Gezeichnet kehrt sie zurück - Der Planet der Affen (2001)
von Piola Powell
Kurzbeschreibung
>>Ari kehrte noch in derselben Nacht zu dem Lager zurück, das die Menschen unter Calima errichtet hatten. Sie verdeckte ihre Hand mit den Fingern der anderen und presste die Lippen fest aufeinander, um nicht zu wimmern vor Schmerz. Das Brandmal war nicht das einzige, das Thade ihr angetan hatte.<<
OneshotFreundschaft / P12 / Gen
11.06.2016
11.06.2016
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Ari kehrte noch in derselben Nacht zu dem Lager zurück, das die Menschen unter Calima errichtet hatten. Sie verdeckte ihre Hand mit den Fingern der anderen und presste die Lippen fest aufeinander, um nicht zu wimmern vor Schmerz. Das Brandmal war nicht das einzige, das Thade ihr angetan hatte.
Attar war bereits zum Lager zurückgekehrt, doch sie wollte nicht, dass jemand erblickte, wie schwach sie doch war. Lautlos hockte sie sich auf einen Felsen, dessen größerer Bruder, der sich hinter ihr aufrichtete, sie vor den anderen verbarg. Misstrauisch betrachtete sie das Mal auf ihrer Hand. Es blutete und brannte fürchterlich, doch es war nicht annähernd so furchtbar, wie die Schnitte auf ihrem Rücken. Immerhin hatte er ihr zuvor die Kleider vom Leib gerissen, denn so konnte sie sie wenigstens erfolgreich verbergen. Hätte er mit der Peitsche ihre Jacke und den Pullover aus Leinen zerrissen, hätten alle anderen die Schnitte bemerkt.
Es war ihr wichtig, dass Leo das Blut nicht sah, das weiterhin austrat. Also zog sie sich das Hemd über den Kopf und legte sich die Jacke um. Sie würde sie später irgendwo verscharren.
Die kühle Nachtluft war erfrischend und beruhigte sie. Schon damals, als junges Mädchen, hatte sie keine Skrupel gehabt sich davonzustehlen und die Vorteile, die eine Nacht ihr bot, zu nutzen. Sie konnte sich vor den Affen verstecken, die ihre Art verabscheuten und sie hassten, weil sie nett und freundlich zu den Menschen war. Die Dunkelheit bot ihr Schutz, denn die Augen eines Affen waren nicht besser als die jener Kreaturen, die sie schamlos unterdrückten.
Sie spürte, dass die Blutung langsam nachließ und die Wunden lediglich brannten, wie es Peitschenhiebe zu tun pflegten. Die Schmerzen würden ihre Bewegungen einschränken, doch sie wusste, dass sie sich Mühe geben würde. Obwohl ihr der Grund nicht ersichtlich war, wollte sie verhindern, dass Leo mitbekam, wie man sie geschunden hatte. Vielleicht wollte sie nicht, dass er sich Sorgen machte.
Morgen, wenn die Affen angriffen, würde sie ebenso kämpfen, wie jeder andere. Das war ihre Pflicht und sie musste der Seite, für die sie sich bisher aufgeopfert hatte, hingeben.
Die Schmerzen trieben ihr Tränen in die Augen und obwohl sie sie fortwischte kamen immer wieder andere hinzu. Es waren nicht nur die brennenden Schnitte und das Mal auf ihrer Hand, die sie dazu brachten derartig die Beherrschung zu verlieren. Auch Thades würdeloses Verhalten und die Tatsache, dass ihr offensichtlich weder Daena, noch der Rest der in der Gruppe angereisten Menschen wirklich vertraute brachten sie dazu. Wie sie sie jedes Mal musterten. Als erwarteten sie im nächsten Augenblick, dass sie ein Messer zog und ihnen damit die Kehle aufschlitzte.
Ari ließ die Schultern hängen, musste sie jedoch sofort wieder anspannen, da die Schnitte fürchterlich stachen. Ihr entwich ein knapper Schmerzlaut und sie drückte sich hastig eine Hand auf den Mund. Ganz sicher hatte sie niemand gehört. Die Menschen waren in den Zelten oder bereiteten sich mit stumpfsinniger Hingabe auf die Schlacht vor, in der sie alle sterben würden. Das war ihr Schicksal…
„Hallo?“ Sie zuckte zusammen und kauerte sich eng gegen den Fels. Obwohl sie die Luft anhielt kam der ungewollte Besucher näher. „Daena? Bist du das?“ Ari zuckte noch heftiger zusammen. Es war Leo. Er kam offenbar zielstrebig näher.
