War of Olympus
von Tharax Batora
Kurzbeschreibung
Ein Jahr ist seit der Niederlage der Giganten vergangen. Doch der Frieden soll schon bald ein blutiges Ende finden. Ein neuer Feind erhebt sich gegen die Götter, noch furchtbarer und unerbittlicher als alle Vorangegangenen. Mit einem einzigen, brutalen Angriff vernichtet er Camp Jupiter und bezwingt dabei sogar die legendären Helden des Olymp. Camp Half-Blood bleibt nun nichts anderes mehr übrig, als eine Mannschaft aus alten und neuen Helden zusammenzustellen, um den einzigen Gegenstand zu finden, der ihn bezwingen könnte: die Büchse der Pandora. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn sollte ihr Feind die Büchse vor ihnen finden, könnte ihn so gut wie niemand mehr aufhalten. Und der mächtige Krieger ist nicht allein. Hinter ihm stehen zwei von den Göttern im Stich gelassene Halbblute, ein mächtiger Nekromant sowie eine ganze Armee blutdurstiger Monster, die allesamt den Untergang des Olymps besiegeln wollen... [Crossover mit God of War]
CrossoverAbenteuer, Fantasy / P18 / Gen
Hekate
Leo Valdez
Nico di Angelo
OC (Own Character)
Thanatos
30.01.2016
05.06.2023
90
254.834
12
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08.09.2022
5.218
Kapitel LXXIX - Der Tempel II: Verloren in den Tiefen
Das Gewölbe, das sich dem felsigen Gang anschloss, wirkte auf Alaina zunächst wie eine gewaltige, beinahe natürliche Höhle, die erst auf den zweiten Blick von mehreren, an den Wänden angebrachten Kohlepfannen erleuchtet wurde und auf den dritten die Holzplattformen offenbarte, die hoch über ihnen an den Wänden angebracht waren.
Und auf den vierten Blick sah sie die Untoten, die auf diesen Holzbrettern standen und mit verrotteten Bögen auf sie zielten.
„Zur Seite!“, rief sie ihren Gefährten zu.
Jane, Aileen und Knox hechteten in den Raum und gingen hinter zwei Felsvorsprüngen in Deckung, Nico presste sich gegen die Wand; Alaina packte den noch immer von den architektonischen Fähigkeiten des Erbauers überwältigten und bedauerlicherweise abgelenkten Leo und zerrte ihn zurück in den Gang außerhalb der Schusslinie der Zombies.
Die erste Pfeilsalve prasselte als wahrer Regen verrotteter Holz- und Metallspitzen auf sie herab. Keiner der Schüsse verletzte sie, doch konnte Alaina den Winkeln entnehmen, dass sich die Schützen auf allen Seiten des vor ihnen liegenden Raumes befinden mussten. Mehrere der Geschosse prallten vom Boden ab und schlugen ihr – noch immer schmerzhaft hart – gegen die Beine.
Sie kauerte sich so tief wie möglich in eine der Felsnischen in der Nähe des Zugangs und versuchte, die Lage zu erfassen. Knox konnte wenig mehr tun, als sich hinter seinen Felsen zu kauern und direkte Pfeiltreffer zu vermeiden, während Jane und Aileen bemüht waren, Blicke auf ihre Gegner zu erhaschen und halbwegs sichere Schusslinien für sich zu finden, ohne dabei selbst durchbohrt zu werden. Beide versuchten sie mehrfach, auf die wandelnden Leichen anzulegen, doch unterbrach sie jedes Mal eine weitere Salve direkt auf die obere Kante ihrer Deckungsfelsen.
Nico, der auf der gegenüberliegenden Seite Schutz gesucht hatte, wartete einen Pfeilhagel ab, huschte dann zu Alaina herüber und presste sich neben ihr an die Wand.
„Irgendeine Idee, was wir gegen die da tun können?“, raunte er ihr zu.
Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, von ihrer Position aus einen möglichst guten Blick in die Höhle zu bekommen. „Vielleicht, wenn ich sie sehen könnte... konntest du in der Höhle vorhin noch einen anderen Ausgang erkennen?“
Er schüttelte den Kopf.
„Hat die Höhle noch einen anderen Ausgang?“, rief sie ihren Freunden hinter den Felsen zu.
Alle drei warfen flüchtige Blicke an ihrer Deckung vorbei, dann deutete Jane mit dem Finger hinter sich. „Da hinten führt ein Gang wieder nach draußen!“
Sie wandte sich wieder Nico zu. „Kannst du uns da rüber bringen?“
Er seufzte, und seine Miene schien sich noch weiter zu verdüstern. „Alaina, mit dem Schattenreisen müssen wir sparsam umgehen. Ich kann das nicht unbegrenzt einsetzen, und wir wissen nicht, wie oft wir es hier drinnen noch brauchen werden.
