Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

Warm Bodies - Zurück zum Anfang

Kurzbeschreibung
GeschichteSchmerz/Trost, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
Colonel Grigio Julie Grigio M / Marcus Nora Perry Kelvin R
03.04.2016
09.05.2017
8
24.770
4
Alle Kapitel
6 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
 
 
09.05.2017 4.462
 
Nun konnte Julie nichts mehr davon abhalten, zum Fenster zu stürzen und hinauszusehen.
Nach einer Schreckenssekunde, in der mir 1000 von Gedanken durch den Kopf schwirrten – du musst Julie beschützen, ist Marcus in Ordnung, was hatte das alles zu bedeuten, das klang nach menschlichen Schreien, wie war das möglich, welche Menschen waren das, wo war Perry – folgte ich Julie´s Beispiel und sah aus dem Fenster.
Ba-Bump.
Das war mein Herz, doch gleich darauf verstummte es wieder, ich griff mir erschrocken und überfordert an die Brust, es geschah alles so schnell, und diesesmal war es kein angenehmer Herzschlag, sondern ein panischer, ängstlicher, verzweifelter Schlag.
Denn was sich da auf dem Flugplatz abspielte, war so erschreckend, unerwartet und verstörend, dass mein Körper keinen andere Möglichkeit sah, als mir durch einen Herzschlag mitzuteilen, dass ich sofort die Beine in die Hand nehmen sollte und von hier verschwinden musste.
Auch wenn es in meinem Flugzeug womöglich im Moment im gesamten Flughafen am Sichersten war.
Ein halbes Dutzend Jeeps mit Soldaten darauf sowie unzählige weitere herumlaufende Soldaten, die selbst vom Flugzeug aus mit ihren Maschinengewehren bedrohlich aussahen. Sie liefen herum, erschossen jeden Zombie, denen ihnen in den Weg kamen, und aus der Richtung aus der sie kamen war der Flugplatz bereits übersäht mit Leichen. Am Boden liegenden, nun für immer tote Leichen von Zombies.
Mir wurde schlecht. All diese Zombies hätten geheilt werden können. Sie hatten Menschen getötet, natürlich, sie hatten schreckliche Dinge getan – aber jeder Zombie hatte eine zweite Chance verdient.
Wozu war das alles gut, wenn so viele Leute starben? Jetzt hatte ich vermutlich mehr Leben ausgelöscht als gerettet.

„Oh mein Gott..“, flüsterte Julie, und ich sah zu ihr, weg von dieser grässlichen Szene, ich erwartete dass Julies Anblick mich beruhigen würde, mir irgendwie die Kraft geben würde, zu entscheiden, was als Nächstes zu tun war, was das überhaupt zu bedeuten hatte und wie ich Julie beschützen konnte – doch ihr weißes Gesicht, ihre weit aufgerissene Augen und ihre zitterten Händen, mit denen sie sich am Fenster festhielt, um hinauszuschauen, verstärkten das schlechte Gefühl, das ich hatte nur noch mehr.
Etwas lief gewaltig schief, und ich spürte die Panik in mir aufkeimen, denn ich konnte nichts dagegen tun, was hier passierte. Doch warum, wie hatte es dazu kommen können?
Ich studierte Julies Gesicht, versuchte irgendwie wieder einen klaren Kopf zu kriegen, doch was sie als nächstes sagte, machte alles noch schlimmer.
„... das ist mein Dad.“
Colonel Grigio? Ich sah erneut hinunter auf den Flugplatz, es waren kaum noch Zombies zu sehen, die herumliefen, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie viele noch im Flughafen waren – wie hatten es die Soldaten überhaupt geschafft, soweit zu kommen? Meine Gedanken überschlugen sich. Wie konnte es nur so weit kommen, das alles war nur meine Schuld, ich hatte Perry gerettet und jetzt starben dafür dutzende andere, die wieder menschlich hätten werden können.
