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A Long Night

von Lady Blue
Kurzbeschreibung
KurzgeschichteFreundschaft, Schmerz/Trost / P16 / Het
Adam Jensen Faridah Malik
27.12.2015
27.12.2015
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6.063
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27.12.2015 6.063
 
A Long Night

Mit kraftlosen Schritten betrat Adam sein neues Apartment im Chiron-Gebäude, zuckte kurz auf, als das Sicherheitssystem ihn begrüßte. Er betrachtete die Schaltfläche und ballte seine neue Hand, fühlte dabei jede Faser und wie das leichte Metall leise knirschend aneinander rieb. Die letzten drei Monate hatte Adam in einem Hinterzimmer der LIMB-Klinik verbracht, um sich zu regenerieren. Verborgen und versteckt vor jeglicher Öffentlichkeit, da man befürchtete, die Terroristen, die Sarif Industries angriffen, würden Adam eine Kugel durch den Kopf jagen, um ihren Job zu erledigen.

Im Bestreben ihn zu „verbessern“, weit über menschliche Fähigkeiten, hatte sich David Sarif persönlich um eine Gegenleistung gekümmert. Für die Tortur, die Adam ertragen musste, bekam er ein Entschädigungspaket. Sarif unterzeichnet Papiere in denen er bestätigte für die Kosten einer neuen Wohnung aufzukommen. Er hatte sie sogar ein Jahr im Voraus bezahlt. Der andere Teil des Paketes beinhaltete eine Gehaltserhöhung, damit Adam das Apartment weiterhin finanzieren konnte, auch wenn die Miete noch steigen sollte.

Es war nicht so, dass Adam die Geste nicht schätzen würde, aber Geld und ein fremder Ort glichen keinesfalls die Schmerzen, die die Augmentierungen verursachten, aus. Er betrat die Küche, die sich gleich links am Eingang befand und ließ dort erschöpft seine Tasche fallen. Dinge einfach fallen zu lassen war einfacher, als etwas zu greifen. In der Küche waren Umzugskisten halbherzig gestapelt. Ohne Zweifel von David Sarifs weniger enthusiastischen Mitarbeiter. Mitarbeiter, die vielleicht Mitschuld an Adams Verletzungen trugen.

Adam wandte sich nun der Sicherheitsschaltfläche zu und brachte seine Hand mit Konzentration unter Kontrolle um nichts zu zerstören. Erst als er gewiss war, dass seine gedanklichen Befehle richtig ausgeführt werden würde, tippte er auf die Oberfläche und verschloss die Tür für die Nacht. Er ging wieder in die Küche und fuhr mit den mechanischen Fingern über die aus Marmorbesetzten Arbeitsflächen des Schrankes. Er konnte zwar das Material zuordnen, aber es war auf so einer fremdartigen Weise. So unecht. Er entschied sich etwas zu trinken und holte bedacht ein Glas aus einer der Kisten. Dieses statische Gefühl seiner Finger auf der glatten Oberfläche war seltsam belastend.

Er war gerade dabei den Wasserhahn aufzudrehen, als ein bernsteinfarbenes Glitzern seine Aufmerksamkeit erregte. Seine neue Netzhautprothese fokussierte durch die Öffnung in der Küchenwand den Kaffeetisch, der vor dem Fernseher im Wohnzimmer stand. Er schritt die Stufen schleppend hinab zum Wohnzimmer. Auf den kleinen Tisch stand eine Flasche seines Lieblingswhiskeys. Darunter eine Notiz mit Davids Signatur:

Trink nicht alles auf einmal. Willkommen zu Hause, Sohn.

Adam ließ sich auf die Couch fallen, griff beherrscht nach der Flasche und drehte den Verschluss, aber trotz der Vorsicht splitterte sie. Er versuchte die Risse, die sich wie ein Spinnennetz entlang des Flaschenhalses zogen, zu ignorieren und kippte etwas von dem Alkohol ins Glas, als plötzlich ein scharfes Stechen seine linke Schulter durchzog. Der Arm verkrampfte, die feinen elektronischen Kabel sendeten zwickende Impulse aus, worauf Adam das Glas in seiner Hand zerdrückte und es in seiner Hand splitterte.  Eine heiße Welle durchströmte seine Brust und er schleuderte rasend die Scherben so knapp an der Whiskeyflasche vorbei, dass sich weitere haarfeine Risse im Glas bildeten. Sein Rücken verspannte sich vor Wut. Er beugte sich über den Tisch, atmete schwer, schloss die Augen um sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Langsam milderte er die Atmung und die Anspannung wieder und stand dann auf. Er lief mit schlürfendem Gang und der Flasche ins Schlafzimmer. Das Bett und den Computer hatten sie als letztes aus seiner alten Wohnung hergebracht. Von den anderen Räumen, so fand er, war das der tröstlichste, obwohl er zum ersten Mal einen Fuß auf den dunklen Boden setzte. Faridah hatte eine Nachricht an seiner Tür hinterlassen. Sie war die Woche dagewesen um schon Wesentliches auszupacken und zu ordnen. Infolgedessen war seine Kommode voll mit Kleidung und sein Bett war auch gemacht. Die Kissen lagen ordentlich angeordnet auf einer zurückgeschlagenen Bettdecke. Er ignorierte die Tatsache, dass Faridah das Bett auf gleicher Weise machte wie Megan es getan hatte. Bevor er und Megan zusammen wohnten, war es nie so. Für ihn war sowas nur nebensächlich, aber es zeigte Megans Liebe zum Detail und mit der Zeit hatte er sich auch daran gewöhnt.

Adam setzte sich müde auf dem Stuhl vor seinen Schreibtisch, hatte seinen Kopf in seine Hände gelegt und drehte den Stuhl ein bisschen mit den Füßen, was ihn seltsamerweise beruhigte. Er spürte sein stark schlagendes Herz, so, als befände er sich gerade in einem Feuergefecht. Beide seine Schultern schmerzten mit starkem Druck und die Stellen, wo Implantate in der Brust reingesetzt wurden, pochten allesamt; leicht abweichend von seinem Puls.