Alaina packte ihn am Arm. Dies hier war eine jener Situationen, in denen sie keine langen Diskussionen tolerieren durfte. „Nico, unsere Freunde sterben da draußen, wenn wir nichts tun! Und von dieser Seite aus können wir nichts ausrichten! Wenn wir Schattenreisen hier wirklich brauchen, dann jetzt, also kannst du es oder kannst du es nicht?!“
Nico schreckte kurz zurück und legte dann beruhigend seine Hand auf die ihre. „Alles gut... alles gut, ich machs.“
Er winkte Leo zu sich heran, nahm auch ihn bei der Hand und schloss dann die Augen. Die Schatten aus den Nischen und Winkeln im Gang schienen sich nach ihnen auszustrecken, sie zu umfassen, vollends zu verschlingen... und als sie sie wieder freigaben, standen sie plötzlich in einem feingemeißelten, von zwei Kohlepfannen flankierten Tor auf der anderen Seite der Höhle.
Vorsichtshalber zog Alaina ihre beiden Begleiter mit sich ein Stück in den Gang und warf einen Blick um die Ecke, um sich an die neue Perspektive zu gewöhnen. Nur einer der Bogenschützen hätte freies Schussfeld auf sie, wäre er nicht in genau diesem Moment auf die beiden Felsen vor dem anderen Gang konzentriert und würde bemerken, wie sich ein mit jedem Tag weiter erwachender, nicht ganz gewöhnlicher Verstand auf ihn richtete...
Alaina konnte nicht sagen, was genau sie in diesem Moment eigentlich tat; ihr schien, als würde ein Teil ihrer Seele den Körper verlassen und sich in undefinierbarer Geschwindigkeit auf ihr Ziel zubewegen. Der Rest ihrer Essenz verweilte in ihr, verwurzelte sie fest in der physischen Welt und ließ sie immer noch vage wahrnehmen, was um sie herum geschah; hauptsächlich Nicos und Leos Versuche, einen günystigen Angriffswinkel zu finden.
Ihr Astralkörper – wenn es denn wirklich einer war – drang in die Hülle des Zombies ein, kämpfte dort einen minimalen Widerstand nieder und besetzte sie. Neben ihrer zunehmend verschwimmenden, tatsächlichen Umgebung nahm sie nun eine zweite Schicht war, eine düstere, verzerrte Variante der Höhle – vermutlich durch die leeren Augenhöhlen des Untoten. Sie öffnete und schloss eine faulige Faust, sah kleine, schwarze Pfeile auf die Felsen prasseln... und spannte dann den Bogen, mit einem Wissen, das nicht ihres war, einer Kraft, die nicht ihre war, zielte jedoch nicht auf den Felsen, sondern einen der anderen Zombies, der genau auf ebendieses Ziel fokussiert war.
Zwei der Schützen waren gefallen, bevor die übrigen überhaupt registriert hatten, dass sie attackiert wurden. Ein dritter ging mit einem Pfeil in der Augenhöhle zu Boden, ehe es ihnen gelang, ihrerseits auf den Angreifer anzulegen. Alaina spürte mehrere der morschen Geschosse in sich eindringen und durchlebte den anschließenden Fall von der Plattform einen winzigen Augenblick selbst, ehe sie aus dem zerstörten Wirtskörper in ihren eigenen zurückgerissen wurde und rückwärts in Nicos Arme stolperte.
Die Echos der Schmerzen hallten noch in ihr nach, als sich ihr Blickfeld wieder zu einer Einheit zusammensetzte. Sie zog scharf die Luft ein und tastete instinktiv ihren Oberkörper ab. Keine Pfeile, keine Löcher, kein Blut...
Jane und Aileen hatten in den wenigen Sekunden, die die Untoten abgelenkt waren, bereits die übrigen von ihren Plattformen geschossen, Knox spurtete von einem sich noch regenden zum nächsten und schlug einem nach dem anderen den Schädel ein.
„Alaina, was...“ Nico lehnte sie vorsichtig gegen die Wand und starrte sie an; die Augen schienen ihm vor Staunen fast aus dem Schädel zu quellen. „Was hast du gerade gemacht?“
Sie atmete zitternd aus und schüttelte langsam den Kopf, um die Benommenheit wieder loszuwerden. „Verdammt, diese Pfeile... keine Ahnung, ich...“
War dies der angedeutete Bonus, von dem Hekate gesprochen hatte? Ein Teil der Kräfte, die noch in ihr schlummerten? Möglicherweise... Alaina fühlte sich überrumpelt, ein wenig ausgelaugt... aber auch mächtig. War dies das Gefühl, das Wissen, durch die eigenen Fähigkeiten und Aktionen eine Schlacht entschieden zu haben?
Zunächst hatte Leo ähnlich überrascht wie Nico gewirkt; doch jetzt, wo er sich des Ausgangs ihrer Situation bewusst wurde, begann er, immer breiter zu grinsen.
„Alaina, du warst der Hammer!“, rief er aus und boxte ihr gegen die Schulter. „Hast dieses hässliche Klappergestellt einfach... ferngesteuert! Wie ein Puppenspieler! Wo kann man sowas lernen?“
Sie lächelte schwach und erwiderte den Hieb. „Indem du sichergehst, einen Heldentod zu sterben, als Kind von Hekate wiedergeboren wirst und eine Audienz bei ihr bekommst, nehme ich an!“
Er rieb sich den Arm und runzelte die Stirn. „Wenn ich es mir recht überlege... viel zu kompliziert; das sollte ich vielleicht doch lieber dir überlassen.“
„Dachte ich mir. Gute Idee.“ Sie trat von der Wand weg und machte vorsichtig ein paar Schritte vorwärts.