Ein erstickter Laut kam aus meiner Kehle, als ich begriff, dass das wirklich meine Schuld war. Was sollte ich nur tun?! Ich konnte den Blick nicht mehr abwenden von dem Schlachtfeld dort draußen, nun kamen auch Bonies aus dem Gebäude, doch die Soldaten erschossen jeden einzelnen von ihnen, auch wenn ich darüber natürlich eher froh war. Doch sie rückten immer weiter zum Gebäude vor.
Ich musste etwas tun. M musste irgendwo dort sein. Und Perry. Und all die anderen Menschen, ich hatte mich mit vielen ehemaligen Zombies angefreundet in den letzten Wochen, viele kamen zu mir und Julie, um sich zu bedanken... nein ich konnte nicht alle retten, ich musste aufhören mich zu bemitleiden wegen dem, was ich verändert hatte, sodass es zu diesem hier kam und mich endlich verdammt noch mal bewegen.
„Bleib hier.“, flüsterte ich , meine Stimme brach vor Scham und Traurigkeit über all die verlorenen Menschen. Doch Julie war Julie, sie würde protestieren, das wusste ich.
Natürlich. „Auf keinen Fall, du musst hier bleiben, ich kann da raus gehen und erklären...“ Julie´s Wortschwall stoppte abrupt. Sie wusste nicht, was sie erklären sollte, weil sie nicht wusste, was mit mir vor ging, was ich von ihr wusste, und ich hatte die Gelegenheit versäumt, ihr alles irgendwie zu erklären, nun war es zu spät. Ich schüttelte den Kopf. „Ich muss M und Perry finden. Dann... kannst du mit deinem... Vater reden?“  Ich wusste selbst nicht, wie ich anstellen sollte, die beiden zu finden, dabei nicht getötet zu werden, und dann auch noch irgendwie Julie´s Vater zu erklären, dass es ein Heilmittel gab... die Chancen waren gleich null, ihn überzeugen zu können. Ganz zu schweigen davon, zu versuchen, ihn davon abzuhalten, jeden Zombie einfach umzubringen. Doch sie waren noch nicht so weit, außer Marcus vielleicht, sie würden die Soldaten auch weiterhin angreifen. Es lief alles so falsch, nichts schien mehr einen Sinn zu machen.
„A-Aber wenn er mich sucht, und ich zu ihm gehe, hört er vielleicht auf...“ Julie merkte selbst, dass ihr Einwand keinen Sinn machte. Denn warum sollte er aufhören, wenn Julie nicht erklären könnte warum, da sie nicht wusste, wie sich auch die anderen verändern könnten, wenn man ihnen nur mehr Zeit geben würde? Es war hoffnungslos, wir konnten nichts tun, und es war meine Schuld.
Das einzige was ich vielleicht tun konnte, war Marcus und Perry zu retten. Das war ich beiden schuldig, und vor allem mir selbst. Julie war nicht in Gefahr, zumindest so lange sie im Flugzeug blieb und dann sich ihrem Vater so näherte, dass er sie nicht für eine Untote halten würde.
„Ich muss.“, sagte ich nur noch und ging zur Tür, meine Schritte waren erstaunlich bestimmt und fest, als ob mein Vorhaben mich irgendwie von innen stärker machen würde.
Doch ich hielt inne, bevor ich die Tür aufmachte.
Ich drehte mich zu Julie um. Ihre blauen Auge, voller Angst (Angst um mich?) – blickten mich an.
Was ist, wenn ich nicht zurück kommen würde? Ich wusste, wie gefährlich es war, dort raus zu gehen, und es war nicht so, dass ich sterben wollte, ganz und gar nicht aber – es war meine Schuld.
Ich musste das irgendwie wieder hinkriegen.
Wenn ich sie doch nur noch einmal küssen könnte. Doch ich konnte nicht. Ich schob mein Verlangen nach ihr beiseite und drehte mich wieder zur Tür. Ich musste sie retten, oder es zumindest versuchen.
Julie´s Stimme war so leise, dass ich sie kaum hörte, zudem war ich schon halb aus der Tür, als sie die Worte murmelte.
„Pass auf dich auf.“, flüsterte sie.
