Schattenspiele
von Riniell
Kurzbeschreibung
Fortsetzung zu ‚Keine Rose ohne Dorn‘: Der ambitionierte Aufschwung Langollions bleibt nicht lange unbeachtet. Während die Elfenkönigin einen nahenden Verrat wittert, wird am anderen Ende Albenmarks die Sorge um einen engen Freund wach. Bald beginnt ein Spiel zwischen den Mächten von Vorurteilen und Wahrheiten, Vergangenheit und Zukunft, Begierde und Zwietracht, tiefen Ängsten und dunkler Magie, fälschlicher Rechtschaffenheit und dem Verrat aus Liebe.
GeschichteDrama, Fantasy / P16 / Gen
Emerelle
OC (Own Character)
Tiranu
Yulivee
20.12.2015
01.12.2016
50
187.715
3
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Dieses Kapitel
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29.07.2016
3.651
Willkommen zum nächsten Kapitel!
Ich habe mich wie immer sehr über die vielen Klicks gefreut und möchte mich ganz lieb bei Phae, Xijoria und Flammendo für das Feedback bedanken. Ich hoffe, das Kapitel sagt euch zu und ihr hinterlasst mir ein kleines Review! Ihr werdet den Aufstand etwas besser kennenlernen und Morwenna auf ihrer Reise ins Hinterland begleiten. Es kommt endlich zur Aussprache zwischen Volk und Adel. Wie das verlaufen wird - lest selbst:
Wölfe knurren, Flöhe beißen
Morwenna spähte in den Wald, wo trügerische Lichtspiele Streiche an ihrem geschärften Blick übten; zwischen den Stämmen, im nadelbestickten Unterholz, auf der nahen, dämmerfarbenen Lichtung bei der umgestürzten Tanne. Die grellschimmernden Flammen erhoben sich in nördlicher Richtung weit über den Forst. Fast wirkte es, als stünden die Nadelbäume lichterloh im hellen Brand.
Atemlos wandte sich die Fürstin zu ihrer Begleitung: „Wir lassen die Pferde hier zurück und gehen! Es dauert zu lange …“
Riana trat an ihre Seite und warf einen schnellen Blick zu den beiden Stuten, die das karge, nächtliche Unterholz nach interessanten Köstlichkeiten durchstöberten. Noch hatte sich Morwennas Unruhe nicht auf die Reittiere übertragen und auch die Kriegerin blieb gelassen. „Er wird kommen, Herrin. Etwas Wichtiges muss ihn aufgehalten haben. Was immer dies sein mag, wir sollten auf seinen Bericht warten, ehe wir uns vorwagen.“
Es fiel Morwenna schwer, ihren Worten Glauben zu schenken. Seit Stunden war Silvain nun in den Wäldern, um die Bergsiedlungen auszuspähen. Seit Stunden wusste Morwenna nicht, wie das angestrebte Aufeinandertreffen mit den Aufständischen verlaufen würde. Würde ihr überhaupt Gehör geschenkt werden? Naylin hatte sich undeutlich in dem knappen Bericht ausgedrückt, den sie ihr am gestrigen Tag zukommen ließ. Ihre Vertraute weilte noch immer bei den Bauern, Hirten und Gerbern in den Bergsiedlungen der Wälder und versuchte ihr Bestes, um die Anführer des Aufstands zu einem geneigten Gespräch mit ihr, Morwenna, zu bewegen. Zwar hatten Maka und Filan, der Koboldbauer und der Faun, Naylins Bitte unlängst nachgegeben, doch das hieß noch lange nicht, dass sie dabei gute Absichten verfolgten.
Der Feuerzauber über den Wäldern Vascars ließ die Barone langsam aber sicher aushungern, während sich die aufständischen Albenkinder an den erbeuteten Handelswaren labten, die sie den Händlern und Warenkarawanen abgenommen hatten. Das durfte so nicht unbescholten weitergehen!
