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Another World;

Kurzbeschreibung
KurzgeschichteFreundschaft, Schmerz/Trost / P12 / Gen
Raven (Gilbert Nightray) Xerxes Break
11.03.2016
11.03.2016
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3.870
 
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Hallöchen!
Das hier habe ich heute durch Zufall beim Prokrastinieren entdeckt; ein halb fertiger One Shot, der mir irgendwann mal wichtig gewesen ist und dann in Vergessenheit geraten ist. Ich gebe zu, dass ich leider keine Ahnung mehr habe, wie er ursprünglich hätte verlaufen sollen und ich glaube auch, dass man merkt, ab wann ich den Faden vorhin wieder aufgenommen habe ... aber was soll's.
Irgendwie hat es trotzdem Spaß gemacht, das hier zu Ende zu bringen, allein schon wegen dem 'Gute alte Zeit'-Feeling.
Keine Ahnung, das hier könnte vielleicht das letzte sein, was ich jemals zu Pandora Hearts geschrieben habe, und irgendwie macht mich das wirklich traurig.
Habt Spaß damit, oder seht es wenigstens als eine Art Abschied.
Love, Jolly.











» Sing me to sleep.
And then leave me alone;
Don't try to wake me in the morning;
'Cause I will be gone;
Don't feel bad for me;
I want you to know;
Deep in the cell of my heart;
I will feel so glad to go;









Unsanft ließ Gilbert Break von seinem Rücken auf das harte Sofa gleiten ohne die Kette von Beschimpfungen zu unterbrechen, die ihm schon von den Lippen gesprungen war, seit er den älteren Mann huckepack genommen hatte. Vor gut einer Stunde. Fünf Straßenblocks weiter. Gleich, nachdem er den illegalen Vertragspartner erschossen hatte, den sie gemeinsam gejagt hatten.

Verdammter Clown.

Gekonnt ignorierte Gilbert das leise Keuchen, das Break, dem starken, unbezwingbaren, fehlerfreien Xerxes Break, entkam, noch bevor dieser es verhindern konnte. Trotzdem war er insgeheim ein wenig zufrieden damit, dass der Stolz seines Kollegen unter dieser Situation ein wenig leiden musste....geschah ihm recht, diesem elenden...!

„Dummkopf!“, schalt er ihn zum wiederholten Male, während er sich den Hut vom Kopf nahm und ihn auf den Tisch legte. Seinen Mantel hängte er über die Lehne eines Stuhles, bevor er sich den rechten Handschuh auszog und ihn achtlos ebenfalls auf den Tisch warf. Dann wandte er sich wieder Break zu, der immer noch zusammengekauert auf dem Sofa saß und sich keinen Millimeter bewegt hatte.

Kein Wunder. In seiner linken Schulter, nur ganz knapp über seinem Herzen, steckte immer noch der Dolch, den der Vertragspartner im letzten Moment nach ihm geworfen hatte. Und natürlich dachte Break, er könnte im letzten Moment auch noch ausweichen. Hätte er auch gekonnt, wenn er nicht in eben jenem letzten Moment hätte anfangen müssen zu husten. Das hatte dieser Idiot jetzt davon, dass er wieder den Überlegenen spielen musste.

„Du könntest ruhig etwas mitfühlender sein“, gurrte der Verletzte mit diesem ekelhaft klebrigen Lächeln auf den Lippen, das Gilbert auf den Tod nicht ausstehen konnte.

„Halt den Mund“, zischte er mit zusammengepressten Zähnen, während er in seinem Wandschrank nach ein wenig Verbandszeug und einer Flasche starken Alkohol zum Desinfizieren suchte. „Du hättest dem Dolch auch einfach gleich ausweichen können, anstatt wie immer eine große Show daraus machen zu wollen. Und sei froh“ wütend knallte er die Flasche Whisky und die Kiste mit den Verbänden auf den kleinen Beistelltisch vor dem Sofa, „dass ich dich in meine Wohnung gebracht habe und nicht zu Sharon.“

Der letzte Satz zeigte erstaunlich viel Wirkung auf Break, der sofort zusammenzuckte und mit gequälter Miene den Kopf senkte. „Sie würde sich furchtbar aufregen...“, seufzte er.

