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Schattenspiele

von Riniell
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Fantasy / P16 / Gen
Emerelle OC (Own Character) Tiranu Yulivee
20.12.2015
01.12.2016
50
187.715
3
Alle Kapitel
52 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
 
14.04.2016 3.827
 
Ja, ich weiß: Ich halte mich selbst nicht an meinen eigenen Postingtag, aber die beinahe 80 Klicks zum letzten Kapitel haben mich angespornt, schnell weiter zu machen! Natürlich waren auch – maßgeblich – die Reviews und Mails von Flammendo, Fay, Xijoria und Nenduiel daran „schuld“. Ich bin leicht zu beeinflussen, was das angeht *zwinker* Danke euch allen!!

Viel Spaß mit Kapitel 18:





Der Macht beraubt, der Wille stark




Yulivee dachte nicht daran, dem lachhaften Befehl des Fürsten nachzukommen. Weglaufen!? Hatte er den Rest seines gering bemessenen Verstands verloren?

Zornig rappelte sie sich auf ihre Beine und beobachtete, wie sich die hochgewachsene Frauengestalt aus massivem Marmorstein erneut dem Fürsten näherte. Die Nymphe wirkte trotz der bedrohlichen, beinahe aggressiv wirkenden Bewegungen nicht real. Ihre verdrehten Beine pflügten ungeschickt über den Boden, während ihre Arme krampfend auf Tiranu zu schnellten.  

Yulivee wollte eine Warnung durch den Nebel schreien, doch kaum öffnete sie den Mund, befand sich Tiranu schon gut zwei Schritt von der Kreatur entfernt. Dabei vergaß er nicht, ihr einen bedrohlichen Blick zuzuwerfen, der sie eins deutlich verstehen ließ: Sie war hier überflüssig!

Die Erzmagierin blickte über die Schulter, wo sich der rettende Weg der Flucht geradezu verführerisch vor ihr ausbreitete. Oh, nein! Sie hatte diesen Wahnsinn begonnen und sie würde ihn auch zum Ende bringen …

Tiranu mochte flink sein, doch seine Macht gipfelte im Messer, das seine Hand führte. Wie sollte er mit diesem durch den harten Marmor schneiden, oder sich gar der Bestie entledigen? Magie schien die einzige Möglichkeit, diesem … Ding Herr zu werden. Das musste auch Tiranu in seiner Selbstherrlichkeit einsehen!

Als würde die ins Leben gerufene Statue ihre Gedanken verfolgen, preschte sie erneut vor und griff nach dem dunkelhaarigen Krieger. Alles, was Yulivee in wilder Panik blieb, war den ersten Zauber zu beschwören, der ihre sirrenden Gedanken kreuzte.

Und tatsächlich: Die Worte der Macht ließen das Ungeheuer urplötzlich erstarren. Eine Welle der euphorischen Erleichterung rollte durch den Leib der Magierin. Sie lachte auf.

Stille!

Doch Tiranu schien ihren frohen Mut nicht zu teilen. Er brachte weiter heilbringenden Abstand zwischen sich und die Kreatur, als Yulivee schmerzhaft langsam bemerkte, dass die plötzliche Ruhe nicht ihrer Magie geschuldet war … Ihr gellender Schrei hatte lediglich die Aufmerksamkeit der Statue in ihre Richtung gelenkt.

Ihre Macht verpuffte im Nichts!

Ihr Herz rutschte ein schmerzliches Stück tiefer, während sich eine eisige Hand um ihren Magen krallte. Die Nymphe aus Marmor fuhr mit brachialer Wucht herum und schleuderte ihre Arme nach Yulivee.

Die Elfe war noch weit außerhalb der Reichweite, doch schon setzte das Ungetüm ihr nach. Um mehr als eine Leibeshöhe überragte der Marmor Yulivee, das zeitlos schöne Gesicht verzerrt von Rissen und totbringender Lebendigkeit.

Nein! Das … Das war unmöglich! Ein Traum, nur ein schlechter Traum!

„Yulivee!“, hörte sie ihren Namen durch den trüben Schleier des Niederschlags hallen und endlich erwachte die Magierin aus ihrer Starre. Sie wandte sich um und hastete dem schmalen Pfad inmitten der Hecken mit fliegenden Schritten entgegen.