Morwenna stützte eine Hand an den Tannenstamm neben sich und versuchte, sich zur Ruhe zu zwingen. Es war ein Wagnis, sich allein der verbündeten Gruppierung zu stellen. Wusste sie doch, wie wenig diese Albenkinder auf das Wort ihrer Herrin geben würden, wenn sie sich überhaupt bereit zeigten, sie sprechen zu lassen. Die Fürstin hoffte, das Vertrauen der Bauern gewinnen zu können, wenn sie sich ohne ein großes Aufgebot an Kriegern und Gardisten, ohne die Unterstützung von Beratern und Schreibern und ohne die Begleitung der hier ansässigen Grafen und Barone zeigte. All dies würde die siedende Ablehnung der Bauern nur schüren und niemand würde mehr an sie, ihre Worte oder ihren wahrhaftigen Willen, Frieden zu stiften, glauben.
„Dort!“, raunte Riana und Morwenna blickte auf.
Silvain erschien mit seinem Pferd an den Zügeln zwischen dem satten Immergrün der Tannen in Bewegungen, die ihn mit der Umgebung verschmelzen ließen. Sie wusste, wie schwierig einst das Verhältnis zwischen dem Elfen und ihrem Bruder gewesen war, doch nicht zuletzt seine beeindruckenden Fähigkeiten als Späher hatten Tiranu Respekt abgerungen und Silvain zu einem Offizier der Schnitter werden lassen. Sie war froh, ihn bei sich zu haben.
„Sie sind fast alle dort“, richtete der Späher an Morwenna, als er vor sie trat. „Es wirkt nicht so, als würden sie sich auf eine Besprechung vorbereiten, eher noch so, als fieberten sie einer sehnlichst erwarteten Hinrichtungszeremonie entgegen. Die Hetzreden von Maka klingen mir nun noch in den Ohren. Der Wicht hat sich ein Schwert an die Hüfte gehängt, das locker so groß ist wie er selbst. Er wird dich nicht anhören, ganz gleich, was du tust. Er will dich in den gesellschaftlichen Ruin treiben, mehr nicht … Ich werde dich auf keinen Fall gehen lassen.“
Silvains Worte waren wie Eiswasser in ihren Adern. Erwartet hatte sie so etwas, doch nun Gewissheit zu haben, war niederschmetternd. Natürlich glaubten die Kobolde, Faune, Elfen und Feen, dass sie mit einem großen Gefolge vor sie treten würde. Maka würde sich erträumen, sie vor dem gesamten Adel des Nordreichs bloßzustellen, ihr alle Worte im Mund herumdrehen zu können und dadurch den Ruf des Fürstenhauses endgültig in den Dreck zu ziehen.
„Ist Naylin dort?“
„Ja“, entgegnete Silvain ohne ein Zögern. „Selbst sie wirkt verzweifelt angesichts der Lage.“
Morwenna nickte und strich ihren Rock glatt. Die junge Heilerin auf der großen Lichtung zu wissen, die als Treffpunkt ihrer Verhandlungen auserkoren war, bereitete ihr Mut. Die Elfe war den Albenkindern des Nordens nahe und würde sich die freche Zunge nicht verbieten lassen, wenn es darum ging, sich für Morwenna auszusprechen. „Ich werde gehen.“
Silvains Blick änderte sich. Seine dunklen Augen mahnten sie, nicht so töricht zu sein, um ihren Worten Taten folgen zu lassen. Er wollte aufbegehren, doch Riana kam ihm zuvor: „Wie würde das aussehen, wenn sie nicht erscheint? Sie muss gehen!“
„Ich werde gehen!“
Der Schnitter nickte in einer abgehakten Geste und legte Morwenna eine Hand auf den Arm: „Was immer dort geschieht, ich werde nicht von deiner Seite weichen und jeden zur Strecke bringen, der es wagt, schlecht über dich oder Tiranu zu sprechen.“
Die Fürstin brachte ein gequältes Lächeln zustande und schüttelte die Hand von sich: „Dann müsstest du jeden in ganz Albenmark töten. Dich eingeschlossen, du Narr.“
Ohne eine Reaktion abzuwarten, wandte sich Morwenna zu ihrer Stute, um ihr friedenssuchend über die weichen Nüstern zu streichen. Riana und Silvain saßen auf und warteten schweigend, bis auch Morwenna in den Sattel stieg. Selten hatte sie sich derart ausgelaugt gefühlt, derart ohnmächtig. Sie wollte nicht gehen. Eher würde sie erneut all die Entbehrungen des Tjuredkriegs auf sich nehmen, als sich allein der Wut ihres Volkes zu stellen.
