Odyssee eines Terminkalenders
von Feael Silmarien
Kurzbeschreibung
Ein neuer Schüler macht Sweet Amoris unsicher. - Buchstäblich, denn sein unschöner Ruf eilt ihm voraus. Was für ein Pech für die schüchterne Viola, die ihm seinen Terminkalender wiedergeben muss! Doch nach und nach kommt sie seiner wahren Persönlichkeit auf die Schliche und lernt dabei auch noch, über ihren Schatten zu springen ... --- Widmung: Allen Schüchternen von einer, die nicht mehr so schüchtern ist wie früher.
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P12 / Gen
Alexy
Armin
Kim
Lysander
Viola
06.08.2015
12.11.2015
15
36.717
7
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Dieses Kapitel
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27.08.2015
1.347
Ein großes Dankeschön an alle, die bis hierhin gelesen haben! Ich hoffe, ihr bleibt auch weiterhin dabei!
Und nun viel Spaß mit dem neuen Kapitel!
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Kapitel 4: Das Phantom
Mit einem Seufzer ließ sich Viola in ihre Kissen zurückfallen. Über ihrem Gesicht hielt sie das Foto aus Platons Terminkalender, starrte auf den kleinen Jungen mit dem Stift im Mund und schmunzelte kurz über die Hamsterbäckchen, die Platon schon längst nicht mehr hatte. Aber ansonsten, musste sie sich gestehen, zeichneten sich die Züge des sechzehn- oder siebzehnjährigen Platon in dem Gesicht des Kindes bereits deutlich ab. Die Augenform, die Nase ... Sie hatte ihn schon oft genug angestarrt, um sich die Einzelheiten seiner Züge genau einzuprägen. Immerhin kannte sie ihn schon seit einer Woche ...
Und seit einer Woche hatte sie sein grünes Büchlein. Es war zum Verzweifeln! Natürlich dachte Alexy nicht im Traum daran lockerzulassen und Viola hatte ihr Bestes gegeben, aber ... Platon hatte in den letzten Tagen sehr gehetzt gewirkt, hatte seine Aufmerksamkeit auf den Laptop fixiert und ständig aus einer großen Thermoskanne Kaffee geschlürft. Zumindest, wenn sie ihn in einem der Klassenräume vorfand, in denen er sich in den Pausen grundsätzlich nie aufhielt. Viola und Alexy hatten in der ganzen Woche nicht herausgefunden, wohin er zwischen den Unterrichtsstunden verschwand, aber er schien tatsächlich irgendwo ein Plätzchen gefunden zu haben, das er nur für sich hatte.
Bei dieser Tendenz, sich rar zu machen, verwunderte es fast schon, dass er tatsächlich Sozialkontakte hatte. Zumindest schien er sich mittlerweile ganz gut mit Armin zu verstehen, mit dem er sich die hintersten Ecken der Klassenräume teilte, wo sie beide - nicht immer unbemerkt - ihrer Elektronik huldigten. Ein paar Mal hatte Viola auch beobachtet, wie er ganz friedlich einige Worte mit Iris wechselte, was aber nicht wirklich überraschend war, da mit Iris so ziemlich alle gut auskamen. Dann gab es natürlich noch Lysander, den er ja schon länger kannte und mit dem er hin und wieder kurze Gespräche führte. Und ansonsten war da noch Viola selbst, mit der sich seine Gespräche meistens aber darauf beschränkten, dass es mit dem Eisessen jetzt doch nicht allzu bald klappen würde, dass er gerade mehr zu tun habe als er ursprünglich geschätzt hatte, aber dass er sein Versprechen garantiert nicht vergessen würde. Bedauerlicherweise waren diese Gespräche immer unvorhergesehen, sodass Viola sich nie vorbereiten, sich nie Worte zurechtlegen konnte - und so kam es nun immer wieder, dass sie ihren Mund erst aufbekam, als er schon wieder weg war.