Den panikgeweiteten Blick über ihre Schulter, die Sinne verworren wie das magische Netz des Labyrinths selbst rannte die Elfe … und zu spät bemerkte sie die tückischen Steinbrocken des zersprengten Brunnens vor ihren Füßen. Sie wollte darüber springen, doch geriet nur erschrocken ins Taumeln, als die Kreatur nach ihrem Mantel griff. Der Zug um ihren Hals nahm ihr einem Schlag gleich die Luft zum Atmen. Mit dem Mut der Verzweiflung stemmte sie sich gegen den Halt – nur ein weiterer Schritt und die Verschlussbrosche könnte brechen! Ein hauchfeines Geräusch erklang: Die Nadel war aus ihrer Halterung gesprungen… Der Ruck ließ sie haltlos nach vorne schnellen. Unabwendbar prallte sie gegen die scharfe Kante eines aufragenden Steins und fiel der Länge nach zu Boden. Ein dumpfer Schlag gegen ihre Schläfe ließ sie unterdrückt aufkeuchen und kaum später erschrocken nach Luft japsen. Was hinter ihrem Rücken von Statten ging, glitt kaum noch in ihr Bewusstsein. Für einen langen Moment war sie ganz und gar taub. Die Farben vor ihren Augen verblassten, die Geräusche in ihren Ohren klangen weit, weit entfernt, ehe sich die Szenerie im milchigen Nebel verflüchtigte…



Yulivees Augen brannten. Ein gleißend helles Licht flog von einer offen stehenden Fensterfront an sie heran. Der Geruch von Pergament und Tinte kroch angenehm in ihre Nase und ließ sie verwundert den Blick schweifen. Schreibpulte, langgezogene Regale voller Schriftrollen, Folianten und Pergamentbündel. An den Wänden hingen bunt gewebte Teppiche und detailgetreue Karten der Albenmark. Yulivees Schädel schmerzte, als sie sich zu erinnern versuchte, was geschehen war … warum …?

„Es wird nicht mehr lange dauern und selbst ich kann dich nichts mehr lehren!“ Yulivee fuhr herum, als die Stimme erklang. Ein knapp bemessener, beinahe untersetzt wirkender Elf mit kahl geschorenem Kopf schlug einen staubwirbelnden Folianten zu und tippte mit den Fingern gegen den ledernen Einband. „Erst dreizehn Lenzen alt und schon Meisterin auf dem Gebiet der Vorzeit. Die Drachen scheinen es dir angetan zu haben, junge Dame!“

Der Blick aus seinen einnehmend hellen Augen suchte das Lächeln einer jungen Elfe, die am anderen Ende eines wuchtigen Schreibpults saß. Sie strich verlegen über die Schnitzereien auf der Tischplatte, die eine blühende Rose nachempfand. So nahe stand Yulivee bei ihr, dass sie die Tintenflecke auf den Fingern des Mädchens sehen konnte. Doch bemerkt wurde sie offenbar nicht.

„Du schmeichelst mir, Kandar! Allerdings … ich zähle bereits vierzehn Sommer und diese Sagen … sie brennen sich in meinen Kopf als seien sie die Aufzeichnungen eines lange vergangenen Traums. So vertraut und doch hört sich jedes Wort … neu und unbekannt an. Verstehst du, wovon ich spreche?“ Die Elfe hob ratlos die Schultern und kaute dabei nachdenklich auf einer schmalen Lippe herum. Das schwarze Haar fiel ihr in sanften Wellen um den Hals und reichte kaum an ihr Schlüsselbein heran.

Yulivee erkannte diese Erscheinung sofort an den grünen Augen, deren durchdringender Blick sie in Gedanken heimsuchte. Luana! Erneut ein Traum? Woher nur kamen diese Bilder?

Der Angesprochene strich mit spitzen Fingern über seine Glatze: „Nun, wer weiß, woher deine Seele stammt, Luana! Vieles ist möglich und nichts gewiss. Ich bin dein Lehrmeister und dein Wesen ist mir lange vertraut … Ich glaube an deine Stärke! Wenn du nur deine Selbstzweifel bekämpfen könntest! Du würdest so viel mehr erreichen. Ziehe deine Kraft aus der Zukunft und stärke das Reich, welches dir einst anvertraut sein wird, statt in die Vergangenheit zu flüchten!“

Luana sank auf dem Stuhl zusammen und ließ ihren Blick auf dem Holz ruhen: „Mutter ist schwanger ...“

