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Vorwärts in die Vergangenheit

von Av4l4rion
Kurzbeschreibung
GeschichteFantasy, Liebesgeschichte / P12 / Gen
Charles Barndon Duke of Norfolk Henry VIII. OC (Own Character) Sir Anthony Knivert Thomas Cromwell
25.08.2015
09.10.2021
36
61.951
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25.08.2015 1.510
 
Wir waren zu dritt. Drei Mädchen mit derselben Leidenschaft, England und seine Geschichte. Ich war die jüngste mit meinen dreiundzwanzig Jahren, wenn der Altersunterschied auch nicht so groß war.  Alice, die Älteste von uns war 27, Charlie, die eigentlich Charlotte hieß und uns dreien wohl am meisten den Boden unter den Füßen verloren hatte, weil sie in ihrer eigenen Welt lebte, 25.
Alles in Allem waren wir drei Mädchen, denen Romane und Fantasiegeschichten zu sehr zu Kopf gestiegen waren. Ich behaupte von mir, dass ich diejenige war, der es noch am leichtesten fiel, Fiktion von der Realität zu trennen.
Es scheint nicht verwunderlich dass wir, sobald wir alt genug waren und zudem genügend Geld zusammengespart hatten, einen Traum verwirklichten und gemeinsam nach London fuhren, um ein paar Tage auf den Spuren der Geschichte zu wandeln, die uns alle drei verband. Verwunderlich ist nur, wie hautnah ich diese Geschichte erleben sollte.

Es war der dritte Tag unseres Aufenthaltes in London. Nachdem wir uns am ersten Tag nur von den Strapazen der Reise erholt und am zweiten Tag auch erst Abends aus dem Bett gelangt waren, waren wir heute morgen umso früher aufgestanden, um endlich etwas zu erleben. Aus diesem Grund hatten wir zunächst die ältesten Stadtteile Londons zu Fuß erkundet, hatten die düsteren Straßen von Whitechapel abgelaufen und  uns vorgestellt, Jack the Ripper jeden Augenblick um die nächste Ecke biegen zu sehen, hatten in der Fleet Street einen Snack zu uns genommen, um uns schließlich nach Westminster zu begeben, um die Spuren des einst so prächtigen Whitehall Palastes zu erkunden.
Ganz legal kamen wir natürlich nicht in die Regierungsgebäude, die heute auf dem Platz des Palastes stehen und von denen wir wussten, dass in wenigen der Häuser noch Räume und Säulen aus der Tudorzeit existieren. Doch Charlie hatte ihre guten Beziehungen spielen lassen und uns über den Freund eines Bruders eines Freundes die Erlaubnis erwirkt, mit Führer die Räume zu besichtigen. Das hatten wir vor, gleich nachdem wir die Westminster Abbey bestichtigt hatten, darauf hatte ich bestanden. Danach würde uns der wer-auch-immer vor der Abbey abholen.
Bereits als ich vor der Kirche stand, hatte ich ein eigenartiges, beinah mulmiges Gefühl im Bauch, das ich auf unser Mittagessen schob - britisches Essen war, ob italienisch, grichisch oder türkisch, sowohl optisch als auch geschmacklich eine Belastungsprobe, daran würde sich nie etwas ändern. Streng genommen hatte die Pizza, die ich mir bestellt hatte, nicht schlecht gewesen und ich hatte mich auch nicht sehr schlecht gefühlt, als wir das Restaurant wieder verließen, aber es schien mir die einzige logische Erklärung dafür gewesen zu sein für die merkwürdigen Kapriolen, die mein Magen nun schlug.
Eine Hand auf dem Bauch schaute ich zu dem Gemäuer auf, in dessen Schatten wir standen und das sich demnach dunkel in den Himmel reckte, knochigen Fingern gleich, die nach den Wolken griffen. Eigentlich liebte ich Kirchen, diese stummen, prächtigen Bauten, die einerseits eine besondere Geschichte erzählen konnten, da sie viele Jahre überdauerten, andererseits Gott beherrbergten. Doch an diesem Tag erfasste mich Schaudern und ein kalter Hauch glitt über meinen Rücken, als ich  ehrfürchtigdie gotische Baukunst bewunderte und mit dem Blick an dem mit Stuck verzierten Portal hängen blieb. Heute wirkte  das Gebäude so gar nicht einladend.
"Ziemlich... respekteinflößend.", machte ich meiner Unbehaglichkeit Luft und erntete teils überraschte, teils amüsierte Blicke.
"Was ist? Willst du damit sagen, dass du nicht hineingehen willst?", fragte Charlie alamiert und schien sich bereits eine Rede auszudenken, mit der sie mich schließlich trotz aller Einwände hinein zerren konnte. Ich zuckte die Schultern und mied ihren Blick, mit dem sie mit über ihre Brillengläser hinweg scharf musterte.
"Hör Mal.", begann Charlie da auch schon in ihrem belehrenden Ton und ich unterdrückte ein Stöhnen. Konnte die Frau nicht einfach mal akzeptieren, was man sagte? Wie es ihre Art war, schob  sie ihre Brille auf dem Nasenrücken wieder höher, wie sie es ebenfalls zu tun pflegte ehe eine ihrer belehrenden, akademischen Reden kamen und ich wusste, dass sie mich nun wieder an ihrer geschichtlichen Gedankengut, das ich im Grunde genauso besaß, teilhaben lassen würde.
"Diese Kirche hat 1000 Jahre englische Geschichte erlebt. Sie stand bereits als die Rosenkriege England in zwei Lager teilte und als Henry der VIII. seine Sechs-Frauen-Phase hatte. Alle englischen Könige bis zur Queen wurrden hier gekröhnt, sehr viele auch bestattet. Ich will unbedingt..."
"Ja, ich weiß. Du willst unbedingt das Grab der ersten Elizabeth sehen.", mischte ich mich da in ihren Monolog ein und widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. Wie immer wenn ich eine Idee hatte, war sie zunächst nicht begeistert, dann später Feuer und Flamme und legte sie schließlich als ihre eigene aus. Ich wusste, dass sie nun eingeschnappt sein würde, da ich sie nicht ausreden gelassen hatte, das war sie immer wenn man ihren Ausführungen nicht mit vor Staunen aufgerissenen Mund folgte, doch das Risiko ging ich ein, da ich keine Lust hatte, mir weitere Dinge anzuhören, die ich eh schon kannte.
"Ich weiß das alles. Und ich habe nie gesagt, dass ich nicht hinein gehen will. Nur dass ich Respekt vor dem Gebäude habe."
Wie erwartet verdrehte Charlie die Augen, verkniff sich einen beleidigten Kommentar und wandte sich stattdessen wortlos um und strebte dem Portal zu. Als sie bemerkte, dass wir ihr nicht folgten, stoppte sie wieder, drehte sich um und fragte laut und mit erhobenen Armen: "Also gehen wir nun hinein oder nicht?"
Alice tat ein paar Schritte, während ich blieb wo ich war, stoppte dann wieder und sah mich erwartungsvoll an. Schließlich seufzte ich ergeben und watschelte ihr hinterher. Weit kam ich jedoch nicht. Nach nur wenigen Schritten blieb ich wieder stehen. Mein Rückgrad versteifte sich und ein Schauer kroch in quälender Langsamkeit darüber. Ich schüttelte den Kopf. Was immer es war. Ich musste auf mein Gefühl vertrauen. "Wisst ihr, vielleicht geht ihr doch lieber alleine da rein.", murmelte ich, während ich am ganzen Körper zitterte. "Ich schaue mich derweil ein wenig um."
Vor allem wollte ich raus aus dem Schatten dieser Kirche und mir irgendwo ein Fleckchen suchen, wo ich mich in aller Ruhe übergeben konnte. Die wenigen Schritte hatten dazu geführt, dass sich die Welt um mich drehte wie ein Karoussel und mein Magen tat dasselbe.
Charlie grummelte, schien aber genug von meinen Eskapaden zu haben, als sich noch weiter darüber aufzuregen, stieß stärker als notwendig die Tür auf und verschwand im Innern der Abbey. Alice schaute ihr stirnrunzelnd hinterher, dann musterte sie mich und schien bereits zu beschließen, bei mir zu bleiben, doch ich winkte ihr abwehrend zu. "Geh nur."
Hoffentlich verschwand sie bald. Um alles in der Welt wollte ich vermeiden, dass ich hier vor Zeugen und vor allem vor ihren Augen etwas dummes tat. Nach einer Ewigkeit entschied sie sich schließlich und wandte sich um. Ich wartete exakt bis sich die Kirchentür hinter ihr schloss, dann nahm ich die Beine in die Hand und rannte so schnell ich konnte in Richtung Charing Cross und den Houses of Parliament, da ich wusste, dass nicht weit in diese Richtung eine Grünfläche war. Keine Sekunde zu früh erreichte ich den kleinen Bereich, der einmal zum Garten des Whitehall Palastes gehört haben mochte, ehe ich spürte, wie die Beine unter meinem Körper nachgaben und ich mit einem dumpfen Geräusch auf der Wiese landete und würgte. Dann jedoch wurde mir schwarz vor Augen und die Ohnmacht, gegen die ich mich verzweifelt versucht hatte zu wehren, ergriff mich und zog mich davon.