„Zurecht“, war alles, was Gilbert dazu zu sagen hatte.

Er selbst hätte es besser gefunden, wenn sie beide zurück auf das Rainsworth-Anwesen gefahren wären. Mit einer gemütlichen Kutsche und der Aussicht auf vernünftiges Material, um die Wunde in Breaks Schulter zu behandeln. Und nicht zu vergessen, Oz, der dort auf sie wartete, während sie den Auftrag für Pandora erledigten.

Ja, Gilbert hätte sich einen gemütlichen Abend mit seinem Master (und vielleicht auch dem blöden Hasen, so sehr hätte es ihn gar nicht gestört) machen können, bei ein paar schönen Tassen Tee und einem Stück Kuchen, während Break von ein paar fähigen Ärzten untersucht worden wäre. Aber nein, Break hatte so hartnäckig und so intensiv darum gebettelt, nicht zurück zu Sharon gebracht zu werden, dass Gilbert schließlich nachgegeben hatte und ihn zu seinem eigenen Haus getragen hatte.

Und was hatte er jetzt davon? Einen widerspenstigen Idioten im Wohnzimmer, der seine Kissen voll blutete.

Wütend biss sich Gilbert auf die Unterlippe. „Idiot“, knurrte er noch einmal, dann griff er nach der Schere und schnitt grob durch den Stoff von Breaks Jacke und Hemd, bis er die Messerklinge und ein großes Stück blanke Haut frei gelegt hatte. Er überging Breaks Proteste und machte sich gleich daran, ihm die zerrissenen Kleider vom Oberkörper zu ziehen, wobei dutzende Bonbons und andere Süßigkeiten klackernd zu Boden fielen. Trotz seiner feindseligen Stimmung gab Gilbert acht, dass er ihm nicht noch mehr Schmerzen zufügte und das Messer nicht berührte.

Break schien seine Umsicht bemerkt zu haben, denn er grinste ihn hämisch an.

„Nicht mal anständig wütend kannst du sein. Du bist wirklich nutzlos, Raven“, gluckste er spöttisch, um seine übliche Fassade bemüht. Aber wirklich überzeugend war es nicht. Nur mühsam konnte er das Zittern aus seiner Stimme nehmen und der kalte Schweiß auf seiner Stirn zeigte Gilbert, dass Break mitgenommener war, als er wirken wollte.

Resigniert seufzend fuhr er sich einmal durch die Haare.

Eigentlich war es gar nicht die Tatsache, dass Break verletzt in seiner Wohnung lag, die ihn so verärgerte. Nein, es war die Tatsache, dass Break verletzt in seiner Wohnung lag.

In all den Jahren, die Gilbert jetzt schon mit dem Mann zusammengearbeitet hatte, konnte er die Male, bei denen sich Break während einer Mission verletzt hatte, praktisch an einer Hand abzählen. Und meistens waren es auch nur kleine Kratzer an der Wange oder ein Streifschuss am Knie, Kollateralschaden, wie Break zu sagen pflegte.

Aber eine Verletzung wie die, an der der Hutmacher jetzt litt, hatte er bis jetzt nur einmal davongetragen. Das war bei ihrer allerersten gemeinsamen Mission und es war Gilberts Schuld gewesen. Weil er zu spät den Abzug gedrückt hatte...

Es war also kein Wunder, dass er sich jetzt, fast acht Jahre später darüber sorgte, dass Break plötzlich verletzt wurde. Und dann auch noch bei einer so simplen Mission wie dem Beseitigen eines illegalen Vertragspartners.

Es machte ihm Angst. Weil die unzerstörbare Konstante eines übermächtigen Breaks plötzlich zu bröckeln begann und Gilbert nicht wusste, wie er damit umgehen sollte.

Vorsichtig umgriff er den Haft des Messers, dessen Klinge bis zum Anschlag in der Schulter seines Freundes steckte. Er zögerte einen Moment, schaute ein wenig hilflos zu Break hoch, der jedoch das Auge geschlossen hatte und sich in Erwartung des Schmerzes fest auf die Lippen biss, das Gesicht zu einer konzentrierten aber verschlossenen Miene verzogen.

