Dance with devils ~ Only you
von Zyalis
Kurzbeschreibung
Als Cho Tachibana nach langer Zeit endlich ihren Bruder Lindo wiedersieht, ist sie überglücklich. Doch dieses Glück währt nicht lange. Cho sieht sich mit Teufeln, Vampiren und zu allem Übel auch noch mit dem Souverain noir, dem schwarzen Herrscher konfrontiert. Und alle sind nur aus einem einzigen Grund hinter ihr her: Sie ist der Schlüssel zu einem gefährlichen, gut gehüteten Geheimnis...
GeschichteFantasy, Liebesgeschichte / P16 / Gen
Lindo Tachibana
Mage Nanashiro
OC (Own Character)
Rem Kaginuki
Shiki Natsumezaka
Urie Sogami
13.11.2015
26.01.2016
2
6.070
5
26.01.2016
3.653
Dance with devils ~ Only you
Chapter 2
|| Der Panzer aus Stärke, der mich umgab, sorgte dafür, dass sich viele von mir fern hielten. Die Schwachen, Ängstlichen und Feigen hatten in meiner Nähe nichts zu suchen. Das hatte ich schon vor Urzeiten beschlossen, als ich aus der Finsternis geboren wurde. Ein Teufel, ein gefürchtetes Wesen, das die Menschen quälte und ihnen die Seelen aussaugte. Ich wollte nicht gemocht, sondern verehrt werden. Und was half da besser als den armen Menschen Angst einzujagen? Doch selbst das war mir langweilig geworden. Niemand hatte sich mir je widersetzt. Ich brauchte eine Herausforderung, etwas, das sich wehrte. Und ich hatte auch das Gefühl, dass sich bald etwas ändern würde. ||
The dreaming
Alles war in Dunkelheit gehüllt. Eine tiefschwarze Nacht, durch die man alles nur durch einen schwarzen Schleier sah. Einzig die dunklen Wesen beherrschten die Nacht. Vampire. Dämonen. Teufel. Kreaturen, die einem das Leben aussaugten, wild und unberechenbar. Kein Mensch hatte je Macht über sie erlangen können. Im Gegenteil, sie verachteten die Menschen und betrachteten sie als bloße Nahrung. Futter. Das waren sie und niemals würden sie mehr als das sein.
Doch die Menschen besaßen etwas, das wertvoll und mächtig war. Voller Wissen und Magie.
Ein Mädchen rannte durch die Straßen. Schon seit geraumer Zeit wurde sie beobachtet. Denn sie war nicht nur ein einfaches Mädchen, das sich mit gewissen Diensten am Leben erhalten musste, sondern sie trug ein uraltes, gut gehütetes Vermächtnis in sich, von dem sie nichts wusste. Ein Grimmoire, ein Buch der Magie und Zauberei. Eine Ansammlung von Macht und Wissen, wie es keine zweite gab. Ein Mann, dem sie zu Willen gewesen war, hatte es in ihr versteckt, um es vor den Wesen der Nacht zu schützen. Besonders vor dem Souverain noir. Der schwarze Herrscher war seit Urzeiten hinter dem mächtigen Grimmoire her.
In dem Mädchen, einer Hure, die ungefähr so bedeutend war wie ein Grashalm am Wegesrand, würde das gefährliche Buch gut versteckt sein, hatte der junge Mann gedacht und das Grimmoire in ihr versiegelt. Doch der Souverain noir hatte Dämonen, Teufel und Vampire nach dem Buch geschickt. Und nun, nach langer Suche hatten sie es gefunden.
Das Mädchen sah sich um. Sie hatte schon vor einigen Stunden bemerkt, dass sie verfolgt wurde. Es war keine gute Idee gewesen, sich so spät am Abend in eine dunkle Gasse zu begeben, aber jetzt war es zu spät, um umzukehren. Sie würde einfach weiterlaufen, bis ans Ende der Gasse, wo sie dann hoffentlich auf Menschen treffen würde. Doch wer waren ihre Verfolger? Sie spürte Blicke in ihrem Rücken, doch Schritte hörte sie keine. Bildete sie sich das vielleicht alles nur ein?
Plötzlich hörte sie ein Zischen hinter sich. Blitzschnell fuhr sie herum, bereit sich zu verteidigen, doch da war niemand. Die Gasse war, abgesehen von ein paar Kisten, die sich an einer Wand stapelten, leer. Sie bekam eine Gänsehaut. Es war ganz sicher jemand hier! Vorsichtig und mit langsamen Bewegungen, zog sie ein Messer aus ihrem linken Stiefel, dass sie für den Fall der Fälle immer bei sich trug. Zitternd hielt sie es vor sich, gut sichtbar für ihre Verfolger. «Ich habe eine Waffe bei mir, also wagt es nicht, mich anzugreifen!», rief sie mit erhobener Stimme. Dann hörte sie ein Kichern. «Mit diesem Messer willst du uns vertreiben? Keine so gute Idee.» Zu Tode erschrocken sah sie sich um. Wer hatte da gesprochen? «Sie sieht gar nicht wie jemand aus, der das mächtige Grimmoire in sich aufnehmen kann. Bist du sicher, dass sie es ist?», meinte eine weitere unbekannte Stimme zweifelnd. «Absolut. Alles scheint darauf hinzuweisen, dass sie es in sich trägt.», erwiderte jemand anderes. «Natürlich ist sie es. Riecht ihr es denn nicht, diesen unverwiderstehlichen Duft? Er zieht einen förmlich zu ihr...»
Starke Hände umfassten sie und drückten sie an eine Mauer. Sie wusste gar nicht, wie ihr geschah und versuchte verzweifelt, die aufdringliche Person wegzudrücken. An Grobheiten war sie zwar gewöhnt, dank vieler Kunden, die in ihr nicht mehr als ein Stück Fleisch sahen, dass sie vergewaltigen konnten. Aber das hier war anders. Diese Leute wollten sie wahrscheinlich umbringen! Sie hatte keine Ahnung, was ein Grimmoire war und warum sie es in sich tragen sollte. Es konnte auf jeden Fall nichts Gutes bedeuten.