Er drehte sich zu seinem PC und loggte sich ein, scrollte durch seine E-Mails in der Hoffnung den Schmerzen zu umgehen. E-Mails von Sarif, die ihm Zugriff für das Sicherheitssystem gewährten und ihn willkommen hießen im neuen Zuhause. Eine andere vom Vermieter mit wesentlichen Informationen zum Gebäude und den Richtlinien. Adam überflog diese kurz. Noch ein qualvoller Schmerzensstich durch die Schulter. Seine Finger zitterten abnormal gegen die Touchpad-Tastatur als Reaktion. Seine Hand rutschte und verursachte dabei knackendes Geräusch auf der Fläche. Adams Kiefer spannte sich an und er starrte hinunter zu dem angerichteten Schaden. Er ballte seine Faust in krampfhafter Wut. Nicht weit von ihm entfernt auf dem Tisch lag ein Fläschchen mit Schmerztabletten, die sofort von seiner Netzhaut-Augmentierung anvisiert wurde und ihm förmlich aufforderte diese zu sich zu nehmen. Diagnosen in der oberen Ecke des HUDs leuchteten auf und warnten mit Piep-Geräuschen vor Schäden. Das digitale Flimmern vor seinem Auge machte ihm wahnsinnig. Er biss die Zähne zusammen, nahm das Fläschchen und warf es gegen die Wand. Die Objektive und das HUD-Display schalteten sich aus und der Alarm verstummte. Er  beobachtete wie sich die kreideweißen Pillen auf dem Boden verstreuten und dabei wie Würfel aufsprangen.

Er schnappte sich den Whiskey, nahm einen großen Zug direkt aus der Flasche und schloss aufgewühlt die Augen. Atmete langsam aus, als der Alkohol brennend sein Körper durchströmte und somit kurzzeitig ein betäubendes Gefühl hervorrief. Er klickte auf die nächste E-Mail im Postfach. Beim ersten Wort blieb ihm fast die Luft weg und sein Herzschlag verstärkte sich.

Megan.

Er blinzelte aufkommenden Tränen weg, die durch das Brennen des Whiskys und durch unerwartete Erinnerungen verursacht wurden. Er nahm noch einen bemessenen Schluck, bevor er sich zwang zurück zur Nachricht von der Sarif-Mitarbeiterin Diane Gonzales zu schauen und diese zu lesen.

Adam… Megan ist tot… Keiner weiß, ob du aufwachen wirst…. Kubrick… Es tut mir Leid. Er war ein guter Hund.

Unwillkürlich verstärkte er den Druck um die Flasche, die daraufhin in seiner Hand zerbrach. Er sprang auf, schüttelte die Glasscherben ab, während Whiskey seine Hand herunter tropfte und er vor sich hin fluchte. Die Unruhe und Hochspannung ließ ihn schwer atmen. Das hektische Aufspringen löste am ganzen Leib untragbaren Schmerz aus. Das lodernde Gefühl des Alkohols im Bauch wurde durch Übelkeit ersetzt. Er hatte heute kaum etwas gegessen. In den letzten drei Monaten bekam er immer sorgsam reguliertes Essen.

Er hatte es immer aufgegessen, aber nur, um die Klinik schneller verlassen zu können. Nora, die Assistenzärztin, überwachte seine Genesung und schien optimistisch bei seiner Entlassung. Auch er war optimistisch; jedenfalls anfangs. Vielleicht war er auch einfach nur froh, endlich dort wegzukommen. Die ersten Schritte in die „Freiheit“ lasteten schwer gegen den Asphalt. Er nahm die Umgebung ganz anders wahr. Seine Sinne waren geschärft. Er hörte Leute in jeder Ecke miteinander reden. Manche schauten ihn neidvoll an, andere mit Verurteilung, als er an ihn vorbei lief wie ein aufgelöster Schatten. Selbst die Luft, die ihr sein Leben lang atmete, schmeckte anders, fühlte sich anders an. Die Ärzte hatten ein Nanonetz-Filter in seine Luftröhre eingepflanzt. Dieser filterte den Smog, der in den Straßen Detroits lag.

Adam zog seinen Mantel aus, der etwas vom Whiskey abbekommen hatte und streifte dann sein Shirt über den Kopf, welches er dann Richtung Kommode warf. Er lief ins Badezimmer, wo gedämpftes Licht flimmerte, als er den Schalter an der Tür antippte. Die Schmerzen weigerten sich regelrecht dagegen nachzulassen. Eine Dusche würde sicherlich gut tun. Aber noch bevor er die Dusche erreichte, sah er sich selbst aus dem Augenwinkel im Spiegel. Der Anblick ließ ihn gefrieren.

Man hatte ihn in der Klinik über die technischen Details, die Liste der Augmentierungen, die Objektive an den Augen tausendmal aufgeklärt. Aber niemand hatte hin auf das vorbereitet, was er nun im Spiegel erblickte. Er hätte am liebsten seinen Blick abgewendet, doch es ging nicht. Sein Spiegelbild sah dürr aus, seine Haute ganz bleich, seine Muskeln waren dezimiert vom kümmerlichen Herumliegen, eingewickelt in sterilen Tüchern. Die gelb-grünen Augen starrten ihn an, waren rot unterlaufen vor Erschöpfung und dem Alkohol. Sein Spiegelbild hatte den Mund leicht geöffnet vermischt mit einem schockierten Ausdruck. Die Augen waren von Metallstücken umgeben, die mit dem Netzhautimplantat am Sehnerv verbunden waren. Es sah einen kybernetischen Schädel ähnlich und verlieh ihm einen unnatürlichen, aggressiven Ausdruck, der sein markantes Gesicht unter der blassen Haut noch stärker hervorhob. Das Abbild fuhr mit den Fingern über einen der zwei Metallschläuche am Hals, die sich irgendwann wieder unter der Haut verloren. Punktierungen von mechanischen Anschlüssen verteilten sich über seine Brust. Diese Bolzen hielten ihn innerlich zusammen und waren wie ein „Y“ angeordnet. So wie es immer bei einer Leichenautopsie aussieht, wenn der Tote aufgeschnitten wird.

