Der Schwanenprinz
von Nekomiffy
Kurzbeschreibung
Fortsetzung zu H. C. Andersens Märchen "Die wilden Schwäne": Der jüngste Prinz, nicht vollständig zurückverwandelt, begibt sich in ein eigenes Abenteuer, um herauszufinden, wie er sich befreien kann...
OneshotAbenteuer, Fantasy / P6 / Gen
02.04.2016
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Das Märchen "Die wilden Schwäne" kann online unter http://gutenberg.spiegel.de/autor/hans-christian-andersen-9 gefunden werden.
Der Schwanenprinz
Nach ihrer Rückverwandlung blieben die elf Brüder noch eine Weile bei ihrer Schwester Elisa und dem jungen König, dann beschlossen sie, in ihr Königreich zurückzukehren. Inzwischen war der alte König gestorben, und die böse Stiefmutter hatte die Macht an sich gerissen. Doch als die elf totgeglaubten Prinzen wieder im Schloss erschienen, floh sie und wurde nie wieder gesehen.
Der Älteste folgte seinem Vater als König nach, und seine Brüder standen ihm als Minister zur Seite. Der eine kümmerte sich um dem Handel, der andere um die Straßen und Gebäude, der dritte um die Gesetze, der vierte um die Schulen für die Kinder, der fünfte um die Beziehungen zu den anderen Ländern und so fort. Sie alle hatten die Aufgabe, der sie nach ihrem Talent am besten gewachsen waren, und da die Prinzen allesamt sehr klug waren, blühte das Land schnell wieder auf.
Nur einer ging nicht jeden Morgen zu seiner neuen Aufgabe: der jüngste der Brüder. Da Elisa das letzte Hemd aus Brennnessel nicht fertig gewebt hatte, hatte er einen Schwanenflügel anstatt eines Armes behalten. Obwohl sich die Brüder früher des Nachts in Menschen zurückverwandelt hatten, blieb der Schwanenflügel, auch wenn die Sonne schon untergegangen war. Der Schwanenprinz, wie man ihn nun nannte, versteckte den Flügel unter einem langen, weiten Ärmel, damit ihn niemand sah, doch nützlich machen konnte er sich damit nicht. Es war ausgerechnet die Hand, mit der er schreiben gelernt hatte. Auch konnte er keinen Säbel mehr halten. Alles, was der Schwanenprinz früher gelernt hatte, nützte ihm nun nichts mehr.
"Das braucht dich nicht zu sorgen", versicherten ihm seine Brüder jeden Tag, wenn sie zu den Regierungsgeschäften aufbrachen. "Wir lieben dich und sind froh, dass du bei uns bist. Begrüße uns am Abend mit einem Lächeln, dann erweist dudiesem Land den größten aller Dienste."
Und so setzte er am Abend ein Lächeln auf, um seine Brüder zu begrüßen, und es wurde ihm wieder leichter ums Herz, wenn er ihre Gesichter sah. Den Tag über jedoch, wenn er allein war, blieb der Schwanenprinz traurig.
Die Zeit verstrich, und nacheinander fanden die zehn älteren Brüder kluge und schöne Prinzessinnen, in die sie sich verliebten und sie heirateten. Obwohl der Schwanenprinz seine neuen Schwägerinnen alle sehr gern hatte, machte es ihn doch etwas traurig. Denn nun begrüßten die Prinzessinnen seine Brüder am Abend.
"Ich möchte unsere Schwester Elisa besuchen", erklärte der Schwanenprinz eines Tages seinen Brüdern. "Ich vermisse sie, und das Nachbarland ist nicht weit."
"Du willst allein reisen?", fragte sein ältester Bruder besorgt. "Um diese Jahreszeit ist der Weg gefährlich. Außerdem musst du über das Meer reisen und kannst mit deinem Schwanenflügel keinen Säbel halten."
"Mir geschieht nichts", versicherte der Schwanenprinz ihm. "Und warum sollte mir jemand etwas antun? Ich werde einfache Kleidung anziehen und kein Gold oder Juwelen mitnehmen, also wird mich auch kein Straßenräuber überfallen."
Den Brüdern gefiel das nicht, und sie wollten dem Schwanenprinzen doch lieber ein paar Soldaten als Bewachung mitgeben. Aber der Schwanenprinz wehrte ab. "Ihr braucht alle Männer hier, um das Land wieder aufzubauen. Ich werde alleine reisen. Bitte lasst mich gehen."
Seine älteren Brüder sahen seine traurigen Augen und fühlten sich schuldig, dass sie es nicht früher bemerkt hatten. Aber zum ersten Mal wussten sie auch nicht, wie sie ihrem jüngsten Bruder helfen sollten. So ließen sie ihn ziehen.
Am nächsten Morgen brach der Schwanenprinz früh auf. Er trug schlichte Kleidung und einen Umhang und hatte nur ein paar Silbermünzen im Beutel, um unterwegs etwas zu Essen zu kaufen und um die Schiffsreise bezahlen zu können. Unter Tränen verabschiedete er sich von seinen Brüdern, doch dann verließ er das Schloss, ohne sich umzudrehen.
Einige Tage wanderte er auf der Straße in Richtung Meer, ohne dass etwas geschah. Als er die See erreichte, die sich bis zum Horizont erstreckte, seufzte er. "Selbst als ich noch ein Schwan war, war es leichter", dachte er. "Dann konnte ich ganz einfach über das Wasser fliegen."
Er erinnerte sich daran, wie Elisa ihm von der Fee im Wolkenschloss erzählt hatte, die ihr geholfen hatte, den bösen Fluch zu brechen. Doch die Fee würde er nun auch niemals erreichen können, um sie um Rat zu fragen, was er tun konnte, um wieder vollständig ein Mensch zu werden.
Während der Schwanenprinz so traurig am Ufer saß, kam plötzlich eine alte Frau vorbei. Sie setzte sich zu ihm und fragte ihn freundlich, was ihn denn bedrücke. Unglücklich zeigte ihr der Schwanenprinz seinen Flügel. Die alte Frau war deswegen nicht erschrocken, sondern lächelte ihn geheimnisvoll an.
"Wenn du mir eine deiner Schwungfedern gibst, werde ich für dich wahrsagen", bot sie ihm an. "Vielleicht kenne ich ein Mittel, den bösen Zauber vollends zu brechen."
Der Schwanenprinz nickte und zupfte sich eine der langen Schwungfedern an der Spitze des Flügels aus. Es tat etwas weh - wie wenn wir uns Haare auszupfen - und ein Blutstropfen blieb am Kiel der Feder hängen. Die alte Frau nahm die Feder, zog ein Pergament hervor und schrieb mit dem Blut einige seltsame Zeichen. Sie murmelte ein paar Zauberworte und starrte dann wie gebannt auf die merkwürdigen Zeichnungen.
"Ah", sagte sie. "Der Zauber, der dich umgab, wurde gebrochen, aber nicht vollends. Um wieder gänzlich ein Mensch zu werden, brauchst du folgende drei Dinge: den Kuss der schönsten Frau der Welt, die kostbarste Perle der Welt und das Lächeln eines Menschen, der niemals lächelt. Doch bedenke: man muss dir diese Dinge freiwillig zum Geschenk machen! Jedes Mal, wenn du eines dieser Dinge erhältst, wird diese Feder sich ein wenig golden färben, und wenn du alles gefunden hast, wird dein Flügel wieder zu einem menschlichen Arm werden. Hier, nimm sie zurück und verwahre sie gut! Ohne sie kann du den Fluch nicht brechen."
Der Schwanenprinz hatte neue Hoffnung geschöpft. "Habt Dank, alte Frau. Ich werde es versuchen."
Die Alte lächelte, und für einen Augenblick glaubte der Schwanenprinz, unter all den Runzeln und Falten in ihrem Gesicht ein Leuchten zu sehen. Doch dann verschwand die Wahrsagerin so schnell, wie sie gekommen war.