Der unbekannte Angreifer drängte ihre Hände nach oben und zog ihr das Messer weg sodass sie ihm hilflos ausgeliefert war. Klirrend landete es auf dem Boden. Dann schob er seinen Kopf in ihr Blickfeld und sah sie zum ersten Mal an. Es war ein Mann, erkannte sie. Sein Gesicht war wunderschön. Und seine ungewöhnlichen goldenen Augen sowie sein hellbraunes halblanges Haar machten ihn nur noch schöner. «Wer... wer bist du?», fragte sie halb ängstlich, halb erstaunt. Er grinste leicht, was ihr Angst machte. «Mein Name ist Urie. Urie Sogami, wenn du es genau wissen willst.» «Urie... ich kenne dich nicht.» Er musste lachen. «Es würde mich auch sehr erstaunen, wenn du mich schon einmal gesehen hättest, kleiner Schmetterling.» «Kleiner... was? So heiße ich nicht. Mein Name ist...» «Das ist unwichtig», unterbrach sie eine arrogante Stimme ungehalten. «Wir müssen das Grimmoire aus ihr herausbekommen.» Sie wandte den Kopf. Ein junger Mann mit kurzen blonden Haaren und einem langen dunkelblauen Mantel stand hinter Urie und hielt die Arme verschränkt. «Und hast du eine Ahnung, wie?», kam es neben ihm von einem anderen Mann mit ebenfalls blonden Haaren. Dieser trug sie aber schulterlang und hatte eine offene, ärmellose Weste an. Darunter trug er nichts, sodass man seinen muskulösen Oberkörper sehen konnte. «Das ist das erste Mal, dass jemand es in einem Menschen zu verstecken versucht hat, nicht wahr?» «In der Tat», musste der Mann mit den kurzen Haaren zugeben.
Dem Mädchen stockte der Atem. Dieses Grimmoire sollte jemand in ihr versteckt haben? Aber wie? Und wer könnte das getan haben? Theoretisch könnte es jeder ihrer Kunden gewesen sein… «Was ist denn dieses Grimmoire?», fragte sie mutig. Der Mann mit den kurzen blonden Haaren warf ihr nur einen abschätzigen Blick zu und ignorierte sie dann. Wie unhöflich von ihm, dachte sie. Er behandelte sie wie ein lästiges Insekt. Aber dieses Grimmoire schien ihm trotzdem sehr wichtig zu sein. So wichtig, dass er sie mit seinen Kumpanen verfolgt hatte.
«Du armes Ding... ganz allein unter Teufeln...» Ein Paar Arme umschlang sie von hinten. Urie hatte sie schon längst losgelassen. «Du tust mir wirklich leid. Ausgeliefert und verängstigt, das ist... ooh...» Die Stimme, die sie als erstes gehört hatte! Sie erkannte sie sofort. Sie drehte sich herum und versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Ein ihr unbekanntes Gesicht sah sie mit unheimlichem Blick an. Der junge Mann hatte dunkelviolette Haare und trug eine Art... wie sollte man es nennen... Anzug, der durch die vielen Stoffbänder, die um seinen Oberkörper und seine Beine gewickelt waren, doch recht freizügig wirkte. Ohne es zu wollen, wurde sie leicht rot und versuchte seinem stechenden Blick auszuweichen. «Hmm... stellst du dir gerade vor, wie ich ohne diesen Anzug aussehe? Interessant, was du doch für unkeusche Fantasien hast...», schlich sich ein unanständiges Grinsen auf seine Lippen. Mit hochrotem Kopf wollte sie protestieren, wurde jedoch unterbrochen: «Natürlich hat sie unanständige Fantasien. Schließlich ist sie ein leichtes Mädchen*, nicht wahr... Shizu?» Abermals fuhr sie erschrocken herum. An die Mauer gelehnt, stand der junge Mann mit den schulterlangen blonden Haaren. Langsam stieß er sich von der Mauer ab und kam näher. «Woher kennst du meinen Namen?», fragte Shizu. «Ich habe im Voraus einige Nachforschungen über dich angestellt. Dabei habe ich beispielsweise herausgefunden, dass du die Tochter eines sehr einflussreichen Mannes bist, auch bekannt als Kouma Tachibana. Doch da dein spielsüchtiger Vater bald all euer Geld bei Glücksspielen verloren hatte, blieb ihm nur eine einzige Möglichkeit. Um seine Schulden begleichen zu können, verkaufte er seine einzige Tochter an ein teures Freudenhaus*. Und während dein Vater heute wieder in Geld schwelgt, muss sein Töchterchen sich als Hure durchschlagen. Was für eine Ironie des Schicksals, findest du nicht auch?» Shizu starrte ihn entsetzt an. Wieso musste er in ihrer Vergangenheit herumwühlen und all das zutage bringen, was sie so sehr zu verdrängen versucht hatte? Und wieso sah er sie auch noch so mitleidig an? Sie konnte es nicht länger zurückhalten und brach in Tränen aus. Überrascht sah er die silbrigen Perlen ihre Wangen hinabrollen. Dass sie weinen würde, hatte er nicht erwartet. Er fühlte sich immer überfordert, wenn eine Frau weinte, beinahe machtlos. Tränen waren ein Zeichen der Schwäche, aber nichts konnte sie aufhalten. Wie er sie hasste, diese Sentimentalität.
Grob trat er vor sie, hob ihr Kinn an und wischte die Tränen mit einer Hand weg. «Du hast nicht das Recht, zu weinen. Ich verbiete es dir, Schwäche zu zeigen!» Mit diesen Worten wandte er sich verächtlich ab, schob den violetthaarigen Jungen beiseite, der sie immer noch von hinten umarmte. «Zur Seite, dreckiger, gefallener Engel!» Mürrisch verzog der Angesprochene den Mund, trat dann aber zur Seite. Shizu schluckte die letzten Tränen herunter und ergriff die Chance. «Ein gefallener Engel? Heißt das, du hast einmal im Himmel an Gottes Seite gelebt?» Dass ihre Verfolger nicht menschlich waren, überraschte sie nicht wirklich. Aus ihrem Verhalten und ihrer Kraft sowie ihren Fähigkeiten, sich offensichtlich unsichtbar zu machen (wie hätten sie sich sonst so lange in der engen Gasse verstecken sollten?) musste man schon fast schließen, sie seien übernatürlich.
Der Junge zuckte mit den Schultern. «Na ja. An Gottes Seite nein, aber trotzdem im Himmel, wie ihr es nennt. Meine Flügel besitze ich aber immer noch», grinste er. «Zu schade, dass uns nicht mehr die Zeit bleibt, einen kleinen Flug zu wagen…»
«Zeit? Aber ich-» Schon wieder wurde sie unterbrochen. «Shiki, wir verschwinden. Nimm sie mit», befahl der Junge mit den kurzen blonden Haaren. Dann, Shizu konnte ihren Augen nicht trauen, löste er sich auf und verschwand mit einem violetten Blitz. Der Junge mit den schulterlangen Haaren tat es ihm gleich. Urie zwinkerte ihr noch einmal zu und folgte ihrem Beispiel. Dann waren sie und Shiki, wie er anscheinend hieß, allein in der dunklen Gasse. Dieser seufzte noch einmal und flüsterte dann in ihr Ohr: «Wirklich schade. Rem wird sicher Ansprüche auf dich erheben um seinen Vater zufrieden zu stellen. Und wir anderen bekommen nichts ab. Am liebsten würde ich dich mitnehmen und weit, weit weg fliegen, irgendwo hin, wo dich niemals jemand finden wird...»
