Die Bürde der schwarzen Magier III - Das Heiligtum von Yukai
von Lady Sonea
Kurzbeschreibung
Anderthalb Jahre nach dem Massaker von Arvice ist Sonea noch immer gebrochen von ihrer Erfahrung mit Marika. Sachaka steht derweil gebeutelt von Kämpfen am Rande des Ruins. Als die Situation eskaliert und Kyralia erneut in Gefahr gerät, sind sich die Anführer der Kriegsparteien einig, dass nur noch Verhandlungen den Konflikt beenden können. Als Vermittler fordern sie den Mann, dessen Ruf sich bis über die Grenzen der Verbündeten Länder hinaus verbreitet hat: Auslandsadministrator Dannyl. Gegen den Willen des Hohen Lords entscheidet Sonea, Dannyl zum Ort der Verhandlungen, einem alten Tempel in der Wüste von Duna, zu eskortieren. Doch die Konferenz wirft ihre Schatten voraus und das nicht nur, weil Sonea sich wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert sieht. Schon bald bemerken sie und Dannyl, dass jede Partei ihr eigenes Spiel spielt, und sie müssen die richtigen Verbündeten finden, um zu die drohende Katastrophe zu verhindern …
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P18 / Mix
Hoher Lord Akkarin
Lord Dannyl
Lord Dorrien
Lord Rothen
Regin
Sonea
02.08.2016
04.06.2019
56
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04.04.2017
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Hallo ihr Lieben,
heute habe ich eigentlich nicht viel zu sagen, außer dass ich Black Glitter, Araponia, Sabrina Snape, und Lady Alanna für ihre Reviews danke.
Falls ihr über den Fortschritt meiner Geschichten und zukünftiger Projekte auf dem Laufenden sein wollt, so wollte ich euch nahelegen, meinem Blog Tales from Kyralia zu folgen. Das geht entweder per Mail oder direkt als Wordpress-User links in der Menu-Leiste des Blogs. Auch findet ihr dort im oberen Menu unter „Die Welt der schwarzen Magier“ → „kleines Lexikon“ das Glossar der Bücher inkl. meiner Erweiterungen, falls ihr nicht mehr genau wisst, was z.B. ein Bovar ist ;)
Und jetzt viel Spaß beim Lesen :)
Dannyl zuckte zusammen, als ein Kraftschlag in Soneas Schild krachte. Doch anstatt die magische Barriere zu durchbrechen, schnellte der Schild an jener Stelle vor und warf den Angriff zurück zu den Kriegern, die unter Regins Leitung bereits den nächsten Angriff ausführten. Magie prallte auf Magie und jagte Wellen aus Licht über den Schild der Krieger.
„Das war knapp“, murmelte Dannyl. „Aber beeindruckend.“
„Macht Euch keine Sorgen.“ Sonea fuhr herum und attackierte eine zweite Gruppe unter Balkans Kommando mit einem Hagel Feuerschläge, bei deren Intensität sich die feinen Härchen auf Dannyls Armen aufstellten. Kurz vor dem Schild zerstreuten sich die Angriffe in einen Sternenregen schwacher Betäubungsschläge. „Der Hohe Lord hat mich diese Technik wiederholen lassen, bis ich ihn dafür verflucht habe.“
Dannyl verkniff sich ein Grinsen. In Gegenwart anderer sprach Sonea von ihrem Mann stets als dem Hohen Lord und begegnete ihm mit einer Förmlichkeit, die aus mehr als nur tiefen Respekt und Ergebenheit resultierte. Doch sie tat es mit einer Selbstverständlichkeit, die implizierte, dass er das nicht von ihr verlangte.
Dannyl betrachtete die kleine schwarze Magierin. Noch vor zwei Wochen hatte sie unsicher in der Arena gewirkt. Es war offenkundig gewesen, dass ihr der Kampf gegen mehrere Angreifer Mühe bereitete, wenn sie zugleich jemand anderen beschützen musste. Doch unter Akkarins unerbittlicher Anleitung konnte sie es nun mühelos mit drei Gegnern aufnehmen. Die Wucht hinter den Angriffen der schwarzen Magier beeindruckte und schockierte Dannyl jedes Mal aufs Neue, während ihn zugleich die Professionalität faszinierte, mit der Sonea und Akkarin kämpften.
Einen Schritt zurückweichend griff Sonea nach seinem Handgelenk.
- Haltet Euch dicht an meiner Seite, sandte sie. Ich muss gleich die Schildfläche verringern.
- Wie dicht?, fragte Dannyl.
- Habt Ihr Berührungsängste?
Bei den meisten anderen Frauen hätte Dannyl die bloße Vorstellung Unbehagen eingeflößt. Doch das war nicht das, was er in Sonea sah. Und das ist auch gut so, dachte er. Auf ihrer Mission würde es gewiss die eine oder andere Gelegenheit geben, bei der sie einander nahekamen. Und Dannyl wollte nicht, dass sie daran scheiterte, ihn zu beschützen, weil er sich in ihrer Nähe möglicherweise unbehaglich fühlte.
Als Antwort schob er sich mit seinem Rücken gegen ihren.
- Und jetzt?
- Wenn ich das Kommando gebe, duckt Euch.
Welche Strategie sie auch immer verfolgte, Dannyls Neugier war erweckt. Als Sonea einen weiteren Schritt zurückwich, folgte er ihr, den Kontakt zu ihr haltend. Jetzt hatte er Regins Gruppe direkt vor sich, während Balkans Gruppe zu ihrer anderen Seite kämpfte. Akkarin war genau zwischen ihnen und bombardierte ihren Schild mit einer Kaskade von Hitzeschlägen. Bisher hatte Sonea ihn ignoriert und sich auf die beiden Kriegergruppen konzentriert.
Gespannt beobachtete Dannyl, wie Regin mit einem nahezu bösartigen Lächeln den Befehl zu einem weiteren Angriff gab. Ein Feuerschlag, stärker als jene, die seine Gruppe zuvor verwendet hatte, löste sich und raste auf Dannyl zu. Im gleichen Augenblick flimmerte die Luft vor Dannyls Augen und er glaubte, ein Abbild seiner Selbst zu sehen.
- Jetzt!
Sonea riss ihn mit sich zu Boden. Der Feuerschlag jagte über ihre Köpfe hinweg und auf Balkan und seine Krieger zu. Der Schild der Gruppe glühte in einem unheilvollen Rot und löste sich auf. Sonea wirbelte herum und attackierte Regins Gruppe mit einem Hagel doppelter Kraftschläge, von denen sie einige ablenkte und von oben in den Schild treffen ließ.
Zu Dannyls stiller Bewunderung löste sich der Schild dieser Gruppe ebenfalls auf.
„Wie hast du das gemacht?“
„Erkläre ich später.“
Auf die Beine kommend zog Sonea ihn erneut zu sich und wandte sich dann ihrem letzten Gegner zu.
Für einen kurzen Moment glaubte Dannyl, Anerkennung in der Miene des Hohen Lords zu sehen, dann kehrte der konzentrierte Ausdruck zurück, als er und Sonea einander duellierten. Dannyl erschauderte. Zum ersten Mal empfand er den unheimlichen und ehrfurchtgebietenden Anführer der Gilde als Gegner – einen Gegner, mit dem nicht zu spaßen war. Nein, diesen Mann wollte Dannyl nicht zum Feind haben und plötzlich begriff er, warum die Sachakaner ihn so sehr fürchteten.
Der Boden unter Dannyls Füßen begann zu vibrieren, als Sonea eine Scheibe aus Magie unter ihnen schuf, und nur wenige Augenblicke später schwebten sie durch die Arena. Nachdem Dannyl sie auf diese Weise einmal in einem Duell hatte verlieren sehen, war er nicht sicher, ob ihm diese Taktik behagen sollte. „Soll ich das übernehmen?“, bot er vorsichtig an. „Dann kannst du ihn fertigmachen.“
„Die Levitation gehört zu meiner Strategie“, antwortete Sonea knapp und machte damit deutlich, dass sie keine Einmischung wünschte. „Vergesst nicht, Ihr habt Euch erschöpft, Dannyl.“
Und was, wenn ich noch Magie übrig hätte? In diesem Fall hätte er helfen können. Doch wahrscheinlich war Soneas Strategie zu komplex oder zu spontan, um ihn daran teilhaben zu lassen.
Plötzlich löste sich die Energiescheibe unter ihren Füßen auf und sie stürzten zu Boden. Der Fall war nicht tief, aber schmerzhaft und trieb Dannyl die Luft aus den Lungen. Rasch sah er sich nach Sonea um.
Sonea lag mit einem Ausdruck völliger Verwirrung auf dem Rücken. Der Schild um sie beide war verschwunden. Instinktiv eilte Dannyl an ihre Seite und errichtete einen eigenen Schild. Gerade rechtzeitig, bevor Akkarins Hitzeschlag dagegen prallte.
Das hätte auch schiefgehen können …
„Was war das?“, fragte Dannyl, eine Hand nach ihr ausstreckend.
„Gedankenschlag.“ Soneas Miene war grimmig, als sie sich von ihm auf die Füße ziehen ließ. „Aber ein ziemlich übler.“ Sie warf ihrem Mann einen wütenden Blick zu. „Danke“, murmelte sie leise. „Was nicht heißen soll, dass ich Eure Einmischung schätze.“
Dannyl grinste. „Schon verstanden.“
„Das werde ich ihm heimzahlen“, hörte er die kleine schwarze Magierin murmeln. Sie übernahm den Schild von Dannyl, einen Ausdruck höchster Konzentration auf ihrer Miene. Ihr Angriff war nahezu vollständig transparent, und als Akkarins Schild flackerte und Sonea einen Feuerschlag darauf projizierte, erkannte er, sie hatte mit Gedankenschlag geantwortet.
Der Angriff musste Sonea nahe an ihre letzten Reserven gebracht haben. Sie griff nach Dannyls Handgelenk und wich mit ihm zurück. Er konnte spüren, wie der Schild auf ihrer Rückseite schwächer wurde. Akkarin würde es nicht bemerken, und falls er seinen Angriff doch entsprechend umlenkte, würde sie rechtzeitig reagieren können.
Seine Gedanken auf etwas anderes lenkend, beobachtete er den Kampf. Wenn Akkarin seine Gedanken lesen konnte, würde er sehr bald hinter Soneas Vorhaben kommen.
Etwas krachte von hinten in ihren Schild. Dannyl spürte mehr, als dass er es sah, wie Sonea versuchte, ihre Abwehr zu stärken, doch der magische Angriff brach hindurch und warf sie zu Boden. Ihr Schild erlosch. Hastig errichtete Dannyl seinen eigenen Schild, doch zu spät. Die Magie traf auf seinen inneren Schild und er taumelte.
Der Angriff erstarb.
„Genug.“
Der Hohe Lord ließ seinen Schild sinken und schritt mit wallenden schwarzen Roben zu ihnen. „Auslandsadministrator, seid Ihr wohlauf?“
„Ja“, beeilte Dannyl sich zu sagen. „Ich habe nur nicht mit einem solch überraschenden Ende gerechnet.“
Ein ironisches Lächeln huschte über die harschen Züge des schwarzen Magiers. „Manchmal kommt das Ende schneller, als man denkt.“ Er streckte eine Hand nach Sonea aus und zog sie auf die Füße. „Ihr habt gut gekämpft“, sagte er. „Doch ihr solltet an Eurer Kooperation arbeiten.“ Er bedachte Sonea mit einem strengen Blick. „Wenn Dannyl helfen will, dann lass ihn. Solange er genügend Magie dazu hat, darf er zu seiner eigenen Verteidigung beitragen.“
„Ja, Hoher Lord“, erwiderte sie mit sichtlichem Unwillen. „Doch das würde bedeuten, dass ich ihn ständig in meine Strategie miteinbeziehe. Das ist nicht praktikabel. Dannyl und ich sind kein so eingespieltes Team wie wir beide.“
„Es sollte deiner Strategie nicht zum Nachteil gereichen, würdest du ihn einfache Aufgaben, wie den Schild kurzzeitig zu halten oder zu levitieren, übernehmen lassen.“
Ein Anflug von Sturheit huschte über Soneas Gesicht.
„Er hat recht“, murmelte Dannyl leise.
Sie wandte sich ihm zu, ein seltsamer Ausdruck in ihren dunklen Augen. „Dannyl, das weiß ich. Doch wir müssten noch sehr viele weitere Stunden in der Arena absolvieren, um dorthin zu gelangen. Ich fühle mich nicht wohl dabei.“
„Ihr müsst lernen, einander zu vertrauen“, sprach Akkarin. „Der Rest kommt von alleine.“
Sonea und Dannyl tauschten einen Blick. „Vertraust du mir, Sonea?“, fragte Dannyl leise.
Sie nickte. „Aber Ihr seid kein Krieger, Ihr …“
„Kein Aber“, widersprach er.
Lord Balkan war mit den Kriegern nähergekommen. „Hoher Lord, braucht Ihr uns noch?“
Akkarin wandte sich um. „Nein. Ihr könnt für heute gehen.“
Das Oberhaupt der Krieger nickte und verließ mit seinen Leuten die Arena. Dannyl bemerkte, wie Regin ihm im Hinausgehen einen neugierigen Blick zuwarf und erstarrte, als Tayend durch das unterirdische Portal auf die Kampffläche schritt.
Ob er etwas ahnt?, fragte Dannyl sich unbehaglich. Die Gerüchte über ihn und Tayend wurden allenthalben wiederbelebt, wann immer er der Gilde einen Besuch abstattete. Doch so diskret, wie er und Tayend ihre Beziehung handhabten, erstarben die Gerüchte so schnell wieder, wie sie aufgetaucht waren.
„Ein beeindruckender Kampf!“, rief der Gelehrte, als er näherkam. „Ihr habt Euch gut geschlagen, Auslandsadministrator.“ Er sah zu Sonea. „Und Ihr natürlich auch, Mylady.“
Sonea verzog das Gesicht. „Es freut mich, dass Ihr das so seht, Tayend. Doch es hätte besser laufen können.“
„Du hast sehr gut gekämpft“, widersprach Akkarin. „Wären deine Gegner Sachakaner gewesen, wäre der Kampf zu deinen und Dannyls Gunsten ausgegangen.“
Sonea bedachte ihn mit einem ungläubigen Blick.
„Meine letzte Strategie war nicht besonders fair. Ich wollte deine Reaktion testen. Es ist keine Schande, den Schild an unwahrscheinlichen Stellen zu vernachlässigen, doch du solltest auch in der Lage sein, ihn rechtzeitig wiederzuerrichten. Ich schlage vor, wir arbeiten in der nächsten Stunde daran.“
„Ja, Hoher Lord“, erwiderte Sonea.
Akkarin nickte. „Machen wir Schluss für heute. Auslandsadministrator Dannyl, wünscht Ihr noch über den Kampf zu diskutieren?“
„Ich würde gerne wissen, wie es Sonea gelungen ist, dass Lord Regins Gruppe die von Lord Balkan ausgeschaltet hat.“
„Das war wirklich seltsam“, stimmte Tayend zu. „Es sah aus, als würde der Angriff der einen Gruppe durch Lady Sonea und Dannyl hindurchgehen, ohne dass sie Schaden nehmen.“
Der Hohe Lord lachte leise. „Das war eine Illusion. Regin hätte niemals die andere Gruppe mit einem derart mächtigen Schlag angegriffen. Sonea und Dannyl haben sich zu Boden geduckt, so das der Angriff über ihre Köpfe hinwegging.“
„Ah“, machte Tayend. „Das ist wirklich beeindruckend!“
Sie verließen die Arena. „Hoher Lord, wie groß sind die Chancen, dass Lady Sonea und der Auslandsadministrator einen Kampf gegen die Sachakaner bestehen?“, fragte Tayend, während sie durch das Portal ins Freie schritten.
„Das kommt auf die Zahl und die Stärke ihrer Gegner an.“
„Und was ist mit ihrem Geschick?“
„Die Sachakaner kämpfen weitaus weniger geschickt als die Gildenmagier“, antwortete Akkarin. „Denn sie geben ihr Wissen nur an ihre Nachfahren weiter. Ich verwende bewusst kompliziertere Strategien für Soneas Training, um sie auf alle Eventualitäten vorzubereiten.“
Tayend wirkte erleichtert. „Also brauche ich mir keine Sorgen um Dannyl zu machen.“
Die dunklen Augen bohrten sich in die des Gelehrten. „Doch, das solltet Ihr.“
Das Sonnenlicht fiel warm durch die vergitterten Fenster der Kutsche und heizte den linken Ärmel von Soneas Robe und ihren Oberschenkel auf. An solchen Tagen fragte sie sich, warum sie nicht einfach zum Palast reiten oder zu Fuß gehen konnten. Aber wahrscheinlich gehörte auch das zu den Dingen, die sich nicht gehörten, wenn man der Hohe Lord oder in seiner Begleitung war.
In Soneas Leben war es erst das zweite Mal, dass König Merin sie und Akkarin zu einer Besprechung in den Palast beorderte. Beim letzten Mal, kurz nach ihrer Rückkehr aus Sachaka, war jedoch kein weiterer Magier dabei gewesen.
Sie warf einen Blick zur gegenüberliegenden Bank. Auf Dannyls Schoß lag eine Mappe mit Unterlagen, von denen Sonea wusste, dass sie Berichte von diplomatischen Angelegenheiten enthielten, die Dannyl während der letzten Monate bearbeitet hatte. Der Auslandsadministrator hatte mit ihr und Akkarin einige der Fälle im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit bei den Friedensverhandlungen in Duna diskutiert. Die Streitigkeiten der Lan hatten eine gewisse Ähnlichkeit zu den territorialen Problemen zwischen Duna und Sachaka sowie zwischen Sachaka und Kyralia. Die Details anderer Fälle waren Sonea indes verborgen geblieben. Sie beinhalteten vertrauliche Dinge, von denen nur der Hohe Lord und die Diplomaten wussten.
Und vermutlich der König. Es hätte Sonea nicht gewundert, würde man sie im Laufe der Besprechung nach draußen schicken. Sie verspürte jedoch weder Ärger noch Bedauern ob dieser Aussicht. Die Vergangenheit hatte sie gelehrt, dass es besser war, nicht in Erfahrung zu bringen, was nicht für ihre Ohren bestimmt war.
Dadurch, dass sie und Akkarin nicht allein in der Kutsche saßen, fühlte Sonea sich seltsam gehemmt. Für gewöhnlich genoss sie diese kurze Zweisamkeit, bevor sie den Palast erreichten, wo sie die gehorsame kyralische Ehefrau spielen musste.
Nach einer kurzen Fahrt bog die Kutsche zwischen den großen vergoldeten Toren auf das Palastgelände ein, rollte einen breiten von akkurat beschnittenen Hecken gesäumten Weg entlang und hielt dann auf dem Platz, um den herum die Skulpturen vergangener Könige aufgestellt waren.
Vor der großen Treppe hielten sie. Ein Diener eilte herbei und öffnete ihnen die Tür.
„Steig du zuerst aus“, murmelte Akkarin.
Sonea nickte und kletterte hinaus ins Sonnenlicht, gefolgt von Dannyl. Zuletzt duckte Akkarin sich durch die Tür. Draußen bot er ihr seinen Arm. Sonea hing sich daran, dann folgten sie dem Diener in einen der Türme des Palastes.
König Merin erwartete sie in einem Raum, dessen Mitte ein großer ovaler Tisch aus poliertem Nachtholz ausfüllte. Darauf standen Erfrischungen und eine Schale mit Früchten. Lord Rolden und Lord Mirken saßen zu beiden Seiten eines Stuhles, der ein Stück höher als die anderen und mit Blattgold verziert war. Als sie eintraten, wandte der König sich von dem Ausblick über den weitläufigen Palastgarten ab.
„Hoher Lord, Auslandsadministrator Dannyl, Lady Sonea. Ich grüße Euch.“
Dannyl, Sonea und Akkarin sanken auf ein Knie. „Euer Majestät.“
„Erhebt Euch“, sprach der König. Er wies auf die gepolsterten Stühle, die um den Tisch aufgestellt waren. „Und setzt Euch.“
Während sie sich setzten, eilten Diener herbei und bewirteten sie mit den Getränken. Sonea griff nach einem Glas mit Pachisaft, während die beiden Männer Sumi wählten. Wahrscheinlich gibt es im Palast nicht eine einzige Rakabohne, fuhr es ihr durch den Kopf. Ich wette, sogar die Palastdiener sind sich zu fein, um Raka zu trinken. Und aus irgendeinem absurden Grund musste sie plötzlich daran denken, dass es in Marikas Palast Raka gegeben hätte. Rasch verbannte sie den Gedanken jedoch aus ihrem Kopf und wandte sich der Diskussion zu.
„Ich habe mit den Vertretern der Herrscher der anderen Verbündeten Länder gesprochen“, eröffnete der König das Thema, nachdem er zwischen seinen Beratern Platz genommen hatte. „Anschließend habe ich meine Berater konsultiert. Wir haben einige konkrete Beschlüsse gefasst, die erfreulicherweise mit den Ideen von unserem letzten Treffen übereinstimmen. Für die übrigen müssen die Abgesandten Rücksprache mit den jeweiligen Herrschern halten. Es sind bereits Kuriere in die entsprechenden Länder unterwegs.“
„Angesichts dessen, dass Auslandsadministrator Dannyl und Lady Sonea diese Informationen frühestens in einem Monat benötigen, wird das keinen Einfluss auf die Verhandlungen haben“, sagte Akkarin.
König Merin nickte. „Ich werde Euch die Ergebnisse mitteilen, sobald sie vorliegen, so dass Ihr sie an den Auslandsadministrator übermitteln könnt.“ Er beugte sich vor, die Unterarme auf den Tisch gestützt, seine grünen Augen funkelten. „Da Auslandsadministrator Dannyl die Gilde bei dieser Konferenz alleine vertritt, ist es mein Wille, die Position, die Kyralia einnimmt, zu erörtern.“
Dannyl schluckte. Als er sprach, war seine Stimme jedoch fest. „Euer Majestät, ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um die Interessen der Gilde nach bestem Können zu vertreten.“
Der König musterte ihn. „Ich habe nichts anderes von Euch erwartet, Auslandsadministrator.“ Er machte eine Handbewegung zu Dannyls Mappe. „Unsere letzte Besprechung war rein informell und Ihr wart unvorbereitet. Angesichts unserer an jenem Abend getroffenen ersten Vereinbarungen wünsche ich von Euch zu hören, wie diese sich mit Euren übrigen Vorbereitungen vereinbaren lassen. Ich nehme an, Ihr habt bereits einige Informationen zusammengetragen, die helfen können, die anderen Parteien zu gewinnen?“
Dannyl nickte und öffnete die Mappe. „Das habe ich, Euer Majestät.“ Er nahm einen Schluck Sumi und räusperte sich. „Im ersten Jahr meiner Amtszeit hatte ich zwei Mal mit verschiedenen Stämmen der Lan zu tun. Sie streiten um ein Territorium, das jeder von ihnen zuerst besetzt haben will. Ein Stamm, der von sich behauptet, zuerst dort gesiedelt zu haben, zog auf Grund einer Naturkatastrophe fort, weswegen seine Gegner behaupten, er hätte damit das Recht verwirkt, Anspruch auf dieses Land zu erheben. Ein anderer Clan, der mit dem diesem einst verbündet war, unterstützt nun die neuen Bewohner.
„Die Situation ähnelt jener zwischen Sachaka und dem Duna-Stamm, der seit Jahrhunderten die Vorherrschaft in der Aschenwüste innehat. Das Land gehörte ursprünglich zu Sachaka, doch weil es durch seine geologischen Aktivitäten für ein sesshaftes Volk ungeeignet ist, gelang es den Duna, sich dort auszubreiten. Eine weitere Parallele wäre das Bündnis zwischen diesem Duna-Stamm und Sachaka, um die Verräter zu bekämpfen, mit welchen die Duna nie etwas zu schaffen hatten. Zumindest nicht bis zu jener Nacht, die als das Massaker von Arvice in die Geschichte Sachakas eingegangen ist.“
Er machte eine Pause. „Es gibt bei den Lan keine schriftlichen Aufzeichnungen darüber, welcher Stamm wann und wo gesiedelt hat. Deswegen lässt sich nicht zurückverfolgen, wer im Recht ist. Ähnlich verhält es sich mit Sachaka und Kyralia. Die Sachakaner behaupten, Kyralia gehöre ihnen, doch die Tatsache, dass es zwei unterschiedliche Völker sind, lässt darauf schließen, dass Kyralia vor Beginn der Aufzeichnungen von Sachaka annektiert wurde. Letztendlich lässt sich jedoch weder das eine noch das andere beweisen.“
Der König hatte das Kinn auf eine Hand gestützt. „Ich danke Euch, Auslandsadministrator“, sagte er. „Ich denke, das ist eine Grundlage, mit der wir arbeiten können.“
Obwohl Sonea einige Details über den Konflikt in Lan von Akkarin wusste, konnte sie dieses Wissen jedoch nicht beruhigen. Der Konflikt, in dem sich Kyralia und Sachaka befanden, hatte sehr viel größere Ausmaße, als jener in Lan.
„Auslandsadministrator Dannyl, habt Ihr eine Lösung für den Konflikt in Lan?“, fragte Lord Mirken.
„Ich habe an einer Lösung gearbeitet, als ich nach Imardin zurückbeordert wurde“, antwortete Dannyl. „Allerdings bezweifle ich, dass die Klärung der Schuldfrage im Fall der Lan sinnvoll ist, da sie niemals eindeutig geklärt werden kann.“
„Und was schlagt Ihr stattdessen vor?“, fragte der König.
„Sich auf die Wiedergutmachung der größten Ungerechtigkeiten zu konzentrieren und eine Lösung zu finden, mit der alle Parteien leben können. Allerdings muss dafür die entsprechende Bereitschaft bei den Parteien vorhanden sein.“
„Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, diese bei unseren Feinden zu schaffen?“, fragte der König.
Dannyl zögerte. „Bei den Verrätern sehe ich gute Chancen. Für die übrigen Parteien kann ich jedoch nicht sprechen.“
Sonea sog jäh die Luft ein. „Bis vor kurzem hätte ich gesagt, dass Kachiro diplomatischer als sein Vorgänger ist. Doch mit den neusten Informationen, die wir von den Verrätern erhalten haben, wage ich seine Absichten zu bezweifeln.“
„Was für Informationen?“, verlangte der König zu wissen.
„Es heißt, dass Kachiro die Verhandlungen nutzen könnte, um einen Angriff auf Kyralia zu planen, wenn niemand damit rechnet, Euer Majestät“, sagte Akkarin. „Das bestätigt unsere Befürchtungen und deswegen sollten wir jedes Einlenken von seiner Seite kritisch hinterfragen.“
Merin nickte. „Etwas anderes wird uns nicht übrigbleiben. Was ist mit den übrigen Parteien?“
„Die Ichani sind wahrscheinlich leicht zu beeinflussen. Als Ausgestoßene haben sie nur wenige Möglichkeiten, Forderungen zu stellen. Das zwingt sie Kompromisse einzugehen, wenn sie einen Vorteil aus den Verhandlungen ziehen wollen.“
„Und die Duna?“, fragte Lord Rolden.
„Über die Duna ist nicht viel bekannt, Euer Majestät. Doch ihnen wird ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn sowie ein starkes Ehrgefühl nachgesagt. Das bietet eine gewisse Verhandlungsbasis.“
„Ich denke, dazu habe ich bereits einige Ideen“, sagte Dannyl. „Ich muss sie jedoch noch ausarbeiten.“
„Tut dies“, sprach der König. Er musterte den jungen Auslandsadministrator und Sonea eingehend. „Ich muss doch hoffentlich nicht erwähnen, dass Ihr beide unsere größte Chance auf Frieden seid.“
Sonea schluckte. Sie wusste, wie viel von ihr und Dannyl abhing. Und dieses Wissen jagte ihr eine leise Furcht ein.
„Nein, Euer Majestät“, sagte Dannyl mit fester Stimme. „Das müsst Ihr nicht.“
Als Rothen das Büro des Rektors betrat, stellte er fest, dass er der Letzte war. Lord Balkan, der Administrator und Sonea waren bereits in dem kleinen Raum versammelt. Sofort konnte Rothen die unterschwellige Spannung zwischen den Anwesenden spüren, die aus einer Kombination aus Misstrauen, Sauertöpfigkeit, mangelnder gegenseitiger Akzeptanz und unerwiderter Liebe resultierte.
Jerrik hatte nur bedingte Sympathie für Sonea empfunden, als diese noch Novizin gewesen war. Während ihres Studiums hatte sie unfreiwilligerweise des Öfteren für Ärger gesorgt. Allerdings war der Rektor auf die wenigsten Novizen gut zu sprechen und diese Einstellung legte er nur zögernd ab, wenn diese zu Magiern wurden. Osen und Balkan hatten gelegentlich ihre Meinungsverschiedenheiten mit dem mürrischen Rektor, welchem es missfiel, wenn ihre Entscheidungen auf irgendeine Weise in den Lehrplan eingriffen. Und zu alldem war der Administrator seit Jahren heimlich in die einzige Frau in diesem Raum verliebt, von der Rothen wusste, dass sie diesen niemals in Betracht gezogen hätte, weil er ihr aller Wahrscheinlichkeit nach „zu nett“ war.
„Ich bitte um Verzeihung für die Verspätung“, entschuldigte er sich, nachdem er die Anwesenden formal begrüßt hatte. „Meine Novizen hatten noch einige Fragen, die ich nicht unbeantwortet lassen konnte.“
Jerrik winkte ab. „Ihr seid nicht der Einzige, der unpünktlich war“, sagte er und es kam Rothen vor, als würde der mürrische Rektor zu Osen schielen. Er machte eine Bewegung zu dem einzigen Stuhl, der noch frei war. „Bitte setzt Euch.“
„Danke, Rektor“, erwiderte Rothen und ließ sich zwischen Sonea und Balkan nieder. Seine Ziehtochter schenkte ihm ein kurzes Lächeln, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Rektor zu.