Im Kontrast seiner blassen Haut und seiner dürren Gestalt standen die mattschwarzen kybernetischen Armprothesen. Sie glichen einem vervollkommnenden Muskel. Stark und trotzdem schnell. Er konnte nur erahnen, was sich unter der Schicht aus Leichtmetallen und Polymeren verbarg. Oben am Schultergelenk verschmolz das Metall mit dem überlebenden Fleisch. Es erstreckte sich wie ein fremdartiges Lebewesen, was ihn lebendig auffraß. Unaufhaltsam, kontinuierlich, parasitisch. Und er, er war einzig der Wirt. Es würde nur noch eine Frage der Zeit sein, bis es ihn ganz verbraucht und schließlich vollständig ersetzt.

Sein Brustkorb hob und senkte sich rasend beim Versuch auflodernde Emotionen abzuwehren. Nach wie vor spürte er intensive Schmerzen, die durch den Anblick verstärkt wurden. Seine Atmung hatte ein unnatürliches Tempo angenommen. Die Umgebung verlor sich in einem Tunnelblick. Alles verschwamm um ihn, bis auf das Abbild seiner selbst auf dem Glas. Er hasste es. Er verabscheute es. Es war unerträglich. Ein übermächtiger Wutrausch ergriff ihn und explodierte noch bevor er überhaupt realisierte, was genau er tat. Mit einem unbeherrschten Aufschrei warf er seine Faust mit abnormer Geschwindigkeit nach vorn. Das dichte Glas des Spiegels zersprang in tausende Teile, kleinste Glassplitter flogen an seinem Gesicht entlang vorbei. Das klirrende Geräusch überschattete seine keuchende Atmung. Die Finger rutschten vom Einschlagpunkt die Fläche hinab. Dreiecke aus Glas schwirrten sachte auf dem Schrank und reflektierten das Licht wie die Reste einer zerstörten Sonne.

Er griff nach der größten Scherbe und ballte sie in der Hand. Starrte auf das zusammenhanglose Mosaik seines Spiegelbildes. Zerbrochen wie seine eigene Seele. Haarfeine Sensoren an der Handfläche registrierten etwas wie Schmerz und meldeten sofort die Beschädigung der Berühroberfläche. Wieder aufblickende Warnhinweise. Er missachtete diese und drückte stattdessen seine Faust noch stärker zusammen. Ersehnte, es möge Blut fließen, viel Blut! Das RX-Gesundheitssystem sendete Adrenalinhemmende Stoffe. Der Rausch ließ nach, worauf er sich von neuen schwindlig und unwohl fühlte. Er musste sich entkräftet auf dem Schrank abstützen, machte noch einen letzten Blick in den Spiegel, bevor er plötzlich den Willen zu stehen, verlor. Er ließ das Bruchstück los und es fiel fast schwebend zu Boden, als würde es im Ozean versinken. Genauso sackte auch  Adam am Schrank herab, lag halb zusammengekauert auf der Seite und starrte verloren in die Ferne.

Der Boden haftete kalt und fremd auf seiner nackten Haut, aber verloren wie er war in der erdrückenden Welle von Erinnerungen, bemerkte er nicht, dass er anfing zu zittern. Auch nahm er nicht die Scherben wahr, die sich in seinen Oberkörper bohrten und dort nässende Wunden hinterließen.

Er lag einfach mit schwachen Atemzügen und ein paar Tränen da und nahm den Ansturm seiner Erinnerungen hin.

Die Art und Weise wie sich ein kaltes Whiskeyglas an warmen Fingern anfühlte. Die Art und Weise wie Megan am Morgen ihrer ersten gemeinsamen Nacht die Bettdecke legte. Die erste Nacht in der sie gestand, ihn zu lieben.  
Die Art und Weise wie Kubrick ihn niemals länger schlafen ließ als bis 6 Uhr und er deswegen nie einen Wecker für die Arbeit stellen musste. Die Art und Weise gleichmäßig zu atmen, ohne, dass ihn seine Augen klinische Empfehlungen aufzeigten…


Zurück in seinem Penthaus schaute David Sarif, der Gründer und Vorstandsvorsitzende der Sarif Industries auf die Uhr. Er lief ruhelos hin und her. Fragte sich, ob es jetzt sicher sei, eine Comm-Verbindung zu Adam aufzubauen. Er wollte nichts riskieren und musste gewiss sein, dass sich Adam bereits in seinem neuen Apartment befand und damit weit entfernt von den Störsignalen der Hacker. Sein Sicherheitschef wurde planmäßig vor circa zwei Stunden aus der Klinik entlassen. Und so wie Sarif Adam kannte, würde er direkt nach Hause gehen. Also gab es eigentlich keine Zweifel und so tippte er ein paar Befehle in seinen Computer und aktivierte den Comm-Link.

„Adam, bist du da?“, fragte er zögernd und fummelte nervös mit seinen Metallfingern an einem Stift auf seinem Arbeitstisch herum. Die Verbindung wurde zwar erfolgreich durchgeleitet, dennoch kam kein Feedback oder eine sonstige Antwort. Es beunruhigte Sarif. Vielleicht hatte Adam sein Bewusstsein verloren oder antwortet absichtlich nicht. Sein erster Gedanke erschien ihn sinnvoller.

