Schattenspiele
von Riniell
Kurzbeschreibung
Fortsetzung zu ‚Keine Rose ohne Dorn‘: Der ambitionierte Aufschwung Langollions bleibt nicht lange unbeachtet. Während die Elfenkönigin einen nahenden Verrat wittert, wird am anderen Ende Albenmarks die Sorge um einen engen Freund wach. Bald beginnt ein Spiel zwischen den Mächten von Vorurteilen und Wahrheiten, Vergangenheit und Zukunft, Begierde und Zwietracht, tiefen Ängsten und dunkler Magie, fälschlicher Rechtschaffenheit und dem Verrat aus Liebe.
GeschichteDrama, Fantasy / P16 / Gen
Emerelle
OC (Own Character)
Tiranu
Yulivee
20.12.2015
01.12.2016
50
187.715
3
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Dieses Kapitel
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28.10.2016
2.017
Liebe Leserschaft – ihr seid schon wieder gewachsen! Die Zahl ist unglaublich und ich freue mich über jede einzelne Nachricht, die mich in letzter Zeit – auf welchem Wege auch immer – erreicht hat. Danke euch vielmals!
Wer unter euch besitzt Geschwister? Diejenigen, die nun dezent nicken oder denken ‚ja, ich‘, werden zu jeder einzelnen Minute ihres Lebens genau wissen, wer ihr härtester Richter und ihr gnädigster Hirte in einer – oder vielleicht mehreren – Gestalt/en ist. Tiranu wird in diesem Kapitel nun auch einmal mehr daran erinnert, dass er nicht alleine regiert und nicht alleine das Schicksal von Alathaias Sippe trägt. Und wer weiß, was im baldigst folgenden Counterpart dieses Kapitels geschehen wird. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen, lasst mir gerne eure Meinung da! :)
Geschwisterliebe I
Als Tiranu das Vorzimmer der Gemächer betrat, war er verwundert, seine Schwester zu erblicken. Vor den großen Fenstern, die den Blick hinaus auf die Küsten freigaben, saß sie auf den grünseidenen Sitzmöbeln, die das Licht in sich fingen. Das Bild mochte vertraut wirken. Sie war oft hier, wie nun umgeben von ihrer Zofe Abelle, die still ihrer Arbeit nachging, um Morwenna Tee einzuschenken und aus einem kleinen Gefäß etwas Honig hineinzugeben. Doch das vertraute Bild besaß Risse. Morwenna war in einen Abendmantel gehüllt, der ihre Gestalt verbarg. Doch der blaue Stoff konnte nicht ihre Hände verdecken, die in blütenweißen Verbänden lagen. Ihre Gesichtszüge waren eingefallen, fahl. Die Kräfte seiner Schwester schwanden, während ihr Blick scheinbar ungerührt, starrend ins Nichts ging.
Tiranu räusperte sich. Die Zofe schaute überrascht auf und ließ den Teelöffel zurück in die Tasse fallen, ehe sie sich vor ihm verneigte und ohne weitere Aufforderung aus den Räumlichkeiten zurückzog. Morwenna dagegen rührte sich kaum. Sie starrte beinahe apathisch auf das Teeservice, das auf dem grünschimmernden Glastisch angerichtet war, als könnte sie das Porzellan allein durch ihren Blick bewegen.
