Ende gut, alles gut.
von Neonschwarz
Kurzbeschreibung
3. Teil nach "Nichts mehr zu retten." und "Ein bisschen mehr." - Die Hochzeit von Leni und Jan steht kurz bevor. Die Freunde haben sich voneinander entfernt, freiwillig oder unfreiwillig, und Olli ist fest entschlossen, sie noch vor der Hochzeit wieder zu vereinen. [komplett überarbeitet in 2022]
GeschichteFamilie, Freundschaft / P16 / Gen
Jan Böhmermann
Joachim "Joko" Winterscheidt
Klaas Heufer-Umlauf
OC (Own Character)
Olli Schulz
13.05.2016
05.06.2019
74
85.226
20
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13.05.2016
1.669
Früher war'n wir noch so frei, unser Limit war die Sky
Denk zurück an diese Zeit
Ich vermisse dich
Komm doch wieder mal vorbei auf 'ne Kippe oder zwei
Hab'n gelacht und hatten Streit
Vergiss mich nicht
Swiss und die Andern - Vermisse Dich
Denk zurück an diese Zeit
Ich vermisse dich
Komm doch wieder mal vorbei auf 'ne Kippe oder zwei
Hab'n gelacht und hatten Streit
Vergiss mich nicht
Swiss und die Andern - Vermisse Dich
Leni
Es ist ein einziges Auf- und hinterher- und wieder wegräumen. Ein einziges, großes Räumen. Von A nach B, aus dem Schrank in den Flur in den Keller. Aus der Küche in den Müll. Aus dem Wohn- in die Kinderzimmer. Ein endloser Kreislauf aus Kinderbüchern und Wachsmalstiften, einzelnen Socken in Sofaritzen. Halbgetrunkener Kakao auf dem Tisch aus Plexiglas, ein Designerstück, daneben Krümel von Marmeladentoast und ein Playmobil-Fuchs, der das Chaos ausdruckslos mustert.
Als es klingelt, bin ich erleichtert. Eine Pause vom unbeschriebenen Word-Dokument. Postbote, Nachbarin, jeder, der mich ein paar Minuten beschäftigt, ist willkommen. Im Flur kontrolliere ich mein Spiegelbild. Zupfe eine Strähne zurecht. Auf meinem Shirt ist ein Kaffeefleck. Ich öffne die Tür, betätige den Summer. Die Gegensprechanlage benutze ich nicht, weil ich an Inge Meysel denken muss. Intensiver Harald-Schmidt-Show-Konsum hat seine Spuren hinterlassen. Ja, alles geklaut, wortgenau, alles nicht so toll gelaufen, aber trotzdem gut.
Schritte. Dann ein Gesicht. Ich halte die Türklinke fest, oder hält sie mich?, meine Knie sind weich, ich glaube, ich kriege Bauchschmerzen. Ich muss frühstücken. Keinen Kaffee mehr. Was macht er hier?
„Klaas?“
Braun gebrannt, erholt. Ein halbes Jahr Urlaub, Kontrastprogramm. Er ist wieder da. Und nicht nur da, sondern hier, in meinem Hausflur. Lächelt mich an. Er erwartet keinen Freudenschrei oder eine Willkommensparty.
„Hey“, sagt er.
„Hey?“, erwidere ich fragend, „ähm, was – was machst du hier?“
„Das ist jetzt peinlich. Ich wollte eigentlich zu den Nachbarn.“
Ich grinse unwillkürlich.
„Komm rein“, sage ich und mache Platz.
Kein Wort, keine Mail, keine Nachricht, keine einzige verdammte Postkarte. Ein Ritual, das wir als einzige der Gruppe akribisch gepflegt haben. Wir haben uns immer Karten geschrieben, selbst, wenn wir nur für ein Wochenende weg gefahren sind. Ich habe sie meist erst in Deutschland eingeworfen, er legte diese Aufgabe gewissenhaft auf den ersten Urlaubstag. Es gab immer Karten. Mir geht’s gut, das Wetter ist wunderbar, ich hoffe, euch geht’s auch gut? Grüße vom Meer. Grüße aus den Bergen. Grüße, Grüße, Grüße.
Er tritt in die Wohnung und ich schließe die Tür hinter ihm. Einen Moment verharre ich, die Finger fest um die Klinke gelegt. Mein Blut pulsiert bis in meine Fingerspitzen. Als ich mich zu ihm umdrehe, lächelt er.
„Du siehst richtig erholt aus“, sage ich.
„Du auch“, sagt er, „die Auszeit von mir hat dir offenbar gut getan.“
Es soll offensichtlich ein Scherz sein, aber ich bin nicht bereit, ihn aufzunehmen. Ohne ein höfliches Lächeln gehe ich ins Wohnzimmer. Er folgt mir. Ich biete ihm aus Höflichkeit etwas zu trinken an, schiele aber unauffällig in Richtung Uhr. In einer Stunde kommt Jan nach Hause.