Ich würde es versuchen. Bevor ich der Versuchung widerlag, umzudrehen und ihr alles zu gestehen, verschloss ich die Tür hinter mir und lief die Treppe hinunter, so schnell ich konnte.
Ich hatte Glück, die Soldaten waren alle in der Nähe des Einganges, ich sah, wie sie in ihre Funkgeräte riefen, doch konnte nicht verstehen was es war. Irgendwo dort musste auch Julies Vater sein, doch sie waren zu weit entfernt, als dass ich es hätte einschätzen können. Ich wandte den Blick ab von den Menschen und ließ ihn über den Flugplatz schwenken. Zahlreiche Leichen, und einige tote Bonies lagen kreuz und quer herum. Ich versuchte, sie nicht genau anzusehen, während ich mich zügig über den Flugplatz bewegte, jedoch immer hinter Flugzeugen versteckend und zudem so aufrecht gehend, wie ich konnte, damit mich vielleicht jemand, der mich sah, nicht sofort erschoss.
Doch ich musste sie ansehen, ich konnte nicht anders. Die meisten waren durch Schüsse in den Kopf gestorben, lagen nun mit leerem Gesichtsausdruck und verrenkten Gliedern auf dem Boden, den Mund geöffnet. Doch einige andere weisten so verstörende Verletzungen am Kopf auf, dass mir schlecht wurde, die Schädel wurden mit irgendetwas schwerem zertrümmert, sodass nichts als eine blutige Masse übrig blieb, wo einst ein Gehirn gewesen war.
Alles meine Schuld.
Dann fiel mein Blick auf eine weitere Leiche, und mir wurde ganz anders.
Marcus.
Erkennen konnte ich ihn nur an seinen Klamotten, an der grauen Jacke, die er schon immer trug. Denn sein Kopf war so zertrümmert und mit schwarzem, dickflüssigen Zombie Blut bedeckt, dass man seine Gesichtszüge nicht mehr erkennen konnte.
Nein. Nicht er, das konnte nicht wahr sein. Mein bester Freund, einfach so ausgelöscht. Ich wünschte, ich könnte weinen, könnte schreien, um ihn trauern, ihn irgendwie begraben, und dass nichts von allem möglich war, machte mich so wütend auf die Soldaten, auf Julie´s Vater, dass ich mir kurz vorstellte, wie ich den Menschen umbrachte, ihm das Herz aus der Brust rausriss, ihn bei lebendigen Leib fressen würde, und jeden seiner Schreie genießen würde...
Nein, nein, ich musste mich zusammenreißen, ich war nicht mehr so wie früher, ich würde niemanden verletzen. Meine Augen brannten, unfähig, Tränen zu produzieren.
Ich hatte Marcus so lange angestarrt, als ob er dadurch plötzlich aufstehen würde, dass ich stehengeblieben war und die Schritte nicht gehört hatte, die nun aus einiger Entfernung zu hören waren, und schon kam der Schuss in Richtung meines Kopfes, verfehlte mich nur um wenige Zentimeter.
Ich ließ mich auf den Boden fallen, genau neben Marcus und zwei anderen toten Zombies, hielt den Atem an, den ich zum Glück noch nicht benötigte, und blieb regungslos liegen, die Augen geöffnet, doch ich konnte nicht viel erkennen außer den grauen, bewölkten Himmel über mir. Ich war immer noch voller Wut und Trauer über Marcus, doch ich musste diese Gefühle für den Moment beseite schieben, sonst würde ich so wie er enden. Und das hätte er sicher nicht gewollt.
„Hast du es erwischt?“, kam eine barsche Stimme so nah bei mir, dass ich mich unglaublich zusammenreißen musste, um nicht zusammenzuzucken. Denn die Stimme kam mir bekannt vor – es war tatsächlich Julie´s Vater, John Grigio.
Eine Gestalt beugte sich über mich, ein junger Soldat, dessen Ängstlichkeit ihm ins Gesicht geschrieben war. Ich versuchte, ihn nicht mit den Augen zu fokussieren, und mir wurde ganz heiß vor Panik darüber, entlarvt zu werden und hier und jetzt sterben zu müssen. (Hatte er Marcus umgebracht? Wer war es gewesen?)