Es würde ihre bisher schwerste Prüfung werden. Und sie war nur auf sich gestellt.
* * *
Die Feuerwand war so nahe, dass sie nur den Arm zu heben brauchte, um sie zu berühren. Und doch vernahm sie kaum die Hitze, die von den Flammen ausging. Wie der rötlich schimmernde Spiegel in eine andere Welt offenbarte das Feuer, was auf der anderen Seite der Lichtung vor sich ging.
Es war so ruhig.
Die Fürstin straffte die angespannten Schultern und ließ den Blick über die Ansammlung der Albenkinder gleiten, die sich hinter dem Wall aus Flammen versammelt hatte. Schon ein kurzer Blick verriet, dass weit mehr als die siebzig Seelen gekommen waren, die der Aufstand bisher zählte.
Keiner sagte ein Wort.
Ein letztes Mal schaute sie sich nach Riana und Silvain um, die sich hinter ihr hielten. Beide trugen unleserliche Mienen, in denen sich das rötliche Flammenspiel abzeichnete. Sie wünschte, Tiranu würde bei ihnen stehen. Dieses Bild der drei Krieger hätte wenigstens etwas Vertrautes in dieser angespannten Fremde. Morwenna atmete tief die kühle Abendluft ein, in der die Magie vibrierte und der Trotz dick wie eine Wolke hing, ehe sie sich wieder dem Feuer entgegen wandte: „Morwenna aus der Sippe der Alathaia ist vor euch getreten, um euch Gehör zu schenken. Lasst mich passieren und ihr habt mein Wort, dass der Friede bald wieder in jedes Herz der Kinder Langollions einkehrt!“
Für unerträgliche Momente herrschte die Stille vor.
Eine Gestalt, rotschimmernd und schmal, löste sich aus der Menge auf der anderen Seite der Feuermauer. Mit eigenwillig geführten Schritten ging sie Morwenna entgegen, senkte nicht das Haupt und sprach mit überraschend leiser, flüsternder Stimme: „Nimm meine Hand, Morwenna. Ich führe dich – und nur dich – zu uns.“
Der Faun sah ihr durch das Züngeln der Flammen direkt in die Augen und Morwenna musste ein gutes Stück aufschauen, um den Blick erwidern zu können. Filan war stattlich gebaut. Die hellen, pelzüberwucherten Ziegenbeine seiner Gestalt wirkten kräftig, ebenso der nackte Torso, der mit wilden Kreismustern aus Bandag und Beerensaft bemalt war. Das Muster offenbarte sich der Fürstin selbst durch den Vorhang aus Feuerfunken hindurch, während die gerundeten Hörner auf seinem lichtblonden Schopf imposant wirkten.
Eine Hand wurde durch die Flammen geschoben. Die Fingerglieder waren von weißen Fellbüscheln bewuchert, lange spitze Nägel – nein, Krallen – zeigten bedrohlich in ihre Richtung. Filan würde sie mit einem Zauber durch die Wand führen, wenn seine Absichten aufrichtiger Natur waren.
„Nicht!“, rief Silvain hinter ihr. „Wir können dich nicht schützen, wenn …“
Morwenna schoss einen warnenden Blick über ihre Schulter. Ihr war klar, dass die zwei Schnitter keinen Schutz gegen die Anzahl der Albenkinder bieten könnten, selbst wenn sie über die gesamte Zeit hinweg an ihrer Seite standen. Dennoch zögerte sie, die Hand des Fauns zu nehmen. Sie war kühl wie der Hauch der Nordbrise selbst und hielt ihre Finger im festen Griff, als Filan sie durch die Flammen zog. Fest verschloss Morwenna ihre Augen, doch die erwartete sengende Hitze blieb aus. Nur ein Schritt, bei dem sie weder den Geruch von Rauch, noch den von Asche oder verbranntem Fleisch wahrnehmen konnte, und die Hand entließ sie.
