines, aber schlichtes Kleid in Dunkelblau und ein Reiseumhang mit besticktem Saum, wie es die Frau eines weniger bedeutsamen Politikers auf ihren Reisen wohl tragen würde. In einem Sack entdeckte Sonea ein zweites solches Kleid in Dunkelrot und Weiß und mehrere Paar enge schwarze Hosen und dazu passende Blusen. Sie verkniff sich ein Lächeln. Cery – oder vielmehr Akkarin – wusste, was ihr gefiel.

Als sie sich umgezogen hatte, band sie sich den Gürtel mit ihrem Dolch und dem Geldbeutel um die Hüften, warf sich den Reiseumhang über und verließ das Zimmer. Dann klopfte sie bei Dannyl.

Der Anblick des Auslandsadministrators war so ungewohnt, dass Sonea beinahe in lautes Gelächter ausgebrochen wäre. Dannyl trug Hosen über seinen Stiefeln und ein besticktes Hemd, das von einem breiten Gürtel aus feinem Gorinleder gehalten wurde. Darüber hatte er eine taillierte Jacke geworfen, die nach unten weiter wurde und deren silberne Knöpfe im Schein seiner Lichtkugel glitzerten.

Eigentlich sieht er gar nicht so übel darin aus, befand sie, nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte. Tatsächlich sieht er darin sogar besser aus als in Roben.

Dannyl hatte sie derweil anerkennend gemustert. „Darf ich mich vorstellen?“, fragte er mit einer galanten Verneigung und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken. „Dannyl von Vorin, aufstrebender Politiker aus Haus Tellen.“

Sonea lachte. „Dann bin ich jetzt wohl Sonea von Vorin“, erwiderte sie. „Denn es wäre ein wenig auffällig, würde ich meinen eigenen Namen tragen.“

„Zumal Sonea von Delvon über die Verbündeten Länder hinaus bekannt ist“, stimmte Dannyl zu.

Sonea öffnete ihren Geldbeutel und zog den kleinen Smaragd heraus, den sie und Akkarin mit einigen Tropfen von Dannyls Blut magisiert hatten.

„Also, Auslandsadministrator. Dann wollen wir dafür sorgen, dass die Sachakaner Eure Gedanken nicht lesen können.“


***


Mit einem leisen Schaudern schob Dannyl die in seinem Nacken zusammengebundenen Haare zur Seite und beugte sich vor. Der Gedanke an das, was gleich mit ihm geschehen würde, war alles andere als angenehm. Er hätte es indes noch entsetzlicher gefunden, würde es sich bei dem schwarzmagischen Artefakt nicht um etwas handeln, das zu seinem Schutz diente, sondern das seine Gedanken und sein Tun ausspionierte. Und so dankte er Akkarin im Stillen dafür, dass er ihm ein Blutjuwel gegeben hatte, das er in seiner Hosentasche aufbewahren konnte.

„Es wird gleich ein wenig weh tun.“ Sonea stand neben ihm, ihren juwelenbesetzten Dolch in der Hand. „Wenn es Euch lieber ist, werde ich die Nerven in jener Gegend blockieren, bis ich die Wunde geheilt habe.“

Dannyl schüttelte den Kopf. Er warf einen Blick auf das winzige, rundgeschliffene Juwel, das auf dem Tisch vor ihm lag. „Dann wäre es doch nur der halbe Spaß, nicht wahr?“

„Wie Ihr wünscht.“ Die kleine schwarze Magierin lächelte schief. „Ich werde trotzdem ganz vorsichtig sein.“

„Etwas anderes habe ich von dir auch nicht erwartet.“

Sie hob die Augenbrauen. „Dann haltet still.“

Überrascht von dem plötzlichen Befehlston in ihrer Stimme stützte Dannyl sich mit den Unterarmen auf dem Tisch auf und beugte sich vor. Einen tiefen Atemzug nehmend schloss er die Augen. Dann spürte er einen scharfen Schmerz in seinem Nacken, als Sonea einen Schnitt machte. Obwohl sie sehr behutsam vorging, fühlte es sich an, als würde sie seinen Nacken von einer Seite zur anderen aufschlitzen. Dannyl verzog das Gesicht. Der Schmerz wurde noch heftiger, als sie mit dem Messer eine was auch immer tat. Es fühlte sich an, als würde sie ein Stück Fleisch aus seiner Nackenmuskulatur schneiden.

„Uhm“, machte er.

„Es ist gleich vorbei.“ Sonea legte den Dolch beiseite und griff nach dem Smaragd. Es wurde für einen Moment kühl, dann erneut schmerzhaft. Und dann spürte er, wie heilende Magie ihn durchströmte und der Schmerz verschwand.

Sonea ließ von ihm ab. „Ihr seid ziemlich tapfer, Dannyl“, bemerkte sie.

Er wandte sich ihr zu. „Es war weniger schlimm, als unsere erste Begegnung. Damals dachte ich, du wolltest mich umbringen.“

Sie betrachtete ihn mit schmalen Augen. „Und das werdet Ihr mich nie vergessen lassen, nicht wahr?“

Dannyl lachte. Die Nervosität war von ihm abgefallen und mit einem Mal fühlte er sich seltsam leicht. „Zumindest solange es mir Spaß macht.“

Sonea schnaubte leise. „Ich werde Euch jetzt zeigen, wie Ihr Euren Geheimniswahrer kontrollieren könnt“, teilte sie ihm mit. „Da Ihr nicht mit dem Prinzip des Blockens von Gedanken vertraut seid, werden wir wahrscheinlich mehr als eine Sitzung brauchten.“ Sie musterte ihn und wurde ernst. „Der Hohe Lord hat mich dazu angehalten, mit Euch bestimmte Themen zu vereinbaren, die ich aus Euren Gedanken zu lesen versuchen soll, damit ich nicht versehentlich etwas sehe, das ich nicht sehen soll. Falls ich dabei trotzdem an etwas Vertrauliches gerate, werde ich es selbstverständlich für mich behalten.“

Dannyl nickte erleichtert, während er zugleich erheitert war, weil sie selbst jetzt von ihrem Mann als dem Hohen Lord sprach. Ihm war wiederholt aufgefallen, dass sie es vorzog, Akkarin vor anderen mit seinem Titel anzusprechen und teilweise auch in privater Atmosphäre, als wolle sie ihn aufziehen. Dass sie es auch tat, wenn Akkarin nicht anwesend und sie unter Freunden war, war ihm neu. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie das tat, erinnerte ihn an Tayend, der etwas Ähnliches begonnen hatte, kaum dass sie zusammengekommen waren. Einen tiefen Atemzug nehmend schob er seine plötzliche Sehnsucht beiseite.

„Fangen wir an“, sagte er.

Die kleine schwarze Magierin nickte und berührte sachte seine Schläfen. „Konzentriert Euch auf etwas Unverfängliches“, wies sie ihn an. „Ich werde erst in Euren Geist eindringen, wenn Ihr bereit seid.“

„Verstanden.“ Dannyl schloss die Augen und konzentrierte sich. Eine Weile wusste er nicht, an was er denken sollte, sein Kopf schien voll mit diplomatischen und privaten Geheimnissen und seinen Sorgen bezüglich ihrer Mission. Während er es vorzog, Erstere für sich zu behalten, wollte er Sonea nicht mit Letzteren konfrontieren, weil er ahnte, sie hatte bereits genug eigene Sorgen. Er erkannte, um etwas zu finden, was er zu teilen bereit war, musste er weiter zurückgehen.

Und dann wusste er, woran er denken sollte.

- Ich bin soweit, sandte er.

Bevor Dannyl sie einladen konnte, spürte er eine fremde Präsenz in seinen Gedanken. Sie war ein wenig zögernd und zurückhaltend, doch sie war sanft und vermittelte ihm ein Gefühl von Wärme und Sicherheit.

- Hallo Dannyl, sandte sie.

- Hallo Sonea.

Ohne, dass er begriff wie, hatte sie das Bild, an das er gerade dachte, eingefangen, und als er versuchte, sich einem konkreten Detail hinzugeben, verspürte er einen leichten Schmerz.

- Wehrt Euch nicht, Dannyl. Das macht es für Euch nur unangenehmer. Ich werde mir etwas aus Eurer Erinnerung herauspicken und dann braucht Ihr nur meinen Anweisungen zu folgen.

- In Ordnung, antwortete er.

Soneas Wahrheitslesung unterschied sich gänzlich von der, die Dannyl einst durch ihren Mann erfahren hatte, als dieser herauszufinden versucht hatte, wer Sonea während der Schlacht in der Ettkriti-Ebene entführt hatte. Dannyl erkannte, dass er dafür dankbar war. Auch wenn Akkarin ihm damals in keiner Form Schaden zugefügt hatte, fühlte Dannyl sich bei Sonea wohler. Sie war wärmer und sanfter und es war leicht, ihr zu vertrauen.

Plötzlich erschien das Bild eines kleinen, dunkelhaarigen Mädchens vor seinem Inneren Auge. Unwillkürlich zuckte Dannyl zusammen, weil sie sich ausgerechnet für diese Erinnerung entschieden hatte.

- Wer ist dieses Mädchen?

- Meine Schwester.

- Wie heißt sie?

- Bessia.

- Wie alt ist sie jetzt?

- Sie wäre jetzt achtundzwanzig.

Er brauchte nicht mehr zu sagen. Durch seine Gedanken würde Sonea erfahren haben, dass Bessia gestorben war.

- Oh, machte sie sichtlich betroffen. Das tut mir leid. Wollt Ihr Euch eine andere Erinnerung aussuchen?

- Nein. Es ist lange her. Lass mich an ihr die Verwendung des Geheimniswahrers üben.

Er hatte gelernt, die Erinnerung zu verdrängen. Seit Soneas Entführung kam sie indes allenthalben hoch, weil es sich manchmal anfühlte, als wäre sie selbst eine Schwester. Aber der Verlust seiner kleinen Schwester war immer noch ein besseres Motiv, um die Beherrschung des Geheimniswahrers zu üben, als seine Schwierigkeiten als Novize oder seine Gefühle für Tayend.

- Wie Ihr wünscht. Um die Erinnerung an Bessia zu verbergen, müsst Ihr den Geheimniswahrer darauf einstellen. Das geht so.

Sie sandte ihm eine Folge von Gedankenfetzen und Sinneseindrücken, die Dannyl in dieser Form nicht erwartet hatte. Er begriff, dass er Prozess in einer gewissen Weise umgekehrt zur Kontrolle eines Blutjuwels war, obwohl er selbst noch nie ein Blutjuwel kontrolliert hatte.

Das sieht kompliziert aus, dachte er. Aus dem, was sie ihm gesandt hatte, schloss er indes, dass sie das Prinzip als einfach empfand. Vielleicht, wenn man es gewohnt ist, schwarzmagische Artefakte zu kontrollieren, ist es einfach.

Seine Unsicherheit beiseiteschiebend versuchte er, der Anleitung zu folgen. Er nahm seine Erinnerungen an Bessia und versuchte sie, in den Fremdkörper in seinem Nacken zu leiten und dem Smaragd beizubringen, sie vor einer fremden Präsenz zu schützen. Es wäre praktisch, wenn man ungewollte Erinnerungen auf diese Weise auch aus seinem Kopf verbannen könnte, dachte er.

- Versuch noch einmal, etwas über Bessia aus meinen Gedanken zu lesen, sandte er dann.

