War of Olympus
von Tharax Batora
Kurzbeschreibung
Ein Jahr ist seit der Niederlage der Giganten vergangen. Doch der Frieden soll schon bald ein blutiges Ende finden. Ein neuer Feind erhebt sich gegen die Götter, noch furchtbarer und unerbittlicher als alle Vorangegangenen. Mit einem einzigen, brutalen Angriff vernichtet er Camp Jupiter und bezwingt dabei sogar die legendären Helden des Olymp. Camp Half-Blood bleibt nun nichts anderes mehr übrig, als eine Mannschaft aus alten und neuen Helden zusammenzustellen, um den einzigen Gegenstand zu finden, der ihn bezwingen könnte: die Büchse der Pandora. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn sollte ihr Feind die Büchse vor ihnen finden, könnte ihn so gut wie niemand mehr aufhalten. Und der mächtige Krieger ist nicht allein. Hinter ihm stehen zwei von den Göttern im Stich gelassene Halbblute, ein mächtiger Nekromant sowie eine ganze Armee blutdurstiger Monster, die allesamt den Untergang des Olymps besiegeln wollen... [Crossover mit God of War]
CrossoverAbenteuer, Fantasy / P18 / Gen
Hekate
Leo Valdez
Nico di Angelo
OC (Own Character)
Thanatos
30.01.2016
29.05.2023
89
237.748
10
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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01.08.2022
2.390
Anderthalb Jahre... eine lange Zeit und dazu die Ungewissheit, ob und wann es überhaupt weitergehen sollte. Während dieser Zeit habe ich einmal mehr festgestellt, wie schwer es mir fällt, mich auf mehrere Projekte gleichzeitig zu konzentrieren, vor allem wenn man so absurd viele Ideen hat. Jedenfalls bin ich gedanklich immer wieder zu "War of Olympus" zurückgekehrt, obwohl ich zeitweise schon mit der Geschichte abgeschlossen hatte. Dann dachte ich mir: ich arbeite seit sechs Jahren hieran, und nicht nur ich möchte als Resultat dieser Zeit am Ende doch lieber eine fertige Geschichte anstatt eines traurigen Zeugnisses von Ausdauermangel sehen können. Daher wird mein Fokus bis auf weiteres darauf liegen, ebendiese Geschichte nach so langer Zeit endlich abzuschließen. So freue ich mich, euch zum ersten Mal seit anderthalb Jahren wieder viel Spaß beim Lesen wünschen zu können.
~
Einen Aspekt über das Leben im Neu-Sparta könnte Leander bereits eine Nacht nach seiner Rückkehr von der Jagd jedem nennen, der ihn nach den Besonderheiten des Wochenablaufs im Camp fragte; es verging kaum ein Tag, an dem man nicht mindestens einem weltschicksalsentscheidenden Sonderauftrag zugeteilt wurde. Damit einher ging zumeist ein Weckbeauftragter, der den Neu-Spartaner bereits in frühester Stunde aus dem Schlaf riss. An diesem Morgen war Nova dabei jedoch im Gegensatz zum letzten Mal vor dem Aufbruch ausgesprochen freundlich gewesen.
Schon nach dem gemeinsamen Sieg über Hekate, bei ihrer triumpalen Rückkehr ins Camp, während der Stadtwanderung mit Morton hatte Leander geglaubt, eigentlich sogar gewusst, dass er nicht mehr allein war; er war ein Teil dieser ungleichen Gemeinschaft aus sogenannten Monstern, deren Mitglieder ihn weit mehr schätzten und respektierten als auch nur eines der olymphörigen Halbblute von sich behaupten konnte. Doch erst seit seinem Gespräch mit Nova auf der Mauer konnte er es wirklich fühlen.
Er verstand selbst noch nicht, warum er ihr in Sekundenbruchteilen intuitiv Dinge offenbaren konnte, die er noch Stunden zuvor entschlossen mit ins Grab zu nehmen gedacht hatte. Und auch die wenigen Minuten, die er nach dem recht ruhigen Aufwachen ungestört wachliegen konnte, waren von leisen Zweifeln gesprenkelt, ob er es wirklich hätte tun sollen.
Aber als er Nova nach einem zurückhaltenden Klopfen ihrerseits die Tür öffnete, und sie ihn mit diesem für sie denkbar untypischen, schüchternen Lächeln bedachte, als habe sie sich diese Frage auch gestellt, wusste Leander, dass er richtig gesprochen hatte. Sie umarmten sich zur Begrüßung, nicht so fest und so innig wie am Abend zuvor, aber lang genug, um einander die Gewissheit zu geben, Vergangenes nun nicht mehr ganz auf sich allein gestellt bewältigen zu müssen.