Der kahlköpfige Elf atmete tief ein: „Das haben wir bereits ausführlich besprochen. Die Schwangerschaft deiner Mutter zog sich so lange hin, weil die Regierungsgeschäfte an ihren Kräften zehren. Lange war sie nicht bereit, dem Kind wahrhaftigen Platz zum Gedeihen zu gewähren, doch nun …

Dieses Kind wird mich in allem übertreffen und…“

„Luana!“ Der Lehrmeister sprang von seinem Stuhl auf. „Dieses Gespräch wird nicht wie das letzte enden! Ich habe es dir bereits gesagt: Niemand zweifelt an deiner Eignung für die Bürde der Erbin! Du bist eine begnadete Magierin und wirst einmal eine Gelehrte werden, deren Weisheit ihres Gleichen sucht …“

Auch Luana erhob sich, langsam wie ein geprügelter Hund nach einer Schelte: „Das ist nicht das, was Mutter möchte. Sie will eine Kriegerin, eine Kämpferin. Eine Persönlichkeit, welche andere willentlich in den Schatten stellt … in ihren Bann zieht und in Fesseln schlägt. Sie will kein rechtschaffendes Kind, welches klug und gelehrig ist. Keine Bescheidenheit, keine Umsicht. Sie will Gnadenlosigkeit und die Bereitschaft, alles zu tun. Alles …“

„Hat sie dir das gesagt?“

„Sie lässt es mich jeden Tag wissen“, entfuhr es Luana, während ihre Finger erneut die stilisierte Rose nachzeichneten. „Du sprachst von meiner Seele…“

„Ja?“ Der Elf umrundete den Tisch und sah Luana in die Augen. Er reichte ihr nur bis an die Schultern, doch sein Auftreten sprach von der Sicherheit eines ganzen Bollwerks. „Ich bitte dich, vertraue dich mir an. Ich kann nicht sehen, wie du leidest.“

Die Tochter Alathaias sah nicht auf, als sie murmelte: „Ich höre sie schreien.“

„Wen?“

„Meine Seele; nachts in der Stille, wenn ich in den Gärten spazieren gehe, in den Lehrstunden mit Mutter. Manchmal … manchmal wird das Verlangen übermächtig, ihrem Fordern nachzukommen. Das meiner Seele, meine ich. Sie will … sie will etwas von mir und sie wird fordernder nach jeder Belehrung, die Mutter mir in der dunklen Kunst gibt.“

Kandar schüttelte das Haupt: „Das ist nicht deine Seele, Luana. Das ist …“

Eine Irrung, ein Hirngespinst?“ Luana sah auf. „Ich weiß nur, es ist ein Teil von mir und es will …mehr!“ Ihr Atem rasselte, als sie die Luft aus ihren Lungen gleiten ließ und ihr Blick sich verfinsterte. „Ich verachte Alathaia! Meine eigene Mutter … du hast mir gezeigt, dass … und doch … Ich will so sehr sein, wie sie; ihren Ansprüchen gerecht werden und all meinen Zweifel den Rücken zukehren. Ich will es wirklich … Ich brenne danach! Meine Seele verlangt nach den Geheimnissen der dunklen Kunst. Ich will sie ergründen, die Macht spüren und nicht darüber nachdenken müssen, ob es richtig oder falsch ist, was ich tue.“

Tränen sammelten sich in ihren Augen, doch waren dies nicht einfache Tränen der Trauer. Diese Elfe schien der zerreißenden Verzweiflung nahe, welche eine Seele so nur in den geringen Jahren der Jugend befallen konnte. Doch war Yulivee gebannt von den Worten der Fürstentochter. Was hatte Alathaia ihrer Ältesten zugemutet!?

„Es ist nur normal, dass du deinen Platz in diesen Welten finden möchtest“, beschwichtige Kandar. „Auch wenn deine Gedanken zur Extreme neigen. Es ist aber nichts Falsches daran, seine Wünsche und Verlangen auszuloten.“

„Und wenn ich es tue?“ Luana ließ sich wieder auf den Stuhl sinken und legte ihre schmalen Hände auf die Lehnen. „Wenn ich dem nachgebe? Was ist der Preis dafür?“

„Der Preis ist der, den wir alle zahlen müssen: Die Erkenntnis, dass Freiheit die große Lüge des Lebens ist. Und mit jeder Entscheidung, die wir treffen, binden wir uns mehr. Liebe, Ehre, Pflicht, Erwartungen, Sehnsüchte …Niemand ist vor diesen Dingen gefeit. Erst recht nicht vor den Konsequenzen, wenn wir unsere Aufmerksamkeit lediglich auf eines davon beschränken oder gar versuchen, ihrer aller Vollkommenheit nachzujagen


Sie erwachte mit stechenden Kopfschmerzen. Es war still, herrlich still. Die ziehenden Nachwehen des Traums wallten langsam ab. Yulivees Hand wanderte zögerlich, beinahe gefühlslos zu ihrer drückenden Stirn, als könnte sie die pressende Last dort einfach von sich wischen.