Gilbert atmete noch einmal tief durch, dann kniff er die Augen zusammen, bevor er sie wieder öffnete und mit einem starken Ruck an dem Messer zog.

Break zischte vor Schmerz und ballte die Hände zu Fäusten, aber er zuckte nicht zusammen und er öffnete nicht das Auge. Er lehnte sich nur noch etwas weiter zurück, legte den Kopf in den Nacken und grinste wieder, als die Klinge erneut durch seine Schulter fuhr, bis sie schließlich vollständig draußen war.

Gilbert hingegen legte schnell das Messer beiseite und tränkte dann einen der Stoffballen mit Whisky. Ohne Vorwarnung presste er das Tuch so fest er konnte auf die Wunde, um die starke Blutung wenigstens etwas zu stillen. Mit grimmiger Genugtuung nahm er wahr, wie Break ein leises Stöhnen nicht unterdrücken konnte, als der brennende Alkohol seine Wirkung tat.

Gut. Soll der Clown für seine Dummheit wenigstens ein wenig büßen.

„Du solltest mal dein Gesicht sehen, Mister Raven“, kicherte er aber sofort, als hätte er Gilberts Gedanken gelesen, und überschlug die Beine, Überlegenheit spielend. „Mit diesem fiesen Grinsen könnte man dich glatt für einen Sadisten halten, und das, wo du doch eigentlich der größte Masochist bist, den ich kenne...“

Natürlich sollte es Gilbert nur reizen, natürlich durfte er sich gerade deshalb nicht provozieren lassen und natürlich wussten sie beide, dass hinter dieser Neckerei wie immer ein wahrer Kern steckte, aber dennoch machte es ihn einfach so unglaublich wütend, diese Worte von Break an den Kopf geworfen zu bekommen, wo doch der Clown ganz offensichtlich derjenige war, der entspannt auf einem fremden Sofa saß und den Schmerz einer tiefen Stichwunde fast schon zu genießen schien.

„Ach, lass mich in Ruhe“, sagte Gilbert leise und war plötzlich unglaublich müde.

Konnte Break denn nicht wenigstens ein einziges Mal ernst bleiben, wenn es nötig war?

Tatsächlich schien der Mann nicht mit Gils gefasster Antwort gerechnet zu haben, denn er hob in milder Überraschung die Augenbraue.

„Awww ~“, zirpte er mit einem breiten Grinsen, „Schmollst du jetzt?“

„Ja“, kam es schlicht von Gilbert, ehe er den mittlerweile blutdurchtränkten Stoffballen von der Wunde nahm und stattdessen ein frisches Tuch ordentlich faltete, noch einmal Alkohol darüber goss und es wieder auf Breaks Schulter drückte. Dann griff er mit der anderen Hand nach dem Verband und begann damit, den langen Streifen weißen Stoff um Breaks schmalen Brustkorb zu wickeln.

Dabei konnte er nicht verhindern, dass sein Blick immer wieder zu dem vollständigen Siegel glitt, das nur knapp unterhalb des Einstichs die Haut verunstaltete, und er dabei an die Narbe denken musste, die sich über seine eigene Brust zog.

Wir sind gleich, dachte er sich still, wir sind beide gebrandmarkt.

Sein Ärger verflog mit jeder Lage Verband, die er sorgsam anlegte und als er fertig war blieb nichts außer einer dumpfen Enttäuschung zurück, die er so oft empfand, wenn er an Break und dessen Verhalten dachte.

Es war so unglaublich frustrierend diesem Mann zuzusehen wie er sich selbst zum Clown machte, nur, um andere von sich fern zu halten.

Erschöpft ließ er sich auf den Boden sinken und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Sofa. Lähmende Verzweiflung hatte sich plötzlich um seine Brust geschlossen und machte jeden Atemzug zu einer Qual, machte Denken zu einer Qual, machte Existieren zu einer Qual.

Aber Gilbert wäre nicht Gilbert, würde er es insgeheim nicht sogar ein wenig genießen...