Als sie die Augen öffnete, offenbarten sich ihr die nächtlichen Farben des Waldes wieder in ihrer schattigen Pracht. Sie musste blinzeln, um sich an das Bild zu gewöhnen. Noch weit mehr Albenkinder hatten sich hier versammelt, als sie erst hatte annehmen können. In den sanft ansteigenden Erhöhungen einer Gesteinsformation gruppierten sich Familien, ja ganze Sippen von Kobolden verschiedener Völker, Elfen und auch Waldfeen. Die aufgereihten Fackeln entblößten ihre Gestalten vor dem wäldlichen Schwarz. Sie alle trugen einfache Kleidung in ausgewaschenen Färbungen über zumeist ausgemergelten, verhärmten Körpern. Morwenna bemerkte aber, dass sich die Meisten ihrer Möglichkeiten entsprechend zurechtgemacht, sogar herausgeputzt hatten. Nur in den Gesichtern war die Ablehnung zu erkennen, die unterschwellige Angst und sprühender Hass. Selbst die Jüngsten schienen zu verstehen, dass Morwenna all das besaß, wovon sie lediglich zu träumen wagten. Genug zu essen, ein dichtes, schützendes Dach über dem Haupt und eine Existenz, die ihr ermöglichte, eine Familie zu ernähren. Vor allem musste Morwenna nicht vor Scham den Blick senken, weil sie von Armut und Hunger so dürr war, dass ihre Kleidung übergroß von ihrem Leib hing. Und sie sah Scham an den Blicken der Albenkinder – mehr noch Leid und Kummer über ein Ereignis wie dieses. Viele von ihnen hätten sich wohl einstmals einen anderen Anlass gewünscht, ihrer Fürstin zu begegnen.
Die Emotionen schlugen ihr entgegen wie eine Welle über den sturmgepeitschten Steilküsten im Süden Langollions. Es gab nichts, weder in ihrer Erziehung, noch in ihrer Ausbildung im Rosenturm zur Edeldame oder in Elfenlicht zur Heilerin, was sie hierauf hätte vorbereiten können. Nie war ihr bewusst gewesen, dass Schweigen derart laut sein könnte.
In diesem Moment brach sich die Stille: „Sieh auf dein Volk, Fürstin. Sieh auf Deinesgleichen, Elfe Langollions.“
Ein Kobold trat hervor, der in eine lange Tunika in der Farbe von Kornblumen gewandet war. Das Kleidungsstück war eingefasst von Goldfäden, viel zu groß für seine Statur geschneidert und wollte keinesfalls zu seinen hoffnungslos abgetragenen Stiefeln passen. Wohl war der Schneider des Barons zu einer äußerst ungünstigen Zeit auf die Handelswege zur Nebelburg geraten…
Als Morwennas Blick auf das antik anmutende Schwert an seiner Hüfte fiel, erkannte sie in ihm Maka wieder, den Großbauern, welcher sich der Anführer dieses Aufruhrs schimpfte. Die Fürstin war ihm bereits im letzten Winter begegnet, während ihres langen Aufenthalts in Vascar. Doch nie und nimmer hätte sie den Mann wieder erkannt, wenn ihr nicht dieses von Silvain erwähnte Detail ins Auge gesprungen wäre. Das schüttere Haar des Kobolds war in runden Formen fast völlig ausgefallen, während das Gesicht dünn und knochig wie das eines Sterbenden wirkte. Noch immer stach ihr der Stolz im Blick von Maka entgegen, doch die Entbehrungen der letzten Monde zeigten eine Härte und Kompromisslosigkeit, die sie seinem Wesen nie hätte zuschreiben können. Dabei wusste sie, dass die Stürme und Erdrutsche sein Heim zerstört und seine Existenz vernichtet hatten. Und sie wusste, Maka war trotz seiner niederen Geburt ein würdiger Gegner – sowohl im Gefecht der Worte, als auch im Gewinnen der Treue von Albenkindern.