„Da Lady Sonea für den Rest des Halbjahres oder auch länger als Vianas Lehrerin für Kriegskunst ausfallen wird, muss eine Vertretung gefunden werden“, begann Jerrik. „Lord Rothen, Ihr betreut Viana in der Universität stellvertretend für Euren Sohn. Deswegen haben wir Euch hinzugerufen.“
Rothen nickte. Er hatte nur wenig Ahnung, welche Krieger zugleich gute Lehrer waren, ohne scheue Novizen zu verschrecken. Wäre es nach Dorrien gegangen, so würden alle charmanten und gutaussehenden Krieger zusätzlich aus der Auswahl herausfallen, was nicht viele Möglichkeiten übrigließ. Aber Dorrien war am Südpass und die Entscheidung musste jetzt getroffen werden, da Sonea in wenigen Tagen mit Dannyl nach Duna aufbrechen würde.
„Bei meinem Novizen habe ich gute Erfahrungen mit Lord Dayend gemacht“, sagte er. „Kriegskunst ist nicht gerade das, was man als Farands Lieblingsdisziplin bezeichnen könnte, doch Dayend ist es gelungen, den Unterricht so ansprechend zu gestalten, dass er gerne dort hingeht.“
Osen runzelte die Stirn. „Das wäre der vierte Lehrerwechsel für Viana“, sagte er. „Ich halte das nicht für ratsam.“
Lord Balkan strich sich über sein Kinn. „Während Soneas Einsatz am Südpass wurde sie von Lord Regin vertreten“, sagte er. „Er hat seine Sache sehr gut gemacht. Ich spreche mich dafür aus, ihm Vianas Unterricht erneut zu übertragen.“
Rothen erstarrte. Er hatte es schon damals für keine gute Idee gehalten, Viana ausgerechnet von Regin unterrichten zu lassen. Und das hatte gleich eine Vielzahl von Gründen. „Lord Regins Ablehnung gegenüber Novizen, die nicht aus den Häusern stammen, ist wohlbekannt“, sagte er, den unverfänglichsten dieser Gründe vorbringend. „Ich halte das für keine gute Idee.“
„Regins Freundschaft zu Lady Sonea beweist das Gegenteil“, entgegnete das Oberhaupt der Krieger. „Er wäre nicht mit ihr befreundet, würde er sie verachten.“
„Diese Freundschaft ist aus Regins Wunsch entstanden, Wiedergutmachung für seine Schikanen während Soneas ersten Studienjahres zu leisten“, konterte Rothen. „Er mag über ihre Herkunft hinwegsehen, doch das heißt nicht, dass er dies bei den anderen nicht-adeligen Novizen tut.“ Er warf einen Blick zu Sonea, die kaum merklich die Augenbrauen hob. Warum sagt sie nichts?, fragte er sich. Hatte sie als Dorriens Freundin nicht die Pflicht, seine Beziehung zu decken?
„Wir sollten Regin die Chance geben, sich zu beweisen“, sprach Balkan. „Als mein Assistent und möglicher Nachfolger sollte er in der Lage sein, ganze Klassen und einzelne Novizen zu unterrichten. Egal, welcher Herkunft diese sind.“
„Ich will Regin dieses Recht nicht absprechen, doch es gibt genügend andere Novizen, an denen er sich üben kann und die sich besser zu diesem Zweck eignen“, entgegnete Rothen.
„Aber es gibt momentan keinen Novizen, der nicht den Häusern entstammt und Einzelunterricht bekommt“, wandte Jerrik ein. „Auf Grund einiger Defizite im Umgang mit Menschen niederer Herkunft im Allgemeinen halte ich es zudem für besser, wenn Lord Regin sich zunächst an einzelnen Novizen aus einfachen Verhältnissen übt.“
„Das sehe ich genauso“, sagte Balkan.
Diese Aussicht gefiel Rothen nicht. Er sah hilfeflehend zu Sonea.
Administrator Osen räusperte sich leise. „Ich bin noch nicht ganz von dieser Idee überzeugt“, sagte er. „Soweit ich Lord Dorriens Novizin kenne, ist sie ein stilles scheues Wesen. Mit Lord Regin als Lehrer wäre sie möglicherweise überfordert.“
„Das denke ich auch“, sagte Sonea zu Rothens Erleichterung. „Wenn Regin sich vergisst und sie herablassend behandelt, wird sich das negativ auf ihren Lernerfolg auswirken.“
Balkan winkte ab. „Dann soll sie Lord Rothen über solche Vorfälle informieren, damit wir entsprechend reagieren können.“
„Womit das Problem erledigt wäre“, pflichtete Jerrik ihm bei.
„Viana ist kein Harrel, an dem man alchemistische Versuche durchführt!“, sagte Rothen aufgebracht ob der Gefühlskälte des Kriegers und Jerriks mangelndes Interesse, sich mit einem Novizen auseinanderzusetzen, dessen Mentor nur geringen Einfluss in der Gilde hatte. Fehlt nur noch Akkarin in dieser Runde und Vianas Schicksal ist besiegelt. „Der Schaden wäre trotzdem angerichtet.“
„Solange der Vorbereitungskurs nicht realisiert ist, müssen alle Novizen nicht-adeliger Herkunft mit der Herablassung der Lehrer und Klassenkameraden zurechtkommen“, wandte der Rektor ein. „Nur so können sie lernen, sich zu behaupten. Wir können sie nicht verhätscheln.“ Seine grauen Augen wanderten zu Sonea und musterten sie über seine Hakennase. „Tatsächlich hat diese Methode in der Vergangenheit den größten Erfolg gehabt.“
„Sonea ist kein allgemeingültiges Musterbeispiel“, widersprach Rothen. „Sie hat eine völlig andere Persönlichkeit als Viana.“
Seine ehemalige Novizin schnaubte kaum hörbar. „Danke Rothen“, murmelte sie trocken.
Der Administrator seufzte. „Lady Sonea“, begann er, „wie beurteilt Ihr als Vianas Lehrerin die Situation?“
Sonea lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und war mehr denn je eine kleine Version ihres Mannes. „Die beiden Wochen, in denen Lord Regin mich vertreten hat, haben Viana nicht geschadet“, antwortete sie. „Viana hat ihn als höflich, zuvorkommend und geduldig beschrieben. Doch Viana ist scheu. Wäre sie meine Novizin, so wäre Lord Regin als Lehrer nicht meine erste Wahl.“
„Aus welchem Grund?“, fragte Jerrik. „Ihr habt gerade seine Vorurteile gegenüber nicht-adeligen Novizen widerlegt.“
„Nun, Regin bemüht sich, seine Vorurteile nicht offen zu zeigen“, antwortete Sonea. „Ebenso wie er sich bemüht, ein guter Lehrer zu werden. Was nicht heißt, dass er sich nicht vergessen könnte, wenn er mit einem Novizen ungeduldig ist. Aber angenommen, er stört nicht an Vianas Herkunft, wäre da noch ein anderes Problem.“
Balkan runzelte die Stirn. „Und welches soll das sein?“
Sonea betrachtete das Oberhaupt der Krieger, als wäre es nicht ganz bei Verstand. „Schon als Novize verstand Regin es, den Novizinnen den Kopf zu verdrehen. Seit er ein fertig ausgebildeter Krieger ist, ist seine Beliebtheit unter den jüngeren weiblichen Gildenmitgliedern gestiegen. Sollte es ihm gelingen, Viana ebenfalls den Kopf zu verdrehen, wird sich das negativ auf ihre Leistungen auswirken.“
„Oder es würde sie zu noch größeren Leistungen antreiben“, entgegnete Balkan nicht überzeugt. „Jedes Mädchen will seinem Angebeteten gefallen.“
Nicht jedes, wusste Rothen. Er sah zu Sonea, deren Miene sich sichtlich verfinstert hatte.
„Typisch Krieger“, murmelte sie.
„Sonea hat recht“, sagte er. „Die von ihr genannten Gründe wären nicht förderlich für Vianas Ausbildung. Solch schwerwiegende Entscheidungen sollten nur im Beisein ihres Mentors getroffen werden.“
Jerriks Augen verengten sich. „Hat das etwas mit den über Lord Dorrien und seine Novizin kursierenden Gerüchten zu tun?“
Rothen erstarrte. Er hatte bereits befürchtet, dass dies zur Sprache kommen würde, als er den Grund für dieses Treffen erfahren hatte. „Welche Gerüchte meint Ihr?“, fragte er unschuldig.
„Dass Lord Dorrien und Viana ein Paar sind.“
Ich wünschte, ich hätte Dannyls Redegewandtheit, fuhr es Rothen durch den Kopf. Auch nach fast drei Jahren als Leiter der alchemistischen Studien sah er sich noch oft genug Situationen ausgesetzt, in denen er auf der Suche nach den richtigen Worten versagte.
„Davon weiß ich nichts“, log er.
„Ihr seid Dorriens Vater“, entgegnete Jerrik.
„Und als solcher wäre ich der Letzte, der von einer solchen Beziehung erfahren würde. Zudem ich es in diesem Fall umso mehr begrüßen würde, würde Viana sich in jemanden verlieben, der nicht ihr Mentor ist.“ Nur, dass das ganz bestimmt nicht Regin wäre.
„Und wen würdet Ihr dann vorschlagen?“
Rothen und Sonea tauschten einen Blick.
„Es sollte jemand sein, der einfühlsam ist und sie nicht mit übertriebener Strenge verschreckt“, sagte Sonea.
„Lord Dayend würde sich eignen“, fügte Rothen hinzu.
„Womit wir wieder bei der Frage angekommen wären, ob Viana ein erneuter Lehrerwechsel guttut“, murmelte Osen und das Oberhaupt der Krieger nickte zustimmend.
„Da Vianas erster Lehrer vor wenigen Wochen am Südpass gefallen ist, würde das nur Lord Regin übriglassen, wenn ein erneuter Lehrerwechsel vermieden werden soll“, überlegte Jerrik.
„Ich gebe Euch vollkommen recht, Rektor“, pflichtete Balkan ihm bei.
„Also soll Lord Regin den Unterricht übernehmen?“
„Das wäre nicht gut für Viana!“, protestierte Rothen verärgert. Er spürte, wie seine Argumente schwanden. „Ihre Leistungen werden leiden, ein erneuter Lehrerwechsel wäre das kleinere Übel.“
Das Oberhaupt der Krieger runzelte die Stirn. „Rothen, ich verstehe Eure Argumente gegen Lord Regin. Doch ich kann Euch versichern, dass er darum bemüht ist, mir ein guter Nachfolger zu werden, was auch seine Fähigkeiten im Umgang mit Novizen einschließt. Ich würde ihm diese einmalige Chance nur ungern verweigern. Sollte er sich wider Erwarten Viana gegenüber herablassend verhalten, so werde ich mich persönlich darum kümmern.“
Rothen unterdrückte ein Schnauben. Für ihn war das kein Trost.
„Wenn es nicht gutgeht, kann Lord Dayend den Unterricht übernehmen“, fügte Osen sanft hinzu. „Lady Sonea, wie denkt Ihr darüber?“
Sonea zögerte. „Ich denke, es ist nur fair, Regin diese Chance zu geben. Ich begrüße es nicht, doch Viana ist mit ihm vertraut und die übrigen fähigen Krieger scheiden auf Grund ihrer Lehrmethoden aus. Allerdings spreche ich mich dafür aus, dass Viana bei dem kleinsten Anzeichen von Schwierigkeiten einen anderen Lehrer erhält.“
Rothen konnte kaum glauben, was er da hörte. Wie konnte sie für Regin Partei ergreifen, wenn sie dessen Durchtriebenheit am eigenen Leib erfahren hatte? Sie wusste doch, was auf dem Spiel stand!
„Warum hast du nichts getan, als Balkan entschieden hat, Vianas Unterricht an Regin zu übergeben?“, verlangte er zu wissen, als sie nach der Besprechung durch die Flure der Universität schritten.
Die Luft vibrierte, als Sonea sie beide in einen schalldichten Schild einschloss. „Weil jeder weitere Versuch, ihn davon abzuhalten, Misstrauen erregt und den Verdacht erhärtet hätte, dass Viana mit ihrem Mentor ins Bett geht.“
Rothen blinzelte verwirrt. „Wieso sollten Jerrik und Balkan das glauben, wenn es von dir kommt?“
„Weil Dorrien und ich befreundet sind. Außerdem ist seine Eifersucht allgemein bekannt, seit er in mich verliebt war“, sagte sie hart. Sie hielt inne und ihre dunklen Augen begegneten denen Rothens. „Es tut mir leid, Rothen“, fuhr sie ein wenig weicher fort. „Ich habe alles in meiner Macht stehende versucht, Balkan von seiner Entscheidung abzuhalten. Ich habe alle Argumente gebracht, warum ich Regin nicht als Lehrer für Viana geeignet halte. Aber diese sind schwach, weil er seine Sache wirklich gut gemacht hat. Hätte ich mehr protestiert, hätten die anderen sich zu wundern begonnen, warum ich so sehr dagegen bin, dass mein bester Freund mich für einige Wochen vertritt.“
Das musste Rothen widerwillig einsehen. Er unterdrückte ein Seufzen. Warum musste Dorrien immer alles so kompliziert machen? Als er zu Sonea sah, hatte diese ihre Stirn nachdenklich gerunzelt.
„Was ist?“
„Es gäbe noch eine andere Lösung“, sagte sie mehr zu sich selbst. „Jedoch würde dein Sohn davon wahrscheinlich nicht sehr begeistert sein. Ganz besonders nicht, wenn man seine Ansichten darüber, warum ich seine Gefühle nie erwidert habe, in Betracht zieht.“
„Nein!“, sagte Rothen entschieden. „Das kommt auf keinen Fall in Frage!“
„Warum nicht? Viana kennt ihn. Er hat ihr und ihrer Schwester das Leben gerettet, als sie damals von diesem Sachakaner entführt wurden. Sie fürchtet ihn weniger, als Novizen das üblicherweise tun. Es könnte funktionieren.“
„Nein“, wiederholte Rothen erneut. „Du wirst Akkarin nicht dazu überreden, Vianas Privatunterricht zu übernehmen. Dorrien wird ausrasten.“ Zudem bezweifelte er, dass der Hohe Lord einen sanftmütigen Novizen unterrichten konnte, ohne diesen mit seiner Strenge zu verstören.
Sie hob erheitert die Augenbrauen. „Und bei Regin würde er das nicht?“
„Das ist etwas anderes. Regin mag nicht an Viana als Frau interessiert sein, aber seine Fehde mit Dorrien schwelt noch immer. Er könnte hinter das Geheimnis kommen. Und an Akkarin wiederum hat Dorrien bereits eine Frau verloren.“
„Er glaubt, mich verloren zu haben“, stellte Sonea richtig. „Ich habe ihn nie geliebt, wir waren nie zusammen. Und Akkarin ist auch nicht an Viana als Frau interessiert.“
„Das sieht Dorrien gewiss anders.“
Ein humorloses Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Wahrscheinlich. Ich sagte auch nur, es wäre die einzige Chance, Vianas und Dorriens Geheimnis zu wahren. Wenn der Hohe Lord erklärt, diesen Unterricht zu übernehmen, wird niemand das in Frage stellen.“
Das stand außer Frage. Aber dazu würde es nicht kommen. Wie Balkan sah Akkarin ein Potential in Regin, was ihn in der Vergangenheit wiederholt dazu gebracht hatte, die Förderung des Jungen zu befürworten. Er würde Regin den Vortritt lassen und ihm die Chance geben, seine Fähigkeiten als Lehrer und seine sozialen Kompetenzen zu verbessern.
Als er eine sanfte Berührung auf seinem Arm spürte, sah er auf. „Es wird bestimmt nicht so schlimm, wie du befürchtest, Rothen“, sagte Sonea. „Dorrien wird erst zu Beginn der Sommerferien zurückkehren, um Viana nach Windbruch zu bringen. Solange er fort ist, wird Regin keinen Anlass haben, ihre Beziehung auszuspionieren. Außerdem hat er sich wirklich gebessert. Er ist mein Freund, Rothen. Ich muss es am besten wissen.“
Rothen dachte daran, wie ruhig und still Viana während ihrer Aufenthalte in der Gilde war, und nickte. Im Gegensatz zu seinem lebhaften Sohn gehörte sie zweifelsohne zu den Menschen, die ein Geheimnis für sich behalten konnten.
„Mir scheint, ich muss diese Entscheidung akzeptieren.“
Sie nickte traurig. „Es tut mir leid, Rothen. Aber das fürchte ich auch.“
Sonea fluchte, als Akkarins Hitzeschlag ihren Schild erschütterte. Sie wusste, sie hätte ihn mit einer Manipulation ihrer Abwehr zu ihm zurückwerfen können, wäre sie in der Lage gewesen, sich auf ihre Strategie zu konzentrieren, anstatt auf ihren Gegner einfach nur zu reagieren. Während sie in den letzten Stunden einige Fortschritte im Personenschutz erzielt hatte, da Dannyl im Gegensatz zu Regin der angenehmere Schützling war, hatte Akkarin darauf bestanden, mit ihr noch einige Tricks für den Einzelkampf aufzufrischen.
Was sie indes noch mehr ablenkte, war die Tatsache, dass sie zum ersten Mal seit ihrer Entführung Marikas ehemaligen Beratern gegenübertreten würde. Und ihre Vorbereitungszeit ging an diesem Tag zu Ende. Am nächsten Morgen würden sie und Dannyl aufbrechen. Würden die Ashaki die Gelegenheit nutzen, sie zu töten oder Kachiro auszuliefern? Sie konnte nur hoffen, dass es nicht so weit kam, weil die Verräter ihr und Dannyl beistehen würden.
Es wäre schlimmer, müsste ich alleine gegen sie kämpfen, sagte sie sich. Aber es wäre noch besser, würde Akkarin mit mir und Dannyl gehen. Er würde mich keiner unnötigen Gefahr aussetzen. Doch sie wusste auch, sollte er in einen Konflikt zwischen seiner Loyalität zu ihr und der Gilde geraten, so würde die Gilde gewinnen.
Wir haben eine Verpflichtung der Gilde gegenüber, hatte er ihr kurz nach ihrer Wiederaufnahme gesagt. Wir müssen unsere Verantwortung über unsere Beziehung stellen.
Sonea verfluchte ihn und sich selbst für das, was sie waren. Auch sie wollte die Menschen, die ihr wichtig waren, in Sicherheit wissen. Aber sie war nicht so hart wie Akkarin. Ihre Loyalität gehörte mehr ihm als der Gilde, was nicht nur daran lag, dass diese sie und Akkarin verbannt hatte, als sie herausgefunden hatte, dass sie schwarze Magie praktizierten. Ja, sie hatte sich ihm angeschlossen, um ihre Familie und ihre Freunde vor den Sachakanern zu beschützen. Aber wegen ihm hatte sie alles aufgegeben und war ihm nach Sachaka gefolgt. Sie hätte das nicht tun brauchen, sie hätte in der Gilde bleiben können und den anderen Magiern dabei zu helfen, die Ichani zu besiegen. Doch sie hätte den Gedanken, ihm könnte in Sachaka etwas zustoßen, nicht ertragen.
Würde Sonea vor die Wahl gestellt, so würde sie sich immer wieder für ihn entscheiden. Denn im Gegensatz zu all den anderen Menschen, die sie liebte, würde sie ohne ihn nur existieren. Dass sie ihn ein halbes Jahr lang für tot gehalten hatte, war schlimmer gewesen, als an Marika gebunden zu sein.
Aber das Wohl der Gilde und Kyralias waren darüber nicht vergessen. Indem Akkarin ihre Loyalität besaß, besaßen auch die Gilde und Kyralia sie.
Etwas riss sie brutal aus ihren Gedanken und ein tödlicher Treffer erschütterte ihren Inneren Schild. Verwirrt stellte Sonea fest, dass sie ihren äußeren Schild verloren hatte. Es allmählich begriff sie, dass es ein Gedankenschlag gewesen war.
„Sonea, was ist los?“
Akkarin stellte den Angriff ein und schritt zu ihr.
„Ich …“, begann sie und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie schämte sich für ihre Unaufmerksamkeit und sie wollte nicht, dass er von ihr enttäuscht war. Schließlich hatte sie es ihm zu verdanken, dass sie in Kriegskunst als Jahrgangsbeste abgeschlossen hatte. Doch je näher ihre Mission rückte, desto schwerer wurde es. „Es tut mir leid, ich war unkonzentriert.“
„Das habe ich bemerkt.“
Sie verzog das Gesicht. Sie konnte hören, dass er nicht erfreut war.
„Sonea, ich verstehe, warum dir die Vorstellung, Marikas Beratern zu begegnen, Unbehagen bereitet“, sagte er. „Doch ich kann darauf keine Rücksicht nehmen. Sollte es in Yukai oder auf dem Weg dorthin zu einem Kampf kommen, so erwarte ich, dass du dich zusammenreißt und meinen Anweisungen bedingungslos gehorchst. Denn nur so können wir Unfälle jeglicher Art vermeiden.“
„Das verstehe ich“, erwiderte sie und fühlte sich plötzlich wieder wie seine Novizin. Zugleich erfüllten seine Worte sie jedoch auch mit Sicherheit und Wärme, weil er ihr über ihr Blutjuwel beistehen würde. „Ich verspreche, Euch zu gehorchen, Hoher Lord.“
„Ich kann dir keine vollständige Sicherheit bei dieser Aktion bieten“, fuhr er ein wenig sanfter fort. „Das könnte ich nicht einmal, würde ich dich begleiten. Aber ich würde dich nur opfern, wenn mir keine andere Wahl bleibt. Und ich denke, wir sind uns einig, dass wir diesen Fall vermeiden sollten.“
Sonea nickte stumm.
Akkarin streckte eine Hand aus und strich über ihre Wange. „Und jetzt erwarte ich, dass du dich konzentrierst, damit ich dich weiter vorbereiten kann.“
„Dann hört auf, mich wie ein neugeborenes Harrel zu behandeln.“
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Was ist es nur, was dich immer wieder dazu treibt, so hart mit dir selbst ins Gericht zu gehen und Selbiges von mir zu erwarten?“, fragte er sanft.
Sie schnaubte. „Du kennst meine Gedanken in und auswendig. Sag du es mir.“
„Das würde ich, wenn ich es wüsste. Doch die Antwort bleibt mir bis heute verborgen. Ich wage fast zu behaupten, dass diese Seite an dir schon immer da war.“
Nur, dass sie dank Marika ausgeprägter ist. Nun, im Hinblick auf Akkarin sollte ich dafür dankbar sein. Was auch immer Akkarin mit seiner Unterbrechung ihres Trainings hatte bezwecken wollen, es hatte ihre Entschlossenheit, sich dem Unvermeidlichen zu stellen, wieder zum Leben erweckt und ihre Ängste an den Rand ihres Bewusststeins zurückgedrängt.
Ihr Kinn in einer rebellischen Geste vorschiebend sah sie zu ihm auf. „Lasst uns weitermachen, Hoher Lord. Ich will den Sachakanern zeigen, dass es ein Fehler wäre, mich ein zweites Mal zu entführen.“
Er bedachte sie mit dem Halblächeln, das sie so an ihm liebte. „Das ist es, was ich von dir hören wollte.“
Er ließ von ihr ab und sie traten ein paar Schritte auseinander. „Und jetzt will ich, dass du deinen Fähigkeiten alle Ehre machst.“
„Ja, Hoher Lord“, erwiderte sie.
Sie sah die Bewegung in der Luft um ihn herum nur schemenhaft, als er seinen Schild erneut errichtete. Rasch riss Sonea ihren eigenen Schild um sich hoch, dann prasselte auch schon ein Regen aus Feuerschlägen der unterschiedlichsten Stärke auf sie, manche so schwach wie ein Betäubungsschlag, andere so stark, dass sie für sich genommen als tödlicher Treffer gegolten hätten.
Die starken Feuerschläge erkennend, passte Sonea ihren Schild an diese an. Das kostete sie mehr Energie, als würde sie diese durchlassen, doch sie wollte sich nicht darauf verlassen, dass sie diese nicht mit Schildmanipulation ablenken konnte. Sich an ihre Lektionen in Kriegskunst zurückerinnernd konterte sie mit doppelten Kraftschlägen. Obwohl Akkarin die jeweils zweiten unmöglich sehen konnte, schien er genau zu wissen, wann sie kamen.
Sonea unterdrückte einen Fluch. Er kannte sie einfach zu gut. Vielleicht hätten wir Takedo mit in die Gilde nehmen und als Übungsobjekt benutzen sollen, fuhr es ihr durch den Kopf. Der Gedanke erfüllte sie mit einer grimmigen Erheiterung, doch sie wusste, es wäre unmöglich gewesen, einen feindlich gesonnenen schwarzen Magier hier festzuhalten.
Als etwas von hinten in ihren Schild schlug, wurde sie wieder ernst. Akkarin griff mit einem Hagel Kraftschläge an, die nahezu unsichtbar waren. Einige lenkte er ab, so dass sie Soneas Schild von hinten und von oben trafen, wo sie sie nicht ablenken konnte. Einen weiteren Fluch unterdrückend griff sie mit Gedankenschlag an und sandte zugleich einen Hitzeschlag durch den Boden.
„Ich habe aus der Schlacht von Imardin gelernt“, erinnerte er sie. „Was du auch versuchst, ich werde diesen Fehler nicht noch einmal machen.“
„Es wäre schlimmer, würdest du es tun“, gab sie zurück.
Als Antwort vibrierte der Boden unter ihren Füßen, als Akkarin mehrere Kraftschläge hindurchschickte. Sonea hatte alle Mühe ihren Schild anzupassen. Obwohl dieser überall gleich stark war, erforderte es mehr Magie, ihn durch den Erdboden hindurch zu halten und Akkarins Angriffe waren unerwartet stark.
Etwas durchbrach ihre Konzentration und sie verlor die Orientierung. Ihr Schild löste sich auf und etwas schlug hart gegen ihren Rücken. Sie versuchte, sich zu bewegen, doch ihr Körper war wie paralysiert. Nach Luft japsend versuchte Sonea, ihre Sinne zurückzuerlangen.
Akkarins Schild glitt über sie. Sein Dolch blitzte, Schmerz flammte in ihrem Unterarm auf. Dann kam die Trägheit.
Er nimmt meine Magie!
Noch immer benommen versuchte Sonea, die Trägheit zu bekämpfen und sich auf die Quelle ihrer Magie zu konzentrieren. Der leuchtende Ball aus Energie schrumpfte und das in einem bedenklich schnellen Tempo.
Es war nicht das erste Mal, das Akkarin das tat. Doch es war nicht Akkarin, den sie sah. Einen plötzlichen Zorn verspürend beschwor Sonea all ihren Willen herauf, visualisierte die Schatulle, in der ihre Magie ruhte, und zwang den Deckel nach unten. Der leuchtende Ball verschwand darin und der Energiefluss stoppte. Wissend, dass es noch nicht vorbei war, öffnete sie die Schatulle genug, um nach ihrer Magie zu greifen und sich zu heilen. Dann formte sie einen Betäubungsschlag.
Akkarin taumelte rückwärts und Sonea spürte, wie sich die magische Barriere auflöste, mit der er sie an der Wand des Domes fixiert hatte. Entsetzt sah sie zu, wie er unter dem unkontrollierten Zucken seiner Muskeln zusammenbrach. Entschlossen vertrieb sie ihre Gefühle. Nach ihrem eigenen Dolch greifend, stürzte sie zu ihm, kniete sich auf seine Brust und hielt die Klinge gegen seine Kehle.
„Ich würde sagen, die Runde geht an mich.“
„Dem stimme ich zu“, brachte er hervor.
Sonea ließ ihren Dolch sinken und sandte ein wenig heilende Magie in seinen Körper. Dann legte sie beide Hände auf seine Wangen. „Es tut mir leid“, flüsterte sie. „Der Betäubungsschlag war nicht so gemeint. Für einen Augenblick habe ich ihn gesehen.“
Zu ihrer Überraschung wirkte Akkarin zufrieden. „Es war zu erwarten, dass dein Zorn auf ihn irgendwann erwacht und du ihn auf den magischen Kampf projizierst“, sagte er. „Du hast gut gekämpft.“
Sonea lächelte erleichtert. „Vielen Dank, Hoher Lord“, sagte sie.
Akkarin schob sie sanft von sich und stand auf. „Deine Taktik, mich unter dem Schild mit Betäubungsschlag anzugreifen, war effektiv und ökonomisch“, sagte er eine Hand nach ihr ausstreckend. „Jeder schwarze Magier, der dich überwältigt, würde nicht mit einer solchen Gegenwehr rechnen.“
Sonea griff nach seiner Hand und ließ sich von ihm auf die Füße ziehen. „Die Sachakaner wissen auch nicht, dass ich dem widerstehen kann.“ Marika würde diese Information für sich behalten haben. Zuzugeben, dass eine Gildenmagierin zu verhindern gewusst hatte, dass er ihre Magie nahm, hätte ihn den Respekt seiner Ashaki gekostet. Es hatte ihr dennoch nicht viel geholfen. Marika hatte ihre Kräfte blockiert und am Ende hatte er alles bekommen, was er von ihr gewollt hatte.
Sonea hoffte, diese Strategie niemals wieder gegen Akkarin einsetzen zu müssen. Es war das erste Mal, dass sie ihn innerhalb seines Schildes angegriffen hatte. Für gewöhnlich überwältigte er sie vorher. Dieses Mal hatte er sich mit seiner ausgefeilten Taktik indes selbst keinen Gefallen getan.