Doch er suchte nicht sie, sondern das blonde Mädchen. Die Affenfrau presste die Lippen aufeinander und sagte schließlich, so gefasst wie eben möglich: „Daena ist nicht hier. Sie ist ganz sicher irgendwo bei den anderen. Du solltest dort nach ihr suchen.“
Er blieb stehen, das hörte sie an den scharrenden Schritten im Sand, die plötzlich abbrachen. „Ari?“ Er hatte ihren Namen erst einmal ausgesprochen und ein Schauer überkam sie, als er es diesmal tat. „L-Lass mich allein“, sagte sie und zog die Jacke enger um sich. Ihr Pullover lag immer noch auf dem Felsen, doch sie hatte nicht vor ihn anzuziehen. Die Blutflecke würden ganz sicher jeden auf ihre Wunden aufmerksam machen. Sie würden sie vom Kämpfen abhalten wollen.
Hastig streifte sie die Jackenärmel über.
„Ist alles in Ordnung?“ Er kam näher. „Ja“, sagte sie hastig. „Bitte, geh weg.“ Er war so ein Sturkopf. Natürlich ging er weiter. Die Menschen, nach denen er so verzweifelt gesucht hatte und die auf dem Planeten namens Erde wandelten, waren sicher alle so. Wie furchtbar anstrengend sie sein mussten.
Schließlich trat er um den Felsen herum und blieb stehen. „Geht es dir gut?“ Sie nickte. „Ja. Ich wollte allein sein. Also lass mich allein.“ Leo blieb stehen und sagte dann: „Ich habe gehört, dass du bei Thade warst. Attar hat es mir gesagt.“ Sie nickte. „Ja. Aber es hat nicht die gewünschte Wirkung erzielt.“ Leo setzte sich auf die Kante des Felsens und Ari versuchte mit ihrem Körper die Blutstropfen auf dem Stein zu verdecken. Er hatte sie noch nicht bemerkt.
„Hat er dich verletzt?“, fragte er. Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Nein, er hat mich weggeschickt.“ Leo krümmte die Brauen. „Er hat dich einfach wieder gehen lassen?“ Sie nickte. „Ja.“
Leo sah auf den Pullover hinunter, der vor ihm lag. „Ist dir warm?“, fragte er verwirrt und hob ihn auf. Die Nächte hier waren manchmal so kalt, dass Frost auf dem Boden entstand. Heute war es nicht derart schlimm, doch es war auch nicht warm genug, um sich freiwillig eines Pullovers entledigen zu wollen.
„Ja“, sagte sie und zog die Jacke enger um sich. Leo hob beide Augenbrauen. „Das glaube ich dir nicht“, sagte er. Sie reckte das Kinn. „Musst du ja auch nicht“, sagte sie und wandte den Blick zu Boden. Der Neumensch seufzte. „Hat Thade noch etwas zu dir gesagt?“, fragte er dann. Sie holte tief Atem. „Nur, dass ich mit euch sterben soll. Mehr nicht.“ Leo verzog das Gesicht zu einer nachdenklichen Miene. Er klopfte mit den Fingerspitzen auf dem Felsen herum. Sie hatte diese Geste bereits bei ihm bemerkt.
Lange Zeit sagte niemand etwas, dann, vollkommen unerwartet, rutschte Leo näher an sie heran und setzte sich so dicht neben sie, dass sich ihre Arme berührten. „Warum kommst du nicht mit zu uns?“, fragte er. Ari verfluchte innerlich seine Sturheit. „Weil ich allein sein will“, betonte sie ein weiteres Mal.
Leo ließ unauffällig den Blick über sie wandern. Dann sah er hinaus in die Weiten der öden Landschaft. „Sag mal, ich habe bei dir zuhause nur deinen Vater, den Senator, gesehen. Was ist mit deiner Mutter?“ Ari schluckte und blinzelte ein paar Mal sehr schnell hintereinander, bevor sie ausweichend sagte: „Sie ist nicht mehr hier.“ Leo neigte den Kopf. „Ist sie gestorben?“ Sie nickte. „Das tut mir leid“, meinte er und es klang ernstgemeint. „Nicht der Rede wert“, murmelte sie und zog die Knie vorsichtig an den Körper.