„Adam“, wiederholte er, „ich will nur deinen Status begutachten. Also, wenn du eingeschlafen bist, ist das völlig in Ordnung, aber wenn du mich hörst und du brauchst etwas, dann lass es mich bitte wissen.“
David wartete einige Augenblicke, bevor er widerwillig das Signal trennte. Besorgt rieb er sich Stirn.

Kurz überlegend saß er da und funkte wenige Momente später einen anderen Kanal an. „Pritchard? Bist du noch im Gebäude?“

„Ja“, antwortete die bekannte Stimme, „unglücklicherweise befinde ich mich mitten in einer komplizierte Fehleranalyse. Verlorene Dateien enden bei einem Hackersignal. Was geht hier vor sich? Ist bei Ihnen auch etwas an E-Mails verloren gegangen?“

„Nein“, entgegnete sein Chef und ging nicht weiter auf das Problem ein. „Aber ich komm nicht zu Adam durch. Verfügt du über sein Comm-Signal?“

„Ja, aber wenn er dir nicht antwortet, dann bezweifle ich stark, dass er mir antworten wird, wenn ich es versuchen würde“, sagte Pritchard mit frostiger und gleichgültiger Stimme.

„Ich brauch dich nicht um mit ihm zu reden. Ich brauche dich nur um seine Neural-Chips zu überprüfen. Ich will mich vergewissern, dass er in Ordnung ist“, beschwor sein Chef.

„Sie meinen, ich soll mich in sein Bio-Kontrollsystem reinhacken? Nur Doktor Vera darf darauf zugreifen. Das ist höchst illegal, medizinisch lizensierte Chips zu tracken. Für medizinische Verfälschung könnte man mir 5 Jahre geben, wenn sie mich kriegen.“

David drehte seinen Bürostuhl und rollte entnervt seine Augen. „Ja, Francis. Lass es nicht so überzogen klingen. Du weißt, dass sie dich nicht erwischen werden. Ich denke, du bekommst das hin“, sagte David und machte eine kleine Pause.  „Ich muss wissen, ob Adam unversehrt ist“, wiederholte er dann nochmal.

„Du könntest Doktor Vera anfunken. Fragen Sie sie nach einem Statusbericht“, wies Pritchard seinen Chef auf. „Ich kenn mich mit Computer aus, nicht mit Gehirnen. Es sei denn, Sie verkabeln seinen kompletten Körper“, scherzte er. „Ich könnte Ihnen nicht viel sagen.“

„Du kannst mir sagen, ob er bei Bewusstsein ist und atmet“, behaarte David. „Und du weißt, dass Doktor Vera mir nichts sagen würde. Also, hilfst du mir oder nicht?“

„Sie hätten ihn nicht entlassen, wenn die Gefahr besteht, dass er einfach tot umfällt“, sagte Francis, aber David konnte bereits das Tippen auf der Tastatur hören. „Gut, er ist am Leben“, antwortete Pritchard schließlich, „Wie bereits erwähnt, kann ich Ihnen nicht viel sagen. Gehirnwellen kann ich nicht lesen, aber sein Herz schlägt und sein Blut registriert Sauerstoff. Vielleicht sollten Sie ihn in Ruhe lassen.“

David strich besorgt über sein Kinn und überlegte. „Wo liegt sein Puls?“

„Hält sich um 95. Das scheint nicht ungewöhnlich für jemand, der mit Schmerzen auskommen muss. Er könnte auch eingeschlafen sein.“

„Gut. Sie können die Verbindung unterbrechen. Und halten Sie mich auf dem Laufenden wegen dieser Hackerleitung“, wies Sarif ihn auf.
David beendete den Anruf. Er blieb weiterhin skeptisch, wollte lieber persönlich zu Adam, um seinen Zustand zu prüfen, aber er war sich Bewusst, auf die Straße zu gehen und das Gebäude zu verlassen, wäre keine gute Idee. Es gab in letzter Zeit große Feindseligkeit gegenüber seiner Firma und mit seinem Gesicht auf fast jeder Werbetafel gab es keine Anonymität in der Öffentlichkeit für ihn.

David schaute nochmals nach der Uhrzeit. Es war fast 22 Uhr, was bedeutet, dass Faridah Malik für die Nacht zu Hause sein würde. Sie wohnte ebenfalls im Chiron-Gebäude, nur zwei Etagen unter Adam.  David empfand Malik als sehr engagierte Mitarbeiterin und er wusste, sie ließ ihr Comm normalerweise immer aktiviert, auch in der Nacht. David tippte ihren Code ab und wurde fast unmittelbar nach der Verbindung mit einer Antwort belohnt.

„Etwas, was ich für Sie tun kann, Boss?“

„Ja, du hast doch sicher noch den Schlüssel, den ich dir gegeben hatte? Der für Adams Apartment.“

„Sicher, brauchen Sie ihn heute Nacht zurück? Ich kann ihn morgen zur Arbeit mitbringen.“

„Schon gut. Eigentlich habe ich gehofft, du könntest zu ihm hoch gehen und schauen, ob alles in Ordnung bei ihm ist. Er antwortet mir nicht.“

David hörte sie ausatmen. „Es wird spät und er hat viel durchgemacht. Sicher, dass er nicht eingeschlafen ist?“

„Genau weil er so viel durchgemacht hat, weiß ich, dass er das eben nicht ist“, argumentierte Sarif scharf.

Einen Pause am anderen Ende. „Verstanden Boss. Ich bringen Sie  auf dem aktuellsten Stand.“

„Danke, Faridah.“

Faridah zog ihre Shorts aus, schlüpfte in eine Jogginghose und streifte sich noch schnell ein Sweatshirt über. Da sie keine Vorstellung hatte, in welcher Lage sie Adam vorfinden würde, aber auch nichts riskierte wollte, nahm sie ein paar Tücher mit, um eine mögliche Blutung zu stoppen. Schnell eilte sie in ihr Badezimmer und griff nach den Erste-Hilfe-Kasten. Sie krallte sich Adams Schlüssel, bevor sie ihre Wohnung verließ.