Obwohl die Schlacht von Imardin fast drei Jahre zurücklag, sträubte sich alles in Sonea noch immer gegen die Vorstellung, ihn zu besiegen. Auch wenn er der einzige schwarze Magier war, an dem sie sich üben konnte, erschien ihn dies falsch. Wenn sie Akkarin besiegte, war das als wäre er schwach und damit verlor er für sie ein Stück des würdevollen, ehrfurchtgebietenden und furchteinflößenden Hohen Lords.
„Genug für heute“, entschied Akkarin. „Wir haben heute viel erreicht. Das Resultat sollte dir Sicherheit für die nächsten Wochen geben. Ich will diesen Effekt nicht zerstören, indem wir noch eine Runde kämpfen.“
Sonea nickte. Sie wusste, sie hätte die nächste Runde nicht gut gemacht. Nicht nachdem sie für einen Augenblick Marika in ihrem Mann gesehen und ihren Zorn an ihm ausgelassen hatte.
„Lass uns nach Hause gehen“, sagte sie daher. „Dann können wir vor dem Essen noch ein wenig mit Lorlen spielen.“
Der Anflug eines Lächelns huschte über Akkarins Gesicht. „Das halte ich für eine gute Idee.“
In Asaras gesamtem Leben hatte die Große Mutter sie erst einmal in ihre privaten Gemächer bestellt. Als sie erfahren hatte, dass Asara die Magie ihres Gefährten entfesselt hatte. Damals war Asara nur knapp der Verbannung entkommen. „Würdest du in Arvice nicht so gute Arbeit leisten, so würde ich nicht zögern, dich für deinen Regelbruch zur Ichani zu erklären“, hatte Savedra ihr mit unterdrücktem Zorn eröffnet. „Wir verbieten unseren Männern nicht grundlos, über Magie zu gebieten. Das sachakanische Blut in ihren Adern macht sie zu Tyrannen.“
„Aber es gibt auch Ausnahmen“, hatte Asara beharrt. Auf Anhieb fielen ihr gleich ein Dutzend Ashaki ein, die sich weder an politischen Intrigen oder Nachbarschaftsfehden beteiligten, noch ihre Frauen und Sklaven schlecht behandelten. „Ich habe Vikachas Gedanken gelesen. Es käme ihm niemals in den Sinn, höhere Magie zu erlernen und seine damit verbundene Macht zu missbrauchen. Er ist mir absolut ergeben.“
Nach einer hitzigen Diskussion hatte Savedra schließlich nachgegeben, Asara jedoch das Versprechen abgenommen, Vikacha niemals in höherer Magie zu unterweisen und ihn zu töten, sollte er diese auf anderem Wege lernen. Letzteres hatte Asara nur widerwillig versprochen. Im Gegensatz zu Savedra kannte sie ihren Gefährten. Sie hätte ihn persönlich in höherer Magie unterwiesen, damit er bei seinen Missionen besser geschützt war und das wäre nicht der einzige Grund gewesen.
Asara verlangte es nach einem Mann, der ihr ebenbürtig war. Aus diesem Grund verzichtete sie darauf, höhere Magie im Bett zu praktizieren, auch wenn der Gedanke einen ungeahnten Reiz auf sie ausübte. Doch auch mit niederer Magie ließ sich eine Menge Spaß haben.
Bei ihrem nächsten Besuch in der Zuflucht hatte sie Vikacha mitbringen müssen. Die Große Mutter hatte seine Gedanken gelesen und sich persönlich von seinen Motiven überzeugt.
„Er mag dir jetzt noch ergeben genug sein, um nicht an größerer Macht interessiert zu sein“, hatte Savedra anschließend erklärt. „Doch jeder sachakanische Mann strebt in seinem Herzen danach, das Geheimnis höherer Magie zu enthüllen und zu beherrschen. Solltest du eines Tages wieder hierher versetzt werden, so werde ich seine Kräfte blockieren lassen.“
Das war etwas, das Asara schwer zu akzeptieren gefallen war. Sie hatte Savedra vorwerfen wollen, dass Vikacha dadurch wieder zu einem Sklaven würde und dass das genau das war, was die Verräter zu bekämpfen suchten. Welchen Sinn hatte es, Sklaven aus den Fängen ihrer tyrannischen Herren zu befreien, wenn sie bei den Verrätern keine Magie praktizieren durften? Sie hatte sich ihre bissige Erwiderung jedoch gespart, um Savedra nicht auf die Idee zu bringen, sie wegen ihrer Uneinsichtigkeit zur Ichani zu erklären.
Seit jenem Tag war Vikacha ein ewiges Streitthema zwischen ihnen. Obwohl Savedra die Arbeit ihrer Tochter für die Verräter schätzte, konnte sie sich nicht mit der Tatsache, dass diese ihren Gefährten in Magie unterwiesen hatte, anfreunden. Und jetzt hielt sie Asara davon ab, zu ihm zurückzukehren, obwohl ihr letzter Auftrag längst erledigt war und alle wichtigen Themen für Yukai diskutiert waren.
Wenn sie mir heute nicht endlich sagt, dass ich zurück nach Arvice kann, darf sie sich auf etwas gefasst machen!, dachte Asara grimmig, während sie durch den Tunnel zu Savedras Gemächern schritt. Im Hinblick auf die bevorstehende Konferenz war es wichtiger denn je, die Stadt zu beobachten. Kachiro ließ sich durch seine Berater vertreten, doch die Verräter würden bei den Verhandlungen einen Vorteil haben, wenn sie über die Ereignisse in der Stadt auf dem Laufenden waren. Der Zeitpunkt für Kachiros angeblichen Geheimplan war denkbar günstig. Die wichtigsten Vertreter aller am Krieg beteiligten Parteien würden in Duna sein, die Aufmerksamkeit ihrer Leute würde dorthin gerichtet sein. Und die beiden höheren Gildenmagier würden für die Dauer der Verhandlungen voneinander getrennt sein.
Noch viel interessanter für Asara war indes die Frage, was es mit Ishakas angeblicher Verschwörung gegen den Imperator auf sich hatte. Ihre und Anjiakas Leute waren bereits darauf angesetzt, doch bis jetzt hatte nicht einmal Mivara, die nun zum Haushalt eines von Ishakas engsten Ashaki-Freunden gehörte, brauchbare Informationen.
Ich weiß nur, dass Ishaka und Tarko einige vertrauliche Gespräche geführt haben, zu denen Tarko mich und die anderen Sklavinnen fortgeschickt hat, hatte Mivara berichtete. Das war noch lange kein Beweis, doch für Asara schrie das nach Verschwörung.
Savedra stand auf dem weitläufigen Balkon ihrer Gemächer, die Arme auf die Brüstung gestützt. Illara und Talaria standen zu beiden Seiten der Öffnung, die von dem Wohnraum nach draußen führte. Asara nickte ihnen zu und betrat dann den Balkon.
Als ihre Stiefel den steinernen Boden berührten, wandte Savedra sich um. „Asara“, sagte sie. „Gut, dass du so schnell gekommen bist. Es gibt einiges zu besprechen.“
„Große Mutter“, erwiderte Asara und neigte leicht den Kopf, wobei sie den Blickkontakt zu der anderen Frau hielt. „Wie kann ich dir behilflich sein?“
„Ich habe einen neuen Auftrag für dich. Ich entschuldige mich, weil du so kurzfristig davon erfährst. Doch es gibt Dinge, die ich in diesen Zeiten sogar vor meinen eigenen Töchtern geheim halten muss.“
„Weil einige von ihnen Kontakt zu Vinjiakas Rebellen haben“, folgerte Asara. Sie fragte sich, von welcher Natur dieser Auftrag war. Doch irgendwie beschlich sie das Gefühl, er würde sie an jeden anderen Ort als zurück nach Arvice führen.
Die Große Mutter nickte. „Ich kann sie dafür nicht zu Ichani erklären, da ich sie brauche und sie gute Arbeit leisten. Es ist kein Verbrechen, mit ihren ehemaligen Schwestern zu kommunizieren. Und Vinjiaka und ihre Rebellen sind uns zur Hilfe geeilt, als die Duna unsere Zuflucht angegriffen haben. Doch jetzt, wo die Rebellen an der Konferenz teilnehmen, wäre es fatal, wenn gewisse Informationen zu ihnen gelangen. Wir dürfen nicht vergessen, warum sie zu Ichani wurden.“
Da musste Asara ihrer Anführerin recht geben. Als sie das Bündnis mit den Gildenmagiern eingegangen war, hatte Savedra jene Verräter, die gegen das Bündnis waren, vor die Wahl gestellt, sich ihr anzuschließen oder die Verräter zu verlassen. Es war ein harter, aber notwendiger Schritt gewesen, um ihr Volk geschlossen durch diesen Krieg zu führen. Dadurch waren die Rebellen jedoch auch zu einer Gefahr für den Frieden geworden.
Asara trat neben die andere Frau und ließ ihren Blick über das friedliche Tal schweifen, das sie bei ihrer Initialisierung zu schützen geschworen hatte. Die Blütenpracht der Bäume und Sträucher wich allmählich einem saftigen Grün, das dem der Wiesen und Weiden gleichkam. Bei diesem Anblick kam Asara nicht umhin, sich darüber zu wundern, wie die Rebellen das Exil einem Leben in der Zuflucht vorziehen konnten. Indem sie sich gegen das Bündnis mit den Gildenmagiern gestellt hatten, hatten sie all das hier aufgegeben. Stattdessen kämpften sie nun in den Ödländern um ihr Überleben und waren mehr in den Krieg involviert als sie es gewesen wären, wären sie geblieben.
Ob sie inzwischen erkannt haben, dass es ein Fehler war? Asara kannte Vinjiaka. Der mit einer solchen Erkenntnis einhergehende Zorn würde sich nicht gegen sie selbst richten. Stattdessen würden Ashaki und deren Sklaven leiden müssen, selbst wenn sie nichts mit dem Krieg zu tun hatten.
„Das zu vergessen, wäre töricht“, stimmte sie zu. „Aber wir dürfen sie bei den Verhandlungen nicht ignorieren. Sie waren einst unsere Schwestern.“
„Die Imperialisten nehmen auch an der Konferenz teil und trotzdem traue ich Kachiro einen Überraschungsangriff zu, während seine Diplomaten mit uns und den Gildenmagiern verhandeln. Ich rechne nicht damit, dass die Rebellen sich ruhig verhalten.“
„Ich bin sicher, Belara und die anderen wissen mit ihnen umzugehen“, erwiderte Asara. „Kachiro bereitet mir größere Sorgen.“
„Nicht nur dir, meine liebe Tochter.“
„Worauf wartest du dann noch?“, fragte Asara. „Schick mich zurück nach Arvice und ich sorge dafür, dass du alle Informationen bekommst, um Kachiros heimliche Kriegspläne zu vereiteln.“
„Nein.“
Asara starrte die Große Mutter an. Sie hatte es bereits befürchtet, als Savedra von dem neuen Auftrag gesprochen hatte. Doch jetzt begann sich ein ungeheurer Zorn in ihr zu regen.
„Du verbietest mir, zurück nach Arvice zu gehen und zugleich, an der Eskorte für die Gildenmagier teilzunehmen, nur um mir jetzt irgendeinen Auftrag zu geben, der meinen Fähigkeiten nicht gerecht wird?“, entfuhr es ihr.
Savedra seufzte. „Asara, Liebes. Hör mich doch an.“
In einer rebellischen Geste verschränkte Asara die Arme vor der Brust. „Ich höre.“
„Momentan traue ich weder den Imperialisten noch den Duna oder den Rebellen“, begann die Große Mutter. „Und schon gar nicht manchen meiner eigenen Töchter. Deswegen habe ich dies bis jetzt geheim gehalten. Zusammen mit einigen anderen Verrätern aus den verschiedenen Regionen des Landes wirst du mit dem von uns zugesagten Proviant für die Konferenz nach Yukai reisen. Ihr werdet die Interessen der Verräter vertreten.“
Das hatte Asara am allerwenigsten erwartet. Sie war verwirrt. „Ich verstehe nicht ganz“, sagte sie. „Unsere Interessen werden doch von denselben Leuten vertreten, die Dannyl und Sonea nach Yukai bringen. Was soll ich dann dort?“
„Die Eskorte des Auslandsadministrators und der Frau des Hohen Lords besteht aus einigen unserer besten Kämpferinnen. Für diplomatische Angelegenheiten sind sie ungeeignet, weswegen ich ihren Einsatz während der Konferenz mit ihren Blutjuwelen vor meinen Töchtern gerechtfertigt habe. Tatsächlich war es jedoch niemals gedacht, sie wirklich die Interessen unseres Volkes vertreten zu lassen. Ihr Temperament ist zu aufbrausend.“
„Und deswegen brauchst du mich.“
„Richtig.“
„Wer wird noch gehen?“
„Zalava, Lahiri und Nirili. Wahrscheinlich noch Ivara und Arlava – das werde ich im Laufe des Tages entscheiden.“
„Aber“, begann Asara. „Einige von ihnen könnten den Ashaki bekannt sein.“
„Ihr werdet Schleier tragen.“
Asara schnitt eine Grimasse. Sie hasste Schleier. Selbst die leichten, durchscheinenden, die sich so großer Beliebtheit erfreuten, seit ein Ashaki einen Weg gefunden hatte, die Stoff schimmern zu lassen.
Allmählich begann der Plan jedoch einen Sinn zu ergeben. Asara war indes alles andere als glücklich damit. „Ich verstehe, warum du mich für diesen Auftrag brauchst“, sagte sie. „Aber ich könnte in Arvice eine größere Hilfe sein. Das Netzwerk ist noch lange nicht aufgebaut und unsere Delegation wird jeden nützlichen Hinweis brauchen, den sie aus der Stadt bekommen können.“
„Anjiaka wird diese Aufgabe übernehmen. Sie hat bereits einige eigene Leute aus Ashaki Sarakis Haushalt für unsere Sache gewonnen. Sie werden sich mit deinen Informanten austauschen.“
„Meine Leute brauchen mich“, beharrte Asara verärgert.
„Du brauchst deinen Bettgefährten“, schnitt ihr Savedra das Wort ab. Ihr Blick wurde missbilligend. „Du wirst dich nach Yukai begeben und die Interessen der Verräter aus der Stadt vertreten. Da es dir in Gesellschaft nicht erlaubt ist unaufgefordert zu sprechen, werden die Ashaki dich nicht an deiner Stimme erkennen. Deinen Leuten kannst du auch von Yukai aus über ihre Blutjuwelen Anweisungen erteilen.“
„Bei unserer letzten Diskussion hast du noch etwas anderes gesagt.“
„Weil ich einen Vorwand brauchte, um dich hierzubehalten.“ Ein humorloses Lächeln umspielte Savedras Mundwinkel. „Sieh es einmal so, Asara. Seit Monaten versuchst du, mit deinen Leuten an Ashaki Ishakas Bettsklavin heranzukommen. Yukai wird dir da eine einmalige Gelegenheit bieten.“
Asara schnaubte. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass er sie mitnimmt?“
„Ishaka ist auch nur ein Mann. Er wird Wochen, wenn nicht sogar den ganzen Sommer über fort sein. Da wird er wohl kaum auf die einzige Frau verzichten wollen, die er insgeheim begehrt.“
„Wenn du das so ausdrückst, wird es wohl stimmen.“
Savedra lächelte, dann wurde sie wieder ernst. „Ihr werdet heute Nacht aufbrechen. Bis dahin erwarte ich, dass du kein Wort über deinen Auftrag verlierst. Auch nicht gegenüber den anderen, die mit dir reisen werden.“
Obwohl Sonea als Frau des Hohen Lords an formale und weniger formale Dinner mit den Menschen, die sie liebte, gewöhnt war, ließ dieses ihr Herz schwer werden. Der Tisch im Speisezimmer der Residenz war gerade groß genug, um allen Gästen Platz zu bieten, weil auch Dannyl und sein Assistent gekommen waren. Sie war froh, dass Farand und Viana zu sehr mit Lernen beschäftigt waren, Jonna und Ranel die Magier fürchteten und ihr Freund Cery wenige Stunden zuvor abgesagt hatte, weil er mit seinen Leuten einen brutalen Mörder quer durch die Hüttenviertel jagte, dem er schon seit Wochen auf der Spur war.
An diesem Abend war die Stimmung erfrischend informell, was Sonea begrüßte, weil sie auf diese Weise nicht gezwungen war, die weiblichen Gäste zu unterhalten. Selbst Akkarin schien sich nicht ganz ernstzunehmen, wie sie aus seinen teils selbstironischen Bemerkungen schloss. Das Gelächter und der viele Wein konnten sie jedoch nicht von dem ablenken, was ihr in den nächsten Tagen und Wochen bevorstehen würde.
Es ist fast wie das Dinner an dem Abend, bevor wir in den Krieg gezogen sind, dachte sie. Nur dass sie damals bei Rothen gewesen waren und statt Regin, Trassia, Luzille und Balkan, Rothens betagte Freunde mit von der Partie gewesen waren. Lord Yaldin war jedoch im Krieg gestorben und seine Frau war nach Elyne gegangen, um den Lebensabend bei ihrer Familie zu verbringen.
Das Gefühl war dem von damals jedoch erschreckend ähnlich. Während Sonea in den vergangenen Tagen zu sehr mit den Vorbereitungen beschäftigt gewesen war, um in Panik zu verfallen, und sie die Nächte dank des Nemmins durchgeschlafen hatte, fiel es ihr nun, so wenige Stunden von ihrem Aufbruch, schwer sich abzulenken.
Bei meinem letzten Ausflug nach Sachaka bin ich entführt worden, dachte sie. Jetzt würde sie dort die Strafe für den Mord an Marika erwarten. Die Sachakaner würden sie töten wollen, oder – was für Sonea noch schlimmer war – sie zurückverlangen, um ihr zu zeigen, wo ihrer Meinung nach ihr Platz war.
Der Gedanke ließ sie schaudern. Dank ihrer Ringe würde Akkarin sie finden. Aber er würde ihren Tod nicht verhindern können, sollten die Sachakaner sich dazu entscheiden, sie zu töten. Mit einem Mal kam ihr der Trip zum Südpass, wo sie gegen die Ichani gekämpft hatten, wie eine Routineangelegenheit vor.
Der Klang ihres Namens ließ sie zusammenzucken.
„Ja?“
Sie wandte sich zu Luzille, die sie erwartungsvoll ansah.
„Sonea, was meinst du dazu?“
„Wozu?“, fragte sie.
„Ob ein Kurs in Sozialverhalten für die Novizen aus den Häusern nicht eigentlich absolut überbewertet wird.“
Sonea nippte an ihrem Wein. „Wer sagt, dass das überbewertet wäre?“, fragte sie.
Die Gilde hatte den Kurs längst genehmigt. In wenigen Wochen würde Rothen ihn gemeinsam mit Lord Larkin starten. Im Herbst würde Sonea den Kurs für die Winternovizen mit Rothen halten.
Wenn ich zurückkehre …
„Na, unser Lord ich-wäre-so-gern-Oberhaupt-der-Krieger.“ Mit einer lakonischen Geste wies die junge Elynerin zu Regin, der mit selbstgefälliger Miene sein Jari-Steak in gleichgroße mundgerechte Stücke zerteilte.
Trassia beugte sich zu ihr. „Du hast gar nicht zugehört, nicht wahr?“, flüsterte sie.
„Tut mir leid, ich war abgelenkt.“
„Machst du dir Sorgen wegen deiner Reise?“
„Ich bin noch einmal durchgegangen, ob ich wirklich alle Vorbereitungen getroffen habe“, wich Sonea aus. Sie hasste es, ihre Freundin anzulügen, doch sie konnte es noch weniger über sich bringen, sich vor Trassia gegenüber einzugestehen, was seit ihrer Entscheidung in ihr vorging. Einen weiteren Schluck Wein trinkend sah sie zu Regin und Luzille.
„Überbewertet wäre ein solcher Kurs nur, wenn die Sprösslinge der Häuser nicht so arrogant und verwöhnt werden“, sagte sie. „Jedoch finde ich, dass es auch einigen Magiern guttun würde, einen solchen Kurs zu besuchen.“
„Ich wüsste da schon ein paar geeignete Kandidaten“, murmelte Dannyl.
Rothen hustete in sein Weinglas. „Nicht nur du.“
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Gewisse Verhaltensregeln sollten für jeden Gildenmagier Voraussetzung sein, der uns nach außen repräsentiert. Dies gilt insbesondere für höhere Magier und jene, die eine solche Position anstreben.“
Alle Gäste bis auf Regin begannen zu lachen. Sonea sah zu ihrem Mann. Als ihre Blicke sich trafen und er sie mit seinem Halblächeln bedachte, machte ihr Herz einen Sprung. Mit einem Mal fragte sie sich, wie sie die vor ihr liegenden Wochen ohne ihn überstehen sollte. Seit ihrem Entschluss, Dannyl zu begleiten, hatte so viel zwischen ihnen gestanden. Akkarin war mehr denn je um ihre Sicherheit besorgt und ihre Träume von Marika hatten ihre Beziehung verkompliziert, doch während der Vorbereitung auf ihre Mission, waren sie einander auf einer anderen Ebene nähergekommen. Sie wünschte, ihnen bliebe die Zeit, das zu vertiefen. Die vergangenen Wochen hatten ihr gezeigt, dass die tiefe sexuelle Ebene, die sie erreicht hatten, nicht alles war, was ihre Liebe ausmachte, wenn auch sie durch ihre bedingungslose Liebe überhaupt erst zustande gekommen war. Aber sie war auch dankbar, dass sie ihn nicht mit dem Gefühl verlassen musste, dass etwas zwischen ihnen nicht mehr stimmte.
Trotzdem bringt mich der Gedanke, ihn vielleicht niemals wiederzusehen, um … Das halbe Jahr in Arvice war sie innerlich tot gewesen. Sie hatte existiert, einzig angetrieben von ihrem Überlebensdrang und völlig beherrscht von ihrer dunklen Seite. Diese Erfahrung hatte sie verändert, ohne Akkarin wäre nichts von der alten Sonea zurückgekehrt.
„Ich weiß nicht, warum ihr alle so auf mir herumhackt“, sagte Regin mit Unschuldsmiene. „Meine Freundschaft zu Sonea sollte alle inzwischen doch eines Besseren belehrt haben.“
„Mein Lieber, wem willst du hier eigentlich etwas vormachen, wenn wir doch alle die Wahrheit kennen?“, flötete Luzille.
Rothen und Dannyl brachen in lautes Gelächter aus. Doch auch Sonea konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ein Seitenblick zu Trassia verriet, dass auch ihre Freundin erheitert war. Ihre Schwierigkeiten haben sich wirklich aufgelöst, dachte Sonea erfreut. Während der Vorbereitung auf ihre Mission hatte Sonea kaum Gelegenheit gehabt, sich um ihre beiden Freunde zu kümmern. Doch Trassia hatte offenkundig erkannt, dass ihre Eifersucht, wenn Regin mit anderen Frauen sprach, völlig unbegründet war. Sie schien sogar akzeptiert zu haben, dass Regin noch nicht bereit für Kinder war.
Wenn ich fort bin, müssen sie ihre Probleme ganz ohne mich lösen, dachte sie. Es war eines der vielen Dinge, um die sie sich sorgen und die sie vermissen würde, wenn sie erst einmal fort war. Der Gedanke stimmte sie wehmütig und verstärkte ihre Furcht, nicht zurückzukehren. Ob es Dannyl ähnlich erging?
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Akkarins Augen zu ihr blitzten. Als ihre Blicke einander begegneten, hob er eine fragende Augenbraue.
Denk nicht darüber nach, befahl Sonea sich. Das macht den Abschied nur umso schwerer.
Ihre Gedanken vertreibend wandte sie sich wieder ihren Gästen zu.
Trotz der heiteren Stimmung konnte Rothen sich an diesem Abend eines hartnäckigen Gefühls von Abschied nicht erwehren. Zwei der Menschen, die ihm am nächsten standen, würden am nächsten Tag zu einer gefährlichen Mission aufbrechen. Obwohl sämtliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden waren und Sonea und Dannyl unter dem Schutzmantel der Diplomatie reisen würden, fürchtete Rothen um die beiden. Auf dem langen Weg nach Yukai konnte viel passieren und er scheiterte an der Vorstellung, dass sechs verfeindete Parteien lange friedlich an einem Ort ausharren konnte, selbst wenn dieser heilig war. Angesichts der Ereignisse seit Winterende konnte er nicht glauben, dass alles gutging.
Ganz wie ihr Mann ließ Sonea sich nichts von ihren Emotionen anmerken. Seit ihrer Entführung hatte sie gelernt, andere nicht sehen zu lassen, was in ihr vorging. Nur, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, konnte Rothen aus dem Ausdruck in ihren Augen lesen, dass ihr Auftrag sie doch nicht so kalt ließ, wie sie vorgab.
Auch wenn Dannyl seine Gefühle mit seiner üblichen Heiterkeit überspielte, war Rothen sicher, dass es ihm nicht anders erging. Allerdings war er Diplomat und zweifelsohne darin geübt, die Menschen in seiner Umgebung nur genau das sehen zu lassen, das sie sehen sollten.
Wenn es nach mir ginge, würde keiner von beiden gehen, dachte Rothen. Doch er wusste, das war unmöglich. Sollte es je zu einem Frieden kommen, so war Dannyl die größte Chance, diesen herbeizuführen. Und Sonea stellte seine größten Überlebenschancen dar.
Die Tür öffnete sich und Takan betrat das Speisezimmer mit einem Tablett voll Dessertschälchen. Rothen erhaschte einen Blick auf winzige Kuchenstücke verziert mit Früchten und einer gelblichen Creme.
„Kegelkuchen mit einer Füllung aus Pachiwein an Fruchtmus und Piorres-Sahne“, erklärte der Diener, als er die Schälchen vor ihnen abstellte.
„Oh, das klingt wundervoll!“, rief Luzille. „Wenn ich doch nicht schon satt wäre!“
„Ich kann Euch Eure Portion einpacken“, bot Takan an.
„Oder du gibst sie jemandem, der noch Hunger hat“, feixte Regin.
Luzille schenkte dem Assistenten ihres Mannes ein raubtierhaftes Lächeln. „Diese Chance hast du dir heute verspielt, mein Lieber!“
Eine Grimasse schneidend, steckte Regin seine Gabel in das Schälchen vor seinem Platz. Auch Rothen griff nach seiner Gabel und probierte ein kleines Stück. Ein köstlicher süß-säuerlicher Geschmack kombiniert mit der leichten alkoholischen Note des Weines breitete sich in seinem Mund aus. An diesem Abend hatte Akkarins Diener sich wahrhaftig selbst übertroffen.
Rothen ließ seine Gabel sinken. Mit einem Mal war ihm der Appetit vergangen. Als er zu Sonea sah, bemerkte er, dass auch sie ihr Dessert kaum anrührte, während ihre Gäste sich gierig darüber hermachten.
Lord Balkan und seine Frau waren die Ersten, die sich verabschiedeten. „Hoher Lord, Luzille und ich bedanken uns für die Einladung und wünschen Euch und Eurer Frau eine gute Nacht.“
„Sonea und ich wünschen Euch ebenfalls eine gute Nacht“, erwiderte Akkarin.
Das Oberhaupt der Krieger sah zu Sonea. „Viel Glück bei Eurer Mission“, wünschte er und nickte ihr knapp zu.
Dann trat Luzille vor und schloss die kleine schwarze Magierin in ihre Arme. „Pass auf dich auf, meine Süße“, hörte Rothen sie flüstern. Soneas Antwort konnte er indes nicht verstehen. Verlegen machte sie sich los, dann traten Regin und Trassia zu ihr, um sich zu verabschieden.
Seine Serviette beiseitelegend erhob Rothen sich. „Ich sollte auch gehen. Die Erstjahresnovizen wollen zur ersten Stunde unterrichtet werden.“
„Du meinst wohl, du willst sie zur ersten Stunde aus dem Bett scheuchen“, feixte Dannyl.
„Ah, genau das!“, rief Rothen.
„Wir begleiten dich. Die allgemeine Aufbruchsstimmung hat auch mich angesteckt.“ Dannyl leerte sein Glas und nickte seinem Assistenten zu. „Kommst du?“
„Sofort, Auslandsadministrator.“ Tayend stellte sein Weinglas ab und erhob sich.
Gemeinsam traten sie vor die beiden schwarzen Magier.
„Tayend und ich danken für die Einladung“, sprach Dannyl. „Das Essen war wie immer ein Genuss.“
„Ich werde Euer Lob an Takan weitergeben“, erwiderte Akkarin.
Dannyl neigte respektvoll den Kopf. „Hoher Lord, ich wünsche Euch und Eurer Frau eine geruhsame Nacht.“ Er zwinkerte Sonea zu. „Wir sehen uns in wenigen Stunden.“
Sonea nickte. „Schlaft gut.“ Sie lächelte Tayend zu. „Und Euch wünsche ich eine schöne Zeit hier in der Gilde. Lasst Euch nicht dazu nötigen, Tag und Nacht in verbotenen Büchern zu lesen.“
„Oh, ich könnte mir keine angenehmere Strafe vorstellen!“, erwiderte Dannyls Assistent erheitert.
Zuletzt trat Rothen vor. „Pass auf dich auf“, sagte er. Einem unwillkürlichen Impuls folgend nahm er Sonea in die Arme. „Und pass auf Dannyl auf“, flüsterte er.
