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Schattenspiele

von Riniell
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Fantasy / P16 / Gen
Emerelle OC (Own Character) Tiranu Yulivee
20.12.2015
01.12.2016
50
187.715
3
Alle Kapitel
52 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
 
27.08.2016 4.198
 
Hallo, ihr Lieben!

Rennt ihr bei der Hitze auch schon alle in Bikini und Badehose in der Wohnung rum? In einer so schönen, dem Himmel so nahen Dachgeschosswohnung wie der meinen ist das bei diesen Temperaturen quasi Uniform! Umso schöner war es natürlich, für dieses Kapitel am überhitzten Laptop zu sitzen, um Korrektur zu lesen! Nun, ich hoffe, es hat sich gelohnt, und ich kann euch mit diesem etwas längeren Kapitel eine Freude machen.

Ich möchte mich noch ganz lieb und artig für das großartige Feedback von Phae, Xijoria und Flammendo bedanken! Viel Spaß beim Lesen euch allen

Trau, schau, wem!


Ein leises Klopfen weckte Tiranu aus seinem traumlosen Schlummer. Eine dumpfe Trägheit hatte seine Glieder ergriffen und hielt ihn auch noch dann fest umschlungen, als sich das störende Geräusch wiederholte. Fahrig strich er sich über das Gesicht und ließ den Blick schweifen. Er befand sich auf einem äußerst unbequemen Stuhl wieder, die langen Beine ausgestreckt, seine Arme halb verschränkt. Seine Ruhestätte war nahe an ein Bett herangerückt, auf dem sich derselbe Anblick bot, wie auch schon in der letzten Nacht. Nein. Das Licht des Tages machte es schlimmer – realer.

Morwennas Körper zeichnete sich unter einem seidenen Laken ab. Deutlich war zu erkennen, dass ihr Atem viel zu flach ging. Ihre Arme zuckten, die dunkel gewordenen Lider flackerten, ohne sich zu öffnen. In ihrem Gesicht war trotz der gepeinigt wirkenden Bewegungen kaum Leben zu erkennen, fahl war ihre Haut, die Lippen blass.

Sie war bisher nicht erwacht.

Tiranu hatte dies geahnt und doch war er Yulivees Rat gefolgt, um die Nachtwache bei seiner Schwester zu übernehmen. Die Nacht war kurz für ihn gewesen. An einen wirklich erholsamen Schlaf war nicht zu denken. Sein Rücken schmerzte, als er sich vom Stuhl erhob.

„Herein“, rief er.

Die Tür zum Schlafgemach wurde geöffnet und der Heiler aus dem Hofstaat des Barons trat ein. Eine knappe Verbeugung und der Elf war an der Liegestatt seiner Schwester heran. Tiranu brachte ein abgehacktes Nicken zustande, ehe er gedankenversunken vor die Tür trat.

Auf dem Korridor herrschte ein milchiges Zwielicht, das den trüben Morgen einleitete. An der gegenüberliegenden Wand lehnte Silvain, der seinen Blick mit einem Hauch der Reue erwiderte. An seiner Seite stand Riana. Die Kriegerin schenkte ihm ein Nicken, das Tiranu verstehen ließ. Wenigstens sie hatte ihn nicht enttäuscht.

„Die Sturmjäger hat die Bucht erreicht“, stellte Silvain fest und deutete mit dem Kinn in Richtung Meer. „Unsere Angelegenheiten hier sollten … geregelt sein.“

Tiranu musterte seine Offiziere, die keinen Hehl daraus machten, wie sehr sie diesen Ort verachteten. War Silvain am letzten Morgen noch überstürzt und kopflos aufgebrochen, um Riana zu finden, wirkte er nun wieder gefasst. Nur der leise Vorwurf glomm noch immer in seinen dunklen Augen auf. Dieser Narr würde nie verstehen, wie sich die Dinge in Langollion verhielten …

„Das will ich hoffen“, entgegnete Tiranu streng. „Ich werde noch mit Cirinth sprechen, ehe wir aufbrechen.“

„Cirinth?“ Silvain lächelte spöttisch. „Dann solltest du dich besser in Geduld üben. Der Gute wird ziemlich verschlafen sein – deine Magierin war noch bis in die frühen Morgenstunden in seinen Gemächern…“

Tiranu zog die Brauen zusammen und schmeckte Galle in seinem Mund. Er konnte zu seinem Leidwesen nicht leugnen, sich hintergangen zu fühlen. Eine Stimme mahnte ihn, dass er es besser hätte wissen müssen. Yulivee war und blieb eine Getreue der Königin, die ihn verachtete. Ihre Mission in Langollion war lange nicht beendet und noch immer würde sie versuchen, ihn zu stürzen. Er hätte ihr niemals vertrauen dürfen – auch wenn ihr Mitleid möglicherweise echt gewesen war.