Der Prinz steckte seine Feder in die Tasche und stand auf, um zum Hafen zu gehen. Das erste der drei Dinge, so wusste er, würde ganz leicht zu beschaffen sein, denn ohne Zweifel war seine Schwester Elisa die schönste Frau der Welt. Der Schwanenprinz fand am Hafen ein großes Segelschiff, das bereit zum Auslaufen war. Die Mannschaft sah sehr finster und raubeinig aus, und der Kapitän war ein alter Geselle mit einem schrecklich böse aussehenden Gesicht und wirren grauen Haaren. Er trug eine Augenklappe und hinkte. Der Schwanenprinz hatte Angst, an Bord zu gehen, doch es war das einzige Schiff, das zum Land auf der anderen Seite des Meeres fuhr.
Also nahm er seinen Mut zusammen und betrat das Schiff.
"Ich möchte zum Land auf der anderen Seite des Ozeans", erklärte der Schwanenprinz mit fester Stimme, obwohl ihm gar nicht wohl zumute war. "Ich kann mit Silber bezahlen." Er hielt dem Kapitän seinen Geldbeutel hin.
Dieser starrte ihn so finster an, dass es einem Angst und Bange werden konnte, nahm das Geld wortlos und steckte es ein. Dann befahl er, den Anker zu lichten.
Während sie sich weiter von der Küste entfernten, wurde dem Schwanenprinz immer unwohler zumute. Das Wetter war ruhig und friedlich, und die Segel blähten sich weiß und stolz im Wind, aber die Mannschaft des Schiffes war ihm unheimlich. Alle Männer waren bewaffnet, und viele trugen goldene Ohrringe und Kopftücher. Einige hatten sogar Holzbeine und Haken anstatt einer Hand. Auch fluchten sie viel, was dem Schwanenprinz am wenigsten zusagte. Doch zu ihm waren sie höflich und ließen ihn in Ruhe. Allerdings achtete der Schwanenprinz darauf, dass niemand seinen Flügel sah. Seeleute waren abergläubisch, das wusste er, und am Ende würden sie ihn über Bord werfen, weil er angeblich Unglück brachte!
Nur des Nachts war der Schwanenprinz unbeschwert und genoss es, auf Deck zu sein und den klaren Sternenhimmel zu beobachten. Auch das Meer spiegelte die Sterne wider, und es war, als flöge das Schiff durch den Himmel. Der Schwanenprinz streckte seinen Flügel und wünschte sich einmal mehr, wieder richtig fliegen zu können. Als Schwan war er wenigstens ein vollständiges Geschöpf gewesen.
Plötzlich hörte er ungleichmäßige Schritte hinter sich und erschrak. Dort stand der Kapitän und zog wie immer eine finstere Miene, die bei Nacht zweimal so bedrohlich wirkte.
"Mich geht es nichts an, wer die Passagiere auf meinem Schiff sind", sagte er. "Aber ich kann Geheimnisse nicht leiden!"
Der Schwanenprinz flatterte etwas hilflos mit seinem Flügel. "Ich hatte Angst, dass Ihr mich sonst nicht mitnehmt. Auf mir lastet ein magischer Fluch, und ich bin auf dem Weg, ihn zu brechen. Bitte, sagt den anderen nichts, denn sie denken sicher, ich bringe Unglück!"
"Fluch oder nicht, das ist mir gleich", antwortete der Kapitän. "Und du musst keine Angst vor meiner Mannschaft haben. Auf diesem Schiff bringen Flügel Glück." Er deutete hinunter, und als der Schwanenprinz seinem Blick folgte, sah er die Galionsfigur am Bug des Schiffes: Es war eine wunderschöne Frau mit weißen Flügeln. Nun war der Schwanenprinz erleichtert.
"Ich werde meinen Flügel nicht mehr verstecken", versprach er. "Aber mich damit nützlich machen kann ich nicht. Ich kann damit weder schreiben noch einen Säbel halten, und das sind die wichtigsten Dinge, die ein Prinz können muss."
"Dann lerne, die andere Hand zu gebrauchen!" Der Kapitän sah ihn erneut finster an, doch es wirkte nicht mehr so angsteinflößend wie zuvor. "Ich habe auch gelernt, nur mit einem Auge zu sehen."
So hatte der Schwanenprinz das noch nicht betrachtet, und er beschloss, es gleich morgen zu versuchen. Solange der Fluch nicht gebrochen war, musste er wohl zurecht kommen.
Gleich am nächsten Tag begann der Schwanenprinz damit, zu lernen, seine andere Hand zu gebrauchen. Als er zu schreiben versuchte, kleckste die Tinte ganz furchtbar, und die Buchstaben schwankten über das Papier. Doch dann erinnerte sich der Prinz daran, wie er als kleines Kind zuerst schreiben gelernt und es auch nicht sofort gekonnt hatte. Also übte er weiter.
Auch versuchte er sich im Schwertkampf. Zu seiner Überraschung lieh ihm der Kapitän einen Säbel und bot an, mit ihm zu üben. Zuerst stellte der Schwanenprinz sich sehr ungeschickt an, und die Seeleute, die zusahen, lachten, aber dann erinnerte er sich daran, wie er als kleines Kind fechten gelernt und es auch nicht sofort gekonnt hatte. Also übte er weiter.
So verging die Zeit, und mit jedem Tag, der verstrich, wurde der Schwanenprinz besser. Als schließlich Land in Sicht war, konnte er mit seiner guten Hand schreiben, ohne zu klecksen, und den Säbel ausreichend gut führen, um sich zu verteidigen. Auch die Seeleute, die zu Anfang noch gelacht hatten, klopften ihm nun anerkennend auf die Schulter. Und, ganz wie der Kapitän gesagt hatte, hatten sie ihn an Glücksbringer betrachtet und waren sehr traurig, dass er sie verließ.
Das Schiff legte im Hafen an, und der Schwanenprinz verabschiedete sich. Auch ihm fiel es nicht ganz leicht, war er doch den raubeinigen Seeleuten und dem finster aussehenden, aber gar nicht bösen Kapitän sehr dankbar. Dieser sagte zum Abschied nur: "Wir bleiben etwas länger im Hafen. Wenn du willst, kannst du wieder mit uns zurückfahren."
So schnell er konnte, machte sich der Schwanenprinz auf den Weg zum Schloss des Königs und bat um Audienz bei der Königin, seiner Schwester. Elisa begrüßte ihn voller Freude, und er erzählte ihr von der alten Frau und seiner Suche nach den drei Dingen, die sie ihm aufgetragen hatte.
"Du bist ganz sicher die schönste Frau der Welt", sagte der Schwanenprinz. "Wirst du mir helfen?"
"Aber natürlich", erwiderte Elisa. "Schließlich ist es meine Schuld, dass du noch immer den Schwanenflügel hast." Und sie drückte ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn.
Aufgeregt zog der Schwanenprinz die Feder hervor, doch sie hatte sich nicht im geringsten golden verfärbt. "Oh", machte er enttäuscht. "Dabei war ich mir doch sicher!"
Elisa umarmte ihn. "Ich glaube, die Aufgaben, die die alte Frau dir gestellt haben, waren etwas anders gemeint, als du denkst. Ich glaube, sie meinte gar nicht die schönste Frau der Welt, sondern die, die du als Schönste betrachtest. Und das ist die Frau, die du liebst und die du heiraten möchtest, nicht deine Schwester."
"Und wo finde ich meine große Liebe?", wollte der Schwanenprinz wissen. "Sie kann doch überall sein."
"Dann musst du dich wieder auf die Reise begeben und sie suchen. Ich wünsche dir viel Glück, mein Bruder."
Und der Schwanenprinz sah ein, dass sie Recht hatte. Er blieb noch drei Tage im Schloss bei seiner Schwester, doch dann verabschiedete er sich wieder und kehrte zum Hafen zurück. Dort lag das Schiff noch immer.