„Ich sehe mein Volk“, entgegnete Morwenna mit gehobener Stimme. „Ich sehe jene Albenkinder, welche ich zu schützen schwor, als mein Bruder und ich die Krone meiner Mutter annahmen…“
„Auch im letzten Jahr hast du uns einen Schwur geleistet! Der Hunger sollte ein Ende haben für uns. Nun. Wie mir scheint, ist dein Wort nicht viel wert, Fürstin“, fuhr ihr Maka dazwischen. Er hatte sich nebst Filan vor den Plateaus des ansteigenden Gebirges aufgerichtet. Als er fortfuhr, wandte er sich halb zu den Albenkindern in seinem Rücken. „Und einmal mehr bestätigt sich: Die Wölfe knurren nur und die Flöhe, sie beißen wahrhaftig!“
Ein wütender Ausruf erklang von der Hochebene, doch Morwenna konnte den Störenfried nicht ausmachen. Nur zwei Bauerstöchter, die latent herablassend bei dieser Aussage lächelten. Morwenna wollte etwas erwidern, doch Maka führte harscher als zuvor fort: „Wir haben genug der Worte, Fürstin! Ganz gleich, wer von euch den Mund öffnet – Meryl, Leandra, Larielle, der Graf oder deine Naylin hier – ihr könnt uns nicht länger diese ausgemachte Scheiße für Barmherzigkeit oder Großmut verkaufen!“ Maka trat ohne Scheu direkt vor sie und hielt ihren Blick gefangen. Seine Worte schallten durch den Wald, wo die Aura seines Unmuts nicht längst die Luft erfüllte. „Wo waren die Taten? Wo sind sie noch immer? Genug der schönen Worte! Endgültig! Wir fordern unser Recht als lebende Albenkinder Langollions! Wir kämpften einst an der Seite deines hohen Bruders in den Kriegen der Menschenwelt. Wir kämpften für das Fortbestehen unserer Heimat!“ Ein bitteres Lächeln erschien auf seinen Zügen, als er ihr eine Narbe auf seiner deutlich hervorstehenden Schulter offenbarte. „Heute kämpfen wir für Brot und Wasser! Haben wir uns nicht darum verdient gemacht zu essen, zu trinken, ja zu überstehen?!“
Hinter Maka erklang so etwas wie Beifall – die Aufständischen trampelten so laut auf den Erdboden, dass ein Tosen wie das eines nahenden Gewitters erklang. Die Rufe der Beistehenden wurden lauter, üble Beschimpfungen hagelten auf sie hinab, das Verlangen nach Gerechtigkeit und Gleichheit wurde überdeutlich. Morwenna ließ es über sich ergehen. Sie hatte versprochen, ihrem Volk Gehör zu schenken. Auch wenn dies bedeutete, ihren Groll zu spüren zu bekommen.
„Die Barone in ihrer Burg scheren sich jedenfalls einen Dreck darum, wie es uns ergeht, wenn sie im Schutz ihrer Halle dem beständigen Prasseln des Regens lauschen!“ Maka wandte sich nun ganz den Seinen zu. „Als ein Erdrutsch die gesamte Herde von Khita in den Abgrund riss, was taten da die Barone? Sie saßen an ihrer reich gedeckten Tafel und speisten zu Abend. Als Ucas Land vom Waldfluss überschwemmt wurde und seine Tochter an einer Lungenentzündung starb, was taten da die Barone? Sie befanden sich im großen Salon, um den Wein zu kosten, der aus Arkadien eingetroffen war. Sag mir, Rahella, was taten die Barone, als dein Bruder letzten Monat verhungerte, um seinen Kindern wenigstens das Nötigste an Essen zu überlassen?“
Eine hochgewachsene Koboldfrau trat im Fackelschein vor: „Sie feierten ein Fest zum Abschied ihrer Tochter, die in ihre neue, prunkvolle Baronie zog. Dein Abgesandter Cirinth war auch bei ihnen …“
Maka wirbelte zu Morwenna herum: „Ah, Cirinth! Der Gesandte der Fürsten! Als ich noch dumm genug war, dir und deinen Schwüren zu glauben, Fürstin, da dachte ich, dieser Elf sei unsere Rettung! Und was tat sich?“
Zur Antwort spukte die Koboldfrau auf den Felsen aus.