Er grollte bei diesem Gedanken stumm in sich hinein. Weder er noch seine Schwester benötigten Mitleid! Er sollte sie loswerden, so schnell wie möglich! Sonst würde sie diese Situation nur noch zu ihrem Vorteil verwenden.

„Bist du dir sicher?“, kam dann doch über seine Lippen.

„Dass sie es war?“ Silvain verschränkte die Arme. „Ich habe sie und Jornowell vom Rosenturm bis nach Larion verfolgt und beschattet, sie keine Stunde lang aus den Augen gelassen … ich bin mir sicher!“ Wieder zeigte sich Spott auf seinen Zügen: „Wer weiß, was die beiden getrieben haben …“

Tiranu warf seinem Offizier einen warnenden Blick zu und biss die Zähne zusammen. Gerade wollte er ihn zurechtweisen – wohlwissend: es würde doch nichts ändern – als Riana vor ihn trat: „Wie geht es Morwenna?“

„Sie … sie ist stark. Sie wird darüber hinwegkommen.“ Er wich dem fragenden Blick der Kriegerin aus. „Haltet euch bereit. Wir brechen bald auf.“

Doch Silvain räusperte sich: „Es gibt da vielleicht doch noch etwas, das wir vor unserer Abreise klären sollten.“



* * *




Naylin breitete die schwere Wolldecke aus und klemmte die Ränder gewissenhaft unter den leblosen Körper. Ihre Finger streiften dabei die dicken Verbände, welche um Morwennas Hände lagen. Seit dem Morgen sickerte kein frisches Rot mehr über die Gaze. Der Stoff war eisig. Doch dies war nichts, das die Heilerin überraschte, im Gegenteil wirkte es vertraut in dieser unwirklichen Situation.

Naylin begleitete Morwenna schon seit Jahrzehnten. Während ihrer Ausbildung in den Heilhäusern der Hauptstadt war ihr bereits aufgefallen, dass ihre Herrin anders als andere Elfen trotz angewendeter Zauber stets kühle Fingerspitzen besaß. Wann immer Morwenna die Wundnähte ihrer Schülerin korrigierte, ihr eine Abklopftechnik demonstrierte oder aber einen zu lockeren Verband straffer zog, hatte Naylin die Kälte gefühlt und verwundert. Als Heilerin – wenn auch in der Ausbildung – fielen ihr solche Dinge auf und brannten sich unweigerlich ins Gedächtnis. Selbstverständlich hatte sie niemals die Dreistigkeit besessen, Morwenna darauf anzusprechen. Denn obgleich Naylin oftmals eine lockere Zunge bewies und ihr Verhältnis zu ihrer Lehrmeisterin beinahe vertrauensvoll war, so herrschte zwischen ihnen eine respektvolle Distanz.

Die Heilerin im Gefolge der Fürstin vermutete aber schon lange, dass der Grund für diese gewollte Kälte etwas damit zu tun hatte, wie Morwenna Dinge und Personen berührte. Ob sie sich damit ein bestimmtes Gefühl in den Fingerspitzen erhielt, oder aber ein bestimmtes Gefühl bei anderen wachrufen wollte, vermochte Naylin nicht zu sagen. Es gehörte zu Morwenna. Für Naylin zumindest. In diesem Moment schauderte die junge Heilerin jedoch ob dieser Kälte. Der Zauber, der auf die schreckliche Klinge gelegt wurde, wirkte noch immer im Fleisch ihrer Herrin und forderte zu viel ihrer Stärke ein.