Ein interessantes Verhältnis bahnte sich hingegen mit Castiel an. Als Platon an seinem zweiten Tag den Schulhof betreten hatte, hatte er offenbar beschlossen, es dem "rothaarigen Spasten" heimzuzahlen, und hatte laut gerufen, dass nur Emos sich die Haare rot färben würden und Castiel somit in Bezug auf Rock ein "ungebildeter Wannabe" sei. Anscheinend tief verletzt in seiner Rockerwürde, betitelte Castiel ihn wieder als "Two-Face", und so grüßten sich die beiden täglich mit solchen freundlichen Formulierungen wie: "Pass auf, dass die Emo-Farbe dir nicht rauswächst, du Wannabe!" - "Wo ist dein Silberdollar, Two-Face?" Na ja, immerhin sahen sie von weiteren Prügeleien ab ...
Was Platons Image aber nicht unbedingt besserte. Zwar durften Nathaniel und Melody keine konkreten Daten aus seiner Akte preisgeben, aber das war auch gar nicht nötig, da viele Schüler Bekannte hatten, die auf Platons alte Schule gingen. So war bekannt geworden, dass die Schülersprecherin dieser Schule manchmal organisatorischen Kontakt mit Nathaniel hatte und ihn ausdrücklich vor Platon gewarnt hatte. Wenn er darauf angesprochen wurde, häufig in Verbindung mit der Frage, warum er als Schülersprecher nicht in Platons Streitereien mit Castiel eingriff, sagte er, dass er sich bemüht habe, Platon unvoreingenommen zu begegnen, dass sich die Warnungen aber tatsächlich als wahr herausgestellt hätten und dass er nicht im Geringsten vorhätte, sich in seinen Konflikt mit Castiel einzumischen. "Er ist ein streitsüchtiger Idiot, und Castiel ist es auch. Sie haben sich gefunden", pflegte er mit einem heiteren Grinsen zu sagen. Anscheinend genoss er es, dass sein Erzfeind zur Abwechslung mit jemand anderem beschäftigt war.
Die Lehrer hingegen genossen Platons Existenz sehr viel weniger, da er sich prinzipiell weigerte, am Unterricht teilzunehmen, und stattdessen an seinem Laptop arbeitete. Selbst in Sport, wo er seinen Laptop nicht dabeihatte, hatte er es doch tatsächlich geschafft, Mr. Boris zur Weißglut zu treiben, da er auf Teufel komm raus nicht hatte seinem Rat folgen und eins der Mädchen nach einer Spange für seinen Haarvorhang fragen wollen, was wiederum zur Folge hatte, dass sein viel zu langer Pony ihm beim Umherlaufen die Sicht genommen hatte und er zur Gefahr für sich selbst und andere wurde. Von der sportuntauglichen Kleidung, Rollkragen, lange Ärmel und Handschuh, also derselben Zusammensetzung wie bei seiner Alltagstracht, ganz zu schweigen. Die Hälfte der Sportstunde hatte er auf der Bank verbringen müssen, wo er sogleich friedlich eingedöst war.
Viola seufzte wieder und dachte daran, wie er sie gelehrt hatte, den Stinkefinger zu zeigen. War das seine eigene Einstellung? Denn es kümmerte ihn kein bisschen, welche Strafen ihm die Lehrer aufhalsten und was man sich über ihn erzählte. Über die Prügeleien an seiner alten Schule, wie er seine Mitschüler bedroht hätte, Unterrichtsverweigerung, Erpressung, Diebstahl ... und manche erzählten sogar, er habe das Kaninchen einer Mitschülerin bei lebendigem Leib gefressen. Eine psychotherapeutische Behandlung schien nichts gebracht zu haben. - Angeblich hatte er den Psychotherapeuten bedroht.
Viola schüttelte den Kopf. Es war kein allzu schönes Bild, das die Allgemeinheit von ihm zeichnete, und irgendwie ... Vielleicht hielt er sie auch für eine Idiotin, aber damals, als sie hingefallen war, hatte seine Sorge echt gewirkt. Er hatte ihr beim Tragen helfen wollen, er hatte das Stofftier sicher aufbewahrt und es ihr wiedergegeben ohne sie lauthals auszulachen, und je länger Viola darüber nachdachte und mit Alexy diskutierte, desto mehr glaubte sie, dass er es mit dem Eisessen tatsächlich ernst meinte. Ja, er hatte sich mit Castiel geprügelt, aber ... "Es ist genauso verlogen wie es wahr ist." - "Ich brauche dieses Image noch." Es gab Momente, da glaubte Viola, diese Aussage ein wenig zu verstehen: Es war alles nur Schau. Aus irgendeinem Grund wollte er wohl, dass alle ihn für einen viel schlechteren Menschen hielten als er tatsächlich war. Aber wer tat sich ein solches Image freiwillig an?!