„Geht es wieder?“, fragte Nico.
Sie nickte. „Tut es. Danke.“
Alaina trat zurück in die große Höhle, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass keiner der lebenden Toten mehr stand. Bei genauerer Betrachtung musste sie feststellen, dass das Gewölbe doch mehr Elemente handwerklicher Bearbeitung enthielt, als sie zunächst gedacht hatte. Die Felsen, hinter denen Jane, Knox und Aileen Zuflucht gesucht hatten, erwiesen sich als abgebrochene Überreste zweier Säulen; an einigen der Wände ragten noch die Überreste behauenen Gesteins heraus. Es schien, als sei die oberste, bebaute Schicht des gesamten Raumes abgetragen worden.
In der Mitte der Höhle lag kurioserweise ein kleiner, schätzungsweise etwa metertiefer Teich mit kristallklarem, im tanzenden Schein der Kohlepfannen schimmerndem Wasser. Bei genauerem Hinsehen offenbarte sich eine Art Tunnel, der nur aus einer bestimmten Perspektive vom Rand aus überhaupt zu erkennen war.
Jane stellte sich neben sie. „Hast du da drinnen was entdeckt?“
Wortlos zeigte Alaina auf den Tunnel.
Ihre Freundin kniff die Augen zusammen und nickte dann. „Ah... ich seh schon, wir müssen wahrscheinlich alle da runter...“ Sie machte eine Pause. „Was glaubt ihr, wie lang der Tunnel ist? Können wir alle so lange die Luft anhalten?“
Alaina wollte zur Antwort ansetzen, als Knox sich zu ihnen gesellte und ihr anerkennend auf die Schulter klopfte. „Beeindruckender Auftritt vorhin! Die Moderköpfe wussten gar nicht, wie ihnen geschah... in dem Moment hätte ich gerne ihre Gesichter mit ein wenig mehr Haut gesehen; so erkennt man die Überraschung ja gar nicht...“
„Und das Entsetzen, direkt bevor es ein Pfeil durchbohrt!“, fügte Jane hinzu. „Wirklich sehr bedauerlich. Ähm... wie hast du das überhaupt gemacht?“
Sie schloss kurz die Augen und versuchte, sich ihr Empfindem aus diesen Momenten ins Gedächtnis zurückzurufen. Ihr Geist hatte ihren Körper nicht verlassen, jedenfalls nicht vollständig, doch hatte es sich auch nicht danach angefühlt, als wäre er ganz dort geblieben.
„Ich fürchte, das kann ich erst beantworten, wenn ich es häufiger gemacht habe“, gab sie zu. „Ich glaube, ein Teil meiner Seele hat sich... wie soll ich sagen... abgespalten und den Körper dieser Kreatur übernommen.“
„Vielleicht eine besondere Form der Nekromantie“, spekulierte Nico. „Die fällt – zumindest teilweise – auch in die Domäne deiner Mutter.“
„Richtig. Und sie sagte mir, einen Großteil meines Potenzials hätte ich noch gar nicht genutzt. Das müsste ein Stück davon sein.“
Knox runzelte die Stirn. „Ich verstehe immer noch nicht, warum sie nicht einfach zu uns ins Camp kommen konnte. Bei deinen Fortschritten hätten zwei Tage Unterricht wahrscheinlich gereicht, dass wir uns wegen Raven gar keine Sorgen mehr hätten machen müssen!“
Sie zuckte mit den Schultern. „Die Wege der Götter begreife, wer will... nein, tue ich auch nicht, keine Sorge. Nur... versteht das jetzt bitte nicht falsch, aber ich glaube nicht, dass ich ohne all das, was ich auf dem Weg hierher erlebt habe, dazu in der Lage gewesen wäre, diese Kräfte überhaupt anzuwenden...“
Aileen trat ruckartig einen Schritt auf sie zu und starrte sie an. „Also willst du damit sagen, dass all unsere Freunde, die unterwegs... ermordet wurden von diesem Monster Raven, nur dafür sterben mussten, dass du lernst, wie man Leichen kontrolliert? Habe ich das so richtig verstanden?“
Alaina zuckte angesichts der Rüge zusammen. Aileen schrie sie nicht an; mit so etwas hätte sie gerechnet. Im Gegenteil, ihre Stimme war sehr leise, beinahe anklagend und zitterte bei jedem zweiten Wort. Der kraftlose, elende Anblick der sonst so starken, selbstsicheren Jägerin und das Wissen, dass allein ein grausamer, unbedachter Satz ihrerseits dafür verantwortlich war, formten sich in ihrem Hals zu einem geschmacklosen, immer schwerer werdenden Kloß zusammen. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie einen Satz so sehr bereut, wie sie sich nun wünschte, ihren letzten wieder zurücknehmen zu können. Hatte sie gerade wirklich angedeutet, all die Leben wären lediglich eine Weiterentwicklung ihrer magischen Fähigkeiten wert gewesen? Und es womöglich sogar selbst für den Bruchteil eines vollständigen Gedankens geglaubt oder zumindest in Erwägung gezogen?