„Sieht so aus.“, murmelte der junge Kerl und beugte sich zurück, sodass mein Sichtfeld wieder frei war.
Grigio schnaubte. Ich traute ihm ohne Zweifel zu, dass er eine weitere Kugel verbrauchen würde, nur um sicher zu gehen, schließlich war keine Einschusswunde an meinem Kopf zu sehen.
Er hob sein Gewehr, lud es nach, und dann tauchte die Mündung direkt vor meinem Gesicht auf.
Das war´s dann wohl, am liebsten hätte ich die Augen geschlossen, wozu auch noch so tun als wäre ich tot, vielleicht würde ich dann noch einmal Julie sehen.
Doch bevor ich das tun konnte, bevor Grigio abdrücken konnte, hörte ich aus der Ferne einen Schrei, einen menschlichen Schrei, der sowohl mich als auch alle Soldaten bei Grigio zusammenzucken ließen, doch als ich keine Kugel spürte, die sich durch meine Kopfhaut bohrte, konnte ich davon ausgehen, dass mich keiner bemerkt hatte. Ich hatte den Schrei sofort identifiziert, es war Julie, natürlich. Sie war aus dem Flugzeug geflohen, gegen meine Bitte an sie, doch ich konnte ihr innerlich nicht genug dafür danken, denn sie hatte mir gerade das Leben gerettet. Wieder dachte ich an Marcus, wie er nur Zentimeter von mir entfernt dalag... wie konnte das hier besser sein? Wenn so viele mehr starben, als beim ersten Mal?
Das Gewehr vor meinem Gesicht verschwand, ich hörte, wie sich die schweren Schritte von Grigio und den anderen Soldaten entfernten, und ich blieb noch einige Sekunden liegen, wusste nicht, wie viele Soldaten noch in der Nähe waren, ob jemand zu mir sah, auch wenn mich die Panik vor dem, weswegen Julie aus dem Flugzeug und über den Flugplatz gerannt war, und vor allem warum sie geschrien hatte, beinahe sofort aufspringen ließ.
(Bitte, lass wenigstens ihr nichts passiert sein. Nur sie...)
Von weit enfernt hörte ich erneut Julies Schrei und dann schrie sie etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte: Sie schrie meinen Namen, voller Verzweiflung, sie schrie nicht nach Perry, oder nach ihrem Vater, nur nach mir.
„Julie?!“, rief Grigio, Verwirrung und Sorge und Erleichterung zugleich schwang in seiner Stimme mit. Ich wollte meinen Kopf drehen und sehen, was passiert war, der Drang, Julie zu helfen, mit was auch immer sie Hilfe brauchte, wurde immer stärker, und doch lähmte die Panik mich, ich durfte mich nicht rühren, sonst würde ich sterben. Also, endgültig sterben.
„R! Nein...“ Julie´s Stimme klang jetzt ganz nah, und den Schritten zufolge folgte ihr Vater ihr. „Was.. Julie, bleib stehen!“
Plötzlich war Julie bei mir, legte ihre Arme um mich, ihre blauen Augen starrten mich tränenverhangen an und strich mit ihrer Hand über meinen Kopf, durch meine Haare, und ich verstand – sie dachte ich war tot, vermutlich hatte sie vom Flugzeug aus gesehen, wie ich zu Boden ging, meine rote Jacke war wohl auch von der Entfernung zu erkennen.. Ich wollte sie aufklären, sie beruhigen, doch zum einen lähmte mich immer noch die Angst, dass Grigio, nur wenige Schritte entfernt, nicht zögern würde, mich zu erschießen, wenn ich auch nur einen Finger rührte.
Doch zum anderen war ich so erstaunt, überwältigt von Julie.
Sie sorgte sich um mich, sie weinte um mich, und am Liebsten hätte ich einfach ihre Hände ergriffen, ihr versichert dass ich okay war, ihr meine Liebe gebeichtet...
doch die Gefahr um Perry war noch nicht vorbei, und wer garantierte, dass Julie sicher nach Hause kam? Zudem könnte ich vielleicht wenigstens noch die restlichen Zombies irgendwie retten? Wenn ich schon Marcus nicht retten konnte...