Eine kleine Traube hatte sich um einen Punkt vor dem Eingang des Senatsgebäudes gebildet, als Leander und Nova den Platz erreichten. Eine recht ruhige Traube, die weder johlte noch applaudierte, sondern nur interessiert zu beobachten schien. Zunächst unverständliches Gemurmel war von dort aus zu hören; als sie sich dem Gemenge näherten, hörte Leander irgendwann den Begriff „Gott“ heraus.
Ohne wahrnehmbare Aufforderung teilte sich die Menge, um die beiden Neuankömmlinge passieren zu lassen. Im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stand – flankiert von den Todeskindern – ein junger Mann, durch dessen Brustkorb die Klinge von Mortons Sense gebohrt war. Sein Blick war glasig, seine Haltung gebeugt, die Arme hingen schlaff herab wie zum Trocknen aufgehängtes Fleisch. Beinahe könnte man meinen, der große Sonnengott sei gebrochen.
„Eure schändlichen Taten werden nicht ungestraft bleiben!“, brachte er hervor. „Mich mögt ihr überwunden haben, aber mein Vater wird…“ Der gepeinigte Gott spie goldenes Blut, als ein Hustenkrampf seinen Körper ergriff.
„Da hat Hekate bedeutend mehr Kampfgeist gezeigt…“, konterte Nova geringschätzig. „Nicht, dass es etwas bedeuten würde, aber den Thron hätte sie eher verdient als du!“
Ganz kurz, nur für einen Moment veränderte sich sein Gesichtsausdruck und zeigte die kläglichen Überreste seines einstigen Stolzes. „Du wagst es…“
Er brach stöhnend ab, als Morton den Griff der Sense packte und ihn vorwärtszwang; geradewegs durch die sich vor ihnen öffnende Gasse staunender Gesichter. Mit jedem Schritt, den er den Gott weiterdrängte, korrigierte sich einer der offenstehenden Münder zu einem Grinsen, mit jedem zweiten wandelte sich das Gemurmel aus einem von ihnen zu lauter werdendem Jubel.
Leander folgte, Nova schloss sich ihm kurz darauf an. Morton schien genau zu wissen, wie er mit hochrangigen Göttern umgehen musste, wenn er es auf den Respekt möglichst vieler Monster abgesehen hatte.
Mortons Interpretation eines Tores bestand aus zwei in jede Dimension jeweils mehrere Meter messenden Felsblöcken mit eingeschmiedeten Eisengriffen, die immer, wenn jemand passieren wollte, von zwei Zyklopen zur Seite bewegt werden mussten. Effizient und umständlich wie scheinbar alles von ihm Erdachte.
„Ich verlasse mich darauf, dass hier alles noch steht, wenn wir zurück sind!“, raunte er Sif zu, gerade so laut, dass Leander es noch verstehen konnte.
Die Dracaena legte den Kopf schief, sah ihn einen Moment lang an und lächelte dann. „Sssso sssschlimm ssssind unssssere Bewohner nun nicht! Wir haben weniger Sssschlägereien alssss in den letzzzzten beiden Kriegen! Viel weniger…“ Sie zählte etwas an ihren Fingern ab. „In Kronossss‘ Armee hatten wir jeden Tag… ach wassss, jede Sssstunde mehr davon alssss hier in einer Woche!“
Morton schmunzelte und schien den kühlen, beinahe vorwurfsvollen Seitenblick, den Raven seiner Stellvertreterin dabei zuwarf, gar nicht zu bemerken. „Glaube ich dir. Ich meinte nur, falls noch ein Gott oder ähnliches hier auftauchen sollte…“
„Fallssss noch ein Gott hier auftauchen und Ärger machen ssssollte, haben die Telchinen eine hübssssche Überrasssschung vorbereitet. Ssssei unbessssorgt, mein Freund, niemand wird unsssserer wundervollen, kleinen Sssstadt etwassss zzzzuleide tun, ssssolange ich hier bin!“
Morton klopfte ihr auf die Schulter. „Dann bin ich beruhigt.“ Er trat durch die Mauerlücke nach draußen, eine Hand immer locker am Griff seiner Sense, und warf einen Blick über die Schulter. „Sollen wir?“
Die hellen, bereits in den frühen Morgenstunden erdrückend vollen und überlaufenen Straßen San Franciscos übten eine belebende und zugleich betäubende Wirkung auf Leander aus. Seit dem Tod seiner Familie hatte er nicht mehr so viele Menschen zugleich gesehen, war überhaupt in keiner größeren Stadt mehr gewesen – die umkämpften, menschenleeren Straßen New Yorks während des zweiten Titanenkrieges ausgenommen. Fast sieben Jahre hatte er Camp Half-Blood mit dieser einen Ausnahme nicht mehr verlassen.
All die Sterblichen – zu guten Teilen Touristen – hier in den Straßen wussten nichts von der zweiten Welt um sie herum, nichts von dem vor ihnen geheimen Krieg, der in wenigen Tagen ebendiese Welt in ihren Grundfesten erschüttern würde… und würden vermutlich selbst dann kaum etwas davon mitbekommen. Als er vor Jahren San Francisco einmal mit seinem Vater und seinem Bruder besucht hatte, war er noch einer von ihnen gewesen; ein gewöhnlicher Junge, allenfalls mit den banalen Problemen eines gewöhnlichen Teenagerlebens beschäftigt. Er hatte dazugehört, war einfach einer der zahllosen Besucher gewesen, die ziellos durch die Gassen schlenderten, hatte nichts, was er gesehen hatte hinterfragt.
Am heutigen Tage jedoch war Leander ein Fremder. Mit all den Erfahrungen, die er gemacht, der Sicht auf die Welt, die er gerade in den letzten Tagen gewonnen hatte, und die den meisten, überaus kurzsichtigen Sterblichen für immer verwehrt blieb, war er seinem Blute zutrotz nach derlei Maßstab keineswegs mehr ein Mensch – und würde es nie wieder sein können.
„Wie lang?“, fragte Nova unvermittelt.
„Bitte?“
Sie grinste. „Ist eine ganze Weile her, seit du das letzte Mal in einer vernünftig besiedelten Stadt warst, oder? Wie lange genau? Und nur damit das klar ist, das Kaff bei den Maisfeldern zählt nicht!“
Er seufzte. „Ja… ja, das ist es wohl. Sechs oder sieben Jahre müsste es jetzt her sein. Es sei denn, du lässt Manhatten während der Schlacht gegen Kronos als besiedelt durchgehen.“
„Eher nicht.“
„Dachte ich mir. Also ja, tatsächlich eine ganze Weile. Auch wenn ich davor sogar recht viele Städte besucht habe. Mein Vater war sehr reisebegeistert, musst du wissen…“
„Und meiner erst! Ich erinnere mich nicht mehr, wo genau, aber er hat mir erzählt, dass er meine Mutter auf einem seiner Ausflüge irgendwo in Europa kennengelernt hat.“
„Europa… wie gerne wäre ich dort einmal hingeflogen. Wir hatten nur leider nie genug Geld dafür.“
Nova schien einen Moment zu überlegen, dann packte sie ihn bei der Schulter und sah ihm direkt in die Augen. „Weißt du was, Leander? Wenn das alles hier vorbei ist, und der Olymp in Trümmern liegt, dann fliegen wir beide zusammen nach Europa! Mein Vater hat mir früher von so vielen Orten erzählt, die ich so gerne selbst sehen wollte…“
„Es wäre mir eine Freude!“
„Für den Fall, dass ihr das Flugzeug nehmt…“, warf Morton ein, „… tut euch nur selbst den Gefallen, und wartet, bis wir Zeus erledigt haben. Ist besser so, glaubt mir!“
Raven, die sich die ganze Zeit über im Abseits gehalten und sie missmutig beobachtet hatte, rieb sich bei dieser Bemerkung mit einem Zähneknirschen den Bauch, genau an der Stelle, wo ihr Top zerrissen war. „Musste das jetzt sein?“
Morton schloss mit einem kaum wahrnehmbaren Seufzen die Augen und schüttelte den Kopf. „Nein, Raven. Tut mir leid.“
Leander beäugte sie vorsichtig, sein Gefühl eine Mischung aus Neugier und Vorsicht. Da war etwas an der gegenwärtigen Entwicklung ihrer Lage, das Raven ganz und gar nicht gefiel…
„Da drüben!“, rief Nova aus. „Da ist es passiert!“
Sie waren ins Gespräch über ihre Zeit im Camp Half-Blood gekommen, wobei sich herausgestellt hatte, dass Nova schon an überraschend vielen Aufträgen beteiligt gewesen war – von denen sich gerade der erste, den sie im Alter von dreizehn Jahren absolviert hatte, besonders in ihr Gedächtnis gebrannt zu haben schien…
Sie zeigte auf einen alten, verfallenen Wasserturm im Abseits der Gassen, der kaum auszumachen war, wenn man nicht wusste, wo man hinschauen musste. „Dieses Wesen… die Sache ist die; wir wissen bis heute nicht, wer oder was das eigentlich war. Grob menschenähnliches, großes und ziemlich kräftiges Ding mit einer Art Schweißermaske. Ich sag‘ dir, das Ding hat mich noch monatelang in meinen Träumen verfolgt… was eigentlich sogar mal eine nette Abwechslung zum üblich war… jedenfalls hat eine von uns – habe ihren Namen vergessen, weiß nur noch, dass sie völlig wirre, rote Haare hatte – ihn den Kabumm-Griechen genannt.“
Leander runzelte die Stirn. „Kabumm-Grieche!? Wie seid ihr denn darauf gekommen?“
Ihre nächsten Worte unterstrich sie mit ausladenden Gesten. „Wir sind mit geschlagenen sechs Leuten aufgebrochen, und gerade mal zwei von uns sind wieder zurückgekehrt! Er – oder sie oder es – hatte ein Gewehr, das Brandbomben verschießen konnte… gefüllt mit griechischem Feuer!“
„Daher also Kabumm-Grieche…“
Nova zeigte ein ob der geschilderten Situation eigentlich höchst unangemessenes Grinsen. „Gut kombiniert! Der Grieche muss gemerkt haben, dass wir ihm gefolgt waren; er hat jedenfalls auf dem Wasserturm auf uns gewartet und das Feuer eröffnet, als wir in Sichtweite kamen… die verwirrte Rothaarige und noch ein anderer Kerl wurden direkt von der ersten Patrone vor unseren Augen in Stücke gesprengt… vielleicht weiß ich auch deshalb nicht mehr, wie sie lebendig aussahen, weil ihre verkohlten Eingeweide mein letzter Eindruck von ihnen waren.“
„Das klingt… unappetitlich.“
„Damals habe ich Beckendorf direkt vor die Füße gekotzt! Meinte erst, ich solle mich nicht so anstellen, bevor er überhaupt registriert hatte, was eigentlich passiert war.“
„Und… wie ist das Ganze ausgegangen?“
„Er hat ein Ablenkungsmanöver gestartet und uns anderen drei über Umwege zum Turm geschickt, um nach oben zu klettern. Der, wie du dir vielleicht denken kannst, auch damals schon nicht mehr stabil war. Cassie müsste ihr Name gewesen sein, sie verlor den Halt, stürzte und wurde unten von einem verrosteten, alten Zaun aufgespießt.“
„Ähnlich unansehlich wie die Sprengkandidaten, nehme ich an?“
Nova nickte grimmig. „Nur ungemein schmerzhafter. Ich weiß nicht, wie lange sie da noch lag, aber dieser Blick, der uns anflehte, nach unten zu klettern und ihr zu helfen, oder es wenigsten schnell und schmerzlos zu machen…“
Sie machte eine Pause und fing sich wieder. „So einen Blick vergisst man nicht. Ich habe Jasper davon überzeugt, dass der Kabumm-Grieche – ich glaube, bei dem Namen bleibe ich – uns alle umbringen würde, wenn wir uns nicht beeilten.“
Leander schluckte. „Und… was habt ihr dann gemacht?“
„Wir haben uns beeilt. Sind den restlichen Turm hochgeklettert und gerade rechtzeitig angekommen, als er wieder auf Beckendorf anlegte. Eigentlich war er viel zu stark für uns, aber wir konnten ihn überraschen, und zu unserem Glück hat das Geländer nachgegeben. Er hat reflexartig den Abzug gedrückt und ist geradewegs in seine eigene Explosion gestürzt… Jasper allerdings auch.“
„Das… tut mir leid…“
Nova schüttelte den Kopf. „Muss es nicht. Ich hatte mit keinem von ihnen was am Hut, und letztendlich war es unsere eigene Unvorsicht, die uns in die Situation gebracht hat.“
„Aber ihr habt gewonnen.“
„Naja… diesbezüglich waren wir uns nicht sicher. Beckendorf hat den Ausgang im Camp immer als Sieg mit ehrenhaften Opfern dargestellt, aber ich kann nicht mit Sicherheit sagen, was eigentlich passiert ist. Wir haben abgesehen von Jaspers Leiche keinen Hinweis auf sein Ende gefunden; weder Staub noch eine Leiche noch eine Trophäe. Und der Punkt, auf den er gefallen wäre, war weder von meiner noch von Beckendorfs Position aus sonderlich gut zu sehen.“
„Das heißt, dieses Ding könnte noch immer frei herumlaufen?“
„Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Jedenfalls ist das meine letzte Erinnerung an diese Stadt. Wie sieht‘s bei dir aus?“
Leander überlegte einen Moment. „Wir waren damals schon ein paar Tage länger hier, aber ich glaube…“, er entdeckte ein Straßenschild, und seine Augen weiteten sich, „…natürlich! Nova, nur eine Straße weiter gibt es hier ein Restaurant, da findest du die besten Burger im ganzen Land! Wir haben später zuhause versucht, die nachzumachen, sind aber nichtmal nahe herangekommen…“
„War das eine Einladung?“
„Vielleicht…“
„Hebt euch das für den Rückweg auf, ja?“, warf Morton ein. „Ich möchte nicht länger als notwendig mit diesem Gott hier Gassi gehen! Ansonsten…“, er überlegte einen Moment, „… hätte ich auch nichts dagegen einzuwenden, die einheimische Küche mal zu probieren.“
Leander grinste. „Du wirst begeistert sein!“
~
Kapitel LXXVII - Altvertraut und Neufremd
Einen Aspekt über das Leben im Neu-Sparta könnte Leander bereits eine Nacht nach seiner Rückkehr von der Jagd jedem nennen, der ihn nach den Besonderheiten des Wochenablaufs im Camp fragte; es verging kaum ein Tag, an dem man nicht mindestens einem weltschicksalsentscheidenden Sonderauftrag zugeteilt wurde. Damit einher ging zumeist ein Weckbeauftragter, der den Neu-Spartaner bereits in frühester Stunde aus dem Schlaf riss. An diesem Morgen war Nova dabei jedoch im Gegensatz zum letzten Mal vor dem Aufbruch ausgesprochen freundlich gewesen.
Schon nach dem gemeinsamen Sieg über Hekate, bei ihrer triumpalen Rückkehr ins Camp, während der Stadtwanderung mit Morton hatte Leander geglaubt, eigentlich sogar gewusst, dass er nicht mehr allein war; er war ein Teil dieser ungleichen Gemeinschaft aus sogenannten Monstern, deren Mitglieder ihn weit mehr schätzten und respektierten als auch nur eines der olymphörigen Halbblute von sich behaupten konnte. Doch erst seit seinem Gespräch mit Nova auf der Mauer konnte er es wirklich fühlen.
Er verstand selbst noch nicht, warum er ihr in Sekundenbruchteilen intuitiv Dinge offenbaren konnte, die er noch Stunden zuvor entschlossen mit ins Grab zu nehmen gedacht hatte. Und auch die wenigen Minuten, die er nach dem recht ruhigen Aufwachen ungestört wachliegen konnte, waren von leisen Zweifeln gesprenkelt, ob er es wirklich hätte tun sollen.
Aber als er Nova nach einem zurückhaltenden Klopfen ihrerseits die Tür öffnete, und sie ihn mit diesem für sie denkbar untypischen, schüchternen Lächeln bedachte, als habe sie sich diese Frage auch gestellt, wusste Leander, dass er richtig gesprochen hatte. Sie umarmten sich zur Begrüßung, nicht so fest und so innig wie am Abend zuvor, aber lang genug, um einander die Gewissheit zu geben, Vergangenes nun nicht mehr ganz auf sich allein gestellt bewältigen zu müssen.
Eine kleine Traube hatte sich um einen Punkt vor dem Eingang des Senatsgebäudes gebildet, als Leander und Nova den Platz erreichten. Eine recht ruhige Traube, die weder johlte noch applaudierte, sondern nur interessiert zu beobachten schien. Zunächst unverständliches Gemurmel war von dort aus zu hören; als sie sich dem Gemenge näherten, hörte Leander irgendwann den Begriff „Gott“ heraus.
Ohne wahrnehmbare Aufforderung teilte sich die Menge, um die beiden Neuankömmlinge passieren zu lassen. Im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stand – flankiert von den Todeskindern – ein junger Mann, durch dessen Brustkorb die Klinge von Mortons Sense gebohrt war. Sein Blick war glasig, seine Haltung gebeugt, die Arme hingen schlaff herab wie zum Trocknen aufgehängtes Fleisch. Beinahe könnte man meinen, der große Sonnengott sei gebrochen.
„Eure schändlichen Taten werden nicht ungestraft bleiben!“, brachte er hervor. „Mich mögt ihr überwunden haben, aber mein Vater wird…“ Der gepeinigte Gott spie goldenes Blut, als ein Hustenkrampf seinen Körper ergriff.
„Da hat Hekate bedeutend mehr Kampfgeist gezeigt…“, konterte Nova geringschätzig. „Nicht, dass es etwas bedeuten würde, aber den Thron hätte sie eher verdient als du!“
Ganz kurz, nur für einen Moment veränderte sich sein Gesichtsausdruck und zeigte die kläglichen Überreste seines einstigen Stolzes. „Du wagst es…“
Er brach stöhnend ab, als Morton den Griff der Sense packte und ihn vorwärtszwang; geradewegs durch die sich vor ihnen öffnende Gasse staunender Gesichter. Mit jedem Schritt, den er den Gott weiterdrängte, korrigierte sich einer der offenstehenden Münder zu einem Grinsen, mit jedem zweiten wandelte sich das Gemurmel aus einem von ihnen zu lauter werdendem Jubel.
Leander folgte, Nova schloss sich ihm kurz darauf an. Morton schien genau zu wissen, wie er mit hochrangigen Göttern umgehen musste, wenn er es auf den Respekt möglichst vieler Monster abgesehen hatte.
Mortons Interpretation eines Tores bestand aus zwei in jede Dimension jeweils mehrere Meter messenden Felsblöcken mit eingeschmiedeten Eisengriffen, die immer, wenn jemand passieren wollte, von zwei Zyklopen zur Seite bewegt werden mussten. Effizient und umständlich wie scheinbar alles von ihm Erdachte.
„Ich verlasse mich darauf, dass hier alles noch steht, wenn wir zurück sind!“, raunte er Sif zu, gerade so laut, dass Leander es noch verstehen konnte.
Die Dracaena legte den Kopf schief, sah ihn einen Moment lang an und lächelte dann. „Sssso sssschlimm ssssind unssssere Bewohner nun nicht! Wir haben weniger Sssschlägereien alssss in den letzzzzten beiden Kriegen! Viel weniger…“ Sie zählte etwas an ihren Fingern ab. „In Kronossss‘ Armee hatten wir jeden Tag… ach wassss, jede Sssstunde mehr davon alssss hier in einer Woche!“
Morton schmunzelte und schien den kühlen, beinahe vorwurfsvollen Seitenblick, den Raven seiner Stellvertreterin dabei zuwarf, gar nicht zu bemerken. „Glaube ich dir. Ich meinte nur, falls noch ein Gott oder ähnliches hier auftauchen sollte…“
„Fallssss noch ein Gott hier auftauchen und Ärger machen ssssollte, haben die Telchinen eine hübssssche Überrasssschung vorbereitet. Ssssei unbessssorgt, mein Freund, niemand wird unsssserer wundervollen, kleinen Sssstadt etwassss zzzzuleide tun, ssssolange ich hier bin!“
Morton klopfte ihr auf die Schulter. „Dann bin ich beruhigt.“ Er trat durch die Mauerlücke nach draußen, eine Hand immer locker am Griff seiner Sense, und warf einen Blick über die Schulter. „Sollen wir?“
Die hellen, bereits in den frühen Morgenstunden erdrückend vollen und überlaufenen Straßen San Franciscos übten eine belebende und zugleich betäubende Wirkung auf Leander aus. Seit dem Tod seiner Familie hatte er nicht mehr so viele Menschen zugleich gesehen, war überhaupt in keiner größeren Stadt mehr gewesen – die umkämpften, menschenleeren Straßen New Yorks während des zweiten Titanenkrieges ausgenommen. Fast sieben Jahre hatte er Camp Half-Blood mit dieser einen Ausnahme nicht mehr verlassen.
All die Sterblichen – zu guten Teilen Touristen – hier in den Straßen wussten nichts von der zweiten Welt um sie herum, nichts von dem vor ihnen geheimen Krieg, der in wenigen Tagen ebendiese Welt in ihren Grundfesten erschüttern würde… und würden vermutlich selbst dann kaum etwas davon mitbekommen. Als er vor Jahren San Francisco einmal mit seinem Vater und seinem Bruder besucht hatte, war er noch einer von ihnen gewesen; ein gewöhnlicher Junge, allenfalls mit den banalen Problemen eines gewöhnlichen Teenagerlebens beschäftigt. Er hatte dazugehört, war einfach einer der zahllosen Besucher gewesen, die ziellos durch die Gassen schlenderten, hatte nichts, was er gesehen hatte hinterfragt.