„Das werde ich“, versprach sie. „Und mach dir nicht so viele Sorgen. Wir werden diesen Auftrag überstehen und dann werden wir dem Frieden ein großes Stück nähergekommen sein.“
Ich wünschte, ich könnte das glauben. Stattdessen setzte er ein Lächeln auf und bestärkte Sonea von dieser Idee. Sie würde jede Zuversicht brauchen, die sie bekommen konnte.
„Kommst du noch mit auf eine Tasse Sumi oder ein Glas Pachiwein?“, fragte Rothen, während sie den Weg zur Universität entlang schritten.
„Das würde ich liebend gerne.“ Dannyl warf einen Blick zu seinem Assistenten. „Doch ich fürchte, ah, ich muss meinem Assistenten noch einige Anweisungen für die Dauer meiner Abwesenheit geben.“
Rothen runzelte die Stirn. „Hattest du dafür nicht den ganzen Tag Zeit?“
„Da war ich mit meinen eigenen Reisevorbereitungen und einem letzten Training in der Arena beschäftigt.“ Sein Freund lächelte glatt. „Du weißt doch, ich werde mich morgen der größten diplomatischen Herausforderung meiner Karriere stellen. Was meinst du, was es dafür alles vorzubereiten gab?“
„Ich kann es mir denken“, murmelte Rothen. Seit die Gilde Dannyl zum Botschafter ernannt hatte, hatte er einige Abenteuer erlebt, die Rothen schlaflose Nächte bereitet hatten – allem voran seine Reise nach Arvice mit seinem Vorgänger. Damals wie heute war Rothen besorgt gewesen. Daran änderte auch nichts, dass Dannyl von einer hervorragenden Kriegerin begleitet wurde, die mehr als das Hundertfache ihrer eigenen Magie besaß, und dass sie ihre Reise vom Nordpass an mit einer Eskorte von Verrätern fortsetzen würden.
Dannyls Mission war gefährlich. In Yukai würde er nicht mit nur einem Gegner, sondern gleich mehreren verhandeln müssen. Und auch auf dem Weg dorthin lauerten zweifelsohne zahlreiche Gefahren.
Auf dem Platz vor der Universität wartete eine Kutsche. Dannyl blieb stehen.
„Dann heißt es jetzt Abschied nehmen.“
Rothen nickte. Er klopfte Dannyl auf die Schulter. „Pass auf dich auf“, sagte er. „Und auf Sonea.“ Einem plötzlichen Impuls folgend schloss er Dannyl in seine Arme. „Ich will, dass ihr beide lebend zurückkommt.“
„Ich werde versuchen, mich nicht in allzu große Gefahr zu begeben“, erwiderte Dannyl. „Versprechen kann ich dir jedoch nichts. Schließlich bin ich kein schwarzer Magier.“
„Und das ist auch gut so.“
Lachend löste Dannyl sich von ihm. „Also dann, alter Freund. Pass du auch auf dich auf. Und auf deine Novizen, dass sie dir nicht die Universität in die Luft jagen.“
„Wahrhaftig!“, rief Rothen. „Nicht einmal zusammengenommen haben sie so viele Flausen im Kopf wie du, alter Feind!“
„Und trotzdem ist etwas aus mir geworden.“ Dannyl klopfte ihm auf die Schulter. „Wir sehen uns in ein paar Monaten.“ Er nickte Tayend zu und bestieg die Kutsche.
Das hoffe ich, dachte Rothen. „Ich wünsche dir eine gute Reise. Ich würde ja kommen, um dich zu verabschieden, aber um diese Zeit werde ich noch tief und fest schlafen.“
„Schon gut“, winkte sein Freund ab. „Ich denke, wir hatten heute Abend genug Zeit, uns zu verabschieden.“
Dann klopfte er gegen das Dach und die Kutsche rollte an.
Rothen sah ihr nach, wie sie durch die Tore der Gilde in den Inneren Ring rollte, und fragte sich, warum Dannyl die Besprechung mit seinem Assistenten nicht in seinem eigenen Quartier abhalten konnte, wenn er doch bereits in wenigen Stunden seine Reise antreten würde, und warum die Menschen, die er liebte, die schlechte Angewohnheit besaßen, sich andauernd in Gefahr zu begeben.
Sonea trug die Schatulle mit ihren Dolchen zu dem Tisch in der Mitte des Kellerraums und löste das magische Schloss. Eine Weile betrachtete sie die beiden Klingen und ihre juwelenbesetzten Griffe schweigend. Beide hatten ihre eigene grauenhafte Geschichte und waren mehr als nur Trophäen. Die linke hatte sie einst aus Akkarins Brust gezogen, als sie ihm bei der Schlacht von Imardin das Leben gerettet hatte.
Der anderen Klinge hatte sie die zahlreichen Narben an ihren beiden Unterarmen zu verdanken. Anstatt Leben zu retten, hatte sie sich mit diesem Dolch ihre eigene Freiheit erkauft. Doch Sonea wusste, dieser Vergleich hinkte. Sie mochte den Besitzer dieser Klinge getötet haben, doch die Narben an ihren Armen und die Tätowierung einer Sichel mit Blutstropfen auf ihrem Schulterblatt, sagten etwas anderes. Die Narben würden nie verschwinden und sie wusste genug über Heilkunst, um sicher zu sein, dass die Entfernung ihrer Tätowierung ebenfalls eine Narbe zurücklassen würde, die sie anstelle des Abbilds an ihre Bedeutung erinnern würde.
Sonea widerstand dem Drang, den rechten Dolch auszuwählen. Obwohl er für sie inzwischen eine größere Bedeutung als der Karikos hatte, sprachen mehr als nur die Schuldgefühle gegenüber ihrem Mann dagegen. Auf der Konferenz würde dies als offene Provokation gegenüber den Imperialisten gelten. Sie würden das Cravas auf der Klinge erkennen und es als Beweis sehen, dass sie den letzten König von Sachaka getötet hatte.
Beinahe halbherzig wählte sie den linken und legte ihn zu dem Ledergürtel, mit dem sie den Dolch an ihrer Hüfte tragen würde.
„Sonea.“
Sie sah auf. Am anderen Ende des Tisches hatte Akkarin mehrere Gegenstände abgelegt. Sie entdeckte einen Speicherstein und mehrere Phiolen mit einer klaren Flüssigkeit. Und zwei kleine grüne Juwelen.
„Es ist Zeit, dir deinen Geheimniswahrer zu geben.“
Sonea erschauderte. „Dann bringen wir es hinter uns.“
„Komm her.“
Sie umrundete den Tisch, dankbar, weil er ihre unerfreulichen Gedankengänge unterbrochen hatte und sie nicht länger über den Dolch mit dem Cravas nachdenken brauchte. Vor ihm blieb sie stehen.
„Beug dich nach vorne.“
Sie gehorchte. Seine kühle Hand strich die Haare in ihrem Nacken zur Seite und drückte ihren Kopf hinab, dann spürte Sonea einen kurzen heftigen Schmerz, als er die Haut an ihrem Haaransatz aufschnitt. Rasch blockierte sie die Nerven in dieser Region. Dumpf spürte sie, wie er etwas kleines, Hartes in den Schnitt schob, bis es von der Haut komplett verdeckt wurde. Dann durchströmte sie heilende Magie und sie musste dem Drang widerstehen, sich zu kratzen, als sie ihre Nervenbahnen wieder freiließ.
Nachdem Akkarin das Blut in ihrem Nacken mit einem Tuch weggewischt hatte, ließ er sie los.
Einen tiefen Atemzug nehmend richtete Sonea sich auf. Sie konnte den Fremdkörper unter ihrer Haut deutlich spüren und hoffte, sie würde sich bald daran gewöhnt haben. Aber ich werde ihn entfernen, sobald ich wieder zuhause bin, entschied sie. Denn sie ahnte, mit diesem schwarzmagischen Artefakt würde ein Stück ihrer Vertrautheit mit Akkarin fehlen, hatte sie erst einmal gelernt, es zu verwenden.
Akkarin streifte seinen Handschuh ab und legte ihn auf den Tisch. Dann berührten seine Finger ihre Schläfen. „Ich werde dir jetzt zeigen, wie du es kontrollierst.“
Sonea nickte und schloss die Augen. Sofort wurde sie sich seiner Präsenz bewusst.
- Ich werde versuchen, deine Gedanken zu lesen, sandte er. Ich werde nichts anrühren, das dich quält. Für den Lerneffekt werde ich jedoch etwas wählen, dass dir unangenehm genug ist, um es für dich behalten zu wollen. Ist das in Ordnung?
- Ja, antwortete Sonea.
- Gut. Um mich daran zu hindern, musst du das hier tun.
Er sandte ihr eine Folge von Bildern und Gedanken und Sonea begriff, dass das Prinzip ähnlich war, wie bei einem Blutjuwel, das sie kontrollierte. Nur, dass sie dieses Wissen dieses Mal auf sich selbst anwenden musste. Jedoch wurde es schwieriger, ihre Gedanken zu kontrollieren, je tiefer sie unter der Oberfläche lagen.
- Es wird einfacher, wenn du mehr Übung hast, versicherte er ihr.
Nach einigen erfolglosen Versuchen, in denen Akkarin sie mit Erinnerungen aus ihrem ersten Jahr piesackte, begann Sonea das Prinzip zu begreifen. Anschließend übten sie, wie sie ihren Geheimniswahrer einsetzen konnte, um ihre Gedanken bei einer Wahrheitslesung verborgen zu halten oder zu manipulieren. Obwohl ihr schon bald der Kopf vor Anstrengung schwirrte, gelang es ihr nach einer Weile, ihre Gedanken vor Akkarin zu verbergen.
„Gut gemacht“, lobte Akkarin, als er schließlich von ihr abließ.
Sonea rieb sich die Schläfen. „Dann muss ich mir jetzt nur noch eine gute Geschichte überlegen, die ich den Sachakanern vorgaukeln kann, wenn sie versuchen, meine Gedanken zu lesen.“
„Ich bin sicher, dir und Dannyl wird etwas einfallen. Ihr solltet nur darauf achten, dieselbe Geschichte zu verwenden.“
Sie verkniff sich ein Grinsen. So wie sie Dannyl kannte, würde er genügend Ideen haben, wie sie die Sachakaner täuschen konnten.
„Sonea, ich will, dass du Dannyl morgen seinen Geheimniswahrer gibst und ihn während Eurer Reise lehrst, was ich dir gerade gezeigt hatte. Im Gegensatz zu dir besitzt er keine Vorkenntnisse auf diesem Gebiet, also musst du gleich morgen damit beginnen, damit er es bis zur Grenze beherrscht. Vereinbart eine Erinnerung, die nicht angenehm oder schmerzhaft ist, um daran zu üben.“
„Ja, Hoher Lord“, sagte sie.
Kurz nach Dannyls Ankunft hatten sie ein wenig von seinem Blut genommen, um seinen Geheimniswahrer herzustellen. Wie Speichersteine wuchsen sie durch Kristallisation. Da hörte die Gemeinsamkeit beider Herstellungsprozesse jedoch auf. An diesem Tag hatten sie die winzigen Kristalle zu kleinen ovalen, nicht größer als Sonea kleiner Fingernagel geschliffen – klein genug, um unter der Haut nicht aufzufallen oder ein permanentes Fremdkörpergefühl auslösten.
„Als Diplomat besitzt Dannyl vertrauliches Wissen über verschiedene innen- und außerpolitische Angelegenheiten der Verbündeten Länder und er kennt die Geheimnisse einiger wichtiger Persönlichkeiten, deren Enthüllung einen Skandal verursachen könnte.“ Akkarins Stimme war leise geworden, und hatte einen warnenden Unterton. „Ich will, dass du seine Gedanken sofort auf etwas anderes lenkst, solltest du bei der Erforschung seines Geistes an etwas gelangen, was ihm unangenehm ist oder vertraulich scheint.“
„Ja, Hoher Lord“, wiederholte sie.
„Solltest du dennoch etwas erfahren, das zu wissen dir nicht bestimmt ist, so behandele dieses Wissen vertraulich und sorge dafür, dass niemand davon aus deinen Gedanken erfahren kann.“
Sonea nickte ernst. Sie wusste, wie viel davon abhing. „Warum hast du Dannyl nicht selbst unterwiesen?“
„Weil ihr beide lernen müsst, einander bedingungslos zu vertrauen“, antwortete der Hohe Lord. „In den nächsten Wochen und Monaten werdet ihr aufeinander angewiesen sein. Es ist wichtig, die dafür nötige Basis zu schaffen.“ Er machte Pause und ein schiefes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Zudem fürchtet Dannyl dich im Gegensatz zu meiner Person nicht.“
Das glaubte Sonea ihm ungefragt. Akkarin war ein Mann, bei dem man nicht umhin kam, ihn zu fürchten. Sie selbst war davon nicht ausgenommen. Doch anders als die anderen Magier wollte sie die Wirkung, die das auf sie hatte, nicht missen.
Akkarin wies zu den anderen Gegenständen. „Ich will, dass du diese Dinge zu deinem und Dannyls Schutz mitnimmst. Halte sie in deinem Gepäck verborgen und erwähne sie gegenüber Dannyl nicht. Wenn unsere Feinde trotz aller Vorkehrungen aus seinen Gedanken von der Existenz dieser Gegenstände erfahren, könnte das als Akt der Provokation gewertet werden. Zudem wird seine Glaubwürdigkeit erhöht, wenn er nichts von ihrer Existenz weiß.“
Sonea nickte erneut. Die beiden Speichersteine enthielten zweifelsohne einen großen Teil der Magie, die Akkarin dem sachakanischen König entnommen hatte, als er sie gefunden hatte. Und das war etwas, was die Sachakaner besser nicht erfuhren. „Ich werde ihre Existenz für mich behalten und sie nur verwenden, sollten wir uns in Gefahr befinden.“
Akkarin musterte sie durchdringend. „Sei vorsichtig mit den Phiolen“, warnte er. „Auch wenn wir sie bereits in den Bergen eingesetzt haben, sind diese Prototypen noch nicht ausreichend getestet. Verwende sie nur im äußersten Notfall. Für den Fall, dass ihr in einen Kampf geratet, gebe ich dir einen zweiten Beutel mit den leichteren magisierten Schildsenkern für Dannyl mit.“
„Danke, Hoher Lord“, flüsterte Sonea tief bewegt, weil er so sehr um ihre Sicherheit besorgt war. Mit einem Mal war ihr mehr denn je bewusst, wie gefährlich ihre Mission war und dass es dieses Mal vielleicht wirklich ihre letzte Nacht mit Akkarin war.
Plötzlich glaubte Sonea, noch nicht bereit für diese Mission zu sein. Wochenlang hatte sie sich vorbereitet. Sie hatte ihre Forschung Akkarin und Sarrin übertragen. Die Magier würden jeden Abend ihre verbleibende Magie in den Dome geben, um für alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Lorlen war in guten Händen, und sie hatte dafür gesorgt, dass Berryl das Haus, das sie für ihre Familie ausgesucht hatte, nicht weiterverkaufen würde, obwohl sie weder einen Vertrag unterschrieben noch eine Anzahlung gemacht hatte. „Harkin hat mir versichert, ein Auge auf ihn zu haben“, hatte Akkarin ihr gesagt. „Sollte Berryl versuchen, das Haus an einen anderen Interessenten zu verkaufen, wird er daran erinnert, mit wem du verheiratet bist.“
Alles, was es zu regeln gab, war erledigt. Und doch fürchtete Sonea sich davor, zu gehen. Oder war es genau deswegen?
„Mach mir ein Blutjuwel, das sich nicht mehr entfernen lässt“, verlangte sie.
Sie kannte seine Antwort bereits, bevor er sie ausgesprochen hatte.
„Nein.“
„Dann mach mir eins, das ich unter der Haut trage, aber selbst entfernen könnte.“
Akkarin seufzte. „Sonea, wir hatten diese Diskussion doch bereits.“
Sie verdrehte die Augen. „Ich verstehe nicht, wo das Problem ist. Takan hat auch ein solches Blutjuwel und sein Verhältnis zu dir ist weitaus weniger intim als das unsere.“
„Das ist richtig. Würde ich dir ein dauerhaftes Blutjuwel geben, wäre das, als würde ich dich zu meiner Sklavin machen.“
Sonea schnaubte. Als ob sie sich daran stören würde! „Bei Takan hattest diesbezüglich keine Skrupel“, warf sie ihm vor.
„Takan kennt kein anderes Leben. Es wäre grausamer, ihn dazu zu zwingen, seine Wertevorstellungen aufzugeben. Ich habe dich bereits mehr an mich gebunden, als gesund für uns beide wäre, wären wir ein normales Paar. Doch es gibt Grenzen, die ich nicht überschreiten werde.“
„Du beobachtest mich auch jetzt nicht andauernd und nicht, wenn ich es nicht will“, entgegnete sie. „Was soll sich daran ändern, wenn ich ein dauerhaftes Blutjuwel habe?“ Der Geheimniswahrer würde auf ein Blutjuwel unter ihrer Haut keinen Einfluss haben, weil Akkarin dadurch bereits in ihren Gedanken war, bevor sie diese blocken konnte. Und sie hasste es, Geheimnisse vor ihm zu haben. Die Sache mit dem Nemmin war bereits fragwürdig genug gewesen. Sie hatte es indes nicht gewagt, ihm das zu beichten, da die letzten Wochen bereits kompliziert genug gewesen waren.
Wenn ich zurückkomme, werde ich es ihm sagen, dachte sie. Wenn sie zurückkam.
„Ich hätte dann eine Macht über dich, die ich nicht besitzen will“, sagte Akkarin leise. „Und das könnte unsere Beziehung zerstören.“
Zum ersten Mal erkannte Sonea, dass Akkarin trotz seiner Selbstdisziplin und seiner Neigung, alles und jeden zu kontrollieren, nicht vor Versuchungen gefeit war. Und sie erkannte, dass es dabei weniger um den Reiz, die Geheimnisse schwarzer Magie zu entschlüsseln ging, als um seine dunkle Seite, die er nur zögernd zuließ, obwohl sie gerade das an ihm so reizvoll fand.
Entweder ich muss seine Einstellung akzeptieren oder ihm helfen, seine Selbstzweifel zu überwinden, fuhr es ihr durch den Kopf. Möglicherweise würde er dann bereit sein, sich darauf einzulassen. Aber sie würde sich sicherer fühlen, wenn sie ein Blutjuwel trug, das sich nicht mehr entfernen ließ. Denn dann würde sie niemals wieder glauben müssen, er sei gestorben.
Als sie aufsah, bemerkte sie, dass er sie nachdenklich betrachtete.
„Gib mir deine Hände.“
Verwirrt streckte sie ihre Hände aus. Akkarins lange Finger schlangen sich um ihre Handgelenke. Wie immer waren sie ein wenig kühl, wurden jedoch bei dem Kontakt mit ihrer Haut rasch wärmer.
„Und jetzt nimm meine Kraft.“
Sonea blinzelte verwirrt. „Deine Kraft?“, wiederholte sie.
„Du hast richtig verstanden.“
„Was, wenn die Gilde in meiner Abwesenheit angegriffen wird?“
„Dann habe ich noch immer einhundert Gildenmagier und …“, ein humorloses Lächeln umspielte seine Mundwinkel, „ … Marikas übrige Magie verteilt über drei Speichersteine.“ Seine Miene wurde streng, als er fortfuhr: „Und jetzt tu, was ich dir gesagt habe.“
Eine Grimasse schneidend, streckte Sonea ihren Geist nach der Stelle aus, wo seine Hände auf ihre trafen. Sofort spürte sie die Magie, die er ihr sandte, und speicherte sie in ihrer eigenen Quelle. Erst als er sie losließ, hörte sie auf.
„Danke“, sagte sie erneut.
„Es ist mir Dank genug, wenn du lebend zurückkommst“, entgegnete er trocken. Er griff nach seinem Handschuh und zog ihn wieder über seine entstellte Hand. „Und jetzt komm. Du solltest jetzt noch ein wenig schlafen, bevor du aufbrichst.“
Sonea ergriff seine ausgestreckte Hand und ließ sich von ihm nach oben zu ihren privaten Räumen führen. Sie verspürte eine vage Enttäuschung ob seiner Einstellung zu einem dauerhaften Blutjuwel. Doch sie wollte am Abend vor ihrer Abreise nicht deswegen mit ihm streiten. Vielleicht war er einfach noch nicht bereit.
Auf dem Weg zu ihrem Schlafzimmer sah sie noch einmal nach Lorlen. Vor dem formalen Dinner mit Dannyl, Rothen und ihren Freunden hatte sie sich noch einmal ausgiebig mit dem Baby beschäftigt, es gewickelt und gefüttert und mit ihm gespielt. Da hatte es sich noch wie das allabendliche zu Bett bringen angefühlt. Doch als Sonea ihren kleinen Sohn jetzt betrachtete, zog sich etwas in ihrer Brust schmerzhaft zusammen.
Behutsam hob sie ihn mit ihrer Magie empor und nahm ihn dann in die Arme, um ihn ein letztes Mal an sich zu drücken. Lorlen machte ein leises, blubberndes Geräusch, wachte zu ihrer Erleichterung jedoch nicht auf. „Ich hab’ dich ganz furchtbar lieb“, flüsterte sie und drückte ein Kuss auf sein dunkles Haar, bevor sie das Baby wieder in seine Wiege legte.
Plötzlich war Akkarin hinter ihr, seine Arme um ihre Taille geschlungen. „Ich werde mich um ihn kümmern, während du fort bist“, murmelte er. „Zusammen mit Takan, Rothen und Caria werde ich dafür sorgen, dass er dich nicht zu sehr vermisst.“
Und was, wenn ich ihn vermisse?, dachte Sonea. „Was, wenn ich zurückkomme und er nicht mehr weiß, wer ich bin?“
„Du bist seine Mutter. Er wird dich nicht vergessen.“
Etwas in Soneas Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Entschlossen schob sie das Gefühl beiseite Sie wusste, sie würde sonst nicht gehen.
„Wie kommt es, dass du zu dieser Ansicht gelangt bist?“, fragte sie, ohne Akkarin anzusehen.
„Sagen wir, deine Beharrlichkeit in dieser Sache hat mich schließlich überzeugt.“
Sonea schnaubte leise. Insgeheim hoffte sie jedoch, dass er recht hatte. Sie würde viele Wochen, mindestens zwei Monate fort sein. Bis sie zurückkam, würde sie wahrscheinlich aufgehört haben, Milch zu produzieren. Auf ihrem Ritt zum Südpass war ihre Milch schon fast versiegt. Möglicherweise hatte ihr Sohn bis dahin seine ersten Zähne bekommen. Vielleicht würde er sogar laufen gelernt haben. Der bloße Gedanke an all die Dinge, die sie verpassen würde, brachte sie nahezu um den Verstand.
Es ist wichtiger, zurückzukommen, als diese Momente in Lorlens Entwicklung zu verpassen, sagte sie sich. Und wenn ich zurück bin, werden Akkarin und ich ein zweites Kind machen und dann werde ich alles, was ich bei Lorlen verpasst habe, bei ihm erleben können. Trotzdem kam sie nicht umhin, sich wie eine schlechte Mutter zu fühlen. Und das, obwohl sie wusste, dass sie das hier auch tat, um ihrem Sohn eine sicherere Zukunft zu gewähren.
„Lass uns schlafen gehen“, sagte Akkarin leise und drückte seine Lippen auf ihren Scheitel. „Nicht, dass er noch aufwacht“
Sonea nickte. Einen letzten sehnsüchtigen Blick zu ihrem Sohn werfend folgte sie Akkarin nach draußen.
Durch die weitgeöffneten Fenster wehte das Zirpen von Insekten, wie Dannyl es nur aus seiner Wahlheimat kannte, mit einer lauen Brise ins Schlafzimmer. Die hellen, durchschimmernden Vorhänge, die das Volk im Norden Kyralias verwendete, um seine Häuser vor zu viel Sonne und neugierigen Blicken zu schützen, bauschten sich träge in dem Luftzug, während das flackernde Licht unzähliger Kerzen Muster aus Licht und Schatten auf den Stoff und die Zimmerwände warf.
„Wenn ich mich klein machen könnte, würde ich mich in deinem Gepäck verstecken, damit ich bei dir sein kann.“ Tayend streckte eine Hand aus und strich die Konturen auf Dannyls Brust entlang. „Oder ich verkleide mich als dein Diener. Als reicher kyralischer Kaufmann solltest du nicht ohne Diener reisen.“
„Wir werden diese Tarnung nur bis zur Grenze aufrechterhalten.“ Dannyl küsste das Haar seines Gefährten, das im Licht der Kerzen wie lebendig gewordenes Feuer leuchtete. „In Begleitung der Verräter werden wir uns wieder als Gildenmagier zu erkennen geben.“ Seine und Soneas Tarnung als Händlerehepaar diente einzig dem Zweck, die kyralische Bevölkerung nicht darauf aufmerksam zu machen, dass zwei Gildenmagier auf dem Weg zur Grenze waren, darunter die berüchtigte Frau des Hohen Lords. Denn das konnte nicht nur dazu führen, dass die falschen Leute von ihrer Mission erfuhren, es konnte auch für Panik sorgen.
„Auch Gildenmagier haben Diener“, wandte Tayend ein. „Und ich wette, die Sachakaner bringen ihre Sklaven mit.“
„Das bezweifle ich nicht“, sagte Dannyl. „Aber es ist zu gefährlich.“
„Aber wenn die Verräter euch ab Sachaka begleiten, verstehe ich nicht, warum ich dich nicht begleiten darf. Dann ist es doch sicher.“
„Unsere Reisegruppe könnte überfallen werden, es könnte zu einem Kampf auf dem heiligen Boden von Yukai kommen, jemand könnte deine Gedanken lesen und vertrauliche Informationen daraus entnehmen und mich damit kompromittieren, um die Verhandlungen zum Scheitern zu bringen oder die Situation zu seinem Gunsten zu wenden. Oder jemand liest deine Gedanken und entnimmt ihnen das Wissen aus Lord Sadakanes Büchern. Oder jemand tötet dich, um mich zu erpressen oder einfach nur, weil er an deine Magie will. Es könnte sein, dass …“
Er brach ab. Es gab so viele Szenarien, die rechtfertigten, warum er Tayend nicht mitnehmen konnte. Tatsächlich gab es jedoch nur einen einzigen Grund, der Dannyl davon abhielt: Er liebte Tayend so sehr, dass er den Gedanken, ihn zu verlieren, nicht ertragen konnte. Dafür nahm er sogar eine monatelange Trennung in Kauf. Es war schließlich nicht das erste Mal.
„Aber ich bin kein kleines Kind, das man beschützen muss! Denkst du, ich wüsste nicht, worauf ich mich einlasse, wenn ich dich begleite?“
„Doch“, sagte Dannyl. Obwohl Tayend als Nichtmagier mit dem Krieg gegen Sachaka noch nicht in Kontakt gekommen war, wusste er aus Dannyls zahlreichen Erzählungen genug darüber, wie gefährlich es war, sich in dieses Land zu begeben. „Aber du bist kein Magier, du hast latentes magisches Potential. Es wäre unverantwortlich, dich in ein von schwarzen Magiern beherrschtes Land zu schicken.“
„Als normaler Magier sind deine Überlebenschancen dort nicht gerade größer“, entgegnete sein Gefährte.
Allmählich wurde Dannyl es müde, diese Diskussion wieder und wieder zu führen. Was Tayend auch versuchen würde, Dannyl würde ihn daran hindern, das Land ihrer Feinde zu betreten. Aber Tayend schlug alle vernünftigen Argumente in den Wind, wenn er nicht von ihm getrennt sein wollte. Darüber vergaß er sogar seine Furcht vor den Sachakanern. Und so hoch Dannyl ihm da anrechnete, konnte er das nicht gutheißen.
„Es werden nur zwei oder drei Monate sein“, sagte er. „Wir waren schon länger getrennt. Und ich ziehe es vor, für diese Zeit auf deine Nähe zu verzichten, wenn ich dich dafür in Sicherheit weiß.“
„Das ist mir egal, Auslandsadministrator.“
„Ich weiß, du würdest für mich sterben, aber ich weiß nicht, ob ich das will.“
In einer plötzlichen Bewegung löste Tayend sich von ihm und drehte sich auf den Rücken. „Das war nicht sehr nett von dir“, sagte er ein beleidigtes Gesicht machend. „Das klingt, als würdest du meine Liebe nicht genug wertschätzen.“
„Tayend …“ Ein Seufzen unterdrückend drehte Dannyl sich auf die Seite und sah seinen Gefährten an. „Deine Liebe bedeutet mir mehr, als ich je hätte ahnen können, bevor ich dich getroffen habe. Sie erhält mich am Leben, wenn die Gilde mich wieder einmal nach Sachaka schickt. Ich würde auf der Stelle sterben, um dein Leben zu retten, aber ich will nicht, dass du dasselbe für mich tust, weil ich dann für den Rest meines Lebens unglücklich wäre. Denn ich wäre lieber tot, als dich zu verlieren.“
Tayend wandte den Kopf. „Wirklich?“
Dannyl nickte. „Verstehst du jetzt, warum ich immer so darauf beharre, dass du hier bleibst?“
„Ja.“ Tayends Miene verdüsterte sich. „Aber das heißt nicht, dass es mir nicht jedes Mal das Herz zerreißt.“
Einem plötzlichen Impuls folgend beugte Dannyl sich vor und drückte seine Lippen auf die seines Gefährten. „Denkst du mir nicht?“, murmelte er.
Fragen zum Kapitel
So wie Dannyl und Sonea gemeinsam kämpfen, glaubt ihr, das geht gut?
Wie denkt ihr dsarüber, dass Regin Viana unterrichtet, während Sonea fort ist? Wird er die Chance nutzen oder eher seiner Neugier nachgehen? Wäre Akkarin die bessere Option?
Könnte Dannyls Arbeit in Lan tatsächlich bei den Verhandlungen helfen?
