You can like the Life you living...
von Shira Blue
Kurzbeschreibung
Roxie Hart - ein Mädchen aus armen Verhältnissen kommt in die Großstadt Chicago. Doch was hat sie gerade dorthin verschlagen? Vielleicht doch eine Art von Liebe? [CHICAGO]
KurzgeschichteLiebesgeschichte / P12 / Gen
05.08.2015
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Hey Leute!!!
Und hier melde ich mich schon wieder mit einem neuen OS. Ich weiß auch nicht, aber mich hat momentan das Chicago-Fieber gepackt - und die Vergangenheit der Figuren hat es mir einfach angetan. Darüber wird ja nur ein bisschen erzählt.
So, um es noch mal deutlich zu machen: ich richte mich eher nach dem Film, da ich den einfach besser finde, als das Musical. Mir geht es dabei besonders einfach um die Schauspieler. Die sind wundervoll!
So, jetzt will ich Euch aber lesen lassen.
LG
Shira
___***___
„Roxanne komm sofort her!“
Roxie verdrehte die Augen, fügte sich aber. Sie wusste, wenn sie nicht auf ihren Vater hörte, würde sie nur wieder Prügel kassieren. Und das wollte sie eigentlich auch nicht. Seufzend hob sie die schwere Milchkanne wieder an und machte sich auf den Weg in das kleine Farmhaus.
Hier lebte sie mit ihrem Vater, ihrer Stiefmutter und den beiden Stiefbrüdern, die sie gern als Punchingball verwendeten. Sie schüttelte den Kopf, nicht mehr lange, dann würde sie vielleicht wirklich von hier verschwinden können. Jedenfalls wurde das Geld unter ihrer Matratze immer mehr. Und bisher hatte es noch niemand gefunden.
Langsam kam sie im Haus an, wo sie auch schon von den strengen Augen ihrer Mutter erwartet wurde. Die harten Augen schienen sie regelrecht zu durchbohren und Roxie duckte sich noch mehr zusammen.
„Was hat da so lange gedauert?“, fragte sie finster.
„Äh…die Kühe…wollten nicht so…“, stotterte Roxie leise.
„Nicht verwunderlich…bei der Hackfresse wird die Milch ja sauer…“, ätzte einer ihrer Stiefbrüder.
„Und bei deiner wird die Butter ranzig!“, schoss Roxie zurück, erhielt dafür aber einen Schlag auf die Wange.
„Roxanne, sollst du so mit deinen Geschwistern sprechen?“, fragte ihre ‚Mutter‘ streng.
„Roxanne, Sofia was ist denn nun schon wieder los?“
Roxies Vater kam mit einer Tasse Kaffee in den Flur und schaute seine leibliche Tochter und seine zweite Frau fragend an.
„Sie kann sich einfach nicht zurückhalten und hat schon wieder Juan beleidigt. Deine Tochter ist wirklich nicht gut erzogen!“
„Roxanne, du solltest dich doch mit deinen Brüder verstehen!“
Ihr Vater schaute sie streng an und Roxie senkte den Kopf. Sie wollte eigentlich, dass er stolz auf sie war, doch es war immer wieder das gleiche. Ihre Brüder stellten irgendetwas an – und sie war die Böse.
„Aber Vater…“, versuchte sie sich zu verteidigen, doch er schnitt ihr das Wort ab.
„Nein, Roxanne. Du gehst jetzt ins Dorf und bezahlst beim Bäcker unsere Schulden und dann holst du noch ein Vollkornbrot?“
„Sicher Vater…“, meinte sie leise.
Nachdem ihre Stiefmutter ihr widerwillig das Geld gegeben hatte, machte Roxie sich auf den Weg in die Stadt. Sie mochte diesen Weg nicht, keiner mochte ihn gern, weswegen ihr Vater auch sie geschickt hatte. Es war jetzt schon unerträglich warm und es würde über den Tag noch schlimmer werden.