Der Fürst ging zu ihr herüber. „Wie ich sehe, bist du nicht länger bettlägerig…“
„Wie stets vermagst du mit treffsicherer Genauigkeit die Gegebenheiten in deinem Umfeld zu analysieren, Bruder“, bemerkte Morwenna nicht weniger stechend wie trocken. Der böse Unterton in ihrer Stimme erinnerte Tiranu nur zu gut daran, dass sein letzter Besuch viel zu lange zurück lag. Dies begründete sich nur halb in den noch immer ausufernden Arbeiten, die in den Ratskammern kaum geduldig auf ihn warteten. Die Wahrheit war, dass er ihre Nähe seit ihrem Erwachen mied und sie wusste um diese Tatsache offenbar ganz genau. „Was willst du?“
Tiranu hob eine Braue. „Ich wollte meiner Schwester lediglich einen Besuch abstatten…“
Ein skeptischer Blick traf ihn. Tiranu ahnte, dass dies kein leichtes Gespräch werden würde. Sie hatte sich verändert seit den Geschehnissen in Vascar. Ihre Dienerschaft überbrachte ihn in kurzen Intervallen Berichte über ihren Zustand. Denn auch, wenn er nicht mit seiner Anwesenheit an ihrem Krankenlager überzeugte, so lag das Wohlbefinden seiner Schwester in dieser Situation doch an seinem Herzen. Nach allem, was vorgefallen war, wog seine eigene Schuld jedoch einfach zu schwer, als dass er leichtfertig an ihr altes Verhältnis anknüpfen oder ihr gar seinen Rückhalt garantieren könnte. Es wäre Heuchelei gewesen. Wenn er dem Ruf der Pflicht gefolgt wäre, so hätte er das Schicksal seiner Schwester abwenden können. Ob sie dies auch so sah? Die Berichte ihrer Leibdiener jedenfalls ließen solche Rückschlüsse durchaus zu. Morwenna gab sich abweisend, ja geradezu feindselig gegenüber jenen, denen sie vormals ihr Vertrauen geschenkt hatte. Sie schottete sich ab, mied Gespräche und ganz besonders schreckte sie vor jenen kleinen Entscheidungsfragen zurück, die Boten in Tiranus Auftrag an sie herantrugen. Er wollte sie durch diese Gesten an ihre Pflichten und Aufgaben erinnern – mit geringen, bedeutungsminderen Aufgaben, die sie mit ein paar Worten hätte regeln können. Doch Morwenna gab nichts darauf, ihre Meinung als Fürstin kundzutun. Morwenna gab nichts darauf, in ihr altes Leben zurückzufinden. Das einzige, das sie bewegte – und Tiranu spürte einen äußerst verräterischen Stich in seiner Brust bei diesem Gedanken – war Jornowell. So kalt und schneidend ihre Worte zu jedermann waren, bei Jornowell gab sie die ausgeglichene Elfe, welche sich bereits nach dieser kurzen Zeit der Kuration mit ihrem Schicksal abfinden konnte und nicht nur der Dienerschaft völlig fremd war. Auch Tiranu irritierte dieses Verhalten. So sehr, dass er sich zu ebendiesem Besuch hinreißen ließ. Denn auch, wenn es ihm zutiefst widerstrebte, es sich einzugestehen: Morwenna war nicht ausgeglichen oder tapfer oder gar auf dem Weg der Besserung. Sie war völlig apathisch, beinahe manisch. Ihr Handeln schien von Angst bestimmt. Mit jedem Wort, das die Diener dem Fürsten überbrachten, wurde diese Vermutung mehr und mehr zu einer Sicherheit, die er in diesem Augenblick ganz deutlich in ihrem Gesicht lesen konnte. Sie fürchtete sich davor, Vertrauen zu fassen. Sie fürchtete sich davor, Entscheidungen zu treffen. Sie fürchtete sich davor, Jornowell zu verlieren. Tiranu hatte so etwas Ähnliches schon zu oft in Schlachten – vielmehr nach solchen – miterlebt. Verwundete und Angehörige wollten – oder konnten? – einfach nicht akzeptieren, dass ihr Leben sich geändert hatte. Sie leugneten ihr Schicksal, bis sie selbst an dessen Ungemach zweifelten und in einer völlig anderen Realität ihr Dasein fristeten.
Tiranu wusste nicht, wie er dieses Verhaltensmuster seiner Schwester durchbrechen konnte. Er wusste nur, dass seine Abwesenheit auch nichts daran ändern würde. Also nahm er sich zusammen und ließ sich ihr gegenüber auf die Sitzbank sinken. Der schwere Geruch des Tees stieg beinahe aufdringlich in seine Nase. Er wusste, dass die arkadischen Heilerinnen ihre zweifelhafte Kräutermixturen noch immer bei Morwenna anwendeten, auch wenn seine Schwester bereits die eine oder andere Unverträglichkeit gezeigt hatte. Doch war ihnen vermutlich zu verdanken, dass sie so rasch zu Kräften kam.