Habt ihr damit gerechnet, dass Asara nach Yukai geht? Warum habt ihr das (nicht)?
Was haltet ihr von Soneas Wunsch ein Blutjuwel zu tragen, das sich nicht mehr entfernen lässt? Ist es richtig, dass Akkarin ablehnt?
Ansonsten habe ich keine Fragen, aber wenn ihr noch etwas zu Akkarin und Sonea oder Dannyl und Tayend loswerden wollt, dürft ihr das gerne tun ;9
Im nächsten Kapitel beginnt dann der lange Road-Trip und Sonea und Dannyl spielen ein Ehepaar ;)
heute habe ich eigentlich nicht viel zu sagen, außer dass ich Black Glitter, Araponia, Sabrina Snape, und Lady Alanna für ihre Reviews danke.
Falls ihr über den Fortschritt meiner Geschichten und zukünftiger Projekte auf dem Laufenden sein wollt, so wollte ich euch nahelegen, meinem Blog Tales from Kyralia zu folgen. Das geht entweder per Mail oder direkt als Wordpress-User links in der Menu-Leiste des Blogs. Auch findet ihr dort im oberen Menu unter „Die Welt der schwarzen Magier“ → „kleines Lexikon“ das Glossar der Bücher inkl. meiner Erweiterungen, falls ihr nicht mehr genau wisst, was z.B. ein Bovar ist ;)
Und jetzt viel Spaß beim Lesen :)
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Kapitel 17 – Aufbruchstimmung
Dannyl zuckte zusammen, als ein Kraftschlag in Soneas Schild krachte. Doch anstatt die magische Barriere zu durchbrechen, schnellte der Schild an jener Stelle vor und warf den Angriff zurück zu den Kriegern, die unter Regins Leitung bereits den nächsten Angriff ausführten. Magie prallte auf Magie und jagte Wellen aus Licht über den Schild der Krieger.
„Das war knapp“, murmelte Dannyl. „Aber beeindruckend.“
„Macht Euch keine Sorgen.“ Sonea fuhr herum und attackierte eine zweite Gruppe unter Balkans Kommando mit einem Hagel Feuerschläge, bei deren Intensität sich die feinen Härchen auf Dannyls Armen aufstellten. Kurz vor dem Schild zerstreuten sich die Angriffe in einen Sternenregen schwacher Betäubungsschläge. „Der Hohe Lord hat mich diese Technik wiederholen lassen, bis ich ihn dafür verflucht habe.“
Dannyl verkniff sich ein Grinsen. In Gegenwart anderer sprach Sonea von ihrem Mann stets als dem Hohen Lord und begegnete ihm mit einer Förmlichkeit, die aus mehr als nur tiefen Respekt und Ergebenheit resultierte. Doch sie tat es mit einer Selbstverständlichkeit, die implizierte, dass er das nicht von ihr verlangte.
Dannyl betrachtete die kleine schwarze Magierin. Noch vor zwei Wochen hatte sie unsicher in der Arena gewirkt. Es war offenkundig gewesen, dass ihr der Kampf gegen mehrere Angreifer Mühe bereitete, wenn sie zugleich jemand anderen beschützen musste. Doch unter Akkarins unerbittlicher Anleitung konnte sie es nun mühelos mit drei Gegnern aufnehmen. Die Wucht hinter den Angriffen der schwarzen Magier beeindruckte und schockierte Dannyl jedes Mal aufs Neue, während ihn zugleich die Professionalität faszinierte, mit der Sonea und Akkarin kämpften.
Einen Schritt zurückweichend griff Sonea nach seinem Handgelenk.
- Haltet Euch dicht an meiner Seite, sandte sie. Ich muss gleich die Schildfläche verringern.
- Wie dicht?, fragte Dannyl.
- Habt Ihr Berührungsängste?
Bei den meisten anderen Frauen hätte Dannyl die bloße Vorstellung Unbehagen eingeflößt. Doch das war nicht das, was er in Sonea sah. Und das ist auch gut so, dachte er. Auf ihrer Mission würde es gewiss die eine oder andere Gelegenheit geben, bei der sie einander nahekamen. Und Dannyl wollte nicht, dass sie daran scheiterte, ihn zu beschützen, weil er sich in ihrer Nähe möglicherweise unbehaglich fühlte.
Als Antwort schob er sich mit seinem Rücken gegen ihren.
- Und jetzt?
- Wenn ich das Kommando gebe, duckt Euch.
Welche Strategie sie auch immer verfolgte, Dannyls Neugier war erweckt. Als Sonea einen weiteren Schritt zurückwich, folgte er ihr, den Kontakt zu ihr haltend. Jetzt hatte er Regins Gruppe direkt vor sich, während Balkans Gruppe zu ihrer anderen Seite kämpfte. Akkarin war genau zwischen ihnen und bombardierte ihren Schild mit einer Kaskade von Hitzeschlägen. Bisher hatte Sonea ihn ignoriert und sich auf die beiden Kriegergruppen konzentriert.
Gespannt beobachtete Dannyl, wie Regin mit einem nahezu bösartigen Lächeln den Befehl zu einem weiteren Angriff gab. Ein Feuerschlag, stärker als jene, die seine Gruppe zuvor verwendet hatte, löste sich und raste auf Dannyl zu. Im gleichen Augenblick flimmerte die Luft vor Dannyls Augen und er glaubte, ein Abbild seiner Selbst zu sehen.
- Jetzt!
Sonea riss ihn mit sich zu Boden. Der Feuerschlag jagte über ihre Köpfe hinweg und auf Balkan und seine Krieger zu. Der Schild der Gruppe glühte in einem unheilvollen Rot und löste sich auf. Sonea wirbelte herum und attackierte Regins Gruppe mit einem Hagel doppelter Kraftschläge, von denen sie einige ablenkte und von oben in den Schild treffen ließ.
Zu Dannyls stiller Bewunderung löste sich der Schild dieser Gruppe ebenfalls auf.
„Wie hast du das gemacht?“
„Erkläre ich später.“
Auf die Beine kommend zog Sonea ihn erneut zu sich und wandte sich dann ihrem letzten Gegner zu.
Für einen kurzen Moment glaubte Dannyl, Anerkennung in der Miene des Hohen Lords zu sehen, dann kehrte der konzentrierte Ausdruck zurück, als er und Sonea einander duellierten. Dannyl erschauderte. Zum ersten Mal empfand er den unheimlichen und ehrfurchtgebietenden Anführer der Gilde als Gegner – einen Gegner, mit dem nicht zu spaßen war. Nein, diesen Mann wollte Dannyl nicht zum Feind haben und plötzlich begriff er, warum die Sachakaner ihn so sehr fürchteten.
Der Boden unter Dannyls Füßen begann zu vibrieren, als Sonea eine Scheibe aus Magie unter ihnen schuf, und nur wenige Augenblicke später schwebten sie durch die Arena. Nachdem Dannyl sie auf diese Weise einmal in einem Duell hatte verlieren sehen, war er nicht sicher, ob ihm diese Taktik behagen sollte. „Soll ich das übernehmen?“, bot er vorsichtig an. „Dann kannst du ihn fertigmachen.“
„Die Levitation gehört zu meiner Strategie“, antwortete Sonea knapp und machte damit deutlich, dass sie keine Einmischung wünschte. „Vergesst nicht, Ihr habt Euch erschöpft, Dannyl.“
Und was, wenn ich noch Magie übrig hätte? In diesem Fall hätte er helfen können. Doch wahrscheinlich war Soneas Strategie zu komplex oder zu spontan, um ihn daran teilhaben zu lassen.
Plötzlich löste sich die Energiescheibe unter ihren Füßen auf und sie stürzten zu Boden. Der Fall war nicht tief, aber schmerzhaft und trieb Dannyl die Luft aus den Lungen. Rasch sah er sich nach Sonea um.
Sonea lag mit einem Ausdruck völliger Verwirrung auf dem Rücken. Der Schild um sie beide war verschwunden. Instinktiv eilte Dannyl an ihre Seite und errichtete einen eigenen Schild. Gerade rechtzeitig, bevor Akkarins Hitzeschlag dagegen prallte.
Das hätte auch schiefgehen können …
„Was war das?“, fragte Dannyl, eine Hand nach ihr ausstreckend.
„Gedankenschlag.“ Soneas Miene war grimmig, als sie sich von ihm auf die Füße ziehen ließ. „Aber ein ziemlich übler.“ Sie warf ihrem Mann einen wütenden Blick zu. „Danke“, murmelte sie leise. „Was nicht heißen soll, dass ich Eure Einmischung schätze.“
Dannyl grinste. „Schon verstanden.“
„Das werde ich ihm heimzahlen“, hörte er die kleine schwarze Magierin murmeln. Sie übernahm den Schild von Dannyl, einen Ausdruck höchster Konzentration auf ihrer Miene. Ihr Angriff war nahezu vollständig transparent, und als Akkarins Schild flackerte und Sonea einen Feuerschlag darauf projizierte, erkannte er, sie hatte mit Gedankenschlag geantwortet.
Der Angriff musste Sonea nahe an ihre letzten Reserven gebracht haben. Sie griff nach Dannyls Handgelenk und wich mit ihm zurück. Er konnte spüren, wie der Schild auf ihrer Rückseite schwächer wurde. Akkarin würde es nicht bemerken, und falls er seinen Angriff doch entsprechend umlenkte, würde sie rechtzeitig reagieren können.
Seine Gedanken auf etwas anderes lenkend, beobachtete er den Kampf. Wenn Akkarin seine Gedanken lesen konnte, würde er sehr bald hinter Soneas Vorhaben kommen.
Etwas krachte von hinten in ihren Schild. Dannyl spürte mehr, als dass er es sah, wie Sonea versuchte, ihre Abwehr zu stärken, doch der magische Angriff brach hindurch und warf sie zu Boden. Ihr Schild erlosch. Hastig errichtete Dannyl seinen eigenen Schild, doch zu spät. Die Magie traf auf seinen inneren Schild und er taumelte.
Der Angriff erstarb.
„Genug.“
Der Hohe Lord ließ seinen Schild sinken und schritt mit wallenden schwarzen Roben zu ihnen. „Auslandsadministrator, seid Ihr wohlauf?“
„Ja“, beeilte Dannyl sich zu sagen. „Ich habe nur nicht mit einem solch überraschenden Ende gerechnet.“
Ein ironisches Lächeln huschte über die harschen Züge des schwarzen Magiers. „Manchmal kommt das Ende schneller, als man denkt.“ Er streckte eine Hand nach Sonea aus und zog sie auf die Füße. „Ihr habt gut gekämpft“, sagte er. „Doch ihr solltet an Eurer Kooperation arbeiten.“ Er bedachte Sonea mit einem strengen Blick. „Wenn Dannyl helfen will, dann lass ihn. Solange er genügend Magie dazu hat, darf er zu seiner eigenen Verteidigung beitragen.“
„Ja, Hoher Lord“, erwiderte sie mit sichtlichem Unwillen. „Doch das würde bedeuten, dass ich ihn ständig in meine Strategie miteinbeziehe. Das ist nicht praktikabel. Dannyl und ich sind kein so eingespieltes Team wie wir beide.“
„Es sollte deiner Strategie nicht zum Nachteil gereichen, würdest du ihn einfache Aufgaben, wie den Schild kurzzeitig zu halten oder zu levitieren, übernehmen lassen.“
Ein Anflug von Sturheit huschte über Soneas Gesicht.
„Er hat recht“, murmelte Dannyl leise.
Sie wandte sich ihm zu, ein seltsamer Ausdruck in ihren dunklen Augen. „Dannyl, das weiß ich. Doch wir müssten noch sehr viele weitere Stunden in der Arena absolvieren, um dorthin zu gelangen. Ich fühle mich nicht wohl dabei.“
„Ihr müsst lernen, einander zu vertrauen“, sprach Akkarin. „Der Rest kommt von alleine.“
Sonea und Dannyl tauschten einen Blick. „Vertraust du mir, Sonea?“, fragte Dannyl leise.
Sie nickte. „Aber Ihr seid kein Krieger, Ihr …“
„Kein Aber“, widersprach er.
Lord Balkan war mit den Kriegern nähergekommen. „Hoher Lord, braucht Ihr uns noch?“
Akkarin wandte sich um. „Nein. Ihr könnt für heute gehen.“
Das Oberhaupt der Krieger nickte und verließ mit seinen Leuten die Arena. Dannyl bemerkte, wie Regin ihm im Hinausgehen einen neugierigen Blick zuwarf und erstarrte, als Tayend durch das unterirdische Portal auf die Kampffläche schritt.
Ob er etwas ahnt?, fragte Dannyl sich unbehaglich. Die Gerüchte über ihn und Tayend wurden allenthalben wiederbelebt, wann immer er der Gilde einen Besuch abstattete. Doch so diskret, wie er und Tayend ihre Beziehung handhabten, erstarben die Gerüchte so schnell wieder, wie sie aufgetaucht waren.
„Ein beeindruckender Kampf!“, rief der Gelehrte, als er näherkam. „Ihr habt Euch gut geschlagen, Auslandsadministrator.“ Er sah zu Sonea. „Und Ihr natürlich auch, Mylady.“
Sonea verzog das Gesicht. „Es freut mich, dass Ihr das so seht, Tayend. Doch es hätte besser laufen können.“
„Du hast sehr gut gekämpft“, widersprach Akkarin. „Wären deine Gegner Sachakaner gewesen, wäre der Kampf zu deinen und Dannyls Gunsten ausgegangen.“
Sonea bedachte ihn mit einem ungläubigen Blick.
„Meine letzte Strategie war nicht besonders fair. Ich wollte deine Reaktion testen. Es ist keine Schande, den Schild an unwahrscheinlichen Stellen zu vernachlässigen, doch du solltest auch in der Lage sein, ihn rechtzeitig wiederzuerrichten. Ich schlage vor, wir arbeiten in der nächsten Stunde daran.“
„Ja, Hoher Lord“, erwiderte Sonea.
Akkarin nickte. „Machen wir Schluss für heute. Auslandsadministrator Dannyl, wünscht Ihr noch über den Kampf zu diskutieren?“
„Ich würde gerne wissen, wie es Sonea gelungen ist, dass Lord Regins Gruppe die von Lord Balkan ausgeschaltet hat.“
„Das war wirklich seltsam“, stimmte Tayend zu. „Es sah aus, als würde der Angriff der einen Gruppe durch Lady Sonea und Dannyl hindurchgehen, ohne dass sie Schaden nehmen.“
Der Hohe Lord lachte leise. „Das war eine Illusion. Regin hätte niemals die andere Gruppe mit einem derart mächtigen Schlag angegriffen. Sonea und Dannyl haben sich zu Boden geduckt, so das der Angriff über ihre Köpfe hinwegging.“
„Ah“, machte Tayend. „Das ist wirklich beeindruckend!“
Sie verließen die Arena. „Hoher Lord, wie groß sind die Chancen, dass Lady Sonea und der Auslandsadministrator einen Kampf gegen die Sachakaner bestehen?“, fragte Tayend, während sie durch das Portal ins Freie schritten.
„Das kommt auf die Zahl und die Stärke ihrer Gegner an.“
„Und was ist mit ihrem Geschick?“
„Die Sachakaner kämpfen weitaus weniger geschickt als die Gildenmagier“, antwortete Akkarin. „Denn sie geben ihr Wissen nur an ihre Nachfahren weiter. Ich verwende bewusst kompliziertere Strategien für Soneas Training, um sie auf alle Eventualitäten vorzubereiten.“
Tayend wirkte erleichtert. „Also brauche ich mir keine Sorgen um Dannyl zu machen.“
Die dunklen Augen bohrten sich in die des Gelehrten. „Doch, das solltet Ihr.“
***
Das Sonnenlicht fiel warm durch die vergitterten Fenster der Kutsche und heizte den linken Ärmel von Soneas Robe und ihren Oberschenkel auf. An solchen Tagen fragte sie sich, warum sie nicht einfach zum Palast reiten oder zu Fuß gehen konnten. Aber wahrscheinlich gehörte auch das zu den Dingen, die sich nicht gehörten, wenn man der Hohe Lord oder in seiner Begleitung war.
In Soneas Leben war es erst das zweite Mal, dass König Merin sie und Akkarin zu einer Besprechung in den Palast beorderte. Beim letzten Mal, kurz nach ihrer Rückkehr aus Sachaka, war jedoch kein weiterer Magier dabei gewesen.
Sie warf einen Blick zur gegenüberliegenden Bank. Auf Dannyls Schoß lag eine Mappe mit Unterlagen, von denen Sonea wusste, dass sie Berichte von diplomatischen Angelegenheiten enthielten, die Dannyl während der letzten Monate bearbeitet hatte. Der Auslandsadministrator hatte mit ihr und Akkarin einige der Fälle im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit bei den Friedensverhandlungen in Duna diskutiert. Die Streitigkeiten der Lan hatten eine gewisse Ähnlichkeit zu den territorialen Problemen zwischen Duna und Sachaka sowie zwischen Sachaka und Kyralia. Die Details anderer Fälle waren Sonea indes verborgen geblieben. Sie beinhalteten vertrauliche Dinge, von denen nur der Hohe Lord und die Diplomaten wussten.
Und vermutlich der König. Es hätte Sonea nicht gewundert, würde man sie im Laufe der Besprechung nach draußen schicken. Sie verspürte jedoch weder Ärger noch Bedauern ob dieser Aussicht. Die Vergangenheit hatte sie gelehrt, dass es besser war, nicht in Erfahrung zu bringen, was nicht für ihre Ohren bestimmt war.
Dadurch, dass sie und Akkarin nicht allein in der Kutsche saßen, fühlte Sonea sich seltsam gehemmt. Für gewöhnlich genoss sie diese kurze Zweisamkeit, bevor sie den Palast erreichten, wo sie die gehorsame kyralische Ehefrau spielen musste.
Nach einer kurzen Fahrt bog die Kutsche zwischen den großen vergoldeten Toren auf das Palastgelände ein, rollte einen breiten von akkurat beschnittenen Hecken gesäumten Weg entlang und hielt dann auf dem Platz, um den herum die Skulpturen vergangener Könige aufgestellt waren.
Vor der großen Treppe hielten sie. Ein Diener eilte herbei und öffnete ihnen die Tür.
„Steig du zuerst aus“, murmelte Akkarin.
Sonea nickte und kletterte hinaus ins Sonnenlicht, gefolgt von Dannyl. Zuletzt duckte Akkarin sich durch die Tür. Draußen bot er ihr seinen Arm. Sonea hing sich daran, dann folgten sie dem Diener in einen der Türme des Palastes.
König Merin erwartete sie in einem Raum, dessen Mitte ein großer ovaler Tisch aus poliertem Nachtholz ausfüllte. Darauf standen Erfrischungen und eine Schale mit Früchten. Lord Rolden und Lord Mirken saßen zu beiden Seiten eines Stuhles, der ein Stück höher als die anderen und mit Blattgold verziert war. Als sie eintraten, wandte der König sich von dem Ausblick über den weitläufigen Palastgarten ab.
„Hoher Lord, Auslandsadministrator Dannyl, Lady Sonea. Ich grüße Euch.“
Dannyl, Sonea und Akkarin sanken auf ein Knie. „Euer Majestät.“
„Erhebt Euch“, sprach der König. Er wies auf die gepolsterten Stühle, die um den Tisch aufgestellt waren. „Und setzt Euch.“
Während sie sich setzten, eilten Diener herbei und bewirteten sie mit den Getränken. Sonea griff nach einem Glas mit Pachisaft, während die beiden Männer Sumi wählten. Wahrscheinlich gibt es im Palast nicht eine einzige Rakabohne, fuhr es ihr durch den Kopf. Ich wette, sogar die Palastdiener sind sich zu fein, um Raka zu trinken. Und aus irgendeinem absurden Grund musste sie plötzlich daran denken, dass es in Marikas Palast Raka gegeben hätte. Rasch verbannte sie den Gedanken jedoch aus ihrem Kopf und wandte sich der Diskussion zu.
„Ich habe mit den Vertretern der Herrscher der anderen Verbündeten Länder gesprochen“, eröffnete der König das Thema, nachdem er zwischen seinen Beratern Platz genommen hatte. „Anschließend habe ich meine Berater konsultiert. Wir haben einige konkrete Beschlüsse gefasst, die erfreulicherweise mit den Ideen von unserem letzten Treffen übereinstimmen. Für die übrigen müssen die Abgesandten Rücksprache mit den jeweiligen Herrschern halten. Es sind bereits Kuriere in die entsprechenden Länder unterwegs.“
„Angesichts dessen, dass Auslandsadministrator Dannyl und Lady Sonea diese Informationen frühestens in einem Monat benötigen, wird das keinen Einfluss auf die Verhandlungen haben“, sagte Akkarin.
König Merin nickte. „Ich werde Euch die Ergebnisse mitteilen, sobald sie vorliegen, so dass Ihr sie an den Auslandsadministrator übermitteln könnt.“ Er beugte sich vor, die Unterarme auf den Tisch gestützt, seine grünen Augen funkelten. „Da Auslandsadministrator Dannyl die Gilde bei dieser Konferenz alleine vertritt, ist es mein Wille, die Position, die Kyralia einnimmt, zu erörtern.“
Dannyl schluckte. Als er sprach, war seine Stimme jedoch fest. „Euer Majestät, ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um die Interessen der Gilde nach bestem Können zu vertreten.“
Der König musterte ihn. „Ich habe nichts anderes von Euch erwartet, Auslandsadministrator.“ Er machte eine Handbewegung zu Dannyls Mappe. „Unsere letzte Besprechung war rein informell und Ihr wart unvorbereitet. Angesichts unserer an jenem Abend getroffenen ersten Vereinbarungen wünsche ich von Euch zu hören, wie diese sich mit Euren übrigen Vorbereitungen vereinbaren lassen. Ich nehme an, Ihr habt bereits einige Informationen zusammengetragen, die helfen können, die anderen Parteien zu gewinnen?“
Dannyl nickte und öffnete die Mappe. „Das habe ich, Euer Majestät.“ Er nahm einen Schluck Sumi und räusperte sich. „Im ersten Jahr meiner Amtszeit hatte ich zwei Mal mit verschiedenen Stämmen der Lan zu tun. Sie streiten um ein Territorium, das jeder von ihnen zuerst besetzt haben will. Ein Stamm, der von sich behauptet, zuerst dort gesiedelt zu haben, zog auf Grund einer Naturkatastrophe fort, weswegen seine Gegner behaupten, er hätte damit das Recht verwirkt, Anspruch auf dieses Land zu erheben. Ein anderer Clan, der mit dem diesem einst verbündet war, unterstützt nun die neuen Bewohner.
„Die Situation ähnelt jener zwischen Sachaka und dem Duna-Stamm, der seit Jahrhunderten die Vorherrschaft in der Aschenwüste innehat. Das Land gehörte ursprünglich zu Sachaka, doch weil es durch seine geologischen Aktivitäten für ein sesshaftes Volk ungeeignet ist, gelang es den Duna, sich dort auszubreiten. Eine weitere Parallele wäre das Bündnis zwischen diesem Duna-Stamm und Sachaka, um die Verräter zu bekämpfen, mit welchen die Duna nie etwas zu schaffen hatten. Zumindest nicht bis zu jener Nacht, die als das Massaker von Arvice in die Geschichte Sachakas eingegangen ist.“
Er machte eine Pause. „Es gibt bei den Lan keine schriftlichen Aufzeichnungen darüber, welcher Stamm wann und wo gesiedelt hat. Deswegen lässt sich nicht zurückverfolgen, wer im Recht ist. Ähnlich verhält es sich mit Sachaka und Kyralia. Die Sachakaner behaupten, Kyralia gehöre ihnen, doch die Tatsache, dass es zwei unterschiedliche Völker sind, lässt darauf schließen, dass Kyralia vor Beginn der Aufzeichnungen von Sachaka annektiert wurde. Letztendlich lässt sich jedoch weder das eine noch das andere beweisen.“
Der König hatte das Kinn auf eine Hand gestützt. „Ich danke Euch, Auslandsadministrator“, sagte er. „Ich denke, das ist eine Grundlage, mit der wir arbeiten können.“
Obwohl Sonea einige Details über den Konflikt in Lan von Akkarin wusste, konnte sie dieses Wissen jedoch nicht beruhigen. Der Konflikt, in dem sich Kyralia und Sachaka befanden, hatte sehr viel größere Ausmaße, als jener in Lan.
„Auslandsadministrator Dannyl, habt Ihr eine Lösung für den Konflikt in Lan?“, fragte Lord Mirken.
„Ich habe an einer Lösung gearbeitet, als ich nach Imardin zurückbeordert wurde“, antwortete Dannyl. „Allerdings bezweifle ich, dass die Klärung der Schuldfrage im Fall der Lan sinnvoll ist, da sie niemals eindeutig geklärt werden kann.“
„Und was schlagt Ihr stattdessen vor?“, fragte der König.
„Sich auf die Wiedergutmachung der größten Ungerechtigkeiten zu konzentrieren und eine Lösung zu finden, mit der alle Parteien leben können. Allerdings muss dafür die entsprechende Bereitschaft bei den Parteien vorhanden sein.“
„Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, diese bei unseren Feinden zu schaffen?“, fragte der König.
Dannyl zögerte. „Bei den Verrätern sehe ich gute Chancen. Für die übrigen Parteien kann ich jedoch nicht sprechen.“
Sonea sog jäh die Luft ein. „Bis vor kurzem hätte ich gesagt, dass Kachiro diplomatischer als sein Vorgänger ist. Doch mit den neusten Informationen, die wir von den Verrätern erhalten haben, wage ich seine Absichten zu bezweifeln.“
„Was für Informationen?“, verlangte der König zu wissen.
„Es heißt, dass Kachiro die Verhandlungen nutzen könnte, um einen Angriff auf Kyralia zu planen, wenn niemand damit rechnet, Euer Majestät“, sagte Akkarin. „Das bestätigt unsere Befürchtungen und deswegen sollten wir jedes Einlenken von seiner Seite kritisch hinterfragen.“
Merin nickte. „Etwas anderes wird uns nicht übrigbleiben. Was ist mit den übrigen Parteien?“
„Die Ichani sind wahrscheinlich leicht zu beeinflussen. Als Ausgestoßene haben sie nur wenige Möglichkeiten, Forderungen zu stellen. Das zwingt sie Kompromisse einzugehen, wenn sie einen Vorteil aus den Verhandlungen ziehen wollen.“
„Und die Duna?“, fragte Lord Rolden.
„Über die Duna ist nicht viel bekannt, Euer Majestät. Doch ihnen wird ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn sowie ein starkes Ehrgefühl nachgesagt. Das bietet eine gewisse Verhandlungsbasis.“
„Ich denke, dazu habe ich bereits einige Ideen“, sagte Dannyl. „Ich muss sie jedoch noch ausarbeiten.“
„Tut dies“, sprach der König. Er musterte den jungen Auslandsadministrator und Sonea eingehend. „Ich muss doch hoffentlich nicht erwähnen, dass Ihr beide unsere größte Chance auf Frieden seid.“
Sonea schluckte. Sie wusste, wie viel von ihr und Dannyl abhing. Und dieses Wissen jagte ihr eine leise Furcht ein.
„Nein, Euer Majestät“, sagte Dannyl mit fester Stimme. „Das müsst Ihr nicht.“
***
Als Rothen das Büro des Rektors betrat, stellte er fest, dass er der Letzte war. Lord Balkan, der Administrator und Sonea waren bereits in dem kleinen Raum versammelt. Sofort konnte Rothen die unterschwellige Spannung zwischen den Anwesenden spüren, die aus einer Kombination aus Misstrauen, Sauertöpfigkeit, mangelnder gegenseitiger Akzeptanz und unerwiderter Liebe resultierte.
Jerrik hatte nur bedingte Sympathie für Sonea empfunden, als diese noch Novizin gewesen war. Während ihres Studiums hatte sie unfreiwilligerweise des Öfteren für Ärger gesorgt. Allerdings war der Rektor auf die wenigsten Novizen gut zu sprechen und diese Einstellung legte er nur zögernd ab, wenn diese zu Magiern wurden. Osen und Balkan hatten gelegentlich ihre Meinungsverschiedenheiten mit dem mürrischen Rektor, welchem es missfiel, wenn ihre Entscheidungen auf irgendeine Weise in den Lehrplan eingriffen. Und zu alldem war der Administrator seit Jahren heimlich in die einzige Frau in diesem Raum verliebt, von der Rothen wusste, dass sie diesen niemals in Betracht gezogen hätte, weil er ihr aller Wahrscheinlichkeit nach „zu nett“ war.
„Ich bitte um Verzeihung für die Verspätung“, entschuldigte er sich, nachdem er die Anwesenden formal begrüßt hatte. „Meine Novizen hatten noch einige Fragen, die ich nicht unbeantwortet lassen konnte.“
Jerrik winkte ab. „Ihr seid nicht der Einzige, der unpünktlich war“, sagte er und es kam Rothen vor, als würde der mürrische Rektor zu Osen schielen. Er machte eine Bewegung zu dem einzigen Stuhl, der noch frei war. „Bitte setzt Euch.“
„Danke, Rektor“, erwiderte Rothen und ließ sich zwischen Sonea und Balkan nieder. Seine Ziehtochter schenkte ihm ein kurzes Lächeln, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Rektor zu.