Sie spürte, wie ihre eigenen Augen feucht wurden, konnte keine Antwort geben; zu sehr beschämte sie ihre letzte, und zu sehr fürchtete sie ihre nächste. Stattdessen durchbrach sie ihre Starre als erste, trat Aileen einen vorsichtigen Schritt entgegen und nahm sie in den Arm. Ob sie damit bezweckte, die Jägerin oder sich selbst zu trösten, wusste sie nicht; vermutlich etwas von beidem.
Nach einigen Augenblicken registrierte sie – verwundert wie erleichtert –, dass sie nicht fortgestoßen wurde, stattdessen vernahm sie ein leises Schluchzen an ihrem Ohr, als sich Aileens verhärtete Muskeln wieder entspannten.
„Tut mir leid“, murmelte Alaina. „Das hätte ich nicht sagen dürfen.“
Sie alle trafen eine stille Übereinkunft, kein Wort mehr über jenen unglücklichen Satz zu verlieren, und wandten sich anschließend dem neuentdeckten Tor gegenüber des Felsganges zu. Dieser führte sie einer Biegung folgend nach wenigen Metern in einen kreisrunden, von mehreren gespenstisch blauen Feuern erhellten Saal, der von einem schmalen Wasserbecken umgeben war. Das bläuliche Licht tanzte über das aufwendige, einen Tiefseepalast zeigende Mosaik an der Decke und verlieh ihm einen beinahe unheimlichen, lebendigen Eindruck.
Unter dem Mittelpunkt dieses Mosaiks stand eine marmorne, sehr gut erhaltene Statue des Gottes Poseidon, die einen goldenen Dreizack in der Hand hielt. In die Waffe eingelassen – genau dort, wo der Griff in die Zacken überging – war eine beinahe golfballgroße, in prächtigen Meeresfarben schimmernde Perle, deren Oberfläche sich ähnlich stürmischer Wellen zu bewegen schien.
„Jane...“, hörte sie Knox‘ Stimme von der anderen Seite der Statue. „Ich glaube, das hier beantwortet deine Frage.“
Während sie zu ihm auf die Rückseite huschte, ließ Alaina ihre Finger über die Perle gleiten. Sanft und glatt, wie die See bei völliger Windstille.
„Wie es scheint, muss einer von uns... diese Perle schlucken und allein durch den Gang tauchen“, sagte Jane leise.
Alaina horchte auf. „Moment, es kann nur einer durch?“
Jane nickte. „Ist vielleicht genau dazu gedacht... also... Percy ist nicht hier! Wer meldet sich freiwillig für diese... sehr ehrenvolle und... bestimmt überhaupt nicht tödliche Aufgabe?“
Blick wurden ausgetauscht. Alle sahen sich an, wagten keine klare Weigerung, aber hofften doch inständig, dass einer der anderen sich schneller opfern würde... niemandem von ihnen war wohl bei dem Gedanken, sich ganz allein weiter in die Tiefen dieses Gemäuers zu wagen...
Und Alaina entschied in einem Impuls, dass die Zeit, ängstlich abzuwarten und die Gefahr den anderen zu überlassen, vorbei war. Sie pflückte die Perle aus dem Dreizack – was deutlich einfacher vonstatten ging als erwartet – und hielt sie in die Höhe.
„Ich gehe!“, sagte sie. „Ich bringe jede Menge Schwimmerfahrung mit und dürfte mit meinen Kräften unter Wasser die besten Chancen haben.“
Niemand wiedersprach. Und Alaina wusste nicht, ob sie entsetzt oder erleichtert darüber sein sollte.
Zurück in der Höhle legte Alaina ihre Kleidung bis auf die Unterwäsche ab und setzte sich an den Rand des Teiches, um sich mit den Füßen an das Nass zu gewöhnen. Das klare Wasser war kalt und ließ sie frösteln.
Zaghaft blickte sie an ihrem entblößten Leib hinab und kam sich plötzlich so schutzlos und verwundbar vor. Erneut fragte sie sich, ob sie in ihrer körperlichen Verfassung wirklich die beste Wahl für diese Aufgabe war. Zwar hatte sie bezüglich ihrer Schwimmerfahrung nicht gelogen und entsprechend kräftige Beine, doch dürften physisch all ihre Gefährten durch das lange Training im Camp oder der Wildnis klar robuster sein als sie. Ihre nur rudimentär trainierten Muskeln in Armen und Oberkörper machte sie für derartige Vorhaben weit weniger geeignet als etwa Jane, die ihr körperlich in nahezu jeder Hinsicht überlegen war... was ihr nun zum ersten Mal wirklich unangenehm schien.
Und selbst wenn Knox – auch wenn er es nicht gern zugab – bis heute Nichtschwimmer war, und Leo im Wasser generell nicht gut aufgehoben sein dürfte, hätten neben Jane mit Sicherheit auch Nico oder Aileen die Aufgabe übernehmen können...
Alaina schnitt den Gedankengang radikal ab, führte die Perle zum Mund und schluckte sie. Dies war aufgrund der Größe nicht ganz einfach und etwas schmerzhaft, aber nach wenigen Augenblicken spürte sie, wie die Kugel den kritischen Punkt überschritten hatte und nach unten in ihren Magen glitt...