Er kicherte. «Aber dann könnte ich mich nicht mehr zurückhalten... fürchte ich. Du hast eine sehr verführerische Wirkung... allein dein Duft...» Er beugte sich noch weiter vor und schnupperte an ihr. «Oh ja... dieser Geruch macht mich ganz verrückt.» Tief sog er ihren Duft ein. Shizu stand ganz still, vor Angst unfähig sich zu rühren. Shiki war ihr unheimlich. Er sagte lauter Dinge, die sie nicht verstand. Sie wusste zwar, dass sie aufgrund ihres Äußeren oft anziehend auf Männer wirkte, aber dass allein ihr Geruch dafür sorgen sollte... Vielleicht lag das an diesem mysteriösen Grimmoire. «Du würdest gerne wissen, was es mit dem Grimmoire auf sich hat, nicht wahr?», kam es kichernd von Shiki. Sie atmete tief ein. «Ja. Was ist das Grimmoire?» Spielerisch leckte er ihr über das Ohr, was dafür sorgte, dass Shizu sich versteifte. Was war, wenn er mehr wollte? «Das Grimmoire ist ein uraltes Zauberbuch, voller Magie und Macht. Wer es besitzt, hält sozusagen alle Fälle in der Hand. Und das ist auch der Grund dafür, dass wir alle so sehr hinter dir her sind. Das Grimmoire, das jemand in dir versteckt hat, sorgt dafür, dass du so einen unglaublich verführerischen Duft verströmst. Das macht es leichter für uns, dich zu finden.» Shizu schüttelte sich. «Ich bin also sozusagen eure Beute? Aber wieso? Was habe ich getan, dass Gott mich so etwas erleiden lässt?» Shiki lachte auf. «Gott? Vertraust du wirklich auf ihn? Der Glaube ist doch nur eine Hoffnung, an die man sich festklammert, obwohl es nichts nützt. Komm lieber mit mir!» «Aber ich-!»
«Shiki!», donnerte es da von oben. Beide sahen auf. Über ihnen schwebte der blonde Junge in dem blauen Mantel und sah so aus, als würde er sich mächtig aufregen. «Ich wusste, dass man einem gefallenen Engel nicht vertrauen kann! Dieses Mädchen gehört dem Geschlecht der Arlonds und nicht dir!» Bevor Shizu sich groß darüber wundern konnte, dass er in der Luft schwebte, landete er neben ihnen. «Ich werde sie mitnehmen!» Shiki zog das schwarzhaarige Mädchen näher an sich. «Und wenn ich das nicht will, Rem Arlond ? Das Mädchen interessiert mich. Bei mir wird es ihr besser gehen, denkst du nicht auch?» Ein leichte Röte überzog seine Wangen. «Wenn ich mir nur vorstelle, wie sie mir gehören wird...» Angewidert starrte Rem ihn an. «Widerlicher Bastard. Sie ist das Grimmoire, sie gehört nicht dir. Also gib sie her.» Er schleuderte einen leuchtenden Kreis aus merkwürdigen Zeichen auf den gefallenen Engel, der ihn zu Boden warf. Keuchend lag der Junge mit den violetten Haaren auf den Steinen. Rem warf einen verächtlichen Blick auf ihn. «Maße dir nichts an, Shiki. Nur weil Engelsblut in deinen Adern fließt, bist du nicht mächtiger als ich. Merke dir das!» Shizu hatte das Geschehen wie erstarrt mit aufgerissenen Augen verfolgt. Sie konnte nicht glauben, das jemand zu so etwas fähig war. Das war doch kein menschliches Verhalten mehr!
Doch viel Zeit, darüber nachzudenken, hatte sie nicht. Schon wurde sie von Rem nach oben in seine Arme gezogen. Er warf einen letzten Blick auf Shiki, der sich gerade vom steinigen Untergrund hochhievte. «Dreckiger gefallener Engel...», murmelte er. Shiki stand auf und streckte sich. Dann brachen aus seinem Rücken plötzlich riesige schwarze Schatten hervor, die sich bei genauerem Blick als Flügel entpuppten. Flügel, echte Flügel! Das schwarzhaarige Mädchen traute seinen Augen nicht. Und sie waren wirklich schwarz wie das Gefieder eines Raben, nicht weiß wie das eines Schwans. Die Federn glänzten wie poliertes Holz - schwarzes Ebenholz. «Wie schön...», entfuhr es ihr. Rem sog überrascht den Atem ein. «Schön? Die pechschwarzen Flügelchen eines gefallenen Engels nennst du schön?» Shiki begann zu grinsen. «Ich wusste, dass sie dir gefallen, Shizu-chan. Leider weiß nicht jeder diese wunderschönen Flügel zu schätzen, nicht wahr, Rem?» «Tse...», machte dieser. «Bevor du weiter mit deinen armseligen Flügeln angibst, verschwinde ich lieber.» Dann machte er eine Handbewegung und ein violetter Blitz umhüllte sie. Shizu schrie. Was passierte hier nur? Sie sah Shikis halb enttäuschte, halb wütendes Gesicht, wie er vom Boden abhob und mit einem Schlag seiner Flügel bei ihr war. Seine ausgestreckte Hand war das letzte, was sie sah.
Dann war nur noch Schwärze.
Sie umhüllte sie, trug sie fort in eine Welt der Finsternis, in der alles ruhte.
[Cho]
Der Duft von Omelette und gebratenem Speck weckte mich. Ich setzte mich auf und schnupperte. Ja, das konnte nur Lindos berühmtes britisches Frühstück sein, von dem er mir am Telefon immer so vorgeschwärmt hatte. Endlich hatte ich auch einmal die Gelegenheit, es zu probieren. «Lindo! Warte mit dem Frühstück auf mich, bitte! Ich bin gleich fertig!», rief ich in Richtung Küche. «Beeil dich lieber. Wenn ich richtig liege, beginnt dein Unterricht in einer halben Stunde, nicht wahr?», kam es ein wenig belustigt zurück. Erschrocken sah ich auf die Uhr. Ach du meine Güte! Das fehlte mir noch, am ersten Tag zu spät zu kommen! «Lindo! Wieso hast du mich nicht früher geweckt? Du warst früh genug wach!», rief ich nun leicht angesäuert. «Ich konnte meine liebliche kleine Schwester doch nicht aus ihrem tiefen Schlaf reißen…» «Lügner! Du wolltest mich nur ärgern! Jetzt muss ich hetzen!» Mit einem Satz sprang ich aus dem Bett und lief so schnell ich konnte, in Richtung Bad.
Als ich endlich fertig war, sagte mir ein Blick auf die Uhr, dass die Zeit für ein Frühstück nicht mehr reichen würde. Ich musste zur Schule und zwar sofort! Sonst würde ich nicht nur die Einführungszeremonie, sondern auch die erste Stunde verpassen. Das würde Ärger geben. Ich schnappte mir meine Jacke, schlüpfte in meine Schuhe und griff mir meine Schultasche. Im Vorbeirennen rief ich Lindo, der in der Küche hantierte, zu: «Wir sehen uns heute Nachmittag, großer Bruder!» Dann war ich auch schon aus dem Haus. Hinter mir hörte ich Lindo noch ein «Bis dann!» rufen, dann rannte ich nur noch.