Kurzerhand lehnte er sich vor, um die Tasse zu greifen, die Abelle gerade noch gefüllt hatte: „Du solltest das trinken …“, stellte er fest und hob die Tasse, um sich noch ein Stück weiter zu ihr zu beugen. Doch er hielt in seiner Bewegung inne, als er in ihre aufgebrachte Miene blickte: „Denk ja nicht daran!“, spie sie hervor, das Kinn zu einer harten Linie verzogen. Dass sie seinem Wort widersprach, ließ er einmal so stehen. Doch die Abneigung in ihren Augen ließ ihn auffahren. „Das kann so nicht weitergehen! Du bist eine Fürstin und kein kleines Kind, das sich beim Spielen das Knie aufgeschürft hat, weil es unachtsam war. Du – wir – haben einen Fehler gemacht, aber seit wann lassen wir uns davon regieren? Du musst diese Gedanken der Unzulänglichkeit abstreifen und wieder aus diesem Sumpf der Selbstverlorenheit zurückfinden! Du bist die Herrin Langollions … es geziemt sich nicht für dich …“
„Pah! Solche Worte aus deinem Munde, Bruder!“, fuhr Morwenna auf, ein ungehaltenes Blitzen in ihren Augen. „Geziemt es sich denn für dich, oh Fürst, dich auf Yulivee einzulassen? Mit ihren Taten machte sie sich zu einer Feindin unseres Hauses … und du lässt sie in dein Bett?!“
Tiranu hielt inne und starrte Morwenna offen in die Augen. Er hatte nie erwogen, es vor ihr geheim zu halten, doch ihre völlig unvermittelte provokante Ansprache auf dieses Thema überraschte selbst ihn.
„Ganz recht, ich weiß, was zwischen euch geschieht“, fuhr Morwenna fort, als er es vorzog zu schweigen. „Ich weiß zwar nicht, was du damit bezweckst, oder ob du überhaupt etwas damit bezweckst … aber du spielst mit dem Feuer! Als ich dir bei ihrer Ankunft gestattete, mit ihr zu verfahren, wie es dir beliebt, hatte ich bestimmt nicht dies im Sinne! Sie ist unsere erklärte Feindin und wird sich darauf verstehen, durch deine Nähe an Informationen und Wege zu gelangen, die unseren Sturz nach sich ziehen könnten. Hast du bereits vergessen, wie sie Jornowell den Kopf verdreht hat? Sage mir also, ist es eine gänzlich neue Form des Wahnsinns, der über dich gekommen ist, oder ein perfider Plan, den du verfolgst?“
Erneut fand Tiranu keine Antwort für Morwenna, denn er wusste, dass seine Schwester sie ohnehin nicht hören wollte. Er fragte sich vielmehr, woher sie diese Informationen bezogen hatte. Sollte er vielleicht ein vertrauliches Gespräch mit Silvain führen?
Morwenna schnaubte und es war offensichtlich, dass sie ihre angestauten Gedanken zu dem Thema noch lange nicht vollendet hatte. „Mutter wäre so stolz auf dich! Das ist genau ihre Art, mit einem Problem zurechtzukommen. Denn das ist es doch: die unausgegorene Lösung für diese unangenehme Sache, habe ich Recht?!“
Nun brachte sie Tiranu endgültig ins Stocken. Was sie dort gerade angedeutet hatte, hätte aus jedem Mund in ganz Albenmark stammen können – nur nicht aus dem Ihren! Sie implizierte nicht nur, dass er sich Yulivees Schweigen erkaufte und beleidigte zudem ihre Mutter … sie tat dies mit solch einer Inbrunst, dass er für einen Moment ins Wanken geriet. Er dachte lange über Morwennas Worte nach, ignorierte die Feindseligkeit und die Vorwürfe in ihren Augen und lauschte nach einer Antwort. Konnte es sein, dass er unbewusst genau dies getan hatte? Yulivees Schweigen sicherstellen? Er hatte es bereits auf der Sturmjäger in der Nacht des Sturms in Betracht gezogen, jedoch schnell wieder verworfen, als ihm klar wurde, dass ihm kaum der Sinn danach stand. War dieses Zögern ein Zeichen der Schwäche gewesen? Yulivee hatte ihm zwar ihren Schwur geleistet, doch was, wenn sie sich nicht daran hielt oder all dies der Teil eines abgekarteten Spiels war? Vielleicht wäre es doch weiser gewesen, den Blutschwur von ihr einzufordern …
Morwenna hatte nicht Unrecht, wenn sie ihm Irrationalität vorwarf. All dies mochte vielleicht bereits in Kürze zusammenfallen wie ein Kartenhaus in einer Sturmbö.