Es war ein Wagnis, so früh die Heimreise in die Hauptstadt anzutreten. Naylin wusste aber, dass dort die begabtesten und ältesten Heiler des Fürstentums die bestmögliche Versorgung der Fürstin garantierten. Einige von ihnen waren noch vor den Schattenkriegen geboren und wussten um die Tücken der Klingenzauber. Es war die richtige Entscheidung.

Naylin warf einen letzten prüfenden Blick auf die Decke, welche über Morwenna und der Trage ausgebreitet war. Der Heiler aus Meryls Gefolge hatte ihr geholfen, den Körper der Elfe auf der Trage zu platzieren, ehe sie einige Worte des Abschieds wechselten. Nun saß Naylin vor dem Bett ihrer Herrin und wartete darauf, dass ihr Geleit zur Bucht erschien.

Schweigend bedachte sie das fahle Gesicht der Fürstin und konnte nicht umhin, hoffend die Luft anzuhalten, als die ädrigen Lider zu flattern begannen. Tatsächlich glaubte die Heilerin, dass sich ein Stück Schwarz unter den Wimpern zeigte. Ein Wimmern entrang sich Morwennas Lippen, als Naylin sich zu ihr herunterbeugte. „Morwenna?“

Die Lider schlossen sich wieder. Ganz unspektakulär. Als sei nichts geschehen.

Naylin ließ die Schultern sinken. Es war kein gutes Zeichen, dass Morwenna bisher nicht erwacht war. Doch ein schlechtes mochte es deshalb noch lange nicht sein. Es war möglicherweise besser, die Fürstin ließ sich Zeit, um körperlich und seelisch zu kurieren. Ein frühzeitiges Erwachen mochte ebenso ein schwächendes Grübeln und Verzehren ob der Situation nach sich ziehen. Und dies war etwas, das Naylin ihrer Herrin noch nicht zumuten wollte. Sie wusste, wie stark Morwenna war. Wenn sie an all die Opfer und Entbehrungen des Krieges dachte, durch den sie gemeinsam gegangen waren … so oft hatte sie die Angst um ihren Bruder Tiranu nur schwer verbergen können. Doch nie hatte ihre Einstellung oder ihre Arbeitsbereitschaft darunter gelitten. Dass sie dieses Mal diejenige war, um die sich gesorgt wurde, mochte Morwenna allerdings an eine völlig neue Situation der Herausforderung bringen. Es war verflucht …

Ein Klopfen erklang.

„Naylin“, erklang Tiranus Stimme im Raum, als die Tür aufschwang. „Ist sie bereit?“

Der dunkle Blick des Fürsten streifte die Gestalt seiner Schwester nur beiläufig, ehe er erwartend zu Naylin wanderte. Die Heilerin nickte: „Es wird alles gut gehen.“

Tiranu erwiderte ihr Nicken und winkte zwei Elfen, die sogleich die Räumlichkeit betraten, um an die Bettstatt heran zu kommen. Naylin machte ihnen Platz, damit sie die Trage an beiden Enden zu greifen vermochten. Mit einem Ruck erhob sich der schmale Körper der Fürstin und die Elfen machten sich langsam daran, das Gästequartier wieder zu verlassen.

Naylin wollte ihnen schon folgen, als ihr aufging, dass Tiranu noch immer an dem Türrahmen stand und sie mit strenger Miene musterte. Sie faltete die Hände vor ihrem Schoß und wog abwartend ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Schließlich winkte Tiranu noch einmal zwei Gestalten herein. Naylin schluckte, als sich die Tür hinter ihnen verschloss.

Silvain hatte die Arme verschränkt und schaute sich eher unwohl im Gemach um, während Riana eine verkniffene Miene zeigte. Ihr Gesicht war verschorft und an einer Stelle übel angeschwollen. Die Heilerin erinnerte sich nur zu gut daran, mit welch mörderischem Tempo Riana den Anführern des Aufstands nachgehetzt war, nachdem Morwenna verletzt wurde. Wohl musste die Kriegerin dabei den einen oder anderen Schlag abgefangen haben. Die Albenkinder aus dem einfachen Volk von Vascar waren kaum blutgierig oder heimtückisch. Doch als sie ihr Leben und das eines Verbündeten bedroht sahen, gingen sie zur Gegenwehr über. Die Situation war so schnell eskaliert …

Ehe sich Naylin fragen konnte, was genau die beiden Offiziere hier im verwaisten Krankenzimmer zu suchen hatten, hob Tiranu eine weniger versöhnliche Stimme als zuvor: „Meine Schwester vertraut dir.“

Naylin wusste nicht, was sie darauf entgegnen sollte. Was wurde hier gespielt?!