Die Seeleute jubelten, als er an Bord kam, und der Kapitän nickte zur Begrüßung. "Wo soll es hingehen?", fragte er.
"Ich weiß nicht", antwortete der Schwanenprinz. "Denn ich habe begriffen, dass es Dinge gibt, die man nicht suchen, sondern nur finden kann. Aber vielleicht könnt Ihr mir helfen? Unter anderem suche ich die größte Perle der Welt."
"Wir waren in vielen Ländern und haben kostbare Schätze gesehen", erzählten die Seeleute. "Und die größte Perle hat wohl der Kaiser des fernen Landes im Osten. Sie ist so groß wie dein Kopf, Schwanenprinz! Aber er wird sie dir bestimmt nicht geben."
"Ich muss es trotzdem versuchen", antwortete der Schwanenprinz. "Bringt mich dorthin."
Und der Kapitän befahl, den Anker zu lichten und die Segel zu setzen.
Die Reise nach Osten dauerte sehr lange, also beschäftigte der Schwanenprinz sich erneut mit seinen Übungen. Unermüdlich übte er schreiben und fechten, so dass, wenn er am Ziel war, dem Kaiser ein besonders edles Bittstellerschreiben übergeben und, falls nötig, seine Entschlossenheit im Kampf beweisen konnte. Stehlen durfte er die Perle nicht, das wusste er: erstens hatte die alte Frau gesagt, dass man ihm die drei Dinge schenken müsse, und zweitens war der Prinz viel zu rechtschaffen, um so etwas auch nur zu denken.
Wie es seine Gewohnheit geworden war, stand der Schwanenprinz des Nachts auf Deck und beobachtete die Sterne und hörte das Rauschen der Wellen. "Bisher habe ich nichts erreicht, um den Fluch zu brechen", sagte er sich. "Aber das ist weniger schlimm, als ich dachte. Es ist schön hier auf dem Wasser, und die Seeleute, obwohl ungeschliffen und raubeinig, sind sehr freundlich zu mir. Und ich habe gelernt, meinen anderen Arm zu benutzen und bin nicht mehr hilflos. Diese Reise hatte bereits viel Gutes. Aber wie soll ich die Perle bekommen? Und wo soll ich die schönste Frau der Welt, meine große Liebe, treffen? Von dem Lächeln eines Menschen, der nie lächelt, ganz zu schweigen..."
Er merkte nicht, dass der Kapitän zugehört hatte. Dieser trat zu ihm und meinte: "Das sind sehr schwere Aufgaben. Aber vielleicht sind sie doch leichter zu erfüllen, als du denkst."
"Und wie? Wo die Perle ist, weiß ich nun. Aber die große Liebe? Habt Ihr sie schon gefunden, Kapitän?"
Der Kapitän klopfte mit der Hand auf die Reling des Schiffes. "Ja, das habe ich. Es ist mein wunderbares Schiff. Es ist die See unter uns, die Sonne und die Sterne über uns und der Wind um uns. Es ist die Freiheit, die ich hier habe. Kein Vogel könnte freier sein."
Diese Worte bewegten etwas im Herzen des Schwanenprinzen, und er dachte daran, wie oft er seine verlorene Freiheit beklagt hatte. Doch nun hatte er sie wieder, wenn auch auf andere Art und Weise. Könnte es etwas Schöneres geben?
Mit einem Mal zerzauste ein Windstoß die Haare des Prinzen, und ein wenig Gischt spritzte über die Reling in sein Gesicht. Das Wasser schmeckte salzig und kühl, wie ein Kuss des Meeres. Der Schwanenprinz zog seine Feder hervor, und mit einem Mal begann sie zu leuchten. Mit Staunen sah er, wie sich die Spitze golden färbte und der Wind ihm zuflüsterte: "Du hast das erste der drei Dinge gefunden!"
Nach einer langen, langen Reise kamen sie schließlich im Land des fernen Ostens an. Der Schwanenprinz staunte über die fremdartigen Gesichter mit den schmalen Augen und prächtigen bunten Kleider, aber er merkte schnell, dass die Menschen sehr freundlich waren. Auch lobten sie ihren Kaiser und rühmten ihn als großherzigen Mann.
"Wenn er so gütig ist, dann wird er mir die Perle vielleicht doch geben", sagte sich der Prinz und schrieb einen wunderschönen Brief mit der Bitte um eine Audienz. Dann schnallte er sich seinen Säbel um und ging zum Palast des Kaisers.
Die Wachen dort wollten ihn zunächst nicht hineinlassen, aber als sie erfuhren, dass er der Prinz eines fernen Landes sei, ließen sie ihn passieren. Der Schwanenprinz musste drei Stunden in einem rotvertäfelten Zimmer warten, doch endlich bat man ihn in den Thronsaal. Der Kaiser war ein rundlicher Mann in seidenen Gewändern mit einem langen, spitzen Bart und einer seltsamen, eckigen Krone auf dem Kopf. Er lächelte freundlich.
"Du bist also der Schwanenprinz. Ich bin geehrt, dass du mich besuchen kommst, denn ich liebe nichts mehr als wundersame Geschichten. Setz dich und erzähle mir deine, und ich werde dir geben, was du verlangst."
Dies tat der Schwanenprinz mit Freude und berichtete dem Kaiser von seinen Erlebnissen. Als er geendet hatte, befahl der Kaiser, seinen Schatz, die größte Perle der Welt, zu bringen. Sie war in der Tat genauso groß wie der Kopf des Schwanenprinzen und schimmerte prächtig.
Voller Hoffnung zog der Schwanenprinz seine Feder hervor, doch nichts geschah. "Dabei ist dies doch die größte Perle der Welt", murmelte er enttäuscht. "Es kann bestimmt keine größere geben!"
Der Kaiser strich sich seinen langen Bart. "Irgendwo auf dem Grunde des Meeres mag es noch eine größere geben", sagte er. "Vielleicht musst du diese finden? Ich wünsche dir viel Glück, Schwanenprinz. Kann ich dir etwas anderes zum Dank für deine Geschichte geben?"
Der Schwanenprinz verneigte sich und schüttelte den Kopf. "Euer Rat hat mir viel geholfen." Dann verabschiedete er sich.
Im Hafen ging der Schwanenprinz wieder an Bord des Schiffes. Die Seeleute fragten ihn neugierig, ob er die Perle bekommen habe, aber er schüttelte den Kopf. "Es war nicht die Richtige. Irgendwo am Grund des Meeres muss eine noch Größere liegen! Wir müssen sie finden."
Der Kapitän sagte nichts dazu und befahl, den Anker zu lichten.
In der Nacht stand der Prinz erneut an Deck. "Wie soll ich die Perle finden, wenn sie viele Meilen tief im Ozean liegt? Auch ist das Meer grenzenlos. Wo soll ich suchen?"
Erneut hatte der Kapitän ihm zugehört und trat neben ihn. "Die Tiefen des Meeres mögen Schätze beherbergen, die wir uns nicht vorstellen können", sagte er. "Aber manche Schätze sind nicht aus kostbaren Materialien gemacht. Hat dir die Reise in den fernen Osten nichts gebracht?"
"Doch", erwiderte der Schwanenprinz. "Ich habe wunderbare, fremdartige Dinge gesehen und freundliche Menschen kennen gelernt. Aber die größte Perle der Welt habe ich immer noch nicht. Wo würdet Ihr sie suchen, Kapitän?"
Der Kapitän sah ihn ernst an. "Ich habe sie schon gefunden und sehe sie, wenn die Flut kommt und der Himmel klar ist. Niemand kann diese Perle stehlen, und jedem, der sie sieht, gehört sie."
Und als der Schwanenprinz zum Himmel sah, stand dort der weiße Vollmond. Rund und vollkommen schimmerte er und spiegelte sich auf dem Wasser, größer noch als die Perle des Kaisers.