Die Straße war staubig und die meisten Pflanzen am Wegrand schon verdorrt. Roxie erinnerte sich, wie sie hier mit ihrem Freund langgerannt war. Das war auch schon eine Weile Vergangenheit, denn nun saß ihr Freund im Knast.
Sie konnte es immer noch nicht recht fassen, dass gerade er ein Schnaps-Schmuggler sein sollte. Aber es war so – und beinahe wäre sie auch noch verdächtig worden. Ihr Glück war es nur gewesen, dass sie so viel auf der Farm arbeiten musste. Sonst würde sie jetzt vermutlich auch im Knast sitzen. Das machte ihr immer noch ein bisschen Angst.
Roxie blickte in den wolkenlosen Himmel, hoffte auf eine kleine Brise, doch selbstverständlich gab es um diese Jahreszeit keine, wie es eigentlich immer der Fall war. Deswegen wurden die Arbeiten immer am Morgen und am Abend gemacht und in der Zeit dazwischen bewegte man sich am besten so gut wie gar nicht.
Doch das galt nicht für sie, sie wurde immer auf den Weg geschickt, wenn es galt etwas im Dorf zu besorgen. Bei dem richtigen Wetter brauchte man nur eine halbe Stunde hinunter, doch an Tagen wie heute, konnte es sich gern mal auf eine Stunde ausdehnen.
Mit einem leisen Keuchen ließ sich Roxie am Rand nieder und atmete erst einmal tief durch. Sie brauchte diese kleine Pause, um nicht auf der Hälfte einfach zusammenzubrechen. Langsam normalisierte sich ihr Puls wieder und sie sah wieder klarer.
Mit neuer Kraft lief sie erneut los. Sie achtete auf den Weg, um nicht von irgendwelchen Indianern oder Wilden angefallen zu werden. Das passierte hier relativ oft, denn die Straße wurde nicht bewacht, oder von Militär frequentiert. Einerseits natürlich negativ, denn hier herrschte kein Schutz, doch damit mussten sie im Hof auch niemanden beherbergen.
Militär machte allen Angst, denn sie konnten machen, was sie wollen.
Endlich kam das Dorf in Sicht, eigentlich mehr eine Häuseransammlung in der Landschaft. Rund herum befanden sich Felder, die in der Sonne golden leuchteten. Doch wenn man näher kam, dann sah man, dass sie verbrannt waren.
Auf den Straßen waren Menschen unterwegs und Roxie huschte schnell zum Bäcker. Sie wollte das Geld loswerden. Es war kein gutes Gefühl mit so viel in den Taschen herumzulaufen. Es kam ihr immer so vor, als wüsste jeder, was sie in der Tasche herumtrug.
„Ach, Miss Heart…schön Sie zu sehen!“, begrüßte sie der Bäcker und Roxie lächelte.
„Hallo…ich bin wegen der Angelegenheit hier…“, meinte sie unsicher und der Bäcker zeigte auf den kleinen Nebenraum. Roxie nickte und ging hinein. Er folgte ihr nur Augenblicke später.
„Das Geld?“
„Sicher. Hier. 10$ für die letzten Wochen!“
„Danke. Und deine Eltern haben mal wieder dich geschickt?“
„Ja, haben sie!“, gab Roxie mit einem Lächeln zurück.
„Möchtest du eine Flasche Wasser haben?“
Sie konnte sich ein hoffnungsvolles Nicken nicht verkneifen. So gern würde sie jetzt etwas trinken, ihre Kehle fühlte sich an wie Schmirgelpapier.
„Na dann komm mal mit, Mädel…“
Er nahm sie zurück mit in den Verkaufsraum, wo ein junger, untersetzter Mann am Tisch saß. Er hatte eine Tasse Kaffee vor sich und war in eine Zeitung vertieft. Sie kannte ihn nicht, was hier recht ungewöhnlich war. Hier kamen selten Fremde her.
Der Bäcker bemerkte ihren Blick und lächelte leicht.