„Raven! Mir ist kaaaaaalt!“, beschwerte sich Break schließlich, nachdem sie eine Weile schweigend da gesessen waren, er immer noch auf dem Sofa flänzend und Gilbert mit angezogenen Knien auf dem Boden.

Der Angesprochene zuckte erschrocken zusammen, als er so aus seinen Gedanken gerissen wurde, streckte sich dann aber nach seinem Mantel, der in Reichweite immer noch von der Lehne des Stuhls baumelte, und warf ihn Break in den Schoß.

„Du solltest schlafen“, fügte er noch hinzu, die Sorge in seiner Stimme unterdrückend. Wie üblich mit mäßigem Erfolg.

„Dein Sofa ist unbequem“, konterte Break sofort.

Entnervt rollte Gilbert mit den Augen.

„Dann leg dich ins Bett“, schlug er ihm trocken vor, sich vollkommen bewusst, dass er selbst dann auf dem Sofa schlafen müsste. Aber das wäre ohnehin nichts Neues. Seit Oz zurück aus dem Abyss war, schlief Gilbert häufiger auf dem Sofa, damit sein Master im Bett liegen konnte.

„Will nicht laufen. Trag mich.“

Aufs Äußerste gereizt spannte Gilbert seinen Unterkiefer an und musste all seine Selbstdisziplin darauf verwenden, den Clown nicht jetzt und hier vor die Tür zu setzen. Stattdessen stand er auf, klopfte sich etwas Staub von der Hose und baute sich drohend vor Break auf, der ihn nur fordernd und mit Unschuldsmiene anstarrte.

„Na schön. Aber nur, wenn du dann endlich Ruhe gibst“, verlangte er und stemmte die Hände in die Hüften. Break nickte ausdruckslos und streckte dann seine beiden Arme in die Luft, zum Zeichen, dass er hoch genommen werden wollte.

Gilbert biss sich auf die Lippe um ihm nicht eine weitere Beschimpfung für seine Unverschämtheit an den Kopf zu werfen, und seufzte schließlich resigniert. Behutsam schlang er seine Arme um Breaks zierlichen Körper und hob ihn dann hoch.

Er könnte sich irren, aber wahrscheinlicher war, dass er jetzt, wo er Break so trug, wie er Oz des öfteren tragen musste, feststellte, dass Ersterer um einiges leichter war als sein Master. Und dass das keinesfalls etwas Positives war...

Break auf Händen tragend lief Gilbert vom Wohnzimmer in sein Schlafzimmer, warf der Unordnung, die dort herrschte, nur einen kurzen Blick zu und legte Break schließlich in sein Bett. Break, der immer noch Gilberts Mantel trug, kroch sofort unter die Decke, kicherte vergnügt und sah dann erwartungsvoll zu Gilbert hoch. Dieser starrte irritiert zurück.

„Was?“, knurrte er ungehalten. „Hab ich was im Gesicht?“

Innerlich wappnete er sich schon gegen die spöttische Antwort, die er bekommen würde, aber dann...

„Ich hab mich nur gefragt, ob du nicht hier bleiben willst? Wir wollen doch nicht, dass du dich einsam fühlst, so ganz allein im Wohnzimmer drüben!“

Mit purer Unschuldsmiene legte Break den Kopf schief und hob die Arme so, dass die Ärmel des langen Mantels seine Hände verdeckten und fast schon wieder die Bettdecke berührten. Gilbert öffnete den Mund, um irgendetwas zu sagen, aber dann schloss er ihn wieder.

Wollte Break ihn ärgern? Oder testen? Sagte er das nur, um ihn in eine Falle zu locken und sich dann noch mehr über ihn lustig zu machen?

Innerlich schüttelte Gilbert den Kopf.

Es ging hier um Break. Natürlich wollte er ihn nur ärgern, natürlich wollte er ihn testen und natürlich war das hier eine Falle. Und Gilbert wollte auf gar keinen Fall darauf rein fallen.

„Ganz sicher nicht!“, fauchte er deshalb wütend und wollte zurück ins Wohnzimmer gehen, aber Break hielt ihn an seinem Hemd fest.