"Natürlich! Jede Nacht habe ich den Mond gesehen, aber nie war er so rund und voll. Keine Perle der Welt könnte ihn an Schönheit übertreffen!", rief der Schwanenprinz aus. Und als er seine Feder hervorzog, leuchtete diese auf und wurde bis auf den Kiel golden. "Du das hast zweite der drei Dinge gefunden", flüsterte der Wind.
Die Reise zurück dauerte erneut sehr lange, und der Schwanenprinz zerbrach sich den Kopf darüber, wie er nun das dritte der drei Dinge finden sollte: Das Lächeln eines Menschen, der niemals lächelt. "Das ist das Schwerte von allen", sagte er sich. "Und wie soll ich es je bekommen? Wo soll ich suchen?"
Und dann erinnerte sich der Schwanenprinz, dass es der Kapitän war, der ihm jedes Mal geholfen hatte. Schon wollte er ihn danach fragen, doch als er ihn am Steuer stehen sah mit der Augenklappe und der finsteren Miene, da begriff er, dass er nicht mehr suchen musste. Um sich zu vergewissern, fragte der Schwanenprinz die Seeleute danach, ob sie den Kapitän je lächeln gesehen hatten. Sie alle verneinten.
"Er schaut immer nur finster und ernst drein, und die meisten haben Angst vor ihm", sagten sie. "Obwohl er ein guter Kapitän ist und sich um uns sorgt. Aber er hat sicher einen guten Grund. Manchmal machen Menschen ein finsteres Gesicht, um zu verstecken, dass sie traurig sind."
Darüber dachte der Schwanenprinz lange nach und fragte sich, was er wohl tun könne, um den Kapitän zum Lächeln zu bringen. Doch was er auch sagte, was er auch tat, nichts half. Tagein, tagaus blieb die Miene des Kapitäns finster.
Schließlich erreichte das Schiff den Hafen des Landes, das der Schwanenprinz seine Heimat nannte. Er freute sich sehr darauf, seine Brüder wiederzusehen, aber er war auch traurig, dass die Reise nun ein Ende hatte.
"Es ist unmöglich, das dritte der Dinge zu bekommen", sagte er sich. "Damit muss ich wohl leben." Und er dachte daran, dass er nun schreiben und fechten und seinen Brüdern endlich nützlich sein konnte. Außerdem hatte er so viele neue und fremde Dinge kennengelernt und hatte seinen Brüdern damit nun sogar etwas voraus. Und plötzlich war der Schwanenprinz nicht mehr traurig darüber, dass er den Fluch nicht mehr brechen konnte. So zog er leichten Herzens die goldene Feder hervor und reichte sie dem Kapitän. "Ich habe nichts anderes, was ich Euch zum Dank geben könnte", sagte er. "Bitte nehmt sie an."
"Bist du dir sicher? Ohne die Feder kannst du den Fluch nicht brechen", erinnerte ihn dieser.
"Das machst nichts", antwortete der Prinz. "Denn ich weiß jetzt, dass Flügel wirklich Glück bringen. Ich habe auf dieser Reise nicht das gefunden, was ich gesucht habe, aber dafür etwas viel Wichtigeres. Dafür danke ich Euch, Kapitän."
Der Kapitän nahm die Feder, und mit einem Mal hob sich der finstere Ausdruck von seinem Gesicht. Wie die Sonne durch Wolken scheint, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Und gleichzeitig strahlte die Feder auf und verwandelte sich in pures Gold. Der Schwanenprinz fühlte, wie sein Flügel kribbelte. Nach und nach fielen die Federn davon ab, und zum Vorschein kam ein menschlicher Arm. "Du hast das dritte der drei Dinge gefunden!", flüsterte der Wind.
Voller Freude sah der Schwanenprinz den Kapitän an und bemerkte überrascht, wie die goldene Feder ihn in helles Licht tauchte. Als das Licht verblasste, stand dort anstelle des alten, hinkenden Kapitäns mit der Augenklappe ein junger Mann mit einem unversehrten Gesicht und langen dunklen Haaren.
"Ich danke dir, Schwanenprinz", sagte er, und selbst die Stimme war nun nicht mehr rau, sondern jung und freundlich. "Nur dank dir konnte ich meinen Fluch brechen."
"Dein Fluch? Du warst ebenso verzaubert wie ich?", fragte der Schwanenprinz ungläubig.
Der Kapitän nickte und begann zu erzählen: "Vor vielen Jahren trieb ich als Pirat mein Unwesen und überfiel ein Schiff, auf dem ein mächtiger Zauberer reiste. Aus Wut darüber, dass wir seine Schätze stehlen wollten, verwandelte er mich in einen alten, hässlichen Mann, vor dem jeder Angst hatte. 'Das ist deine Strafe', sagte er. 'Und das Einzige, was dich je erlösen kann, ist die Feder eines geflügelten Menschen. Doch so etwas Kostbares und Einzigartiges wird dir niemals jemand freiwillig überlassen, also wirst du nie erlöst sein.' Die Jahre vergingen, und ich ergab mich in mein Schicksal, denn meine Mannschaft war mir treu und blieb bei mir, auch wenn wir von nun an keine Piraten mehr waren und unser Geld ehrlich verdienten. Doch als du an Bord kamst, hatte ich wieder Hoffnung. Ich durfte dir davon jedoch nichts sagen und auch nicht darum bitten, denn dann würde der Fluch nicht gebrochen."
Die Seeleute begannen zu jubeln, als sie sahen, was geschehen war und ließen ihren Kapitän und den Schwanenprinzen hochleben. Doch dieser erinnerte sich daran, dass er nach Hause zurückkehren wollte. Nun konnte er es mit noch viel leichterem Herzen, und das nicht, weil sein Fluch nun gebrochen war, sondern weil er einem anderen Menschen, der ihm inzwischen ein teurer Freund geworden, hatte helfen können.
"Wann immer wir in diesem Hafen sind, kannst du mit uns fahren", bot ihm der Kapitän an. "Du bist jederzeit willkommen."
Der Schwanenprinz versprach dies und verabschiedete sich von dem Kapitän und seiner Mannschaft. Viele Tage wanderte er, bis er das Schloss erreichte, und seine Brüder waren überglücklich, ihn gesund und wohlbehalten wiederzusehen. Er berichtete ihnen von seinen Abenteuern, und sie kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
"Wir müssen mit dem Land im fernen Osten unbedingt Handel treiben", meinte der Bruder, der für die Beziehungen zu anderen Ländern zuständig war, und der König nickte eifrig. "Ganz sicher werden unsere beiden Länder viel Nutzen davon haben."
"Aber wen sollen wir schicken?", wandte der Bruder ein, der für den Handel zuständig war.
"Lasst mich gehen", sagte der Schwanenprinz. "Ich kenne den Kaiser bereits. Und die Seeleute erzählten mir, dass es noch unzählige Länder gibt, die wir uns nicht einmal vorstellen können voller prächtiger, wunderbarer Dinge."
"Du? Aber du bist gerade erst zurückgekehrt!", wandten die älteren Brüder ein. "Und es ist zu gefährlich!"
"Und ich werde immer wieder zurückkehren", versprach der Schwanenprinz. "Aber dort auf dem Meer, der schönsten Frau der Welt, die die größte Perle der Welt als Schmuck trägt, kann ich mich nützlich machen und bin frei. Außerdem kann ich mich nun jeder Gefahr wehren und habe treue Begleiter an meiner Seite."
Dagegen wussten die Prinzen nichts zu sagen und ließen ihren jüngsten Bruder nach einiger Zeit wieder ziehen. Sie hatten eingesehen, dass aus dem kleinen, verzagten Schwanenprinzen ein mutiger und entschlossener Mann geworden war.
Als der Schwanenprinz am Hafen ankam, wartete das Schiff auf ihn. Voller Freude begrüßten die Seeleute ihn, und Kapitän lächelte ihn an. "Willkommen an Bord, Prinz!"