„Maja und Felix sind noch nicht da?“, fragt Klaas.
„Kita und Schule“, erkläre ich, dankbar über seine banale Frage, „er müsste eigentlich nicht so lange bleiben, aber er wollte es, weil all seine Freunde im Hort sind. Und Majas Gruppe hat einen Ausflug gemacht. Jan holt sie auf dem Heimweg ab.“
Geschickt, Leni.
„Sie werden sich freuen dich zu sehen“, sage ich und reibe meine Handflächen über meine Stoffhose.
„Sie haben mir gefehlt“, sagt er.
„Seit wann bist du wieder da?“, frage ich und in meiner Stimme schwingt ein Hauch Vorwurf mit.
„Bin vorgestern angekommen.“
„Und deine Reisebegleitung?“, unverfänglicher Plauderton, Spitzenleistung, das lernt man in keinem Volkshochschulkurs.
„Tourt gerade irgendwo durch Mexiko.“
Sie ist nicht hier. Nicht nur nicht hier, unten in einem Auto, wo sie auf ihn wartet, während Henning May barfuß am Klavier sitzt, nein, nicht mal im Land. Nicht auf diesem Kontinent. Weit weg, uninteressant geworden.
„Ah“, mache ich, „und du willst wirklich nichts trinken?“
„Subtil, Leni.“
„War noch nie meine Stärke“, gebe ich bereitwillig zu.
„Ich hätte anrufen sollen.“
„Hätte ich gewusst, dass du kommst, hätte ich dir deine Einladung zur Hochzeit geben können“, bedauere ich. Absurd, dass ich heirate. Ich, die immer dagegen gewesen ist. Für immer und ewig, bis dass der Tod euch scheidet. Der Tod! Das ist mal ‘ne Ansage. Hätte man das nicht in den letzten hundert Jahren etwas optimieren können? An unsere Realität anpassen? Der Tod ist sehr endgültig. Danach kommt nichts mehr. Also vielleicht. Bis dahin sind wir einander verpflichtet, wobei Jan ja schon bewiesen hat, wie ernst er dieses Versprechen gibt. Ein Versprechen vor Gott. Auch so ‘ne Sache. Klaas Einladung habe ich noch nicht geschrieben, weil er keinen festen Wohnsitz hatte und weil ich nicht wollte.
„Macht nichts. Ich komm auch ohne Einladung."
Das Wohnzimmer ist fast durchgehend weiß eingerichtet. Jans Idee. Dass wir zwei kleine Kinder haben, hat er bei der Planung der Inneneinrichtung wohl vergessen. Überhaupt ist Weiß die vorherrschende Farbe der Wohnung. Ich muss ständig etwas abwischen, säubern oder schrubben. Als der erste Ring einer Teetasse auf dem weißen Couchtisch zurückblieb, bekam ich einen Wutanfall. Das ist jetzt mein Leben. Ein sehr helles, fröhliches, Fingerfarben-Leben. Wein statt Bier, meistens, keine Zigaretten mehr, meistens, keine heimlichen Treffen in Hotelzimmern, keine Ausreißer, keine dramatischen Szenen auf Bahnsteigen. Wir sind angekommen, erwachsen geworden.
„Wie lange ist es noch hin?“, fragt Klaas, als sei er nicht von Joko und Olli auf dem Laufenden gehalten worden.
„Drei Wochen.“
Drei Wochen Zeit, um durchzudrehen und sich wieder zu fangen. Und das wir diesen Prozess beide durchmachen werden steht fest. Wir können nicht heiraten, ohne es in Frage zu stellen. Wir stellen alles in Frage, uns, die Welt, aber am Ende werden wir sagen, dass wir wollen, weil wir wollen. Ich will. In guten wie in schlechten Zeiten, alles wie gehabt.
„Wie war denn die Reise? Erzähl doch mal“, lenke ich ab. Nichts interessiert mich weniger als ein detaillierter Reisebericht, aber alles, was diese Stille überbrückt, ist mir recht.
„Erholsam. Schön. Ich habs auf jeden Fall gebraucht.“
Eine Sonnenbrille baumelt am Kragen seines gebügelten Shirts. Die unbehagliche Stille breitet sich unbarmherzig weiter im Raum aus. Das Aufschließen der Haustür beendet sie abrupt. Zu früh, denke ich, so früh sind sie sonst nie dran.
„Mama?“, Felix schlittert wenig später auf Socken ins Wohnzimmer und stoppt überrascht, als er Klaas sieht.