„Nichts als Lügen und Hohn!“ Maka legte seine Hand an das rubinbesetzte Heft seines Schwerts. „All das Gold, was ihr nun mit Arkadien und Aelburin nach Langollion holt, was sehen wir davon?! Nichts! Nun holen wir uns das, was uns zusteht – anders will man uns ja ganz offensichtlich kein Gehör schenken!“
Morwenna schüttelte ihr Haupt und hob die Hände: „Ich bin hier, um zu helfen. Lass mich sprechen!“
„Nun gut, Fürstin“, sprach Maka im süffisanten Tonfall. „Du hast unsere ungeteilte Aufmerksamkeit!“
Jeder Blick in der Menge galt nun ihr, aber Morwenna wusste: Jedes Wort, das nun ihre Lippen verließ, wäre wie eine Feder im Orkan. Diese Albenkinder waren heute Nacht nicht gekommen, um mit Vernunft und Willen einen Weg der Besserung zu diskutieren. Sie waren gekommen, um Morwenna büßen zu lassen. Ganz egal wie, sie wollten ihre Demütigung und Maka schien gewillt, diesem Wunsch zu entsprechen. Ihr Augenmerk ging durch die Reihen und erkannte nur blanke Abscheu mit dieser Prise an Angst, welche die Situation jede Sekunde in ein züngelndes Inferno wandeln könnte.
Endlich vermochte Morwenna, Naylin unter den anwesenden Albenkindern auszumachen. Die Heilerin in ihren Diensten schenkte ihr ein zum Scheitern verurteiltes Lächeln der Aufmunterung. Dies konnte die unbändige Unruhe in ihrem Innern kaum lindern, als sie die Stimme an die Aufständischen hob: „Ihr haltet meine Vasallen als Geiseln in ihrer Burg. Ihr habt ehrliche Albenkinder um ihren Lohn und ihre Arbeit beraubt. Ihr habt mein Land verunstaltet mit diesem schändlichen Zauber! Ihr lasst mich, eure Fürstin, hier auftreten als Angeklagte in einem Verhör und wagt es, mir zu drohen! Und doch …“
Ihr Herz pochte wild und so schmerzhaft in ihrer Brust, dass sie fürchtete, ihre Rippen würden bersten. Sie hatte das Gefühl, dass keine Luft mehr ihre Lungen erreichte und ihre Gedanken waren nur von einem Gedanken erfüllt: Jornowell. Ausgerechnet in diesem Moment kreuzte der Elf ihren Verstand. Statt sich zu fragen, was Alathaia in ihrer Situation getan hätte, wählte sie Jornowells Wesen als Vorbild. Und er ließ sie das tun, was wohl niemand der Anwesenden für möglich gehalten hätte.
Morwenna ging hinuter in die Knie, kauerte im Schlamm vor Maka und Filan, den Blick ungebrochen auf die beiden Gestalten gelenkt, die sie fallen sehen wollten. Ein lautstarkes Raunen ging durch die Reihen der Albenkinder. Fassungslosigkeit peitschte ihr entgegen. Die Fürstin sprach erst weiter, als sich die aufgeregten Stimmen über ihr senkten. Doch das Flüstern und Raunen, die Rufe und Schreie waren wie ein Lauffeuer, das nicht abbrechen wollte …
„Ich schwöre bei meinem Blut, ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um euren Leiden ein Ende zu setzten!“, rief Morwenna gegen das erneut aufkommende Stimmen-Wirrwarr an und erreichte damit nur noch mehr Unruhe. Noch immer herrschte Unglauben unter den Albenkindern und auch Ablehnung, während Maka sie anstarrte, als sei er vom Donner gerührt worden. „Weitere Nahrungsmittel und warme Kleidung sind bereits auf dem Weg zu euch und mehr wird kommen.“
Es war Filan, der ganz zurückhaltend und leise das Wort an sie richtete: „Was können wir auf solch ein Wort geben, das schon hundertfach gegeben wurde? Wir haben in diesem Unterfangen nicht unsere Leben verwirkt, um von Worten abgespeist zu werden. Ganz gleich, mit welcher Geste sie überbracht werden.“
Morwenna entgegnete ihm zuversichtlich: „Euer Schutz wird garantiert und ich …“
„Genug!“, brüllte da eine Stimme aus dem Pulk. „Noch mehr Lügen! Ich kann es nicht mehr hören! Ihr wurde das Talent zum Lügen doch schon mit der Muttermilch eingeflößt!“
„Wie ihre Mutter ist sie!“, rief eine Frauenstimme. „Alathaia hat dafür gesorgt, dass nicht nur weite Teile Langollions zerstört wurden und wir vor den anderen Reichen auf ewig geächtet sind …“
Eine neue Stimme: „Und wer leistet die Abbitte?“
„Uns wurde das Gold aus den Rippen geschnitten für die Ausgleichszahlungen nach den Schattenkriegen!“
Morwenna wollte etwas erwidern, doch da ging ein erschrockenes Rufen durch die Menge und die Fürstin fühlte eine gewaltige Erschütterung im Netz der Magie. Wie ein Schlag traf sie die plötzliche Veränderung und sie zuckte entsetzt zusammen, als ihre Glieder unter der plötzlichen Implosion der Machtgefüge zu zittern begannen.