Ihr Blick glitt wieder zu Riana. Die Kriegerin sah kaum gnädig aus. Halbe Sachen vollbrachte sie gewiss nicht. Wenn sie Maka und Filan gejagt hatte, dann …

„Kann auch ich dir trauen?“

Naylin erstarrte. Bei den Alben! In was war sie da nur herein geraten?!

„Ja“, krächzte sie, unschlüssig, was von ihr erwartet wurde. „Natürlich!“

„Dann erinnerst du dich bestimmt daran“, fuhr Tiranu fort, „wie verzweifelt Riana versuchte, die Pferde im Wald aufzuspüren, nachdem meine Schwester verwundet wurde. Als Morwennas Zustand sich jedoch verschlechterte, was habt Silvain und du dann getan?“

Naylins Blick ging zu Silvain und seiner blonden Begleiterin. Dies geschah nicht umsonst. Sie erinnerte sich unwillkürlich an das Gespräch, welches sie mit Silvain und Tiranu unmittelbar nach ihrer Rückkehr in die Burg geführt hatte. Fürst hatte nach Riana und ihrem Verbleib gefragt und echauffierte sich lautstark darüber, dass die Anführer des Aufstands offenbar quicklebendig auf freiem Fuß waren. Niemand sonst war bei diesem Gespräch anwesend gewesen – keiner auf der Burg würde ahnen, was Riana wohl wirklich getan hatte.

In Naylins Herz tat sich eine Leere auf. Seit dem letzten Winter, als Morwenna und sie nach Vascar gekommen waren, um die Armen unterstützten, verband sie ein enges Band mit einigen Bauern und Hirten aus dem Norden. Sie war auf Geheiß ihrer Herrin hier in der Baronie verblieben, um die neuen Verordnungen des Fürstenhauses zu überwachen. So lange schien sich alles in bessere Zeiten zu verwenden, bis die Frühlingsstürme über den Norden herein gebrochen waren. Maka hatte ihr trotz der erneut verheerenden Lage immer getraut und sie mit den Aufständischen sprechen lassen …

Wenn nur nicht alles so weit gekommen wäre!

Maka war ein Narr gewesen, mit einer Waffe vor die Fürstin zu treten. Sie zu demütigen und …

Ihr war klar, was diese Unterredung bedeutete. Maka war tot. Ebenso wie Filan. Der Herr Langollions kannte keine Gnade für Verräter. Ganz gleich, aus welcher Verzweiflung heraus sie handelten. Ganz gleich, wie wenig beabsichtigt sie einen Fehler begingen.

Naylin war klar, dass dies auch für sie galt. Keine Fehler, kein Risiko!

Eiswasser floss durch ihre Adern, als sie sich räusperte: „Wir beschlossen … Riana zurückzulassen.“

„Warum?“

Naylins Finger krampften sich zusammen: „Wir wollten so schnell als möglich in die Burg zurück, da meine Kräfte schwanden. Morwenna musste von erfahreneren Heilern versorgt werden.“

„Und Riana?“

„Riana war in den Wäldern, um die Pferde zu suchen“, entgegnete Naylin. „Schließlich mussten wir auf schnellstem Wege auf die Burg kommen. Wir dachten erst, die Pferde seien nicht weit gekommen … wir haben uns getäuscht.“

„So?“

„Ja … wir zogen weiter“, antwortete Naylin und sprach noch, bevor sie einen Gedanken an die wahren Begebenheiten verschwenden konnte. Die Lügen gingen ihr leicht von den Lippen. Es war, als stünden diese Worte in Tiranus schwarzen Augen und alles, was sie tun musste, war aus ihnen zu lesen. „Ich bestand darauf, auch wenn Silvain warten wollte.“

„Was geschah mit Maka?“ Der Fürst hob seine Brauen und noch immer fühlte sich Naylin klein unter seinem stechenden Blick.