„Lass das!“

Ihre Finger ertasteten einen kalten Widerstand, der sich nicht recht zuordnen ließ. In ihrem Mund breitete sich der metallisch-heiße Geschmack von Blut aus.

„Lass das!“, forderte die entrückte Stimme erneut mit schwerem Nachdruck, als sie den Wiederstand fortschieben wollte.

Yulivee öffnete unwillig die brennenden Augen und sah sich einem finsteren Blick entgegen. Ein finsterer Blick aus schwarzen Augen.

Sie schauderte.

Noch immer suchten sie die Worte aus dem Traum heim. Was war geschehen? Eben noch war sie Tiranu begegnet, dann …

Die Nymphe aus Stein! Bei den Alben, dieses Unding … zum Leben war es erwacht und hatte aus einem unnatürlichem Trieb heraus versucht, sie zu töten. Yulivee erinnerte sich an den jähen Schmerz – sie war ohnmächtig geworden und erneut schlich sich das Abbild Luanas in ihre Träume.

Irritiert bemerkte sie, dass sie ausgestreckt auf der klammen Mooswiese lag. Tiranu kniete mit verkniffener Miene an ihrer Seite, während er aufmerksam die Umgebung maß. Sein Augenmerk streifte immer wieder ihre Gestalt.

„Warum bist du geblieben!? Ich habe dir gesagt, du sollst weglaufen!“, raunte er nicht wenig angriffslustig, als er ihren Blick bemerkte.

Yulivee kniff die braunen Augen zusammen und zog die Stirn in Falten: „Das Ding war aus massiven Stein … nicht einmal du …“

„War es nicht!“, fuhr Tiranu dazwischen. „Hast du es nicht bemerkt?!“

Ein weißes Hauchen verließ die Lippen der Elfe, während ihre Augen den Flug der Dunstwolken am Himmel verfolgten: „Diese … Statue war ein Trug. Es war ein Zauber, ein Wesen aus reiner Magie geschaffen… Ich … ich habe so etwas noch nie gesehen“, flüsterte sie, als hätte sie Angst, ihre Worte könnten eine zweite Realität schaffen. „Was für ein Spiel wird hier gespielt?!“

Tiranu wollte etwas sagen, doch Yulivee durchzuckte ein Gedanke, welcher für einen Moment alles stimmig erschienen ließ: „Du … du warst das! Du verfolgst mich schon seit Anfang des Labyrinths, habe ich Recht?! Du willst mir Angst machen!“ Mit zusammengebissenen Lippen schüttelte sie das schmerzende Haupt. „Das schaffst du nicht! Das treibt mich nur weiter an … Ich werde … ich werde finden, was hier verborgen ist!“

Der Fürst ließ nicht erkennen, was er zu ihren Worten dachte, als er mahnend die Stimme hob: „Du solltest nicht …“

„Du solltest mir nicht sagen, was ich zu tun habe!“, spie sie aus und erhob sich auf die Unterarme. Etwas fiel auf ihren Schoß, was sie fragend an ihre pochende Stirn greifen ließ. Ein Bündel der alles beherrschenden Rosenblätter lag auf dem blauen Stoff ihrer Hose. Eine dünne Frostschicht umzog ihre raue, grünlich schimmernde Struktur. Tiranu musste einen Zauber um sie gewoben haben, um ihre Stirn zu kühlen. Der Sturz, richtig … das war … ungeschickt!

„Danke“, murmelte sie. „Auch wenn du es nicht verdient hast, aber … danke!“

Auch ihr wurde nun klar, dass es ungemein töricht von Tiranu gewesen wäre, einen Zauber zu erschaffen, der ihn selbst bedrohte. Auch wenn ein winziger Teil von Yulivee zu glauben bereit war, dass dies eine weitere schmierige Taktik des Schnitter-Fürsten sein könnte …

Tiranu schwieg und erhob sich, um zu den Überresten des Brunnens herüberzugehen. Sein Blick musterte die kleine Ruine, während sie sich aufrappelte und dabei gefährlich schwankte. Ihr war schwindelig.

„Das Labyrinth spielt mit uns!“, stellte sie fest, um die Stille zu durchbrechen. Die Magierin musste sich anstrengen, den Faden nicht zu verlieren. Ihr Kopf pochte unaufhörlich … „Meine Magie … Es ist fast so, als hätte ich die Kontrolle darüber verloren!“  Sie war nicht sicher, ob es klug war, ihn einzuweihen. Wohl war es nach dem misslungenen Zauber von vorhin aber kein Geheimnis mehr, in das er nicht eingeweiht zu sein schien. „Diese fremden Strukturen … sie sind wild und irritieren meinen Blick. Wie ist es möglich, dass du … Du hast diese Blätter gefrieren lassen!“

Ihre unausgesprochene Frage prallte scheinbar an Tiranus Rücken ab, während sie ihren Stolz hinunter zu schlucken versuchte, um nicht weiter stur und beharrlich zu bleiben. Es machte ja doch keinen Unterschied! Auch ohne ihre magischen Fähigkeiten brauchte sie diesen Wichtigtuer nicht, um ans Ziel zu kommen!

Sie bückte sich nach ihrem Mantel, der sie gegen die feuchten Grashalme abgeschirmt hatte und beäugte verzweifelt die Risse und Löcher darin. Er hing in Fetzen! Ihre Hände ballten sich zu blass-roten Fäusten, die sich in den Stoff krallten. Von ein paar Schürfwunden ließ sie sich nicht aufhalten und erst recht nicht von etwas Kälte!

„Du hast aus dem Brunnen getrunken.“

Yulivee sah auf und blickte erneut auf den Rücken des Kriegers.

„Hast du davor schon etwas getrunken?“

Yulivee ließ den Mantel sinken: „Ja …“

Tiranu schaute mit einem kaum wahrnehmbaren Seufzen in den Himmel und schüttelte das dunkle Haupt. „Das war ein Fehler!“

„Hätte ich verdursten sollen?!“, fuhr sie ihn an. Wieso tat er so geheimnisvoll? Sollte er doch auf den Punkt kommen oder am besten gleich das Schandmaul halten!

„Ein wenig mehr Selbstkontrolle wäre angemessen für die Erzmagierin unseres Reichs, findest du nicht?“, herrschte sie der Fürst an, als er mit zornesfunkelnden Augen herumfuhr: „Du betrittst mein Land, stümperst in der Vergangenheit meiner Sippe herum und besitzt auch noch die Dreistigkeit, meinen Hofstaat auszuhören … Und nun betrittst du blindlinks, ohne jede Vorbereitung und aus völlig irrationalen Gründen dieses Labyrinth, um die Heldin zu spielen! Wem willst du mit dieser ausgesprochenen Idiotie etwas beweisen? Den Blütenfeen im Herzland!?“

Zuerst glaubte sie, ihren Unmut über diese Standpauke hinausschreien zu müssen, als er ungeachtet ihrer zornesfletschenden Mimik fortfuhr: „Woher glaubst du, kommen die Gerüchte um dieses Labyrinth, die horrende Zahl der Toten und Verschollenen? Bist du wirklich dumm genug zu glauben, einfach hier herum spazieren zu können, ohne Plan oder Struktur, ohne Wissen um die Gefahren und Konsequenzen?!“

„Ich schätze deine Sorge um mich, Fürst“, stellte Yulivee mit kalter Manier klar. „Aber bisher kam ich ganz gut allein zurecht.“

Tiranu lachte höhnisch auf: „Das sehe ich! Du trinkst das Gift des Labyrinths und weißt nicht einmal darum! Ich gestehe es unter diesem Aspekt natürlich: Meine Vorbehalte waren ungerechtfertigt! Ich sollte gehen und … dich sterben lassen.“

Den Inhalt der Worte verdrängend, wählte sie den Angriff als die beste Chance ihrer Verteidigung: „Bitte! Emerelle wird sich nach diesem schnellen Prozess, welcher dich im Falle meines Ablebens in Langollion erwartet, die Finger lecken!“

Das Gesicht des Fürsten wurde verdächtig regungslos, nur seine Augen spielten ein Facettenspiel der tiefer werdenden Abgründe: „Hast du mir nicht zugehört? Es ist bereits zu spät für dich!“