Ihr Blick wanderte zurück zum vierjährigen Jungen auf dem Foto, der noch ein vollständiges Gesicht hatte. Im Gegensatz zu vielen Mitschülern hatte sie nicht mal beim Rumlaufen im Sportunterricht seine rechte Gesichtshälfte gesehen, aber auch jene, die einen Blick darauf hatten werfen können, kannten es nur sehr flüchtig. Ihren Erzählungen zufolge sollte es jedoch wirklich schlimm aussehen. "Hey, du Phantom der Oper!", hatte Viola mal jemanden aus der Parallelklasse ihm zurufen hören. "Wann wirst du unsere Schule anzünden?" - "Wie ist die Luft im Glockenturm, Quasimodo?", hatte ein anderer gefragt. ... Ja, manchmal schämte sich Viola sogar für ihre Altersgruppe - oder zumindest für einige Repräsentanten ihrer. Vielleicht hatten sie ihre Strafe ja sogar verdient. Zumindest waren am nächsten Tag beide dabei beobachtet worden, wie sie bei Platons bloßem Anblick die Kurve kratzten, was wiederum neue Gerüchte aufkommen ließ, obwohl beide "Opfer" sich verbissen weigerten, den Lehrern eine Gewaltanwendung von seiner Seite aus zu "petzen".
Aber ob verdient oder nicht, Viola musste zugeben, dass, falls die Gerüchte stimmten, Platons Reaktion deutlich heftiger ausgefallen war als das, was ihm angetan wurde. Es ging weit über Notwehr hinaus. Hatte es also eher mit bewusster Imagepflege zu tun? Dieser Idiot ... Ein solches Image sollte niemand haben!
Weil aller guten Dinge drei sind, seufzte Viola noch ein Mal und legte das Foto zurück in das Büchlein, das auf ihrem Nachttisch bereits seinen festen Platz hatte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es schon nach Mitternacht war. Sie hatte also mal wieder den ganzen Abend damit verbracht, an Platon zu denken. Das tat sie definitiv zu oft.
Grummelnd drehte sie sich zur Wand, ahnend, dass sie wohl wieder die halbe Nacht nicht einschlafen können würde, weil ihre Gedanken unaufhörlich um den neuen Mitschüler kreisten. Warum konnte dieser Mist nicht einfach aufhören?!
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Fortsetzung folgt ...
Und nun viel Spaß mit dem neuen Kapitel!
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Kapitel 4: Das Phantom
Mit einem Seufzer ließ sich Viola in ihre Kissen zurückfallen. Über ihrem Gesicht hielt sie das Foto aus Platons Terminkalender, starrte auf den kleinen Jungen mit dem Stift im Mund und schmunzelte kurz über die Hamsterbäckchen, die Platon schon längst nicht mehr hatte. Aber ansonsten, musste sie sich gestehen, zeichneten sich die Züge des sechzehn- oder siebzehnjährigen Platon in dem Gesicht des Kindes bereits deutlich ab. Die Augenform, die Nase ... Sie hatte ihn schon oft genug angestarrt, um sich die Einzelheiten seiner Züge genau einzuprägen. Immerhin kannte sie ihn schon seit einer Woche ...
Und seit einer Woche hatte sie sein grünes Büchlein. Es war zum Verzweifeln! Natürlich dachte Alexy nicht im Traum daran lockerzulassen und Viola hatte ihr Bestes gegeben, aber ... Platon hatte in den letzten Tagen sehr gehetzt gewirkt, hatte seine Aufmerksamkeit auf den Laptop fixiert und ständig aus einer großen Thermoskanne Kaffee geschlürft. Zumindest, wenn sie ihn in einem der Klassenräume vorfand, in denen er sich in den Pausen grundsätzlich nie aufhielt. Viola und Alexy hatten in der ganzen Woche nicht herausgefunden, wohin er zwischen den Unterrichtsstunden verschwand, aber er schien tatsächlich irgendwo ein Plätzchen gefunden zu haben, das er nur für sich hatte.