Und so fuhr der Schwanenprinz mit dem Kapitän und seiner Mannschaft erneut hinaus auf die See. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann segeln sie noch immer dort draußen und sind die glücklichsten Menschen der Welt.
ENDE
Der Schwanenprinz
Nach ihrer Rückverwandlung blieben die elf Brüder noch eine Weile bei ihrer Schwester Elisa und dem jungen König, dann beschlossen sie, in ihr Königreich zurückzukehren. Inzwischen war der alte König gestorben, und die böse Stiefmutter hatte die Macht an sich gerissen. Doch als die elf totgeglaubten Prinzen wieder im Schloss erschienen, floh sie und wurde nie wieder gesehen.
Der Älteste folgte seinem Vater als König nach, und seine Brüder standen ihm als Minister zur Seite. Der eine kümmerte sich um dem Handel, der andere um die Straßen und Gebäude, der dritte um die Gesetze, der vierte um die Schulen für die Kinder, der fünfte um die Beziehungen zu den anderen Ländern und so fort. Sie alle hatten die Aufgabe, der sie nach ihrem Talent am besten gewachsen waren, und da die Prinzen allesamt sehr klug waren, blühte das Land schnell wieder auf.
Nur einer ging nicht jeden Morgen zu seiner neuen Aufgabe: der jüngste der Brüder. Da Elisa das letzte Hemd aus Brennnessel nicht fertig gewebt hatte, hatte er einen Schwanenflügel anstatt eines Armes behalten. Obwohl sich die Brüder früher des Nachts in Menschen zurückverwandelt hatten, blieb der Schwanenflügel, auch wenn die Sonne schon untergegangen war. Der Schwanenprinz, wie man ihn nun nannte, versteckte den Flügel unter einem langen, weiten Ärmel, damit ihn niemand sah, doch nützlich machen konnte er sich damit nicht. Es war ausgerechnet die Hand, mit der er schreiben gelernt hatte. Auch konnte er keinen Säbel mehr halten. Alles, was der Schwanenprinz früher gelernt hatte, nützte ihm nun nichts mehr.
"Das braucht dich nicht zu sorgen", versicherten ihm seine Brüder jeden Tag, wenn sie zu den Regierungsgeschäften aufbrachen. "Wir lieben dich und sind froh, dass du bei uns bist. Begrüße uns am Abend mit einem Lächeln, dann erweist dudiesem Land den größten aller Dienste."
Und so setzte er am Abend ein Lächeln auf, um seine Brüder zu begrüßen, und es wurde ihm wieder leichter ums Herz, wenn er ihre Gesichter sah. Den Tag über jedoch, wenn er allein war, blieb der Schwanenprinz traurig.
Die Zeit verstrich, und nacheinander fanden die zehn älteren Brüder kluge und schöne Prinzessinnen, in die sie sich verliebten und sie heirateten. Obwohl der Schwanenprinz seine neuen Schwägerinnen alle sehr gern hatte, machte es ihn doch etwas traurig. Denn nun begrüßten die Prinzessinnen seine Brüder am Abend.
"Ich möchte unsere Schwester Elisa besuchen", erklärte der Schwanenprinz eines Tages seinen Brüdern. "Ich vermisse sie, und das Nachbarland ist nicht weit."
"Du willst allein reisen?", fragte sein ältester Bruder besorgt. "Um diese Jahreszeit ist der Weg gefährlich. Außerdem musst du über das Meer reisen und kannst mit deinem Schwanenflügel keinen Säbel halten."
"Mir geschieht nichts", versicherte der Schwanenprinz ihm. "Und warum sollte mir jemand etwas antun? Ich werde einfache Kleidung anziehen und kein Gold oder Juwelen mitnehmen, also wird mich auch kein Straßenräuber überfallen."
Den Brüdern gefiel das nicht, und sie wollten dem Schwanenprinzen doch lieber ein paar Soldaten als Bewachung mitgeben. Aber der Schwanenprinz wehrte ab. "Ihr braucht alle Männer hier, um das Land wieder aufzubauen. Ich werde alleine reisen. Bitte lasst mich gehen."
Seine älteren Brüder sahen seine traurigen Augen und fühlten sich schuldig, dass sie es nicht früher bemerkt hatten. Aber zum ersten Mal wussten sie auch nicht, wie sie ihrem jüngsten Bruder helfen sollten. So ließen sie ihn ziehen.
Am nächsten Morgen brach der Schwanenprinz früh auf. Er trug schlichte Kleidung und einen Umhang und hatte nur ein paar Silbermünzen im Beutel, um unterwegs etwas zu Essen zu kaufen und um die Schiffsreise bezahlen zu können. Unter Tränen verabschiedete er sich von seinen Brüdern, doch dann verließ er das Schloss, ohne sich umzudrehen.
Einige Tage wanderte er auf der Straße in Richtung Meer, ohne dass etwas geschah. Als er die See erreichte, die sich bis zum Horizont erstreckte, seufzte er. "Selbst als ich noch ein Schwan war, war es leichter", dachte er. "Dann konnte ich ganz einfach über das Wasser fliegen."
Er erinnerte sich daran, wie Elisa ihm von der Fee im Wolkenschloss erzählt hatte, die ihr geholfen hatte, den bösen Fluch zu brechen. Doch die Fee würde er nun auch niemals erreichen können, um sie um Rat zu fragen, was er tun konnte, um wieder vollständig ein Mensch zu werden.
Während der Schwanenprinz so traurig am Ufer saß, kam plötzlich eine alte Frau vorbei. Sie setzte sich zu ihm und fragte ihn freundlich, was ihn denn bedrücke. Unglücklich zeigte ihr der Schwanenprinz seinen Flügel. Die alte Frau war deswegen nicht erschrocken, sondern lächelte ihn geheimnisvoll an.
"Wenn du mir eine deiner Schwungfedern gibst, werde ich für dich wahrsagen", bot sie ihm an. "Vielleicht kenne ich ein Mittel, den bösen Zauber vollends zu brechen."
Der Schwanenprinz nickte und zupfte sich eine der langen Schwungfedern an der Spitze des Flügels aus. Es tat etwas weh - wie wenn wir uns Haare auszupfen - und ein Blutstropfen blieb am Kiel der Feder hängen. Die alte Frau nahm die Feder, zog ein Pergament hervor und schrieb mit dem Blut einige seltsame Zeichen. Sie murmelte ein paar Zauberworte und starrte dann wie gebannt auf die merkwürdigen Zeichnungen.
"Ah", sagte sie. "Der Zauber, der dich umgab, wurde gebrochen, aber nicht vollends. Um wieder gänzlich ein Mensch zu werden, brauchst du folgende drei Dinge: den Kuss der schönsten Frau der Welt, die kostbarste Perle der Welt und das Lächeln eines Menschen, der niemals lächelt. Doch bedenke: man muss dir diese Dinge freiwillig zum Geschenk machen! Jedes Mal, wenn du eines dieser Dinge erhältst, wird diese Feder sich ein wenig golden färben, und wenn du alles gefunden hast, wird dein Flügel wieder zu einem menschlichen Arm werden. Hier, nimm sie zurück und verwahre sie gut! Ohne sie kann du den Fluch nicht brechen."
Der Schwanenprinz hatte neue Hoffnung geschöpft. "Habt Dank, alte Frau. Ich werde es versuchen."
Die Alte lächelte, und für einen Augenblick glaubte der Schwanenprinz, unter all den Runzeln und Falten in ihrem Gesicht ein Leuchten zu sehen. Doch dann verschwand die Wahrsagerin so schnell, wie sie gekommen war.