Mit den Erste-Hilfe-Kasten und den Tüchern in der Hand hastete sie den Flur entlang und dann die Treppen hinauf. Der Fahrstuhl war ihr zu langsam. Als sie Adams Tür erreichte, klopfte sie, wartete einen kurzen Moment und hoffte er würde reagieren. Hoffte, er habe Davids Nachrichten nur aus Trotz ignoriert oder wegen Ermüdung. Die Antwort blieb aus. „Adam? Ich bin's Faridah. Ich komm jetzt rein, okay?“

Faridah hatte keine Angst vor ihm beziehungsweise wozu er nun fähig war. Der Mann wurde zerrissen, zerfetzt und als Waffe wiederhergestellt. Und jeder „versehentliche“ Reflexschlag seiner Arme konnte ernste Schäden verursachen oder einen ganz und gar töten. Aber der Fakt, dass er nicht antwortete, bereitete ihr mehr Sorgen, als das er sie möglichweise verletzen könnte. Adam war eigentlich eine umsichtige und achtsame Seele, auch wenn er das nicht offen zeigte. Und sie konnte ihm bisher immer vertrauen.

Allmählich drückte sie die Türklinke nach unten, öffnete Stück für Stück die Tür und trat hinein. Sie staunte nicht schlecht, als sie ihren Blick durchs Appartement schweifen ließ. Sie war zwar tagsüber schon hier gewesen, dennoch betonte die Dunkelheit die Ausstrahlung des Zimmers. Der Ausblick war einfach atemberaubend. Die Skyline der Stadt, die mächtig empor stieg, war gerade so weit entfernt, dass das Apartment geschützt vor dem Chaos Detroits schien. Ein goldener Schimmer fiel durch das Fenster und gab dem Raum eine verträumte warme Atmosphäre. Ihre Wohnung war ganz nett, befand sich auf der anderen Seite des Gebäudes und bot ehr eine nüchterne Aussicht.  Sarif hatte anscheinend alle Register gezogen um für Adams Wohl zu sorgen.

Sie tapste über den Boden, schaute in die Küche. Nichts. Sie stieg die Treppen zum Wohnzimmer hinunter. „Adam?“, rief sie stutzig aus. Plötzlich vernahm sie ein leises Geräusch, konnte es aber nicht zuordnen. Es kam aus Richtung des Schlafzimmers. Sie folgte dem Geräusch und übersah so die Scherben im Wohnzimmer. Kurz darauf fiel ihr aber die zerbrochene Whiskeyflasche ins Auge, worauf sich ihr Griff um den Verbandskasten verstärkte und sie aus innerlicher Panik die Lippen zusammenpresste. Scherben und weiße Pillen lagen auf dem Boden verstreut. Ihr Blick schweifte über die Bruchstücke bis sie Sekunden später Adam zusammengekauert im gedämpften Licht auf dem Boden des Badezimmers erspähte.

„Oh, Adam“, flüsterte sie, ging vorsichtig auf ihn zu, um ihn nicht aufzuschrecken. Er befand sich in einem miserablen Zustand. War ganz bleich und schien völlig am Ende. „Adam? Hörst du mich? Ich bin's Faridah“, sagte sie beruhigend und ging neben ihn auf die Knie, bevor sie den Verbandskasten abstellte. Er zeigte keinerlei Reaktion. Sie legte sanft eine Hand auf seine Schulter, als sie die kleine Blutlache unter ihm bemerkte. Sie schaute zum dem Spiegel hoch und dann zu den weiteren Glassplittern, die überall auf dem Boden lagen. Hatte er etwa den Spiegel zerschlagen?
„Komm Spy Boy, lass mich dich untersuchen“, sprach sie mit warmer Stimme und zog ihm an der Schulter hoch, was sich als recht schwierig erwiese, da Adam wie eine leere Hülle war. Sein Blick war abwesend, aber er setzte sich doch langsam auf. Die Beine ausgestreckt, die Arme kraftlos nach unten und mit dem Rücken am Schrank saß er da.

„Ich werde das jetzt reinigen, um sicher zu gehen, dass keine Glassplitter in den Wunden zurückbleiben.“ Sie inspizierte seinen bloßen Oberkörper und suchte nach feinen Glassplittern, während sein Brustkorb sich schwerlich hob und senkte. Faridah erhob sich, als sie keine weiteren Splitter in seiner Haut fand und ließ den Wasserhahn laufen. Sie hielt eines der antiseptischen Tücher aus dem Verbandskasten unter den laufenden Strahl. Adam blieb weiterhin regungslos.

Faridah rang überschüssiges Wasser aus dem Tuch und kniete sich wieder hin, um erstmal verbliebende Scherben zur Seite zu streiften, damit keine Verletzungsgefahr für ihn oder sie bestand. „Okay, das könnte jetzt etwas brennen“, warnte sie, tupfte mit den kleinen weißen Quadraten rücksichtsvoll über die Schnitte an der Seite seines Bauches. Sie merkte, wie sich der Bauch anspannte und ein hörbares Zischen durch die Zähne zog, aber er machte keine ruckartigen Bewegungen. Nur seine linke Hand, die auf seinen Schoß ruhte, zuckte auf und zu. Sie wischte das Blut vollständig weg und überlegte, ob Stiche nötig seien. Normalerweise kümmerte sich sein Sentinel Gesundheitssystem um alles, was tiefer als eine Schramme war. Vielleicht war es überlastet oder verfügte über zu wenig Energie, sodass keine Stoffe für den schnelleren Heilungsprozess freigesetzt werden konnte. Das Risiko einer Entzündung bestand, was aber nur bei einem Schnitt der Fall war, wo weiß glänzend die Fettschicht abstand. Andere Einschnitte waren nur oberflächlich und hatten bereits aufgehört zu bluten.