Ein seltsam flaues Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus, als würde zu viel überschüssige Luft nach oben drängen. Sie stieß einige leichte Rülpser aus, was ihr ein Kichern vonseiten ihrer Gefährten einbrachte.
Jane trat unvermittelt auf sie zu und schlang die Arme um sie, so fest, dass ihr kurz die Luft wegblieb, was in einem weiteren Rülpser gipfelte. „Pass ja gut auf dich auf da unten, verstanden?“
Alaina zuckte kurz zusammen, dann erwiderte sie die Umarmung ebenso innig, in der Befürchtung, dass es ihre Letzte sein könnte... Einen Moment schloss sie die Augen und genoss den Moment, dann löste sie sanft Janes Arme von ihrer Taille, band sich ihre beiden Dolche darum und watete langsam ins Wasser, bis sie etwa bis zur Hüfte drinnenstand.
„Verstanden!“, bestätigte sie mit einem Lächeln und stürzte sich dann in den geheimnisvollen Tunnel.
Im ersten Moment war die ihren gesamten Körper umschließende Kälte ein Schock, aber sie wusste, dass es nur schlimmer werden würde, wäre sie nocheinmal aufgetaucht. Und so gewöhnte sie sich recht schnell an die Temperatur. Weit mehr Überwindung kostete sie ihr erster Versuch, unter Wasser zu atmen; all ihre Instinkte warnten sie davor. Als sie sich schließlich dazu durchringen konnte, fühlte es sich weniger danach an, als ob wirklich Wasser in ihre Lungen strömte – sie wusste nicht einmal, ob das überhaupt der Fall war –, sondern mehr danach, als würde ihr Körper seine eigene Atemluft produzieren.
Der Gang war nicht – wie sie eigentlich erwartet hatte – dunkel und undurchsichtig, sondern von zahlreichen, blau leuchtenden Perlen erhellt, die ihren Schatten in immer neuen Formen an die Schachtwände warfen. Es war recht eng, aber nicht so sehr, dass sie sich schmerzhaft quetschen oder verbiegen musste.
Nach einigen Windungen und Biegungen wurde ihr leicht mulmig, als eine schwache, aber merkliche Störmung an ihr zerrte und sie nach unten in eine geräumige Höhle zog.
Sie beruhigte sich wieder, als sie registrierte, dass der Zog ebenso schnell wieder verschwunden war, und fand sich in einem durch die Perlen ebenfalls schwach erleuchteten, vollständig überfluteten Raum wieder, über dessen Mitte mehrere verzierte Säulen gestürzt waren.
Alaina tauchte bis auf den Grund und berührte das weiche Gewächs, das diese mittlerweile überwucherte, mit der Hand. Anschließend sah sie sich im Raum um; die dunklen Wände waren mit mittlerweile ebenfalls überwachsenen Gravierungen versehen, doch entdeckte sie zunächst keinen Ausgang. Erst als sie die beinahe verblassten Meißelarbeiten auf der Suche nach einem Hinweis genauer studierte und auf einige interessante Geschichten stieß, die diese zu erzählen schienen, entdeckte sie die wuchernde Seegraskolonie, die einen Tunnel auf der ihr gegenüberliegenden Seite verdeckte.
Zufrieden schwamm Alaina hinüber, hielt dann aber inne und sah sich erneut in der verlassenen Ruine um... die auf einmal genau dieses Gefühl auszustrahlen schien – Verlassenheit. Mit einem Mal wurde sie sich der Tatsache bewusst, dass sie hier unten vollkommen allein und nur auf sich gesstellt war. Vermutlich hatte seit Jahrtausenden kein sterbliches Wesen diesen Ort mehr betreten; die Schöpfer der so menschlichen Meißelarbeiten waren vor Äonen zu Staub zerfallen. Und es war sehr gut möglich, dass auch sie einsam und hilflos in diesen Tiefen ihr Ende fand...
Die Dunkelheit schien sich um sie zusammenzuziehen, das Wasser immer mehr auszukühlen, die Pflanzen auf monströse Weise lebendig zu werden und nach ihr zu greifen...
Alaina schloss die Augen, ließ sich bis auf den Grund sinken, wo sie sich erst zusammenkauerte, anschließend ausstreckte und dann tief durchatmete. Das harte Gestein im Rücken öffnete sie die Augen, sah wieder klar und rief sich ihre Situation genau ins Gedächtnis. Ja, sie war allein hier unten. Was im Umkehrschluss auch hieß, dass nichts in diesem Raum versuchen würde, sie aufzufressen... vermutlich. Sie stieß sich wieder ab und tauchte kopfüber in den Seetangwald ein.
Wie sanfte, dünne Finger umspielte das Seegras ihre nackte Haut, als Alaina hindurchglitt, streichelte ihre Haare, strich über ihr Gesicht, krabbelte über ihre Brust, umarmte ihre Beine, kitzelte ihren Bauch; ihr war, als würde es sie wie ein einziges Wesen liebkosen... oder zu fangen versuchen. Sie wusste nicht, welche Vorstellung ihr mehr Sorgen bereitete, und schwamm in unregelmäßiger Geschwindigkeit weiter, die sonderlichen Berührungen abwechselnd fürchtend und genießend.