Endlich an der Schule angekommen war ich total außer Atem und musste zwangsweise eine Pause einlegen, sonst wäre ich einfach auf der Straße zusammengebrochen. Schwer atmend stützte ich meine Hände auf die Kniegelenke. Mensch, Cho, wieso bist du nur so unfit!, schimpfte ich mit mir. In der nächsten Zeit musste ich unbedingt mehr Sport treiben, nahm ich mir vor. Dann hob ich den Kopf. Das Schulgelände war wirklich riesig mit dem Springbrunnen, den großen Rasenflächen und den vielen Bänken, die zum Ausruhen einluden. Aber nicht für mich. Schnell rannte ich weiter, in Richtung Eingang. Auch innen war die Schule beeindruckend. Die Eingangshalle war klassisch gestaltet, mit dunklem Holz. Als ich mit meiner Mutter die Schule das erste Mal besucht hatte, nannte sie eben jene «protzig». Ich dagegen verliebte mich sofort in die ausladenden, geschwungenen Treppen und die großen Fenster mit den europäisch anmutenden Eisenrahmen. Meine neue Schule war einfach wunderschön.
Leider war ich zu spät dran, um die geschmackvolle Einrichtung bewundern zu können. Ich musste sofort in die Aula, wo die Einführungszeremonie stattfand. Doch... wo befand sich diese eigentlich? Verzweifelt zermaterte ich mir den Kopf, doch vergeblich: ich kannte mich in der Schule einfach noch nicht gut genug aus, um alles auf Anhieb zu finden. Allerdings, so groß, wie eine Aula normalerweise war, würde sie wohl nicht allzu versteckt liegen.
Suchend reckte ich den Kopf in alle Richtungen, um einen Hinweis auf den Weg zur Aula erhaschen zu können, ein Schild oder vielleicht sogar ein älterer Schüler, der mir den Weg wies. Und tatsächlich, als ich um eine Ecke bog, entdeckte ich einen älteren Jungen, der gelangweilt an einer Säule lehnte. Er trug die Schuluniform, aber in abgeänderter Form, eleganter, mit einer goldenen Krawatte. Die obligatorische blaue Jacke war von seinen Schultern gerutscht und bot einen guten Blick auf seine definierten Oberarmmuskeln. Er hatte blonde Haare, die ihm bis zu den Schultern gingen; allerdings trug er die Hälfte von ihnen in einem Knoten am Hinterkopf zusammengebunden. Seine Miene ließ erkennen, dass er sich sichtlich langweilte. Vielleicht wurde er hier extra für verirrte Schüler wie mich postiert, um ihnen den Weg zur Aula zur zeigen? Ich musste kichern. Da hob er den Kopf. Sofort fuhr ich zurück und schlug mir die Hand vor den Mund. Er durfte mich nicht entdecken! Furcht und Angst schlugen über mir zusammen wie eine Welle. Doch wieso musste ich mich verstecken? Dann blitzte ein Bild in meinen Gedanken auf.
Seine Augen direkt vor meinen. Seine Hände pressten mich an die Wand. `Dein Geruch lockt mich zu dir, immer wieder. Was machst du mit mir? Du bist doch bloß...`
Was? Wer war das? Augen, wie flüssiges Gold. Und lange, blonde Haare. Etwa...
«Hey. Was willst du hier?» Erschrocken hob ich den Kopf. Direkt vor mir stand der Junge, der vorhin noch an der Säule gelehnt hatte. «Bist du eine neue Schülerin?» Ich schwieg. Was zum Teufel hatte ich da gerade gesehen? Eine Erinnerung? Nein, so was hatte ich niemals erlebt, da war ich mir sicher. Ich hatte doch noch nie einen festen Freund gehabt. Aber wer war er dann? «Ignorier mich nicht, wenn ich mit dir rede! Hey! Hör mir gefälligst zu!» Grob packte der Junge mein Kinn und hob es an. «Wer bist du...» Ich sah ihm zum ersten Mal in die Augen und erstarrte. Er ebenfalls. Augen wie flüssiges Gold. Lange, blonde Haare. Er war... «Shizu?» Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. Erstaunt schaute ich ihn an. «Ich heiße nicht Shizu. Mein Name ist Cho. Cho Tachibana.» «Cho... Tachibana? Aber...» «Aber was?», wandte ich mich aus seinem Griff und verschränkte die Arme. Den Schreck darüber, dass er mich so plötzlich angefasst hatte, hatte ich schon überwunden. Den Schreck über das Bild, das ich gesehen hatte, allerdings nicht. War der Junge, der vor mir stand, derselbe wie von der Szene in meinem Kopf? «Haben... wir uns schon einmal getroffen? Du kommst mir irgendwie bekannt vor», brachte ich mutig hervor. Ich musste es unbedingt wissen. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Er hob die Lippen zu einem Grinsen. Dann streckte er abermals die Hand nach mir aus, griff nach meinem Arm und zog mich nahe zu sich heran. «Wer weiß?» Vergebens versuchte ich, mich aus seinem festen Griff zu befreien. Er war bärenstark. «Lass mich los! Wir kennen uns doch gar nicht! Du bist praktisch ein Fremder!» «Erinnerst du dich denn gar nicht an mich, Shizu? Ich könnte schwören, dass du mich erkannt hast. Dein Gesichtsausdruck hat dich verraten.» Ich war verwirrt. Ich hieß weder Shizu, noch hatte ich ihn jemals getroffen. Woher glaubte er mich zu kennen?
'Mage.'
«Aah!» Ein stechender Schmerz schoss durch meinen Kopf. Der blonde Junge sah mich irritiert an. «Was ist? Hast du dich doch an mich erinnert?» Ich kniff die Augen zusammen. Langsam ließ der Schmerz nach. «Mage...» Was zum Teufel war das bloß? Wurde ich langsam verrückt? «Ich wusste, dass du dich erinnerst.» «Was? Wovon redest du überhaupt? Woran sollte ich mich erinnern? Ich weiß nicht einmal deinen Namen.» Er sah mich verblüfft an. «Aber den hast du doch gerade gesagt.»
'Mage.'
Das war sein Name? Aber woher...
Weiter kam ich nicht mit meinen Gedanken, denn er drückte mich plötzlich an die Wand.
«Hey, was machst du denn da? Lass mich gefälligst los!» «Auf gar keinen Fall», hauchte er in mein Ohr. «Jetzt, wo du dich erinnern kannst...» Seine Zunge fuhr mein Ohr entlang und mir entfuhr ein leiser Schrei. «Wa-was soll denn das? Du perverser Freak! Hör auf, sofort!» Doch das schien ihn nur anzustacheln. «Ich muss mur eingestehen, dass ich dich wirklich vermisst habe, Shizu.»