„Ich werde das jetzt mit blanken Stichen verschließen und dann Schmetterlingsbandagen verwenden, aber du darfst dich nicht bewegen“, warnte sie erneut, beugte sich über den Verbandskasten und kramte das richtige Zubehör hervor. „Wenn du die Fäden zerreißt, müssen wir es auf die altmodisch Weise machen und die Fäden mit vernähen.“

„Dann werde ich wirklich wie Frankensteins Monster aussehen“, sagte er mit schwacher und leiser Stimme.

Seine Worte ließen sie vorübergehend verharren. Faridah hatte nicht erwartet, ihn sprechen zu hören. Ihre Blicke trafen sich kurz, jedoch schaute er wieder weg und kehrte in seine Totenstarre zurück.

Trotzdem erwiderter sie aufmunternd: „Hey, du zollst diesem Monster viel zu viel Anerkennung“, holte dabei den Fibrinkleber heraus und öffnete  das Siegel. „Wenn er nur ein bisschen Ähnlichkeit mit dir hätte, dann wäre seine einzige Sorge ein Mob aus vernarrten Frauen. Das kannst du mir glauben, den ich habe einen ausgezeichneten Männergeschmack.“

Adam ging nicht darauf ein. Keine Ahnung, ob er das überhaupt realisiert hatte. Faridah begann darauf still und konzentriert die Wunde zu schließen. Die Haut fühlte sich ganz kalt an, trotz des Blutes. Die Behandlung dauerte nicht lange und zuletzt wischte sie das restliche Blut weg. Faridah bewunderte ihre Arbeit zufrieden. „Sieht aus, als wäre nie etwas passiert.“ Adam blinzelte mit den Augen und atmete erleichtert aus. „Kannst du aufstehen?“, fragte sie.

Adam ging nicht auf die Frage ein. „Falls ich mich nochmal selber verletze, dann sollte mich David einfach abschalten. Ich bin sicher, er hat irgendwo einen Prototypen, den er stattdessen benutzen kann“, sagte er mit rauer Stimme und tiefer Gleichgültigkeit.

Faridahs Augen weiteten sich erschrocken und innere Unruhe füllte ihre Brust. Adam hatte noch nie so geredet, nicht einmal, als er zum ersten Mal aufwachte und man über seine Situation aufklärte. „Adam“, begann sie leise, „ich weiß, dass du dir das nicht ausgesucht hast, aber was David tat, tat er um dich zu retten. Um dich zu heilen. Deine Schäden waren zu umfassend; er hatte keine Wahl“, sagte sie dann vorsichtig, streckte ihre Hand zu seiner.

Er folgte ihren Finger, erwiderte jedoch den Griff nicht. Stattdessen riss er seine Hand schlagartig weg. „Er hätte mich sterben lassen sollen“

Der leise gesprochene Satz hatte kaum Zeit zu wirken, da sprang Adam schon auf und begab sich ins Schlafzimmer.

„Adam!“, Malik folgte ihm und griff seine Schulter, drehte ihn, sodass sie Angesicht  zu Angesicht standen.  Er schaute sie an, hatte zuvor seine Augen hinter dem HUD-Display abgeschirmt. Die dunklen Gläser betonten sein markantes Gesicht und die angespannte Haltung.

Ihr Gesicht reflektierte sich in den Objektiven. Ihre Stimme bebte vor unterdrückter Wut und Trauer, als sie sprach. „Sag so etwas nie wieder!“ Sie umpackte fest seinen Unterarm, als sie es jemals bei lebendigen Fleisch wagen würde. Sie wusste, er konnte das spüren. „Hast du das verstanden, Adam Jensen?“, sie hielt kurz inne, fokussierte seinen Blick „Ich war eine von denen, die dich nach dem Angriff zuerst gefunden hatte. Ich sah wie sie dich in Fetzen gerissen hatten und Sekunden später realisierte ich, meinen besten Freund  an diese Monster verloren zu haben. Ich dachte, ich müsste auch mitansehen, wie du verblutest. Ich habe dich gehalten bis Hilfe kam, flehte dich an durchzuhalten. Fühlte wie dein Blut meinen Fluganzug tränkte. Ich habe nicht geschlafen bis ich Neuigkeiten erhielt. Und als ich hörte, die bringen dich durch die OP, habe ich geweint vor Erleichterung.“

Ihr Griff lockerte sich wieder und sie umschloss nun sanft mit ihrer Hand sein Kinn. Sie blinzelte ihre Tränen weg. Er war ganz starr. Ihre aufgebrachte Stimme war nun beherrschter, als sie sagte: „Ich weiß, du hast Megan verloren. Ich weiß, du hast deine Arme verloren. Aber ich war noch nie stolzer für Sarif zu arbeiten, wie in den letzten drei Monaten. Sie haben mir meinen besten Freund zurück gebracht. Mag sein, dass du das nicht so siehst wie jener anderer. Vielleicht wirst du es auch nie so sehen, aber steh nicht vor mir und erzähle mir, du wärst am liebsten tot! Dass du überlebt hast, war das einzig Gute in der Verwüstung, die die Terroristen hinterlassen hatten.“

Er schluckte und sie sah, wie seine Haut um die Implantate leicht zuckte. „Adam, blende mich nicht einfach aus“, meinte sie bestimmend, gleichzeitig aber auch ganz ruhig.

Für eine Weile passierte nichts und sie standen sich einfach nur gegenüber. Nach langer Zeit fuhr Adam die Gläser seiner „Brille“ mit einen leisen Surren zurück. Und der Blick, der sich Faridah schließlich offenbarte,  war gezeichnet von tiefster Gebrochenheit, Verzweiflung und reinster Bedrückung, dass alle ihre Worte aus ihren Gedanken verschwanden.