Sie stieß ins Freie, enttäuscht und erleichtert zugleich, und fand sich an einer großen, unterseeischen Kreuzung wieder, ihr gegenüber eine gewaltige, extrem detailliert behauene Statue des Poseidon. Rötliches, flackerndes Licht fiel durch ein Gitter an der Decke auf das Monument und ließ das Gesicht des Gottes im wechselnden Schein stetig den Ausdruck ändern. Hier im etwas helleren Teil bedeckten nicht nur dunkelgrüne Algen, sondern auch zum Licht hin immer bunter werdende Korallen den Boden.
Alaina wusste, dass sie Wichtigeres zu tun hatte, konnte aber nicht wiederstehen, hinabzutauchen, sich seitlich sitzend auf dem verblüffend weichen Sandboden niederzulassen und diesen, für sie vermutlich einmaligen, erhabenen und doch wunderschönen Anblick in seiner ganzen Pracht in sich aufzunehmen. Und erst in diesem Moment der Ruhe bemerkte sie, dass sie hier unten gar nicht so allein war, wie sie zunächst gedacht hatte. Seesterne bedeckten den Boden zwischen den Korallen, winzige Fische durchquerten das Gewässer, und auch einige Krabben wanderten über den Grund... teils beeunruhigend nah an ihren Füßen vorbei.
Etwas packte ihre Hand. Alaina schreckte hoch, riss sich los, stieß sich instinktiv wieder vom Boden ab und sah gerade noch aus dem Augenwinkel, wie sich genau dort etwas aus dem aufwirbelnden Sand ins Freie grub, wo sie eben noch gesessen hatte.
Sie wartete nicht ab, was es war, sondern schwamm so schnell sie konnte bis auf die Kreuzung. Der linke Gang war durch Geröll verschüttet; sie wählte den rechten. Nach einer weiteren Biegung entdeckte sie ein offenes Loch an der Decke und eine Wasseroberfläche. Ohne weiter darüber nachzudenken, hielt sie darauf zu.
Sie zog sich aus dem Wasser, direkt auf den harten, feuchten Boden einer geräumigen Halle mit mehreren, teils wieder umgestürzten Säulen sowie einigen noch intakten, die die Decke stützten, und bemerkte, dass sie keine Luft mehr bekam. Fast eine Minute lang lag sie krampfhaft keuchend auf dem kalten Boden, als sie sämtliches Wasser mit einer nicht unbeachtlichen Menge an Magensäure hervorwürgte und erbrach, ehe mit einem Ruck die Perle wieder nach oben drang. Überrascht versuchte sie danach zu greifen, doch sie entglitt ihren Fingern und rollte zurück ins Wasser.
Reflexartig wollte sie hinterherspringen, da sah sie unter Wasser eine Bewegung und überlegte es sich anders. Sie sprang auf, lief taumelnd zu einer der Säulen, wobei sie fast ausgerutscht wäre, und kauerte sich dahinter.
Alaina bemühte sich panisch, ihre Gedanken neu zu ordnen; sie hatte gerade die Perle verloren, ohne die sie möglicherweise nie mehr hier herauskommen würde – auf gar keinen Fall würde sie den gesamten Rückweg über die Luft anhalten können! Sie würde...
Sie zuckte zusammen und spähte am Rand der Säule, hinter der die hockte, vorbei zum Loch. Dort hievte sich unter einem entsetzlichen, stöhnenden Schnarren, das Alaina am ganzen Leib eine Gänsehaut versetzte, eine Kreatur aus dem Wasser.
Das erste, was sie von dem Wesen sah, war sein glanzlos schwarzer Haarschopf; als es sich aufrichtete, waberten die Strähnen in der Luft umher, als wate es über den Meeresgrund. Die Gestalt war von humanoider Statur, dürr, nackt und hatte kränklich fahle Haut, die ihre Knochen umspannte wie dünnes Papier. Beinahe zehn Zentimeter lange, glänzend schwarze Krallen zierten seine knochigen Hände.
Als das Monster sich umzusehen begann und den Kopf in ihre Richtung drehte, kauerte Alaina sich wieder hinter ihre Säule, vor Angst und der Kälte, die ihren allmählich trocknenden Körper durchfuhr, gleichermaßen zitternd. Die schlurfenden Schritte und das röchelnde, nach reibendem Sandpapier klingende Schnarren kamen näher. Und noch näher... und noch ein Stückchen näher...
In Todesangst registrierte Alaina kaum, wie sie zu weinen begann. Sollte ihr Ende nach all den Strapazen auf dem Weg hierher tatsächlich so aussehen? Ausgeweidet und zerrissen von dieser gespenstischen Kreatur in den Tiefen des Tempels, nur Minuten von ihren Freunden, die ihr Leben retten könnten, entfernt und doch hoffnungslos unerreichbar, selbst für jeden Menschen, der den Eingang überhaupt fand? Schon allein die Vorstellung daran, wie dieses Wesen ihr den Kehlkopf herausbiss, die Augen aus dem Schädel quetschte, ihr die Glieder ausriss oder ihren Bauch mit seinen entsetzlichen Klauen aufschlitzte...
