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Ende gut, alles gut.

Kurzbeschreibung
GeschichteFamilie, Freundschaft / P16 / Gen
Jan Böhmermann Joachim "Joko" Winterscheidt Klaas Heufer-Umlauf OC (Own Character) Olli Schulz
13.05.2016
05.06.2019
74
85.226
20
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13.05.2016 1.277
 
Leni




Klaas und ich hätten uns mit Sicherheit viel zu erzählen. Stattdessen sitzen wir auf unserem großen, karg bepflanzten Balkon und schauen in den blauen Himmel. Keine Wolke in Sicht. Und kein Wort. Joko und Olli berichten mir von allen kleinen Dingen, aber die großen lassen sie offenbar unerwähnt. Ich habe eine neue Kaffeemaschine, Paul hat eine Eins in Mathe, ich habe heute die ersten Tomaten geerntet, ach, und Klaas kommt wieder, ist das nicht toll?

„Morgen wollt' ich hoch nach Hamburg und Olli und Paulina besuchen“, erzählt Klaas als habe er meine Gedanken gelesen.

„Das wollten wir in den Ferien auch mal machen“, sage ich, „Ich habe die beiden ewig nicht gesehen.“

Während ich mich darum bemühe, wenigstens mit Olli regelmäßig zu telefonieren, weiß ich, dass ich mich insgeheim davor drücke, Joko anzurufen und ihn nach seinem Tag zu fragen. Isa fehlt. Sie fehlt ihm, sie fehlt Paul, sie fehlt uns allen. Die Lücke ist groß und nicht zu schließen. Ich sollte mehr für ihn da sein, sollte ihm mehr zuhören, ihn fragen, aber ich frage nicht und auch sonst sage ich wenig.

„Worüber denkst du nach?“, fragt Klaas.

„Joko.“

Ich wünsche mir nicht selten, dass wir alle noch in Berlin wohnen würden. Aber das Leben geht weiter und es ist besser, mitzugehen.

„Er macht das gut“, sagt Klaas.

„Ja“, ich zucke mit den Schultern, „glaub ich auch.“

Er macht weiter, wir machen weiter. Kinder sind ein guter Antrieb, auf der Spur zu bleiben. Ich denke an einen Song von Element Of Crime, ich denke an unsere Traditionen, die Geburtstage, an Paul als Baby, an die Hochzeit, an Isa. In Eppendorf ist morgen Flohmarkt Und jeder nach seiner Façon.

„Ich war gestern bei ihm.“

„Ach du bist auf Tour?“, grinse ich.

„Glaubs oder nicht, aber nach einer Weile vermisst man euch irgendwie.“
Ich starre an einen unbestimmten Punkt am Horizont.

„Und ihm geht’s gut?“

„Ihm geht’s gut.“

„Und Paul?“

„Ist zum ersten Mal verliebt.“

Ich muss mit ein paar Tränen kämpfen, die ich angestrengt wegblinzle. Er erzählt mir ein wenig von seiner Reise und ich von unserem mehr oder weniger stressigen Umzug. Was man sich eben so erzählt, wenn man sich ein halbes Jahr nicht gesehen hat. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Nicht nur sechs Monate, die wir größtenteils in Einrichtungshäusern verbracht haben, während Klaas an den Stränden dieser Welt Cocktails aus halben Kokosnüssen getrunken hat.

„Du hast uns auch gefehlt“, sage ich. Ich stelle mir vor, wie Jan mit den Kindern über den Spielplatz tobt. Ihnen Eis kauft. Schokolade und Erdbeere. Maja sucht sich ihre Lebensmittel grundsätzlich nach Farben aus. Grün kommt dabei schlecht weg. Momentan stehen alle Rotnuancen hoch im Kurs. Wir sprechen im Plural. Das ist nicht gut, aber notwendig. Wir haben einander vermisst, wir ihn, er uns.

„Du führst jetzt also ein richtig idyllisches Familienleben“, sagt er, „wer hätte vor ein paar Jahren geglaubt, dass es darauf hinauslaufen würde?“

„Ich nicht“, gebe ich zu.

In meinem jugendlichen Leichtsinn habe ich mich an die Vorstellung geklammert, wir würden als Gruppe immer zusammen bleiben. Und Ollis Versprechen, wir würden uns regelmäßig treffen, schien nur dem Zweck zu dienen, mich ruhig zu stellen. Es ist klar, welches das nächste große Ereignis sein wird. Unsere Hochzeit. Drei Wochen sind eine kurze Zeit. Es ist alles vorbereitet. Jan hat sich intensiver in die Planung gestürzt als ich. Wir haben uns mindestens vier Mal gestritten, weil er mich für zu desinteressiert hielt. Dabei war ich einfach nur überfordert. Ich habe ein Kleid gekauft. Es war so teuer, das ich zweimal aus dem Laden gerannt bin, nur um es dann doch zu nehmen. In Weiß zu heiraten kommt mir zwar verlogen vor, angesichts der Tatsache dass die zwei Blumenkinder meine eigenen sind, aber irgendwie wollte ich es doch. Das ganze Paket. Weißes Kleid, Blumen, Ringe, Tränen.