- In Ordnung, antwortete sie. Es geht los.

Gespannt verfolgte Dannyl, wie sie sich erneut auf seine Erinnerungen an Bessia konzentrierte. Für einen kurzen Augenblick glaubte er, sie würde nicht daran kommen, doch dann penetrierte sie seinen Geist erneut mit einem Bild seiner Schwester, als sie zehn Jahre alt gewesen war.

- Es hat nicht funktioniert, nicht wahr?

- Nein. Stellt Euch vor, wie Ihr Eure Erinnerungen an Bessia in das Juwel gebt und dort wegschließt. Wie in einer Schatulle. Versucht es noch einmal.

Erneut konzentrierte Dannyl sich. Dieses Mal achtete er insbesondere auf das, was er dabei mit seinem Geheimniswahrer tat.

- Ich bin soweit.

Erneut kehrte ihre Präsenz in seinen Geist zurück. Als sie sich seiner Schwester zuwandte, glaubte er, dass es ihr dieses Mal nicht gelang, seine Erinnerungen abzurufen. Dann plötzlich sandte sie ihm ein Bild von einer zwei Jahre älteren Bessia zurück. Wie sie auf einem Pferd saß und lachend über die Felder und Hügel entlang der Küste südlich von Imardin ritt. Dannyl zuckte zusammen und verlor die Kontrolle.

- Hör auf!

Sonea ließ von ihm ab. „Tut mir leid“, sagte sie. „Ich wollte Euch nicht zu nahe treten.“

„Schon gut“, winkte er ab. „Aber du hättest mich warnen sollen, dass du so miese Tricks versuchen würdest.“

„Ich wollte herausfinden, ob Ihr die Erinnerungen an Eure Schwester wirklich weggekapselt habt“, erklärte Sonea. „Dazu musste ich etwas finden, was Ihr mir nicht zuvor gezeigt hattet.“

„Ich verstehe. Ich nehme an, ich bin in deinen Augen gescheitert.“

Sie lächelte. „Das war gar nicht so übel, Dannyl. Euch fehlt nur die Übung. Wenn wir heute Abend rasten, werde ich Euch erneut unterweisen. Bis zur Grenze solltet Ihr ein Abbild von allen Gedanken, die Ihr lieber für Euch behalten wollt, in dem Geheimniswahrer speichern.“

Das klang, als würde sie seine stümperhaften Versuche, ein schwarzmagisches Artefakt zu kontrollieren, beschönigen, um ihn nicht zu demotivieren. „Habe ich mich so ungeschickt angestellt?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Tatsächlich habe ich erwartet, dass Ihr Euch schwerer tut.“

Dannyl lächelte schief. „Jahrelange Übung“, erwiderte er achselzuckend. „Wenn auch eher im rhetorischen Sinne.“

„Das glaube ich Euch gerne“, erwiderte sie. „Als Diplomat müsst Ihr das sicher oft.“

Und nicht nur dann …

Dannyl warf einen Blick zum Fenster. Hinter den Papierblenden dämmerte ein wolkenverhangener Morgen. „Wir sollten aufbrechen“, sagte er. Er stand auf und bot Sonea seinen Arm. „Auf halbem Weg nach Kaltbrücken soll es ein ganz passables Bolhaus geben, das meine Liebste hoffentlich als angemessen empfinden wird.“

Die kleine schwarze Magierin hob amüsiert die Augenbrauen. „Wenn mein Gemahl das sagt, wird es wohl so sein.“


***


„Liebes?“

„Asara?“

Etwas stupste Asara sanft in die Seite. Sie zuckte zusammen.

„Wirst du uns an deiner Gedankenkommunikation teilhaben lassen?“

Einen tiefen Atemzug nehmend wurde Asara sich wieder ihrer Umgebung bewusst. Ihr Pferd war zum Stehen gekommen, sie musste unbewusst an den Zügeln gezogen haben. Ihre Schwestern hatten ebenfalls angehalten und musterten sie mit einer Mischung aus Neugier und Ungeduld.

„Ich …“, begann Asara noch immer zu sehr gefangen in dem Gespräch, an dem sie während der vergangenen Viertelstunde teilgenommen hatte.

„ … hast wieder mit deinem Lustsklaven geflirtet“, stichelte Arlava. „Oder war es mehr?“

Asara spürte Verärgerung in sich aufwallen. „Es ist richtig, ich habe mit Vikacha gesprochen“, sagte sie. „Doch es hatte rein gar nichts mit Sex zu tun.“ Sie runzelte die Stirn. „Nun, in weiterem Sinne schon.“

„Also doch“, sagte Lahiri triumphierend.

Asara verdrehte die Augen. „Vikacha hat mir etwas sehr Interessantes mitgeteilt, das für die Verhandlungen von Interesse sein könnte.“

„Ein paar Tricks, um die anderen Delegierten zu verführen?“

Zalava seufzte und warf einen Blick zum Himmel. „Es wird ohnehin bald Zeit, einen Platz zum Lagern zu suchen. Warum also nicht schon jetzt? Dann kannst du uns allen in Ruhe davon erzählen.“

„Sehr gern“, erwiderte Asara. Das Gelände, durch das sie ritten, war unwegsam und zwang sie, die meiste Zeit über hintereinander zu reiten. Dabei unterhielt es sich nicht gut. Auch ihre sonst oft geschwätzigen Schwestern schienen das zu spüren, obwohl sie sich alle Mühe gaben, ganz wie immer zu sein. Dafür, dass sie allesamt intelligente und fähige Magierinnen waren, verhielten sie sich zuweilen ausgesprochen mädchenhaft. Sie waren jähzornig, sexbesessen und tratschten gerne. Zalava war die Einzige in der kleinen Gruppe, die darüber erhaben schien.

Ungefähr eine Stunde lang ritten sie weiter nach Norden. Der von zwei Pferden gezogene Karren mit dem Proviant für Yukai bildete den Schluss ihrer Gruppe. Jede der Parteien hatte eingewilligt, durch haltbare Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände zum Erfolg der Konferenz beizutragen. Der Tempel von Yukai war seit Jahrhunderten verlassen und in seiner Umgebung waren Nahrungsquellen spärlich gesät. So betrachtet wäre es besser gewesen, die Verhandlungen an einem weniger lebensfeindlichen Ort stattfinden zu lassen, fand Asara.

Die Sonne senkte sich allmählich über die Ebene im Westen und setzte das trockene Gras, das hier und da in Büscheln wuchs, mit ihren rötlicher werdenden Strahlen in Brand.

In diesem Teil der Ödländer lebte nicht viel. Während weiter südlich die Wüste um diese Jahreszeit noch von einem feinen Teppich aus Gras und Blumen bedeckt war und aus den wenigen Sträuchern und Bäumen Knospen von zartem Grün sprossen, war so weit im Norden Sachakas das Land durch die aus Norden strömende heiße Luft, längst wieder verdorrt.

Am Tag zuvor hatten sie die Roten Hügel passiert. Dahinter wurde das Land immer flacher und wüstenartiger. Am nächsten Abend würden sie die ersten Ausläufer der Aschenwüste erreichen. Von dort aus waren es nur noch wenige Tage bis Duna.

Während sie schweigend weiterritten, brannte Asara vor Ungeduld, ihren Schwestern die Neuigkeiten mitzuteilen. Wahrscheinlich würden die meisten die Signifikanz ihrer Informationen gar nicht begreifen, aber Asara hielt es für ihre Pflicht, sie darüber zu unterrichten.

Schließlich wies Zalava zu einer Erhebung, auf deren Kuppe eine Baumgruppe wuchs. „Dort werden wir heute Nacht lagern“, sagte sie und lenkte ihr Pferd in die Richtung.

Der Platz hätte sich nicht besser für ein Lager eignen können. Die Bäume boten Schutz vor unerwünschten Blicken und zugleich konnte man das Land über viele Meilen überblicken. Wollen wir hoffen, dass Sarkaro nicht auf die Idee kommt, hier zu lagern, fuhr es Asara durch den Kopf. Aber vielleicht war der Ashaki aus den Roten Hügeln auch schon längst in Duna. Er hatte Arvice vor den anderen Beratern verlassen, wohl um seine Angelegenheiten zu regeln und Proviant aufzusammeln.

Die Verräter hatten den ehemaligen Ichani seit seiner Begnadigung genau beobachtet. Zu Asaras Enttäuschung hatten sie jedoch nichts gefunden, womit sie seiner Position bei den Verhandlungen schaden konnten. Sarkaro war zu sehr darauf bedacht, dass ihn die sachakanische Gesellschaft akzeptierte. Dafür hatte er sogar für Marika eine Verschwörung von Ashaki in den Roten Hügeln aufgedeckt.

Nachdem sie das Lager gesichert, ihre Pferde versorgt und die Rationen untereinander aufgeteilt hatten, begann Asara ihren Bericht.

„Vorhin erhielt ich eine Nachricht von Vikacha“, teilte sie den anderen mit, das Kichern von Lahiri und Ivaras wissenden Blick ignorierend. „Anjiaka hat ihn kurz nach unserer Abreise offiziell zu sich geholt, um während meiner Abwesenheit besser mit ihm zusammenarbeiten zu können.“

„Oder um es ihm zu besorgen“, hörte sie Ivara murmeln.

„Lasst Asara aussprechen“, sagte Zalava gebieterisch.

Ivara schürzte die Lippen und schwieg.

„Vor einigen Wochen gelang es Vikacha, Mivara ein Blutjuwel zuzuspielen, das sie seitdem versteckt unter dem zahlreichen Schmuck trägt, den Tarko ihr geschenkt hat. Das Blutjuwel wurde von Anjiaka gemacht und seitdem berichtet Mivara eifrig alles, was ihr neuer Meister tut, zu meiner Schwester in Arvice.“

Mit einem süffisanten Lächeln fuhr sie fort: „Heute Vormittag hat Kachiro den Ashaki Tarko in den Palast gerufen. Und natürlich ist Tarko nicht ohne seine neue Lieblingssklavin gegangen.“

Nirilis Augen weiteten sich. „Er hat Mivara mit zum Imperator genommen?“

Asara nickte. „Tarko ist völlig verrückt nach ihr. Seine anderen Sklavinnen interessieren ihn nicht mehr. Mivara hat ihn ganz und gar um den Finger gewickelt.“

Arlava kicherte. „Wenn ich eine Sklavin wäre, würde ich auch lieber mit meinem Meister ins Bett gehen, als harte Arbeit zu verrichten. Das macht so viel mehr Spaß.“

„Vorausgesetzt dein Meister hat nicht irgendwelche perversen Vorlieben“, wandte Ivara ein.

Arlava griff nach einer Dornbeere und steckte sie sich genüsslich zwischen die Lippen. „Oh, dafür müsste er schon sehr pervers sein!“

Die beiden Frauen lachten. Asara verdrehte die Augen und Zalava räusperte sich vernehmlich.

„Können wir bitte zurück zum Thema kommen?“, fragte Asaras Schwester entnervt.