Der Prinz steckte seine Feder in die Tasche und stand auf, um zum Hafen zu gehen. Das erste der drei Dinge, so wusste er, würde ganz leicht zu beschaffen sein, denn ohne Zweifel war seine Schwester Elisa die schönste Frau der Welt. Der Schwanenprinz fand am Hafen ein großes Segelschiff, das bereit zum Auslaufen war. Die Mannschaft sah sehr finster und raubeinig aus, und der Kapitän war ein alter Geselle mit einem schrecklich böse aussehenden Gesicht und wirren grauen Haaren. Er trug eine Augenklappe und hinkte. Der Schwanenprinz hatte Angst, an Bord zu gehen, doch es war das einzige Schiff, das zum Land auf der anderen Seite des Meeres fuhr.
Also nahm er seinen Mut zusammen und betrat das Schiff.
"Ich möchte zum Land auf der anderen Seite des Ozeans", erklärte der Schwanenprinz mit fester Stimme, obwohl ihm gar nicht wohl zumute war. "Ich kann mit Silber bezahlen." Er hielt dem Kapitän seinen Geldbeutel hin.
Dieser starrte ihn so finster an, dass es einem Angst und Bange werden konnte, nahm das Geld wortlos und steckte es ein. Dann befahl er, den Anker zu lichten.
Während sie sich weiter von der Küste entfernten, wurde dem Schwanenprinz immer unwohler zumute. Das Wetter war ruhig und friedlich, und die Segel blähten sich weiß und stolz im Wind, aber die Mannschaft des Schiffes war ihm unheimlich. Alle Männer waren bewaffnet, und viele trugen goldene Ohrringe und Kopftücher. Einige hatten sogar Holzbeine und Haken anstatt einer Hand. Auch fluchten sie viel, was dem Schwanenprinz am wenigsten zusagte. Doch zu ihm waren sie höflich und ließen ihn in Ruhe. Allerdings achtete der Schwanenprinz darauf, dass niemand seinen Flügel sah. Seeleute waren abergläubisch, das wusste er, und am Ende würden sie ihn über Bord werfen, weil er angeblich Unglück brachte!
Nur des Nachts war der Schwanenprinz unbeschwert und genoss es, auf Deck zu sein und den klaren Sternenhimmel zu beobachten. Auch das Meer spiegelte die Sterne wider, und es war, als flöge das Schiff durch den Himmel. Der Schwanenprinz streckte seinen Flügel und wünschte sich einmal mehr, wieder richtig fliegen zu können. Als Schwan war er wenigstens ein vollständiges Geschöpf gewesen.
Plötzlich hörte er ungleichmäßige Schritte hinter sich und erschrak. Dort stand der Kapitän und zog wie immer eine finstere Miene, die bei Nacht zweimal so bedrohlich wirkte.
"Mich geht es nichts an, wer die Passagiere auf meinem Schiff sind", sagte er. "Aber ich kann Geheimnisse nicht leiden!"
Der Schwanenprinz flatterte etwas hilflos mit seinem Flügel. "Ich hatte Angst, dass Ihr mich sonst nicht mitnehmt. Auf mir lastet ein magischer Fluch, und ich bin auf dem Weg, ihn zu brechen. Bitte, sagt den anderen nichts, denn sie denken sicher, ich bringe Unglück!"
"Fluch oder nicht, das ist mir gleich", antwortete der Kapitän. "Und du musst keine Angst vor meiner Mannschaft haben. Auf diesem Schiff bringen Flügel Glück." Er deutete hinunter, und als der Schwanenprinz seinem Blick folgte, sah er die Galionsfigur am Bug des Schiffes: Es war eine wunderschöne Frau mit weißen Flügeln. Nun war der Schwanenprinz erleichtert.
"Ich werde meinen Flügel nicht mehr verstecken", versprach er. "Aber mich damit nützlich machen kann ich nicht. Ich kann damit weder schreiben noch einen Säbel halten, und das sind die wichtigsten Dinge, die ein Prinz können muss."
"Dann lerne, die andere Hand zu gebrauchen!" Der Kapitän sah ihn erneut finster an, doch es wirkte nicht mehr so angsteinflößend wie zuvor. "Ich habe auch gelernt, nur mit einem Auge zu sehen."
So hatte der Schwanenprinz das noch nicht betrachtet, und er beschloss, es gleich morgen zu versuchen. Solange der Fluch nicht gebrochen war, musste er wohl zurecht kommen.
Gleich am nächsten Tag begann der Schwanenprinz damit, zu lernen, seine andere Hand zu gebrauchen. Als er zu schreiben versuchte, kleckste die Tinte ganz furchtbar, und die Buchstaben schwankten über das Papier. Doch dann erinnerte sich der Prinz daran, wie er als kleines Kind zuerst schreiben gelernt und es auch nicht sofort gekonnt hatte. Also übte er weiter.
Auch versuchte er sich im Schwertkampf. Zu seiner Überraschung lieh ihm der Kapitän einen Säbel und bot an, mit ihm zu üben. Zuerst stellte der Schwanenprinz sich sehr ungeschickt an, und die Seeleute, die zusahen, lachten, aber dann erinnerte er sich daran, wie er als kleines Kind fechten gelernt und es auch nicht sofort gekonnt hatte. Also übte er weiter.
So verging die Zeit, und mit jedem Tag, der verstrich, wurde der Schwanenprinz besser. Als schließlich Land in Sicht war, konnte er mit seiner guten Hand schreiben, ohne zu klecksen, und den Säbel ausreichend gut führen, um sich zu verteidigen. Auch die Seeleute, die zu Anfang noch gelacht hatten, klopften ihm nun anerkennend auf die Schulter. Und, ganz wie der Kapitän gesagt hatte, hatten sie ihn an Glücksbringer betrachtet und waren sehr traurig, dass er sie verließ.
Das Schiff legte im Hafen an, und der Schwanenprinz verabschiedete sich. Auch ihm fiel es nicht ganz leicht, war er doch den raubeinigen Seeleuten und dem finster aussehenden, aber gar nicht bösen Kapitän sehr dankbar. Dieser sagte zum Abschied nur: "Wir bleiben etwas länger im Hafen. Wenn du willst, kannst du wieder mit uns zurückfahren."
So schnell er konnte, machte sich der Schwanenprinz auf den Weg zum Schloss des Königs und bat um Audienz bei der Königin, seiner Schwester. Elisa begrüßte ihn voller Freude, und er erzählte ihr von der alten Frau und seiner Suche nach den drei Dingen, die sie ihm aufgetragen hatte.
"Du bist ganz sicher die schönste Frau der Welt", sagte der Schwanenprinz. "Wirst du mir helfen?"
"Aber natürlich", erwiderte Elisa. "Schließlich ist es meine Schuld, dass du noch immer den Schwanenflügel hast." Und sie drückte ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn.
Aufgeregt zog der Schwanenprinz die Feder hervor, doch sie hatte sich nicht im geringsten golden verfärbt. "Oh", machte er enttäuscht. "Dabei war ich mir doch sicher!"
Elisa umarmte ihn. "Ich glaube, die Aufgaben, die die alte Frau dir gestellt haben, waren etwas anders gemeint, als du denkst. Ich glaube, sie meinte gar nicht die schönste Frau der Welt, sondern die, die du als Schönste betrachtest. Und das ist die Frau, die du liebst und die du heiraten möchtest, nicht deine Schwester."
"Und wo finde ich meine große Liebe?", wollte der Schwanenprinz wissen. "Sie kann doch überall sein."
"Dann musst du dich wieder auf die Reise begeben und sie suchen. Ich wünsche dir viel Glück, mein Bruder."
Und der Schwanenprinz sah ein, dass sie Recht hatte. Er blieb noch drei Tage im Schloss bei seiner Schwester, doch dann verabschiedete er sich wieder und kehrte zum Hafen zurück. Dort lag das Schiff noch immer.
Die Seeleute jubelten, als er an Bord kam, und der Kapitän nickte zur Begrüßung. "Wo soll es hingehen?", fragte er.