«Mage.» Der Blonde fuhr herum. Wer wagte es, ihn zu stören?
So. Nach langem Kreatief habe ich dieses Kapitel nun endlich fertiggestellt. Das nächste wird hoffentlich früher kommen ;)
Bitte hinterlasst ein Review, damit ich weiß, ob es euch gefallen hat oder nicht.
LG
Zyalis
Chapter 2
|| Der Panzer aus Stärke, der mich umgab, sorgte dafür, dass sich viele von mir fern hielten. Die Schwachen, Ängstlichen und Feigen hatten in meiner Nähe nichts zu suchen. Das hatte ich schon vor Urzeiten beschlossen, als ich aus der Finsternis geboren wurde. Ein Teufel, ein gefürchtetes Wesen, das die Menschen quälte und ihnen die Seelen aussaugte. Ich wollte nicht gemocht, sondern verehrt werden. Und was half da besser als den armen Menschen Angst einzujagen? Doch selbst das war mir langweilig geworden. Niemand hatte sich mir je widersetzt. Ich brauchte eine Herausforderung, etwas, das sich wehrte. Und ich hatte auch das Gefühl, dass sich bald etwas ändern würde. ||
The dreaming
Alles war in Dunkelheit gehüllt. Eine tiefschwarze Nacht, durch die man alles nur durch einen schwarzen Schleier sah. Einzig die dunklen Wesen beherrschten die Nacht. Vampire. Dämonen. Teufel. Kreaturen, die einem das Leben aussaugten, wild und unberechenbar. Kein Mensch hatte je Macht über sie erlangen können. Im Gegenteil, sie verachteten die Menschen und betrachteten sie als bloße Nahrung. Futter. Das waren sie und niemals würden sie mehr als das sein.
Doch die Menschen besaßen etwas, das wertvoll und mächtig war. Voller Wissen und Magie.
Ein Mädchen rannte durch die Straßen. Schon seit geraumer Zeit wurde sie beobachtet. Denn sie war nicht nur ein einfaches Mädchen, das sich mit gewissen Diensten am Leben erhalten musste, sondern sie trug ein uraltes, gut gehütetes Vermächtnis in sich, von dem sie nichts wusste. Ein Grimmoire, ein Buch der Magie und Zauberei. Eine Ansammlung von Macht und Wissen, wie es keine zweite gab. Ein Mann, dem sie zu Willen gewesen war, hatte es in ihr versteckt, um es vor den Wesen der Nacht zu schützen. Besonders vor dem Souverain noir. Der schwarze Herrscher war seit Urzeiten hinter dem mächtigen Grimmoire her.
In dem Mädchen, einer Hure, die ungefähr so bedeutend war wie ein Grashalm am Wegesrand, würde das gefährliche Buch gut versteckt sein, hatte der junge Mann gedacht und das Grimmoire in ihr versiegelt. Doch der Souverain noir hatte Dämonen, Teufel und Vampire nach dem Buch geschickt. Und nun, nach langer Suche hatten sie es gefunden.
Das Mädchen sah sich um. Sie hatte schon vor einigen Stunden bemerkt, dass sie verfolgt wurde. Es war keine gute Idee gewesen, sich so spät am Abend in eine dunkle Gasse zu begeben, aber jetzt war es zu spät, um umzukehren. Sie würde einfach weiterlaufen, bis ans Ende der Gasse, wo sie dann hoffentlich auf Menschen treffen würde. Doch wer waren ihre Verfolger? Sie spürte Blicke in ihrem Rücken, doch Schritte hörte sie keine. Bildete sie sich das vielleicht alles nur ein?
Plötzlich hörte sie ein Zischen hinter sich. Blitzschnell fuhr sie herum, bereit sich zu verteidigen, doch da war niemand. Die Gasse war, abgesehen von ein paar Kisten, die sich an einer Wand stapelten, leer. Sie bekam eine Gänsehaut. Es war ganz sicher jemand hier! Vorsichtig und mit langsamen Bewegungen, zog sie ein Messer aus ihrem linken Stiefel, dass sie für den Fall der Fälle immer bei sich trug. Zitternd hielt sie es vor sich, gut sichtbar für ihre Verfolger. «Ich habe eine Waffe bei mir, also wagt es nicht, mich anzugreifen!», rief sie mit erhobener Stimme. Dann hörte sie ein Kichern. «Mit diesem Messer willst du uns vertreiben? Keine so gute Idee.» Zu Tode erschrocken sah sie sich um. Wer hatte da gesprochen? «Sie sieht gar nicht wie jemand aus, der das mächtige Grimmoire in sich aufnehmen kann. Bist du sicher, dass sie es ist?», meinte eine weitere unbekannte Stimme zweifelnd. «Absolut. Alles scheint darauf hinzuweisen, dass sie es in sich trägt.», erwiderte jemand anderes. «Natürlich ist sie es. Riecht ihr es denn nicht, diesen unverwiderstehlichen Duft? Er zieht einen förmlich zu ihr...»
Starke Hände umfassten sie und drückten sie an eine Mauer. Sie wusste gar nicht, wie ihr geschah und versuchte verzweifelt, die aufdringliche Person wegzudrücken. An Grobheiten war sie zwar gewöhnt, dank vieler Kunden, die in ihr nicht mehr als ein Stück Fleisch sahen, dass sie vergewaltigen konnten. Aber das hier war anders. Diese Leute wollten sie wahrscheinlich umbringen! Sie hatte keine Ahnung, was ein Grimmoire war und warum sie es in sich tragen sollte. Es konnte auf jeden Fall nichts Gutes bedeuten.
Der unbekannte Angreifer drängte ihre Hände nach oben und zog ihr das Messer weg sodass sie ihm hilflos ausgeliefert war. Klirrend landete es auf dem Boden. Dann schob er seinen Kopf in ihr Blickfeld und sah sie zum ersten Mal an. Es war ein Mann, erkannte sie. Sein Gesicht war wunderschön. Und seine ungewöhnlichen goldenen Augen sowie sein hellbraunes halblanges Haar machten ihn nur noch schöner. «Wer... wer bist du?», fragte sie halb ängstlich, halb erstaunt. Er grinste leicht, was ihr Angst machte. «Mein Name ist Urie. Urie Sogami, wenn du es genau wissen willst.» «Urie... ich kenne dich nicht.» Er musste lachen. «Es würde mich auch sehr erstaunen, wenn du mich schon einmal gesehen hättest, kleiner Schmetterling.» «Kleiner... was? So heiße ich nicht. Mein Name ist...» «Das ist unwichtig», unterbrach sie eine arrogante Stimme ungehalten. «Wir müssen das Grimmoire aus ihr herausbekommen.» Sie wandte den Kopf. Ein junger Mann mit kurzen blonden Haaren und einem langen dunkelblauen Mantel stand hinter Urie und hielt die Arme verschränkt. «Und hast du eine Ahnung, wie?», kam es neben ihm von einem anderen Mann mit ebenfalls blonden Haaren. Dieser trug sie aber schulterlang und hatte eine offene, ärmellose Weste an. Darunter trug er nichts, sodass man seinen muskulösen Oberkörper sehen konnte. «Das ist das erste Mal, dass jemand es in einem Menschen zu verstecken versucht hat, nicht wahr?» «In der Tat», musste der Mann mit den kurzen Haaren zugeben.