„Oh, Spyboy“, flüsterte sie, strich seine Schläfe entlang und wischte mit dem Daum schließlich eine Träne weg, die seine Wange herunterrutschte. Da schloss Faridah ihn plötzlich in eine innige Umarmung, in der Hoffnung seine aufgewühlte Seele zu beschwichtigen. Ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter aus dem Mix von Metall und Knochen, ihre Arme eng um ihn gezogen. Sie spürte seinen Kopf auf ihrer Schulter, aber Adam erwiderte die Umarmung nicht. Vielleicht wegen eines schlechtem Gewissens und Schuldgefühle gegenüber Megan. Sie war so nah, dass sie sein kaum hörbares Schluchzen vernehmen konnte.  Zögerlich hob Adam seine Hand und verdrehte den Stoff ihres Sweatshirts zwischen seinen mechanischen leblosen Fingern. Sein Herz schlug rasend gegen ihre Brust und sie wandte ihren Kopf, um einen Kuss auf die Seite seines Halses zu  hauchen. Sie berührte mit ihrer Nase die vor Trauer angespannten Sehnen neben dem Metallschlauch am Hals. „Es wird alles wieder gut, Adam. Nicht jetzt, aber eines Tages“, wisperte sie.

Farida verlor das Zeitgefühl, während sie ihm hielt. Als ich das Schluchzen milderte und die Atemzüge gleichmäßiger wurden, löste sie sich. Er schloss seine Augen wieder und die Objektive verdeckten sein Augenpaar abermals. Angestaute Energie schien wieder verbraucht, da Adam leicht taumelte. Sein zerrütteter Gesamtzustand war mit nichts vergleichbar.

„Du brauchst Schlaf“, sagte sie, lenkte ihn in Richtung der Matratze, die sich gleich neben dem Badzimmer befand. Die Cargo Hose, die Adam trug, war fast wie eine Jogginghose. Sie machte sich keine Gedanken und half ihm ohne Umstände aus der Hose raus.

Sie wandte sich ab, beugte sich über das Bett und schlug die Decke um. Adam schaute wie abwesend aufs Bett und bewegte sich nicht, zitterte nur. Faridah zog ihr Sweatshirt über den Kopf, warf es zur Kommode, wo auch Adam sein Shirt hingeworfen hatte. Das kam unerwartet. Dann kletterte sie ins Bett, kniete sich auf eine Seite der Matratze und streckte ihre Hand mit einem aufmunternden Ausdruck zu ihm aus. Seine Finger umschließend zog Faridah Adam vorsichtig zu sich hinunter und er legte sich dann neben ihr. Sie würde die Nacht bei ihm bleiben. Als er da lag, machte sie sich dran, die Decke bis zur seiner Hüfte hochzuziehen, und war etwas ermutigt, als er den Rand der Decke griff und diese über den Bauch zog.

Jensen lag auf dem Rücken, der Arm neben ihr großenteils verdeckt von der Bettdecke, der andere ruhte auf seinem Bauch.  Wog fast mehr als er tragen konnte. Er starrte an die Zimmerdecke und atmete deutlich hörbar, worauf Faridah näher zu ihm heranrutschte. Ihre Brust drückte gegen seine Schulter, ihr Arm ruhte über sein Schlüsselbein. Die behandelte Wunde befand sich auf der anderen Seite des Bauches, aber trotzdem flüsterte sie: „Lass mich wissen, wenn ich dir weh tue.“ Sie fuhr mit der freien Hand durch seine dunklen Haare. Er nickte  nur, was sie als Bestätigung aufnahm.

Es brauchte eine Weile, aber schließlich fielen ihm die Augen zu und er schlief ein. Faridah strich weiter mit den Fingern behutsam durch sein Haar, manchmal  auch am Kinn entlang. Irgendwann mitten in der Nacht versuchte David sie anzufunken. Den hatte sie total vergessen, obwohl er der Grund für ihren Besuch war. Sie konnte sich gut vorstellen, wie David Sarif stundenlang in seinem Raum auf und ab lief und kein Auge zu bekam. Dennoch brachte sie die Verbindung zum Schweigen und  sendetet anstelle eine kurze Mail zurück, dass Adam eingeschlafen sei und sie bei ihn bleiben würde. David antwortete nicht, aber sie wusste, dass es ihn beruhigte. Es war für sie eine Selbstverständlichkeit bei ihm zu bleiben und hatte keine  gravierende Bedeutung. In den nächsten zwei Stunden blieb sie wach, hoffte und betete, Adam würde die Nacht über durchschlafen, ohne das Schmerz oder das Gift der Albträume ihn aufschrecken ließen. Mit der Zeit konnte aber auch sie die Müdigkeit nicht mehr abwehren. Ihr Kopf lag nun auf seiner Brust, ihr Arm auf seinem Bauch und der Herzschlag wiegte sie schlussendlich in einem angenehmen Schlaf.

Die innere Uhr eines Piloten war unerbittlich und so wachte Faridah pünktlich 5:30Uhr auf, trotz der langen Nacht. Sie seufzte, verfluchte den strikten Zeitplan. Es war angenehm warm und sie fühlte sich allgemein rundum wohl.
Sie würde lieber wieder einschlafen und träumen, aber ihr Körper ließ sie einfach nicht. Sie blinzelte einige Male, bevor ihr Erinnerungen der Nacht durch den Kopf schossen. Leicht verdutzt schaute sie auf, hob dann die Decke ein wenig an und sah, dass die meiste Wärme und der angenehme Druck von Adam kamen.