„Aaach, jetzt komm schon, Raven“, beleidigt verzog Break die Lippen zu einem Schmollen. „Ich könnte im Schlaf ohnmächtig werden und sterben und du würdest es erst morgen erfahren, wenn es schon zu spät ist.“

Gilberts Lippen kräuselten sich zu einem kleinen Lächeln.

„Tu dir keinen Zwang an“, sagte er nur und löste Breaks Finger von seinem Hemd. Aber als er die kalte Haut berührte, überkam ihn doch das schlechte Gewissen. Es konnte ja nicht schaden, wenn er sich wenigstens noch etwas zu seinem Freund setzte, oder?

Also gab er nach und setzte sich mit dem Rücken zu Break auf den Boden neben dem Bett.

„Höchstens fünf Minuten“, seufzte er leise und unterdrückte ein Gähnen. Jetzt, wo er endlich ein wenig zur Ruhe kommen konnte, bemerkte er erst, wie müde er selbst eigentlich war. Und der Weg zurück ins Wohnzimmer kam ihm plötzlich unendlich weit vor...

Zu seiner großen Überraschung gab Break nur ein zustimmendes Brummen von sich und kuschelte sich in die Bettdecke. Dabei wäre das der perfekte Moment für einen seiner verletzenden Scherze. Dass er ihn ungenutzt vorbei ziehen ließ, beunruhigte Gilbert mehr als alles andere.

Der Gedanke, Break könnte eines Tages aus seinem Leben verschwunden sein, tat plötzlich unerträglich weh. Und war näher an der Realität denn je.





„Das gnädige Fräulein hat mir erzählt, dass du meinetwegen Kochen gelernt hast.“

Breaks leise Stimme zerrte Gilbert aus dem Loch der trübsinnigen Gedanken, das er sich selbst geschaufelt hatte. Überrascht runzelte er die Stirn und drehte leicht seinen Oberkörper, um Break ansehen zu können, der erwartungsvoll zurück starrte.

Unter dem intensiven Blick spürte Gilbert, wie er vor Verlegenheit rot anlief und obwohl es dunkel war, drehte er sich peinlich berührt wieder weg. Schweigend zupfte er ein wenig am Saum seines Hemdes. Was sollte er auch sagen?

Also presste er weiterhin nur ertappt die Lippen fest zusammen und wünschte sich ganz weit weg.

„Du musst ganz schön erschöpft sein...“, sagte Break nach einer Weile bitter und für einen Moment dachte Gilbert, er hätte ihn mit seinem Schweigen gekränkt. Aber dann fügte Break noch etwas hinzu, mit säuerlicher Stimme.

„...wo du doch ständig hinter anderen her läufst und ihren Kram erledigst.“

Und da wusste Gilbert, dass er Break endgültig verärgert hatte.

Gleichzeitig spürte er aber auch, wie er selbst wütend wurde, weil Break ihn einmal mehr für seine Handlungen verurteilte, ohne den wirklichen Grund dafür zu kennen. Und er hatte es satt.
Er hatte es so satt, ständig geärgert und erniedrigt zu werden. Ständig dafür gehänselt zu werden, ein guter Mensch zu sein.

Wenn Break die Wahrheit wüsste...wenn irgendjemand die Wahrheit wüsste...

Gilbert merkte erst, dass er sich auf die Lippen biss, als er Blut schmeckte, metallisch und süßlich zugleich. Er leckte sich einmal über die Unterlippe und als er sich mit der Hand über den Mund fuhr, war bereits kein Blut mehr daran.

„Macht es dich tatsächlich so glücklich, ständig wie ein Hund seinem Herrn hinterher zu hecheln?“ Breaks Stimme riss ihn aus seinen wütenden Gedanken. „Ich hasse solche selbstlosen Menschen.“

Und plötzlich wollte sich Gilbert das alles nicht mehr anhören müssen. Er wollte keine verdammten Vorwürfe mehr hören. Er wollte...er wollte...ja, was wollte er eigentlich?

Er wollte endlich von Break akzeptiert werden.