„Ich weiß es nicht.“

„Du musst doch etwas gesehen haben?“

„Er rannte fort …“

Die feinen Linien um Tiranus Mundwinkel wurden hart. „Ein wankelmütiger Charakter dieser Großbauer, wie mir scheint.“

Naylin senkte den Blick: „Ich kannte ihn schon länger. Er … ist … war wankelmütig und …“

„Ja?“

„Dieser Aufstand war alles, was ihm noch blieb, nachdem sich die Stürme seinen Hof geholt haben. Er setzte alles daran. Es musste ihn wahnsinnig gemacht haben, dass …“ Krampfhaft schluckte sie gegen die Trockenheit in ihrer Kehle und fühlte eine eisige Faust, die sich langsam um ihr Herz schloss. „Er war gebrochen.“

„Ist dies die Einschätzung einer Heilerin?“

Naylin nickte.

„Was ist mit Filan?“

„Er war unberechenbar“, entgegnete sie. „Oft ließ er sich wochenlang nicht blicken, ehe … er plötzlich wieder auftauchte. Aus einer Laune heraus … Ich habe nicht die geringste Ahnung, weshalb er sich überhaupt dem Aufstand anschloss.“

„Ist dies alles, was du weißt?“ Tiranu zeigte das erste Mal so etwas wie Zufriedenheit, als sie den Blick hob und nickte. Es erschrak sie, wie wenig er dafür getan hatte, dass sie sich solche Worte und Ungereimtheiten ausdenken konnte. Dies alles war von ihr gekommen. Tiranu hatte sie nur … geleitet.

Sollte je jemand anderes diese Fragen an sie stellen, so würde sie ebendiese Antworten entgegnen. Und beinahe glaubte sie, die Wahrheit gesprochen zu haben. Nur eines passte nicht zu dem Scheinbild, das sie soeben erschaffen hatte.

„Riana“, sprach sie. „Deine Wunden. Niemand wird dir glauben, dass diese Platzwunde bei dem Versuch, die Pferde im Wald aufzutreiben, entstanden ist. Wer hat sie bereits gesehen?“

Die Schnitterin sah zu ihrem Geliebten: „Niemand. Außer …“

Silvain zeigte ein seichtes Lächeln: „Die kleine Magierin.“

Mit einem Kopfschütteln entwarnte Tiranu aber. „Macht euch um sie keine Sorgen.“

„Du vertraust ihr doch nicht etwa?“ Riana klang empört. Es war ein offenes Geheimnis, dass die Offizierin einst mit Tiranu angebändelt hatte. Doch von langer Dauer war diese Liaison nicht gewesen. Rianas Abstammung und die Hochachtung, die in Langollion für ihre Sippe gehegt wurde, hatte wohl als Ansporn für den Fürsten gedient, sich ihr zu nähern. Es wäre eine geschickte politische Verbindung geworden, wenn Tiranu nicht begriffen hätte, dass Rianas nichtmaterielles Erbe nicht einfach auf ihn übergehen würde. Eine Vermählung mit ihr hätte bedeutet, mit der Gewissheit in ihrem Schatten zu stehen, niemals das Licht der Anerkennung auf dem eigenen Leibe zu fühlen. Es wäre einem Eingeständnis, das Streben nach Akzeptanz und Anerkennung aufzugeben, gleichgekommen.

Ein strenger Blick wurde Riana zugeworfen und die Kriegerin verstummte augenblicklich. Naylin wartete einen Augenblick, ehe sie sich räusperte: „Wir sollten dafür sorgen, dass niemand Weiteres die Wunden zu Gesicht bekommt.“

Die Heilerin schloss die Distanz zu Riana und legte ihre Rechte auf deren Schläfe. Ein Wort der Macht und die Wunde begann, langsam zu verblassen. Neue Haut spannte sich über die offene Stelle, bis nichts mehr als etwas rissige, verschorfte Blutspuren von der Hetzjagd zu erkennen waren.

Tiranu wandte sich mit einem letzten prüfenden Blick von ihnen ab: „Wir brechen unverzüglich auf.“

Die beiden Schnitter folgten seinem Geheiß unumwunden, offenbar mehr als angetan von der Vorstellung, Vascar bald hinter sich zu haben.