Unbewusst hatte Adam in der Nacht seinen Arm um sie gelegt. Die Armprothese war angenehmer, als sie erwartete hätte. Das Leichtmetall war gar nicht kalt, ganz im Gegenteil: Es strahlte sogar Wärme aus. Es hatte zwar nicht dieselbe Geschmeidigkeit wie ein entspannter Muskel, war aber nah dran. Sorgsam wollte sie sein Arm zur Seite schieben um aufstehen zu können, wogegen Adam nur seine Stirn in Falten legte. Und gleich darauf seinen Griff verstärkte, als ob er sie niemals loslassen wolle, weil dann etwas fehlen würde. „Megan“, murmelte er im Schlaf. Die Mechanik spannte sich an, fast schmerzhaft. Tatsächlich musste Faridah einen Aufschrei unterdrücken und sie fühlte einen kurzen Stich. Sie wollte ihn unter keinen Umständen wecken und fuhr mit den Fingern den Unterarm entlang bis sich seine Finger sich zuckend öffneten und er sein Griff abschwächte. Den Moment nutzte sie und rutschte aus seiner Umklammerung raus. Leise stand sie auf, legte die Decke wieder über ihn, bevor sie ins Bad tappte, um ihr Gesicht frisch zu machen und die restlichen Scherben zusammenkehrte.

Als sie fertig war, schaute sie nochmal nach ihm und ging in den Wohnbereich. Die ersten Sonnenstrahlen begangen über die Skyline zu schleichen. Es war ein noch schönerer Anblick als in der Nacht. Dann wühlte sie sich durch die Küche und bemerkte, dass niemand an Lebensmittel gedacht hatte.

Mit einem Seufzer ging sie ins Schlafzimmer zurück, holte ihren Pulli von der Kommode und hastete raus auf dem Flur. Sie flitzte die Treppen runter, um Zeit zu sparen und holte Vorräte aus ihrem Apartment. Die Arme voll, sprintete Faridah die Treppen wieder nach oben, betrat seine Wohnung abermals und schloss die Tür hinter sich. Sie ließ die Dinge auf die Küchentheke fallen, wandte sich zum eingebauten Radio und schaltete es leise an. Dann schob sie die Kisten zur Seite um mehr Platz zu haben.

Fast eine halbe Stunde später kam Adam verschlafen in den Wohnraum, blinzelte gegen das Morgenlicht der Sonne und rieb sich die Augen auf ganz natürlicher Weise. Malik war überzeugt, seine Nerven fügten sich ausgezeichnet mit den elektronischen Leitungen in den Prothesen zusammen. Adam hatte sicher eine einwandfreie Kontrolle darüber, wenn er nicht zu viele andere Gedanken in seinen Kopf herumschwirrten.

„Malik?“, sagte er mit rauerer Stimme als normal. Er blickte dabei durch die geöffnete Wand zwischen Küche und Wohnzimmer und auch sie schaute auf. „Kochst du?“

„Ja, sicher. Ich hoffe, du magst Pancakes. Du hast nicht viel, um einen Esstisch zu decken. Ich dachte, wir benutzen den Arbeitstisch am Fenster, wenn das okay ist. Ich hatte kein Sirup mehr, aber Erdbeermarmelade und Milch“, antwortete sie hintereinander weg.

Adam blinzelte nochmals, als ob er in einem komplizierten Verarbeitungsprozess steckte.

„Ach, komm schon Spy Boy. Du hattest doch nicht wirklich gedacht, alles was ich esse sei Chinesisch, oder etwa doch?“

„Nein, ich... ich dachte du wärst weg. Ich hätte nicht erwartet, aufzuwachen und den Geruch von Pancakes einzuatmen.“ Er schritt die wenigen Stufen nach oben und blieb in der Küchentür stehen. „Brauchst du Hilfe?“

Sie drehte gekonnt ihren Pfannenwender in der Hand, nickte zur einer halb geöffneten Kiste. „Beim Zubereiten nicht, aber du könntest den Tisch decken und Milch eingießen, wenn du magst.“

Er beugte sich über die Kiste und holte Besteck, Tassen und Teller heraus. Dann ging er zurück ins Wohnzimmer, sah, dass immer noch Glassplitter auf dem Kaffeetische lagen und Malik sie wahrscheinlich noch nicht bemerkt hatte. Er ordnete das Besteck auf den Tisch an bis Faridah ihm mit einem Blick anwies auch die Milch einzugießen. Er hatte seine Bedenken, insbesondere wegen gestern. Zögerlich nahm er die Verpackung, während seine Finger nervös bebten. Mit viel Konzentration schaffte er es, ohne das etwas zerstört wurde.

Sie aßen und beobachteten gemeinsam den Sonnenaufgang. Um genauer zu sein, schaute Adam aus dem Fenster und Faridah musterte ihm die ganze Zeit über. Die Haut hatte mehr Farbe angenommen, seine Körperhaltung war auch viel angenehmer. Ellbogen auf dem Tisch, Rücken leicht gekrümmt mit schonender Entspannung. Das verfangene Sonnenlicht, welches in Adams Gesicht schien, ließ seine Augen aufflammen und betonte seine grün-gelbe Iris. Noch während sie ihn betrachtete, dachte Faridah für einen bitteren Moment, wie grün die Augen der Kinder wären, wenn Adam und Megan noch zusammen sein würden. Sie verwarf den Gedanken und achtete stattdessen mit welcher außergewöhnlichen Sorgfalt Adam mit der Gabel hantierte. Er aß immerhin drei Teller voll, was sich Faridah als persönlichen Erfolg zuzählte.

Zumindest schien in diesem Augenblick alles in Ordnung. Nach seinem ersten Tag aus der Klinik, mit ihm in der Morgendämmerung sitzend, hatte etwas von einem Neuanfang.

Ihre Worte von letzter Nacht fühlten sich nun beständiger an. Die Dinge waren noch nicht alle richtig, aber sie würden…



Anmerkung: Diese FF ist nicht meine eigene Idee. Hab sie nur ein bisschen modifiziert und dramatischer gemacht. Inhaltlich ist sie aber gleich der FF von Starkreactor
https://www.fanfiction.net/s/11126929/1/A-Long-Night
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