Bei dieser Tendenz, sich rar zu machen, verwunderte es fast schon, dass er tatsächlich Sozialkontakte hatte. Zumindest schien er sich mittlerweile ganz gut mit Armin zu verstehen, mit dem er sich die hintersten Ecken der Klassenräume teilte, wo sie beide - nicht immer unbemerkt - ihrer Elektronik huldigten. Ein paar Mal hatte Viola auch beobachtet, wie er ganz friedlich einige Worte mit Iris wechselte, was aber nicht wirklich überraschend war, da mit Iris so ziemlich alle gut auskamen. Dann gab es natürlich noch Lysander, den er ja schon länger kannte und mit dem er hin und wieder kurze Gespräche führte. Und ansonsten war da noch Viola selbst, mit der sich seine Gespräche meistens aber darauf beschränkten, dass es mit dem Eisessen jetzt doch nicht allzu bald klappen würde, dass er gerade mehr zu tun habe als er ursprünglich geschätzt hatte, aber dass er sein Versprechen garantiert nicht vergessen würde. Bedauerlicherweise waren diese Gespräche immer unvorhergesehen, sodass Viola sich nie vorbereiten, sich nie Worte zurechtlegen konnte - und so kam es nun immer wieder, dass sie ihren Mund erst aufbekam, als er schon wieder weg war.
Ein interessantes Verhältnis bahnte sich hingegen mit Castiel an. Als Platon an seinem zweiten Tag den Schulhof betreten hatte, hatte er offenbar beschlossen, es dem "rothaarigen Spasten" heimzuzahlen, und hatte laut gerufen, dass nur Emos sich die Haare rot färben würden und Castiel somit in Bezug auf Rock ein "ungebildeter Wannabe" sei. Anscheinend tief verletzt in seiner Rockerwürde, betitelte Castiel ihn wieder als "Two-Face", und so grüßten sich die beiden täglich mit solchen freundlichen Formulierungen wie: "Pass auf, dass die Emo-Farbe dir nicht rauswächst, du Wannabe!" - "Wo ist dein Silberdollar, Two-Face?" Na ja, immerhin sahen sie von weiteren Prügeleien ab ...
Was Platons Image aber nicht unbedingt besserte. Zwar durften Nathaniel und Melody keine konkreten Daten aus seiner Akte preisgeben, aber das war auch gar nicht nötig, da viele Schüler Bekannte hatten, die auf Platons alte Schule gingen. So war bekannt geworden, dass die Schülersprecherin dieser Schule manchmal organisatorischen Kontakt mit Nathaniel hatte und ihn ausdrücklich vor Platon gewarnt hatte. Wenn er darauf angesprochen wurde, häufig in Verbindung mit der Frage, warum er als Schülersprecher nicht in Platons Streitereien mit Castiel eingriff, sagte er, dass er sich bemüht habe, Platon unvoreingenommen zu begegnen, dass sich die Warnungen aber tatsächlich als wahr herausgestellt hätten und dass er nicht im Geringsten vorhätte, sich in seinen Konflikt mit Castiel einzumischen. "Er ist ein streitsüchtiger Idiot, und Castiel ist es auch. Sie haben sich gefunden", pflegte er mit einem heiteren Grinsen zu sagen. Anscheinend genoss er es, dass sein Erzfeind zur Abwechslung mit jemand anderem beschäftigt war.
Die Lehrer hingegen genossen Platons Existenz sehr viel weniger, da er sich prinzipiell weigerte, am Unterricht teilzunehmen, und stattdessen an seinem Laptop arbeitete. Selbst in Sport, wo er seinen Laptop nicht dabeihatte, hatte er es doch tatsächlich geschafft, Mr. Boris zur Weißglut zu treiben, da er auf Teufel komm raus nicht hatte seinem Rat folgen und eins der Mädchen nach einer Spange für seinen Haarvorhang fragen wollen, was wiederum zur Folge hatte, dass sein viel zu langer Pony ihm beim Umherlaufen die Sicht genommen hatte und er zur Gefahr für sich selbst und andere wurde. Von der sportuntauglichen Kleidung, Rollkragen, lange Ärmel und Handschuh, also derselben Zusammensetzung wie bei seiner Alltagstracht, ganz zu schweigen. Die Hälfte der Sportstunde hatte er auf der Bank verbringen müssen, wo er sogleich friedlich eingedöst war.