„Julie... was soll das?“, erklang die Stimme ihres Vaters erneut, er verstand nicht, was seine Tochter da zu trauern hatte, natürlich verstand er es nicht. Zwar hatte er mich nach dem er mich angeschossen hatte und ich mich zum Glück schnell davon erholt hatte, einigermaßen akzeptiert, dennoch hatte ich immer ein wenig Angst vor ihm gehabt, er war ein Mann mit strikten Prinzipien, und es war ja schwer genug gewesen, ihn davon zu überzeugen, dass die Zombies sich ändern konnten. Doch nun würde das Ganze noch schwerer sein, und ich traute mir absolut nicht zu, ihn überzeugen zu können.
Julie antwortete nicht, sie weinte leise, doch ihre Hände berührten immer noch meinen Kopf, als suche sie nach einer Schusswunde, die natürlich nicht da war. Ich konnte sie nicht länger leiden sehen, ich musste Mut beweisen, musste das alles irgendwie wieder hinkriegen.
Ich rührte mich kaum, bewegte nur meinen Mund so wenig wie möglich, sodass es keiner der Soldaten mitkriegen konnte. „Julie... m-mir geht’s gut“, flüsterte ich und suchte schnell ihren Blick.
Sie erstarrte, doch sie verstand schnell, sie hatte schließlich keine Wunde gesehen, und verstand sogar, dass ich das tat, um nicht wirklich erschossen zu werden. Sie sagte nichts, doch der Blick, mit dem sie mich ansah, wie sie kurz zu Marcus sah, voller Mitleid für ihn, für mich, die Art, wie sie mir die zerzausten Haare aus der Stirn strich, sagte mehr als tausend Worte. „Warte, und steh auf wenn ich es sage, okay?“, flüsterte sie so schnell, dass ich es kaum verstand. Doch ich hatte verstanden, und nickte kaum sichtbar, und Julie legte mich sanft auf den Boden zurück und stand auf.
Es musste einfach funktionieren. Doch sie musste sich beeilen, ich hatte keine Ahnung wie es Perry ging, und mit jeder Minute die verstrich, starben mehr Zombies, und es war alles meine Schuld.
„Dad. Ihr müsst... ihr müsst damit aufhören.“ Ihre Stimme klang fest, dennoch hörte ich die sie vor Angst leise vibrieren. Ich hoffte, sie hatte sich genug zusammengereimt... erneut wünschte ich mir, ich hätte ihr mehr erzählt.
„Was redest du da, Julie? Und wer ist diese Leiche?“ Gut, er hatte nicht bemerkt, dass ich noch am Leben – oder besser gesagt, nicht tot war. „Wir haben uns getäuscht, Dad. Die Zombies sind nicht so wie wir denken, zumindest nicht alle.“
Grigio würde ihr das nicht einfach so abnehmen. Er ging nicht mal darauf ein, und das machte mich leicht wütend. Wir hatten keine Zeit mehr... „Bist du in Ordnung, wurdest du gebissen?!“ Julie schien das gleiche wie ich zu denken. „Mir geht’s gut, Dad. Aber du musst mir zuhören, ihr dürft nicht einfach so alle Zombies umbringen!“ Ich war so froh, dass sie es schon jetzt verstand. Ich hatte zu Unrecht geglaubt, sie würde nicht erklären können, was hier vor sich ging.
Bevor ihr Vater etwas erwidern konnte, fuhr Julie fort. „Sie können sich verändern, ich – ich weiß nicht wie, und warum, aber R...“ - sie pausierte, ich ging davon aus dass sie dabei auf mich zeigte - „und andere wie er sind anders als der Rest.“
„Bring sie in meinen Wagen, Kevin.“ (Kevin war auch hier?) Nervös zuckten meine Augen zu Julie, von der ich aus meiner Perspektive nur ihren Hinterkopf sehen konnte. „Nein, Dad. Komm, R, zeig ihnen, wie anders du bist.“
Ich schätze das war der Zeitpunkt, indem ich mich vor Grigio beweisen musste, was ich damals in der Green Zone nicht geschafft hatte, kurz bevor Julie und ich vom Gebäude sprangen und  er mich angeschossen hatte. (Ich schaffe das. Ich muss, ich muss ihn überzeugen und dann endlich nach Perry Ausschau halten.)