Dem Mädchen stockte der Atem. Dieses Grimmoire sollte jemand in ihr versteckt haben? Aber wie? Und wer könnte das getan haben? Theoretisch könnte es jeder ihrer Kunden gewesen sein… «Was ist denn dieses Grimmoire?», fragte sie mutig. Der Mann mit den kurzen blonden Haaren warf ihr nur einen abschätzigen Blick zu und ignorierte sie dann. Wie unhöflich von ihm, dachte sie. Er behandelte sie wie ein lästiges Insekt. Aber dieses Grimmoire schien ihm trotzdem sehr wichtig zu sein. So wichtig, dass er sie mit seinen Kumpanen verfolgt hatte.
«Du armes Ding... ganz allein unter Teufeln...» Ein Paar Arme umschlang sie von hinten. Urie hatte sie schon längst losgelassen. «Du tust mir wirklich leid. Ausgeliefert und verängstigt, das ist... ooh...» Die Stimme, die sie als erstes gehört hatte! Sie erkannte sie sofort. Sie drehte sich herum und versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Ein ihr unbekanntes Gesicht sah sie mit unheimlichem Blick an. Der junge Mann hatte dunkelviolette Haare und trug eine Art... wie sollte man es nennen... Anzug, der durch die vielen Stoffbänder, die um seinen Oberkörper und seine Beine gewickelt waren, doch recht freizügig wirkte. Ohne es zu wollen, wurde sie leicht rot und versuchte seinem stechenden Blick auszuweichen. «Hmm... stellst du dir gerade vor, wie ich ohne diesen Anzug aussehe? Interessant, was du doch für unkeusche Fantasien hast...», schlich sich ein unanständiges Grinsen auf seine Lippen. Mit hochrotem Kopf wollte sie protestieren, wurde jedoch unterbrochen: «Natürlich hat sie unanständige Fantasien. Schließlich ist sie ein leichtes Mädchen*, nicht wahr... Shizu?» Abermals fuhr sie erschrocken herum. An die Mauer gelehnt, stand der junge Mann mit den schulterlangen blonden Haaren. Langsam stieß er sich von der Mauer ab und kam näher. «Woher kennst du meinen Namen?», fragte Shizu. «Ich habe im Voraus einige Nachforschungen über dich angestellt. Dabei habe ich beispielsweise herausgefunden, dass du die Tochter eines sehr einflussreichen Mannes bist, auch bekannt als Kouma Tachibana. Doch da dein spielsüchtiger Vater bald all euer Geld bei Glücksspielen verloren hatte, blieb ihm nur eine einzige Möglichkeit. Um seine Schulden begleichen zu können, verkaufte er seine einzige Tochter an ein teures Freudenhaus*. Und während dein Vater heute wieder in Geld schwelgt, muss sein Töchterchen sich als Hure durchschlagen. Was für eine Ironie des Schicksals, findest du nicht auch?» Shizu starrte ihn entsetzt an. Wieso musste er in ihrer Vergangenheit herumwühlen und all das zutage bringen, was sie so sehr zu verdrängen versucht hatte? Und wieso sah er sie auch noch so mitleidig an? Sie konnte es nicht länger zurückhalten und brach in Tränen aus. Überrascht sah er die silbrigen Perlen ihre Wangen hinabrollen. Dass sie weinen würde, hatte er nicht erwartet. Er fühlte sich immer überfordert, wenn eine Frau weinte, beinahe machtlos. Tränen waren ein Zeichen der Schwäche, aber nichts konnte sie aufhalten. Wie er sie hasste, diese Sentimentalität.
Grob trat er vor sie, hob ihr Kinn an und wischte die Tränen mit einer Hand weg. «Du hast nicht das Recht, zu weinen. Ich verbiete es dir, Schwäche zu zeigen!» Mit diesen Worten wandte er sich verächtlich ab, schob den violetthaarigen Jungen beiseite, der sie immer noch von hinten umarmte. «Zur Seite, dreckiger, gefallener Engel!» Mürrisch verzog der Angesprochene den Mund, trat dann aber zur Seite. Shizu schluckte die letzten Tränen herunter und ergriff die Chance. «Ein gefallener Engel? Heißt das, du hast einmal im Himmel an Gottes Seite gelebt?» Dass ihre Verfolger nicht menschlich waren, überraschte sie nicht wirklich. Aus ihrem Verhalten und ihrer Kraft sowie ihren Fähigkeiten, sich offensichtlich unsichtbar zu machen (wie hätten sie sich sonst so lange in der engen Gasse verstecken sollten?) musste man schon fast schließen, sie seien übernatürlich.
Der Junge zuckte mit den Schultern. «Na ja. An Gottes Seite nein, aber trotzdem im Himmel, wie ihr es nennt. Meine Flügel besitze ich aber immer noch», grinste er. «Zu schade, dass uns nicht mehr die Zeit bleibt, einen kleinen Flug zu wagen…»
«Zeit? Aber ich-» Schon wieder wurde sie unterbrochen. «Shiki, wir verschwinden. Nimm sie mit», befahl der Junge mit den kurzen blonden Haaren. Dann, Shizu konnte ihren Augen nicht trauen, löste er sich auf und verschwand mit einem violetten Blitz. Der Junge mit den schulterlangen Haaren tat es ihm gleich. Urie zwinkerte ihr noch einmal zu und folgte ihrem Beispiel. Dann waren sie und Shiki, wie er anscheinend hieß, allein in der dunklen Gasse. Dieser seufzte noch einmal und flüsterte dann in ihr Ohr: «Wirklich schade. Rem wird sicher Ansprüche auf dich erheben um seinen Vater zufrieden zu stellen. Und wir anderen bekommen nichts ab. Am liebsten würde ich dich mitnehmen und weit, weit weg fliegen, irgendwo hin, wo dich niemals jemand finden wird...»