„Du zitterst“, bemerkte er. Sie zuckte zusammen. „Nein“, sagte sie und rutschte ein Stück zur Seite. Leo folgte ihrer Bewegung. Dann griff er nach ihrem Arm und wollte sie zu sich herumdrehen, doch ihr schmerzvolles Keuchen ließ ihn innehalten. „Was ist?“, fragte er. „Gar nichts“, sagte sie hastig und rutschte einen guten halben Meter zur Seite. Er folgte ihrer Bewegung.
„Hör auf damit! Lass mich in Ruhe!“
Sie stieß seine Hand fort, doch ihre Schulter brannte und sie hielt inne. Er griff nach ihrem Handgelenk und hielt sie fest. „Bitte sag mir was los ist, Ari. Was hat Thade getan?“ Sie sah zitternd zu ihm auf. „Woher willst du wissen, dass er es war?“, fragte sie ausweichend. Leo verdrehte die Augen. „Was hat er getan?“, wiederholte er. Sie sträubte sich, doch er hielt ihr Handgelenk fester als ein Schraubstock und es bot sich keine Gelegenheit auszuweichen.
Schließlich musste sie nachgeben. Sie konnte nicht bis zum Morgengrauen hier mit ihm herumsitzen. Oder vielleicht doch?
„Ari! Was - hat Thade - getan?“ Leo schien ganz wild darauf zu sein es zu erfahren. Als wolle er sofort losziehen und Thade ebenfalls eine Peitsche dafür über den Rücken ziehen. Irgendwie war es rührend, befand sie.
Dann streckte sie ihm ihre Hand entgegen. Sehr langsam, sodass er das dreizackige Mal darauf nicht sofort ausmachen konnte. Als er es sah hob er den Blick. „Was noch?“, fragte er. Sie blinzelte und ihre Lippen zitterten. Schließlich ließ er ihr Handgelenk los und sah sie abwartend an. „Du musst versprechen, dass du es niemanden sagst, bitte“, verlangte sie. Er nickte. „Ich verspreche es“, sagte er müde und forderte sie dann mit einer Geste auf es ihm endlich zu zeigen. Sie schluckte. Dann drehte sie sich um und zog die Jacke aus.
Es waren vier Schnitte, formiert zu einem wirren Gemetzel aus Kreuzen. Sie hatten stark geblutet, weshalb alles verschmiert war. Leo riss erschrocken die Augen auf. „Warum hast du nicht gleich etwas gesagt? Wir müssen die Schnitte behandeln!“ Er sprang auf. Ari wollte es ihm nachtun, doch sie sank zurück auf die Knie. „Warte“, keuchte sie und griff nach seinem Knöchel. „Du hast gesagt, dass es niemand erfährt. Du hast es versprochen.“
Er hielt inne. Schließlich gab er nach. „Na schön. Ich hole Wasser und Verbandszeug. Sicher gibt es irgendwo in den Ruinen des Schiffes etwas Brauchbares.“
Er rannte los und sie sah ihm nach, bis er aus ihrem Blickfeld verschwand.
Langsam ließ sie sich auf dem Stein nieder und schloss die Augen. Durch ihre hastige Bewegung hatte alles erneut angefangen zu schmerzen und das Brennen betäubte sie. Der Blutverlust machte sie schwach und ließ sie in einen deliriumgleichen Zustand davontreiben. Kaum, dass sich ihre Lider gesenkt hatten verschwand die reale Welt in verblüffend verwirrenden Träumereien.
Bis er an ihrer Schulter rüttelte. Sie zuckte zusammen, blieb jedoch liegen, da sie nicht vergessen hatte, dass ihre Bewegungen eingeschränkt waren. „Ich bin es“, sagte Leo und sie hörte, wie er einige Gegenstände neben ihr abstellte. „Ich habe mich wegschleichen können ohne dass mir jemand gefolgt ist.“
Er half ihr sich aufzusetzen und drückte ihr dann einen Becher Wasser in die Hand. „Hier. Trink ihn aus.“ Sie tat wie ihr geheißen und als sie geendet hatte nahm er ihr den Becher aus der Hand. „Es wäre am praktischsten, wenn du dich auf den Bauch legst. Dann kann ich die Schnitte am besten versorgen.“ Auch diesmal folgte sie gehorsam seinen Anweisungen. Sie war sowieso zu schwach, um Gegenwehr zu leisten.
Er nahm einen Lappen hervor und tränkte ihn mit Wasser. „Ich habe es mit etwas Alkohol versetzt. Es war die wahrscheinlich letzte Reserve auf dem Schiff. Es könnte etwas brennen.“
Er hatte recht. Es brannte fürchterlich. Doch sie war schließlich nicht aus Zucker und Schmerzen kannte sie recht gut. Vielleicht keine Höllenqualen, doch diese Art von Schmerz war ihr bekannt.