Die Soldaten schnappten nach Luft und Grigio hob sofort sein Gewehr und zielte es auf meinen Kopf, und als ich langsam aufstand und gerade stehenbleiben wollte, noch gebeugt vom aufstehen, ein Stück hinter Julie, die wie damals im Wasser die Hand erhoben hatte, sie beschütze mich, obwohl diesesmal so viel anders und falsch verlaufen hatte, schien es, als ob die Zeit stehenbleiben würde.

Ich weiß nicht, wieso ich mich daran erinnerte, doch manche Menschen glaubten, dass man, kurz bevor man starb, sein Leben an sich vorbeiziehen sah.
Da ich mich nicht an mein Leben vor der Apokalypse erinnerte, hatte ich mir immer vorgestellt, Julie zu sehen, bevor ich starb, wann auch immer das sein würde, in ferner Zukunft hatte ich mir gesagt, als ich vollkommen menschlich war und alles gut zu sein schien.
Nur Julie. Denn sie war das Wichtigste in meinem Leben.
Doch als ich das Gewehr hinter mir hörte, dass den Schuss aus ca. 10 Metern Entfernung abfeuerte, und mich so schnell umdrehte, dass ich die Kugel genau auf meinen Kopf zufliegen sah, sah ich nicht Julie.

Ich sah ein Haus, mit Garten und dann eine Küche.
Ich sah eine junge Frau, mit blonden Haaren, die in der Küche stand und Pfannkuchen machte. Dabei sang sie fröhlich ein Lied, doch ich konnte nichts hören – nur zusehen.
Ich sah die Frau erneut, jetzt war sie älter, nicht mehr so unbeschwehrt wie in der Erinnerung davor. Sie saß an einem Tisch, vor ihr stand ein Radio, was auch immer aus dem Radio kam, es schien sie zu bedrücken, denn ihre Augen glänzten verräterisch. Hinter ihr erschien ein Mann, er hatte schwarze Haare, er lächelte, doch er wirkte auf mich aus irgendeinem Grund... bedrohlich – ich fühlte mich seltsam, sie zu sehen, sie so zu sehen, doch gleichzeitig fühlte ich mich als wäre ich zuhause.
Dann eine Schule, nein eine Universität. Doch hier fühlte ich mich falsch.
Immer mehr Bilder kamen, eine Gitarre, über deren metallenen Saiten ich gedankenverloren strich, ein Auto, panische und ängstliche Stimmen, die in mein Ohr schrien, ein Hund, der im Garten des Hauses stand und bellte, ein Fluss, im Gras neben dem Fluss lagen drei Leichen, ein paar Typen, mit denen ich in einer Bar saß, ein rothaariges Mädchen, das –
Und dann war da Julie, endlich sah ich Julie, die mein Gesicht in ihre Hände nahm, mir die nassen Haaren aus der Stirn strich und mich küsste. Julie, in meinem Flugzeug mit mir, wie sie mir sagte, ich sollte aufhören, mit den Achseln zu zucken, Julie im Labor, wo alles angefangen hat und sie zurückzuckte und weinte, als ich ihr Blut auf die Wange strich um ihren Geruch zu verdecken.

Und dann war es vorbei, ich kniete am Boden und hielt eine Leiche in den Händen. Perry, mit einem Einschussloch in der Stirn. Und ich war am Leben, nicht nur nicht tot, ich spürte, wie das Blut wieder durch meinen Körper floss, und hätte mich jetzt jemand angeschossen, hätte er das menschliche Blut, rot und pulsierend, aus der Wunde treten sehen.
Auch mein Herz schlug nun, viel zu schnell, voller Panik, und mit einem Japsen holte ich Luft und starrte Perry an.