In Naylin jedoch blieb das Gefühl zurück, einfach nicht genug getan zu haben. Schuld füllte ihr Herz mit der Bitterkeit des Versagens. Maka war – trotz all seiner Verfehlungen – ein Freund gewesen. Sie fühlte sich wie eine Verräterin an ihm.

Und sie wusste: All dies würde noch ein schreckliches Nachspiel haben.



* * *




Der morgendliche Anblick der Sturmjäger in der Bucht ließ Yulivee unruhig werden. Erst seit zweieinhalb Tagen weilte sie in Vascar, um sich dem Aufstand anzunehmen, der hier wütete. Sie war gekommen, um zu helfen. Nun aber wusste sie, dass sich die Situation in der Kürze der Zeit geradezu drastisch verschlimmert hatte. Die Unterredung mit den Anführern des Aufstands war vollkommen eskaliert, während der hungernden Bevölkerung kaum geholfen war. Im Gegenteil. Die Erzmagierin konnte sich eher noch vorstellen, dass ein Großteil der Albenkinder sich in ihren Hütten und Häusern verbarrikadierte, weil sie die Rache der Fürsten fürchteten. Doch dazu würde es nicht kommen. Auf keinen Fall durfte in Langollion noch mehr Blut vergossen werden! Erst recht nicht, wenn sie befähigt war, dies zu verhindern.

Den Albenkindern musste dabei geholfen werden, das durch die Stürme zerstörte Land wieder zu bewirtschaften, um endlich auf konstante Versorgung hoffen zu können. Die Hilfspakete des Fürstenhauses waren auf lange Sicht hin nur ein Wassertropfen auf heißem Stein. Wenn die Heime und das Ertragsland und damit das gesamte Kapital der Bauern vernichtet worden war, so war eine längerfristige Unterstützung von Seiten des Adels ohne Wenn und Aber vonnöten. Ganz gleich, wie die Hungernden mit ihrem Frust in dieser grausigen Lage umgegangen waren …

Um genau dieses Bewusstsein im Norden wachzurufen, würde Yulivee Vorbereitungen treffen. Und dazu blieb ihr nur wenig Zeit. Umso ärgerlicher war es, dass die Baronin verspätet im Hof eintraf. Yulivee erwartete die Elfe ungeduldig an einem Wasserspiel, deren Klang jedes Gespräch zu übertönen vermochte. Der laue Vormittag hatte nur wenige Elfen in die frische Luft gelockt. Niemand würde sie hier stören.

„Leandra!“ Yulivees Ruf ließ die erblindete Adlige ihren Kurs berichtigen. Ohne einen einzigen Missschritt fand Leandra den Weg an ihre Seite und deutete eine leichte Verneigung an. Ihr schien es nicht gut zu gehen. Der karmesinrote Stoff um ihren Kopf saß stramm auf ihrem Nasenbein. Das schwarze Haar fiel leicht zerzaust in ihr Gesicht, welches eine fahrige Mimik zeigte.

„Du hast nach mir verlangt, Herrin?“, ließ die Elfe mit undeutbaren Ton verlauten.

Yulivee räusperte sich: „Mir bleibt nicht viel Zeit, weshalb ich gleich auf den unverrückbaren Punkt komme: Ich möchte sicherstellen, dass die Befehle des Fürsten wahrhaftig ausgeführt werden. Trotz seiner forschen Herangehensweise fordert die Krone der Albenmark auch in Langollion die Loyalität des Adels ein. Der Hunger in diesen Gefilden wird fortan als Feind der Krone angesehen und ich beauftrage dich, sich diesem anzunehmen. Möglicherweise lässt sich bei zufriedenstellendem Bestehen dieser Aufgabe sogar ein Weg finden, mit Milde auf den mehrfachen Verrat an Emerelle und Tiranu zu blicken.“

„Ich verstehe“, stieß Leandra gepresst aus. Die Schmähung ihres Gatten war wohl ein Stachel, der bei der Baronin tief saß. Nicht nur der Besitz einer magisch belegten Waffe, sondern auch der schwere Verdacht der Veruntreuung von Staatsgeldern ließen das Adelspaar in keinem guten Licht erscheinen. Dass die Aufdeckung dieser mutmaßlichen Vergehen öffentlich auf den Korridoren der Herrschaftsburg geschehen war, kam einer Kränkung, wenn nicht gar einer ehrlosen Beleidigung gleich. Auch Cirinths zweifelhafter Einsatz am Hof der Barone war gelinde ausgedrückt demütigend für Meryl und Leandra. Yulivee hegte den Verdacht, dass allein Tiranus Drohung, Meryl seines Amtes zu entziehen, Grund war, die Pflichten weiterhin mit Gewissheit, Loyalität und Pflichtbewusstsein auszuführen. Wohl waren die Barone nicht gewillt, ihren Posten kampflos aufzugeben.