„Na, Großer?“, ich sehe Klaas an, das er sich wirklich freut, ihn zu sehen. Aber ich sehe auch etwas anderes. Etwas, das ich gerne übersehen würde. Ein paar andere Abzweigungen, und wir hätten Felix als Gruppe großgezogen. Er wäre an den Wochenenden bei seinem Vater gewesen, oder im Wechselmodell? Es gab keine Abzweigungen, nur kleine Umwege. Ich wollte, was ich wollte.
„Klaas!“, Felix fällt ihm um den Hals und Jan erscheint im Türrahmen. Er hat einen siebten Sinn für die unpassenden Momente. Maja auf seinem Arm, die offenbar Schokolade gegessen hat, grinst zufrieden vor sich hin. Ich bin da, wo ich hingewollt habe. Ich habe, was ich wollte.
„Hey! Na wie war der Ausflug?“, ich gehe auf sie zu und nehme ihm Maja aus dem Arm. Sie riecht nach Sonnencreme. Anstatt mir zu antworten, verlangt sie durch wildes Gezappel, abgesetzt zu werden, um Klaas ebenfalls zu begrüßen. Ich habe ihn immer um seine natürliche Art, Kindern zu begegnen, beneidet. Ich dachte, mit dem Muttersein käme das automatisch, ein Komplettpaket, aber Kindergeburtstage sind die reinste Hölle.
„Hallo“, sagt Jan, „auch mal wieder im Lande?“
Klaas sieht ihn wortlos an. Nein, es gibt keinen Frieden. Keine weißen Fahnen. Keine magische Weiterentwicklung, die sich uns offenbaren kann. Jan verzieht sich in die Küche. Ich folge ihm.
„Komm schon“, ich bin gereizt, „können wir uns alle wie Erwachsene verhalten, bitte?“
„Was macht er hier?“
„Er hat nicht gesagt, dass er kommt. Ich bin genauso überrascht wie du.“
„Mhm.“
Ich greife nach seinem Oberarm und drücke ihn sanft. Er sieht mich an.
„Ich kann ihn bitten zu gehen“, biete ich versöhnlich an.
„Nein, schon gut. Ihr habt euch ewig nicht gesehen“, erwidert er, „Felix hat sich mit einem Jungen aus seiner Klasse auf dem Spielplatz verabredet. Wir nehmen Maja mit, dann könnt ihr euch in Ruhe unterhalten.“
„Sicher?“
„Er schläft im Hotel?“
„Ich habe ihm nichts anderes angeboten.“
„Okay“, er nickt, „gut.“
„Danke“, ich drücke ihm einen feuchten Kuss auf die Wange. Jan greift nach einer Wasserflasche und ich ignoriere sein Augenverdrehen.
„Wie wars auf der Arbeit?“, frage ich.
„Viel los“, antwortet er knapp, „Maja hat ihre Kappe verloren.“
„Die mit dem Nackenschutz?“, seufze ich, „das ist die zweite diesen Monat. Ich kümmer mich drum.“
„Ich hole morgen vor der Arbeit eine neue und bringe sie in die Kita.“
„Nimm Maja mit, sie kann sie sich aussuchen“, schlage ich vor. Wie auf Kommando erscheint Maja in der Küche und zerrt ungeduldig an meinem Hosenbein. Ich sehe zu ihr hinunter. Sie ist ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, obwohl die meisten behaupten, sie sähe mir ähnlicher.
„Ich hab Hunger!“, jammert sie. Ich streiche ihr durchs feine Haar und sehe Jan an.
„Wir essen unterwegs“, schlägt Jan vor, „packt eure Sandsachen ein, wir gehen auf den Spielplatz.“
Diese Information besänftigt Maja zumindest halbwegs.
„Mit Klaas?“, fragt sie. Ich schüttle in gespieltem Bedauern den Kopf.
„Ein andermal“, sage ich, „er muss sich noch ein bisschen von seinem langen Flug erholen.“
Schmollend schiebt sie die Unterlippe vor.
„Geh und sag deinem Bruder, dass wir gehen wollen“, bittet Jan sie. In ihrer geblümten Strumpfhose und dem winzigen Latzkleid stürmt sie aus der Küche.
„Sollen wir dir was mitbringen?“, fragt Jan.
„Klar“, ich lächle und schmiege mich an ihn. Ein Kuss, dann packt er die Kinder, das Sandspielzeug, die Rucksäcke, ein halbes Umzugsunternehmen. Ich begleite sie zur Tür, verabschiede mich von Felix und Maja, die bereits die Treppe hinuntereilen, verabschiede mich von Jan, der sich nicht sicher ist, ob er sauer auf mich sein soll.
„Er ist weg bis ihr wiederkommt“, sage ich, „ich schreib dir, wenn die Luft rein ist.“
Er schmunzelt.
„Okay“, willigt er schließlich ein. Ich sehe ihm nach. Ja, ich habe, was ich will. Alles kann man sowieso nicht haben.