Erst nach und nach hörte ich wieder Geräusche, als hätten diese Erinnerungen, die ich gesehen hatte, über die ich im Moment aber einfach nicht nachdenken konnte, mir meinen Hörsinn geraubt.
„PERRY!“ Julie. Schon war sie an meiner Seite, doch sie weinte nicht, sie stand so unter Schock, dass sie ihn nur wortlos anstarren konnte.
Weitere Schreie von den Soldaten. Der der mich erschießen wollte, schrie am lautesten. „I-ich dachte... er ist doch ein Zombie oder nicht?!“
Julies Vater, völlig verwirrt und wütend. „Julie, geh sofort weg von diesem Ding.“ Er verlor kein Wort über ihren Freund, der tot vor ihr lag.
Mit der Kugel im Kopf, die für mich bestimmt war.
Wieso hatte er das getan? Und vor allem, wie? Er konnte keine Erinnerungen an mich oder Julie haben... konnte keine gehabt haben. Perry war tot, endgültig, schon wieder. Und wie war er so schnell in die Schusslinie gekommen? Doch all diese rationale Fragen, die durch meinen Kopf wirbelten, wichen der Tatsache, die ich nicht verstehen konnte.
Er war für mich gestorben. Schon wieder. Dort lag er, daneben Marcus, beide tot, und ich war am Leben. Wie konnte das besser sein, fragte ich mich wieder. Wie konnte das fair sein?
Erst als Julies Vater rief: „Trefft nicht Julie!“, war mir bewusst, dass die Gefahr um mich selbst immer noch nicht vorbei war, ich musste aufstehen, erklären was los war, ich konnte das, ich war menschlich, das spürte ich deutlich.
Doch ich war nicht schnell genug, trotz allem. Und als erneut eine Kugel kam, wieder von hinten, nur diesesmal drehte ich mich nicht um, gab es niemanden, der sich vor mich warf, um mich zu retten.
Ich spürte, wie die Kugel in meinen Hinterkopf eintrat, wie ich vornüber fiel wie eine Marionette, bei der man die Fäden durchgeschnitten hatte. Und auch wenn das gar nicht möglich war, hörte ich Julies Schreie, spürte, wie das rote, lebendige Blut aus mir strömte, der Beweis, dass Julie Recht gehabt hatte, dass ihr Vater im Unrecht war – würden die anderen Zombies jetzt verschont?, fragte ich mich beiläufig.
Doch wie konnte ich überhaupt noch denken, wenn ich doch tot war?
Dann wurde alles schwarz.

Vielleicht war es dumm von mir gewesen, zu denken, ich könnte Perry denken, ohne dass das Konsequenzen hatte. Doch dass sowohl Perry, Marcus, dutzende andere Zombies und ich tot war, hatte ich niemals erwartet und gewollt.
Nun war Julie ganz alleine. Sie hatte weder Perry, noch mich, wenigstens Nora. Aber wer sollte nun auf sie aufpassen? Ich vermisste sie schon jetzt. Ich brauchte sie. Ich wollte das Erstaunen auf ihrem Gesicht gesehen, wenn ich ihr erzählen würde, dass ich lebendig war. Wollte ihr erzählen, wie ich Perry tötete, dann eine zweite Chance bekam, und alles noch schlimmer gemacht hatte. Wie sehr ich mich dafür schämte, Schuld am Tod von Perry und Marcus und all den anderen Zombies zu sein.
Und ich wollte die Freude in ihrem Gesicht aufleuchten sehen, wenn ich ihr erzählen würde, dass ich mich an meine Familie erinnerte.
Noch immer war alles schwarz um mich herum, ich fühlte nicht mal mehr meinen eigenen Körper. War das der Tod? Es schien so. Oder war das die Hölle? Die Strafe, für all die Menschen, die ich getötet hatte? Wem immer ich meine Fragen stellte, keiner antwortete.

Ich dachte weiter über meine Erinnerungen nach. Es gab sowieso nichts anderes zu tun, und über Julie nachzudenken machte mich so traurig, ich sehnte mich mehr nach ihr als je zuvor. Doch sie konnte nicht bei mir sein, sie musste leben, sie hatte ein schönes Leben verdient.