Allein dieser Gedanke war schon überraschend genug. Aber noch mehr verwirrte es Gilbert, dass er tatsächlich das Gefühl hatte, speziell Break müsste ihn akzeptieren. Wenn er ehrlich war, zu sich und dem Rest der Welt, gab es niemanden, der ihn wirklich kannte. Nicht einmal vor Oz, seinem Master, hatte er es je gewagt, die stillen Gedanken laut auszusprechen, die sich manchmal in seinem Kopf fest gruben und wie hohe Bäume ihren Schatten auf ihn warfen.

Aber irgendetwas in Gilbert sagte ihm, dass Break es vielleicht verstehen konnte. Weil Break wusste, was Egoismus war. Richtiger, tiefgehender Egoismus, der einen dazu zwang, sich letzten Endes selbst zu zerstören.

„Vielleicht bin ich ja gar nicht so selbstlos, wie du glaubst“, sagte er leise.

Und weil Break darauf nichts erwiderte, redete Gilbert einfach weiter.

„Ich habe es so satt, dass du und alle anderen ständig davon ausgehen, ich würde das alles nur für Oz tun! Und dass ihr mich dafür verurteilt! Oder auf mich herab seht!“ Seine Stimme war gegen Ende hin immer lauter geworden, bis er fast schrie. Erschrocken von seiner eigenen heißen Wut presste Gilbert die Lippen aufeinander, bis sein Kiefer zitterte.

Er hatte nicht gemerkt, wie er die Hände zur Faust geballt hatte, erst als seine Fingernägel unangenehm in die rauen Handflächen schnitten wurde ihm bewusst, wie angespannt sein ganzer Körper war und er zwang sich dazu, langsam auszuatmen und seine Muskeln zu lockern.

„... Oder mich für einen guten Menschen haltet“, fügte er dann noch hinzu, in Gedanken bei Sharon, von der er wusste, dass sie ihn auf eine ihr eigene Art ein wenig bewunderte, und die er nicht enttäuschen wollte, obwohl das unvermeidlich war.

Denn hier war sein großes Geheimnis; hier waren die Gedanken, die er sich selbst nur in der Einsamkeit seiner Schlaflosigkeit zugestand; hier war die Einsicht, die wie eine verfaulte Wurzeln unter all seinen Handlungen lag; hier war die Wahrheit über Gilbert Nightray; hier war seine Beichte:

„Ich tue nichts davon für Oz.“

Laut ausgesprochen wogen die Worte noch mehr, als sie es getan hatten, als sie noch schwer auf seiner Zunge gelegt hatten.

Vielleicht hätte er sich etwas befreit fühlen sollen, und vielleicht tat er das auch, aber jetzt, in diesem Moment, war alles, was er an sich heran ließ, die brennende Scham, die in seine Wangen kroch und sein Gesicht zum Glühen brachte.

Er hatte es endlich zugegeben. Er hatte es vor jemandem laut ausgesprochen, die Schuld, die er mit sich herum trug, seit er zum ersten Mal darauf gekommen war, warum genau er Oz unbedingt aus dem Abyss zurück holen hatte wollen. Er hatte damals den Vorhang zur Seite geschoben gehabt und wenn auch nur für einen kurzen Augenblick seine wahre Motivation erkennen können; seinen wahren Wunsch; sein wahres Wesen.

Und jetzt wusste auch Break darüber bescheid.

Die Anspannung in Gilbert wurde größer mit jeder Sekunde die verstrich, in der Break keine Reaktion zeigte, und als er schließlich leises Lachen hinter sich hörte, hätte er fast angefangen zu weinen, so erleichtert war er, dass das Warten vorbei war.

Break lachte.

Leise und sanft und weder gemein noch amüsiert.

Er lachte, weil er verstand.

Und Gilbert hatte sich nicht getäuscht. Er hatte nicht falsch gelegen mit seiner Vermutung; Break verstand. Er verstand diese Art von Egoismus.