„Wir sind die ganze Zeit beim Thema“, widersprach Ivara. „Sex ist eine mächtige Waffe, um jemandem Informationen zu entlocken. Ich will nicht wissen, wie viele Ashaki von ihren Bettsklavinnen beherrscht werden, ohne es zu wissen. Wir können von Glück sagen, dass Mivara bereit ist, sich auf diese Weise so sehr für unsere Sache zu engagieren.“

Weil sie Tarko attraktiv findet und Gefallen daran hat, mit ihm ins Bett zu gehen, dachte Asara trocken. „Meine lieben Schwestern“, unterbrach sie die anderen Frauen. „Ihr könnt dieses Thema gerne weiterdiskutieren, nachdem ich euch berichtet habe, was Mivara bei dem Besuch im Palast erfahren hat und was sie aus Kachiros Verhalten gegenüber seinen Beratern ableitet.“

Ihre Schwestern verstummten. Augenblicklich richteten sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Asara.

„Mivara hat berichtet, dass der Imperator versucht hat, Ashaki Tarko über Ishaka auszuhorchen“, fuhr sie fort. „Tarko hat sich jedoch um befriedigende Antworten herumgeredet. Was da nun vorgeht, konnte sie nicht sagen. Dafür hat sie mich auf eine andere interessante Beobachtung aufmerksam gemacht.“

Asara holte tief Luft und blickte in die Gesichter der anderen.

„Welche?“, fragte Lahiri aufgeregt.

„Der Palastmeister wirkte während der Audienz ziemlich beunruhigt.“

„Er ist Kachiros Leibwächter“, winkte Ivara ab. Mit ihrem Messer schnitt sie sich ein Stück Brot von dem Laib zwischen ihnen ab und rollte sich auf den Rücken. „Natürlich sorgt er sich.“

„Kachiro hat seine eigenen Leibwächter mitgebracht“, erinnerte Asara. „Ivasako und die Überreste von Marikas Palastgarde bewachen und verwalten den Palast. Sie kümmern sich weniger um Kachiros Sicherheit.“

„Und warum war Ivasako dann anwesend?“

Asara verdrehte innerlich die Augen. Ihre Schwestern vom Land wussten erschreckend wenig über das Geschehen in Arvice. „Weil er einer von Kachiros Beratern ist“, sagte sie.

„Warum hat der Imperator nicht Tarkos Gedanken gelesen?“, fragte Nirili. „Soweit ich mich erinnere, hat Marika das mit Avako und Takoda ebenfalls gemacht, als er von ihrer Verschwörung in den Roten Hügeln erfahren hat.“

„Das hat er“, bestätigte Asara. „Doch kein Herrscher, der nicht von seinen Ashaki respektiert werden will, liest ihre Gedanken auf Grund eines bloßen Verdachts. Marika hatte Beweise.“

Zwei Jahre zuvor hatte die Verschwörung in den Roten Hügeln in Arvice und darüber hinaus für Aufsehen gesorgt. Avako und Takoda waren nur davongekommen, weil sie sich bereit erklärt hatten, für Marika nach Kyralia zu gehen und den angeblich letzten höheren Magier der Gilde zu töten – mit dem Ergebnis, dass sie nicht durch Marikas Hand, sondern durch die der Gildenmagier gestorben waren.

„Ich glaube eher, dass der Palastmeister etwas über Ishaka und Tarko weiß“, fuhr Asara fort. „Denn schließlich war er ebenfalls auf jener Party bei Tarko. Seit Mivara bei Tarko ist, haben dieser und sein Freund Ishaka sich mehrfach getroffen. Bei einigen dieser Treffen wurde Mivara fortgeschickt, bei den übrigen wurden nur Belanglosigkeiten über die Intrigen der Stadt-Ashaki ausgetauscht.“

„Hm“, machte Zalava nachdenklich. „Dann verstehe ich nicht, wie Kachiro auf die Idee kommt, Ishaka könnte etwas gegen ihn unternehmen. Wieso glaubt er überhaupt, Ishaka könnte gegen ihn plotten?“

„Ich habe nicht die geringste Ahnung.“ Ein Seufzen unterdrückend füllte Asara ihren Becher mit verdünntem Wein. „Weder ich noch Anjiaka und unsere Leute in der Stadt werden aus dieser Sache schlau. Als Marika noch König war, haben Ishaka und Kachiro sich prächtig verstanden.“

„Aber Kachiro ist jetzt Imperator und Ishaka immer noch nur politischer Berater“, wandte Lahiri ein. „So etwas kann die beste Freundschaft zerstören. Vielleicht ist Kachiro einfach nur paranoid und glaubt, Ishaka würde ihn um seine Position beneiden.“

„Ishaka hat Kachiros Thronbesteigung unterstützt“, erinnerte Asara. Zusammen mit Takiro hatten sie nach dem Massaker im Palast die Stadtbevölkerung auf Kachiros Seite gebracht. Das alles ergab keinen Sinn.

„Was, wenn jemand Kachiro hat glauben lassen, Ishaka hätte sich gegen ihn verschworen?“, fragte Arlava. „Jemand, der selbst scharf auf den Thron ist.“

„Und wer soll das sein?“

Ihre Schwester hob die Schultern. „Einer von Kachiros Gegnern aus der Stadt?“

„Sie hätten ihren neuen Wohnsitz schneller in den Ödländern, als sie Hochverrat sagen können“, entgegnete Asara.

„Aber was, wenn es wahr ist? Sind nicht einige Ashaki mit Kachiros Politik unzufrieden, weil sie sich zu sehr von der Marikas unterscheidet?“

„Schon“, sagte Asara. „Aber sie wären dumm, es zu versuchen.“ Dennoch musste sie ihren Schwestern recht geben. Diese ganze Sache stank gewaltig nach Gorin. Was auch immer in Arvice vor sich ging, sie taten besser daran, es nicht zu ignorieren.

„Weißt du das mit Sicherheit?“, fragte Zalava. „Hast du Leute bei ihnen?“

„Nicht seit dem Kampf um Arvice.“

„Dann solltest du deine Leute auf sie ansetzen.“

Asara seufzte. „Daran arbeiten Anjiaka und ich seit Monaten. Es wäre einfacher, wäre ich in Arvice.“


***


Das Gasthaus in dem kleinen Bergdorf war das letzte vor dem Nordpass. Irgendwann im Laufe des nächsten Nachmittags würden sie das Fort erreichen und die Grenze überqueren, so dass der Beginn ihrer Reise durch Sachaka bei Einbruch der Nacht stattfinden würde. Das hätte sie beruhigen sollen. Seit sich die Regenwolken am Vormittag verzogen hatten und sie die Berge zum ersten Mal gesichtet hatten, zogen sich bei ihrem Anblick nun ihre Eingeweide zusammen.

Ich habe mir geschworen, niemals wieder einen Fuß in das Land dahinter zu setzen. Denn was mich dort erwartet, ist schlimmer als der Tod.

Ob Akkarin so empfunden hatte, als die Gilde sie ins Exil geschickt hatte? Plötzlich erkannte Sonea, sie hatte ihn nie danach gefragt. Es jetzt zu tun, wo so viele Meilen zwischen ihnen lagen, fühlte sich jedoch falsch an. Dabei spürte sie, dass sie ihn gerade jetzt mehr denn je brauchte.

In einer eleganten Bewegung schwang Dannyl sich von seinem Pferd. Er übergab die Zügel einem herbeieilenden Stallknecht, dann reichte er Sonea eine Hand, um ihr beim Absitzen zu helfen. Für einen kurzen Moment umfasste er ihre Taille, dann ließ er sie los. Ihm ein verlegenes Lächeln schenkend, hing Sonea sich in seinen Arm. Gemeinsam betraten sie die Stube des Gasthauses.

Es roch nach Bol, frischgebackenem Brot und einem Braten, der gerade gar wurde. Auf den Tischen, die nahezu vollständig besetzt waren, brannten kleine Öllampen. Alles wirkte sauber und heimelig.

Dannyl steuerte mit ihr auf den Tresen zu. „Guten Abend“, grüßte er. „Habt Ihr noch ein Zimmer für meine bezaubernde Frau und mich?“

Der Mann sah auf. „Yalla!“, rief er nach hinten. „Da sind feine Leute, die ein Zimmer wollen!“

Eine Frau mittleren Alters kam aus einem Hinterraum. Sie beäugte Dannyl und Sonea eingehend. „Für wie viele Nächte?“

„Nur heute Nacht.“

„Also seid Ihr auf der Durchreise?“

„Richtig. Wir besuchen entfernte Verwandte in der Nähe vom Nordpass.“

Die Frau musterte sie erneut. „Seid Ihr aus der Stadt?“

Dannyl nickte. Ihr Benehmen und ihre Ausdrucksweise ließen nur schwerlich einen anderen Schluss zu, wie Sonea in den vergangenen Tagen festgestellt hatte.

„Was kostet das Zimmer?“

„Unsere Zimmer kosten zehn Silber pro Nacht. Aber wir haben noch ein besseres, das kostet zwanzig Silber. Es hat ’ne eigene Latrine und das Bett ist viel bequemer und größer.“

„Klingt gut.“ Dannyl schenkte Sonea ein charmantes Lächeln und schlang einen Arm um ihre Taille. „Wir brauchen nämlich viel Platz.“

Die Wirtin hob vielsagend die Augenbrauen. „Kommt mit. Ich zeig’ es Euch. Abendessen gibt’s inner Stunde hier unten. Frühstück ab Sonnenaufgang. Beides ist im Preis mit drin, auch wenn Ihr wahrscheinlich was Besseres gewohnt seid.“

„Ich bin sicher, das Essen in Eurem Haus ist hervorragend, Yalla“, erwiderte Sonea lächelnd.

Die andere Frau runzelte die Stirn. Dann bedeutete sie ihnen, ihr durch einen kleinen Flur zu folgen. Sie stiegen eine Treppe empor in das zweite Obergeschoss, durchquerten einen weiteren Flur, passierten mehrere Türen und blieben schließlich vor einer Tür am Ende stehen.

„Das hier nennen wir auch das Königszimmer.“ Mit einem stolzen Lächeln stieß die Frau die Tür auf.

Sonea bezweifelte, der König von Kyralia würde darin nächtigen wollen, doch sie musste zugeben, dass es sehr komfortabel war. Die Zimmer, in denen sie in den Nächten zuvor geschlafen hatten, waren weitaus einfacher gewesen. Das Bett war tatsächlich groß genug, dass sie beide darin schlafen konnten, ohne einander in die Quere zu kommen. Sonea hätte indes auch auf einer harten Pritsche oder einem Strohsack übernachtet. Doch das gehörte sich nicht für die Frau des reichen Politikers Dannyl von Vorin.

Dannyl griff nach ihrer Hand und zog sie hinein. „Was meinst du, Liebes? Ist dir das gut genug, oder wollen wir woanders fragen?“

Sonea verschränkte die Hände in seinem Nacken. Weil er fast so groß wie Akkarin war, musste sie sich dazu auf die Zehenspitzen stellen. „Ich finde es annehmbar, Liebster.“

Dannyl machte eine gebieterische Geste zur Wirtin. „Wir nehmen es.“

Sie hatten sich darauf geeinigt, ein reiches, arrogantes Ehepaar aus der Stadt zu spielen, das unterwegs zu seinen Verwandten war. Sonea sollte die verwöhnte Tochter eines wohlhabenden Händlers spielen und Dannyl war ein gönnerhafter Politiker, der sich gerne reden hörte. Sie waren übereingekommen, mit dieser Tarnung ihr Auftreten und ihre elitäre Sprache bis zur Grenze am besten rechtfertigen zu können. Sonea hätte es nicht gestört, Dannyls Dienerin zu spielen, weil sie fand, das ihr dies mehr lag als die Rolle der arroganten jungen Adeligen. Aber damit hätten sie Fragen aufgeworfen. Als Dannyls Beschützerin auf dieser Reise war es besser, wenn Sonea im selben Raum schlief. Und welche Tarnung eignete sich dafür besser als eine frisch verheiratete und verliebte Ehefrau?