Viola seufzte wieder und dachte daran, wie er sie gelehrt hatte, den Stinkefinger zu zeigen. War das seine eigene Einstellung? Denn es kümmerte ihn kein bisschen, welche Strafen ihm die Lehrer aufhalsten und was man sich über ihn erzählte. Über die Prügeleien an seiner alten Schule, wie er seine Mitschüler bedroht hätte, Unterrichtsverweigerung, Erpressung, Diebstahl ... und manche erzählten sogar, er habe das Kaninchen einer Mitschülerin bei lebendigem Leib gefressen. Eine psychotherapeutische Behandlung schien nichts gebracht zu haben. - Angeblich hatte er den Psychotherapeuten bedroht.
Viola schüttelte den Kopf. Es war kein allzu schönes Bild, das die Allgemeinheit von ihm zeichnete, und irgendwie ... Vielleicht hielt er sie auch für eine Idiotin, aber damals, als sie hingefallen war, hatte seine Sorge echt gewirkt. Er hatte ihr beim Tragen helfen wollen, er hatte das Stofftier sicher aufbewahrt und es ihr wiedergegeben ohne sie lauthals auszulachen, und je länger Viola darüber nachdachte und mit Alexy diskutierte, desto mehr glaubte sie, dass er es mit dem Eisessen tatsächlich ernst meinte. Ja, er hatte sich mit Castiel geprügelt, aber ... "Es ist genauso verlogen wie es wahr ist." - "Ich brauche dieses Image noch." Es gab Momente, da glaubte Viola, diese Aussage ein wenig zu verstehen: Es war alles nur Schau. Aus irgendeinem Grund wollte er wohl, dass alle ihn für einen viel schlechteren Menschen hielten als er tatsächlich war. Aber wer tat sich ein solches Image freiwillig an?!
Ihr Blick wanderte zurück zum vierjährigen Jungen auf dem Foto, der noch ein vollständiges Gesicht hatte. Im Gegensatz zu vielen Mitschülern hatte sie nicht mal beim Rumlaufen im Sportunterricht seine rechte Gesichtshälfte gesehen, aber auch jene, die einen Blick darauf hatten werfen können, kannten es nur sehr flüchtig. Ihren Erzählungen zufolge sollte es jedoch wirklich schlimm aussehen. "Hey, du Phantom der Oper!", hatte Viola mal jemanden aus der Parallelklasse ihm zurufen hören. "Wann wirst du unsere Schule anzünden?" - "Wie ist die Luft im Glockenturm, Quasimodo?", hatte ein anderer gefragt. ... Ja, manchmal schämte sich Viola sogar für ihre Altersgruppe - oder zumindest für einige Repräsentanten ihrer. Vielleicht hatten sie ihre Strafe ja sogar verdient. Zumindest waren am nächsten Tag beide dabei beobachtet worden, wie sie bei Platons bloßem Anblick die Kurve kratzten, was wiederum neue Gerüchte aufkommen ließ, obwohl beide "Opfer" sich verbissen weigerten, den Lehrern eine Gewaltanwendung von seiner Seite aus zu "petzen".
Aber ob verdient oder nicht, Viola musste zugeben, dass, falls die Gerüchte stimmten, Platons Reaktion deutlich heftiger ausgefallen war als das, was ihm angetan wurde. Es ging weit über Notwehr hinaus. Hatte es also eher mit bewusster Imagepflege zu tun? Dieser Idiot ... Ein solches Image sollte niemand haben!
Weil aller guten Dinge drei sind, seufzte Viola noch ein Mal und legte das Foto zurück in das Büchlein, das auf ihrem Nachttisch bereits seinen festen Platz hatte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es schon nach Mitternacht war. Sie hatte also mal wieder den ganzen Abend damit verbracht, an Platon zu denken. Das tat sie definitiv zu oft.
Grummelnd drehte sie sich zur Wand, ahnend, dass sie wohl wieder die halbe Nacht nicht einschlafen können würde, weil ihre Gedanken unaufhörlich um den neuen Mitschüler kreisten. Warum konnte dieser Mist nicht einfach aufhören?!
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Fortsetzung folgt ...