„Ich kann nicht glauben, dass wir wirklich heiraten. Ich!“, ich seufze. Ihn!

„Das kommt nicht wirklich überraschend, oder?“, er grinst.

„Ich könnte verstehen, wenn du nicht kommen willst. Wäre ich nicht Teil davon würd ich auch nicht gehen.“

„Wie gesagt, ich lasse es mir nicht entgehen.“

Will ich ihn schützen oder mich? Will ich ihn da sitzen sehen?


Am Abend, als Klaas lange weg ist und ich neben Jan im Bett liege, schwebt das Thema unangesprochen im Raum. Jan hat mich nicht gefragt, worüber wir gesprochen haben. Nicht, weil es ihn nicht interessiert, sondern weil er liebend gerne eigene, falsche Schlüsse zieht. Ich bilde mir ein, etwas wie Erleichterung in seinem Gesicht gesehen zu haben, als er feststellte, dass ich alleine vor dem Fernseher eingeschlafen bin.

„Bist du noch wach?“, flüstere ich.

„Nein. Was gibt’s?“

„Denkst du über Klaas nach?“, wage ich mich vor.

„Ich denke im Bett selten über Klaas nach“, gibt Jan zurück, „was ist mit dir?“

„Schon, jetzt gerade“, ich höre, wie er zischend die Luft einzieht. Ich rücke näher an ihn heran und greife nach seiner Hand. Er zerquetscht mir fast die Finger, als er zudrückt.

„Es war komisch. Wir hatten uns eigentlich nichts zu sagen. Als hätten wir uns viel länger nicht gesehen als nur sechs Monate. Ich meine, ein halbes Jahr ist keine lange Zeit, oder? Manche sehen ihre besten Freunde ein halbes Jahr nicht und leben in derselben Stadt.“

„Naja“, antwortet Jan ebenfalls leise, „Menschen entfernen sich mit der Zeit voneinander. Das passiert.“

Ich schließe die Augen und rutsche bis auf den letzten Millimeter an ihn heran. Ich schlinge ein Bein um seine und meine Lippen streifen seinen Hals. Ich spüre seinen regelmäßigen Atem. Beruhigend. In solchen Momenten bin ich mir absolut sicher, dass ich ihn heiraten will. Am liebsten sofort. Wir brauchen keine riesige Feier. Ich brauche dieses sündhaft teure Kleid nicht. Ich brauche ihn und meine Kinder und dieses wunderbare Leben, das wir führen, so weit weg von all den Problemen, die wir mal gehabt haben.

Ich träume schlecht. Von Leonard und Fiona, von ihrer Hochzeit mit Jan, dem Moment, als ich sie das erste Mal traf. Seit wir in Köln wohnen, haben wir uns ein paar Mal gesehen. Jan darf seinen Sohn nur unter ihrer Aufsicht treffen. Und wenn er die Kinder mitnimmt, versuche ich, ebenfalls dabei zu sein. Es ist wie ein Zwang. Ich weiß nicht, wem ich mehr misstraue. Ihr, ihm oder mir. Sie ist immer höflich. Fast schon unpassend nett.

Am Morgen liegt Jan weit von mir entfernt an der Bettkante. Zuerst will ich zu ihm herüberrobben, aber ich lasse es. Alles war leichter, als ich wusste, dass Klaas am anderen Ende der Welt ist. Unerreichbarkeit ist nicht nur schlecht. Aus den Augen aus dem Sinn. Zumindest ein bisschen.

Bei meinem ersten Kaffee rufe ich Olli an. Ich klingle ihn aus dem Bett.

„Guten Morgen“, knurre ich, „wieso zum Teufel sagst du mir nicht, dass Klaas wieder da ist?“

Er räuspert sich mehrfach, bevor er schlaftrunken antwortet.

„Leni, bitte hör auf, mich aufzuwecken, um banale Scheiße durchzukauen“, fleht er, „er ist nicht ausgewandert. Es war klar, dass er zurückkommen würde. Wo ist das Problem?“

„Das Problem ist, dass ich keine Freundin von Überraschungen bin. Ich hätte es gerne gewusst ehe er unangekündigt vor meiner Tür steht.“

„Sorry.“

„War das Absicht?“, frage ich. Ich sehe in den halbvollen Kaffeebecher. In einer halben Stunde muss ich die Kinder wecken und ich mich endlich für eine Hochzeitstorte entscheiden. Die Unterlagen der Bäckerei liegen schon seit Wochen auf dem Küchentisch und ich habe sie als Untersetzer benutzt. Mit einer Entscheidung dürfte ich auch Jan besänftigen.

„Quatsch. Für wie berechnend hältst du mich? Ruf mich nie wieder um die Zeit an, sonst kündige ich dir die Freundschaft. Gute Nacht.“

„Sorry“, nuschle ich, „wir schreiben später. Schlaf gut.“
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