Er strich sich ermattet von diesen Gedanken über das Gesicht, während er sich eingestehen musste, die Kontrolle verloren zu haben. Da waren keine Hinterlist und kein Plan, den er Yulivee gegenüber nachging. Zu seinem Bedauern. Was aber blieb war Unvorsicht und unbeschreiblicher Leichtsinn.
„Sie ist gefährlich, Tiranu!“, griff Morwenna weiter an. „Weit gefährlicher, als Jornowell uns jemals hätte werden können. Wie oft hast du mir meine Nachsicht ihm gegenüber vorgehalten? Sie hat bereits offen gegen unser Haus gehandelt und wird nicht zögern, Emerelles Ruf ein weiteres Mal zu folgen!“ Ein Schnauben, das kratzig und ohne jeden Mut im Raum klang. „Natürlich wird sie es geschickt anstellen … ihre Hilfe in den Staatgeschäften anbieten beispielsweise, um ganz selbstlos Jornowell zu entlasten, oder ein anderer fadenscheiniger Grund, der sich anbietet, um näher an Informationen zu gelangen, die sie verdrehen und verbiegen kann. Sie will dich hintergehen, dich ausspielen … Du wirst dir die Finger an ihr verbrennen und ehe du dich versiehst, liegt dein Hals in einer Schlinge. Beende diesen Wahnsinn!“
Die Zweifel in Tiranu wuchsen mit diesen Worten. Er blieb ruhig, als er sich erhob. Ganz gleich, ob Morwenna in ihrer scheuklappensichtigen Verblendung Recht behielt oder nicht: Er wollte es nicht hören. Er wollte sich nicht eingestehen, dass es beinahe schon zu spät für einen geordneten Rückzug war … oder doch nicht? Sollte er Morwennas Rat folgen?
Vielleicht sollte er das Gespräch mit Silvain dazu nutzen, einen klaren Kopf zu bekommen. Ein guter Kampf mochte die Wogen in seinem Inneren glätten und die Sicht auf die Wahrheit preisgeben.
Morwennas Blick folgte ihm, als er sich anschickte, die Sitzgruppe zu verlassen. „Ziehst du feige den Schwanz vor ein paar Worten ein?!“
„Wage es nicht, so mit mir zu sprechen!“, zischte er in ihre Richtung, wohlwissend, dass es gar nicht wirklich Morwenna war, die da sprach. Sie war völlig zerrüttet. Und er fürchtete, dass es nur einen Elf in ganz Albenmark gab, der ihr aus ihrer Apathie herauszuhelfen vermochte.
„Sonst was?! Lässt du mich von Riana in den Gärten verscharren?!“
Tiranu blickte noch ein letztes Mal in ihre Richtung. Sie wusste es. Sie wusste, dass Maka und Filan von Riana hingerichtet wurden. Sie wusste, dass er diese Rache über sein eigenes Leben gestellt hatte. Denn auch ihr musste klar sein: Sollte Emerelle jemals herausfinden, was in Vascar nach dem Aufstand mit dessen Anführern geschehen war, so wäre das Letzte, was Tiranu sah, sein eigener Henker. Doch Morwenna sah nur, was sie sehen wollte. Sie erkannte nur, was ihr half, von ihrem eigenen Schicksal abzulenken. Sie schätze nicht wert, was er für sie getan hatte, weil sie der Meinung war, dass ihr ohnehin nie wieder etwas bedeuten könnte.
Umso schlimmer war, dass sich jedes ihrer Worte wie eine Klaue in sein Herz grub.
„Gute Besserung, Schwester“, murmelte er, als er sich zum Gehen wandte. „Du wirst sie brauchen.“
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Keine Macht den Drogen.