Ich war noch nie wirklich Ohnmächtig gewesen. Von einer Narkose im Krankenhaus einmal abgesehen, hatte ich noch nie erlebt, wie es war, bewusstlos zu sein und konnte daher nur vermuten, dass es sich wie ein sehr tiefer Schlaf, von dem man nichts mitbekommt, anfühlte. Umso überraschter war ich jedoch, als ich feststellte, dass ich träumte. Vielleicht war eine Ohnmacht ja ein wenig anders als Bewusstlosigkeit, aber nur wenige Minuten nachdem es dunkler wurde, wurde es wieder heller und ich erkannte, dass ich mich an demselben Platz befand, wo mein Körper noch liegen musste, es hatte sich nichts verändert, doch die Szenerie veränderte sich und ich erkannte Szenen die sich abspielten, wie einen Film, den man rückwärts laufen lässt. Zunächst dachte ich erschrocken, die Lebensmittelvergiftung, die ich mir eingefangen haben musste, war schwerwiegender als erwartet hatte und dies war der berühmte Film, der einem vor dem Tod alle sehenswehrten Situationen des eigenen Lebens noch einmal zeigte, dann aber merkte ich, dass sich an der Szenerie nicht viel veränderte. Der Blickwinkel, aus dem ich auf London und die Themse schaute, blieb immer wieder gleich, aber der Hintergrund änderte sich dauernd. So sah ich die Stadt unter Bombenbeschuss, zwischen gefräßigen Flammen, sah wie Gebäude abgebaut und andere wieder aufgebaut wurden, sah eine ganze Stadt, die sich Stück für Stück veränderte, bis die Houses of Parliament verschwunden waren und an ihre Stelle andere Gebäude erschienen. Dann umfing mich wieder Dunkelheit und ich dümpelte dahin und fragte mich, wann ich wohl wieder aufwachen würde.
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