"Ich weiß nicht", antwortete der Schwanenprinz. "Denn ich habe begriffen, dass es Dinge gibt, die man nicht suchen, sondern nur finden kann. Aber vielleicht könnt Ihr mir helfen? Unter anderem suche ich die größte Perle der Welt."
"Wir waren in vielen Ländern und haben kostbare Schätze gesehen", erzählten die Seeleute. "Und die größte Perle hat wohl der Kaiser des fernen Landes im Osten. Sie ist so groß wie dein Kopf, Schwanenprinz! Aber er wird sie dir bestimmt nicht geben."
"Ich muss es trotzdem versuchen", antwortete der Schwanenprinz. "Bringt mich dorthin."
Und der Kapitän befahl, den Anker zu lichten und die Segel zu setzen.
Die Reise nach Osten dauerte sehr lange, also beschäftigte der Schwanenprinz sich erneut mit seinen Übungen. Unermüdlich übte er schreiben und fechten, so dass, wenn er am Ziel war, dem Kaiser ein besonders edles Bittstellerschreiben übergeben und, falls nötig, seine Entschlossenheit im Kampf beweisen konnte. Stehlen durfte er die Perle nicht, das wusste er: erstens hatte die alte Frau gesagt, dass man ihm die drei Dinge schenken müsse, und zweitens war der Prinz viel zu rechtschaffen, um so etwas auch nur zu denken.
Wie es seine Gewohnheit geworden war, stand der Schwanenprinz des Nachts auf Deck und beobachtete die Sterne und hörte das Rauschen der Wellen. "Bisher habe ich nichts erreicht, um den Fluch zu brechen", sagte er sich. "Aber das ist weniger schlimm, als ich dachte. Es ist schön hier auf dem Wasser, und die Seeleute, obwohl ungeschliffen und raubeinig, sind sehr freundlich zu mir. Und ich habe gelernt, meinen anderen Arm zu benutzen und bin nicht mehr hilflos. Diese Reise hatte bereits viel Gutes. Aber wie soll ich die Perle bekommen? Und wo soll ich die schönste Frau der Welt, meine große Liebe, treffen? Von dem Lächeln eines Menschen, der nie lächelt, ganz zu schweigen..."
Er merkte nicht, dass der Kapitän zugehört hatte. Dieser trat zu ihm und meinte: "Das sind sehr schwere Aufgaben. Aber vielleicht sind sie doch leichter zu erfüllen, als du denkst."
"Und wie? Wo die Perle ist, weiß ich nun. Aber die große Liebe? Habt Ihr sie schon gefunden, Kapitän?"
Der Kapitän klopfte mit der Hand auf die Reling des Schiffes. "Ja, das habe ich. Es ist mein wunderbares Schiff. Es ist die See unter uns, die Sonne und die Sterne über uns und der Wind um uns. Es ist die Freiheit, die ich hier habe. Kein Vogel könnte freier sein."
Diese Worte bewegten etwas im Herzen des Schwanenprinzen, und er dachte daran, wie oft er seine verlorene Freiheit beklagt hatte. Doch nun hatte er sie wieder, wenn auch auf andere Art und Weise. Könnte es etwas Schöneres geben?
Mit einem Mal zerzauste ein Windstoß die Haare des Prinzen, und ein wenig Gischt spritzte über die Reling in sein Gesicht. Das Wasser schmeckte salzig und kühl, wie ein Kuss des Meeres. Der Schwanenprinz zog seine Feder hervor, und mit einem Mal begann sie zu leuchten. Mit Staunen sah er, wie sich die Spitze golden färbte und der Wind ihm zuflüsterte: "Du hast das erste der drei Dinge gefunden!"
Nach einer langen, langen Reise kamen sie schließlich im Land des fernen Ostens an. Der Schwanenprinz staunte über die fremdartigen Gesichter mit den schmalen Augen und prächtigen bunten Kleider, aber er merkte schnell, dass die Menschen sehr freundlich waren. Auch lobten sie ihren Kaiser und rühmten ihn als großherzigen Mann.
"Wenn er so gütig ist, dann wird er mir die Perle vielleicht doch geben", sagte sich der Prinz und schrieb einen wunderschönen Brief mit der Bitte um eine Audienz. Dann schnallte er sich seinen Säbel um und ging zum Palast des Kaisers.
Die Wachen dort wollten ihn zunächst nicht hineinlassen, aber als sie erfuhren, dass er der Prinz eines fernen Landes sei, ließen sie ihn passieren. Der Schwanenprinz musste drei Stunden in einem rotvertäfelten Zimmer warten, doch endlich bat man ihn in den Thronsaal. Der Kaiser war ein rundlicher Mann in seidenen Gewändern mit einem langen, spitzen Bart und einer seltsamen, eckigen Krone auf dem Kopf. Er lächelte freundlich.
"Du bist also der Schwanenprinz. Ich bin geehrt, dass du mich besuchen kommst, denn ich liebe nichts mehr als wundersame Geschichten. Setz dich und erzähle mir deine, und ich werde dir geben, was du verlangst."
Dies tat der Schwanenprinz mit Freude und berichtete dem Kaiser von seinen Erlebnissen. Als er geendet hatte, befahl der Kaiser, seinen Schatz, die größte Perle der Welt, zu bringen. Sie war in der Tat genauso groß wie der Kopf des Schwanenprinzen und schimmerte prächtig.
Voller Hoffnung zog der Schwanenprinz seine Feder hervor, doch nichts geschah. "Dabei ist dies doch die größte Perle der Welt", murmelte er enttäuscht. "Es kann bestimmt keine größere geben!"
Der Kaiser strich sich seinen langen Bart. "Irgendwo auf dem Grunde des Meeres mag es noch eine größere geben", sagte er. "Vielleicht musst du diese finden? Ich wünsche dir viel Glück, Schwanenprinz. Kann ich dir etwas anderes zum Dank für deine Geschichte geben?"
Der Schwanenprinz verneigte sich und schüttelte den Kopf. "Euer Rat hat mir viel geholfen." Dann verabschiedete er sich.
Im Hafen ging der Schwanenprinz wieder an Bord des Schiffes. Die Seeleute fragten ihn neugierig, ob er die Perle bekommen habe, aber er schüttelte den Kopf. "Es war nicht die Richtige. Irgendwo am Grund des Meeres muss eine noch Größere liegen! Wir müssen sie finden."
Der Kapitän sagte nichts dazu und befahl, den Anker zu lichten.
In der Nacht stand der Prinz erneut an Deck. "Wie soll ich die Perle finden, wenn sie viele Meilen tief im Ozean liegt? Auch ist das Meer grenzenlos. Wo soll ich suchen?"
Erneut hatte der Kapitän ihm zugehört und trat neben ihn. "Die Tiefen des Meeres mögen Schätze beherbergen, die wir uns nicht vorstellen können", sagte er. "Aber manche Schätze sind nicht aus kostbaren Materialien gemacht. Hat dir die Reise in den fernen Osten nichts gebracht?"
"Doch", erwiderte der Schwanenprinz. "Ich habe wunderbare, fremdartige Dinge gesehen und freundliche Menschen kennen gelernt. Aber die größte Perle der Welt habe ich immer noch nicht. Wo würdet Ihr sie suchen, Kapitän?"
Der Kapitän sah ihn ernst an. "Ich habe sie schon gefunden und sehe sie, wenn die Flut kommt und der Himmel klar ist. Niemand kann diese Perle stehlen, und jedem, der sie sieht, gehört sie."
Und als der Schwanenprinz zum Himmel sah, stand dort der weiße Vollmond. Rund und vollkommen schimmerte er und spiegelte sich auf dem Wasser, größer noch als die Perle des Kaisers.
"Natürlich! Jede Nacht habe ich den Mond gesehen, aber nie war er so rund und voll. Keine Perle der Welt könnte ihn an Schönheit übertreffen!", rief der Schwanenprinz aus. Und als er seine Feder hervorzog, leuchtete diese auf und wurde bis auf den Kiel golden. "Du das hast zweite der drei Dinge gefunden", flüsterte der Wind.