„Wusstest du, dass wir als Magier mindestens das Doppelte bezahlt hätten?“, fragte Dannyl, nachdem die Wirtin fort war und sie das Zimmer mit einer schalldichten magischen Barriere abgesichert hatten.

Sonea schüttelte den Kopf.

„Irgendwie denken alle, die Magier wären die reichsten von Kyralias Einwohnern.“

Die Hüttenleute dachten nicht anders. Hätten sie regelmäßig mit Magiern zu tun, würde sie wohl auch das Doppelte oder Dreifache des normalen Preises verlangen. Doch im Augenblick hatte sie keine Lust über den Unterschied zwischen Magiern und Nichtmagiern zu diskutieren. Über dieses leidige Thema, das sie früher oft mit Rothen gestritten. Manchmal glaubte sie, dass Akkarin der Einzige war, der sie in dieser Hinsicht verstand. Sie und Dannyl würden noch viele Wochen miteinander verbringen und sie wollte ihr bisher so entspanntes Verhältnis nicht zerstören, indem sie sich auf eine Grundsatzdiskussion mit ihm einließ.

Was sie anging, so gab es wichtigere Themen, die der Klärung bedurften.

„Dannyl, Ihr müsst aufhören, so mit mir zu flirten“, begann sie einen tiefen Atemzug nehmend. „Was soll Akkarin denken, wenn er zufällig zusieht?“

Für einen bedeutungsvollen Moment fiel Dannyls Blick auf ihren Ehering. Unwillkürlich fragte Sonea sich, wie viel er über ihre Beziehung erahnte. Er hatte sie und Akkarin oft genug in offiziellen und halb-privaten Situationen erlebt. Er kann unmöglich von unserer Vereinbarung wissen, rief sie sich ins Gedächtnis. Noch von Akkarins dunkler Seite, die er sogar vor mir lange Zeit erfolgreich verborgen hat. Er ist ein konservativer Kyralier und noch immer Junggeselle. Er musste nie in Sachaka leben.

Aber er war fast ein halbes Jahr bei den Verrätern gewesen, um sie zu einer Allianz zu überreden und um Hilfe bei der Suche nach ihr zu erbeten. Vielleicht hatte das genügt, um seinen Horizont zu erweitern.

„Wenn du nicht willst, dass ich flirte, solltest du nicht mitmachen“, entgegnete er leichthin.

Sonea verspürte einen Anflug von Zorn. „Wir können auch ein Ehepaar spielen, ohne so zu tun, als würden wir gleich … gleich …“

„Miteinander ins Bett gehen?“

Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. „So wie Ihr mich vorhin angefasst habt, als Ihr mir beim Absitzen geholfen habt, so fasst kein Mann außer Akkarin mich an. Und er tut es nur, wenn wir auf einem Fest im Palast tanzen.“

Dannyl machte einen Schritt auf sie zu und nahm ihre Hände zwischen seine. Zu ihrer Verärgerung wirkte er erheitert. „Sonea, ich kann dir versprechen, dass dein Mann nicht eifersüchtig werden wird, weil er weiß, dass ich niemals gewisse Absichten bezüglich dir haben könnte.“

Etwas an seinen Worten brachte Sonea dazu, ihm zu glauben. „Dann sollte ich vielleicht richtigstellen, dass ich nur mitgemacht habe, weil es so viel Spaß macht, mit Euch zusammen zu sein. In Eurer Gegenwart fühle ich mich so … unbeschwert.“

Dannyl ließ von ihr ab. „Also das, solltest du Akkarin wirklich nicht hören lassen!“

„Wahrscheinlich nicht.“ Sonea lachte. „Es ist nur so, dass von all meinen Freunden in der Gilde Ihr einer der ältesten seid. Auch wenn unsere erste Begegnung nicht allzu erfreulich verlief.“

„Dafür, dass du mich erstechen wolltest, lief es verhältnismäßig gut.“

Sie lachten. Es war das befreiendste Gefühl. Wo Rothen für sie ein Vaterersatz gewesen war, war Dannyl so etwas wie der Bruder, den sie nie gehabt hatte. Aber sie wusste, nicht einmal seine Unbeschwertheit konnte sie vor dem bewahren, was hinter den Bergen auf sie wartete.

„Wir sollten noch einmal an der Kontrolle Eures Geheimniswahrers arbeiten, bevor es Abendessen gibt“, sagte sie dann.

Dannyl nickte. „Dann los. Hin und wieder bin ich gerne wieder Novize.“

„Also das hätte ich aus dem Mund des Auslandsadministrators nun nicht erwartet!“, rief Sonea.

Dannyl hob die Schultern. „Hin und wieder tut es gut, ein wenig Verantwortung abzugeben.“

Nicht nur dir, dachte Sonea. Als Oberhaupt der Diplomaten der Gilde trug Dannyl zahlreiche politische und diplomatische Geheimnisse mit sich herum, schloss Bündnisse, verhandelte und vermittelte bei Konflikten. Von Akkarin hatte Sonea eine Ahnung erhalten, welche Bürde Geheimnisse und Verantwortung für die ihm unterstehenden Menschen sein konnte. Anders als Dannyl war Akkarin jedoch nicht bereit, seine Verantwortung abzugeben. Auch wenn seine Erfahrungen in Sachaka daran Schuld trugen, war es neben Loyalität und Pflichtgefühl inzwischen gewiss auch zur Gewohnheit geworden. Das hätte sie bedenklich gestimmt, würde er nicht eine gewisse Form von Kontrolle dabei auch genießen.

Spürend, wie ihr Herz schwer wurde, schob sie ihre Sehnsucht beiseite.

„Wenn ich eine Pause von meiner Position in der Gilde bräuchte, würde ich Balkan die Führung für einige Wochen übergeben und mit dir nach Elyne zu meiner Schwester reisen“, war alles, Akkarin ihr dazu gesagt hatte. Doch dazu musste sich die Situation mit den Sachakanern so weit entspannen, dass es möglich war, für eine Weile zu verreisen. Und es würde im Geheimen geschehen müssen, bei einem Angriff der Sachakaner würden sie nicht schnell genug in der Gilde sein.

„Also gut, Novize Dannyl“, sagte sie mit einer Geste zum Bett. „Setzt Euch, damit wir beginnen können.“

„Jawohl, Mylady“, erwiderte er erheitert.

„Das hört sich an, als würdet Ihr Euch darauf freuen“, bemerkte sie.

Dannyl grinste. „Sagen wir, ich freue mich darauf, eine Technik zu erlernen, die nicht nur meinem Posten als Auslandsadministrator, sondern auch keiner Vorliebe für Tratsch und Klatsch gelegen kommt.“

Sie setzten sich einander auf dem Bett gegenüber. Sonea streckte ihre Finger aus und berührte sachte Dannyls Schläfen. Dann glitt ihr Geist in seinen. In ihren bisherigen Sitzungen hatte Dannyl bereits einige Fortschritte darin erzielt, seinen Geheimniswahrer zu kontrollieren. Sonea entschied, es war an der Zeit, ihn auf den Ernstfall zu testen. Das Vertrauen zwischen ihnen war inzwischen groß genug, dass sie glaubte, diesen Schritt verantworten zu können.

Ich wüsste zu gerne, ob ich auch so gut bin wie er, dachte sie. Aber ich werde es wohl darauf ankommen lassen müssen. Sie hatte nur ein einziges Mal mit Akkarin üben können und sie wagte es nicht, Dannyl in ihren Geist zu lassen. Sie wollte nicht riskieren, dass er das Geheimnis schwarzer Magie lernte, solange sie die Kontrolle über ihren Geheimniswahrer noch nicht perfekt beherrschte. Auch wenn sie insgeheim davon überzeugt war, dass Dannyl ein hervorragender Kandidat wäre, würde sie das nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können.

„Von heute an darfst du niemals wieder eine andere Person in deine Gedanken lassen“, hatte Akkarin ihr eingeschärft, als er sie vor so langer Zeit in schwarzer Magie unterwiesen hatte. Sie hatte ihm ihr Wort gegeben und sich bis auf eine Ausnahme daran gehalten. Doch jener Mann war selbst ein schwarzer Magier gewesen und sie nicht in der Lage, sich ihm zu widersetzen.

Während der ersten beiden Lektionen hatten sie mit den Erinnerungen an Dannyls Schwester geübt. Anschließend hatten sie Dannyls Verhandlungen mit den Verrätern als Vorlage verwendet. Sonea entschied, es war an der Zeit, ihn noch einmal mit seiner Schwester zu konfrontieren. Und sie wusste auch schon wie.

- Wie ist Bessia gestorben?, fragte sie ein Bild von dem jungen Mädchen sendend.

Sie hätte diese Frage nicht gestellt, hätte er ihr bei diesem Thema keine freie Hand gelassen. Sie brauchten etwas, dessen Erinnerung unangenehm war.

- Es war ein Reitunfall. Sie brach sich das Genick.

Sie verspürte heftigen Schmerz, Zorn und Frustration. Als es geschehen war, war Dannyl noch nicht lange Novize gewesen. Er war wütend, weil er bei dem Ausritt nicht dabei gewesen war und sie nicht hatte heilen können. Doch bevor sie das Gefühl näher erforschen konnte, entzog sich die Erinnerung ihrer Kontrolle und sie sah sich trotz all ihrer Tricks unfähig, sie zurückzuholen.

Also versuche ich es auf einem anderen Weg.

- War das der Grund für Eure Probleme als Novize?

Zu ihrer Verwirrung blitzte ein Bild von Dannyls Assistenten auf, doch als sie danach greifen wollte, verschwand es. Sonea runzelte die Stirn. Dann begriff sie. Er hatte die Erinnerung weggekapselt und es vertuscht, in dem er an seinen Assistenten gedacht hatte. Doch er hatte auch ihn weggekapselt, so wie er alles wegkapselte, was mit seiner Arbeit zu tun hatte. Als Dannyls Assistent besaß Tayend zweifelsohne ebenfalls vertrauliche Informationen über diplomatische Angelegenheiten. Zudem kannte er den kompletten Inhalt von Lord Sadakanes Büchern, weil er die Abschriften verfasst hatte. Und das war kein Wissen, das in die Hände der Sachakaner gelangen durfte.

Erfreut ließ sie von ihm ab. „Ihr habt den Test bestanden“, teilte sie ihm mit. „Ich gratuliere.“

„Danke“, erwiderte Dannyl sichtlich verlegen. „Aber fast wären mir die anderen Erinnerungen entglitten und du hättest die Kontrolle darüber erlangt, bevor ich sie in den Geheimniswahrer hätte kapseln können.“

„Aber Ihr wart schneller.“

„Ja.“ Dannyl grinste. „Was meinst du, wird das reichen, um die Sachakaner zu täuschen?“

„Ihr solltet noch lernen, wie Ihr das Juwel benutzen könnt, um ihnen falsche Erinnerungen vorzutäuschen. Aber das werde ich Euch morgen zeigen. Für heute habt Ihr Euren Geist genug strapaziert.“ Sonea überlegte, Dannyl nicht hinzuweisen, dass ihn sein Geheimniswahrer nicht davor schützen würde, Informationen unter größter Folter preiszugeben, und verwarf die Idee wieder. Es würde ihn nur beunruhigen. Zudem mussten die Sachakaner dazu wissen, dass er sich im Besitz eines schwarzmagischen Artefakts befand.

Dannyl rieb sich die Schläfen. „Das denke ich auch.“

Sonea betrachtete ihn nachdenklich. „Ihr hättet nichts für sie tun können“, sagte sie sanft.

Für einen kurzen Augenblick war Dannyls Miene schmerzerfüllt. „Ich weiß. Aber mach dir keine Sorgen, Sonea. Es ist lange her und ich bin darüber hinweg. Tatsächlich denke ich nur noch sehr selten daran. Ich hätte diese Erinnerung nicht gewählt, wenn sie mich noch immer quälen würde.“

Ob meine Erinnerungen irgendwann aufhören werden, mich zu quälen?

Ein Lächeln aufsetzend sah sie zu Dannyl. „Gehen wir zum Essen, Liebster.“


***


Der Waldweg war mit trockenen gelben Blättern bedeckt, die unter den Hufen der Pferde leise raschelten, und ein Gefühl von frühem Herbst in Dorrien auslösten, obwohl es mitten im Frühling war. Im Licht der schräg durch die Bäume fallenden Strahlen der Abendsonne schimmerten sie golden auf dem Erdboden. Die tagelange Wärme und Trockenheit hatte einen Teil des jungen Grüns gleich wieder zum Welken gebracht. Dorrien hatte die Bauern in der Gegend klagen hören, dass die Saat auf ihren Feldern verdorrte, wenn es nicht bald zu regnen begann. Die gelegentlichen Schauer, wenn Wolken sich vom Meer in die Berge verirrten, brachten nur wenig Abhilfe.

„Diese Heilerin, die die Gilde nach Wildwasser geschickt hat“, Loken runzelte die Stirn, „wie heißt sie noch gleich?“

„Celia“, antwortete Dorrien.

„Genau.“ Loken strahlte. „Sie ist nur zum Helfen hier, nicht wahr?“

„Ja.“ Dorrien seufzte. Leider. „Die Gilde hielt es für eine gute Idee, dass bei den Bauarbeiten ein Heiler anwesend ist, da ich noch andere Dörfer zu betreuen habe.“

Für einige Schritt lichtete sich das Blätterdach über ihren Köpfen, als sie einen reißenden Wildbach überquerten, der eine Schneise durch den Steilhang zog. Die Hufe ihrer Pferde hallten dumpf auf der kleinen Holzbrücke, während das Wasser laut unter ihnen toste. Dann tauchten sie wieder in den Wald ein.

„Da hat sie ausnahmsweise einmal klug gehandelt“, bemerkte der Schmied.

„Allerdings!“, stimmte Dorrien zu. Lady Celia hatte sich als große Hilfe herausgestellt. Während sie sich um die größeren und kleineren Unfälle beim Wiederaufbau von Wildwasser kümmerte, konnte Dorrien sich seinen Patienten in den anderen Dörfern widmen. Der Ausbruch der Schwarzzungenkrankheit war, nachdem die Krankheit über mehrere Wochen in den Bergdörfern gewütet hatte, nun endlich eingedämmt.

„Wisst Ihr, wie lange sie noch bleiben wird, Mylord?“

„Solange, wie sie hier gebraucht wird.“

„Und das heißt?“

„Bis Wildwasser wieder aufgebaut ist.“

„Hm“, machte Loken und seine Miene wurde nachdenklich. „Aber wenn Wildwasser wieder aufgebaut ist, würde es trotzdem genug für zwei Heiler zu tun geben – sagt Ihr das nicht auch immer?“

Dorrien nickte. Er hätte selbst nichts dagegen einzuwenden, würde Lady Celia noch eine Weile bleiben. Wenn Viana in der Gilde war, hatte er so viel zu tun, wie bevor er sich der jungen Frau angenommen hatte. Er war dankbar für Hilfe jeder Art.

„Die Gilde wird sie trotzdem zurückbeordern“, sagte er. „Ich müsste beim Oberhaupt der Heiler um Unterstützung bitten.“ Wahrscheinlich würde ich diese sogar bekommen, dachte er. Aber was mache ich dann, wenn ich Viana hier unterrichte? Was, wenn sein und Vianas Geheimnis aufflog? Außerhalb von Windbruch wusste niemand von ihrer Beziehung und die Dorfbewohner waren eine eingeschworene Gemeinschaft, sie würden ihn und Viana nicht verraten. Aber es war trotzdem ein Risiko.

Dorrien war hin und hergerissen. Ein zusätzlicher Heiler in dieser Gegend wäre auch mit Viana eine große Entlastung. Es gab zu viele verstreut liegende Dörfer zu betreuen – selbst für zwei Heiler das eine herausfordernde Aufgabe.

„Dann fragt sie doch, ob Lady Celia bleiben kann, wenn Ihr das nächste Mal in die Stadt reitet“, schlug Loken vor.

„Das könnte ich, doch Lady Celia muss dazu auch bereit sein. Die Gilde schickt keine Magier gegen ihren Willen weit fort von ihrer Heimat, sofern es nicht eine Bestrafung ist.“ Allerdings verstießen Magier selten so sehr gegen die Regeln der Gilde, dass es dazu kam. Solange Dorrien denken konnte, hatte die Gilde nur zwei Mal jemanden auf diese Weise bestraft. Ein Magier war wegen Erpressung und Freiheitsberaubung zum Fort am Nordpass versetzt worden, und zwei Jahre später hatte die Gilde Akkarin und Sonea nach Sachaka verbannt. Er selbst war zusammen mit den drei Vindo, die mit ihm nach Sonea hatten suchen wollen, nur zu einer mehrmonatigen Grenzpatrouille geschickt worden.

„Dann sollten wir dafür sorgen, dass Lady Celia bleiben will.“

Dorrien horchte auf. Die Art und Weise, wie der Schmied die Worte gesprochen hatte, ließ darauf schließen, dass es ihm nicht um das Wohl der Bergbewohner ging. Er dachte über die junge Heilerin nach. Sie war freundlich, offen, engagiert und recht hübsch. Konnte es sein, dass …?

„Loken, warum interessiert dich das?“, fragte er.

„Ich, nun …“ Mit angestrengter Miene starrte Loken auf den Waldboden vor ihnen. Die Wangen oberhalb seiner Bartstoppeln hatten begonnen, sich rosa zu färben. „Sagen wir, ich stelle mir seit einer Weile vor, wie sie wohl unter ihrer Robe aussehen mag.“

Dorrien prustete los. „Loken!“, rief er. „Lass das nicht die gute Celia hören!“

Lokens Augen weiteten sich. „Niemals, Mylord!“, rief er. „Ich könnte mich noch nicht einmal dazu durchringen, sie anzusprechen. Ich meine, sie ist eine Magierin!“

„Aber du hast Gefallen an ihr gefunden.“

Die Wangen des Schmieds verfärbten sich von Rosa zu einem tiefen Rot. „Ja. Einige Männer auf der Baustelle haben bereits ein Auge auf sie geworfen. Sie ist immer nett und freundlich. Und sie sieht verdammt gut aus.“

Eine Hand ausstreckend klopfte Dorrien seinem Freund auf die Schulter. „Scheint ganz so, als hättest du eine Vorliebe für Heilerinnen.“

„Naja, ich mag eher zarte Frauen. Die meisten Frauen hier in der Gegend sind derbe Bäuerinnen oder schon längst vergeben.“ Lokens Augenbrauen zogen sich zusammen und er begegnete Dorriens Blick. „Wisst Ihr, ob sie verheiratet ist?“

„Ich habe nicht die leiseste Ahnung“, antwortete Dorrien. „Sie ist noch relativ jung. Vielleicht hast du Glück und sie ist noch ungebunden. Aber mach dir besser nicht zu viele Hoffnungen.“

„Das tue ich nicht. Ich glaube eh nicht, dass sie an einem einfachen Kerl wie mir Interesse hat. Den anderen Männern hat sie bis jetzt auch einen Korb gegeben.“ Er schnitt eine Grimasse. „Ich glaube, sie amüsiert sich insgeheim darüber, so eine Wirkung zu haben.“

„Oder es schmeichelt ihr, aber sie hat einfach kein Interesse.“ Dorrien bedauerte, dass er den Schmied enttäuschen musste, doch nach der Sache mit Viana, war er es dem anderen Mann schuldig. Als Loken in Viana verliebt gewesen war, hatte Dorrien sein Hilfegesuch abgeschmettert, weil er nicht gewollt hatte, dass Viana über eine Beziehung ihr Studium vernachlässigte. Erst viel später war ihm bewusst geworden, dass seine Reaktion auf Eifersucht beruhte. Obwohl Loken über Vianas Desinteresse hinweggekommen war, wollte Dorrien nicht, dass sein fast-Freund erneut an einem gebrochenen Herzen litt.

Sie verließen den Wald und ritten über Yuls Reberweiden. Zwischen dem hohen Gras erblickte Dorrien hier und da die geschorenen Leiber der störrischen Tiere. Die Sonne stand nur noch eine Handbreit über den flacheren Bergen im Westen und badete die sanft geschwungenen bewaldeten Hänge in ein sanftes, goldenes Licht. Zwischen den Bäumen hinter den Weiden erhaschte Dorrien einen Blick auf die ersten Dächer Windbruchs. Aus den Schornsteinen stiegen dünne Rauchsäulen geradewegs in den Himmel.

Zuhause, dachte Dorrien unwillkürlich und spürte, wie sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete. Nach einem Notfall in Oberjoch hatte er in Wildwasser vorbeigesehen und war dann mit Loken, der nach zwei Wochen des Aushelfens, für einige Tage zurück zu seiner Schmiede musste, nach Windbruch geritten.

Neben ihm seufzte Loken leise. „Ich fürchte schon fast, dass Männer wie ich für sie unsichtbar sind, solange sie uns nicht behandelt. Ich meine, sie kommt aus den Häusern.“

„Ich komme auch aus den Häusern“, erinnerte Dorrien. „Schon vergessen?“

Loken schüttelte den Kopf. „Ihr seid eine Ausnahme, Mylord.“ Er starrte mit nachdenklicher Miene auf die Zügel seines Pferdes. „Ich würde nur zu gerne herausfinden, ob ich überhaupt eine Chance bei ihr hätte, bevor ich mich hoffnungslos in sie verliebe.“

Dorrien lächelte. „Das halte ich für eine gute Idee.“

„Könnt Ihr mir dabei helfen, Mylord? Ich will nicht wie der letzte Dorftrottel dastehen.“

„Wir finden einen Weg, Loken. Ich werde mir etwas ausdenken.“

Den Rest ihres Weges legten sie schweigend zurück. Schließlich erreichten sie den Dorfplatz. Die wenigen Menschen, denen sie begegneten, grüßten sie freundlich und mit einer Spur von Respekt und gingen dann weiter ihren Tätigkeiten nach. Um diese Zeit hatten die Bauern ihre Feldarbeit beendet und saßen mit ihren Familien beim Abendessen. Auch die übrigen Dorfbewohner, ob Tischler, Schneider, Fleischer, Töpfer, Weber oder Korbflechter, hatten ihr Tagewerk für heute niedergelegt. Der Gestank des Abfallhaufens hinter Forrens Destille vermischte sich mit dem Duft von frischgebackenem Brot aus der Bäckerei und aus dem Bolhaus schallte lautes Gelächter.

„Kommt Ihr noch mit auf ein Bol, Mylord?“, fragte Loken.

„Danke“, erwiderte Dorrien. „Doch nach dem langen Ritt muss ich erst einmal etwas essen.“

„Das könnt Ihr auch dort.“

Aus Lokens Miene schloss Dorrien, dass dessen Redebedürfnis noch nicht gestillt war. Vermutlich wegen Celia. Als Dorrien an seine einsame Kate und das wenige Essen, das er noch im Haus hatte, dachte, änderte er seine Meinung.

„Ich komme mit dir“, sagte er. „Aber ich muss vorher noch das Pferd versorgen und nach Bordas sehen.“

Loken nickte erfreut. „Dann sehen wir uns gleich dort.“

Während Dorrien sein Pferd nach Hause lenkte, schweiften seine Gedanken zurück Lokens Wunsch, dass Celia in den Bergen blieb. Auch wenn Lokens Intention romantischer Natur war, fand Dorrien mehr und mehr Gefallen an der Idee. Wenn er und Celia sich die Dörfer aufteilten, würden sie einander nicht in die Quere kommen. Er würde ruhigeren Gewissens nach Imardin reisen können, und er würde seinen Traum wahr machen und mit Viana für einige Monate bei den Verrätern leben.

Alleine deswegen sollte ich herausfinden, ob Celia bereit wäre, in den Bergen zu leben, dachte er. Und wenn nicht, konnte er immer noch Lady Vinara bitten, unter den anderen Heilern nachzufragen. Schon seltsam, dass es erst eines verliebten Dorfschmieds bedurfte, dass er überhaupt erst auf die Idee kam, Verstärkung anzufordern!

Ich hätte nie daran gedacht, hätte die Gilde sich nicht verändert, erkannte Dorrien dann. Erst durch den Krieg – und durch Sonea – hatte die Gilde angefangen, sich der einfachen Bevölkerung zu öffnen. Obwohl das Umdenken in den Köpfen der Magier nur langsam geschah, waren die ersten Auswirkungen dessen bereits zu spüren. Und Lady Celia war eine der ersten, die damit begannen.


***


Mit einer Mischung aus widerwilliger Hingabe und freudiger Erwartung bewegte Sonea sich zu der Fliatmusik. Ihre nackten Füße bewegten sich nahezu lautlos über den Boden aus Marmor, die kleinen Glöckchen an ihrem Gürtel sangen leise im Takt mit ihren Bewegungen.

„Du bist bereit“, hatte Ienara zu ihr gesagt. „Der Meister wird sich an deinen neuen Talenten erfreuen.“

„Das habe ich nur deiner Ausbildung zu verdanken“, hatte Sonea erwidert.

Die Meisterin der Cachira hatte sie augenzwinkernd gemustert. „Zum Teil mag das stimmen“, hatte sie geantwortet. „Doch das meiste hast du dir selbst zu verdanken. Du hast endlich begonnen, ihn als deinen Meister zu akzeptieren.“

Ja, das habe ich, hatte Sonea gedacht und das goldene Halsband mit dem Blutjuwel berührt. Es wird niemals wieder einen anderen für mich geben. Jetzt gehöre ich ganz alleine ihm.

Spürend, wie Marika sie mit seinen Vallookaugen durchbohrte, hob sie den Kopf. Sie hatte gelernt, dass es sich nicht für sie gehörte, ihm in die Augen zu sehen, doch wenn sie für ihn tanzte, galt dies als verführerisch. Als ihre Blicke einander begegneten, huschte ein raubtierhaftes Lächeln über das Gesicht des Königs.

Unter dieser beängstigenden Mischung aus Furcht und Erregung, die sie nur bei ihm empfand, zogen sich Soneas Eingeweide zusammen. Bei Akkarin hatte sie Selbiges als angenehm empfunden – bei Marika war es ein Gefühl, das sie nicht näher in Worte zu fassen wagte.

Das Zittern in ihren Händen kontrollierend, öffnete sie langsam und mit Bedacht, die kleinen Häkchen an der Vorderseite ihres Oberteils, das so knapp war, dass es kaum die Brust bedeckte. In einer fließenden Bewegung streifte sie es von ihren Schultern und ihren Brüsten. Der feine, seidige Stoff fiel leise raschelnd zu Boden. Sonea stieg darüber hinweg und fuhr damit fort, sich zur Musik zu bewegen, ihre Brüste mit den Händen bedeckt. Marika hatte sein Kinn auf eine behandschuhte Hand gestützt, und starrte sie unentwegt an, das Verlangen in seinen Augen war nahezu spürbar.

Soneas Hände beschrieben kreisende Bewegungen, als sie über ihre Brüste fuhr. Nach und nach löste sie ihre Hände, bis nur noch ihre Finger auf den Spitzen ihrer Brüste ruhten. Dann, langsam und spielerisch, zog sie diese fort. Noch in der Bewegung öffnete sie den Gürtel von ihrem Rock. Sie wirbelte den Stoff mit den kleinen goldenen Glöckchen in einer langsamen Bewegung um sich herum und ließ ihn dann ebenfalls zu Boden gleiten.

Marika den Rücken zudrehend bewegte sie ihre Hüften zur Musik, während sie ihren Rock öffnete. Als sie ihn abstreifte, beugte sie sich zu den Klängen der Fliat nach vorne und streifte den Rock ab. Für einen Augenblick verharrte sie so – lange genug um Marika einen hervorragenden Ausblick zu gewähren, dann richtete sie sich wieder auf und stieg über den Stoff.

Nachdem sie nur noch ihren Schmuck am Leib trug, wandte sie sich um und warf sich vor Marika zu Boden, ihre Handgelenke emporgestreckt. Das kalte Metall seines Dolches fuhr darüber und sie wurde träge. Als er fertig war, bog er ihren Kopf zurück und las ihre Gedanken.

Dize yichise kuza irivo“, stellte er erheitert fest. Seine warmen Finger strichen über ihre Wangen. „Vochi velyosi uyi.“

Usha’seyocha ayili, yore sha’velyosi aze, rachariya. Usha’kimico mamato-yi dishimi.

Marika zog sie hoch und setzte sie auf seinen Schoß. Er umschlang ihre Taille. Seine freie Hand wanderte in ihren Schoß. Seine Berührung war grob und eine Offenbarung.

„Uvuzo ayili?“

Sonea fuhr hoch. Sie brauchte einige Augenblicke, um zu begreifen, dass sie nicht in Marikas Palast, sondern in einem Bolhaus in Kyralia war. Ihr Herz schlug bis zum Hals und sie verspürte ein vertrautes Pochen zwischen ihren Schenkeln. Sie griff nach ihrer Magie und vertrieb es. Dann wandte sie den Kopf zur anderen Seite des Bettes und atmete leise auf. Dannyl schlief tief und fest.

Sich in ihre Decke wickelnd schritt Sonea zum Fenster. Sie schob die Papierblenden zur Seite. Es war noch dunkel, das blasse Licht der Sterne unfähig, die Schwärze zurückzudrängen. Sie seufzte. Seit Lorlens Geburt waren Träume dieser Art ausgeblieben. Sie hatte geglaubt, sie wären für immer verschwunden. Sonea erkannte, sie war dumm gewesen, das zu glauben.

Die Erkenntnis löste eine ungeahnte Übelkeit aus und Sonea musste nach ihrer Magie greifen, um sie zu vertreiben.

Als sie entschieden hatte, Dannyl auf seiner Mission zu begleiten, hatten sie wieder angefangen. Zuhause hatte sie die Träume mit Nemmin erstickt, nachdem sie erkannt hatte, wie sehr sie ihre Ehe belasteten. Während ihrer Mission musste sie jedoch auf die Schlafdroge verzichten. Ihre Sinne durften nicht getrübt sein, auch wenn das bedeutete, Nacht für Nacht diese Träume zu haben.

Ob Akkarin ähnlich empfunden hatte, als die Gilde sie nach Sachaka verbannt hatte? Damals hatte er jede Nacht von seinen Erlebnissen als Sklave geträumt. Sonea hatte es hilflos mit angesehen, weil er ganz offenkundig keinen Trost von ihr gewollt hatte. Erst nachdem sie zusammengekommen waren, hatte er angefangen, mit ihr über seine Träume zu sprechen. Das wahre Grauen hatte er ihr jedoch erspart, bis er sie aus dem Palast befreit hatte.

Aber anders als Akkarin habe ich mich schließlich freiwillig unterworfen.

Du hast es getan, weil du jegliche Hoffnung auf Rettung verloren hattest, flüsterte eine Stimme in ihr. Du wusstest, die Alternative wäre weitaus schwerer zu ertragen gewesen.

Trotzdem fand Sonea das auch nach fast zwei Jahren unverzeihlich.

Sie richtete ihren Willen auf ihren Blutring. Akkarin schlief. Erleichtert stieß Sonea die Luft aus, die sie angehalten hatte. Er durfte niemals erfahren, dass es wieder angefangen hatte. Und dass sie noch immer so empfand. Er sollte glauben, es wären nur diese beiden Träume gewesen, als sie entschieden hatte, Dannyl nach Yukai zu begleiten.

Ich habe ihn nie geliebt.

Ich weiß. Denn dann hättest du ihn nicht ohne zu zögern getötet.

Hätte ich das?, fragte Sonea sich. Sie wusste, sie würde sogar Akkarin töten, sollte er zu einer unberechenbaren Gefahr werden, und es keine Rettung geben. Sie hatte es vor der Gilde und dem König geschworen. Sie wusste, sie würde es tun. Selbst wenn es ihr das Herz brach.

Aber wenn sie Marika nicht geliebt hatte, was war es dann gewesen? Akkarin hatte ihr erklärt, was sie empfunden hatte, sei eine natürliche Schutzreaktion gewesen. Doch hätte es dann nach ihrer Rückkehr nicht aufhören müssen? Warum war es nach zwei Jahren noch immer da? Warum war es da, wenn sie tief in ihrem Inneren wusste, dass sie Akkarin gehörte?


***


Das Gelände der Universität war noch in lange Schatten getaucht, als Regin das Magierquartier verließ. Das Gras war mit Tau bedeckt und aus dem Wald schallte das Morgenkonzert der Vögel. Für gewöhnlich schlief er um diese Zeit noch, aber Trassia hatte an diesem Tag Frühdienst und so hatte er beschlossen, die Gelegenheit für etwas zu nutzen, das er sonst am Abend erledigt hätte.

Goldenes Licht fiel auf das gläserne Badehaus am Hang von Sarikas Hügel, als Regin den leicht ansteigenden Weg entlang schritt. Um diese Zeit pflegten nur wenige Magier dort zu baden. Hauptsächlich Heiler, die auf dem Weg zur Frühschicht waren und Heiler, die von der Nachtschicht kamen. Gelegentlich auch einige Lehrer, die zur ersten Stunde unterrichteten und die die Ruhe davor genossen.

Und ein ganz bestimmter Magier, der einer der diszipliniertesten Menschen war, die Regin kannte.

Im Umkleideraum legte Regin seine Robe auf einer Bank ab, dann wickelte er sich ein großes Handtuch um die Hüften und trat in den Bereich für Männer.