Ich hatte meine Mutter gesehen, das wurde mir jetzt klar. Aber an ihren Namen, oder an irgendeinen anderen Namen, konnte ich mich nicht erinnern. Und der Mann... er musste mein Vater sein. Doch er hatte so einschüchternd gewirkt, dass mir selbst jetzt noch unwohl dabei wurde, wenn ich über ihn nachdachte. Also ließ ich es.
Diese Teenager... waren sie meine Freunde gewesen? Hatte ich studiert, an dieser Universität? War dieses Mädchen, mit den roten Haaren, meine Freundin gewesen? Hatte mir dieser Hund gehört? Konnte ich Gitarre spielen? Ich hatte immer gedacht, je mehr Erinnerungen ich hatte, desto weniger Fragen würde ich mir über mich selbst stellen. Aber das Gegenteil war der Fall.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich schon in diesem Zustand war – ich hatte mich damit abgefunden, alleine mit meinen Gedanken zu sein, auch wenn ich langsam eine seltsame Bedrücktheit verspürte, als ob diese schwarze Dunkelheit immer näher auf mich einrücken würde, als wäre ich eingesperrt in einem Käfig, dessen Gitterstäbe immer näher auf mich einrückten.
Doch jetzt veränderte sich etwas, endlich.

Es erinnerte mich vage an das Gefühl, dass ich hatte, als ich bei der Brücke bewusstlos wurde und auf dem Flughafen wieder aufwachte. Nur dass diesesmal kein brennender Schmerz, von meiner Bisswunde ausgehend, durch meinen Körper fuhr.
Es fühlte sich mehr wie Fallen an, doch noch immer war ich von tiefschwarzer Finsternis umgeben, unfähig, mich zu bewegen, oder etwas zu sagen.
Dann fuhr ein Ruck durch meinen Körper, den ich plötzlich wieder hatte, und ich konnte wieder sehen und mich bewegen, worüber ich nicht nur unendlich froh war, sondern geradezu überwältigt. Nach wer weiß wie vielen Stunden (Tage? Jahre?) in dieser Dunkelheit war ich für alles dankbar, was anders war.
Ich öffnete meine Augen, und im selben Moment merkte ich, das hier einiges falsch war. Mein Körper war kalt, kein Herz schlug,  ich brauchte keine Luft zum Atmen und meine Sicht war erneut getrübt. Ich hob beide Arme,viel zu langsam, und stütze verzweifelt meinen Kopf in meinen Händen ab, das war einfach zu viel.
Ich war ein Zombie. Schon wieder.
Das konnte nicht wahr sein... ich war in meinem Flugzeug, saß auf einem der Sitze.
Sollte ich alles noch einmal durchleben  müssen? Zum dritten Mal? Hatte ich nicht schon genug gelitten?
Vielleicht sollte ich Julie einfach nie begegnen. Aber was wurde dann aus der Welt? Ich konnte doch nicht einfach nichts machen. Doch egal was ich tat, es schien immer etwas falsch zu laufen.
Was sollte ich nur tun?
Wenigstens waren Marcus und Perry jetzt wieder am Leben. Ich würde mit niemanden darüber reden, was mir passiert war, Marcus würde es nicht glauben, nicht ohne einen handfesten Beweis, wie meine Veränderung. Ich würde alles irgendwann vergessen, ich würde Julie vergessen, meine Erinnerungen, alles, was passiert war.
Es hatte keinen Sinn, ich konnte niemanden retten, nicht mal mich selbst.
Doch dann hörte ich eine Stimme. Ihre Stimme, auch wenn es unmöglich schien, doch es war ihre, ich würde sie immer erkennen, womöglich sogar wenn ich sie schon vergessen hatte.
„Ich hab Hunger...“
Mein Kopf flog zur Seite, ich wäre beinahe aus dem Sitz gefallen.
Dort saß sie, auf dem Sitz gegenüber von mir auf der anderen Seite. Julie.
Review schreiben
 
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast