War of Olympus
von Tharax Batora
Kurzbeschreibung
Ein Jahr ist seit der Niederlage der Giganten vergangen. Doch der Frieden soll schon bald ein blutiges Ende finden. Ein neuer Feind erhebt sich gegen die Götter, noch furchtbarer und unerbittlicher als alle Vorangegangenen. Mit einem einzigen, brutalen Angriff vernichtet er Camp Jupiter und bezwingt dabei sogar die legendären Helden des Olymp. Camp Half-Blood bleibt nun nichts anderes mehr übrig, als eine Mannschaft aus alten und neuen Helden zusammenzustellen, um den einzigen Gegenstand zu finden, der ihn bezwingen könnte: die Büchse der Pandora. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn sollte ihr Feind die Büchse vor ihnen finden, könnte ihn so gut wie niemand mehr aufhalten. Und der mächtige Krieger ist nicht allein. Hinter ihm stehen zwei von den Göttern im Stich gelassene Halbblute, ein mächtiger Nekromant sowie eine ganze Armee blutdurstiger Monster, die allesamt den Untergang des Olymps besiegeln wollen... [Crossover mit God of War]
CrossoverAbenteuer, Fantasy / P18 / Gen
Hekate
Leo Valdez
Nico di Angelo
OC (Own Character)
Thanatos
30.01.2016
29.05.2023
89
237.748
10
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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03.12.2020
5.082
Bitte entschuldigt die mal wieder unverschämt lange Wartezeit, aber meine Muse hat sich 2020 eigenmächtig eine Menge Urlaub genommen (ich glaube, der politisch korrekte Begriff dafür lautet "Schreibblockade"). Dazu habe ich Pen & Paper-Rollenspiele für mich entdeckt, und meine erste Kampagne hat einen Großteil der kreativen Energie beansprucht, die mir dieses im direkten Vergleich zu jenen davor doch recht motivations- und ideenarme Jahr zur Verfügung stand.
Nach all den Strapazen mit Gargoyles, Lamien, Monsterfüchsen und natürlich unserer allerliebsten Lieblingskillerin Raven haben unsere Helden endlich den geheimnisvollen Tempel der Pandora erreicht. Welche Herausforderungen und Gefahren sie wohl in seinen Tiefen erwarten mögen... finden wir es heraus!
~
In dem Moment, in dem Knox gemeinsam mit seinen Gefährten das mächtige Eingangstor des Tempels passierte, hatte er endlich das Gefühl, geistig wieder in der Gegenwart angelangt zu sein. Das plötzliche Erreichen ihres mystischen Zielortes hatte auch ihn überrumpelt, aber jetzt, wo die Lage wirklich ernst wurde, konnte und musste er seinen Fokus ungeteilt auf seine Umgebung und die vor ihnen liegende Aufgabe richten.
Das durch das offene Tor einfallende Sonnenlicht spiegelte sich auf dem teils sandbedeckten, doch an den freien Stellen noch immer blanken Kachelboden eines kurzen Korridors, an dessen Ende ein weiteres, rundes und mit altertümlichen Symbolen verziertes Portal auf sie wartete. Davor stand ein Sockel, auf dem ein aufgeschlagenes Buch lag. Sechs mächtige, mit langen, nadelspitzen Speeren ausgestattete Bronzestatuen, die selbst Knox um mehr als das Dreifache überragten, standen vor den Wänden und schienen ihren Blick auf die Mittellinie des Raumes zu richten, in die eine Reihe mit eckigen Spiralen geschmückter Steine eingelassen war.
Gerade als sie die ersten beiden Statuen passierten, fiel das gewaltige Eingangstor hinter ihnen mit einem dumpfen, endgültigen Grollen wieder zu und schloss sie in das mächtige Monument ein. Nur die vier zwischen den Statuen angebrachten Feuerpfannen sorgten nun noch für eine schwache Beleuchtung.
Knox atmete leise die trockene, staubige Luft des Tempels ein und ließ sie ebenso lautlos wieder entweichen. Spätestens jetzt musste jedem von ihnen klar sein, dass der Punkt, ab dem es keine Rückkehr mehr gab, erreicht war. Sie würden entweder die Büchse der Pandora finden oder beim Versuch in diesem verfluchten Gemäuer sterben. Eine andere Möglichkeit bestand nicht mehr, was Knox zum einen zwar mit Ehrfurcht, angesichts der scheinbaren Geradlinigkeit ihrer Aufgabe aber auch mit einer gewissen Ruhe erfüllte.
Während Knox‘ Augen sich noch an das Dämmerlicht im Raum gewöhnten, näherte Alaina sich bereits dem Buch, wobei sie ihre Umgebung genau zu beobachten schien.
„Dachte ich‘s mir doch“, sagte sie halblaut, nachdem sie das Schriftstück eine Weile betrachtet hatte. „Das Buch ist aus Stein, und der Text eingemeißelt. Papier hätte sich auch kaum all die Jahre über gehalten.“
Sie murmelte leise etwas vor sich hin und las dann für alle hörbar vor: „Dieser Tempel wurde errichtet zu Ehren und auf Befehl des mächtigen Gottes Zeus. Möge der Tapferste die Rätsel lösen und Gefahren bestehen. Ein Mann wird die ultimative Macht erlangen. Alle anderen finden den Tod.
Pathos Verdes III. – Hauptarchitekt und treuer Diener der Götter.“
„War ja klar, dass hier von einem Mann die Rede ist…“, murmelte Aileen leise.
Knox konnte sich nicht erklären, weshalb, aber es beruhigte ihn, dass es anscheinend ein Mensch, jedenfalls schätzte er den Architekten als einen solchen ein, gewesen war, der diesen Tempel entworfen hatte. Das Wissen um seinen Ursprung ließ das Gebilde greifbarer und weniger ominös erscheinen.
„Das hilft uns nicht weiter“, bemerkte Nico. „Da steht nichts, was wir nicht ohnehin schon wissen.“
Alaina setzte zu einer Antwort an: „Die Inschrift lässt immerhin darauf schließen, dass der Tempel bewusst so gebaut wurde, dass es auch möglich ist, die Büchse zu…“
Knox fuhr herum, als ein lautes, langgezogenes Kratzen sie unterbrach, und erkannte, dass sie sich bereits mitten in ihrer ersten Prüfung befanden.
Eine der ersten beiden Statuen hatte ihren Platz verlassen und stapfte nun langsam aber zielstrebig auf sie zu. Knox bemerkte erst jetzt die größtenteils bereits verweste Leiche, die noch aufgespießt am Speer hing; zuvor war die Spitze der Waffe noch im Dunkeln verborgen gewesen.
Er zückte seine Axt und ging in Kampfstellung, erkannte aber sofort, dass ein Frontalangriff gegen diesen Gegner nicht gut für ihn ausgehen würde.
Leo entfachte ein Feuer in seiner Hand und schickte sich an, die Statue in Flammen zu hüllen.
„Wartet!“, hielt Alaina sie zurück. „Seht euch mal seine Augen an!“
Knox betrachtete den bronzenen Kopf ihres Angreifers im Schein des Feuers genauer und erkannte jetzt ebenfalls die beiden roten Kristalle, die seine Augen darstellten.
„Natürlich!“, rief Leo aus. „Ich kenne diese Art von Energiezellen! Wenn wir sie zerstören, fällt das Ding in sich zusammen!“
Er runzelte die Stirn. „Auch, wenn mir nicht wohl dabei ist, so ein technologisches Wunderwerk zu zerstören…“
Knox ignorierte den Rest und trat dem Miniaturkolloss vorsichtig entgegen. Ihm war sofort klar gewesen, dass er mit roher Kraft hier nicht weit kommen würde, aber nun wusste er immerhin, was er angreifen musste...
Mit beängstigender Geschwindigkeit schwang die Statue den Speer und schleuderte ihnen die Leiche entgegen.
Knox wich dem Wurf aus, hörte aber noch, wie jemand anderes von dem Geschoss getroffen wurde. Doch ihm blieb keine Zeit, um sich umzusehen.
Der fast vier Meter lange Bronzespeer schnellte auf ihn zu und verfehlte ihn dank einer schnellen Drehung seinerseits nur knapp. Er versuchte, die Waffe zu Boden zu treten, seine Fußsohle prallte jedoch vollkommen wirkungslos vom massiven Metallschaft ab.
Sein Gegner fegte ihn mit einem weiteren Hieb von den Füßen und ließ ihn unsanft auf dem Rücken landen. Ein panischer Blick zur Seite verriet ihm, dass seine Freunde noch immer mehrere Meter entfernt standen und noch nicht so recht zu wissen schienen, wie sie mit der Situation umgehen sollten.
Als der Bronzekrieger erneut zum Stoß ausholte, zog Knox instiktiv die Axt vor die Brust, um sein Herz zu schützen. Obwohl ihr Gesicht vollkommen unbeweglich war, meinte Knox, die Statue hämisch grinsen zu sehen, als sie die Richtung leicht veränderte und nun direkt auf seinen ungeschützten Bauch zielte.
„Nein!“, rief Jane der Statue trotzig entgegen, und ein ebenso schnell angelegter wie sorgsam gezielter Pfeilschuss zerschmetterte ihr linkes Auge und ließ sie mehrere Schritte zurückstolpern.
Dennoch streifte der Speer seinen Körper, zerriss einen Teil seines Hemdes und fügte ihm einen flachen, aber dennoch blutigen Kratzer am Bauch zu. Er zischte und biss die Zähne zusammen.
Nachdem er sich vom ersten Schock erholt hatte, erkannte Knox seine Chance, sprang wieder auf und spurtete auf den geschwächten Gegner zu.
Er wich mühelos einem weiteren, diesmal völlig unkontrollierten Stoß aus, nutzte den Speer als Trittbrett und sprang zum Kopf des Angreifers hoch.
Mit der linken Hand krallte er sich im Nacken der Statue fest, die Füße stemmte er gegen den Oberkörper. Dann rammte er seinen Axtgriff mit voller Wucht in ihr rot funkelndes, rechtes Auge.
Der spröde Kristall zersplitterte augenblicklich, und die Statue erstarrte. Knox fand nicht mehr die Zeit, abzuspringen, ehe sie unter lautem Getöse zusammenbrach und ihn unter ihren Einzelteilen begrub.
Er hatte großes Glück, sich dabei nichts zu brechen, aber schmerzhaft waren die schweren Bronzestücke dennoch und fügten ihm mit Sicherheit einige Prellungen zu.
Alaina eilte zu ihm und half ihm wieder auf. Er wollte etwas sagen, um sie zu beruhigen, aber das, was hinter ihr geschah, ließ ihm die Worte im Rachen steckenbleiben.
Die Symbole rund um das Ausgangsportal herum begannen, eines nach dem anderen zu leuchten, ehe die kreisförmige Steinplatte sich aus ihrer Verankerung löste, nach vorne bewegt wurde, um anschließend in einer eigens dafür angelegten Rinne zur Seite zu rollen und den Weg in das Innere des Tempels freizugeben.
„Scheint, als hätten wir die Aufnahmeprüfung bestanden“, fand Knox seine Sprache wieder. „Ich nehme an, der eigentliche Spaß fängt jetzt erst an!“
„Richtig, die Aufnahmeprüfung“, raunte Alaina ihm leise zu und tastete vorsichtig seine Wunde ab. Die Berührung brannte, und er zuckte zurück. „Bei der du um ein Haar mit einem Speer im Bauch geendet hättest.“
Knox sah betreten zur Seite. Gerne hätte er es einfach abgeschlagen, aber sie hatte Recht. Wäre Jane nicht so schnell gewesen, hätte der Speerstoß ihn geradewegs durchbohrt, und er wäre jetzt damit beschäftigt, seine Innereien wieder einzusammeln…
„Du musst nicht darauf antworten“, fuhr Alaina fort. „Aber…“
Sie packte seine Schulter und hielt ihn an. „Pass in Zukunft verdammt nochmal besser auf! Ich will dich nicht an eine dieser verfluchten Fallen verlieren. Und ich bin sicher, Jane auch nicht!“
Er sah Alaina lange in die Augen, klopfte ihr dann sanft auf die Schulter und nickte.
„Gut“, sagte sie leise, beinahe gehaucht. „Das beruhigt mich… ein wenig.“
Knox blieb noch einen Moment stehen und sah ihr nach, als sie zu den Anderen zurückkehrte. Er erinnerte sich überdeutlich an ihr Gespräch am gestrigen Abend, als sie offenbart hatte, weshalb sie trotz ihrer Ängste mit auf die Mission gekommen war. Es ging ihr nur darum, ihn und Jane zu beschützen, alles andere, selbst die Erfüllung des Auftrages, was für sie nur zweitrangig. Und keinesfalls sollte sie seinetwegen scheitern…
Sie durchquerten das nun offene Tor und betraten seitwärts einen langen, gebogenen Korridor, der bis auf einige, ihn überspannende Steinbalken nach oben hin offen war. Darüber erstreckte sich wie ein kleines, kantiges Firmament eine gewaltige, natürliche Höhle, an deren Zenit ein mehrere Meter großer Spalt aufklaffte, durch den Sonnenlicht hineinströmte.
Nachdem Knox den Anblick verarbeitet hatte, machte er sich kurz Sorgen, dass es bei Einbruch der Nach hier drinnen völlig dunkel sein würde, dann erst registrierte er die auch hier an den Wänden angebrachten Feuerpfannen und beruhigte sich wieder.
Der Gang war reich mit gemeißelten Mustern und altertümlichen Schriftzeichen verziert, blutrote Banner hingen scheinbar zur Dekorationszwecken von Wänden und Steinbalken hinab.
„Hier scheint sich ja jemand echte Mühe gegeben zu haben, dass man sich auch schön wohl fühlt, während man um sein Leben kämpft…“, bemerkte er. „Für einen in erster Linie als Prüfung angelegten Ort scheint mir das ein bisschen viel Dekoration zu sein.“
„Vielleicht ist das Ganze ja als Ablenkung gedacht“, mutmaßte Alaina und schob einen der Stoffstreifen beiseite, um sich die Wand dahinter anzusehen. „Damit wir das eigentlich Wichtige gar nicht bemerken. Oder erst dann, wenn es zu spät ist.“
„Ich frage mich, wer die Kohlepfannen am Brennen hält“, sagte Jane. „Es muss ziemlich anstrengend für die beiden Harpyien sein, ständig den ganzen Tempel zu überprüfen, und überall Brennstoff nachzufüllen.“
Alaina schüttelte den Kopf. „Nein, das Feuer ist magischer Natur. Den Zauber kenne ich zwar nicht, aber dass es einer ist, kann ich deutlich spüren.“
Sie fuhren damit fort, die Umbgebung zu inspizieren. Knox las einige der altgriechischen Inschriften und kam zu dem Schluss, dass es sich bei ihnen lediglich um Drohungsphrasen handelte, die Abenteurer einschüchtern sollten.
„Hey Leute, das hier sieht interessant aus!“, rief Leo.
Er hatte etwas neues in einer der Wände entdeckt, in der Tat das erste in diesem Gang, was eine Funktion zu haben schien.
„Ein Zahnrad“, fuhr er fort, als er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass der gesamte Korridor ein einziger, großer Mechanismus ist, den wir selber bedienen müssen! Diesen Architekten hätte ich wirklich zu gern einmal kennengelernt…“
„Dann schlage ich vor…“, unterbrach Alaina ihn, was eine beleidigte Grimasse seinerseits nach sich zog, „…dass wir diesen Gang ersteinmal ablaufen. Bis jetzt sieht er für mich nach einem großen Ring aus. Vielleicht finden wir ja irgendwo einen Hebel, mit dem wir diesen Mechanismus in Gang setzen können.“
Sie folgten Alainas Vorschlag ohne weitere Einwände und stapften vom Eingang aus nach rechts eine ganze Weile den Gang entlang, der sowohl seine runde Form als auch den Dekorationsstil beibehielt.
Erst als der Eingang am Ende der Rundung bereits wieder in Sicht kam, was die Ringform des Ganges bewies, stießen sie endlich auf zwei gegenüberliegende Ausgänge. Wie viel einfacher es doch gewesen wäre, einfach in die andere Richtung zu gehen…
Das gleichmäßige, rhytmische Stampfen, das Knox bereits seit einer halben Minute zu hören glaubte, offenbarte seinen Ursprung. Teile der Wände des Ganges auf der Außenseite waren mit Dornen besetzt und prallten in regelmäßen Abständen mit einer Kraft aufeinander, die den Boden selbst hier draußen im Ring noch vibrieren ließ. Ihre erste, richtige Prüfung, wie es schien…
Der andere Ausgang wurde von einer verschlossenen Tür blockiert, in deren Mitte ein gigantischer Steinschädel mit einer auffälligen Vertiefung in der Stirn eingelassen war. Knox ahnte, dass sich irgendwo hinter den Todeswänden der Schlüssel zu dieser Tür verbergen mochte. Eine beunruhigend lange Zeit schwiegen sie sich nur an und warfen hin und wieder hoffnungsvolle Blicke zur Tür, dann entschied Knox, dass einer das Offensichtliche aussprechen musste.
„Hier kommen wir nicht weiter!“, sagte er. „Ich fürchte, wir haben keine andere Wahl, als uns an diesen Wänden vorbeizukämpfen.“
„Und… wer soll es deiner Meinung nach versuchen?“, fragte Aileen.
Er sah sie verwundert an. Verwundert zum einen deshalb, weil es das erste Mal seit dem Kampf auf dem Schrottplatz war, dass sie wieder einen vollständigen Satz zustande brachte. Zum anderen deshalb, weil er keinen aggressiven oder auch nur gereizten Unterton heraushören konnte. Sondern einfach nur eine normale Frage. Beinahe so als ob sie seinem Urteil vertrauen würde.
„Ich gehe“, sagte er und wandte sich dann wieder an die gesamte Gruppe. „Aber ich weiß nicht, was da hinten ist, daher würde ich mich wohle fühlen, wenn mich noch einer von euch begleitet.“
Aileen nickte langsam. „Dann lass mich mitkommen. Wenn… das in Ordnung für dich ist.“
Verblüfft über ihre plötzliche Friedfertigkeit antwortete er zögernd: „Ja… natürlich ist das in Ordnung.“
Sie nickte erneut, scheinbar zufrieden.
„Ich komme auch mit!“, bestimmte Jane.
Knox sah sie lange nur an und überlegte, wie er ihr begegnen sollte… Sie wollte ihn auf keinen Fall allein lassen, und er hätte niemanden lieber an seiner Seite gehabt, doch… „Jane, ich glaube, es… ist besser, wenn wir nur zu zweit gehen. So sind wir einfach flexibler. Außerdem ist das Risiko für die Gruppe am geringsten, wenn… möglichst wenige Mitglieder zur Zeit ihr Leben riskieren.“
Sie schloss die Augen, schien einen Moment zu überlegen und nickte dann.
„Ich verstehe…“ Ohne Vorwarnung sprang sie auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch. „Aber versprich mir, dass du wieder zurückkommst! Versprich es!“
„Ich werde zurückkommen“, antwortete er. „Geschworen!“
Sie ließ ihn wieder los. „Dann… ist ja alles gut. Viel Glück da drinnen! Du wirst es brauchen.“
Sie machte eine Pause und sah dann die Jägerin an. „Das gilt auch für dich, Aileen! Und pass ja gut auf ihn auf!“
Ehe sie den Todesgang betraten, mussten sie sich den anscheinend in mehrere Intervalle eingeteilten Rhythmus der Wände erst einprägen, um überhaupt eine Chance zu haben. Um sich dies zu erleichtern, stampfte Knox den Takt leise mit dem Fuß mit, bis er das Gefühl hatte, ihn sicher vorhersehen zu können.
Er nickte Aileen zu, und sie traten gemeinsam vor die erste der insgesamt vier Stachelfallen. Knox spürte den Druck der aus dem Spalt entweichenden Luft auf seinem Gesicht, als die spitzen Wände direkt vor ihm aufeinanderprallten. Nur eine falsche Bewegung, und diese Kräfte würden ihn und seine Begleiterin zu Brei zermalmen…
Knox nahm eine Bewegung neben sich wahr und sah, wie Aileen vorpreschte. Die Wände prallten wieder aufeinander, versperrten seine Sicht, und für einen Moment befürchtete er, sie hätten die Jägerin erwischt.
Doch dem war glücklicherweise nicht so, wie er nur einen Augenblick später feststellte. Nocheinmal atmete er tief durch. Er konnte das auch. Er musste es können.
Sich voll und ganz nach dem Rhythmus in seinem Fuß richtend wählte er den Moment und sprang mit aller Kraft nach vorn. In dem Moment, indem er sich in der tödlichen Zone befand, spürte er nichts. Keine Angst, keine Nervosität, nur feste, ungebrochene Konzentration und der unbedingte Wille, den nächsten Meter zu überleben.
Es gelang. Ihm blieb sogar noch ein kurzer, aber deutlicher Moment Zeit, ehe die Stacheln die Luft hinter ihm durchbohrten.
Obwohl die nächsten beiden Wände sich rhythmisch leicht von der ersten unterschieden, und sie dementsprechend ihren Rhythmus umstellen musste, entwickelte sich der Ablauf zu einer Routine, die sie sicher bis kurz vor ihr Ziel brachte.
Doch die letzte der Wände funktionierte etwas anders. So sehr sie sich auch bemühten, sie konnten keinen gleichmäßigen Rhythmus in ihr erkennen. Gerade als Knox schon dachte, man müsse sich rein auf sein Glück verlassen, registrierte er allmählich, dass nach zwei sehr kurzen Pausen immer eine etwas längere folgte, die zwar deutlich varrierte, aber zumindest theoretisch in jeder Version genug Zeit bieten müsste, um hindurchzuschlüpfen.
Er sah Aileen in die Augen, ahmte den Fast-Rhythmus mit seinem Finge nach, und ihr Nicken verriet, dass sie ihn verstanden hatte.
Noch ein weiteres Intervall warteten sie ab, dann sprinteten sie beide gleichzeitig los.
Knox erreichte sicher, die andere Seite, doch Aileen stolperte und fiel genau zwischen die Wände.
Nur für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Knox ihr Ende gekommen, dann folgte seine Reaktion. Er trat zurück zwischen die tödlichen Stacheln, packte sie und zerrte sie so schnell er konnte hinaus. Nur einen Fingebreit vor ihrer Fußspitze zermalmten die Wände bei ihrem nächsten Aufeinanderprallen enttäuscht die Luft.
Erleichtert ließ er sich anschließend selbst auf dem Boden nieder, um durchzuatmen. Die Jägerin saß nur da, starrte die Stacheln an und schien erst langsam zu begreifen, was gerade passiert war.
Dann drehte sie sich zu ihm und sah ihn mit einem völlig neuen, aber offenkundig überraschten Gesichtsausdruck an. „Du… hast mich gerettet…“
„Ja… ja, sieht so aus.“
„Du hättest selbst dabei umkommen können… Danke…“
„Hättest du mit Sicherheit auch getan, wenn ich gestolpert wäre. Los, komm, wir müssen weiter!“
Knox stand auf und reichte ihr anschließend die Hand, um ihr aufzuhelfen, was sie tatsächlich annahm.
Als sie den Durchgang zum nächsten Raum erreichen, nahm er nur eine Bewegung irgendwo in ihm war, als Aileen ihn zur Seite stieß und sich auf der anderen Seite gegen die Wand presste.
Ein Gegenstand zischte durch den Eingang, ein Pfeil, wie Knox nun erkannte.
Die Jägerin nahm ihren Bogen zur Hand, lugte um die Ecke und zuckte wieder zurück, als ein weiterer Pfeil dicht vor ihrem Gesicht vorbeirauschte.
„Sie sind zu zweit!“, raunte sie Knox zu. „Ich brauche nur einen Moment, in dem beide gleichzeitig nachladen, damit ich einen erwischen kann.“
Er verstand. Sie mussten die beiden Schützen dazu bringen, ihre Pfeile beide kurz hintereinander abzufeuern, dann würde sich ein kleines Zeitfenster zum Gegenangriff öffnen.
Knox nahm die Axt zur Hand und sah Aileen panisch den Kopf schütteln, lächelte aber nur und hob die Hand, um sie zu beruhigen. Die Jägerin entspannte sich wieder, als sie sah, worin seine eigentliche Absicht lag.
Er hielt die Klinge seiner Axt genau in den Eingang, gerade so weit, dass seine Hand noch in der Deckung blieb. Ganz wie erwartet, prallte mit überraschend großer Wucht ein Pfeil von ihr ab.
Aileen hielt kurz ihren Arm nach draußen und zog ihn hastig wieder zurück, gerade rechtzeitig, um dem vorhergesehenen, zweiten Pfeil zu entgehen.
Wie aus dem Nirgendwo gezogen hielt sie plötzlich selbst zwei Pfeile in der Hand, stellte sich in den Eingang und feuerte in schneller Abfolge beide Geschosse direkt hintereinander ab, ehe sie zurück hinter die Tür huschte.
„Ich habe sie beide erwischt“, beantwortete sie Knox‘ fragenden Blick.
Sie sah vorsichtig nocheinmal um die Ecke und entspannte sich dann wieder. „Und anscheinend waren das auch alle.“
Die Jägerin schulterte den Bogen wieder, betrat den Raum und bedeutete Knox, der noch immer in seiner Deckung verharrte, ihm zu folgen.
Die Mitte des Raumes nahm ein großes Wasserbecken ein, dessen Kante allerdings den Eindruck machte, als sei es ungeplant mit Gewalt hineingerissen worden, was es im Vergleich zur durchdachten Gestaltung des bisherigen Tempels wie einen Fremdkörper erscheinen ließ. Die Wände hingegen glichen mit ihren in regelmäßigen Abständen folgenden Säulen und Symbolen jenen im Ringkorridor dort draußen, wenn auch das Gestein eine dunklere, grauere Färbung als das Ockergelb im mutmaßlichen Zentrum des Tempels hatte.
Auf der rechten Seite des Bereiches befand sich eine verschlossene Tür mit einem eingravierten Dämonenschädel darauf, die aber, ganz wie die auf dem Korridor, keine Möglichkeit zum Öffnen erkennen ließ.
Wirklich interessant wirkte die Apparatur auf der ihnen gegenüberliegenden Seite des Raumes. Zwei Statuen, die jedoch aus Einzelteilen zusammengesetzt waren, was Knox wiederum darauf schließen ließ, dass sie sich noch bewegen sollten, hielten zwei ebenmäßig geschliffene Steine, die ganz danach aussahen, als sollten sie zusammengefügt werden. An der Unterseite befand sich jeweils ein halber Edelstein. Hinter ihnen tat sich in der Wand eine Nische auf, in der ein Hebel zu sehen war.
Drüben am Beckenrand lagen die beiden nun endgültig toten Zombie-Bogenschützen, die sie attackiert hatten, jeder von ihnen mit einem Pfeil im Kopf.
„Hör zu, es… tut mir leid, was ich alles zu dir gesagt habe“, sagte Aileen, während sie das Wasserbecken umgingen. „Langsam glaube ich, dass Thalia und Celia Recht hatten, wenn sie immer sagten, dass gar nicht alle Männer so…“
„Entschuldigung angenommen“, unterbrach Knox sie in ihrem Zögern. Er hob eine Augenbraue und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Aber woher der Sinneswandel?“
Nach ihrem überraschend friedfertigen Verhalten seit dem Betreten des Tempels war er nicht allzu überrascht, aber dennoch erfreut.
Sie kratzte sich nervös am Kopf. „Nun ja… ich glaube, es liegt daran, dass ihr mich zwar in eure Gruppe aufgenommen habt, aber nicht auf Biegen und Brechen versucht habt, das arme, kleine Mädchen zu trösten. Und weil, und das ist noch viel wichtiger, noch keiner von euch versucht hat, mich anzubaggern.“
Knox runzelte die Stirn. „Stimmt, selbst Leo hat sich tatsächlich mal zusammengerissen. Und was den Rest von uns angeht… nun ja, Nico ist schwul und ich… habe diese Sache mit der Liebe ohnehin nie wirklich verstanden.“
Und das Liebespaar war ja bereits tot, wie er in Gedanken hinzufügte. Welch eine Ironie, dass ihr Ruf als Gruppe sich dadurch anscheinend gebessert hatte…
„Moment mal, heißt das… du, Jane und Alaina, ihr seit…“
„Freunde, was denn sonst?“ Er machte eine kurze Pause. „Aber ich glaube, ich verstehe, worauf du hinauswillst. Und nein, in dieser Hinsicht ist da absolut nichts!“
Aileen sah Knox mit großen Augen an, was ihn darauf schließen ließ, dass sie mit dieser Antwort nicht gerechnet hatte. Genauso überraschte es ihn, dass sie diese Möglichkeit offenbar für so unwahrscheinlich hielt.
„Du… wirkst ziemlich überrascht“, bemerkte er ob ihrer ausbleibenden Antwort.
„Ja“, gab sie zu. „Bin ich. Ich meine, ihr drei wirkt so vertraut. Und das ganz ohne… du weißt schon, was.“
„Ist das so außergewöhnlich für dich?“
„Irgendwie schon… du bist genauso überrascht wie ich, oder?“
„Auch das lässt sich wohl nicht leugnen.“ Nach einer Weile fuhr er nach kurzerm Überlegen fort. „Hör zu, ich weiß, du willst nicht getröstet werden, aber… es tut mir leid, was mit den anderen Jägerinnen passiert ist.“
Aileens Miene verfinsterte sich, und Knox befürchtete schon, zu weit gegangen zu sein. „Das… hätte ich nicht sagen sollen, oder?“
„Nein, schon gut“, winkte sie ab. „Dass emotional taktvolles Verhalten nicht unbedingt deine Stärke ist, habe ich schon mitbekommen.“
Während sie das sagte, lächelte sie – zum ersten Mal, seit er sie kannte. Und hatte er da gerade Sarkasmus in ihrer Stimme gehört?
„Also sollte ich mich wohl für den Versuch bedanken. Aber es wäre mir wirklich lieber, nicht mehr darüber zu sprechen. Klar soweit?“
Er nickte. „Nur soviel. Wenn ich Raven und Aktaion jemals wiedersehe, werden sie für das bezahlen, was sie getan haben!“
„Nun…“ Aileens dünnes Lächeln wurde eine Spur breiter. „Damit kann ich leben!“
„Wenn dem so ist, dann bin ich froh, dass wir unseren Streit jetzt beigelegt haben.“
„Geht mir genauso. Ich schätze, ich sollte euch allen dankbar dafür sein, jetzt endlich gelernt zu haben, dass Vorurteile einen nicht unbedingt weiterbringen.“ Sie klang dabei unwahrscheinlich erleichtert, als ob ihre frühere Einstellung ihr selbst eher eine Last als irgendetwas anderes gewesen sei, die sie nun endlich ablegen konnte.
„Also dann… auf gute Zusammenarbeit!“
Knox betrat die Nische zwischen den beiden Statuen und legte den Hebel um. Zwar hatte er nicht die leiseste Ahnung, was das bewirken würde, aber es war das Einzige, was sie in diesem Raum tun konnten.
Die Stachelfallen drosselten ihr Tempo allmählich immer weiter, hielten schließlich an und zogen sich dann in die Wände zurück. Desweiteren hörte Knox, als er wieder zu Aileen in den Hauptraum trat, ein weiteres Geräusch aus dem ringförmigen Korridor. Womöglich hatte dieser Hebel den Zahnradmechanismus, den Leo entdeckt hatte, in Gang gesetzt.
„Schau dir das mal an!“, sagte Aileen und deutete auf die Statuen.
Knox drehte sich um und bekam gerade noch mit, wie die neuen Hebel, die aus den Sockeln, auf denen die Statuen standen, zum Stehen kamen.
„Die Statuen sehen ohnehin danach aus, als ob sie sich bewegen können“, bemerkte er. „Ich würde sagen, einen Versuch ist es wert.“
Sie griffen beide je einen der Hebel und stellten nach kurzem Experimentieren fest, dass sie sich nicht neigen ließen, und die Statuen anscheinend aufeinander zugeschoben werden mussten. Obwohl es für jeden von ihnen nur zwei Meter waren, brauchten sie ihre gesamte, körperliche Kraft, um die Gebilde verschieben zu können, zumal beide Statuen mechanisch miteinander verbunden waren und nur zeitgleich bewegt werden konnten. Ganz wie Knox erwartet hatte, drehten beide währenddessen ihren Oberkörper und setzten den halbierten Stein in der Mitte mit einem dumpfen Grollen zusammen.
Unmittelbar nachdem der Mechanismus eingerastet war, brach ein hell leuchtender Strahl aus dem zusammengesetzten Edelstein hervor und schoss mitten durch den Gang mit den Stachelwänden. War er möglicherweise der Schlüssel zur Tür mit dem Totenkopf?
Ebenso schnell wie er aufgetaucht war, verschwand der Strahl auch wieder, die Statuen lösten sich aus der Rastung und bewegten sich von selbst zu ihren Ursprungsorten zurück.
Knox und Aileen tauschten einen ratlosen Blick aus und traten den Rückweg zum Korridor an.
„Ihr habt es geschafft!“, rief Jane ihnen bereits von weitem zu. „Hier draußen ist vorhin so eine Art Hebel aufgetaucht!“
Knox verdrehte die Augen. „Schon wieder ein Hebel…“
Aileen neben ihm kicherte leise.
„Was hat der Strahl eigentlich bewirkt? Hat er vielleicht die Tür geöffnet?“, fragte Knox hoffnungsvoll.
„Nein, der hat gar nichts gemacht, außer uns zu blenden!“, erwiderte Jane.
Alaina trat an die Außenwand und sah nach oben zur Öffnung in der Höhlendecke. „Könnte es nicht sein, dass wir erst die Tür öffnen und dann den Strahl aktivieren müssen?“, mutmaßte sie. „Vielleicht gibt es in der Mitte der Ringe ja eine Art Empfänger dafür.“
„Vorschlag, Leute“, unterbrach Leo sie. „Wir probieren erstmal den Hebel da aus. Ich will endlich wissen, wie der Mechanismus funktioniert!“
Knox zuckte mit den Schultern, trat auf die jetzt heruntergefahrene Plattform, auf der sich eine Kurbel befand und begann, ihn gegen den Uhrzeigersinn zu drehen. Obwohl er hier einen bedeutend größeren Mechanismus betätigte, bewegte die Kurbel sich deutlich leichter als der Hebel, der den Strahl aktiviert hatte.
Und tatsächlich begann sich nun, nachdem alle von der Kurbel aus gesteuerten Zahnräder ineinandergegriffen hatten, die gesamte, äußere Ringwand entgegen der Hebelrichtung weiterzudrehen.
„Ich glaube, wir müssen mit der Türöffnung nach einem Durchgang in der Außenwand suchen!“, rief Leo ihm über die Getriebegeräusche hinweg begeistert zu. „Dreh einfach so lange weiter, bis wir dir Bescheid sagen!“
„Verstanden!“, rief er zurück.
Da es abgesehen von der Totenkopftür und dem Eingang keine markanten Orientierungshilfen im Ring gab, wusste Knox nicht, wo genau es war, aber nach eine Weile erreichte die Öffnung einen Gang in der Wand. Auf Leos Zeichen hin hielt er inne, und der Mechanismus korrigierte die letzten Dezimeter von selbst.
Knox stieg von der Plattform und warf einen Blick in den neugeöffneten Zugang. Ein zuächst ebenfalls natürlich wirkender Felsgang lag vor ihnen, die etwa zehn Meter vor ihnen stehenden, steinernen Statuen sowie der zielstrebig gerade Verlauf sprachen jedoch eindeutig für eine manuelle Bearbeitung. Ein kurzes Stück hinter den Statuen brach ein Schwall Sonnenlicht durch ein kleines Loch in der Decke.
Jane betrat den Gang langsam und sah sich dabei um. „Also wenn es hier so viele Zugänge von außen gibt, hätten wir uns doch auch von Festus irgendwo anders absetzen lassen können, oder?“
„Eher nicht“, entgegnete Alaina. „Es wirken einige mächtige Schutzzauber um uns herum, die ein unerwünschtes Eindringen durch die Wände verhindern würden. Ich fürchte, der vorgesehene Eingang, durch den wir gekommen sind, ist der einzige Weg hinein.“ Sie warf einen Seitenblick auf die Kurbel. „Außerdem hättest du an diesem Punkt nur vor einer Wand gestanden, solange der Mechanismus nicht aktiviert wäre.“
„Auch wieder wahr!“, gab Jane zu, ohne sich im Anschluss weiter darum zu kümmern.
Beim Passieren der Statuen erkannte Knox, dass sie beide auf einer Plattform standen, in die ein großes Omega eingraviert war, bekanntlich der letzt Buchstabe des griechischen Alphabets. Er hoffte nicht, dass dieses Ende eine Metapher für ihr Abenteuer darstellen sollte…
~
PS: Bevor ich es vergesse, möchte und muss ich mich hier noch bei Lyn S für das erste und bislang einzige Feedback zu den neueren Kapiteln bedanken. Ich war ungelogen ungemein froh darüber, endlich mal einen Eindruck davon zu bekommen, welchen Eindruck der weitere Verlauf der Geschichte beim Lesen machte!
Nach all den Strapazen mit Gargoyles, Lamien, Monsterfüchsen und natürlich unserer allerliebsten Lieblingskillerin Raven haben unsere Helden endlich den geheimnisvollen Tempel der Pandora erreicht. Welche Herausforderungen und Gefahren sie wohl in seinen Tiefen erwarten mögen... finden wir es heraus!
~
Kapitel LXXV - Der Tempel I: Die großen Ringe
In dem Moment, in dem Knox gemeinsam mit seinen Gefährten das mächtige Eingangstor des Tempels passierte, hatte er endlich das Gefühl, geistig wieder in der Gegenwart angelangt zu sein. Das plötzliche Erreichen ihres mystischen Zielortes hatte auch ihn überrumpelt, aber jetzt, wo die Lage wirklich ernst wurde, konnte und musste er seinen Fokus ungeteilt auf seine Umgebung und die vor ihnen liegende Aufgabe richten.
Das durch das offene Tor einfallende Sonnenlicht spiegelte sich auf dem teils sandbedeckten, doch an den freien Stellen noch immer blanken Kachelboden eines kurzen Korridors, an dessen Ende ein weiteres, rundes und mit altertümlichen Symbolen verziertes Portal auf sie wartete. Davor stand ein Sockel, auf dem ein aufgeschlagenes Buch lag. Sechs mächtige, mit langen, nadelspitzen Speeren ausgestattete Bronzestatuen, die selbst Knox um mehr als das Dreifache überragten, standen vor den Wänden und schienen ihren Blick auf die Mittellinie des Raumes zu richten, in die eine Reihe mit eckigen Spiralen geschmückter Steine eingelassen war.
Gerade als sie die ersten beiden Statuen passierten, fiel das gewaltige Eingangstor hinter ihnen mit einem dumpfen, endgültigen Grollen wieder zu und schloss sie in das mächtige Monument ein. Nur die vier zwischen den Statuen angebrachten Feuerpfannen sorgten nun noch für eine schwache Beleuchtung.
Knox atmete leise die trockene, staubige Luft des Tempels ein und ließ sie ebenso lautlos wieder entweichen. Spätestens jetzt musste jedem von ihnen klar sein, dass der Punkt, ab dem es keine Rückkehr mehr gab, erreicht war. Sie würden entweder die Büchse der Pandora finden oder beim Versuch in diesem verfluchten Gemäuer sterben. Eine andere Möglichkeit bestand nicht mehr, was Knox zum einen zwar mit Ehrfurcht, angesichts der scheinbaren Geradlinigkeit ihrer Aufgabe aber auch mit einer gewissen Ruhe erfüllte.
Während Knox‘ Augen sich noch an das Dämmerlicht im Raum gewöhnten, näherte Alaina sich bereits dem Buch, wobei sie ihre Umgebung genau zu beobachten schien.
„Dachte ich‘s mir doch“, sagte sie halblaut, nachdem sie das Schriftstück eine Weile betrachtet hatte. „Das Buch ist aus Stein, und der Text eingemeißelt. Papier hätte sich auch kaum all die Jahre über gehalten.“
Sie murmelte leise etwas vor sich hin und las dann für alle hörbar vor: „Dieser Tempel wurde errichtet zu Ehren und auf Befehl des mächtigen Gottes Zeus. Möge der Tapferste die Rätsel lösen und Gefahren bestehen. Ein Mann wird die ultimative Macht erlangen. Alle anderen finden den Tod.
Pathos Verdes III. – Hauptarchitekt und treuer Diener der Götter.“
„War ja klar, dass hier von einem Mann die Rede ist…“, murmelte Aileen leise.
Knox konnte sich nicht erklären, weshalb, aber es beruhigte ihn, dass es anscheinend ein Mensch, jedenfalls schätzte er den Architekten als einen solchen ein, gewesen war, der diesen Tempel entworfen hatte. Das Wissen um seinen Ursprung ließ das Gebilde greifbarer und weniger ominös erscheinen.
„Das hilft uns nicht weiter“, bemerkte Nico. „Da steht nichts, was wir nicht ohnehin schon wissen.“
Alaina setzte zu einer Antwort an: „Die Inschrift lässt immerhin darauf schließen, dass der Tempel bewusst so gebaut wurde, dass es auch möglich ist, die Büchse zu…“
Knox fuhr herum, als ein lautes, langgezogenes Kratzen sie unterbrach, und erkannte, dass sie sich bereits mitten in ihrer ersten Prüfung befanden.
Eine der ersten beiden Statuen hatte ihren Platz verlassen und stapfte nun langsam aber zielstrebig auf sie zu. Knox bemerkte erst jetzt die größtenteils bereits verweste Leiche, die noch aufgespießt am Speer hing; zuvor war die Spitze der Waffe noch im Dunkeln verborgen gewesen.
Er zückte seine Axt und ging in Kampfstellung, erkannte aber sofort, dass ein Frontalangriff gegen diesen Gegner nicht gut für ihn ausgehen würde.
Leo entfachte ein Feuer in seiner Hand und schickte sich an, die Statue in Flammen zu hüllen.
„Wartet!“, hielt Alaina sie zurück. „Seht euch mal seine Augen an!“
Knox betrachtete den bronzenen Kopf ihres Angreifers im Schein des Feuers genauer und erkannte jetzt ebenfalls die beiden roten Kristalle, die seine Augen darstellten.
„Natürlich!“, rief Leo aus. „Ich kenne diese Art von Energiezellen! Wenn wir sie zerstören, fällt das Ding in sich zusammen!“
Er runzelte die Stirn. „Auch, wenn mir nicht wohl dabei ist, so ein technologisches Wunderwerk zu zerstören…“
Knox ignorierte den Rest und trat dem Miniaturkolloss vorsichtig entgegen. Ihm war sofort klar gewesen, dass er mit roher Kraft hier nicht weit kommen würde, aber nun wusste er immerhin, was er angreifen musste...
Mit beängstigender Geschwindigkeit schwang die Statue den Speer und schleuderte ihnen die Leiche entgegen.
Knox wich dem Wurf aus, hörte aber noch, wie jemand anderes von dem Geschoss getroffen wurde. Doch ihm blieb keine Zeit, um sich umzusehen.
Der fast vier Meter lange Bronzespeer schnellte auf ihn zu und verfehlte ihn dank einer schnellen Drehung seinerseits nur knapp. Er versuchte, die Waffe zu Boden zu treten, seine Fußsohle prallte jedoch vollkommen wirkungslos vom massiven Metallschaft ab.
Sein Gegner fegte ihn mit einem weiteren Hieb von den Füßen und ließ ihn unsanft auf dem Rücken landen. Ein panischer Blick zur Seite verriet ihm, dass seine Freunde noch immer mehrere Meter entfernt standen und noch nicht so recht zu wissen schienen, wie sie mit der Situation umgehen sollten.
Als der Bronzekrieger erneut zum Stoß ausholte, zog Knox instiktiv die Axt vor die Brust, um sein Herz zu schützen. Obwohl ihr Gesicht vollkommen unbeweglich war, meinte Knox, die Statue hämisch grinsen zu sehen, als sie die Richtung leicht veränderte und nun direkt auf seinen ungeschützten Bauch zielte.
„Nein!“, rief Jane der Statue trotzig entgegen, und ein ebenso schnell angelegter wie sorgsam gezielter Pfeilschuss zerschmetterte ihr linkes Auge und ließ sie mehrere Schritte zurückstolpern.
Dennoch streifte der Speer seinen Körper, zerriss einen Teil seines Hemdes und fügte ihm einen flachen, aber dennoch blutigen Kratzer am Bauch zu. Er zischte und biss die Zähne zusammen.
Nachdem er sich vom ersten Schock erholt hatte, erkannte Knox seine Chance, sprang wieder auf und spurtete auf den geschwächten Gegner zu.
Er wich mühelos einem weiteren, diesmal völlig unkontrollierten Stoß aus, nutzte den Speer als Trittbrett und sprang zum Kopf des Angreifers hoch.
Mit der linken Hand krallte er sich im Nacken der Statue fest, die Füße stemmte er gegen den Oberkörper. Dann rammte er seinen Axtgriff mit voller Wucht in ihr rot funkelndes, rechtes Auge.
Der spröde Kristall zersplitterte augenblicklich, und die Statue erstarrte. Knox fand nicht mehr die Zeit, abzuspringen, ehe sie unter lautem Getöse zusammenbrach und ihn unter ihren Einzelteilen begrub.
Er hatte großes Glück, sich dabei nichts zu brechen, aber schmerzhaft waren die schweren Bronzestücke dennoch und fügten ihm mit Sicherheit einige Prellungen zu.
Alaina eilte zu ihm und half ihm wieder auf. Er wollte etwas sagen, um sie zu beruhigen, aber das, was hinter ihr geschah, ließ ihm die Worte im Rachen steckenbleiben.
Die Symbole rund um das Ausgangsportal herum begannen, eines nach dem anderen zu leuchten, ehe die kreisförmige Steinplatte sich aus ihrer Verankerung löste, nach vorne bewegt wurde, um anschließend in einer eigens dafür angelegten Rinne zur Seite zu rollen und den Weg in das Innere des Tempels freizugeben.
„Scheint, als hätten wir die Aufnahmeprüfung bestanden“, fand Knox seine Sprache wieder. „Ich nehme an, der eigentliche Spaß fängt jetzt erst an!“
„Richtig, die Aufnahmeprüfung“, raunte Alaina ihm leise zu und tastete vorsichtig seine Wunde ab. Die Berührung brannte, und er zuckte zurück. „Bei der du um ein Haar mit einem Speer im Bauch geendet hättest.“
Knox sah betreten zur Seite. Gerne hätte er es einfach abgeschlagen, aber sie hatte Recht. Wäre Jane nicht so schnell gewesen, hätte der Speerstoß ihn geradewegs durchbohrt, und er wäre jetzt damit beschäftigt, seine Innereien wieder einzusammeln…
„Du musst nicht darauf antworten“, fuhr Alaina fort. „Aber…“
Sie packte seine Schulter und hielt ihn an. „Pass in Zukunft verdammt nochmal besser auf! Ich will dich nicht an eine dieser verfluchten Fallen verlieren. Und ich bin sicher, Jane auch nicht!“
Er sah Alaina lange in die Augen, klopfte ihr dann sanft auf die Schulter und nickte.
„Gut“, sagte sie leise, beinahe gehaucht. „Das beruhigt mich… ein wenig.“
Knox blieb noch einen Moment stehen und sah ihr nach, als sie zu den Anderen zurückkehrte. Er erinnerte sich überdeutlich an ihr Gespräch am gestrigen Abend, als sie offenbart hatte, weshalb sie trotz ihrer Ängste mit auf die Mission gekommen war. Es ging ihr nur darum, ihn und Jane zu beschützen, alles andere, selbst die Erfüllung des Auftrages, was für sie nur zweitrangig. Und keinesfalls sollte sie seinetwegen scheitern…
Sie durchquerten das nun offene Tor und betraten seitwärts einen langen, gebogenen Korridor, der bis auf einige, ihn überspannende Steinbalken nach oben hin offen war. Darüber erstreckte sich wie ein kleines, kantiges Firmament eine gewaltige, natürliche Höhle, an deren Zenit ein mehrere Meter großer Spalt aufklaffte, durch den Sonnenlicht hineinströmte.
Nachdem Knox den Anblick verarbeitet hatte, machte er sich kurz Sorgen, dass es bei Einbruch der Nach hier drinnen völlig dunkel sein würde, dann erst registrierte er die auch hier an den Wänden angebrachten Feuerpfannen und beruhigte sich wieder.
Der Gang war reich mit gemeißelten Mustern und altertümlichen Schriftzeichen verziert, blutrote Banner hingen scheinbar zur Dekorationszwecken von Wänden und Steinbalken hinab.
„Hier scheint sich ja jemand echte Mühe gegeben zu haben, dass man sich auch schön wohl fühlt, während man um sein Leben kämpft…“, bemerkte er. „Für einen in erster Linie als Prüfung angelegten Ort scheint mir das ein bisschen viel Dekoration zu sein.“
„Vielleicht ist das Ganze ja als Ablenkung gedacht“, mutmaßte Alaina und schob einen der Stoffstreifen beiseite, um sich die Wand dahinter anzusehen. „Damit wir das eigentlich Wichtige gar nicht bemerken. Oder erst dann, wenn es zu spät ist.“
„Ich frage mich, wer die Kohlepfannen am Brennen hält“, sagte Jane. „Es muss ziemlich anstrengend für die beiden Harpyien sein, ständig den ganzen Tempel zu überprüfen, und überall Brennstoff nachzufüllen.“
Alaina schüttelte den Kopf. „Nein, das Feuer ist magischer Natur. Den Zauber kenne ich zwar nicht, aber dass es einer ist, kann ich deutlich spüren.“
Sie fuhren damit fort, die Umbgebung zu inspizieren. Knox las einige der altgriechischen Inschriften und kam zu dem Schluss, dass es sich bei ihnen lediglich um Drohungsphrasen handelte, die Abenteurer einschüchtern sollten.
„Hey Leute, das hier sieht interessant aus!“, rief Leo.
Er hatte etwas neues in einer der Wände entdeckt, in der Tat das erste in diesem Gang, was eine Funktion zu haben schien.
„Ein Zahnrad“, fuhr er fort, als er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass der gesamte Korridor ein einziger, großer Mechanismus ist, den wir selber bedienen müssen! Diesen Architekten hätte ich wirklich zu gern einmal kennengelernt…“
„Dann schlage ich vor…“, unterbrach Alaina ihn, was eine beleidigte Grimasse seinerseits nach sich zog, „…dass wir diesen Gang ersteinmal ablaufen. Bis jetzt sieht er für mich nach einem großen Ring aus. Vielleicht finden wir ja irgendwo einen Hebel, mit dem wir diesen Mechanismus in Gang setzen können.“
Sie folgten Alainas Vorschlag ohne weitere Einwände und stapften vom Eingang aus nach rechts eine ganze Weile den Gang entlang, der sowohl seine runde Form als auch den Dekorationsstil beibehielt.
Erst als der Eingang am Ende der Rundung bereits wieder in Sicht kam, was die Ringform des Ganges bewies, stießen sie endlich auf zwei gegenüberliegende Ausgänge. Wie viel einfacher es doch gewesen wäre, einfach in die andere Richtung zu gehen…
Das gleichmäßige, rhytmische Stampfen, das Knox bereits seit einer halben Minute zu hören glaubte, offenbarte seinen Ursprung. Teile der Wände des Ganges auf der Außenseite waren mit Dornen besetzt und prallten in regelmäßen Abständen mit einer Kraft aufeinander, die den Boden selbst hier draußen im Ring noch vibrieren ließ. Ihre erste, richtige Prüfung, wie es schien…
Der andere Ausgang wurde von einer verschlossenen Tür blockiert, in deren Mitte ein gigantischer Steinschädel mit einer auffälligen Vertiefung in der Stirn eingelassen war. Knox ahnte, dass sich irgendwo hinter den Todeswänden der Schlüssel zu dieser Tür verbergen mochte. Eine beunruhigend lange Zeit schwiegen sie sich nur an und warfen hin und wieder hoffnungsvolle Blicke zur Tür, dann entschied Knox, dass einer das Offensichtliche aussprechen musste.
„Hier kommen wir nicht weiter!“, sagte er. „Ich fürchte, wir haben keine andere Wahl, als uns an diesen Wänden vorbeizukämpfen.“
„Und… wer soll es deiner Meinung nach versuchen?“, fragte Aileen.
Er sah sie verwundert an. Verwundert zum einen deshalb, weil es das erste Mal seit dem Kampf auf dem Schrottplatz war, dass sie wieder einen vollständigen Satz zustande brachte. Zum anderen deshalb, weil er keinen aggressiven oder auch nur gereizten Unterton heraushören konnte. Sondern einfach nur eine normale Frage. Beinahe so als ob sie seinem Urteil vertrauen würde.
„Ich gehe“, sagte er und wandte sich dann wieder an die gesamte Gruppe. „Aber ich weiß nicht, was da hinten ist, daher würde ich mich wohle fühlen, wenn mich noch einer von euch begleitet.“
Aileen nickte langsam. „Dann lass mich mitkommen. Wenn… das in Ordnung für dich ist.“
Verblüfft über ihre plötzliche Friedfertigkeit antwortete er zögernd: „Ja… natürlich ist das in Ordnung.“
Sie nickte erneut, scheinbar zufrieden.
„Ich komme auch mit!“, bestimmte Jane.
Knox sah sie lange nur an und überlegte, wie er ihr begegnen sollte… Sie wollte ihn auf keinen Fall allein lassen, und er hätte niemanden lieber an seiner Seite gehabt, doch… „Jane, ich glaube, es… ist besser, wenn wir nur zu zweit gehen. So sind wir einfach flexibler. Außerdem ist das Risiko für die Gruppe am geringsten, wenn… möglichst wenige Mitglieder zur Zeit ihr Leben riskieren.“
Sie schloss die Augen, schien einen Moment zu überlegen und nickte dann.
„Ich verstehe…“ Ohne Vorwarnung sprang sie auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch. „Aber versprich mir, dass du wieder zurückkommst! Versprich es!“
„Ich werde zurückkommen“, antwortete er. „Geschworen!“
Sie ließ ihn wieder los. „Dann… ist ja alles gut. Viel Glück da drinnen! Du wirst es brauchen.“
Sie machte eine Pause und sah dann die Jägerin an. „Das gilt auch für dich, Aileen! Und pass ja gut auf ihn auf!“
Ehe sie den Todesgang betraten, mussten sie sich den anscheinend in mehrere Intervalle eingeteilten Rhythmus der Wände erst einprägen, um überhaupt eine Chance zu haben. Um sich dies zu erleichtern, stampfte Knox den Takt leise mit dem Fuß mit, bis er das Gefühl hatte, ihn sicher vorhersehen zu können.
Er nickte Aileen zu, und sie traten gemeinsam vor die erste der insgesamt vier Stachelfallen. Knox spürte den Druck der aus dem Spalt entweichenden Luft auf seinem Gesicht, als die spitzen Wände direkt vor ihm aufeinanderprallten. Nur eine falsche Bewegung, und diese Kräfte würden ihn und seine Begleiterin zu Brei zermalmen…
Knox nahm eine Bewegung neben sich wahr und sah, wie Aileen vorpreschte. Die Wände prallten wieder aufeinander, versperrten seine Sicht, und für einen Moment befürchtete er, sie hätten die Jägerin erwischt.
Doch dem war glücklicherweise nicht so, wie er nur einen Augenblick später feststellte. Nocheinmal atmete er tief durch. Er konnte das auch. Er musste es können.
Sich voll und ganz nach dem Rhythmus in seinem Fuß richtend wählte er den Moment und sprang mit aller Kraft nach vorn. In dem Moment, indem er sich in der tödlichen Zone befand, spürte er nichts. Keine Angst, keine Nervosität, nur feste, ungebrochene Konzentration und der unbedingte Wille, den nächsten Meter zu überleben.
Es gelang. Ihm blieb sogar noch ein kurzer, aber deutlicher Moment Zeit, ehe die Stacheln die Luft hinter ihm durchbohrten.
Obwohl die nächsten beiden Wände sich rhythmisch leicht von der ersten unterschieden, und sie dementsprechend ihren Rhythmus umstellen musste, entwickelte sich der Ablauf zu einer Routine, die sie sicher bis kurz vor ihr Ziel brachte.
Doch die letzte der Wände funktionierte etwas anders. So sehr sie sich auch bemühten, sie konnten keinen gleichmäßigen Rhythmus in ihr erkennen. Gerade als Knox schon dachte, man müsse sich rein auf sein Glück verlassen, registrierte er allmählich, dass nach zwei sehr kurzen Pausen immer eine etwas längere folgte, die zwar deutlich varrierte, aber zumindest theoretisch in jeder Version genug Zeit bieten müsste, um hindurchzuschlüpfen.
Er sah Aileen in die Augen, ahmte den Fast-Rhythmus mit seinem Finge nach, und ihr Nicken verriet, dass sie ihn verstanden hatte.
Noch ein weiteres Intervall warteten sie ab, dann sprinteten sie beide gleichzeitig los.
Knox erreichte sicher, die andere Seite, doch Aileen stolperte und fiel genau zwischen die Wände.
Nur für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Knox ihr Ende gekommen, dann folgte seine Reaktion. Er trat zurück zwischen die tödlichen Stacheln, packte sie und zerrte sie so schnell er konnte hinaus. Nur einen Fingebreit vor ihrer Fußspitze zermalmten die Wände bei ihrem nächsten Aufeinanderprallen enttäuscht die Luft.
Erleichtert ließ er sich anschließend selbst auf dem Boden nieder, um durchzuatmen. Die Jägerin saß nur da, starrte die Stacheln an und schien erst langsam zu begreifen, was gerade passiert war.
Dann drehte sie sich zu ihm und sah ihn mit einem völlig neuen, aber offenkundig überraschten Gesichtsausdruck an. „Du… hast mich gerettet…“
„Ja… ja, sieht so aus.“
„Du hättest selbst dabei umkommen können… Danke…“
„Hättest du mit Sicherheit auch getan, wenn ich gestolpert wäre. Los, komm, wir müssen weiter!“
Knox stand auf und reichte ihr anschließend die Hand, um ihr aufzuhelfen, was sie tatsächlich annahm.
Als sie den Durchgang zum nächsten Raum erreichen, nahm er nur eine Bewegung irgendwo in ihm war, als Aileen ihn zur Seite stieß und sich auf der anderen Seite gegen die Wand presste.
Ein Gegenstand zischte durch den Eingang, ein Pfeil, wie Knox nun erkannte.
Die Jägerin nahm ihren Bogen zur Hand, lugte um die Ecke und zuckte wieder zurück, als ein weiterer Pfeil dicht vor ihrem Gesicht vorbeirauschte.
„Sie sind zu zweit!“, raunte sie Knox zu. „Ich brauche nur einen Moment, in dem beide gleichzeitig nachladen, damit ich einen erwischen kann.“
Er verstand. Sie mussten die beiden Schützen dazu bringen, ihre Pfeile beide kurz hintereinander abzufeuern, dann würde sich ein kleines Zeitfenster zum Gegenangriff öffnen.
Knox nahm die Axt zur Hand und sah Aileen panisch den Kopf schütteln, lächelte aber nur und hob die Hand, um sie zu beruhigen. Die Jägerin entspannte sich wieder, als sie sah, worin seine eigentliche Absicht lag.
Er hielt die Klinge seiner Axt genau in den Eingang, gerade so weit, dass seine Hand noch in der Deckung blieb. Ganz wie erwartet, prallte mit überraschend großer Wucht ein Pfeil von ihr ab.
Aileen hielt kurz ihren Arm nach draußen und zog ihn hastig wieder zurück, gerade rechtzeitig, um dem vorhergesehenen, zweiten Pfeil zu entgehen.
Wie aus dem Nirgendwo gezogen hielt sie plötzlich selbst zwei Pfeile in der Hand, stellte sich in den Eingang und feuerte in schneller Abfolge beide Geschosse direkt hintereinander ab, ehe sie zurück hinter die Tür huschte.
„Ich habe sie beide erwischt“, beantwortete sie Knox‘ fragenden Blick.
Sie sah vorsichtig nocheinmal um die Ecke und entspannte sich dann wieder. „Und anscheinend waren das auch alle.“
Die Jägerin schulterte den Bogen wieder, betrat den Raum und bedeutete Knox, der noch immer in seiner Deckung verharrte, ihm zu folgen.
Die Mitte des Raumes nahm ein großes Wasserbecken ein, dessen Kante allerdings den Eindruck machte, als sei es ungeplant mit Gewalt hineingerissen worden, was es im Vergleich zur durchdachten Gestaltung des bisherigen Tempels wie einen Fremdkörper erscheinen ließ. Die Wände hingegen glichen mit ihren in regelmäßigen Abständen folgenden Säulen und Symbolen jenen im Ringkorridor dort draußen, wenn auch das Gestein eine dunklere, grauere Färbung als das Ockergelb im mutmaßlichen Zentrum des Tempels hatte.
Auf der rechten Seite des Bereiches befand sich eine verschlossene Tür mit einem eingravierten Dämonenschädel darauf, die aber, ganz wie die auf dem Korridor, keine Möglichkeit zum Öffnen erkennen ließ.
Wirklich interessant wirkte die Apparatur auf der ihnen gegenüberliegenden Seite des Raumes. Zwei Statuen, die jedoch aus Einzelteilen zusammengesetzt waren, was Knox wiederum darauf schließen ließ, dass sie sich noch bewegen sollten, hielten zwei ebenmäßig geschliffene Steine, die ganz danach aussahen, als sollten sie zusammengefügt werden. An der Unterseite befand sich jeweils ein halber Edelstein. Hinter ihnen tat sich in der Wand eine Nische auf, in der ein Hebel zu sehen war.
Drüben am Beckenrand lagen die beiden nun endgültig toten Zombie-Bogenschützen, die sie attackiert hatten, jeder von ihnen mit einem Pfeil im Kopf.
„Hör zu, es… tut mir leid, was ich alles zu dir gesagt habe“, sagte Aileen, während sie das Wasserbecken umgingen. „Langsam glaube ich, dass Thalia und Celia Recht hatten, wenn sie immer sagten, dass gar nicht alle Männer so…“
„Entschuldigung angenommen“, unterbrach Knox sie in ihrem Zögern. Er hob eine Augenbraue und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Aber woher der Sinneswandel?“
Nach ihrem überraschend friedfertigen Verhalten seit dem Betreten des Tempels war er nicht allzu überrascht, aber dennoch erfreut.
Sie kratzte sich nervös am Kopf. „Nun ja… ich glaube, es liegt daran, dass ihr mich zwar in eure Gruppe aufgenommen habt, aber nicht auf Biegen und Brechen versucht habt, das arme, kleine Mädchen zu trösten. Und weil, und das ist noch viel wichtiger, noch keiner von euch versucht hat, mich anzubaggern.“
Knox runzelte die Stirn. „Stimmt, selbst Leo hat sich tatsächlich mal zusammengerissen. Und was den Rest von uns angeht… nun ja, Nico ist schwul und ich… habe diese Sache mit der Liebe ohnehin nie wirklich verstanden.“
Und das Liebespaar war ja bereits tot, wie er in Gedanken hinzufügte. Welch eine Ironie, dass ihr Ruf als Gruppe sich dadurch anscheinend gebessert hatte…
„Moment mal, heißt das… du, Jane und Alaina, ihr seit…“
„Freunde, was denn sonst?“ Er machte eine kurze Pause. „Aber ich glaube, ich verstehe, worauf du hinauswillst. Und nein, in dieser Hinsicht ist da absolut nichts!“
Aileen sah Knox mit großen Augen an, was ihn darauf schließen ließ, dass sie mit dieser Antwort nicht gerechnet hatte. Genauso überraschte es ihn, dass sie diese Möglichkeit offenbar für so unwahrscheinlich hielt.