Anders als der für die Frauen vorgesehene Bereich, der neben einem großen Becken über mehrere kleine, separate verfügte, gab es hier nur das große Becken. Wo sich dies für Diskussionen hervorragend eignete, war es für vertrauliche Unterredungen weniger geeignet. Doch so früh am Morgen würde kaum ein Magier hier sein.

Er fand ihn die Arme auf den Beckenrand gelegt nahe einer Ecke des Beckens. Auf der anderen Seite der Ecke lehnte eine zweite Gestalt im dampfenden Wasser, die Regin beinahe nicht erkannt hätte. Er blinzelte überrascht.

„Guten Morgen, Administrator“, grüßte er. „Lord Balkan.“

„Regin“, erwiderte Balkan, während Osen ihm zunickte. „Kommt und setzt Euch zu uns.“

„Danke, Lord Balkan“, sagte Regin und setzte sich in gebührendem Abstand neben Osen, so dass er seinen ehemaligen Mentor im Blick hatte.

„Ich habe Euch noch nie so früh hier gesehen“, bemerkte der Administrator. Auf seiner Stirn hatten sich einige Tropfen gebildet. Ob Schweiß oder Wasserdampf hätte Regin nicht sagen können. Vermutlich war es beides.

„Trassia hat heute Frühdienst“, antwortete Regin. Es war seltsam, den Administrator hier anzutreffen. Besonders da Regin sich diesen Mann ohne Robe nur schwerlich vorstellen konnte. Als er jedoch näher darüber nachdachte, kam Osens Anwesenheit nicht überraschend. „Ich hielt es für eine gute Gelegenheit, ein paar Dinge vor dem Vormittagsunterricht zu erledigen.“

„Es ist immer wieder aufs Neue beeindruckend, wie viel man erledigen kann, wenn man früh aufsteht. Alleine dadurch, dass eine so wohltuende Ruhe herrscht, weil die halbe Gilde noch schläft.“

„Bei Eurem Arbeitspensum ist Euch das sicher sehr willkommen“, stimmte Regin zu.

„Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr“, erwiderte Osen mit einem schiefen Lächeln.

„Wie geht es Luzille?“, wandte Regin sich an seinen ehemaligen Mentor.

„Es geht ihr gut.“ Balkan runzelte die Stirn. „Da fällt mir ein, Luzille würde gerne wieder einmal ein formales Dinner veranstalten.“

Regin lächelte. „Das wird Trassia gewiss freuen.“

„Das denke ich auch.“ Balkans buschige Augenbrauen zogen sich zusammen. „Allerdings zögert Luzille, da Sonea noch in Duna ist. Sie denkt, sie würde ihre andere Freundin damit ausschließen.“

„Bis Sonea zurückkehrt, ist der Sommer vorbei“, wandte Regin ein. „Ich bin sicher, Sonea würde es verstehen, wenn wir ein Dinner zu viert veranstalten.“

Balkan nickte. „Ich werde Ihr Euren Vorschlag unterbreiten. Allerdings sollten wir dann einen Termin hinreichend früh vor den Sommerprüfungen finden. Auf uns beide wartet einiges an Arbeit.“

Regin lächelte erfreut. Er wusste, wie sehr Trassia diese gemeinsamen Abende liebte. „Ich bin sicher, es wird Luzille gelingen, etwas in den nächsten Wochen zu organisieren.“

Und jetzt habe ich genug höfliche Konversation betrieben …

Mit einem Seufzen schloss er die Augen und tauchte unter. „Bleibt es eigentlich dabei, dass Ihr Lord Vorels Posten behaltet?“, fragte er wie beiläufig, als er sich wieder aufsetzte.

„Bis jetzt hat sich weder etwas an unserer Situation geändert, noch haben wir mehr Krieger zur Verfügung“, antwortete Balkan.

„Ich könnte Lord Vorels Aufgaben übernehmen“, bot Regin an. „Im Unterrichten habe ich bereits ein wenig Praxis und Strategie ist meine liebste Form der angewandten Kriegskunst. Ich könnte Euch Lord Vorels Klassen abnehmen.“

„Kein Lehrerwechsel mehr vor Ende des Halbjahres“, widersprach Balkan.

Die Strenge in seiner Stimme traf Regin unvorbereitet. Er hatte erwartet, dass Balkan es begrüßen würde, wenn sein Assistent sich Lord Vorels Aufgaben annahm. Tatsächlich hatte Regin schon eine Weile mit dem Gedanken gespielt, doch nach dem Tod des Leiters der strategischen Studien hatte er erst einige Wochen verstreichen lassen wollen. Aus Respekt vor dem Krieger, der Vorel gewesen war, und weil er nicht wollte, dass man ihm nachsagte, er hätte es auf dessen Posten abgesehen.

„Ich habe Euch dieses Jahr bereits zwei Mal für mehrere Wochen vertreten“, wandte er vorsichtig ein. „Wenn meine Arbeit nicht zufriedenstellend war …“

Balkan winkte ab. „Vertreten, ja. Und Ihr habe Eure Arbeit gut gemacht. Doch diese Klassen werden in wenigen Wochen mit den Vorbereitungen auf die Sommerprüfungen beginnen. Ein erneuter Lehrerwechsel wird ihnen nicht guttun. Zudem wäre es mir lieber, Euch vorab mit dem Vorbereiten und Abnehmen von Prüfungen vertraut zu machen.“

So betrachtet machte Balkans Entscheidung Sinn. Regin hatte nur Erfahrung mit Prüfungen als Novize, nicht jedoch mit dem Verfahren selbst. „Ihr habt selbstverständlich recht“, erwiderte er. „Was muss ich noch tun, um Vorels Amt zu übernehmen?“

Sein ehemaliger Mentor runzelte die Stirn. „Ich dachte, Ihr wollt mein Nachfolger werden.“

„Nun, bis Ihr in den Ruhestand geht, werden noch einige Jahre vergehen“, erwiderte Regin mit seinem charmantesten Lächeln. „Ich denke, das Amt des Leiters der strategischen Studien innezuhaben, kann dabei nur von Vorteil sein. Zudem würde es Euch entlasten und Ihr hättet mehr Zeit, mich auf Euer Amt vorzubereiten.“

„Ihr seid sehr ambitioniert, Regin“, sprach sein ehemaliger Mentor. „Doch bevor ich dies in Erwägung ziehe, würde ich Euch gerne weiter mit den Aufgaben beider Ämter vertraut machen.“

Regin lächelte. Von jemandem wie Balkan war das so gut wie ein „Ja“.


***


Als Dannyl erwachte, war er überrascht, Sonea fertig angezogen am Fenster sitzen zu sehen. Sich den Schlaf aus den Augen reibend vertrieb er seine restliche Müdigkeit mit ein wenig Magie. Es war noch früh, die Sonne war gerade aufgegangen und draußen konnte er das Geschnatter der zum Bolhaus gehörenden Rassook hören, das dem Vogelgezwitscher aus dem nahen Wald harte Konkurrenz machte.

Der letzte Morgen in Kyralia, dachte er. Während dieser Gedanke ihn für gewöhnlich mit Freude erfüllte, verspürte er dieses Mal ein wachsendes Unbehagen. Das Fehlen von Wäldern, Vögeln und Gasthäusern hatte jedoch nichts damit zu tun. Das Unbekannte, nicht zu wissen, welche Feindseligkeiten ihn und Sonea erwarteten, bereitete ihm Sorgen.

Mit einem Blick auf die kleine schwarze Magierin vertrieb er seine düsteren Gedanken. Hinter dem Nordpass würde er noch genug Zeit haben, sich zu sorgen.

„Guten Morgen, mein geliebtes Weib“, sagte er seine Glieder streckend.

Sie wandte den Kopf. Gegen das Licht hinter den Papierblenden war nur wenig von ihrem Gesicht zu sehen. „Guten Morgen, Dannyl. Habt Ihr gut geschlafen?“

Er grinste. „Die vorerst letzte Nacht in einem richtigen Bett – da muss man doch gut schlafen, nicht wahr?“ Auch wenn ich besser geschlafen hätte, hätte Tayend das Bett an deiner Stelle mit mir geteilt, fügte er für sich hinzu.

Sie erwiderte sein Lächeln nicht. „Das sollte man wohl.“

Dannyl runzelte die Stirn. „Hast du nicht gut geschlafen?“

„Ich war früh wach.“

Sie weicht mir aus, erkannte Dannyl. Ob es damit zu tun hat, dass wir heute die Grenze zu Sachaka überqueren? Für einen kurzen Moment spielte er mit dem Gedanken, sie zu fragen, verwarf die Idee jedoch wieder, weil er ihr nicht zu nahe treten wollte. Ihre plötzliche Verschlossenheit, sobald es um Sachaka ging, musste einen guten Grund haben. Er brauchte sie nur anzusehen, um zu erahnen, welcher Natur dieser Grund war. Sie würde nicht mehr an den Folgen ihrer Entführung leiden, wäre diese tatsächlich so abgelaufen, wie sie bei ihrer Rückkehr ausgesagt hatte. Nicht so. An ihrer Stelle hätte Dannyl nicht anders gehandelt.

Und trotzdem hat sie sich in den Kopf gesetzt, mich zu begleiten, dachte er, während er aufstand und sich ankleidete. Er bewunderte sie dafür. Zugleich fürchtete er, dass ihre Erinnerungen sie daran hindern würden, ihre Arbeit zu tun und ihn zu beschützen.

Aber Marika war tot, sie würde allenfalls einige seiner Berater zu Gesicht bekommen. Es sei denn, Marika hat …

Nein!, wies er sich scharf zurecht. Denk nicht daran.

Und selbst, wenn dem so war. Sonea hätte nicht darauf beharrt, ihn zu begleiten, würde sie sich diese Mission nicht zutrauen. Was auch immer in Sachaka geschehen war, dass es sie bis heute quälte – es hatte sie nicht zerbrochen.

Trotzdem tat es ihm weh, sie leiden zu sehen. Aus irgendeinem Grund erinnerte sie ihn an Bessia. Vielleicht war es ihre sture Entschlossenheit oder ihre liebenswerte, aber oft gefährliche Wildheit. Vielleicht war es auch nur ihre Unbeschwertheit, die sie zeigte, wenn es ihm gelang, sie aufzuheitern.

Oder ich bilde mir das alles nur ein, weil ein Teil von mir Bessia noch immer vermisst?, fragte er sich. Doch egal, ob er etwas in Sonea sehen wollte, was nicht existierte, oder ob wirklich eine Ähnlichkeit zu seiner Schwester bestand – er hatte sie liebgewonnen. Wäre er nicht nach Capia versetzt worden, hätten sie vielleicht sogar Freunde werden können.

Er verkniff sich ein Lächeln, als er daran dachte, dass sie tatsächlich geglaubt hatte, der Tod seiner Schwester hätte mit seinen Problemen als Novize zu tun gehabt. Er hatte sie weder täuschen wollen, noch hatte er beabsichtigt, an Tayend zu denken, doch zum Glück hatte sie auch das falsch verstanden. Tatsächlich war seine Schwester nach der Geschichte mit dem anderen Novizen gestorben. Damals war Rothen bereits sein Mentor gewesen und hatte ihm mit seiner väterlichen Fürsorge über die schlimmste Zeit hinweggeholfen. Plötzlich wurde Dannyl bewusst, dass ihre Freundschaft dort begonnen hatte.