„Was geschieht da?“
„Das Feuer! Seht, es verlischt!“
„Ein Hinterhalt!“
„Der Feuerwall löst sich auf …“
Morwenna wagte nicht, dem Gesagten zu trauen. Als sie sich umwandte, bemerkte sie aber, wie sich der rote Schein Stück für Stück aus dem Wald verflüchtigte. Wie die untergehende Sonne zog sich das Licht zurück und erlosch. Die Flammen verschwanden ins Nichts und die nächtliche Schwärze legte sich über die Tannen wie eine Geisterhand. Der Wald wurde wieder frei …
„Was ist das für eine Tücke!?“, forderte Maka zu wissen. Morwenna blieb nur, ihn sprachlos anzublicken, als der Kobold erneut nach seinem grobschlächtigen Schwert griff und es ungeschickt aus der Scheide zu lösen versuchte. Filan neben ihm schien in einer Art Trance gefangen, seine Augen waren auf eigentümliche Weise verdreht …
„Ich schwöre dir, damit habe ich nichts zu tun!“, wisperte Morwenna eindringlich.
„Lügen!“ Maka zog das Heft weiter hervor. „Du hast uns in den Tod gelockt!“
Morwenna wusste nicht, was sie sagen sollte. Wer vermochte es, diesen mächtigen Zauber zu brechen? Auf diese Schnelle …
„Morwenna!“ Der Ruf gellte in Rücken auf und der Fürstin warf einen warnenden Blick zurück, um Silvain aufzuhalten: „Bleib, wo du bist! Das Gespräch ist noch nicht beendet!“
Sie wusste, wenn sie Maka nun nicht zu fassen bekam, würde sich alles nur noch weiter verschlimmern. Sie durfte nicht locker lassen!
„Maka“, wandte sie sich wieder an den Kobold, der augenscheinlich am Rande seiner Selbstbeherrschung und innerlichen Fassung war. Hinter ihm löste sich der Tross der Widerständler auf und einige Albenkinder flohen hektisch in den finsteren Schutz der Bergwälder. „Hör mich an!“
Filan zuckte neben Maka in einer grotesken Art zusammen, ehe seine Augen wieder klar wurden. Er schnappte mehrmals röchelnd nach Luft: „Tiranu! Er … er ist auf der Nebelburg!“
Hinter ihr erklangen rasche Schritte, geführt mit Hast und Schrecken. „Vorsicht!“
„Nein!“ Makas Schrei hallte hundertfach in ihren Ohren wieder, ehe Morwenna begreifen konnte, was geschehen war. Woher …
„Du elende Lügnerin!“ Der Kobold zitterte erbärmlich, vor Angst und Wut und Verzweiflung und endlich fanden seine Finger den richtigen Griff um das Heft. Seine Stimme war schrill und hell und bohrte sich in ihren Kopf wie ein langer Stachel. „Falsche Schlange!“
Ein silberner Schein zog direkt vor ihrem Gesicht durch die Luft, als Maka blank zog und die Klinge mit der Verzweiflung eines Ertrinkenden in ihre Richtung schleuderte. Morwenna sprang auf – versuchte es und fand keinen Halt im schlammigen Untergrund. Im letzten Moment hob sie einem übergreifenden Instinkt gehorchend die Hände. Abwehrend. Schützend. Hoffnungslos.
Sie musste dem Schwert in der Hand des Kobolds entgegenblicken. Viel zu schnell flog es ihr entgegen, um einen klaren Gedanken zu fassen. Viel zu langsam, um auf ein baldiges Ende zu hoffen.
Erstickt in lähmenden Schreck und reißender Hilfslosigkeit schloss sie die Augen.