„Er kommt aus Chicago…Amor oder so…weiß nicht mehr so genau…war auf der Durchreise. Keine Ahnung woher…will jetzt aber zurück…“
Roxie schluckte unbemerkte. Chicago, das war ihr ein Ziel – dort würde sie gern hin, oder nach New York, zumindest in den Norden. Und dieser Mann – das könnte ihr Ziel sein…das war vielleicht ihre einzige Chance. Aber sie kannte ihn doch gar nicht. Wie sollte sie…mit ihm ins Gespräch kommen?
„Hier…lass mich raten noch ein Brot?“
Der Bäcker riss sie aus ihren Gedanken und sie schaute ihn verwirrt an, bis sie seine Frage verstand.
„Äh…ja genau…“
„Da musste noch nur kurz warten…die sind noch im Ofen!“
„Gut, ich setze mich einen Moment hin!“
Okay, jetzt oder nie, dachte sie sich und setzte sich ihm gegenüber auf den Platz und schaute ihn lächelnd an.
„Hallo…“, meinte sie leise.
„Hallo…“, gab er abwesend zurück, bis er bemerkte, dass sie tatsächlich mit ihm sprach.
„Reden Sie mit mir?“, fragte er scheinbar überrascht.
„Ja, mit wem denn sonst?“, lächelte Roxie.
„Nicht viele Leute reden mit mir. Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Sie kommen aus Chicago?“, fragte Roxie.
„Ja. Mein Name ist übrigens Amos. Amos Hart!“
Roxie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, als sie das hörte. Das schien ja wirklich zu passen.
„Ja, ich weiß, der Name ist seltsam!“
„Nein, das meine ich nicht. Mein Name ist Roxie Heart!“, gab sie zurück und nun lächelte auch Amos.
„Da haben sich wohl zwei gefunden! Kommen Sie von hier, Miss Heart?“
„Bitte, nennen Sie mich Roxie. Und ja, ich komme von hier. Ich wohne mit meiner Familie auf einer Farm ein bisschen außerhalb!“
„Klingt romantisch…“
„Nicht wirklich…meine Familie ist nicht wirklich toll…“, meinte Roxie mit einem traurigen Gesichtsausdruck.
„Das tut mir sehr leid…Roxie, ich weiß, dass kommt ein bisschen plötzlich…aber…ich denke, das nennt sich Liebe auf den ersten Blick…“
Roxie lächelte schüchtern. Bei ihr sicher nicht, aber Amos schien ein netter, schüchterner Mann zu sein und ihre Eltern wollten schon seit langem, dass sie heiratete. Das könnte ihre Chance sein.
„Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen Amos…“
„Sollten wir uns dann nicht duzen…“, lächelte er verlegen.
„Es wäre passend…“
Innerlich verdrehte Roxie die Augen, aber es wäre besser, als bei ihrer Familie zu leben. Außerdem mochte sie ihn wirklich irgendwie – es war vielleicht keine Liebe, aber er schien wirklich sehr nett, genau der richtige für ihre Familie.
Ihre Familie war tatsächlich einverstanden, nachdem Amos ihnen erzählt hatte, was er hier tat. Er hatte seine Eltern in L.A. besucht. Dort waren sie hingezogen, nachdem der Vater eine großzügige Abfindung erhalten hatte und sich nicht mehr in Chicago blicken lassen sollte. Nur Amos lebte nun noch da. Einmal im Jahr fuhr er sie besuchen.
Roxies Eltern hatten sogar die Eltern angerufen – gut, ihr Vater hatte das getan. Ihre Mutter stand immer nur mit saurem Gesicht daneben. Ihr schien es nicht zu passen, dass die ihr verhasste Stieftochter nun doch einen Mann bekam, der ihrem Vater gefiel. Damit war sie nämlich auch den Ruf des Dummchens los. Zum Glück hatte sich nicht herausgestellt, dass Amos ein Betrüger war.
Ihre Hochzeit war klein, nur ihre Eltern und der Pfarrer und Roxie war relativ froh darüber. Sie wollte keine besonders große Feier und Amos schien auch damit einverstanden.
Roxie öffnete die Tür des Wagens und schauderte sofort als die kalte Luft sie traf. Ein Mantel legte sich um ihre Schultern, sobald sie stand.