Am heutigen Tage jedoch war Leander ein Fremder. Mit all den Erfahrungen, die er gemacht, der Sicht auf die Welt, die er gerade in den letzten Tagen gewonnen hatte, und die den meisten, überaus kurzsichtigen Sterblichen für immer verwehrt blieb, war er seinem Blute zutrotz nach derlei Maßstab keineswegs mehr ein Mensch – und würde es nie wieder sein können.
„Wie lang?“, fragte Nova unvermittelt.
„Bitte?“
Sie grinste. „Ist eine ganze Weile her, seit du das letzte Mal in einer vernünftig besiedelten Stadt warst, oder? Wie lange genau? Und nur damit das klar ist, das Kaff bei den Maisfeldern zählt nicht!“
Er seufzte. „Ja… ja, das ist es wohl. Sechs oder sieben Jahre müsste es jetzt her sein. Es sei denn, du lässt Manhatten während der Schlacht gegen Kronos als besiedelt durchgehen.“
„Eher nicht.“
„Dachte ich mir. Also ja, tatsächlich eine ganze Weile. Auch wenn ich davor sogar recht viele Städte besucht habe. Mein Vater war sehr reisebegeistert, musst du wissen…“
„Und meiner erst! Ich erinnere mich nicht mehr, wo genau, aber er hat mir erzählt, dass er meine Mutter auf einem seiner Ausflüge irgendwo in Europa kennengelernt hat.“
„Europa… wie gerne wäre ich dort einmal hingeflogen. Wir hatten nur leider nie genug Geld dafür.“
Nova schien einen Moment zu überlegen, dann packte sie ihn bei der Schulter und sah ihm direkt in die Augen. „Weißt du was, Leander? Wenn das alles hier vorbei ist, und der Olymp in Trümmern liegt, dann fliegen wir beide zusammen nach Europa! Mein Vater hat mir früher von so vielen Orten erzählt, die ich so gerne selbst sehen wollte…“
„Es wäre mir eine Freude!“
„Für den Fall, dass ihr das Flugzeug nehmt…“, warf Morton ein, „… tut euch nur selbst den Gefallen, und wartet, bis wir Zeus erledigt haben. Ist besser so, glaubt mir!“
Raven, die sich die ganze Zeit über im Abseits gehalten und sie missmutig beobachtet hatte, rieb sich bei dieser Bemerkung mit einem Zähneknirschen den Bauch, genau an der Stelle, wo ihr Top zerrissen war. „Musste das jetzt sein?“
Morton schloss mit einem kaum wahrnehmbaren Seufzen die Augen und schüttelte den Kopf. „Nein, Raven. Tut mir leid.“
Leander beäugte sie vorsichtig, sein Gefühl eine Mischung aus Neugier und Vorsicht. Da war etwas an der gegenwärtigen Entwicklung ihrer Lage, das Raven ganz und gar nicht gefiel…
„Da drüben!“, rief Nova aus. „Da ist es passiert!“
Sie waren ins Gespräch über ihre Zeit im Camp Half-Blood gekommen, wobei sich herausgestellt hatte, dass Nova schon an überraschend vielen Aufträgen beteiligt gewesen war – von denen sich gerade der erste, den sie im Alter von dreizehn Jahren absolviert hatte, besonders in ihr Gedächtnis gebrannt zu haben schien…
Sie zeigte auf einen alten, verfallenen Wasserturm im Abseits der Gassen, der kaum auszumachen war, wenn man nicht wusste, wo man hinschauen musste. „Dieses Wesen… die Sache ist die; wir wissen bis heute nicht, wer oder was das eigentlich war. Grob menschenähnliches, großes und ziemlich kräftiges Ding mit einer Art Schweißermaske. Ich sag‘ dir, das Ding hat mich noch monatelang in meinen Träumen verfolgt… was eigentlich sogar mal eine nette Abwechslung zum üblich war… jedenfalls hat eine von uns – habe ihren Namen vergessen, weiß nur noch, dass sie völlig wirre, rote Haare hatte – ihn den Kabumm-Griechen genannt.“
Leander runzelte die Stirn. „Kabumm-Grieche!? Wie seid ihr denn darauf gekommen?“
Ihre nächsten Worte unterstrich sie mit ausladenden Gesten. „Wir sind mit geschlagenen sechs Leuten aufgebrochen, und gerade mal zwei von uns sind wieder zurückgekehrt! Er – oder sie oder es – hatte ein Gewehr, das Brandbomben verschießen konnte… gefüllt mit griechischem Feuer!“
„Daher also Kabumm-Grieche…“