Ein Klopfen riss ihn aus seinen Gedanken.

„Herein!“, rief er, für einen kurzen Moment versucht, die Tür mit Magie zu öffnen, doch Sonea schüttelte kaum merklich den Kopf und eilte durch den Raum.

Yalla stand draußen beladen mit einem großen Tablett. Als sie sah, das Dannyl und Sonea bereits vollständig angezogen waren, runzelte die Stirn. „Guten Morgen“, wünschte sie. „Hatten die Herrschaften eine gute Nacht?“

„Ausgezeichnet“, antwortete Dannyl sein charmantestes Lächeln aufsetzend. „Nur leider haben wir uns entschieden, dieses wunderbar bequeme Bett früh zu verlassen, da wir noch heute unsere Verwandten erreichen wollen.“ Mit Sonea in einem Bett zu schlafen, war zweckmäßig. Obwohl er die meisten Nächte allein verbrachte, fühlte es sich seltsam an. Die letzte und einzige Frau, mit der er je ein Bett geteilt hatte, war Bessia gewesen. Bei Gewittern war sie des Nachts oft zu ihm unter die Decke gekrochen, wo sie sonst immer allem tapfer und furchtlos entgegengetreten war. Aber Sonea war nicht sie.

Die Wirtin nickte und stellte das Tablett auf dem Tisch am Fenster ab. „Ich hoffe, das Frühstück sagt Euch zu“, sagte sie unsicher. „Sicher seid Ihr aus der Stadt was Besseres gewohnt.“

„Wenn es so gut ist, wie das Essen von gestern Abend, kann es gar nicht schlecht sein“, erwiderte Dannyl.

Yalla hob fragend die Augenbrauen, wünschte einen guten Appetit und zog sich dann zurück. Nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, trat Dannyl zu dem Tisch, auf dem Sonea bereits begonnen hatte, die Speisen und Getränke vom Tablett zu räumen und darauf anzuordnen.

„Ganz die brave, kyralische Ehefrau“, bemerkte er erheitert.

Sie bedachte ihn mit einem finsteren Blick, von dem Dannyl glaubte, dass er nur zum Teil ernstgemeint war. „Kommt bloß nicht auf die Idee, dass ich Euch bediene“, sagte sie trocken, während sie den Korb mit den Brötchen zwischen der Kanne und dem Käse platzierte.

Dannyl lachte. „Ich bin doch kein Ungeheuer!“

„Nein“, sagte sie leise und mit einem seltsamen Unterton, der ihn erschaudern ließ. „Das seid Ihr nicht.“

Zeit, das Thema wechseln. „Das sieht richtig gut aus“, sagte er anerkennend das Frühstück betrachtend. Außer den frischen und noch duftenden Brötchen und dem Käse aus Rebermilch gab es gebratene Eier, Pachisaft und luftgetrockneten Schinken vom Enka. Yalla hatte sogar einen kleinen Kuchen mit Piorres und Tironüssen gebacken.

Er schob seinen Stuhl zurück und setzte sich. Als habe Sonea darauf gewartet, ließ auch sie sich an dem Tisch nieder.

Dannyl griff nach der Kanne und schnüffelte daran. Nach den Wirtshäusern, in denen sie die Nächte davor verbracht hatten, war aus der Kanne aufsteigende Geruch Balsam für seine Sinne.

Endlich einmal ein Bolhaus, das das Lieblingsgetränk der Magier und Reichen hat! Er frage sich, ob das daher kam, dass die Krieger auf der Durchreise zum Fort hier häufig haltmachten. Oder kamen sie an ihren freien Tagen her, betranken sich und brauchten einen starken Sumi, bevor sie am nächsten Tag wieder zum Fort ritten? „Möchtest du auch Sumi, Liebes?“

Sie schüttelte den Kopf. „Danke Dannyl, das ist lieb. Aber ich trinke keinen Sumi.“

Überrascht sah Dannyl zu ihr. „Noch immer nicht?“ Er hatte geglaubt, Akkarin hätte sie inzwischen auf den Geschmack gebracht. Als er jedoch näher darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass er sie noch nie Sumi trinken gesehen hatte.

„Ich habe es mehrfach versucht, aber ich kann mich mit Sumi einfach nicht anfreunden.“

„Darf ich dir stattdessen meinen Saft anbieten?“

„Sehr gern“, erwiderte sie.

Mit einem Grinsen reichte er Sonea seinen Pachisaft. „Dann bleibt mehr Sumi für mich.“

Sie ging nicht darauf ein. Überhaupt wirkte sie an diesem Morgen geschäftsmäßig und kurz angebunden. Entweder sie hatte tatsächlich schlecht geschlafen und das war ihre Art, ihn auf Distanz zu halten, oder sie bereitete sich auf Sachaka vor.

„Der Hohe Lord hat mir vorhin mitgeteilt, dass sich die Eskorte der Verräter verzögert.“

Dannyl sah auf. „Oh?“

„Sie mussten wohl einen Umweg nehmen.“

„Also warten wir am Fort auf sie?“

Sonea schüttelte den Kopf. „Savedra und Akkarin haben sich darauf geeinigt, dass wir ihnen entgegenkommen, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, als wir durch die Vorbereitung bereits verloren haben. Ihre Leute und die Krieger am Fort haben versichert, dass der Weg bis in die Ettkriti-Ebene frei ist. Wir werden dort auf sie treffen.“

Dannyl nickte mit mäßiger Begeisterung. Auch wenn er Sonea als Leibwächterin für kompetent hielt, behagte es ihm nicht zu zweit durch Sachaka zu reisen. Er verstand jedoch, warum sie nicht warten konnten. Die anderen Delegierten waren bereits auf dem Weg nach Yukai und sie mussten den Großteil ihrer Vorräte mitnehmen, weil das Heiligtum mitten in der Wüste lag. Damit war dies auch ein logistisches Problem.

Nachdem sie gefrühstückt hatten, zeigte Sonea ihm, wie er seine Gedanken mittels des Geheimniswahrers manipulieren konnte. „Wir werden das unterwegs wiederholen“, sagte sie. „Den wichtigsten Teil habt Ihr jedoch schon gelernt.“

„Also besteht noch Hoffnung für mich?“, fragte er.

Sie hob eine Augenbraue, offenkundig seinen Scherz nicht verstehend. „Ja.“

Anschließend sammelten sie ihr Gepäck zusammen und ließen es von einem Stallknecht an ihren Pferden befestigen. Dannyl ging in der Schankstube und beglich die Rechnung, jedoch nicht ohne ein angemessenes Trinkgeld zu hinterlassen. Dann saßen er und Sonea auf und ritten zurück auf die Straße, die zum Nordpass hinaufführte.

Mittlerweile war die Sonne höher gestiegen und erfüllte die Täler der Vorberge mit ihrem goldenen Licht. Dort, wo ihre Strahlen den Erdboden erreichten, wurde es rasch angenehm warm, während die Luft in den Schatten unter den Bäumen noch kühl war.

Das wird ein warmer Tag, dachte Dannyl, während sie höher in die Berge hinauf ritten. Doch wir werden davon nicht viel mitbekommen, weil es mit jedem Stück, das wir höher kommen, kälter wird. Er warf einen Blick hinauf zu den schroffen Gipfeln, die sich in einer endlosen Kette entlang des Horizonts mehrere Meilen in den Himmel schraubten. Ihre Spitzen waren bis unterhalb der Felsregion noch mit Schnee bedeckt. Auf einigen nach Süden ausgerichteten Hängen reichte die Schneedecke teilweise sogar noch bis in die Wälder.

Auf der anderen Seite der Berge würde das anders sein, wusste Dannyl. In Sachaka war das Klima wärmer, in den Bergen fiel weniger Schnee und dieser würde inzwischen geschmolzen sein.

Auf ihrem Weg zum Nordpass sprachen sie nur wenig. Dannyls Unruhe stieg und er glaubte sogar, die Anspannung seiner kleinen Begleiterin zu spüren.

Es war früher Nachmittag, als die beiden Gipfel, zwischen denen das Fort lag, erstmals in Sicht kamen. Das Fort selbst war von ihrer Position aus nicht zu sehen. Vor ihnen lag jedoch noch ein Aufstieg von drei Stunden, bevor sie den Nordpass erreichten. Während sie weiterritten, zogen Wolken auf und verhüllten die Spitzen der Berge und alsbald ritten sie durch Nebel und kalten Nieselregen. Schaudernd errichtete Dannyl einen Wärmeschild und wickelte sich fester in seinen Reiseumhang.

„Was für ein Wetter“, murmelte er.

„Hinter dem Pass wird es besser.“ Sonea hatte die Kapuze ihres Umhangs übergezogen. Wenn sie fror, dann ließ sie sich das nicht anmerken. Dannyl nahm an, sie verzichtete auf einen Wärmeschild, um ihre Magie zu sparen. Oder weil sie von allen Gildenmagiern am wenigsten verwöhnt ist. „Die Wolken bleiben an den Bergen hängen und spätestens in den Ödländern wird es wärmer sein als die Sommer in Kyralia.“

Dannyl nickte düster. „Ich habe mir sagen lassen, dass es in der Aschenwüste und in Duna noch heißer ist“, sagte er. Wahrscheinlich würde die Hitze ähnlich unerträglich wie in Lonmar sein. Er hoffte, dass dies seine Verhandlungspartner träge machen würde, was der Gilde und ihren Verbündeten einen Vorteil verschaffen würde.

Allerdings würde das nicht für die Duna gelten.

***


Sachakanisch – Kyralisch

Dize yichise kuza irivo. Vochi velyosi uyi. - Du bist schon erregt. Das gefällt mir.
Usha’seyocha ayili, yore sha’velyosi aze, rachariya. Usha’kimico mamato-yi dishimi. - Ich tue alles, um Euch zu gefallen, Meister. Ich will eine gute Sklavin sein.
Uvuzo ayili? - Wirklich alles?





Fragen zum Kapitel

Was haltet ihr von Sonea und Dannyl als „Ehepaar“? Glaubt ihr, es wird ihnen gelingen, ihre Geheimnisse vor dem anderen zu bewahren? Und wäre das besser für ihr Verhältnis oder eher schlechter?

Spekulantenfrage: Wie denkt ihr über das, was Asara ihren Schwestern berichtet?
Und was haltet ihr von den sechs Frauen und ihrer Einstellung im Allgemeinen?

Sind Dorriens Pläne wieder ein typischer „Dorrien“?

Machen Balkans Kompromiss und sein Versuch, Regin zu bremsen, Sinn?

Und für alle, die Spaß an Psycho haben: Wie interpretiert ihr Soneas Traum?



Im nächsten Kapitel erhält Ivasako einen Auftrag, über den er sich nicht sonderlich freut, Regin versucht, sich zu profilieren und Sonea macht eine seltsame Entdeckung.


Es kann übrigens sein, dass es einen Tag später kommt, da der CampNaNoWriMo bis Sonntag geht und ich nicht weiß, ob ich es an dem Montag schaffe, das Kapitel uploadfertig zu machen. Als ich Ende März die NaNoPrep gemacht habe, habe ich dummerweise nicht daran gedacht, dass das erste Kapitel im Mai schon so früh kommt, sonst hätte ich das gleich mit vorbereitet. Sorry für die Umstände. Näheres erfahrt ihr bis zum Abend des 1. Mai auf Twitter und FB.
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