„Da Lady Sonea für den Rest des Halbjahres oder auch länger als Vianas Lehrerin für Kriegskunst ausfallen wird, muss eine Vertretung gefunden werden“, begann Jerrik. „Lord Rothen, Ihr betreut Viana in der Universität stellvertretend für Euren Sohn. Deswegen haben wir Euch hinzugerufen.“
Rothen nickte. Er hatte nur wenig Ahnung, welche Krieger zugleich gute Lehrer waren, ohne scheue Novizen zu verschrecken. Wäre es nach Dorrien gegangen, so würden alle charmanten und gutaussehenden Krieger zusätzlich aus der Auswahl herausfallen, was nicht viele Möglichkeiten übrigließ. Aber Dorrien war am Südpass und die Entscheidung musste jetzt getroffen werden, da Sonea in wenigen Tagen mit Dannyl nach Duna aufbrechen würde.
„Bei meinem Novizen habe ich gute Erfahrungen mit Lord Dayend gemacht“, sagte er. „Kriegskunst ist nicht gerade das, was man als Farands Lieblingsdisziplin bezeichnen könnte, doch Dayend ist es gelungen, den Unterricht so ansprechend zu gestalten, dass er gerne dort hingeht.“
Osen runzelte die Stirn. „Das wäre der vierte Lehrerwechsel für Viana“, sagte er. „Ich halte das nicht für ratsam.“
Lord Balkan strich sich über sein Kinn. „Während Soneas Einsatz am Südpass wurde sie von Lord Regin vertreten“, sagte er. „Er hat seine Sache sehr gut gemacht. Ich spreche mich dafür aus, ihm Vianas Unterricht erneut zu übertragen.“
Rothen erstarrte. Er hatte es schon damals für keine gute Idee gehalten, Viana ausgerechnet von Regin unterrichten zu lassen. Und das hatte gleich eine Vielzahl von Gründen. „Lord Regins Ablehnung gegenüber Novizen, die nicht aus den Häusern stammen, ist wohlbekannt“, sagte er, den unverfänglichsten dieser Gründe vorbringend. „Ich halte das für keine gute Idee.“
„Regins Freundschaft zu Lady Sonea beweist das Gegenteil“, entgegnete das Oberhaupt der Krieger. „Er wäre nicht mit ihr befreundet, würde er sie verachten.“
„Diese Freundschaft ist aus Regins Wunsch entstanden, Wiedergutmachung für seine Schikanen während Soneas ersten Studienjahres zu leisten“, konterte Rothen. „Er mag über ihre Herkunft hinwegsehen, doch das heißt nicht, dass er dies bei den anderen nicht-adeligen Novizen tut.“ Er warf einen Blick zu Sonea, die kaum merklich die Augenbrauen hob. Warum sagt sie nichts?, fragte er sich. Hatte sie als Dorriens Freundin nicht die Pflicht, seine Beziehung zu decken?
„Wir sollten Regin die Chance geben, sich zu beweisen“, sprach Balkan. „Als mein Assistent und möglicher Nachfolger sollte er in der Lage sein, ganze Klassen und einzelne Novizen zu unterrichten. Egal, welcher Herkunft diese sind.“
„Ich will Regin dieses Recht nicht absprechen, doch es gibt genügend andere Novizen, an denen er sich üben kann und die sich besser zu diesem Zweck eignen“, entgegnete Rothen.
„Aber es gibt momentan keinen Novizen, der nicht den Häusern entstammt und Einzelunterricht bekommt“, wandte Jerrik ein. „Auf Grund einiger Defizite im Umgang mit Menschen niederer Herkunft im Allgemeinen halte ich es zudem für besser, wenn Lord Regin sich zunächst an einzelnen Novizen aus einfachen Verhältnissen übt.“
„Das sehe ich genauso“, sagte Balkan.
Diese Aussicht gefiel Rothen nicht. Er sah hilfeflehend zu Sonea.
Administrator Osen räusperte sich leise. „Ich bin noch nicht ganz von dieser Idee überzeugt“, sagte er. „Soweit ich Lord Dorriens Novizin kenne, ist sie ein stilles scheues Wesen. Mit Lord Regin als Lehrer wäre sie möglicherweise überfordert.“
„Das denke ich auch“, sagte Sonea zu Rothens Erleichterung. „Wenn Regin sich vergisst und sie herablassend behandelt, wird sich das negativ auf ihren Lernerfolg auswirken.“
Balkan winkte ab. „Dann soll sie Lord Rothen über solche Vorfälle informieren, damit wir entsprechend reagieren können.“
„Womit das Problem erledigt wäre“, pflichtete Jerrik ihm bei.
„Viana ist kein Harrel, an dem man alchemistische Versuche durchführt!“, sagte Rothen aufgebracht ob der Gefühlskälte des Kriegers und Jerriks mangelndes Interesse, sich mit einem Novizen auseinanderzusetzen, dessen Mentor nur geringen Einfluss in der Gilde hatte. Fehlt nur noch Akkarin in dieser Runde und Vianas Schicksal ist besiegelt. „Der Schaden wäre trotzdem angerichtet.“
„Solange der Vorbereitungskurs nicht realisiert ist, müssen alle Novizen nicht-adeliger Herkunft mit der Herablassung der Lehrer und Klassenkameraden zurechtkommen“, wandte der Rektor ein. „Nur so können sie lernen, sich zu behaupten. Wir können sie nicht verhätscheln.“ Seine grauen Augen wanderten zu Sonea und musterten sie über seine Hakennase. „Tatsächlich hat diese Methode in der Vergangenheit den größten Erfolg gehabt.“
„Sonea ist kein allgemeingültiges Musterbeispiel“, widersprach Rothen. „Sie hat eine völlig andere Persönlichkeit als Viana.“
Seine ehemalige Novizin schnaubte kaum hörbar. „Danke Rothen“, murmelte sie trocken.
Der Administrator seufzte. „Lady Sonea“, begann er, „wie beurteilt Ihr als Vianas Lehrerin die Situation?“
Sonea lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und war mehr denn je eine kleine Version ihres Mannes. „Die beiden Wochen, in denen Lord Regin mich vertreten hat, haben Viana nicht geschadet“, antwortete sie. „Viana hat ihn als höflich, zuvorkommend und geduldig beschrieben. Doch Viana ist scheu. Wäre sie meine Novizin, so wäre Lord Regin als Lehrer nicht meine erste Wahl.“
„Aus welchem Grund?“, fragte Jerrik. „Ihr habt gerade seine Vorurteile gegenüber nicht-adeligen Novizen widerlegt.“
„Nun, Regin bemüht sich, seine Vorurteile nicht offen zu zeigen“, antwortete Sonea. „Ebenso wie er sich bemüht, ein guter Lehrer zu werden. Was nicht heißt, dass er sich nicht vergessen könnte, wenn er mit einem Novizen ungeduldig ist. Aber angenommen, er stört nicht an Vianas Herkunft, wäre da noch ein anderes Problem.“
Balkan runzelte die Stirn. „Und welches soll das sein?“
Sonea betrachtete das Oberhaupt der Krieger, als wäre es nicht ganz bei Verstand. „Schon als Novize verstand Regin es, den Novizinnen den Kopf zu verdrehen. Seit er ein fertig ausgebildeter Krieger ist, ist seine Beliebtheit unter den jüngeren weiblichen Gildenmitgliedern gestiegen. Sollte es ihm gelingen, Viana ebenfalls den Kopf zu verdrehen, wird sich das negativ auf ihre Leistungen auswirken.“
„Oder es würde sie zu noch größeren Leistungen antreiben“, entgegnete Balkan nicht überzeugt. „Jedes Mädchen will seinem Angebeteten gefallen.“
Nicht jedes, wusste Rothen. Er sah zu Sonea, deren Miene sich sichtlich verfinstert hatte.
„Typisch Krieger“, murmelte sie.
„Sonea hat recht“, sagte er. „Die von ihr genannten Gründe wären nicht förderlich für Vianas Ausbildung. Solch schwerwiegende Entscheidungen sollten nur im Beisein ihres Mentors getroffen werden.“
Jerriks Augen verengten sich. „Hat das etwas mit den über Lord Dorrien und seine Novizin kursierenden Gerüchten zu tun?“
Rothen erstarrte. Er hatte bereits befürchtet, dass dies zur Sprache kommen würde, als er den Grund für dieses Treffen erfahren hatte. „Welche Gerüchte meint Ihr?“, fragte er unschuldig.
„Dass Lord Dorrien und Viana ein Paar sind.“
Ich wünschte, ich hätte Dannyls Redegewandtheit, fuhr es Rothen durch den Kopf. Auch nach fast drei Jahren als Leiter der alchemistischen Studien sah er sich noch oft genug Situationen ausgesetzt, in denen er auf der Suche nach den richtigen Worten versagte.
„Davon weiß ich nichts“, log er.
„Ihr seid Dorriens Vater“, entgegnete Jerrik.
„Und als solcher wäre ich der Letzte, der von einer solchen Beziehung erfahren würde. Zudem ich es in diesem Fall umso mehr begrüßen würde, würde Viana sich in jemanden verlieben, der nicht ihr Mentor ist.“ Nur, dass das ganz bestimmt nicht Regin wäre.
„Und wen würdet Ihr dann vorschlagen?“
Rothen und Sonea tauschten einen Blick.
„Es sollte jemand sein, der einfühlsam ist und sie nicht mit übertriebener Strenge verschreckt“, sagte Sonea.
„Lord Dayend würde sich eignen“, fügte Rothen hinzu.
„Womit wir wieder bei der Frage angekommen wären, ob Viana ein erneuter Lehrerwechsel guttut“, murmelte Osen und das Oberhaupt der Krieger nickte zustimmend.
„Da Vianas erster Lehrer vor wenigen Wochen am Südpass gefallen ist, würde das nur Lord Regin übriglassen, wenn ein erneuter Lehrerwechsel vermieden werden soll“, überlegte Jerrik.
„Ich gebe Euch vollkommen recht, Rektor“, pflichtete Balkan ihm bei.
„Also soll Lord Regin den Unterricht übernehmen?“
„Das wäre nicht gut für Viana!“, protestierte Rothen verärgert. Er spürte, wie seine Argumente schwanden. „Ihre Leistungen werden leiden, ein erneuter Lehrerwechsel wäre das kleinere Übel.“
Das Oberhaupt der Krieger runzelte die Stirn. „Rothen, ich verstehe Eure Argumente gegen Lord Regin. Doch ich kann Euch versichern, dass er darum bemüht ist, mir ein guter Nachfolger zu werden, was auch seine Fähigkeiten im Umgang mit Novizen einschließt. Ich würde ihm diese einmalige Chance nur ungern verweigern. Sollte er sich wider Erwarten Viana gegenüber herablassend verhalten, so werde ich mich persönlich darum kümmern.“
Rothen unterdrückte ein Schnauben. Für ihn war das kein Trost.
„Wenn es nicht gutgeht, kann Lord Dayend den Unterricht übernehmen“, fügte Osen sanft hinzu. „Lady Sonea, wie denkt Ihr darüber?“
Sonea zögerte. „Ich denke, es ist nur fair, Regin diese Chance zu geben. Ich begrüße es nicht, doch Viana ist mit ihm vertraut und die übrigen fähigen Krieger scheiden auf Grund ihrer Lehrmethoden aus. Allerdings spreche ich mich dafür aus, dass Viana bei dem kleinsten Anzeichen von Schwierigkeiten einen anderen Lehrer erhält.“
Rothen konnte kaum glauben, was er da hörte. Wie konnte sie für Regin Partei ergreifen, wenn sie dessen Durchtriebenheit am eigenen Leib erfahren hatte? Sie wusste doch, was auf dem Spiel stand!
„Warum hast du nichts getan, als Balkan entschieden hat, Vianas Unterricht an Regin zu übergeben?“, verlangte er zu wissen, als sie nach der Besprechung durch die Flure der Universität schritten.
Die Luft vibrierte, als Sonea sie beide in einen schalldichten Schild einschloss. „Weil jeder weitere Versuch, ihn davon abzuhalten, Misstrauen erregt und den Verdacht erhärtet hätte, dass Viana mit ihrem Mentor ins Bett geht.“
Rothen blinzelte verwirrt. „Wieso sollten Jerrik und Balkan das glauben, wenn es von dir kommt?“
„Weil Dorrien und ich befreundet sind. Außerdem ist seine Eifersucht allgemein bekannt, seit er in mich verliebt war“, sagte sie hart. Sie hielt inne und ihre dunklen Augen begegneten denen Rothens. „Es tut mir leid, Rothen“, fuhr sie ein wenig weicher fort. „Ich habe alles in meiner Macht stehende versucht, Balkan von seiner Entscheidung abzuhalten. Ich habe alle Argumente gebracht, warum ich Regin nicht als Lehrer für Viana geeignet halte. Aber diese sind schwach, weil er seine Sache wirklich gut gemacht hat. Hätte ich mehr protestiert, hätten die anderen sich zu wundern begonnen, warum ich so sehr dagegen bin, dass mein bester Freund mich für einige Wochen vertritt.“
Das musste Rothen widerwillig einsehen. Er unterdrückte ein Seufzen. Warum musste Dorrien immer alles so kompliziert machen? Als er zu Sonea sah, hatte diese ihre Stirn nachdenklich gerunzelt.
„Was ist?“
„Es gäbe noch eine andere Lösung“, sagte sie mehr zu sich selbst. „Jedoch würde dein Sohn davon wahrscheinlich nicht sehr begeistert sein. Ganz besonders nicht, wenn man seine Ansichten darüber, warum ich seine Gefühle nie erwidert habe, in Betracht zieht.“
„Nein!“, sagte Rothen entschieden. „Das kommt auf keinen Fall in Frage!“
„Warum nicht? Viana kennt ihn. Er hat ihr und ihrer Schwester das Leben gerettet, als sie damals von diesem Sachakaner entführt wurden. Sie fürchtet ihn weniger, als Novizen das üblicherweise tun. Es könnte funktionieren.“
„Nein“, wiederholte Rothen erneut. „Du wirst Akkarin nicht dazu überreden, Vianas Privatunterricht zu übernehmen. Dorrien wird ausrasten.“ Zudem bezweifelte er, dass der Hohe Lord einen sanftmütigen Novizen unterrichten konnte, ohne diesen mit seiner Strenge zu verstören.
Sie hob erheitert die Augenbrauen. „Und bei Regin würde er das nicht?“
„Das ist etwas anderes. Regin mag nicht an Viana als Frau interessiert sein, aber seine Fehde mit Dorrien schwelt noch immer. Er könnte hinter das Geheimnis kommen. Und an Akkarin wiederum hat Dorrien bereits eine Frau verloren.“
„Er glaubt, mich verloren zu haben“, stellte Sonea richtig. „Ich habe ihn nie geliebt, wir waren nie zusammen. Und Akkarin ist auch nicht an Viana als Frau interessiert.“
„Das sieht Dorrien gewiss anders.“
Ein humorloses Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Wahrscheinlich. Ich sagte auch nur, es wäre die einzige Chance, Vianas und Dorriens Geheimnis zu wahren. Wenn der Hohe Lord erklärt, diesen Unterricht zu übernehmen, wird niemand das in Frage stellen.“
Das stand außer Frage. Aber dazu würde es nicht kommen. Wie Balkan sah Akkarin ein Potential in Regin, was ihn in der Vergangenheit wiederholt dazu gebracht hatte, die Förderung des Jungen zu befürworten. Er würde Regin den Vortritt lassen und ihm die Chance geben, seine Fähigkeiten als Lehrer und seine sozialen Kompetenzen zu verbessern.
Als er eine sanfte Berührung auf seinem Arm spürte, sah er auf. „Es wird bestimmt nicht so schlimm, wie du befürchtest, Rothen“, sagte Sonea. „Dorrien wird erst zu Beginn der Sommerferien zurückkehren, um Viana nach Windbruch zu bringen. Solange er fort ist, wird Regin keinen Anlass haben, ihre Beziehung auszuspionieren. Außerdem hat er sich wirklich gebessert. Er ist mein Freund, Rothen. Ich muss es am besten wissen.“
Rothen dachte daran, wie ruhig und still Viana während ihrer Aufenthalte in der Gilde war, und nickte. Im Gegensatz zu seinem lebhaften Sohn gehörte sie zweifelsohne zu den Menschen, die ein Geheimnis für sich behalten konnten.
„Mir scheint, ich muss diese Entscheidung akzeptieren.“
Sie nickte traurig. „Es tut mir leid, Rothen. Aber das fürchte ich auch.“
***
Sonea fluchte, als Akkarins Hitzeschlag ihren Schild erschütterte. Sie wusste, sie hätte ihn mit einer Manipulation ihrer Abwehr zu ihm zurückwerfen können, wäre sie in der Lage gewesen, sich auf ihre Strategie zu konzentrieren, anstatt auf ihren Gegner einfach nur zu reagieren. Während sie in den letzten Stunden einige Fortschritte im Personenschutz erzielt hatte, da Dannyl im Gegensatz zu Regin der angenehmere Schützling war, hatte Akkarin darauf bestanden, mit ihr noch einige Tricks für den Einzelkampf aufzufrischen.
Was sie indes noch mehr ablenkte, war die Tatsache, dass sie zum ersten Mal seit ihrer Entführung Marikas ehemaligen Beratern gegenübertreten würde. Und ihre Vorbereitungszeit ging an diesem Tag zu Ende. Am nächsten Morgen würden sie und Dannyl aufbrechen. Würden die Ashaki die Gelegenheit nutzen, sie zu töten oder Kachiro auszuliefern? Sie konnte nur hoffen, dass es nicht so weit kam, weil die Verräter ihr und Dannyl beistehen würden.
Es wäre schlimmer, müsste ich alleine gegen sie kämpfen, sagte sie sich. Aber es wäre noch besser, würde Akkarin mit mir und Dannyl gehen. Er würde mich keiner unnötigen Gefahr aussetzen. Doch sie wusste auch, sollte er in einen Konflikt zwischen seiner Loyalität zu ihr und der Gilde geraten, so würde die Gilde gewinnen.
Wir haben eine Verpflichtung der Gilde gegenüber, hatte er ihr kurz nach ihrer Wiederaufnahme gesagt. Wir müssen unsere Verantwortung über unsere Beziehung stellen.
Sonea verfluchte ihn und sich selbst für das, was sie waren. Auch sie wollte die Menschen, die ihr wichtig waren, in Sicherheit wissen. Aber sie war nicht so hart wie Akkarin. Ihre Loyalität gehörte mehr ihm als der Gilde, was nicht nur daran lag, dass diese sie und Akkarin verbannt hatte, als sie herausgefunden hatte, dass sie schwarze Magie praktizierten. Ja, sie hatte sich ihm angeschlossen, um ihre Familie und ihre Freunde vor den Sachakanern zu beschützen. Aber wegen ihm hatte sie alles aufgegeben und war ihm nach Sachaka gefolgt. Sie hätte das nicht tun brauchen, sie hätte in der Gilde bleiben können und den anderen Magiern dabei zu helfen, die Ichani zu besiegen. Doch sie hätte den Gedanken, ihm könnte in Sachaka etwas zustoßen, nicht ertragen.
Würde Sonea vor die Wahl gestellt, so würde sie sich immer wieder für ihn entscheiden. Denn im Gegensatz zu all den anderen Menschen, die sie liebte, würde sie ohne ihn nur existieren. Dass sie ihn ein halbes Jahr lang für tot gehalten hatte, war schlimmer gewesen, als an Marika gebunden zu sein.
Aber das Wohl der Gilde und Kyralias waren darüber nicht vergessen. Indem Akkarin ihre Loyalität besaß, besaßen auch die Gilde und Kyralia sie.
Etwas riss sie brutal aus ihren Gedanken und ein tödlicher Treffer erschütterte ihren Inneren Schild. Verwirrt stellte Sonea fest, dass sie ihren äußeren Schild verloren hatte. Es allmählich begriff sie, dass es ein Gedankenschlag gewesen war.
„Sonea, was ist los?“
Akkarin stellte den Angriff ein und schritt zu ihr.
„Ich …“, begann sie und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie schämte sich für ihre Unaufmerksamkeit und sie wollte nicht, dass er von ihr enttäuscht war. Schließlich hatte sie es ihm zu verdanken, dass sie in Kriegskunst als Jahrgangsbeste abgeschlossen hatte. Doch je näher ihre Mission rückte, desto schwerer wurde es. „Es tut mir leid, ich war unkonzentriert.“
„Das habe ich bemerkt.“
Sie verzog das Gesicht. Sie konnte hören, dass er nicht erfreut war.
„Sonea, ich verstehe, warum dir die Vorstellung, Marikas Beratern zu begegnen, Unbehagen bereitet“, sagte er. „Doch ich kann darauf keine Rücksicht nehmen. Sollte es in Yukai oder auf dem Weg dorthin zu einem Kampf kommen, so erwarte ich, dass du dich zusammenreißt und meinen Anweisungen bedingungslos gehorchst. Denn nur so können wir Unfälle jeglicher Art vermeiden.“
„Das verstehe ich“, erwiderte sie und fühlte sich plötzlich wieder wie seine Novizin. Zugleich erfüllten seine Worte sie jedoch auch mit Sicherheit und Wärme, weil er ihr über ihr Blutjuwel beistehen würde. „Ich verspreche, Euch zu gehorchen, Hoher Lord.“
„Ich kann dir keine vollständige Sicherheit bei dieser Aktion bieten“, fuhr er ein wenig sanfter fort. „Das könnte ich nicht einmal, würde ich dich begleiten. Aber ich würde dich nur opfern, wenn mir keine andere Wahl bleibt. Und ich denke, wir sind uns einig, dass wir diesen Fall vermeiden sollten.“
Sonea nickte stumm.
Akkarin streckte eine Hand aus und strich über ihre Wange. „Und jetzt erwarte ich, dass du dich konzentrierst, damit ich dich weiter vorbereiten kann.“
„Dann hört auf, mich wie ein neugeborenes Harrel zu behandeln.“
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Was ist es nur, was dich immer wieder dazu treibt, so hart mit dir selbst ins Gericht zu gehen und Selbiges von mir zu erwarten?“, fragte er sanft.
Sie schnaubte. „Du kennst meine Gedanken in und auswendig. Sag du es mir.“
„Das würde ich, wenn ich es wüsste. Doch die Antwort bleibt mir bis heute verborgen. Ich wage fast zu behaupten, dass diese Seite an dir schon immer da war.“
Nur, dass sie dank Marika ausgeprägter ist. Nun, im Hinblick auf Akkarin sollte ich dafür dankbar sein. Was auch immer Akkarin mit seiner Unterbrechung ihres Trainings hatte bezwecken wollen, es hatte ihre Entschlossenheit, sich dem Unvermeidlichen zu stellen, wieder zum Leben erweckt und ihre Ängste an den Rand ihres Bewusststeins zurückgedrängt.
Ihr Kinn in einer rebellischen Geste vorschiebend sah sie zu ihm auf. „Lasst uns weitermachen, Hoher Lord. Ich will den Sachakanern zeigen, dass es ein Fehler wäre, mich ein zweites Mal zu entführen.“
Er bedachte sie mit dem Halblächeln, das sie so an ihm liebte. „Das ist es, was ich von dir hören wollte.“
Er ließ von ihr ab und sie traten ein paar Schritte auseinander. „Und jetzt will ich, dass du deinen Fähigkeiten alle Ehre machst.“
„Ja, Hoher Lord“, erwiderte sie.
Sie sah die Bewegung in der Luft um ihn herum nur schemenhaft, als er seinen Schild erneut errichtete. Rasch riss Sonea ihren eigenen Schild um sich hoch, dann prasselte auch schon ein Regen aus Feuerschlägen der unterschiedlichsten Stärke auf sie, manche so schwach wie ein Betäubungsschlag, andere so stark, dass sie für sich genommen als tödlicher Treffer gegolten hätten.
Die starken Feuerschläge erkennend, passte Sonea ihren Schild an diese an. Das kostete sie mehr Energie, als würde sie diese durchlassen, doch sie wollte sich nicht darauf verlassen, dass sie diese nicht mit Schildmanipulation ablenken konnte. Sich an ihre Lektionen in Kriegskunst zurückerinnernd konterte sie mit doppelten Kraftschlägen. Obwohl Akkarin die jeweils zweiten unmöglich sehen konnte, schien er genau zu wissen, wann sie kamen.
Sonea unterdrückte einen Fluch. Er kannte sie einfach zu gut. Vielleicht hätten wir Takedo mit in die Gilde nehmen und als Übungsobjekt benutzen sollen, fuhr es ihr durch den Kopf. Der Gedanke erfüllte sie mit einer grimmigen Erheiterung, doch sie wusste, es wäre unmöglich gewesen, einen feindlich gesonnenen schwarzen Magier hier festzuhalten.
Als etwas von hinten in ihren Schild schlug, wurde sie wieder ernst. Akkarin griff mit einem Hagel Kraftschläge an, die nahezu unsichtbar waren. Einige lenkte er ab, so dass sie Soneas Schild von hinten und von oben trafen, wo sie sie nicht ablenken konnte. Einen weiteren Fluch unterdrückend griff sie mit Gedankenschlag an und sandte zugleich einen Hitzeschlag durch den Boden.
„Ich habe aus der Schlacht von Imardin gelernt“, erinnerte er sie. „Was du auch versuchst, ich werde diesen Fehler nicht noch einmal machen.“
„Es wäre schlimmer, würdest du es tun“, gab sie zurück.
Als Antwort vibrierte der Boden unter ihren Füßen, als Akkarin mehrere Kraftschläge hindurchschickte. Sonea hatte alle Mühe ihren Schild anzupassen. Obwohl dieser überall gleich stark war, erforderte es mehr Magie, ihn durch den Erdboden hindurch zu halten und Akkarins Angriffe waren unerwartet stark.
Etwas durchbrach ihre Konzentration und sie verlor die Orientierung. Ihr Schild löste sich auf und etwas schlug hart gegen ihren Rücken. Sie versuchte, sich zu bewegen, doch ihr Körper war wie paralysiert. Nach Luft japsend versuchte Sonea, ihre Sinne zurückzuerlangen.
Akkarins Schild glitt über sie. Sein Dolch blitzte, Schmerz flammte in ihrem Unterarm auf. Dann kam die Trägheit.
Er nimmt meine Magie!
Noch immer benommen versuchte Sonea, die Trägheit zu bekämpfen und sich auf die Quelle ihrer Magie zu konzentrieren. Der leuchtende Ball aus Energie schrumpfte und das in einem bedenklich schnellen Tempo.
Es war nicht das erste Mal, das Akkarin das tat. Doch es war nicht Akkarin, den sie sah. Einen plötzlichen Zorn verspürend beschwor Sonea all ihren Willen herauf, visualisierte die Schatulle, in der ihre Magie ruhte, und zwang den Deckel nach unten. Der leuchtende Ball verschwand darin und der Energiefluss stoppte. Wissend, dass es noch nicht vorbei war, öffnete sie die Schatulle genug, um nach ihrer Magie zu greifen und sich zu heilen. Dann formte sie einen Betäubungsschlag.
Akkarin taumelte rückwärts und Sonea spürte, wie sich die magische Barriere auflöste, mit der er sie an der Wand des Domes fixiert hatte. Entsetzt sah sie zu, wie er unter dem unkontrollierten Zucken seiner Muskeln zusammenbrach. Entschlossen vertrieb sie ihre Gefühle. Nach ihrem eigenen Dolch greifend, stürzte sie zu ihm, kniete sich auf seine Brust und hielt die Klinge gegen seine Kehle.
„Ich würde sagen, die Runde geht an mich.“
„Dem stimme ich zu“, brachte er hervor.
Sonea ließ ihren Dolch sinken und sandte ein wenig heilende Magie in seinen Körper. Dann legte sie beide Hände auf seine Wangen. „Es tut mir leid“, flüsterte sie. „Der Betäubungsschlag war nicht so gemeint. Für einen Augenblick habe ich ihn gesehen.“
Zu ihrer Überraschung wirkte Akkarin zufrieden. „Es war zu erwarten, dass dein Zorn auf ihn irgendwann erwacht und du ihn auf den magischen Kampf projizierst“, sagte er. „Du hast gut gekämpft.“
Sonea lächelte erleichtert. „Vielen Dank, Hoher Lord“, sagte sie.
Akkarin schob sie sanft von sich und stand auf. „Deine Taktik, mich unter dem Schild mit Betäubungsschlag anzugreifen, war effektiv und ökonomisch“, sagte er eine Hand nach ihr ausstreckend. „Jeder schwarze Magier, der dich überwältigt, würde nicht mit einer solchen Gegenwehr rechnen.“
Sonea griff nach seiner Hand und ließ sich von ihm auf die Füße ziehen. „Die Sachakaner wissen auch nicht, dass ich dem widerstehen kann.“ Marika würde diese Information für sich behalten haben. Zuzugeben, dass eine Gildenmagierin zu verhindern gewusst hatte, dass er ihre Magie nahm, hätte ihn den Respekt seiner Ashaki gekostet. Es hatte ihr dennoch nicht viel geholfen. Marika hatte ihre Kräfte blockiert und am Ende hatte er alles bekommen, was er von ihr gewollt hatte.
Sonea hoffte, diese Strategie niemals wieder gegen Akkarin einsetzen zu müssen. Es war das erste Mal, dass sie ihn innerhalb seines Schildes angegriffen hatte. Für gewöhnlich überwältigte er sie vorher. Dieses Mal hatte er sich mit seiner ausgefeilten Taktik indes selbst keinen Gefallen getan.
Obwohl die Schlacht von Imardin fast drei Jahre zurücklag, sträubte sich alles in Sonea noch immer gegen die Vorstellung, ihn zu besiegen. Auch wenn er der einzige schwarze Magier war, an dem sie sich üben konnte, erschien ihn dies falsch. Wenn sie Akkarin besiegte, war das als wäre er schwach und damit verlor er für sie ein Stück des würdevollen, ehrfurchtgebietenden und furchteinflößenden Hohen Lords.