Yulivee zögerte.

Sie hätte andere Verantwortliche für diese Aufgabe finden können. Doch sie wollte den Baronen hier und jetzt zu verstehen geben, dass sie diese letzte Pflicht erfüllen sollten, um sich wenigstens so etwas wie Ehre zu bewahren. Sie mussten die Verantwortung tragen, auch wenn die Lage nicht allein durch ihre Schuld entstanden war. Denn sicherlich war die Unbill durch den Aufstand und die zahlreichen Stürme eine Herausforderung gewesen, welche auch die Barone machtlos zurückließ. Denn weder Graf noch Gleichgestellter war – ob durch Unwille oder die unpassierbaren Pfade – ihnen zur Hilfe geeilt. Und alles Gold schien in Langollion knapp. Doch wäre es auch der falsche Weg, allein die hungernden Albenkinder verantwortlich für die Auffindung der magischen Waffe zu machen oder ihre Not nun als Rache mit Nichtachtung zu bestrafen.

„Ich möchte, dass sämtliche Zerstörungen des Unwetters berichtigt werden – ganz gleich, wie das letztliche Urteil des Fürsten über euch ausfällt.“ Yulivee klang hart, härter noch als sie es beabsichtige. Doch spürte sie instinktiv, dass genau jener Ton notwendig war, um Leandra die Schwere der Situation begreiflich zu machen. „Jedes Haus wird neu errichtet, die Saatverluste ausgeglichen. Jeder soll uneingeschränkt Zugang zu sauberen Wasserquellen haben und die Nahrungsmittel aus der Hauptstadt werden gerecht unter den Bedürftigen verteilt. Bei einem Misslingen wirst du persönlich vor der Krone – vor mir – Rechenschaft ablegen müssen. Ich an deiner Stelle würde mich also gewissenhaft dieser Aufgabe, dieser Chance, widmen. Möglicherweise gelingt es dir und deinem Gatten so, euer Gesicht zu wahren. Oder zumindest das, was davon übrig ist …“

Leandra gab nicht zu erkennen, was in ihr vorging. Starr stand sie ihr gegenüber und ließ die Worte über sich ergehen. Ein sachtes Nicken war ihre steife Antwort: „Es wird uns eine Ehre sein, deinen Befehlen nachzukommen. Wir werden alles dafür tun, unsere Titel zu halten und unsere Würde zu wahren.“

Yulivee hob die Brauen. Bei einem solch gestrengen Herrn wie Tiranu war dies eine Ansage, die ihr Respekt abrang. Sicher, Fehler mochten verziehen werden. Selbst Emerelle war oftmals freimütig darin, von Strafen abzusehen. Dann, wenn Reue gezeigt und Wiedergutmachung geleistet wurde. Wenigstens von ersterem wusste Yulivee nicht recht, ob dies bei Leandra wirklich der Fall war. Hinzu kam, dass Tiranu wohl kaum über eine verzeihende Natur verfügte. „Eure Taten wiegen nicht eben leicht …es ist ein kühnes Ziel, den Titel wahren zu wollen.“

„Fürst Tiranu weiß, dass ihm nicht eben viel Spielraum bleibt“, entgegnete Leandra leichthin, schneidend kalt. „Sollte er uns absetzten, wird unsere Tochter ihre Bürde ebenfalls niederlegen. Sie wurde erst vor kurzem zur Baronin von Tamonin ernannt. Es wäre ein großes Schwächeeingeständnis für Langollion, wenn gleich so viele Adlige das Land verließen. Glaubst du nicht?“