Als sich ein Wimmern aus ihrer Kehle schlich, fand sie die Beherrschung wieder, presste Alaina beide Hände auf den Mund und sah sich hektisch nach einem Ausweg um. Zwar hatte sie einen Ausgang an einer der Wände gesehen, aber dieser lag in derselben Richtung, aus der das Monster auf sie zukam. Sie wischte sich energisch die Tränen aus den Augen, warf sich so leise wie möglich zu Boden und robbte zum anderen Ende der Säule. Der nach Gefühl zunehmend kälter werdende, raue Steinboden fühlte sich unter ihrem nackten Bauch beinahe wie eine Eisscholle an, die mit jeder Bewegung am weichen Fleisch zerrte und es von den Knochen zu lösen versuchte...
Flach am Boden liegend sah sie sich in der Halle um, soweit es ihre Position erlaubte und entdeckte einige lose Geröllbrocken am anderen Ende. Riskant, aber ihre einzige Chance. Sie streckte ihre Hand aus...
Mit einem markerschütternden Schrei stolperte ihr Verfolger in erschreckender Geschwindigkeit der Lärmquelle entgegen, als Alainas Magie einen losen Steinbrocken aus einer Säule brach. Im Wissen, dass dies wahrscheinlich ihre letzte Chance war, lebendig hier herauszukommen, lief sie geduckt und so leise wie möglich zum von zwei weiteren Säulen flankierten Portal, schlüpfte hindurch und huschte die folgende Treppe hinaus in einen weiteren ins Dunkel führenden Gang.
Trotz des mulmigen Gefühls, dass die unbekannte Finsternis in ihr auslöste, begann sie zu laufen, immer schneller, bis sie nur noch rannte. Mehrfach stieß sie in Biegungen schmerzhaft gegen die Wände, ehe sie wieder Licht sah. Nach einer letzten Biegung trat sie durch ein weiteres Tor...
...und betrat den Ansatz einer Brücke, die einst einen etwa fünf Meter breiten Abgrund überquert hatte, jedoch schon längst abgebrochen war. Weit unter ihr jagte unter tosendem Rauschen ein reißender Strom entlang; direkt unter ihr lag noch ein Stück der Brücke im Wasser. Zahlreiche Felsblöcke und -vorsprünge ragten bis weit über die Mitte in den Abgrund hinein.
Alaina bremste gerade noch rechtzeitig, um nicht abzustürzen, sah sich um und registrierte, dass sie in der Falle saß. Das Wesen würde mit Sicherheit die Verfolgung aufnehmen; ihr einziger, genauso lebensmüder Weg hier raus führte direkt nach unten, und sie war diesen beiden Naturgewalten, die sich wie eine Schlinge um sie zusammenzogen, hilflos ausgeliefert...
Fieberhaft überlegte sie, was ihr noch für Möglichkeiten blieben; sie könnte versuchen, auf die andere Seite zu springen, aber das war ebenso aussichtslos wie ein offener Kampf. Den Fluss – sie fragte sich, wie um alles in der Welt der Architekt hier drinnen fließendes Wasser zustandegebracht hatte – würde sie kaum erreichen, ohne vorher mit mehreren der Felsvorsprünge zu kollidieren; und selbst dann würde der Strom sie vermutlich geradewegs in ihren sicheren Tod tragen...
Und da hörte sie das Schnarren aus dem Gang. Es kam immer näher; nur ganz langsam, das Wesen schien es nicht eilig zu haben. Wozu auch, wenn es sein Opfer in der Falle wusste... und Alaina ergriff die Gewissheit, dass sie verloren war.
Sie schloss die Augen, spürte, wie ein leichter Luftzug ihren Körper streifte... beinahe tröstend, wie der warme Sommerwind, von dem sie sich am Strand von Long Island immer hatte trocknen lassen... und erneute Tränen liefen über ihre Wangen, als sie sich ins Gedächtnis rief, dass sie niemals wieder einen Strand sehen würde.
„Jane... Knox... ihr alle, es tut mit leid, dass ich nicht stark genug war, euch zu beschützen...“, murmelte sie zu sich selbst.
Sie öffnete die Augen und drehte sich um, als die Geräusche direkt hinter ihr waren. Die Kreatur trat ihr aus dem dunklen Gang entgegen, das Gesicht bis auf den dünnen, reißzahnbewährten Mund ganz von den Haaren verdeckt, die sich gierig nach ihr ausstreckten.
Ein letztes Mal sah Alaina sich hastig um, musste erkennen, dass hier keine Objekte waren, die ihr noch irgendwie helfen konnten und akzeptierte ihr Schicksal. Ein letztes, verzweifeltes Schluchzen gönnte sie sich noch, dann klärte sich ihr Blick, und sie zückte einen ihrer Dolche. Wenn sie schon sterben musste dann würde sie ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen! Wenn sie diese Bestie wenigsten verwunden könnte, würde sie es ihren Freunden somit eventuell erleichtern, sie zu töten...