Die Reise zurück dauerte erneut sehr lange, und der Schwanenprinz zerbrach sich den Kopf darüber, wie er nun das dritte der drei Dinge finden sollte: Das Lächeln eines Menschen, der niemals lächelt. "Das ist das Schwerte von allen", sagte er sich. "Und wie soll ich es je bekommen? Wo soll ich suchen?"
Und dann erinnerte sich der Schwanenprinz, dass es der Kapitän war, der ihm jedes Mal geholfen hatte. Schon wollte er ihn danach fragen, doch als er ihn am Steuer stehen sah mit der Augenklappe und der finsteren Miene, da begriff er, dass er nicht mehr suchen musste. Um sich zu vergewissern, fragte der Schwanenprinz die Seeleute danach, ob sie den Kapitän je lächeln gesehen hatten. Sie alle verneinten.
"Er schaut immer nur finster und ernst drein, und die meisten haben Angst vor ihm", sagten sie. "Obwohl er ein guter Kapitän ist und sich um uns sorgt. Aber er hat sicher einen guten Grund. Manchmal machen Menschen ein finsteres Gesicht, um zu verstecken, dass sie traurig sind."
Darüber dachte der Schwanenprinz lange nach und fragte sich, was er wohl tun könne, um den Kapitän zum Lächeln zu bringen. Doch was er auch sagte, was er auch tat, nichts half. Tagein, tagaus blieb die Miene des Kapitäns finster.
Schließlich erreichte das Schiff den Hafen des Landes, das der Schwanenprinz seine Heimat nannte. Er freute sich sehr darauf, seine Brüder wiederzusehen, aber er war auch traurig, dass die Reise nun ein Ende hatte.
"Es ist unmöglich, das dritte der Dinge zu bekommen", sagte er sich. "Damit muss ich wohl leben." Und er dachte daran, dass er nun schreiben und fechten und seinen Brüdern endlich nützlich sein konnte. Außerdem hatte er so viele neue und fremde Dinge kennengelernt und hatte seinen Brüdern damit nun sogar etwas voraus. Und plötzlich war der Schwanenprinz nicht mehr traurig darüber, dass er den Fluch nicht mehr brechen konnte. So zog er leichten Herzens die goldene Feder hervor und reichte sie dem Kapitän. "Ich habe nichts anderes, was ich Euch zum Dank geben könnte", sagte er. "Bitte nehmt sie an."
"Bist du dir sicher? Ohne die Feder kannst du den Fluch nicht brechen", erinnerte ihn dieser.
"Das machst nichts", antwortete der Prinz. "Denn ich weiß jetzt, dass Flügel wirklich Glück bringen. Ich habe auf dieser Reise nicht das gefunden, was ich gesucht habe, aber dafür etwas viel Wichtigeres. Dafür danke ich Euch, Kapitän."
Der Kapitän nahm die Feder, und mit einem Mal hob sich der finstere Ausdruck von seinem Gesicht. Wie die Sonne durch Wolken scheint, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Und gleichzeitig strahlte die Feder auf und verwandelte sich in pures Gold. Der Schwanenprinz fühlte, wie sein Flügel kribbelte. Nach und nach fielen die Federn davon ab, und zum Vorschein kam ein menschlicher Arm. "Du hast das dritte der drei Dinge gefunden!", flüsterte der Wind.
Voller Freude sah der Schwanenprinz den Kapitän an und bemerkte überrascht, wie die goldene Feder ihn in helles Licht tauchte. Als das Licht verblasste, stand dort anstelle des alten, hinkenden Kapitäns mit der Augenklappe ein junger Mann mit einem unversehrten Gesicht und langen dunklen Haaren.
"Ich danke dir, Schwanenprinz", sagte er, und selbst die Stimme war nun nicht mehr rau, sondern jung und freundlich. "Nur dank dir konnte ich meinen Fluch brechen."
"Dein Fluch? Du warst ebenso verzaubert wie ich?", fragte der Schwanenprinz ungläubig.
Der Kapitän nickte und begann zu erzählen: "Vor vielen Jahren trieb ich als Pirat mein Unwesen und überfiel ein Schiff, auf dem ein mächtiger Zauberer reiste. Aus Wut darüber, dass wir seine Schätze stehlen wollten, verwandelte er mich in einen alten, hässlichen Mann, vor dem jeder Angst hatte. 'Das ist deine Strafe', sagte er. 'Und das Einzige, was dich je erlösen kann, ist die Feder eines geflügelten Menschen. Doch so etwas Kostbares und Einzigartiges wird dir niemals jemand freiwillig überlassen, also wirst du nie erlöst sein.' Die Jahre vergingen, und ich ergab mich in mein Schicksal, denn meine Mannschaft war mir treu und blieb bei mir, auch wenn wir von nun an keine Piraten mehr waren und unser Geld ehrlich verdienten. Doch als du an Bord kamst, hatte ich wieder Hoffnung. Ich durfte dir davon jedoch nichts sagen und auch nicht darum bitten, denn dann würde der Fluch nicht gebrochen."
Die Seeleute begannen zu jubeln, als sie sahen, was geschehen war und ließen ihren Kapitän und den Schwanenprinzen hochleben. Doch dieser erinnerte sich daran, dass er nach Hause zurückkehren wollte. Nun konnte er es mit noch viel leichterem Herzen, und das nicht, weil sein Fluch nun gebrochen war, sondern weil er einem anderen Menschen, der ihm inzwischen ein teurer Freund geworden, hatte helfen können.
"Wann immer wir in diesem Hafen sind, kannst du mit uns fahren", bot ihm der Kapitän an. "Du bist jederzeit willkommen."
Der Schwanenprinz versprach dies und verabschiedete sich von dem Kapitän und seiner Mannschaft. Viele Tage wanderte er, bis er das Schloss erreichte, und seine Brüder waren überglücklich, ihn gesund und wohlbehalten wiederzusehen. Er berichtete ihnen von seinen Abenteuern, und sie kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
"Wir müssen mit dem Land im fernen Osten unbedingt Handel treiben", meinte der Bruder, der für die Beziehungen zu anderen Ländern zuständig war, und der König nickte eifrig. "Ganz sicher werden unsere beiden Länder viel Nutzen davon haben."
"Aber wen sollen wir schicken?", wandte der Bruder ein, der für den Handel zuständig war.
"Lasst mich gehen", sagte der Schwanenprinz. "Ich kenne den Kaiser bereits. Und die Seeleute erzählten mir, dass es noch unzählige Länder gibt, die wir uns nicht einmal vorstellen können voller prächtiger, wunderbarer Dinge."
"Du? Aber du bist gerade erst zurückgekehrt!", wandten die älteren Brüder ein. "Und es ist zu gefährlich!"
"Und ich werde immer wieder zurückkehren", versprach der Schwanenprinz. "Aber dort auf dem Meer, der schönsten Frau der Welt, die die größte Perle der Welt als Schmuck trägt, kann ich mich nützlich machen und bin frei. Außerdem kann ich mich nun jeder Gefahr wehren und habe treue Begleiter an meiner Seite."
Dagegen wussten die Prinzen nichts zu sagen und ließen ihren jüngsten Bruder nach einiger Zeit wieder ziehen. Sie hatten eingesehen, dass aus dem kleinen, verzagten Schwanenprinzen ein mutiger und entschlossener Mann geworden war.
Als der Schwanenprinz am Hafen ankam, wartete das Schiff auf ihn. Voller Freude begrüßten die Seeleute ihn, und Kapitän lächelte ihn an. "Willkommen an Bord, Prinz!"
Und so fuhr der Schwanenprinz mit dem Kapitän und seiner Mannschaft erneut hinaus auf die See. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann segeln sie noch immer dort draußen und sind die glücklichsten Menschen der Welt.
ENDE
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