Sie biss die Zähne fest zusammen und schloss die Augen. „Die Schnitte sind recht tief und präzise“, stellte Leo fest. „Offenbar hat Thade das schon öfter getan.“ Ari schluckte. Dann sagte sie mit etwas entkräfteter Stimme: „Er hatte eine Ehefrau gehabt, bevor er angefangen hat um mich zu werben. Er hat sie ständig ausgepeitscht, bis sie an einer Blutvergiftung gestorben ist.“ Leo hob beide Augenbrauen. „Wirklich?“ Ari nickte. Der Captain tunkte den Lappen erneut in eine Schale Wasser.
„Und du hattest wirklich vor dich ihm zu unterwerfen? Obwohl du davon wusstest?“ Sie seufzte. „Ich wollte ihm einen Tausch anbieten. Er würde mich bekommen, wenn er euch in Ruhe lässt. Aber er hat ihn ausgeschlagen, wie man sieht. Wortwörtlich.“ Leo ließ den Lappen in die Schale fallen und griff nach den Leinenfetzen, die er hatte auftreiben können. „Bitte setz dich auf“, sagte er und griff nach ihren Schultern, um ihr behilflich zu sein. „Macht es dir etwas aus, wenn ich-“ „Nein, ganz sicher nicht“, sagte sie und drehte sich um.
Er begann das Leinen um ihren Oberkörper zu wickeln, doch natürlich hatte er es sich nicht nehmen lassen einen knappen Blick auf alles zu werfen.
„Ihr seht tatsächlich fast genauso aus wie wir“, sagte er. „Es ist unglaublich wie rasch ihr euch entwickelt habt und wie fortgebildet eure Organismen sind.“ Ari krümmte die Brauen. Leo presste die Lippen aufeinander. „Entschuldige. Ich wollte nicht forsch klingen.“ Sein Gegenüber lächelte. „Du klangst nicht forsch, keine Sorge.“
Leo steckte den Verband fest und ließ sich gegen den Stein sinken. „Ich hoffe, dass es eine Weile hält“, sagte er. Sie sah an sich herunter und griff dann nach ihrem Pullover. „Ich hoffe, dass es die Schlacht übersteht“, sagte sie und zog ihn über. Der Captain hob beide Augenbrauen. „Du hast doch nicht etwa vor in den Kampf zu ziehen?“, sagte er entsetzt. Sie nickte. „Doch, natürlich. Thade hat es selbst gesagt. Ich soll mit euch sterben. Und genau das werde ich tun. Vielleicht überleben wir ja auch, wer weiß.“ Sie setzte sich neben ihn.
„Ari, das kannst du nicht tun. Du würdest zu einem leichten Opfer werden.“
Sie sah auf ihre Hand hinunter und strich mit den Fingerkuppen über die Brandnarben. „Ich bin genau wie ihr“, sagte sie. „Es ist meine Pflicht mit euch zu kämpfen. Zumal viele von euch abgemagert sind und daher ebenso unfähig wie ich.“ Leo griff nach ihrer Hand und legte seine Darüber. Seine Berührung schmerzte etwas, doch sie ließ es sich nicht anmerken. „Du bist nicht unfähig“, sagte er.
Sie sah zu ihm auf. „Doch natürlich. Du bist doch sicher auch davon überzeugt, dass ich es bin, nicht wahr. Schließlich kann ich nicht schwimmen und du musstest mir das Leben retten.“ Er hob beide Augenbrauen. „Ja. Aber alle Affen können nicht schwimmen, also wundert es mich nicht, dass du es auch nicht kannst. Außerdem hast du dich immerhin ins Wasser getraut. Sicher hätte das keine andere Frau getan.“ Sie stieß langsam und stockend Atem aus. Die Schnitte beeinträchtigten die Bewegungen ihres Brustkorbs. Leo ließ ihre Hand in seinen Schoß sinken und umschloss ihre Finger.
„Ich bin sicher, dass ich dir nicht ausreden kann mit uns zu kämpfen“, sagte er. Sie nickte. „Das ist wahr.“ „Dann kann ich wenigstens ein Auge auf dich haben.“ Sie legte den Kopf gegen die Wand. „Wieso solltest du? Es gibt mehr als eintausend Menschen dort, die das ebenso verdient hätten.“ Er wandte den Kopf.
„Aber du bist die eine Affenfrau, die es sehr viel mehr verdient hat.“
Mit diesen Worten neigte er sich zu ihr hinüber und küsste sie. Es fühlte sich ganz anders an, als er gedacht hatte. Tatsächlich waren ihre Lippen weich, wie die einer Frau und gar nicht so rau, wie er angenommen hatte. Und zu seiner Überraschung schien es sie gar nicht zu stören, dass er es tatsächlich wagte sie zu küssen. Es schien ihr sogar zu gefallen.
Attar war bereits zum Lager zurückgekehrt, doch sie wollte nicht, dass jemand erblickte, wie schwach sie doch war. Lautlos hockte sie sich auf einen Felsen, dessen größerer Bruder, der sich hinter ihr aufrichtete, sie vor den anderen verbarg. Misstrauisch betrachtete sie das Mal auf ihrer Hand. Es blutete und brannte fürchterlich, doch es war nicht annähernd so furchtbar, wie die Schnitte auf ihrem Rücken. Immerhin hatte er ihr zuvor die Kleider vom Leib gerissen, denn so konnte sie sie wenigstens erfolgreich verbergen. Hätte er mit der Peitsche ihre Jacke und den Pullover aus Leinen zerrissen, hätten alle anderen die Schnitte bemerkt.
Es war ihr wichtig, dass Leo das Blut nicht sah, das weiterhin austrat. Also zog sie sich das Hemd über den Kopf und legte sich die Jacke um. Sie würde sie später irgendwo verscharren.
Die kühle Nachtluft war erfrischend und beruhigte sie. Schon damals, als junges Mädchen, hatte sie keine Skrupel gehabt sich davonzustehlen und die Vorteile, die eine Nacht ihr bot, zu nutzen. Sie konnte sich vor den Affen verstecken, die ihre Art verabscheuten und sie hassten, weil sie nett und freundlich zu den Menschen war. Die Dunkelheit bot ihr Schutz, denn die Augen eines Affen waren nicht besser als die jener Kreaturen, die sie schamlos unterdrückten.
Sie spürte, dass die Blutung langsam nachließ und die Wunden lediglich brannten, wie es Peitschenhiebe zu tun pflegten. Die Schmerzen würden ihre Bewegungen einschränken, doch sie wusste, dass sie sich Mühe geben würde. Obwohl ihr der Grund nicht ersichtlich war, wollte sie verhindern, dass Leo mitbekam, wie man sie geschunden hatte. Vielleicht wollte sie nicht, dass er sich Sorgen machte.
Morgen, wenn die Affen angriffen, würde sie ebenso kämpfen, wie jeder andere. Das war ihre Pflicht und sie musste der Seite, für die sie sich bisher aufgeopfert hatte, hingeben.
Die Schmerzen trieben ihr Tränen in die Augen und obwohl sie sie fortwischte kamen immer wieder andere hinzu. Es waren nicht nur die brennenden Schnitte und das Mal auf ihrer Hand, die sie dazu brachten derartig die Beherrschung zu verlieren. Auch Thades würdeloses Verhalten und die Tatsache, dass ihr offensichtlich weder Daena, noch der Rest der in der Gruppe angereisten Menschen wirklich vertraute brachten sie dazu. Wie sie sie jedes Mal musterten. Als erwarteten sie im nächsten Augenblick, dass sie ein Messer zog und ihnen damit die Kehle aufschlitzte.
Ari ließ die Schultern hängen, musste sie jedoch sofort wieder anspannen, da die Schnitte fürchterlich stachen. Ihr entwich ein knapper Schmerzlaut und sie drückte sich hastig eine Hand auf den Mund. Ganz sicher hatte sie niemand gehört. Die Menschen waren in den Zelten oder bereiteten sich mit stumpfsinniger Hingabe auf die Schlacht vor, in der sie alle sterben würden. Das war ihr Schicksal…
„Hallo?“ Sie zuckte zusammen und kauerte sich eng gegen den Fels. Obwohl sie die Luft anhielt kam der ungewollte Besucher näher. „Daena? Bist du das?“ Ari zuckte noch heftiger zusammen. Es war Leo. Er kam offenbar zielstrebig näher.
Doch er suchte nicht sie, sondern das blonde Mädchen. Die Affenfrau presste die Lippen aufeinander und sagte schließlich, so gefasst wie eben möglich: „Daena ist nicht hier. Sie ist ganz sicher irgendwo bei den anderen. Du solltest dort nach ihr suchen.“
Er blieb stehen, das hörte sie an den scharrenden Schritten im Sand, die plötzlich abbrachen. „Ari?“ Er hatte ihren Namen erst einmal ausgesprochen und ein Schauer überkam sie, als er es diesmal tat. „L-Lass mich allein“, sagte sie und zog die Jacke enger um sich. Ihr Pullover lag immer noch auf dem Felsen, doch sie hatte nicht vor ihn anzuziehen. Die Blutflecke würden ganz sicher jeden auf ihre Wunden aufmerksam machen. Sie würden sie vom Kämpfen abhalten wollen.
Hastig streifte sie die Jackenärmel über.
„Ist alles in Ordnung?“ Er kam näher. „Ja“, sagte sie hastig. „Bitte, geh weg.“ Er war so ein Sturkopf. Natürlich ging er weiter. Die Menschen, nach denen er so verzweifelt gesucht hatte und die auf dem Planeten namens Erde wandelten, waren sicher alle so. Wie furchtbar anstrengend sie sein mussten.
Schließlich trat er um den Felsen herum und blieb stehen. „Geht es dir gut?“ Sie nickte. „Ja. Ich wollte allein sein. Also lass mich allein.“ Leo blieb stehen und sagte dann: „Ich habe gehört, dass du bei Thade warst. Attar hat es mir gesagt.“ Sie nickte. „Ja. Aber es hat nicht die gewünschte Wirkung erzielt.“ Leo setzte sich auf die Kante des Felsens und Ari versuchte mit ihrem Körper die Blutstropfen auf dem Stein zu verdecken. Er hatte sie noch nicht bemerkt.
„Hat er dich verletzt?“, fragte er. Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Nein, er hat mich weggeschickt.“ Leo krümmte die Brauen. „Er hat dich einfach wieder gehen lassen?“ Sie nickte. „Ja.“
Leo sah auf den Pullover hinunter, der vor ihm lag. „Ist dir warm?“, fragte er verwirrt und hob ihn auf. Die Nächte hier waren manchmal so kalt, dass Frost auf dem Boden entstand. Heute war es nicht derart schlimm, doch es war auch nicht warm genug, um sich freiwillig eines Pullovers entledigen zu wollen.
„Ja“, sagte sie und zog die Jacke enger um sich. Leo hob beide Augenbrauen. „Das glaube ich dir nicht“, sagte er. Sie reckte das Kinn. „Musst du ja auch nicht“, sagte sie und wandte den Blick zu Boden. Der Neumensch seufzte. „Hat Thade noch etwas zu dir gesagt?“, fragte er dann. Sie holte tief Atem. „Nur, dass ich mit euch sterben soll. Mehr nicht.“ Leo verzog das Gesicht zu einer nachdenklichen Miene. Er klopfte mit den Fingerspitzen auf dem Felsen herum. Sie hatte diese Geste bereits bei ihm bemerkt.
Lange Zeit sagte niemand etwas, dann, vollkommen unerwartet, rutschte Leo näher an sie heran und setzte sich so dicht neben sie, dass sich ihre Arme berührten. „Warum kommst du nicht mit zu uns?“, fragte er. Ari verfluchte innerlich seine Sturheit. „Weil ich allein sein will“, betonte sie ein weiteres Mal.
Leo ließ unauffällig den Blick über sie wandern. Dann sah er hinaus in die Weiten der öden Landschaft. „Sag mal, ich habe bei dir zuhause nur deinen Vater, den Senator, gesehen. Was ist mit deiner Mutter?“ Ari schluckte und blinzelte ein paar Mal sehr schnell hintereinander, bevor sie ausweichend sagte: „Sie ist nicht mehr hier.“ Leo neigte den Kopf. „Ist sie gestorben?“ Sie nickte. „Das tut mir leid“, meinte er und es klang ernstgemeint. „Nicht der Rede wert“, murmelte sie und zog die Knie vorsichtig an den Körper.
„Du zitterst“, bemerkte er. Sie zuckte zusammen. „Nein“, sagte sie und rutschte ein Stück zur Seite. Leo folgte ihrer Bewegung. Dann griff er nach ihrem Arm und wollte sie zu sich herumdrehen, doch ihr schmerzvolles Keuchen ließ ihn innehalten. „Was ist?“, fragte er. „Gar nichts“, sagte sie hastig und rutschte einen guten halben Meter zur Seite. Er folgte ihrer Bewegung.
„Hör auf damit! Lass mich in Ruhe!“
Sie stieß seine Hand fort, doch ihre Schulter brannte und sie hielt inne. Er griff nach ihrem Handgelenk und hielt sie fest. „Bitte sag mir was los ist, Ari. Was hat Thade getan?“ Sie sah zitternd zu ihm auf. „Woher willst du wissen, dass er es war?“, fragte sie ausweichend. Leo verdrehte die Augen. „Was hat er getan?“, wiederholte er. Sie sträubte sich, doch er hielt ihr Handgelenk fester als ein Schraubstock und es bot sich keine Gelegenheit auszuweichen.
Schließlich musste sie nachgeben. Sie konnte nicht bis zum Morgengrauen hier mit ihm herumsitzen. Oder vielleicht doch?
„Ari! Was - hat Thade - getan?“ Leo schien ganz wild darauf zu sein es zu erfahren. Als wolle er sofort losziehen und Thade ebenfalls eine Peitsche dafür über den Rücken ziehen. Irgendwie war es rührend, befand sie.
Dann streckte sie ihm ihre Hand entgegen. Sehr langsam, sodass er das dreizackige Mal darauf nicht sofort ausmachen konnte. Als er es sah hob er den Blick. „Was noch?“, fragte er. Sie blinzelte und ihre Lippen zitterten. Schließlich ließ er ihr Handgelenk los und sah sie abwartend an. „Du musst versprechen, dass du es niemanden sagst, bitte“, verlangte sie. Er nickte. „Ich verspreche es“, sagte er müde und forderte sie dann mit einer Geste auf es ihm endlich zu zeigen. Sie schluckte. Dann drehte sie sich um und zog die Jacke aus.
Es waren vier Schnitte, formiert zu einem wirren Gemetzel aus Kreuzen. Sie hatten stark geblutet, weshalb alles verschmiert war. Leo riss erschrocken die Augen auf. „Warum hast du nicht gleich etwas gesagt? Wir müssen die Schnitte behandeln!“ Er sprang auf. Ari wollte es ihm nachtun, doch sie sank zurück auf die Knie. „Warte“, keuchte sie und griff nach seinem Knöchel. „Du hast gesagt, dass es niemand erfährt. Du hast es versprochen.“
Er hielt inne. Schließlich gab er nach. „Na schön. Ich hole Wasser und Verbandszeug. Sicher gibt es irgendwo in den Ruinen des Schiffes etwas Brauchbares.“
Er rannte los und sie sah ihm nach, bis er aus ihrem Blickfeld verschwand.
Langsam ließ sie sich auf dem Stein nieder und schloss die Augen. Durch ihre hastige Bewegung hatte alles erneut angefangen zu schmerzen und das Brennen betäubte sie. Der Blutverlust machte sie schwach und ließ sie in einen deliriumgleichen Zustand davontreiben. Kaum, dass sich ihre Lider gesenkt hatten verschwand die reale Welt in verblüffend verwirrenden Träumereien.
Bis er an ihrer Schulter rüttelte. Sie zuckte zusammen, blieb jedoch liegen, da sie nicht vergessen hatte, dass ihre Bewegungen eingeschränkt waren. „Ich bin es“, sagte Leo und sie hörte, wie er einige Gegenstände neben ihr abstellte. „Ich habe mich wegschleichen können ohne dass mir jemand gefolgt ist.“
Er half ihr sich aufzusetzen und drückte ihr dann einen Becher Wasser in die Hand. „Hier. Trink ihn aus.“ Sie tat wie ihr geheißen und als sie geendet hatte nahm er ihr den Becher aus der Hand. „Es wäre am praktischsten, wenn du dich auf den Bauch legst. Dann kann ich die Schnitte am besten versorgen.“ Auch diesmal folgte sie gehorsam seinen Anweisungen. Sie war sowieso zu schwach, um Gegenwehr zu leisten.
Er nahm einen Lappen hervor und tränkte ihn mit Wasser. „Ich habe es mit etwas Alkohol versetzt. Es war die wahrscheinlich letzte Reserve auf dem Schiff. Es könnte etwas brennen.“
Er hatte recht. Es brannte fürchterlich. Doch sie war schließlich nicht aus Zucker und Schmerzen kannte sie recht gut. Vielleicht keine Höllenqualen, doch diese Art von Schmerz war ihr bekannt.
Sie biss die Zähne fest zusammen und schloss die Augen. „Die Schnitte sind recht tief und präzise“, stellte Leo fest. „Offenbar hat Thade das schon öfter getan.“ Ari schluckte. Dann sagte sie mit etwas entkräfteter Stimme: „Er hatte eine Ehefrau gehabt, bevor er angefangen hat um mich zu werben. Er hat sie ständig ausgepeitscht, bis sie an einer Blutvergiftung gestorben ist.“ Leo hob beide Augenbrauen. „Wirklich?“ Ari nickte. Der Captain tunkte den Lappen erneut in eine Schale Wasser.
„Und du hattest wirklich vor dich ihm zu unterwerfen? Obwohl du davon wusstest?“ Sie seufzte. „Ich wollte ihm einen Tausch anbieten. Er würde mich bekommen, wenn er euch in Ruhe lässt. Aber er hat ihn ausgeschlagen, wie man sieht. Wortwörtlich.“ Leo ließ den Lappen in die Schale fallen und griff nach den Leinenfetzen, die er hatte auftreiben können. „Bitte setz dich auf“, sagte er und griff nach ihren Schultern, um ihr behilflich zu sein. „Macht es dir etwas aus, wenn ich-“ „Nein, ganz sicher nicht“, sagte sie und drehte sich um.
Er begann das Leinen um ihren Oberkörper zu wickeln, doch natürlich hatte er es sich nicht nehmen lassen einen knappen Blick auf alles zu werfen.
„Ihr seht tatsächlich fast genauso aus wie wir“, sagte er. „Es ist unglaublich wie rasch ihr euch entwickelt habt und wie fortgebildet eure Organismen sind.“ Ari krümmte die Brauen. Leo presste die Lippen aufeinander. „Entschuldige. Ich wollte nicht forsch klingen.“ Sein Gegenüber lächelte. „Du klangst nicht forsch, keine Sorge.“
Leo steckte den Verband fest und ließ sich gegen den Stein sinken. „Ich hoffe, dass es eine Weile hält“, sagte er. Sie sah an sich herunter und griff dann nach ihrem Pullover. „Ich hoffe, dass es die Schlacht übersteht“, sagte sie und zog ihn über. Der Captain hob beide Augenbrauen. „Du hast doch nicht etwa vor in den Kampf zu ziehen?“, sagte er entsetzt. Sie nickte. „Doch, natürlich. Thade hat es selbst gesagt. Ich soll mit euch sterben. Und genau das werde ich tun. Vielleicht überleben wir ja auch, wer weiß.“ Sie setzte sich neben ihn.
„Ari, das kannst du nicht tun. Du würdest zu einem leichten Opfer werden.“
Sie sah auf ihre Hand hinunter und strich mit den Fingerkuppen über die Brandnarben. „Ich bin genau wie ihr“, sagte sie. „Es ist meine Pflicht mit euch zu kämpfen. Zumal viele von euch abgemagert sind und daher ebenso unfähig wie ich.“ Leo griff nach ihrer Hand und legte seine Darüber. Seine Berührung schmerzte etwas, doch sie ließ es sich nicht anmerken. „Du bist nicht unfähig“, sagte er.
Sie sah zu ihm auf. „Doch natürlich. Du bist doch sicher auch davon überzeugt, dass ich es bin, nicht wahr. Schließlich kann ich nicht schwimmen und du musstest mir das Leben retten.“ Er hob beide Augenbrauen. „Ja. Aber alle Affen können nicht schwimmen, also wundert es mich nicht, dass du es auch nicht kannst. Außerdem hast du dich immerhin ins Wasser getraut. Sicher hätte das keine andere Frau getan.“ Sie stieß langsam und stockend Atem aus. Die Schnitte beeinträchtigten die Bewegungen ihres Brustkorbs. Leo ließ ihre Hand in seinen Schoß sinken und umschloss ihre Finger.
„Ich bin sicher, dass ich dir nicht ausreden kann mit uns zu kämpfen“, sagte er. Sie nickte. „Das ist wahr.“ „Dann kann ich wenigstens ein Auge auf dich haben.“ Sie legte den Kopf gegen die Wand. „Wieso solltest du? Es gibt mehr als eintausend Menschen dort, die das ebenso verdient hätten.“ Er wandte den Kopf.
„Aber du bist die eine Affenfrau, die es sehr viel mehr verdient hat.“
Mit diesen Worten neigte er sich zu ihr hinüber und küsste sie. Es fühlte sich ganz anders an, als er gedacht hatte. Tatsächlich waren ihre Lippen weich, wie die einer Frau und gar nicht so rau, wie er angenommen hatte. Und zu seiner Überraschung schien es sie gar nicht zu stören, dass er es tatsächlich wagte sie zu küssen. Es schien ihr sogar zu gefallen.