Er kicherte. «Aber dann könnte ich mich nicht mehr zurückhalten... fürchte ich. Du hast eine sehr verführerische Wirkung... allein dein Duft...» Er beugte sich noch weiter vor und schnupperte an ihr. «Oh ja... dieser Geruch macht mich ganz verrückt.» Tief sog er ihren Duft ein. Shizu stand ganz still, vor Angst unfähig sich zu rühren. Shiki war ihr unheimlich. Er sagte lauter Dinge, die sie nicht verstand. Sie wusste zwar, dass sie aufgrund ihres Äußeren oft anziehend auf Männer wirkte, aber dass allein ihr Geruch dafür sorgen sollte... Vielleicht lag das an diesem mysteriösen Grimmoire. «Du würdest gerne wissen, was es mit dem Grimmoire auf sich hat, nicht wahr?», kam es kichernd von Shiki. Sie atmete tief ein. «Ja. Was ist das Grimmoire?» Spielerisch leckte er ihr über das Ohr, was dafür sorgte, dass Shizu sich versteifte. Was war, wenn er mehr wollte? «Das Grimmoire ist ein uraltes Zauberbuch, voller Magie und Macht. Wer es besitzt, hält sozusagen alle Fälle in der Hand. Und das ist auch der Grund dafür, dass wir alle so sehr hinter dir her sind. Das Grimmoire, das jemand in dir versteckt hat, sorgt dafür, dass du so einen unglaublich verführerischen Duft verströmst. Das macht es leichter für uns, dich zu finden.» Shizu schüttelte sich. «Ich bin also sozusagen eure Beute? Aber wieso? Was habe ich getan, dass Gott mich so etwas erleiden lässt?» Shiki lachte auf. «Gott? Vertraust du wirklich auf ihn? Der Glaube ist doch nur eine Hoffnung, an die man sich festklammert, obwohl es nichts nützt. Komm lieber mit mir!» «Aber ich-!»
«Shiki!», donnerte es da von oben. Beide sahen auf. Über ihnen schwebte der blonde Junge in dem blauen Mantel und sah so aus, als würde er sich mächtig aufregen. «Ich wusste, dass man einem gefallenen Engel nicht vertrauen kann! Dieses Mädchen gehört dem Geschlecht der Arlonds und nicht dir!» Bevor Shizu sich groß darüber wundern konnte, dass er in der Luft schwebte, landete er neben ihnen. «Ich werde sie mitnehmen!» Shiki zog das schwarzhaarige Mädchen näher an sich. «Und wenn ich das nicht will, Rem Arlond ? Das Mädchen interessiert mich. Bei mir wird es ihr besser gehen, denkst du nicht auch?» Ein leichte Röte überzog seine Wangen. «Wenn ich mir nur vorstelle, wie sie mir gehören wird...» Angewidert starrte Rem ihn an. «Widerlicher Bastard. Sie ist das Grimmoire, sie gehört nicht dir. Also gib sie her.» Er schleuderte einen leuchtenden Kreis aus merkwürdigen Zeichen auf den gefallenen Engel, der ihn zu Boden warf. Keuchend lag der Junge mit den violetten Haaren auf den Steinen. Rem warf einen verächtlichen Blick auf ihn. «Maße dir nichts an, Shiki. Nur weil Engelsblut in deinen Adern fließt, bist du nicht mächtiger als ich. Merke dir das!» Shizu hatte das Geschehen wie erstarrt mit aufgerissenen Augen verfolgt. Sie konnte nicht glauben, das jemand zu so etwas fähig war. Das war doch kein menschliches Verhalten mehr!
Doch viel Zeit, darüber nachzudenken, hatte sie nicht. Schon wurde sie von Rem nach oben in seine Arme gezogen. Er warf einen letzten Blick auf Shiki, der sich gerade vom steinigen Untergrund hochhievte. «Dreckiger gefallener Engel...», murmelte er. Shiki stand auf und streckte sich. Dann brachen aus seinem Rücken plötzlich riesige schwarze Schatten hervor, die sich bei genauerem Blick als Flügel entpuppten. Flügel, echte Flügel! Das schwarzhaarige Mädchen traute seinen Augen nicht. Und sie waren wirklich schwarz wie das Gefieder eines Raben, nicht weiß wie das eines Schwans. Die Federn glänzten wie poliertes Holz - schwarzes Ebenholz. «Wie schön...», entfuhr es ihr. Rem sog überrascht den Atem ein. «Schön? Die pechschwarzen Flügelchen eines gefallenen Engels nennst du schön?» Shiki begann zu grinsen. «Ich wusste, dass sie dir gefallen, Shizu-chan. Leider weiß nicht jeder diese wunderschönen Flügel zu schätzen, nicht wahr, Rem?» «Tse...», machte dieser. «Bevor du weiter mit deinen armseligen Flügeln angibst, verschwinde ich lieber.» Dann machte er eine Handbewegung und ein violetter Blitz umhüllte sie. Shizu schrie. Was passierte hier nur? Sie sah Shikis halb enttäuschte, halb wütendes Gesicht, wie er vom Boden abhob und mit einem Schlag seiner Flügel bei ihr war. Seine ausgestreckte Hand war das letzte, was sie sah.
Dann war nur noch Schwärze.
Sie umhüllte sie, trug sie fort in eine Welt der Finsternis, in der alles ruhte.
[Cho]
Der Duft von Omelette und gebratenem Speck weckte mich. Ich setzte mich auf und schnupperte. Ja, das konnte nur Lindos berühmtes britisches Frühstück sein, von dem er mir am Telefon immer so vorgeschwärmt hatte. Endlich hatte ich auch einmal die Gelegenheit, es zu probieren. «Lindo! Warte mit dem Frühstück auf mich, bitte! Ich bin gleich fertig!», rief ich in Richtung Küche. «Beeil dich lieber. Wenn ich richtig liege, beginnt dein Unterricht in einer halben Stunde, nicht wahr?», kam es ein wenig belustigt zurück. Erschrocken sah ich auf die Uhr. Ach du meine Güte! Das fehlte mir noch, am ersten Tag zu spät zu kommen! «Lindo! Wieso hast du mich nicht früher geweckt? Du warst früh genug wach!», rief ich nun leicht angesäuert. «Ich konnte meine liebliche kleine Schwester doch nicht aus ihrem tiefen Schlaf reißen…» «Lügner! Du wolltest mich nur ärgern! Jetzt muss ich hetzen!» Mit einem Satz sprang ich aus dem Bett und lief so schnell ich konnte, in Richtung Bad.
Als ich endlich fertig war, sagte mir ein Blick auf die Uhr, dass die Zeit für ein Frühstück nicht mehr reichen würde. Ich musste zur Schule und zwar sofort! Sonst würde ich nicht nur die Einführungszeremonie, sondern auch die erste Stunde verpassen. Das würde Ärger geben. Ich schnappte mir meine Jacke, schlüpfte in meine Schuhe und griff mir meine Schultasche. Im Vorbeirennen rief ich Lindo, der in der Küche hantierte, zu: «Wir sehen uns heute Nachmittag, großer Bruder!» Dann war ich auch schon aus dem Haus. Hinter mir hörte ich Lindo noch ein «Bis dann!» rufen, dann rannte ich nur noch.