„Bei den Alben!“, stöhnte Yulivee auf. „Lass diesen verzärtelten Fatalismus sein und sag mir endlich, was du meinst!“

Der Spott zupfte trotz ihrer Worte an seinen Mundwinkeln: „Das Wasser, welches du hier trinkst, ist verwunschen, Erzmagierin! Welcher Quelle es auch entspringt, welches Blatt es auch benetzt … es verändert dich! Warum glaubst du, nimmt kein Wanderer Speis oder Trank mit in das Labyrinth hinein? Die Gerüchte um die Fäulnis, welches sie beschlägt, sind eine billige Metapher für die wahre Wirkung. Deine Magie wird dir nichts mehr nützen … und dein verfluchter Sturkopf bringt dich dem Tode mit jedem Schritt näher!“

Ihr war, als hätte jemand den Boden unter ihren Füßen fortgezogen. Vergiftet?! Sie schien zu fallen –  wie auch ihr Herz, ihr Mut, ihre Hoffnung!  

Ich habe überstürzt und unüberlegt gehandelt!‘, wurde ihr schmerzhaft bewusst. ‚Ich hätte mich Jornowell anvertrauen sollen, doch meine Sorge um ihn machte mich blind … Bin ich wirklich gescheitert!?‘

Nein, sie würde nicht klein beigeben! Sie war so weit gekommen, da würden auch die unheilbringenden Worte dieses Wichtigtuers sie nicht aufhalten! Verfluchte Quellen hin oder her, nie würde sie vor dem Fürsten eine Schwäche eingestehen. Noch hatte sie ihren Willen! Wozu brauchte sie dann die Bequemlichkeit ihrer Zauber?

„Ich werde weiter gehen“, beschloss sie und ließ ihren zerschlissenen Mantel zu Boden sinken, während sie ihre Gestalt straffte. „Wenn du Angst hast, kann ich das sehr gut verstehen. Geh zurück in deinen Turm und vergrabe dich dort an einem wärmenden Kamin … Ich gebe nicht auf!“


* * *


Unglaubend verfolgte Tiranu die Schritte der Magierin. Sie war drauf und dran, den Weg einzuschlagen, den sie eben noch zu ihrer Flucht auserkoren hatte.

Sie musste ganz und gar ihren Verstand verloren haben! Es schien fast so, als würde sie es überhaupt nicht kümmern, dass sie nicht länger über ihre Magie verfügte … oder gerade um ein Haar umgekommen wäre!

Schnaubend prüfte er den Sitz des langen Dolchs an seinem Gürtel. Im Nachhinein wäre es klüger gewesen, das Rapier mit sich zu führen, doch ein einfacher Dolch wirkte wohl weit weniger bedrohlich auf die Magierin, als eine Kriegswaffe es getan hätte. Wenn er sie zum Einlenken hätte bringen können, dann durch Diplomatie. Diese war wohl gründlich gegen die Wand gekarrt worden!

Tiranu wusste, dass es unmöglich war, sie alleine weiterziehen zu lassen, auch wenn eine innere Stimme ihn unablässig dazu anhielt. Wenn ihr etwas zustieß, würde es unweigerlich auf ihn zurückfallen. Dann bekam Emerelle genau das, was sie brauchte. Ganz so wie Yulivee es eben gesagt hatte! Soweit würde es nicht kommen, schwor er sich.

Er mussten dieses Gör zur Räson bringen!

Der Fürst Langollions sah sich um. Die Statue hatte sich aus dem Ruinenfeld des Brunnens verflüchtigt. Nach Yulivees ungeschicktem Sturz und ihrer augenblicklichen Benommenheit, war die steinerne Nymphe in tausend Teile zersprungen. Doch keine Steinsplitter, sondern lebendige, umherflatternde Wesen stoben auseinander und ließen Tiranu erstarren. Wohlweißlich hielt er beharrlich den Mund, was dieses Detail anging. Wenn sie in Panik ausbrach, war niemandem geholfen.

Das Labyrinth übte ohnehin einen übermäßigen Einfluss auf die Magierin aus. Es vergiftete nicht nur ihren Körper, sondern ihren Verstand!

Seine Kiefer malmten. Luana war einst auch eine mächtige Magierin gewesen. Sie war hier vor so langer Zeit umgekommen… Hatte sie etwa aus ähnlich verwirrten Impulsen heraus ihr eigenes Leben beendet?!