„Genug für heute“, entschied Akkarin. „Wir haben heute viel erreicht. Das Resultat sollte dir Sicherheit für die nächsten Wochen geben. Ich will diesen Effekt nicht zerstören, indem wir noch eine Runde kämpfen.“
Sonea nickte. Sie wusste, sie hätte die nächste Runde nicht gut gemacht. Nicht nachdem sie für einen Augenblick Marika in ihrem Mann gesehen und ihren Zorn an ihm ausgelassen hatte.
„Lass uns nach Hause gehen“, sagte sie daher. „Dann können wir vor dem Essen noch ein wenig mit Lorlen spielen.“
Der Anflug eines Lächelns huschte über Akkarins Gesicht. „Das halte ich für eine gute Idee.“
***
In Asaras gesamtem Leben hatte die Große Mutter sie erst einmal in ihre privaten Gemächer bestellt. Als sie erfahren hatte, dass Asara die Magie ihres Gefährten entfesselt hatte. Damals war Asara nur knapp der Verbannung entkommen. „Würdest du in Arvice nicht so gute Arbeit leisten, so würde ich nicht zögern, dich für deinen Regelbruch zur Ichani zu erklären“, hatte Savedra ihr mit unterdrücktem Zorn eröffnet. „Wir verbieten unseren Männern nicht grundlos, über Magie zu gebieten. Das sachakanische Blut in ihren Adern macht sie zu Tyrannen.“
„Aber es gibt auch Ausnahmen“, hatte Asara beharrt. Auf Anhieb fielen ihr gleich ein Dutzend Ashaki ein, die sich weder an politischen Intrigen oder Nachbarschaftsfehden beteiligten, noch ihre Frauen und Sklaven schlecht behandelten. „Ich habe Vikachas Gedanken gelesen. Es käme ihm niemals in den Sinn, höhere Magie zu erlernen und seine damit verbundene Macht zu missbrauchen. Er ist mir absolut ergeben.“
Nach einer hitzigen Diskussion hatte Savedra schließlich nachgegeben, Asara jedoch das Versprechen abgenommen, Vikacha niemals in höherer Magie zu unterweisen und ihn zu töten, sollte er diese auf anderem Wege lernen. Letzteres hatte Asara nur widerwillig versprochen. Im Gegensatz zu Savedra kannte sie ihren Gefährten. Sie hätte ihn persönlich in höherer Magie unterwiesen, damit er bei seinen Missionen besser geschützt war und das wäre nicht der einzige Grund gewesen.
Asara verlangte es nach einem Mann, der ihr ebenbürtig war. Aus diesem Grund verzichtete sie darauf, höhere Magie im Bett zu praktizieren, auch wenn der Gedanke einen ungeahnten Reiz auf sie ausübte. Doch auch mit niederer Magie ließ sich eine Menge Spaß haben.
Bei ihrem nächsten Besuch in der Zuflucht hatte sie Vikacha mitbringen müssen. Die Große Mutter hatte seine Gedanken gelesen und sich persönlich von seinen Motiven überzeugt.
„Er mag dir jetzt noch ergeben genug sein, um nicht an größerer Macht interessiert zu sein“, hatte Savedra anschließend erklärt. „Doch jeder sachakanische Mann strebt in seinem Herzen danach, das Geheimnis höherer Magie zu enthüllen und zu beherrschen. Solltest du eines Tages wieder hierher versetzt werden, so werde ich seine Kräfte blockieren lassen.“
Das war etwas, das Asara schwer zu akzeptieren gefallen war. Sie hatte Savedra vorwerfen wollen, dass Vikacha dadurch wieder zu einem Sklaven würde und dass das genau das war, was die Verräter zu bekämpfen suchten. Welchen Sinn hatte es, Sklaven aus den Fängen ihrer tyrannischen Herren zu befreien, wenn sie bei den Verrätern keine Magie praktizieren durften? Sie hatte sich ihre bissige Erwiderung jedoch gespart, um Savedra nicht auf die Idee zu bringen, sie wegen ihrer Uneinsichtigkeit zur Ichani zu erklären.
Seit jenem Tag war Vikacha ein ewiges Streitthema zwischen ihnen. Obwohl Savedra die Arbeit ihrer Tochter für die Verräter schätzte, konnte sie sich nicht mit der Tatsache, dass diese ihren Gefährten in Magie unterwiesen hatte, anfreunden. Und jetzt hielt sie Asara davon ab, zu ihm zurückzukehren, obwohl ihr letzter Auftrag längst erledigt war und alle wichtigen Themen für Yukai diskutiert waren.
Wenn sie mir heute nicht endlich sagt, dass ich zurück nach Arvice kann, darf sie sich auf etwas gefasst machen!, dachte Asara grimmig, während sie durch den Tunnel zu Savedras Gemächern schritt. Im Hinblick auf die bevorstehende Konferenz war es wichtiger denn je, die Stadt zu beobachten. Kachiro ließ sich durch seine Berater vertreten, doch die Verräter würden bei den Verhandlungen einen Vorteil haben, wenn sie über die Ereignisse in der Stadt auf dem Laufenden waren. Der Zeitpunkt für Kachiros angeblichen Geheimplan war denkbar günstig. Die wichtigsten Vertreter aller am Krieg beteiligten Parteien würden in Duna sein, die Aufmerksamkeit ihrer Leute würde dorthin gerichtet sein. Und die beiden höheren Gildenmagier würden für die Dauer der Verhandlungen voneinander getrennt sein.
Noch viel interessanter für Asara war indes die Frage, was es mit Ishakas angeblicher Verschwörung gegen den Imperator auf sich hatte. Ihre und Anjiakas Leute waren bereits darauf angesetzt, doch bis jetzt hatte nicht einmal Mivara, die nun zum Haushalt eines von Ishakas engsten Ashaki-Freunden gehörte, brauchbare Informationen.
Ich weiß nur, dass Ishaka und Tarko einige vertrauliche Gespräche geführt haben, zu denen Tarko mich und die anderen Sklavinnen fortgeschickt hat, hatte Mivara berichtete. Das war noch lange kein Beweis, doch für Asara schrie das nach Verschwörung.
Savedra stand auf dem weitläufigen Balkon ihrer Gemächer, die Arme auf die Brüstung gestützt. Illara und Talaria standen zu beiden Seiten der Öffnung, die von dem Wohnraum nach draußen führte. Asara nickte ihnen zu und betrat dann den Balkon.
Als ihre Stiefel den steinernen Boden berührten, wandte Savedra sich um. „Asara“, sagte sie. „Gut, dass du so schnell gekommen bist. Es gibt einiges zu besprechen.“
„Große Mutter“, erwiderte Asara und neigte leicht den Kopf, wobei sie den Blickkontakt zu der anderen Frau hielt. „Wie kann ich dir behilflich sein?“
„Ich habe einen neuen Auftrag für dich. Ich entschuldige mich, weil du so kurzfristig davon erfährst. Doch es gibt Dinge, die ich in diesen Zeiten sogar vor meinen eigenen Töchtern geheim halten muss.“
„Weil einige von ihnen Kontakt zu Vinjiakas Rebellen haben“, folgerte Asara. Sie fragte sich, von welcher Natur dieser Auftrag war. Doch irgendwie beschlich sie das Gefühl, er würde sie an jeden anderen Ort als zurück nach Arvice führen.
Die Große Mutter nickte. „Ich kann sie dafür nicht zu Ichani erklären, da ich sie brauche und sie gute Arbeit leisten. Es ist kein Verbrechen, mit ihren ehemaligen Schwestern zu kommunizieren. Und Vinjiaka und ihre Rebellen sind uns zur Hilfe geeilt, als die Duna unsere Zuflucht angegriffen haben. Doch jetzt, wo die Rebellen an der Konferenz teilnehmen, wäre es fatal, wenn gewisse Informationen zu ihnen gelangen. Wir dürfen nicht vergessen, warum sie zu Ichani wurden.“
Da musste Asara ihrer Anführerin recht geben. Als sie das Bündnis mit den Gildenmagiern eingegangen war, hatte Savedra jene Verräter, die gegen das Bündnis waren, vor die Wahl gestellt, sich ihr anzuschließen oder die Verräter zu verlassen. Es war ein harter, aber notwendiger Schritt gewesen, um ihr Volk geschlossen durch diesen Krieg zu führen. Dadurch waren die Rebellen jedoch auch zu einer Gefahr für den Frieden geworden.
Asara trat neben die andere Frau und ließ ihren Blick über das friedliche Tal schweifen, das sie bei ihrer Initialisierung zu schützen geschworen hatte. Die Blütenpracht der Bäume und Sträucher wich allmählich einem saftigen Grün, das dem der Wiesen und Weiden gleichkam. Bei diesem Anblick kam Asara nicht umhin, sich darüber zu wundern, wie die Rebellen das Exil einem Leben in der Zuflucht vorziehen konnten. Indem sie sich gegen das Bündnis mit den Gildenmagiern gestellt hatten, hatten sie all das hier aufgegeben. Stattdessen kämpften sie nun in den Ödländern um ihr Überleben und waren mehr in den Krieg involviert als sie es gewesen wären, wären sie geblieben.
Ob sie inzwischen erkannt haben, dass es ein Fehler war? Asara kannte Vinjiaka. Der mit einer solchen Erkenntnis einhergehende Zorn würde sich nicht gegen sie selbst richten. Stattdessen würden Ashaki und deren Sklaven leiden müssen, selbst wenn sie nichts mit dem Krieg zu tun hatten.
„Das zu vergessen, wäre töricht“, stimmte sie zu. „Aber wir dürfen sie bei den Verhandlungen nicht ignorieren. Sie waren einst unsere Schwestern.“
„Die Imperialisten nehmen auch an der Konferenz teil und trotzdem traue ich Kachiro einen Überraschungsangriff zu, während seine Diplomaten mit uns und den Gildenmagiern verhandeln. Ich rechne nicht damit, dass die Rebellen sich ruhig verhalten.“
„Ich bin sicher, Belara und die anderen wissen mit ihnen umzugehen“, erwiderte Asara. „Kachiro bereitet mir größere Sorgen.“
„Nicht nur dir, meine liebe Tochter.“
„Worauf wartest du dann noch?“, fragte Asara. „Schick mich zurück nach Arvice und ich sorge dafür, dass du alle Informationen bekommst, um Kachiros heimliche Kriegspläne zu vereiteln.“
„Nein.“
Asara starrte die Große Mutter an. Sie hatte es bereits befürchtet, als Savedra von dem neuen Auftrag gesprochen hatte. Doch jetzt begann sich ein ungeheurer Zorn in ihr zu regen.
„Du verbietest mir, zurück nach Arvice zu gehen und zugleich, an der Eskorte für die Gildenmagier teilzunehmen, nur um mir jetzt irgendeinen Auftrag zu geben, der meinen Fähigkeiten nicht gerecht wird?“, entfuhr es ihr.
Savedra seufzte. „Asara, Liebes. Hör mich doch an.“
In einer rebellischen Geste verschränkte Asara die Arme vor der Brust. „Ich höre.“
„Momentan traue ich weder den Imperialisten noch den Duna oder den Rebellen“, begann die Große Mutter. „Und schon gar nicht manchen meiner eigenen Töchter. Deswegen habe ich dies bis jetzt geheim gehalten. Zusammen mit einigen anderen Verrätern aus den verschiedenen Regionen des Landes wirst du mit dem von uns zugesagten Proviant für die Konferenz nach Yukai reisen. Ihr werdet die Interessen der Verräter vertreten.“
Das hatte Asara am allerwenigsten erwartet. Sie war verwirrt. „Ich verstehe nicht ganz“, sagte sie. „Unsere Interessen werden doch von denselben Leuten vertreten, die Dannyl und Sonea nach Yukai bringen. Was soll ich dann dort?“
„Die Eskorte des Auslandsadministrators und der Frau des Hohen Lords besteht aus einigen unserer besten Kämpferinnen. Für diplomatische Angelegenheiten sind sie ungeeignet, weswegen ich ihren Einsatz während der Konferenz mit ihren Blutjuwelen vor meinen Töchtern gerechtfertigt habe. Tatsächlich war es jedoch niemals gedacht, sie wirklich die Interessen unseres Volkes vertreten zu lassen. Ihr Temperament ist zu aufbrausend.“
„Und deswegen brauchst du mich.“
„Richtig.“
„Wer wird noch gehen?“
„Zalava, Lahiri und Nirili. Wahrscheinlich noch Ivara und Arlava – das werde ich im Laufe des Tages entscheiden.“
„Aber“, begann Asara. „Einige von ihnen könnten den Ashaki bekannt sein.“
„Ihr werdet Schleier tragen.“
Asara schnitt eine Grimasse. Sie hasste Schleier. Selbst die leichten, durchscheinenden, die sich so großer Beliebtheit erfreuten, seit ein Ashaki einen Weg gefunden hatte, die Stoff schimmern zu lassen.
Allmählich begann der Plan jedoch einen Sinn zu ergeben. Asara war indes alles andere als glücklich damit. „Ich verstehe, warum du mich für diesen Auftrag brauchst“, sagte sie. „Aber ich könnte in Arvice eine größere Hilfe sein. Das Netzwerk ist noch lange nicht aufgebaut und unsere Delegation wird jeden nützlichen Hinweis brauchen, den sie aus der Stadt bekommen können.“
„Anjiaka wird diese Aufgabe übernehmen. Sie hat bereits einige eigene Leute aus Ashaki Sarakis Haushalt für unsere Sache gewonnen. Sie werden sich mit deinen Informanten austauschen.“
„Meine Leute brauchen mich“, beharrte Asara verärgert.
„Du brauchst deinen Bettgefährten“, schnitt ihr Savedra das Wort ab. Ihr Blick wurde missbilligend. „Du wirst dich nach Yukai begeben und die Interessen der Verräter aus der Stadt vertreten. Da es dir in Gesellschaft nicht erlaubt ist unaufgefordert zu sprechen, werden die Ashaki dich nicht an deiner Stimme erkennen. Deinen Leuten kannst du auch von Yukai aus über ihre Blutjuwelen Anweisungen erteilen.“
„Bei unserer letzten Diskussion hast du noch etwas anderes gesagt.“
„Weil ich einen Vorwand brauchte, um dich hierzubehalten.“ Ein humorloses Lächeln umspielte Savedras Mundwinkel. „Sieh es einmal so, Asara. Seit Monaten versuchst du, mit deinen Leuten an Ashaki Ishakas Bettsklavin heranzukommen. Yukai wird dir da eine einmalige Gelegenheit bieten.“
Asara schnaubte. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass er sie mitnimmt?“
„Ishaka ist auch nur ein Mann. Er wird Wochen, wenn nicht sogar den ganzen Sommer über fort sein. Da wird er wohl kaum auf die einzige Frau verzichten wollen, die er insgeheim begehrt.“
„Wenn du das so ausdrückst, wird es wohl stimmen.“
Savedra lächelte, dann wurde sie wieder ernst. „Ihr werdet heute Nacht aufbrechen. Bis dahin erwarte ich, dass du kein Wort über deinen Auftrag verlierst. Auch nicht gegenüber den anderen, die mit dir reisen werden.“
***
Obwohl Sonea als Frau des Hohen Lords an formale und weniger formale Dinner mit den Menschen, die sie liebte, gewöhnt war, ließ dieses ihr Herz schwer werden. Der Tisch im Speisezimmer der Residenz war gerade groß genug, um allen Gästen Platz zu bieten, weil auch Dannyl und sein Assistent gekommen waren. Sie war froh, dass Farand und Viana zu sehr mit Lernen beschäftigt waren, Jonna und Ranel die Magier fürchteten und ihr Freund Cery wenige Stunden zuvor abgesagt hatte, weil er mit seinen Leuten einen brutalen Mörder quer durch die Hüttenviertel jagte, dem er schon seit Wochen auf der Spur war.
An diesem Abend war die Stimmung erfrischend informell, was Sonea begrüßte, weil sie auf diese Weise nicht gezwungen war, die weiblichen Gäste zu unterhalten. Selbst Akkarin schien sich nicht ganz ernstzunehmen, wie sie aus seinen teils selbstironischen Bemerkungen schloss. Das Gelächter und der viele Wein konnten sie jedoch nicht von dem ablenken, was ihr in den nächsten Tagen und Wochen bevorstehen würde.
Es ist fast wie das Dinner an dem Abend, bevor wir in den Krieg gezogen sind, dachte sie. Nur dass sie damals bei Rothen gewesen waren und statt Regin, Trassia, Luzille und Balkan, Rothens betagte Freunde mit von der Partie gewesen waren. Lord Yaldin war jedoch im Krieg gestorben und seine Frau war nach Elyne gegangen, um den Lebensabend bei ihrer Familie zu verbringen.
Das Gefühl war dem von damals jedoch erschreckend ähnlich. Während Sonea in den vergangenen Tagen zu sehr mit den Vorbereitungen beschäftigt gewesen war, um in Panik zu verfallen, und sie die Nächte dank des Nemmins durchgeschlafen hatte, fiel es ihr nun, so wenige Stunden von ihrem Aufbruch, schwer sich abzulenken.
Bei meinem letzten Ausflug nach Sachaka bin ich entführt worden, dachte sie. Jetzt würde sie dort die Strafe für den Mord an Marika erwarten. Die Sachakaner würden sie töten wollen, oder – was für Sonea noch schlimmer war – sie zurückverlangen, um ihr zu zeigen, wo ihrer Meinung nach ihr Platz war.
Der Gedanke ließ sie schaudern. Dank ihrer Ringe würde Akkarin sie finden. Aber er würde ihren Tod nicht verhindern können, sollten die Sachakaner sich dazu entscheiden, sie zu töten. Mit einem Mal kam ihr der Trip zum Südpass, wo sie gegen die Ichani gekämpft hatten, wie eine Routineangelegenheit vor.
Der Klang ihres Namens ließ sie zusammenzucken.
„Ja?“
Sie wandte sich zu Luzille, die sie erwartungsvoll ansah.
„Sonea, was meinst du dazu?“
„Wozu?“, fragte sie.
„Ob ein Kurs in Sozialverhalten für die Novizen aus den Häusern nicht eigentlich absolut überbewertet wird.“
Sonea nippte an ihrem Wein. „Wer sagt, dass das überbewertet wäre?“, fragte sie.
Die Gilde hatte den Kurs längst genehmigt. In wenigen Wochen würde Rothen ihn gemeinsam mit Lord Larkin starten. Im Herbst würde Sonea den Kurs für die Winternovizen mit Rothen halten.
Wenn ich zurückkehre …
„Na, unser Lord ich-wäre-so-gern-Oberhaupt-der-Krieger.“ Mit einer lakonischen Geste wies die junge Elynerin zu Regin, der mit selbstgefälliger Miene sein Jari-Steak in gleichgroße mundgerechte Stücke zerteilte.
Trassia beugte sich zu ihr. „Du hast gar nicht zugehört, nicht wahr?“, flüsterte sie.
„Tut mir leid, ich war abgelenkt.“
„Machst du dir Sorgen wegen deiner Reise?“
„Ich bin noch einmal durchgegangen, ob ich wirklich alle Vorbereitungen getroffen habe“, wich Sonea aus. Sie hasste es, ihre Freundin anzulügen, doch sie konnte es noch weniger über sich bringen, sich vor Trassia gegenüber einzugestehen, was seit ihrer Entscheidung in ihr vorging. Einen weiteren Schluck Wein trinkend sah sie zu Regin und Luzille.
„Überbewertet wäre ein solcher Kurs nur, wenn die Sprösslinge der Häuser nicht so arrogant und verwöhnt werden“, sagte sie. „Jedoch finde ich, dass es auch einigen Magiern guttun würde, einen solchen Kurs zu besuchen.“
„Ich wüsste da schon ein paar geeignete Kandidaten“, murmelte Dannyl.
Rothen hustete in sein Weinglas. „Nicht nur du.“
Akkarins Mundwinkel zuckten. „Gewisse Verhaltensregeln sollten für jeden Gildenmagier Voraussetzung sein, der uns nach außen repräsentiert. Dies gilt insbesondere für höhere Magier und jene, die eine solche Position anstreben.“
Alle Gäste bis auf Regin begannen zu lachen. Sonea sah zu ihrem Mann. Als ihre Blicke sich trafen und er sie mit seinem Halblächeln bedachte, machte ihr Herz einen Sprung. Mit einem Mal fragte sie sich, wie sie die vor ihr liegenden Wochen ohne ihn überstehen sollte. Seit ihrem Entschluss, Dannyl zu begleiten, hatte so viel zwischen ihnen gestanden. Akkarin war mehr denn je um ihre Sicherheit besorgt und ihre Träume von Marika hatten ihre Beziehung verkompliziert, doch während der Vorbereitung auf ihre Mission, waren sie einander auf einer anderen Ebene nähergekommen. Sie wünschte, ihnen bliebe die Zeit, das zu vertiefen. Die vergangenen Wochen hatten ihr gezeigt, dass die tiefe sexuelle Ebene, die sie erreicht hatten, nicht alles war, was ihre Liebe ausmachte, wenn auch sie durch ihre bedingungslose Liebe überhaupt erst zustande gekommen war. Aber sie war auch dankbar, dass sie ihn nicht mit dem Gefühl verlassen musste, dass etwas zwischen ihnen nicht mehr stimmte.
Trotzdem bringt mich der Gedanke, ihn vielleicht niemals wiederzusehen, um … Das halbe Jahr in Arvice war sie innerlich tot gewesen. Sie hatte existiert, einzig angetrieben von ihrem Überlebensdrang und völlig beherrscht von ihrer dunklen Seite. Diese Erfahrung hatte sie verändert, ohne Akkarin wäre nichts von der alten Sonea zurückgekehrt.
„Ich weiß nicht, warum ihr alle so auf mir herumhackt“, sagte Regin mit Unschuldsmiene. „Meine Freundschaft zu Sonea sollte alle inzwischen doch eines Besseren belehrt haben.“
„Mein Lieber, wem willst du hier eigentlich etwas vormachen, wenn wir doch alle die Wahrheit kennen?“, flötete Luzille.
Rothen und Dannyl brachen in lautes Gelächter aus. Doch auch Sonea konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ein Seitenblick zu Trassia verriet, dass auch ihre Freundin erheitert war. Ihre Schwierigkeiten haben sich wirklich aufgelöst, dachte Sonea erfreut. Während der Vorbereitung auf ihre Mission hatte Sonea kaum Gelegenheit gehabt, sich um ihre beiden Freunde zu kümmern. Doch Trassia hatte offenkundig erkannt, dass ihre Eifersucht, wenn Regin mit anderen Frauen sprach, völlig unbegründet war. Sie schien sogar akzeptiert zu haben, dass Regin noch nicht bereit für Kinder war.
Wenn ich fort bin, müssen sie ihre Probleme ganz ohne mich lösen, dachte sie. Es war eines der vielen Dinge, um die sie sich sorgen und die sie vermissen würde, wenn sie erst einmal fort war. Der Gedanke stimmte sie wehmütig und verstärkte ihre Furcht, nicht zurückzukehren. Ob es Dannyl ähnlich erging?
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Akkarins Augen zu ihr blitzten. Als ihre Blicke einander begegneten, hob er eine fragende Augenbraue.
Denk nicht darüber nach, befahl Sonea sich. Das macht den Abschied nur umso schwerer.
Ihre Gedanken vertreibend wandte sie sich wieder ihren Gästen zu.
***
Trotz der heiteren Stimmung konnte Rothen sich an diesem Abend eines hartnäckigen Gefühls von Abschied nicht erwehren. Zwei der Menschen, die ihm am nächsten standen, würden am nächsten Tag zu einer gefährlichen Mission aufbrechen. Obwohl sämtliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden waren und Sonea und Dannyl unter dem Schutzmantel der Diplomatie reisen würden, fürchtete Rothen um die beiden. Auf dem langen Weg nach Yukai konnte viel passieren und er scheiterte an der Vorstellung, dass sechs verfeindete Parteien lange friedlich an einem Ort ausharren konnte, selbst wenn dieser heilig war. Angesichts der Ereignisse seit Winterende konnte er nicht glauben, dass alles gutging.
Ganz wie ihr Mann ließ Sonea sich nichts von ihren Emotionen anmerken. Seit ihrer Entführung hatte sie gelernt, andere nicht sehen zu lassen, was in ihr vorging. Nur, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, konnte Rothen aus dem Ausdruck in ihren Augen lesen, dass ihr Auftrag sie doch nicht so kalt ließ, wie sie vorgab.
Auch wenn Dannyl seine Gefühle mit seiner üblichen Heiterkeit überspielte, war Rothen sicher, dass es ihm nicht anders erging. Allerdings war er Diplomat und zweifelsohne darin geübt, die Menschen in seiner Umgebung nur genau das sehen zu lassen, das sie sehen sollten.
Wenn es nach mir ginge, würde keiner von beiden gehen, dachte Rothen. Doch er wusste, das war unmöglich. Sollte es je zu einem Frieden kommen, so war Dannyl die größte Chance, diesen herbeizuführen. Und Sonea stellte seine größten Überlebenschancen dar.
Die Tür öffnete sich und Takan betrat das Speisezimmer mit einem Tablett voll Dessertschälchen. Rothen erhaschte einen Blick auf winzige Kuchenstücke verziert mit Früchten und einer gelblichen Creme.
„Kegelkuchen mit einer Füllung aus Pachiwein an Fruchtmus und Piorres-Sahne“, erklärte der Diener, als er die Schälchen vor ihnen abstellte.
„Oh, das klingt wundervoll!“, rief Luzille. „Wenn ich doch nicht schon satt wäre!“
„Ich kann Euch Eure Portion einpacken“, bot Takan an.
„Oder du gibst sie jemandem, der noch Hunger hat“, feixte Regin.
Luzille schenkte dem Assistenten ihres Mannes ein raubtierhaftes Lächeln. „Diese Chance hast du dir heute verspielt, mein Lieber!“
Eine Grimasse schneidend, steckte Regin seine Gabel in das Schälchen vor seinem Platz. Auch Rothen griff nach seiner Gabel und probierte ein kleines Stück. Ein köstlicher süß-säuerlicher Geschmack kombiniert mit der leichten alkoholischen Note des Weines breitete sich in seinem Mund aus. An diesem Abend hatte Akkarins Diener sich wahrhaftig selbst übertroffen.
Rothen ließ seine Gabel sinken. Mit einem Mal war ihm der Appetit vergangen. Als er zu Sonea sah, bemerkte er, dass auch sie ihr Dessert kaum anrührte, während ihre Gäste sich gierig darüber hermachten.
Lord Balkan und seine Frau waren die Ersten, die sich verabschiedeten. „Hoher Lord, Luzille und ich bedanken uns für die Einladung und wünschen Euch und Eurer Frau eine gute Nacht.“
„Sonea und ich wünschen Euch ebenfalls eine gute Nacht“, erwiderte Akkarin.
Das Oberhaupt der Krieger sah zu Sonea. „Viel Glück bei Eurer Mission“, wünschte er und nickte ihr knapp zu.
Dann trat Luzille vor und schloss die kleine schwarze Magierin in ihre Arme. „Pass auf dich auf, meine Süße“, hörte Rothen sie flüstern. Soneas Antwort konnte er indes nicht verstehen. Verlegen machte sie sich los, dann traten Regin und Trassia zu ihr, um sich zu verabschieden.
Seine Serviette beiseitelegend erhob Rothen sich. „Ich sollte auch gehen. Die Erstjahresnovizen wollen zur ersten Stunde unterrichtet werden.“
„Du meinst wohl, du willst sie zur ersten Stunde aus dem Bett scheuchen“, feixte Dannyl.
„Ah, genau das!“, rief Rothen.
„Wir begleiten dich. Die allgemeine Aufbruchsstimmung hat auch mich angesteckt.“ Dannyl leerte sein Glas und nickte seinem Assistenten zu. „Kommst du?“
„Sofort, Auslandsadministrator.“ Tayend stellte sein Weinglas ab und erhob sich.
Gemeinsam traten sie vor die beiden schwarzen Magier.
„Tayend und ich danken für die Einladung“, sprach Dannyl. „Das Essen war wie immer ein Genuss.“
„Ich werde Euer Lob an Takan weitergeben“, erwiderte Akkarin.
Dannyl neigte respektvoll den Kopf. „Hoher Lord, ich wünsche Euch und Eurer Frau eine geruhsame Nacht.“ Er zwinkerte Sonea zu. „Wir sehen uns in wenigen Stunden.“
Sonea nickte. „Schlaft gut.“ Sie lächelte Tayend zu. „Und Euch wünsche ich eine schöne Zeit hier in der Gilde. Lasst Euch nicht dazu nötigen, Tag und Nacht in verbotenen Büchern zu lesen.“
„Oh, ich könnte mir keine angenehmere Strafe vorstellen!“, erwiderte Dannyls Assistent erheitert.
Zuletzt trat Rothen vor. „Pass auf dich auf“, sagte er. Einem unwillkürlichen Impuls folgend nahm er Sonea in die Arme. „Und pass auf Dannyl auf“, flüsterte er.
„Das werde ich“, versprach sie. „Und mach dir nicht so viele Sorgen. Wir werden diesen Auftrag überstehen und dann werden wir dem Frieden ein großes Stück nähergekommen sein.“
Ich wünschte, ich könnte das glauben. Stattdessen setzte er ein Lächeln auf und bestärkte Sonea von dieser Idee. Sie würde jede Zuversicht brauchen, die sie bekommen konnte.
„Kommst du noch mit auf eine Tasse Sumi oder ein Glas Pachiwein?“, fragte Rothen, während sie den Weg zur Universität entlang schritten.