Nova zeigte ein ob der geschilderten Situation eigentlich höchst unangemessenes Grinsen. „Gut kombiniert! Der Grieche muss gemerkt haben, dass wir ihm gefolgt waren; er hat jedenfalls auf dem Wasserturm auf uns gewartet und das Feuer eröffnet, als wir in Sichtweite kamen… die verwirrte Rothaarige und noch ein anderer Kerl wurden direkt von der ersten Patrone vor unseren Augen in Stücke gesprengt… vielleicht weiß ich auch deshalb nicht mehr, wie sie lebendig aussahen, weil ihre verkohlten Eingeweide mein letzter Eindruck von ihnen waren.“
„Das klingt… unappetitlich.“
„Damals habe ich Beckendorf direkt vor die Füße gekotzt! Meinte erst, ich solle mich nicht so anstellen, bevor er überhaupt registriert hatte, was eigentlich passiert war.“
„Und… wie ist das Ganze ausgegangen?“
„Er hat ein Ablenkungsmanöver gestartet und uns anderen drei über Umwege zum Turm geschickt, um nach oben zu klettern. Der, wie du dir vielleicht denken kannst, auch damals schon nicht mehr stabil war. Cassie müsste ihr Name gewesen sein, sie verlor den Halt, stürzte und wurde unten von einem verrosteten, alten Zaun aufgespießt.“
„Ähnlich unansehlich wie die Sprengkandidaten, nehme ich an?“
Nova nickte grimmig. „Nur ungemein schmerzhafter. Ich weiß nicht, wie lange sie da noch lag, aber dieser Blick, der uns anflehte, nach unten zu klettern und ihr zu helfen, oder es wenigsten schnell und schmerzlos zu machen…“
Sie machte eine Pause und fing sich wieder. „So einen Blick vergisst man nicht. Ich habe Jasper davon überzeugt, dass der Kabumm-Grieche – ich glaube, bei dem Namen bleibe ich – uns alle umbringen würde, wenn wir uns nicht beeilten.“
Leander schluckte. „Und… was habt ihr dann gemacht?“
„Wir haben uns beeilt. Sind den restlichen Turm hochgeklettert und gerade rechtzeitig angekommen, als er wieder auf Beckendorf anlegte. Eigentlich war er viel zu stark für uns, aber wir konnten ihn überraschen, und zu unserem Glück hat das Geländer nachgegeben. Er hat reflexartig den Abzug gedrückt und ist geradewegs in seine eigene Explosion gestürzt… Jasper allerdings auch.“
„Das… tut mir leid…“
Nova schüttelte den Kopf. „Muss es nicht. Ich hatte mit keinem von ihnen was am Hut, und letztendlich war es unsere eigene Unvorsicht, die uns in die Situation gebracht hat.“
„Aber ihr habt gewonnen.“
„Naja… diesbezüglich waren wir uns nicht sicher. Beckendorf hat den Ausgang im Camp immer als Sieg mit ehrenhaften Opfern dargestellt, aber ich kann nicht mit Sicherheit sagen, was eigentlich passiert ist. Wir haben abgesehen von Jaspers Leiche keinen Hinweis auf sein Ende gefunden; weder Staub noch eine Leiche noch eine Trophäe. Und der Punkt, auf den er gefallen wäre, war weder von meiner noch von Beckendorfs Position aus sonderlich gut zu sehen.“
„Das heißt, dieses Ding könnte noch immer frei herumlaufen?“
„Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Jedenfalls ist das meine letzte Erinnerung an diese Stadt. Wie sieht‘s bei dir aus?“
Leander überlegte einen Moment. „Wir waren damals schon ein paar Tage länger hier, aber ich glaube…“, er entdeckte ein Straßenschild, und seine Augen weiteten sich, „…natürlich! Nova, nur eine Straße weiter gibt es hier ein Restaurant, da findest du die besten Burger im ganzen Land! Wir haben später zuhause versucht, die nachzumachen, sind aber nichtmal nahe herangekommen…“
„War das eine Einladung?“
„Vielleicht…“
„Hebt euch das für den Rückweg auf, ja?“, warf Morton ein. „Ich möchte nicht länger als notwendig mit diesem Gott hier Gassi gehen! Ansonsten…“, er überlegte einen Moment, „… hätte ich auch nichts dagegen einzuwenden, die einheimische Küche mal zu probieren.“
Leander grinste. „Du wirst begeistert sein!“