„Du… wirkst ziemlich überrascht“, bemerkte er ob ihrer ausbleibenden Antwort.
„Ja“, gab sie zu. „Bin ich. Ich meine, ihr drei wirkt so vertraut. Und das ganz ohne… du weißt schon, was.“
„Ist das so außergewöhnlich für dich?“
„Irgendwie schon… du bist genauso überrascht wie ich, oder?“
„Auch das lässt sich wohl nicht leugnen.“ Nach einer Weile fuhr er nach kurzerm Überlegen fort. „Hör zu, ich weiß, du willst nicht getröstet werden, aber… es tut mir leid, was mit den anderen Jägerinnen passiert ist.“
Aileens Miene verfinsterte sich, und Knox befürchtete schon, zu weit gegangen zu sein. „Das… hätte ich nicht sagen sollen, oder?“
„Nein, schon gut“, winkte sie ab. „Dass emotional taktvolles Verhalten nicht unbedingt deine Stärke ist, habe ich schon mitbekommen.“
Während sie das sagte, lächelte sie – zum ersten Mal, seit er sie kannte. Und hatte er da gerade Sarkasmus in ihrer Stimme gehört?
„Also sollte ich mich wohl für den Versuch bedanken. Aber es wäre mir wirklich lieber, nicht mehr darüber zu sprechen. Klar soweit?“
Er nickte. „Nur soviel. Wenn ich Raven und Aktaion jemals wiedersehe, werden sie für das bezahlen, was sie getan haben!“
„Nun…“ Aileens dünnes Lächeln wurde eine Spur breiter. „Damit kann ich leben!“
„Wenn dem so ist, dann bin ich froh, dass wir unseren Streit jetzt beigelegt haben.“
„Geht mir genauso. Ich schätze, ich sollte euch allen dankbar dafür sein, jetzt endlich gelernt zu haben, dass Vorurteile einen nicht unbedingt weiterbringen.“ Sie klang dabei unwahrscheinlich erleichtert, als ob ihre frühere Einstellung ihr selbst eher eine Last als irgendetwas anderes gewesen sei, die sie nun endlich ablegen konnte.
„Also dann… auf gute Zusammenarbeit!“
Knox betrat die Nische zwischen den beiden Statuen und legte den Hebel um. Zwar hatte er nicht die leiseste Ahnung, was das bewirken würde, aber es war das Einzige, was sie in diesem Raum tun konnten.
Die Stachelfallen drosselten ihr Tempo allmählich immer weiter, hielten schließlich an und zogen sich dann in die Wände zurück. Desweiteren hörte Knox, als er wieder zu Aileen in den Hauptraum trat, ein weiteres Geräusch aus dem ringförmigen Korridor. Womöglich hatte dieser Hebel den Zahnradmechanismus, den Leo entdeckt hatte, in Gang gesetzt.
„Schau dir das mal an!“, sagte Aileen und deutete auf die Statuen.
Knox drehte sich um und bekam gerade noch mit, wie die neuen Hebel, die aus den Sockeln, auf denen die Statuen standen, zum Stehen kamen.
„Die Statuen sehen ohnehin danach aus, als ob sie sich bewegen können“, bemerkte er. „Ich würde sagen, einen Versuch ist es wert.“
Sie griffen beide je einen der Hebel und stellten nach kurzem Experimentieren fest, dass sie sich nicht neigen ließen, und die Statuen anscheinend aufeinander zugeschoben werden mussten. Obwohl es für jeden von ihnen nur zwei Meter waren, brauchten sie ihre gesamte, körperliche Kraft, um die Gebilde verschieben zu können, zumal beide Statuen mechanisch miteinander verbunden waren und nur zeitgleich bewegt werden konnten. Ganz wie Knox erwartet hatte, drehten beide währenddessen ihren Oberkörper und setzten den halbierten Stein in der Mitte mit einem dumpfen Grollen zusammen.
Unmittelbar nachdem der Mechanismus eingerastet war, brach ein hell leuchtender Strahl aus dem zusammengesetzten Edelstein hervor und schoss mitten durch den Gang mit den Stachelwänden. War er möglicherweise der Schlüssel zur Tür mit dem Totenkopf?
Ebenso schnell wie er aufgetaucht war, verschwand der Strahl auch wieder, die Statuen lösten sich aus der Rastung und bewegten sich von selbst zu ihren Ursprungsorten zurück.
Knox und Aileen tauschten einen ratlosen Blick aus und traten den Rückweg zum Korridor an.
„Ihr habt es geschafft!“, rief Jane ihnen bereits von weitem zu. „Hier draußen ist vorhin so eine Art Hebel aufgetaucht!“
Knox verdrehte die Augen. „Schon wieder ein Hebel…“
Aileen neben ihm kicherte leise.
„Was hat der Strahl eigentlich bewirkt? Hat er vielleicht die Tür geöffnet?“, fragte Knox hoffnungsvoll.
„Nein, der hat gar nichts gemacht, außer uns zu blenden!“, erwiderte Jane.
Alaina trat an die Außenwand und sah nach oben zur Öffnung in der Höhlendecke. „Könnte es nicht sein, dass wir erst die Tür öffnen und dann den Strahl aktivieren müssen?“, mutmaßte sie. „Vielleicht gibt es in der Mitte der Ringe ja eine Art Empfänger dafür.“
„Vorschlag, Leute“, unterbrach Leo sie. „Wir probieren erstmal den Hebel da aus. Ich will endlich wissen, wie der Mechanismus funktioniert!“
Knox zuckte mit den Schultern, trat auf die jetzt heruntergefahrene Plattform, auf der sich eine Kurbel befand und begann, ihn gegen den Uhrzeigersinn zu drehen. Obwohl er hier einen bedeutend größeren Mechanismus betätigte, bewegte die Kurbel sich deutlich leichter als der Hebel, der den Strahl aktiviert hatte.
Und tatsächlich begann sich nun, nachdem alle von der Kurbel aus gesteuerten Zahnräder ineinandergegriffen hatten, die gesamte, äußere Ringwand entgegen der Hebelrichtung weiterzudrehen.
„Ich glaube, wir müssen mit der Türöffnung nach einem Durchgang in der Außenwand suchen!“, rief Leo ihm über die Getriebegeräusche hinweg begeistert zu. „Dreh einfach so lange weiter, bis wir dir Bescheid sagen!“
„Verstanden!“, rief er zurück.
Da es abgesehen von der Totenkopftür und dem Eingang keine markanten Orientierungshilfen im Ring gab, wusste Knox nicht, wo genau es war, aber nach eine Weile erreichte die Öffnung einen Gang in der Wand. Auf Leos Zeichen hin hielt er inne, und der Mechanismus korrigierte die letzten Dezimeter von selbst.
Knox stieg von der Plattform und warf einen Blick in den neugeöffneten Zugang. Ein zuächst ebenfalls natürlich wirkender Felsgang lag vor ihnen, die etwa zehn Meter vor ihnen stehenden, steinernen Statuen sowie der zielstrebig gerade Verlauf sprachen jedoch eindeutig für eine manuelle Bearbeitung. Ein kurzes Stück hinter den Statuen brach ein Schwall Sonnenlicht durch ein kleines Loch in der Decke.
Jane betrat den Gang langsam und sah sich dabei um. „Also wenn es hier so viele Zugänge von außen gibt, hätten wir uns doch auch von Festus irgendwo anders absetzen lassen können, oder?“
„Eher nicht“, entgegnete Alaina. „Es wirken einige mächtige Schutzzauber um uns herum, die ein unerwünschtes Eindringen durch die Wände verhindern würden. Ich fürchte, der vorgesehene Eingang, durch den wir gekommen sind, ist der einzige Weg hinein.“ Sie warf einen Seitenblick auf die Kurbel. „Außerdem hättest du an diesem Punkt nur vor einer Wand gestanden, solange der Mechanismus nicht aktiviert wäre.“
„Auch wieder wahr!“, gab Jane zu, ohne sich im Anschluss weiter darum zu kümmern.
Beim Passieren der Statuen erkannte Knox, dass sie beide auf einer Plattform standen, in die ein großes Omega eingraviert war, bekanntlich der letzt Buchstabe des griechischen Alphabets. Er hoffte nicht, dass dieses Ende eine Metapher für ihr Abenteuer darstellen sollte…
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PS: Bevor ich es vergesse, möchte und muss ich mich hier noch bei Lyn S für das erste und bislang einzige Feedback zu den neueren Kapiteln bedanken. Ich war ungelogen ungemein froh darüber, endlich mal einen Eindruck davon zu bekommen, welchen Eindruck der weitere Verlauf der Geschichte beim Lesen machte!