Nein! Sie war stark gewesen, beeinflussbar, aber stark. Es war ein Verrat gewesen, ein Trug, welcher ihr Leben beendete… Er kannte die Wahrheit!

Noch immer blickte er Yulivee nach. Das Klirren ihrer Fußkettchen wob eine zerrüttete Melodie in die Szenerie, welche so surreal wirkte. Ein kleiner Teil in ihm bewunderte sie für ihren Wagemut, verfluchte sie aber im selben Atemzug für ihren Leichtsinn. Für wen hielt sie sich!?

„Yulivee!“, rief er und erreichte damit tatsächlich ein kurzes Stocken in ihren Bewegungen. „Du gehst in die falsche Richtung!“

Mit einem fragenden Blick wandte die Erzmagierin sich um und musterte ihn. Anschließend glitt ihr Blick über die Überreste des Brunnens, die Wiese, die Hecken und schließlich den Weg auf der anderen Seite: „Oh!“

Der Fürst schloss entnervt die Augen. Was hatte Emerelle sich dabei gedacht, ausgerechnet dieses Mädchen zu schicken?! Beinahe fühlte er sich beleidigt…

Aber auch unmäßig herausgefordert.

Die mächtigste Magierin der gesamten Albenmark fand ihren Weg in seine Gefilde und wagte es, ihn in offener Manier herauszufordern. Dies war der Stoff für eine Erzählung, die den alten Sagen längst vergangener Zeiten in nichts nachstand.

Wenn Yulivee nur nicht so töricht gewesen wäre, ihre magische Empfänglichkeit aufs Spiel zu setzen… Wenn sie sich nicht bald fing, blieb sie lediglich das sprunghafte Mädchen, von dem es hieß, sie säße gern in den Auen der Albenmark, um mit den Schmetterlingen zu sprechen.

Tiranu musterte beklommen seine Kontrahentin, ganz so als stünde ein unlösbares Rätsel vor ihm. Dass sie von einem wahrhaften Dschinn erzogen wurde, mochte er in diesem Moment gerne glauben. Ihr dunkelbraunes Haar fiel zerzaust in ihr aufgeschürftes Gesicht und die Wahl ihrer Kleidung war eine ausgesprochene Katastrophe! Ihr Blick sprach von törichter Trotzigkeit, als sie sein Starren erwiderte. „Was gaffst du so dämlich?!“

Tiranu hob nur eine zweifelnde Braue, als sich die ersten Tropfen eines frühjährlichen Regenschauers aus dem wolkenverhangenen Himmel lösten.

„Bei den Alben! Genau das hat noch gefehlt!“, keuchte Yulivee. Beinahe hastig schritt sie an ihm vorüber und wählte schließlich den Pfad in den Rosenhecken, welcher sie weiter ins Innere des Labyrinths bringen sollte.

Tiranu hob erneut die Stimme: „Was glaubst du, tust du da?!“

„Ich suche einen Grund, dein verdammtes Land endlich verlassen zu können“, rief die Magierin über die Schulter hinweg und dachte wohl nicht daran, ihm irgendetwas entgegenzubringen, was nur einen Hauch von Respekt anhaftete.

„Ich könnte dir einen geben, wenn du versprichst, es sofort zu tun!“

„Du kannst es versuchen, Fürst.“

________

Wie hat euch das erneute, kurze Intermezzo mit Luana gefallen? War es spannend oder störend? Wenn ihr mehr zu Alathaias Schwangerschaft in diesem Zusammenhang lesen wollt, dann lest gerne meinen neuesten Oneshot zu den Elfenstories: Königinnenmörderin. Es ist nicht nötig, diese Story zu lesen, um hier in „Schattenspiele“ den Überblick zu behalten bzw. die folgende Handlung zu verstehen. Nur ein Ausflug in Alathaias Gedankenwelt als Tochter und Mutter.

Ihr könnt euch übrigens darauf verlassen, dass Luana noch einige Momente in dieser Story geschenkt bekommt. Ihr Geheimnis liegt nun vor Tiranu und Yulivee und ich brenne darauf, euch daran teilhaben zu lassen. Schreibt mir eure Meinungen und Erwartungen – ich bin so neugierig :3

Ansonsten wünsche ich euch ein sonniges Wochenende!
Liebe Grüße
Riniell
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