„Nicht für Oz, hm?“, kicherte Break leise und Gilbert konnte den warmen Atem in seinem Nacken spüren, hatte fast das Gefühl, klebrige Süße würde sich über seine Haut ziehen. „Sag, für wen denn dann, Gilbert-kun?“

„Für mich selbst.“

Giblerts Stimme war nur noch ein leises Flüstern, ein geschlagenes Wiedergeben des einen Satzes, den er sich dutzende von Malen selbst vorgesagt hatte, wie ein Gebet, wenn er in einem zu großen Bett lag und zu tief in den dunklen Strudel all seiner Komplexe gezogen worden war.

Er zuckte leicht zusammen, als er eine Berührung an seinem Kopf spürte, aber nach einer Weile erkannte er, dass es nur Break war, der ihm langsam, fast schon zärtlich, durch die Haare fuhr.

Die Geste war ungewohnt, vor allem, weil sie von Break aus ging, der diese Art von Zärtlichkeit normalerweise nicht in einer Situation wie dieser ausübte; dieser merkwürdigen Atmosphäre, in der sie sich manchmal befanden, wenn sie beide bemerkten, dass sie an etwas Großem, etwas Ernstem, etwas Bedeutendem, etwas Essentiellem kratzten.

Normalerweise sparte sich Break diese Flirtereien für Situationen auf, in denen er Gilbert ärgern wollte.

Aber jetzt gerade war nichts Neckendes in seinen Berührungen. Im Gegenteil. Es hatte fast etwas Tröstliches, wie Break mit seinen verknoteten Locken spielte und seine Kopfhaut dabei leicht massierte. Als würde Break wissen, wie viel Kraft es Gilbert gekostet hatte, dieses Geständnis endlich über sich zu bringen.

Die Stille zwischen ihnen wuchs an und irgendwann, als Gilbert sich nicht mehr sicherer sein konnte, dass Break sein Geständnis verstanden und akzeptiert hatte, wagte er es endlich, auch die letzte, quälende Frage zu stellen.

„Macht mich das zu einem schlechten Menschen?“

Breaks Berührung stoppte nicht, er lachte nur noch einmal, kurz und kehlig und ohne jeglichen Enthusiasmus.

„Es macht dich zu einem Lügner“, sagte er und klang dabei so ernst, wie er es nur in den seltensten Momenten war; und daran erkannte Gilbert, wie gravierend dieses Gespräch tatsächlich war; wenn Break von sich aus etwas dazu beitrug.

Und er musste an die Worte denken, die Break ihm eines kühlen Morgens vor noch gar nicht allzu langer Zeit als Warnung mit auf den Weg gegeben hatte. Pass auf, dass du ihn nicht verletzt.

„Wenn ich ein Lügner bin, dann du auch“, sagte Gilbert leise und lehnte sich zurück, legte den Kopf in den Nacken um sich gegen Breaks Handfläche zu schmiegen, die sich so vertraut anfühlte, als wärde diese Art der Zärtlichkeit zwischen ihnen eine Regelmäßigkeit.

Fast wünschte er sich, es wäre so.

„Spielt das wirklich eine Rolle?“ konterte Break und zupfte an Gilberts Ohrmuschel bis Gilbert seinen Kopf ein wenig zur Seite drehte und leise seufzte.

„Nein“, sagte er, und seine Lippen bebten wie immer, wenn er kurz vor den Tränen stand. „Wir sind beide kaputte Menschen. Und kaputte Menschen sind weder absichtlich gut noch böse. Sie versuchen einfach nur, sich selbst zu reparieren.“

Er wusste nicht genau, woher diese Worte plötzlich kamen. Ob sie schon immer da gewesen waren als Antwort auf alls eine Zweifel, oder ob sie sich erst gerade eben gebildet haben, in den kurzen Momenten zwischen Breaks Liebkosungen und seinen eigenen, stockenden Atemzügen. „Die einzige Frage, die dann noch bleibt, ist, wer von uns der größere Lügner ist …“ … wer von uns der kaputtere Mensch wollte er noch hinzufügen, aber das war gar nicht nötig. Break verstand ihn auch so.

Auf eine gewisse Weise hatte er das immer getan.

„Ich in müde...“, sagte Break nach einer Weile; und das war seine Beichte; sein Geheimnis; seine verfaulte Wurzel.

„Dann schlaf“, sagte Gilbert und schloss die Augen.


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