Endlich an der Schule angekommen war ich total außer Atem und musste zwangsweise eine Pause einlegen, sonst wäre ich einfach auf der Straße zusammengebrochen. Schwer atmend stützte ich meine Hände auf die Kniegelenke. Mensch, Cho, wieso bist du nur so unfit!, schimpfte ich mit mir. In der nächsten Zeit musste ich unbedingt mehr Sport treiben, nahm ich mir vor. Dann hob ich den Kopf. Das Schulgelände war wirklich riesig mit dem Springbrunnen, den großen Rasenflächen und den vielen Bänken, die zum Ausruhen einluden. Aber nicht für mich. Schnell rannte ich weiter, in Richtung Eingang. Auch innen war die Schule beeindruckend. Die Eingangshalle war klassisch gestaltet, mit dunklem Holz. Als ich mit meiner Mutter die Schule das erste Mal besucht hatte, nannte sie eben jene «protzig». Ich dagegen verliebte mich sofort in die ausladenden, geschwungenen Treppen und die großen Fenster mit den europäisch anmutenden Eisenrahmen. Meine neue Schule war einfach wunderschön.
Leider war ich zu spät dran, um die geschmackvolle Einrichtung bewundern zu können. Ich musste sofort in die Aula, wo die Einführungszeremonie stattfand. Doch... wo befand sich diese eigentlich? Verzweifelt zermaterte ich mir den Kopf, doch vergeblich: ich kannte mich in der Schule einfach noch nicht gut genug aus, um alles auf Anhieb zu finden. Allerdings, so groß, wie eine Aula normalerweise war, würde sie wohl nicht allzu versteckt liegen.
Suchend reckte ich den Kopf in alle Richtungen, um einen Hinweis auf den Weg zur Aula erhaschen zu können, ein Schild oder vielleicht sogar ein älterer Schüler, der mir den Weg wies. Und tatsächlich, als ich um eine Ecke bog, entdeckte ich einen älteren Jungen, der gelangweilt an einer Säule lehnte. Er trug die Schuluniform, aber in abgeänderter Form, eleganter, mit einer goldenen Krawatte. Die obligatorische blaue Jacke war von seinen Schultern gerutscht und bot einen guten Blick auf seine definierten Oberarmmuskeln. Er hatte blonde Haare, die ihm bis zu den Schultern gingen; allerdings trug er die Hälfte von ihnen in einem Knoten am Hinterkopf zusammengebunden. Seine Miene ließ erkennen, dass er sich sichtlich langweilte. Vielleicht wurde er hier extra für verirrte Schüler wie mich postiert, um ihnen den Weg zur Aula zur zeigen? Ich musste kichern. Da hob er den Kopf. Sofort fuhr ich zurück und schlug mir die Hand vor den Mund. Er durfte mich nicht entdecken! Furcht und Angst schlugen über mir zusammen wie eine Welle. Doch wieso musste ich mich verstecken? Dann blitzte ein Bild in meinen Gedanken auf.
Seine Augen direkt vor meinen. Seine Hände pressten mich an die Wand. `Dein Geruch lockt mich zu dir, immer wieder. Was machst du mit mir? Du bist doch bloß...`
Was? Wer war das? Augen, wie flüssiges Gold. Und lange, blonde Haare. Etwa...
«Hey. Was willst du hier?» Erschrocken hob ich den Kopf. Direkt vor mir stand der Junge, der vorhin noch an der Säule gelehnt hatte. «Bist du eine neue Schülerin?» Ich schwieg. Was zum Teufel hatte ich da gerade gesehen? Eine Erinnerung? Nein, so was hatte ich niemals erlebt, da war ich mir sicher. Ich hatte doch noch nie einen festen Freund gehabt. Aber wer war er dann? «Ignorier mich nicht, wenn ich mit dir rede! Hey! Hör mir gefälligst zu!» Grob packte der Junge mein Kinn und hob es an. «Wer bist du...» Ich sah ihm zum ersten Mal in die Augen und erstarrte. Er ebenfalls. Augen wie flüssiges Gold. Lange, blonde Haare. Er war... «Shizu?» Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. Erstaunt schaute ich ihn an. «Ich heiße nicht Shizu. Mein Name ist Cho. Cho Tachibana.» «Cho... Tachibana? Aber...» «Aber was?», wandte ich mich aus seinem Griff und verschränkte die Arme. Den Schreck darüber, dass er mich so plötzlich angefasst hatte, hatte ich schon überwunden. Den Schreck über das Bild, das ich gesehen hatte, allerdings nicht. War der Junge, der vor mir stand, derselbe wie von der Szene in meinem Kopf? «Haben... wir uns schon einmal getroffen? Du kommst mir irgendwie bekannt vor», brachte ich mutig hervor. Ich musste es unbedingt wissen. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Er hob die Lippen zu einem Grinsen. Dann streckte er abermals die Hand nach mir aus, griff nach meinem Arm und zog mich nahe zu sich heran. «Wer weiß?» Vergebens versuchte ich, mich aus seinem festen Griff zu befreien. Er war bärenstark. «Lass mich los! Wir kennen uns doch gar nicht! Du bist praktisch ein Fremder!» «Erinnerst du dich denn gar nicht an mich, Shizu? Ich könnte schwören, dass du mich erkannt hast. Dein Gesichtsausdruck hat dich verraten.» Ich war verwirrt. Ich hieß weder Shizu, noch hatte ich ihn jemals getroffen. Woher glaubte er mich zu kennen?
'Mage.'
«Aah!» Ein stechender Schmerz schoss durch meinen Kopf. Der blonde Junge sah mich irritiert an. «Was ist? Hast du dich doch an mich erinnert?» Ich kniff die Augen zusammen. Langsam ließ der Schmerz nach. «Mage...» Was zum Teufel war das bloß? Wurde ich langsam verrückt? «Ich wusste, dass du dich erinnerst.» «Was? Wovon redest du überhaupt? Woran sollte ich mich erinnern? Ich weiß nicht einmal deinen Namen.» Er sah mich verblüfft an. «Aber den hast du doch gerade gesagt.»
'Mage.'
Das war sein Name? Aber woher...
Weiter kam ich nicht mit meinen Gedanken, denn er drückte mich plötzlich an die Wand.
«Hey, was machst du denn da? Lass mich gefälligst los!» «Auf gar keinen Fall», hauchte er in mein Ohr. «Jetzt, wo du dich erinnern kannst...» Seine Zunge fuhr mein Ohr entlang und mir entfuhr ein leiser Schrei. «Wa-was soll denn das? Du perverser Freak! Hör auf, sofort!» Doch das schien ihn nur anzustacheln. «Ich muss mur eingestehen, dass ich dich wirklich vermisst habe, Shizu.»
«Mage.» Der Blonde fuhr herum. Wer wagte es, ihn zu stören?
So. Nach langem Kreatief habe ich dieses Kapitel nun endlich fertiggestellt. Das nächste wird hoffentlich früher kommen ;)
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LG
Zyalis