Sie rief sich ihre Situation ins Gedächtnis und musste beinahe schmunzeln. Ein kaum mehr als gewöhnliches Mädchen mit einigen übersinnlichen Kräften, das halbnackt und ganz allein einem grausamen Ungeheuer am Rand einer Klippe über einem tosenden Fluss in den Tiefen eines mysteriösen, gigantischen Tempels gegenüberstand. Beinahe poetisch...
Wobei es sie, wenn sie so darüber nachdachte, durchaus schlimmer hätte treffen können. Zwar hatte ihr im Leben stets das Zeug zu einer wahren Heldin gefehlt, doch konnte sie nun vielleicht wenigsten wie eine sterben... wobei das ein verschwindend geringer Trost war.
Die Haare des Wesens schnellten vor, wickelten sich wie dünne, scharfe Schlangen um Alainas Waffenarm und zerrten sie ruckartig auf es zu.
Sie ließ den Dolch fallen, fing ihn mit der anderen Hand auf und durchtrennte die Haare, ehe sie dem Wesen einen Schnitt quer über die Brust versetzte und sich zum Abgrund zurückzog. Doch sollte ihr Triumph, in dieser Auseinandersetzung das erste Blut vergossen zu haben, nur kurz weilen...
Mit einem grässlichen Aufschrei stürzte die Kreatur sich auf sie und schlug mit der Klaue nach ihr. Mit ihrer freien Hand packte Alaina den Unterarm der Kreatur und stemmte sich mit ihrem gesamten Körpergewicht nach vorn, um die Wucht abzufedern.
Sie spürte, wie die weit über einen Meter messenden Haare ihres Gegners ihren Arm umwickelten, nach ihren Beinen griffen, sich um ihren Oberkörper schlangen... und stieß der Kreatur ihren Dolch zwischen die Rippen.
Das Wesen stieß einen Schrei aus und versetzte ihr mit der anderen Klaue einen tiefen Schnitt in den Oberarm; sie spürte regelrecht, wie der Muskel zerfetzt wurde.
Haare wickelten sich um den Arm, zerrten, zerrten immer weiter und entlockten ihr in ihren Schmerzen einen Aufschrei. Der Knochen brach, und die Haare rissen ihr den rechten Arm knapp unterhalb der Schulter einfach aus dem Körper.
Alaina wimmerte, spuckte Blut, und für einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen. Dann packte sie in einem letzten Akt der Verzweiflung den Kopf ihres Gegners mit der Linken und zerrte daran. Aus dem Gleichgewicht gebracht klammerte sich die Kreatur mit der freien Hand und den Haaren an sie, umschlang ihren Leib immer fester. Die dünnen Haare schnitten mit einem kalten Brennen in ihr Fleisch, übten einen stetig wachsenden Druck auf ihren Brustkorb aus, bis sie ein Knacken hörte, quetschten ihren Bauch so eng zusammen, dass sie keine Luft mehr bekam...
In ihrem Ringkampf brach ein Stein unter ihnen weg; Alaina spürte, wie sie beide das Gleichgewicht verloren, packte ihrerseits den Kopf ihres Gegners fester, und für einen Augenblick befanden sie sich – fest aneinandergeklammert – im freien Fall.
Sie prallten auf den ersten Stein, Alaina lag unten, spürte, wie ihr Bein zersplitterte. Doch sie hielt sich weiter mit dem einen, verbliebenen Arm fest, ließ nicht los. Mit einem Kreischen machte die Kreatur eine Bewegung und rollte sie beide hinunter; sie fielen ein weiteres Stück.
Das Bein des Monsters prallte an einem weiteren Stein ab, brachte sie ins Trudeln; beim Aufprall auf dem aus dem Wasser ragenden Brückenstück im Strom landete Alaina auf seinem Körper, wurde sofort durch den Aufprall wieder heruntergeschleudert, spürte, wie die Haare um Brust und Bauch sich ein wenig lockerten, und nahm einen tiefen, gierigen Atemzug.
Für einen Moment blieben sie keuchend nebeneinander auf dem nassen, gischtumsprühten Gestein liegen. Dann richtete sich die Kreatur ein Stück auf, holte mit der Klaue aus und zielte direkt auf Alainas ungeschützten Hals...
Sie rollte sich zur Seite, soweit es die noch immer ihren Leib umschlingenden Haare zuließen, entging dem Stoß um Haaresbreite.
Dann stieß sie sich mit ihrem intakten Bein ab, stürzte sich genau auf die Kreatur und bekam ihren Kopf erneut zu fassen. Noch ein letztes Mal rollten sie herum, kamen auf der Kante zum Stehen... und zum ersten Mal glaubte Alaina so etwas wie Angst in dem Wesen zu erkennen. Sie nahm einen letzten, rasselnden Atemzug, sah zur Höhlendecke hinauf, um Abschied von dieser Welt zu nehmen und versetzte ihrem Gegner einen letzten Stoß.
Dieser letzte Kraftakt rollte die Kämpfenden über die Kante, und der Fluss riss sie beide mit, raubte Alaina die Orientierung... und schließlich endete alles.
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Ihr dachtet doch nicht wirklich, die Gefahr würde sich auf die Kanoncharaktere beschränken...