Die Magierin spürte Zorn in sich aufwallen. Diese Respektlosigkeit würde sich Tiranu nie und nimmer gefallen lassen! „Wie dem auch sei – du wirst tun, was dir aufgetragen wurde! Fang gleich mit der Entfernung dieses widerwärtigen Skeletts in euren Katakomben an … ich will es dort bei unserer Abreise nicht erneut zu sehen bekommen!“

Leandra zeigte die Andeutung eines Lächelns: „Ich verstehe deine Not, Erzmagierin. Auch wenn ich nie in diesen zweifelhaften Genuss gekommen bin … falls dir es entfallen ist, so war diese Kreatur verantwortlich dafür, dass ich mein Augenlicht verlor. Die Hexe forderte es im Handel gegen meine Tochter, die sie in ihrer Höhle gefangen hielt. Aus Verzweiflung stimmte ich dem zu, wohlwissend: Meine Fürsten würden meiner Familie nicht zur Hilfe kommen. Es hätte verhindert werden können, hätten sich Morwenna und Tiranu dazu herabgelassen, sich der Sache anzunehmen. Es ist schon merkwürdig, welch kleine Steine es mitunter vermögen, das Schicksal ins Rollen zu bringen …“

Erzürnt wollte Yulivee etwas erwidern, das der Spitzfindigkeit dieser Aussage gerecht wurde, doch hinter ihr erklang plötzlich ein dunkles Räuspern, das sie erschrocken zusammen fahren ließ.

„Leandra, entschuldige uns …“ Tiranu trat vor Yulivee, während sich die Baronin ganz offenbar verwundert zurückzog. Ein letzter aufmüpfiger Ausdruck ließ Yulivee verstehen: Leandra dachte wohl, der Fürst würde ihr gleich die Leviten für ihre Einmischung lesen.

Eine Rechtfertigung lag bereits auf Yulivees Lippen – doch Tiranu hob nur unwirsch eine Hand: „Erst Jornowell, dann Amana und nun Cirinth und Leandra … sag mir Yulivee, welchen meiner Untergebenen planst du als nächstes gegen mich aufzuwiegeln?“

In ihrem Bauch krallte sich eine eisige Faust zusammen. Was auch immer er von dem Gespräch mitbekommen hatte, ließ sie in keinem guten Licht erscheinen… „Ich…“, setzte sie an, doch Tiranu legte nur abwertend den Kopf schief: „Welche Befehle hast du ihr erteilt? Soll sie mich für dich ausspionieren … ganz so wie Cirinth es bereits im Namen der Krone tut!?“

„Ich wollte helfen und sicherstellen, dass …“

In Tiranus Augen taten sich wahre Abgründe auf, während der Zorn in seinen sonst glatten Zügen kaum verhohlen war. „Ich denke, du hast bereits genug geholfen, Erzmagierin. Dank deiner Hilfe befinden wir uns doch erst in dieser Situation, habe ich nicht Recht?“

Yulivee war wie erstarrt. Ihr war, als würde man ihr den Boden unter den Füßen wegziehen und wusste instinktiv, dass Tiranu keine noch so plausible Erklärung gelten lassen würde. In seinem Kopf schien die Idee, sie würde alles daran setzen, ihn zu stürzen, zu fest verankert.

„Wir tragen beide Schuld an der Misere, die hier vor sich ging“, entgegnete Yulivee mit aller Stärke, die ihr geblieben war. „Nur bemühe ich mich darum, meine Fehler wieder gut zu machen.“

Tiranu hob seine Brauen, sichtlich verwundert darüber, dass sie dieses Schuldeingeständnis hervorbrachte.  Einen Moment lang glaubte sie, wahre Irritation in seinem Blick zu erkennen …

Dann trat wieder die Strenge in sein Gesicht: „Das kannst du nicht.“

„Ich kann es versuchen!“

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Kleiner Spoileralarm, für alle die es ahnen oder nicht ahnen: Im nächsten Kapitel wird das Gespräch zwischen Yulivee und Tiranu auf etwas anderer Ebene weitergeführt. Und vielleicht – man munkelt, ganz vielleicht – ist das Romantikpferdchen etwas mit mir durchgegangen. Stellt euch auf eine Altrosafärbung ein … und seid mir nicht böse!

Liebe Grüße bis dahin

Eure Riniell, die diese Story endlich fertig geschrieben hat *Sektkorkenknall* Yay!
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