„Das würde ich liebend gerne.“ Dannyl warf einen Blick zu seinem Assistenten. „Doch ich fürchte, ah, ich muss meinem Assistenten noch einige Anweisungen für die Dauer meiner Abwesenheit geben.“
Rothen runzelte die Stirn. „Hattest du dafür nicht den ganzen Tag Zeit?“
„Da war ich mit meinen eigenen Reisevorbereitungen und einem letzten Training in der Arena beschäftigt.“ Sein Freund lächelte glatt. „Du weißt doch, ich werde mich morgen der größten diplomatischen Herausforderung meiner Karriere stellen. Was meinst du, was es dafür alles vorzubereiten gab?“
„Ich kann es mir denken“, murmelte Rothen. Seit die Gilde Dannyl zum Botschafter ernannt hatte, hatte er einige Abenteuer erlebt, die Rothen schlaflose Nächte bereitet hatten – allem voran seine Reise nach Arvice mit seinem Vorgänger. Damals wie heute war Rothen besorgt gewesen. Daran änderte auch nichts, dass Dannyl von einer hervorragenden Kriegerin begleitet wurde, die mehr als das Hundertfache ihrer eigenen Magie besaß, und dass sie ihre Reise vom Nordpass an mit einer Eskorte von Verrätern fortsetzen würden.
Dannyls Mission war gefährlich. In Yukai würde er nicht mit nur einem Gegner, sondern gleich mehreren verhandeln müssen. Und auch auf dem Weg dorthin lauerten zweifelsohne zahlreiche Gefahren.
Auf dem Platz vor der Universität wartete eine Kutsche. Dannyl blieb stehen.
„Dann heißt es jetzt Abschied nehmen.“
Rothen nickte. Er klopfte Dannyl auf die Schulter. „Pass auf dich auf“, sagte er. „Und auf Sonea.“ Einem plötzlichen Impuls folgend schloss er Dannyl in seine Arme. „Ich will, dass ihr beide lebend zurückkommt.“
„Ich werde versuchen, mich nicht in allzu große Gefahr zu begeben“, erwiderte Dannyl. „Versprechen kann ich dir jedoch nichts. Schließlich bin ich kein schwarzer Magier.“
„Und das ist auch gut so.“
Lachend löste Dannyl sich von ihm. „Also dann, alter Freund. Pass du auch auf dich auf. Und auf deine Novizen, dass sie dir nicht die Universität in die Luft jagen.“
„Wahrhaftig!“, rief Rothen. „Nicht einmal zusammengenommen haben sie so viele Flausen im Kopf wie du, alter Feind!“
„Und trotzdem ist etwas aus mir geworden.“ Dannyl klopfte ihm auf die Schulter. „Wir sehen uns in ein paar Monaten.“ Er nickte Tayend zu und bestieg die Kutsche.
Das hoffe ich, dachte Rothen. „Ich wünsche dir eine gute Reise. Ich würde ja kommen, um dich zu verabschieden, aber um diese Zeit werde ich noch tief und fest schlafen.“
„Schon gut“, winkte sein Freund ab. „Ich denke, wir hatten heute Abend genug Zeit, uns zu verabschieden.“
Dann klopfte er gegen das Dach und die Kutsche rollte an.
Rothen sah ihr nach, wie sie durch die Tore der Gilde in den Inneren Ring rollte, und fragte sich, warum Dannyl die Besprechung mit seinem Assistenten nicht in seinem eigenen Quartier abhalten konnte, wenn er doch bereits in wenigen Stunden seine Reise antreten würde, und warum die Menschen, die er liebte, die schlechte Angewohnheit besaßen, sich andauernd in Gefahr zu begeben.
***
Sonea trug die Schatulle mit ihren Dolchen zu dem Tisch in der Mitte des Kellerraums und löste das magische Schloss. Eine Weile betrachtete sie die beiden Klingen und ihre juwelenbesetzten Griffe schweigend. Beide hatten ihre eigene grauenhafte Geschichte und waren mehr als nur Trophäen. Die linke hatte sie einst aus Akkarins Brust gezogen, als sie ihm bei der Schlacht von Imardin das Leben gerettet hatte.
Der anderen Klinge hatte sie die zahlreichen Narben an ihren beiden Unterarmen zu verdanken. Anstatt Leben zu retten, hatte sie sich mit diesem Dolch ihre eigene Freiheit erkauft. Doch Sonea wusste, dieser Vergleich hinkte. Sie mochte den Besitzer dieser Klinge getötet haben, doch die Narben an ihren Armen und die Tätowierung einer Sichel mit Blutstropfen auf ihrem Schulterblatt, sagten etwas anderes. Die Narben würden nie verschwinden und sie wusste genug über Heilkunst, um sicher zu sein, dass die Entfernung ihrer Tätowierung ebenfalls eine Narbe zurücklassen würde, die sie anstelle des Abbilds an ihre Bedeutung erinnern würde.
Sonea widerstand dem Drang, den rechten Dolch auszuwählen. Obwohl er für sie inzwischen eine größere Bedeutung als der Karikos hatte, sprachen mehr als nur die Schuldgefühle gegenüber ihrem Mann dagegen. Auf der Konferenz würde dies als offene Provokation gegenüber den Imperialisten gelten. Sie würden das Cravas auf der Klinge erkennen und es als Beweis sehen, dass sie den letzten König von Sachaka getötet hatte.
Beinahe halbherzig wählte sie den linken und legte ihn zu dem Ledergürtel, mit dem sie den Dolch an ihrer Hüfte tragen würde.
„Sonea.“
Sie sah auf. Am anderen Ende des Tisches hatte Akkarin mehrere Gegenstände abgelegt. Sie entdeckte einen Speicherstein und mehrere Phiolen mit einer klaren Flüssigkeit. Und zwei kleine grüne Juwelen.
„Es ist Zeit, dir deinen Geheimniswahrer zu geben.“
Sonea erschauderte. „Dann bringen wir es hinter uns.“
„Komm her.“
Sie umrundete den Tisch, dankbar, weil er ihre unerfreulichen Gedankengänge unterbrochen hatte und sie nicht länger über den Dolch mit dem Cravas nachdenken brauchte. Vor ihm blieb sie stehen.
„Beug dich nach vorne.“
Sie gehorchte. Seine kühle Hand strich die Haare in ihrem Nacken zur Seite und drückte ihren Kopf hinab, dann spürte Sonea einen kurzen heftigen Schmerz, als er die Haut an ihrem Haaransatz aufschnitt. Rasch blockierte sie die Nerven in dieser Region. Dumpf spürte sie, wie er etwas kleines, Hartes in den Schnitt schob, bis es von der Haut komplett verdeckt wurde. Dann durchströmte sie heilende Magie und sie musste dem Drang widerstehen, sich zu kratzen, als sie ihre Nervenbahnen wieder freiließ.
Nachdem Akkarin das Blut in ihrem Nacken mit einem Tuch weggewischt hatte, ließ er sie los.
Einen tiefen Atemzug nehmend richtete Sonea sich auf. Sie konnte den Fremdkörper unter ihrer Haut deutlich spüren und hoffte, sie würde sich bald daran gewöhnt haben. Aber ich werde ihn entfernen, sobald ich wieder zuhause bin, entschied sie. Denn sie ahnte, mit diesem schwarzmagischen Artefakt würde ein Stück ihrer Vertrautheit mit Akkarin fehlen, hatte sie erst einmal gelernt, es zu verwenden.
Akkarin streifte seinen Handschuh ab und legte ihn auf den Tisch. Dann berührten seine Finger ihre Schläfen. „Ich werde dir jetzt zeigen, wie du es kontrollierst.“
Sonea nickte und schloss die Augen. Sofort wurde sie sich seiner Präsenz bewusst.
- Ich werde versuchen, deine Gedanken zu lesen, sandte er. Ich werde nichts anrühren, das dich quält. Für den Lerneffekt werde ich jedoch etwas wählen, dass dir unangenehm genug ist, um es für dich behalten zu wollen. Ist das in Ordnung?
- Ja, antwortete Sonea.
- Gut. Um mich daran zu hindern, musst du das hier tun.
Er sandte ihr eine Folge von Bildern und Gedanken und Sonea begriff, dass das Prinzip ähnlich war, wie bei einem Blutjuwel, das sie kontrollierte. Nur, dass sie dieses Wissen dieses Mal auf sich selbst anwenden musste. Jedoch wurde es schwieriger, ihre Gedanken zu kontrollieren, je tiefer sie unter der Oberfläche lagen.
- Es wird einfacher, wenn du mehr Übung hast, versicherte er ihr.
Nach einigen erfolglosen Versuchen, in denen Akkarin sie mit Erinnerungen aus ihrem ersten Jahr piesackte, begann Sonea das Prinzip zu begreifen. Anschließend übten sie, wie sie ihren Geheimniswahrer einsetzen konnte, um ihre Gedanken bei einer Wahrheitslesung verborgen zu halten oder zu manipulieren. Obwohl ihr schon bald der Kopf vor Anstrengung schwirrte, gelang es ihr nach einer Weile, ihre Gedanken vor Akkarin zu verbergen.
„Gut gemacht“, lobte Akkarin, als er schließlich von ihr abließ.
Sonea rieb sich die Schläfen. „Dann muss ich mir jetzt nur noch eine gute Geschichte überlegen, die ich den Sachakanern vorgaukeln kann, wenn sie versuchen, meine Gedanken zu lesen.“
„Ich bin sicher, dir und Dannyl wird etwas einfallen. Ihr solltet nur darauf achten, dieselbe Geschichte zu verwenden.“
Sie verkniff sich ein Grinsen. So wie sie Dannyl kannte, würde er genügend Ideen haben, wie sie die Sachakaner täuschen konnten.
„Sonea, ich will, dass du Dannyl morgen seinen Geheimniswahrer gibst und ihn während Eurer Reise lehrst, was ich dir gerade gezeigt hatte. Im Gegensatz zu dir besitzt er keine Vorkenntnisse auf diesem Gebiet, also musst du gleich morgen damit beginnen, damit er es bis zur Grenze beherrscht. Vereinbart eine Erinnerung, die nicht angenehm oder schmerzhaft ist, um daran zu üben.“
„Ja, Hoher Lord“, sagte sie.
Kurz nach Dannyls Ankunft hatten sie ein wenig von seinem Blut genommen, um seinen Geheimniswahrer herzustellen. Wie Speichersteine wuchsen sie durch Kristallisation. Da hörte die Gemeinsamkeit beider Herstellungsprozesse jedoch auf. An diesem Tag hatten sie die winzigen Kristalle zu kleinen ovalen, nicht größer als Sonea kleiner Fingernagel geschliffen – klein genug, um unter der Haut nicht aufzufallen oder ein permanentes Fremdkörpergefühl auslösten.
„Als Diplomat besitzt Dannyl vertrauliches Wissen über verschiedene innen- und außerpolitische Angelegenheiten der Verbündeten Länder und er kennt die Geheimnisse einiger wichtiger Persönlichkeiten, deren Enthüllung einen Skandal verursachen könnte.“ Akkarins Stimme war leise geworden, und hatte einen warnenden Unterton. „Ich will, dass du seine Gedanken sofort auf etwas anderes lenkst, solltest du bei der Erforschung seines Geistes an etwas gelangen, was ihm unangenehm ist oder vertraulich scheint.“
„Ja, Hoher Lord“, wiederholte sie.
„Solltest du dennoch etwas erfahren, das zu wissen dir nicht bestimmt ist, so behandele dieses Wissen vertraulich und sorge dafür, dass niemand davon aus deinen Gedanken erfahren kann.“
Sonea nickte ernst. Sie wusste, wie viel davon abhing. „Warum hast du Dannyl nicht selbst unterwiesen?“
„Weil ihr beide lernen müsst, einander bedingungslos zu vertrauen“, antwortete der Hohe Lord. „In den nächsten Wochen und Monaten werdet ihr aufeinander angewiesen sein. Es ist wichtig, die dafür nötige Basis zu schaffen.“ Er machte Pause und ein schiefes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Zudem fürchtet Dannyl dich im Gegensatz zu meiner Person nicht.“
Das glaubte Sonea ihm ungefragt. Akkarin war ein Mann, bei dem man nicht umhin kam, ihn zu fürchten. Sie selbst war davon nicht ausgenommen. Doch anders als die anderen Magier wollte sie die Wirkung, die das auf sie hatte, nicht missen.
Akkarin wies zu den anderen Gegenständen. „Ich will, dass du diese Dinge zu deinem und Dannyls Schutz mitnimmst. Halte sie in deinem Gepäck verborgen und erwähne sie gegenüber Dannyl nicht. Wenn unsere Feinde trotz aller Vorkehrungen aus seinen Gedanken von der Existenz dieser Gegenstände erfahren, könnte das als Akt der Provokation gewertet werden. Zudem wird seine Glaubwürdigkeit erhöht, wenn er nichts von ihrer Existenz weiß.“
Sonea nickte erneut. Die beiden Speichersteine enthielten zweifelsohne einen großen Teil der Magie, die Akkarin dem sachakanischen König entnommen hatte, als er sie gefunden hatte. Und das war etwas, was die Sachakaner besser nicht erfuhren. „Ich werde ihre Existenz für mich behalten und sie nur verwenden, sollten wir uns in Gefahr befinden.“
Akkarin musterte sie durchdringend. „Sei vorsichtig mit den Phiolen“, warnte er. „Auch wenn wir sie bereits in den Bergen eingesetzt haben, sind diese Prototypen noch nicht ausreichend getestet. Verwende sie nur im äußersten Notfall. Für den Fall, dass ihr in einen Kampf geratet, gebe ich dir einen zweiten Beutel mit den leichteren magisierten Schildsenkern für Dannyl mit.“
„Danke, Hoher Lord“, flüsterte Sonea tief bewegt, weil er so sehr um ihre Sicherheit besorgt war. Mit einem Mal war ihr mehr denn je bewusst, wie gefährlich ihre Mission war und dass es dieses Mal vielleicht wirklich ihre letzte Nacht mit Akkarin war.
Plötzlich glaubte Sonea, noch nicht bereit für diese Mission zu sein. Wochenlang hatte sie sich vorbereitet. Sie hatte ihre Forschung Akkarin und Sarrin übertragen. Die Magier würden jeden Abend ihre verbleibende Magie in den Dome geben, um für alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Lorlen war in guten Händen, und sie hatte dafür gesorgt, dass Berryl das Haus, das sie für ihre Familie ausgesucht hatte, nicht weiterverkaufen würde, obwohl sie weder einen Vertrag unterschrieben noch eine Anzahlung gemacht hatte. „Harkin hat mir versichert, ein Auge auf ihn zu haben“, hatte Akkarin ihr gesagt. „Sollte Berryl versuchen, das Haus an einen anderen Interessenten zu verkaufen, wird er daran erinnert, mit wem du verheiratet bist.“
Alles, was es zu regeln gab, war erledigt. Und doch fürchtete Sonea sich davor, zu gehen. Oder war es genau deswegen?
„Mach mir ein Blutjuwel, das sich nicht mehr entfernen lässt“, verlangte sie.
Sie kannte seine Antwort bereits, bevor er sie ausgesprochen hatte.
„Nein.“
„Dann mach mir eins, das ich unter der Haut trage, aber selbst entfernen könnte.“
Akkarin seufzte. „Sonea, wir hatten diese Diskussion doch bereits.“
Sie verdrehte die Augen. „Ich verstehe nicht, wo das Problem ist. Takan hat auch ein solches Blutjuwel und sein Verhältnis zu dir ist weitaus weniger intim als das unsere.“
„Das ist richtig. Würde ich dir ein dauerhaftes Blutjuwel geben, wäre das, als würde ich dich zu meiner Sklavin machen.“
Sonea schnaubte. Als ob sie sich daran stören würde! „Bei Takan hattest diesbezüglich keine Skrupel“, warf sie ihm vor.
„Takan kennt kein anderes Leben. Es wäre grausamer, ihn dazu zu zwingen, seine Wertevorstellungen aufzugeben. Ich habe dich bereits mehr an mich gebunden, als gesund für uns beide wäre, wären wir ein normales Paar. Doch es gibt Grenzen, die ich nicht überschreiten werde.“
„Du beobachtest mich auch jetzt nicht andauernd und nicht, wenn ich es nicht will“, entgegnete sie. „Was soll sich daran ändern, wenn ich ein dauerhaftes Blutjuwel habe?“ Der Geheimniswahrer würde auf ein Blutjuwel unter ihrer Haut keinen Einfluss haben, weil Akkarin dadurch bereits in ihren Gedanken war, bevor sie diese blocken konnte. Und sie hasste es, Geheimnisse vor ihm zu haben. Die Sache mit dem Nemmin war bereits fragwürdig genug gewesen. Sie hatte es indes nicht gewagt, ihm das zu beichten, da die letzten Wochen bereits kompliziert genug gewesen waren.
Wenn ich zurückkomme, werde ich es ihm sagen, dachte sie. Wenn sie zurückkam.
„Ich hätte dann eine Macht über dich, die ich nicht besitzen will“, sagte Akkarin leise. „Und das könnte unsere Beziehung zerstören.“
Zum ersten Mal erkannte Sonea, dass Akkarin trotz seiner Selbstdisziplin und seiner Neigung, alles und jeden zu kontrollieren, nicht vor Versuchungen gefeit war. Und sie erkannte, dass es dabei weniger um den Reiz, die Geheimnisse schwarzer Magie zu entschlüsseln ging, als um seine dunkle Seite, die er nur zögernd zuließ, obwohl sie gerade das an ihm so reizvoll fand.
Entweder ich muss seine Einstellung akzeptieren oder ihm helfen, seine Selbstzweifel zu überwinden, fuhr es ihr durch den Kopf. Möglicherweise würde er dann bereit sein, sich darauf einzulassen. Aber sie würde sich sicherer fühlen, wenn sie ein Blutjuwel trug, das sich nicht mehr entfernen ließ. Denn dann würde sie niemals wieder glauben müssen, er sei gestorben.
Als sie aufsah, bemerkte sie, dass er sie nachdenklich betrachtete.
„Gib mir deine Hände.“
Verwirrt streckte sie ihre Hände aus. Akkarins lange Finger schlangen sich um ihre Handgelenke. Wie immer waren sie ein wenig kühl, wurden jedoch bei dem Kontakt mit ihrer Haut rasch wärmer.
„Und jetzt nimm meine Kraft.“
Sonea blinzelte verwirrt. „Deine Kraft?“, wiederholte sie.
„Du hast richtig verstanden.“
„Was, wenn die Gilde in meiner Abwesenheit angegriffen wird?“
„Dann habe ich noch immer einhundert Gildenmagier und …“, ein humorloses Lächeln umspielte seine Mundwinkel, „ … Marikas übrige Magie verteilt über drei Speichersteine.“ Seine Miene wurde streng, als er fortfuhr: „Und jetzt tu, was ich dir gesagt habe.“
Eine Grimasse schneidend, streckte Sonea ihren Geist nach der Stelle aus, wo seine Hände auf ihre trafen. Sofort spürte sie die Magie, die er ihr sandte, und speicherte sie in ihrer eigenen Quelle. Erst als er sie losließ, hörte sie auf.
„Danke“, sagte sie erneut.
„Es ist mir Dank genug, wenn du lebend zurückkommst“, entgegnete er trocken. Er griff nach seinem Handschuh und zog ihn wieder über seine entstellte Hand. „Und jetzt komm. Du solltest jetzt noch ein wenig schlafen, bevor du aufbrichst.“
Sonea ergriff seine ausgestreckte Hand und ließ sich von ihm nach oben zu ihren privaten Räumen führen. Sie verspürte eine vage Enttäuschung ob seiner Einstellung zu einem dauerhaften Blutjuwel. Doch sie wollte am Abend vor ihrer Abreise nicht deswegen mit ihm streiten. Vielleicht war er einfach noch nicht bereit.
Auf dem Weg zu ihrem Schlafzimmer sah sie noch einmal nach Lorlen. Vor dem formalen Dinner mit Dannyl, Rothen und ihren Freunden hatte sie sich noch einmal ausgiebig mit dem Baby beschäftigt, es gewickelt und gefüttert und mit ihm gespielt. Da hatte es sich noch wie das allabendliche zu Bett bringen angefühlt. Doch als Sonea ihren kleinen Sohn jetzt betrachtete, zog sich etwas in ihrer Brust schmerzhaft zusammen.
Behutsam hob sie ihn mit ihrer Magie empor und nahm ihn dann in die Arme, um ihn ein letztes Mal an sich zu drücken. Lorlen machte ein leises, blubberndes Geräusch, wachte zu ihrer Erleichterung jedoch nicht auf. „Ich hab’ dich ganz furchtbar lieb“, flüsterte sie und drückte ein Kuss auf sein dunkles Haar, bevor sie das Baby wieder in seine Wiege legte.
Plötzlich war Akkarin hinter ihr, seine Arme um ihre Taille geschlungen. „Ich werde mich um ihn kümmern, während du fort bist“, murmelte er. „Zusammen mit Takan, Rothen und Caria werde ich dafür sorgen, dass er dich nicht zu sehr vermisst.“
Und was, wenn ich ihn vermisse?, dachte Sonea. „Was, wenn ich zurückkomme und er nicht mehr weiß, wer ich bin?“
„Du bist seine Mutter. Er wird dich nicht vergessen.“
Etwas in Soneas Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Entschlossen schob sie das Gefühl beiseite Sie wusste, sie würde sonst nicht gehen.
„Wie kommt es, dass du zu dieser Ansicht gelangt bist?“, fragte sie, ohne Akkarin anzusehen.
„Sagen wir, deine Beharrlichkeit in dieser Sache hat mich schließlich überzeugt.“
Sonea schnaubte leise. Insgeheim hoffte sie jedoch, dass er recht hatte. Sie würde viele Wochen, mindestens zwei Monate fort sein. Bis sie zurückkam, würde sie wahrscheinlich aufgehört haben, Milch zu produzieren. Auf ihrem Ritt zum Südpass war ihre Milch schon fast versiegt. Möglicherweise hatte ihr Sohn bis dahin seine ersten Zähne bekommen. Vielleicht würde er sogar laufen gelernt haben. Der bloße Gedanke an all die Dinge, die sie verpassen würde, brachte sie nahezu um den Verstand.
Es ist wichtiger, zurückzukommen, als diese Momente in Lorlens Entwicklung zu verpassen, sagte sie sich. Und wenn ich zurück bin, werden Akkarin und ich ein zweites Kind machen und dann werde ich alles, was ich bei Lorlen verpasst habe, bei ihm erleben können. Trotzdem kam sie nicht umhin, sich wie eine schlechte Mutter zu fühlen. Und das, obwohl sie wusste, dass sie das hier auch tat, um ihrem Sohn eine sicherere Zukunft zu gewähren.
„Lass uns schlafen gehen“, sagte Akkarin leise und drückte seine Lippen auf ihren Scheitel. „Nicht, dass er noch aufwacht“
Sonea nickte. Einen letzten sehnsüchtigen Blick zu ihrem Sohn werfend folgte sie Akkarin nach draußen.
***
Durch die weitgeöffneten Fenster wehte das Zirpen von Insekten, wie Dannyl es nur aus seiner Wahlheimat kannte, mit einer lauen Brise ins Schlafzimmer. Die hellen, durchschimmernden Vorhänge, die das Volk im Norden Kyralias verwendete, um seine Häuser vor zu viel Sonne und neugierigen Blicken zu schützen, bauschten sich träge in dem Luftzug, während das flackernde Licht unzähliger Kerzen Muster aus Licht und Schatten auf den Stoff und die Zimmerwände warf.
„Wenn ich mich klein machen könnte, würde ich mich in deinem Gepäck verstecken, damit ich bei dir sein kann.“ Tayend streckte eine Hand aus und strich die Konturen auf Dannyls Brust entlang. „Oder ich verkleide mich als dein Diener. Als reicher kyralischer Kaufmann solltest du nicht ohne Diener reisen.“
„Wir werden diese Tarnung nur bis zur Grenze aufrechterhalten.“ Dannyl küsste das Haar seines Gefährten, das im Licht der Kerzen wie lebendig gewordenes Feuer leuchtete. „In Begleitung der Verräter werden wir uns wieder als Gildenmagier zu erkennen geben.“ Seine und Soneas Tarnung als Händlerehepaar diente einzig dem Zweck, die kyralische Bevölkerung nicht darauf aufmerksam zu machen, dass zwei Gildenmagier auf dem Weg zur Grenze waren, darunter die berüchtigte Frau des Hohen Lords. Denn das konnte nicht nur dazu führen, dass die falschen Leute von ihrer Mission erfuhren, es konnte auch für Panik sorgen.
„Auch Gildenmagier haben Diener“, wandte Tayend ein. „Und ich wette, die Sachakaner bringen ihre Sklaven mit.“
„Das bezweifle ich nicht“, sagte Dannyl. „Aber es ist zu gefährlich.“
„Aber wenn die Verräter euch ab Sachaka begleiten, verstehe ich nicht, warum ich dich nicht begleiten darf. Dann ist es doch sicher.“
„Unsere Reisegruppe könnte überfallen werden, es könnte zu einem Kampf auf dem heiligen Boden von Yukai kommen, jemand könnte deine Gedanken lesen und vertrauliche Informationen daraus entnehmen und mich damit kompromittieren, um die Verhandlungen zum Scheitern zu bringen oder die Situation zu seinem Gunsten zu wenden. Oder jemand liest deine Gedanken und entnimmt ihnen das Wissen aus Lord Sadakanes Büchern. Oder jemand tötet dich, um mich zu erpressen oder einfach nur, weil er an deine Magie will. Es könnte sein, dass …“
Er brach ab. Es gab so viele Szenarien, die rechtfertigten, warum er Tayend nicht mitnehmen konnte. Tatsächlich gab es jedoch nur einen einzigen Grund, der Dannyl davon abhielt: Er liebte Tayend so sehr, dass er den Gedanken, ihn zu verlieren, nicht ertragen konnte. Dafür nahm er sogar eine monatelange Trennung in Kauf. Es war schließlich nicht das erste Mal.
„Aber ich bin kein kleines Kind, das man beschützen muss! Denkst du, ich wüsste nicht, worauf ich mich einlasse, wenn ich dich begleite?“
„Doch“, sagte Dannyl. Obwohl Tayend als Nichtmagier mit dem Krieg gegen Sachaka noch nicht in Kontakt gekommen war, wusste er aus Dannyls zahlreichen Erzählungen genug darüber, wie gefährlich es war, sich in dieses Land zu begeben. „Aber du bist kein Magier, du hast latentes magisches Potential. Es wäre unverantwortlich, dich in ein von schwarzen Magiern beherrschtes Land zu schicken.“
„Als normaler Magier sind deine Überlebenschancen dort nicht gerade größer“, entgegnete sein Gefährte.
Allmählich wurde Dannyl es müde, diese Diskussion wieder und wieder zu führen. Was Tayend auch versuchen würde, Dannyl würde ihn daran hindern, das Land ihrer Feinde zu betreten. Aber Tayend schlug alle vernünftigen Argumente in den Wind, wenn er nicht von ihm getrennt sein wollte. Darüber vergaß er sogar seine Furcht vor den Sachakanern. Und so hoch Dannyl ihm da anrechnete, konnte er das nicht gutheißen.
„Es werden nur zwei oder drei Monate sein“, sagte er. „Wir waren schon länger getrennt. Und ich ziehe es vor, für diese Zeit auf deine Nähe zu verzichten, wenn ich dich dafür in Sicherheit weiß.“
„Das ist mir egal, Auslandsadministrator.“
„Ich weiß, du würdest für mich sterben, aber ich weiß nicht, ob ich das will.“
In einer plötzlichen Bewegung löste Tayend sich von ihm und drehte sich auf den Rücken. „Das war nicht sehr nett von dir“, sagte er ein beleidigtes Gesicht machend. „Das klingt, als würdest du meine Liebe nicht genug wertschätzen.“
„Tayend …“ Ein Seufzen unterdrückend drehte Dannyl sich auf die Seite und sah seinen Gefährten an. „Deine Liebe bedeutet mir mehr, als ich je hätte ahnen können, bevor ich dich getroffen habe. Sie erhält mich am Leben, wenn die Gilde mich wieder einmal nach Sachaka schickt. Ich würde auf der Stelle sterben, um dein Leben zu retten, aber ich will nicht, dass du dasselbe für mich tust, weil ich dann für den Rest meines Lebens unglücklich wäre. Denn ich wäre lieber tot, als dich zu verlieren.“
Tayend wandte den Kopf. „Wirklich?“
Dannyl nickte. „Verstehst du jetzt, warum ich immer so darauf beharre, dass du hier bleibst?“
„Ja.“ Tayends Miene verdüsterte sich. „Aber das heißt nicht, dass es mir nicht jedes Mal das Herz zerreißt.“
Einem plötzlichen Impuls folgend beugte Dannyl sich vor und drückte seine Lippen auf die seines Gefährten. „Denkst du mir nicht?“, murmelte er.
***
Fragen zum Kapitel
So wie Dannyl und Sonea gemeinsam kämpfen, glaubt ihr, das geht gut?
Wie denkt ihr dsarüber, dass Regin Viana unterrichtet, während Sonea fort ist? Wird er die Chance nutzen oder eher seiner Neugier nachgehen? Wäre Akkarin die bessere Option?
Könnte Dannyls Arbeit in Lan tatsächlich bei den Verhandlungen helfen?
Habt ihr damit gerechnet, dass Asara nach Yukai geht? Warum habt ihr das (nicht)?
Was haltet ihr von Soneas Wunsch ein Blutjuwel zu tragen, das sich nicht mehr entfernen lässt? Ist es richtig, dass Akkarin ablehnt?
Ansonsten habe ich keine Fragen, aber wenn ihr noch etwas zu Akkarin und Sonea oder Dannyl und Tayend loswerden wollt, dürft ihr das gerne tun ;9
Im nächsten Kapitel beginnt dann der lange Road-Trip und Sonea und Dannyl spielen ein Ehepaar ;)