„Tut mir leid, Roxie…hier ist ein bisschen kälter, als bei euch…“
„Nicht so schlimm, Amos. Ist das das Haus?“, fragte sie neugierig.
„Ja, das ist es. Wir wohnen in der zweiten Etage!“
Amos ging in das Haus und Roxie folgte ihm. Es war anders, als bei ihrer Familie, aber hier wurde sie wenigstens nicht herumgeschubst Und sie würde es genießen, denn sie hatte schon gemerkt, dass sie Amos nur groß anschauen musste, um zu bekommen, was sie wollte.
„So, hier ist es…“
Sie betrat die Wohnung und schaute sich um. Von der Straße her, hörte sie plötzlich Musik, die sie dazu animieren wollte zu tanzen. Aber sie tat es nicht, sie wollte nicht gleich einen schlechten Eindruck erwecken. Und trotzdem musste sie einfach fragen:
„Was ist das?“
„Das? Die Musik? Nennt sich Jazz…das gab es bei euch sicher noch nicht. Das hört man her dauernd“, erklärte Amos ihr und schloss dann das Fenster. „Du willst sicher hier umdekorieren, nicht wahr?“
„Äh…ja, ich denke schon…“
Roxie dekorierte tatsächlich alles um und Amos ließ ihre freie Hand. Sie liebte ihn nicht, aber sie mochte ihn eigentlich sehr gern. Das Leben mit ihm war einfach, aber für den Anfang akzeptabler. Und Amos versuchte alles, um sie zufrieden zu stellen. Er rackerte sich wirklich ab und Roxie hatten den Tag über Zeit für sich selbst.
In dieser Zeit entdeckte sie den Jazz immer mehr für sich. Die Musik eignete sich bestens zum Tanzen, zum lasziven Tanzen. Amos würde das sicher nicht gern sehen, weswegen sie es vor ihm geheim hielt.
Besonders begeisterte sie sich für Velma Kelly, die einfach alles konnte. So wie sie wollte Roxie so gern sein. Sie wollte sich genauso bewegen können, ihre Beine genauso hoch schmeißen. Die Männer hingen mit den Blicken an ihr, genauso wollte sie auch angehimmelt werden. Amos mochte sie und liebte sie auch, aber er himmelte sie nicht so an, wie sie es gern hätte.
Und so kam sie mit Fred Casley zusammen. Er schien sie regelrecht zu bewundern und er liebte ihre Bewegungen. Doch der wichtigste Grund waren seine Kontakte. An ihrem ersten Date konnte sie sogar Velma Kelly sehen, das überzeugte sie von ihm. Er könnte ihr wirklich helfen auf einer großen Bühne Fuß zu fassen und so zu werden, wie Velma Kelly.
Dann hätte sie es wirklich geschaffte, ihre Vergangenheit wäre vergessen, niemand wüsste mehr, dass sie vom Lande kam und als kleines Dummchen aufgewachsen war.
Doch wie immer kam alles anders. Ein Schuss veränderte Roxies gesamtes Leben und nun war sie hier – in einem Knast voller Frauen, die jemanden umgebracht hatten. Sie fühlte sich unwohl hier unter diesen Mörderinnen, dabei war sie selbst nicht besser. Sie hatte auch einen Mann umgebracht.
Der Staatsanwalt hatte ihr gedroht, dass sie schon bald hängen würde – doch sie wollte noch nicht sterben. Sie wollte doch so gern auf einer Bühne stehen…
Zittrig saß sie zwischen den anderen Frauen, als sie von Mama Morton abgeholt wurde. Sie wusste noch nicht so ganz, ob sie diese Frau mögen sollte oder nicht. Irgendwie war sie seltsam, vor allem als sie einfach Geld annahm, welches ihr geboten wurde.
Zuerst sah Roxie nur den Geldschein, doch dann ließ sie ihren Blick immer weiter nach oben wandern und sah wundervolle Kurven. Eigentlich sollte sie jetzt den Blick wieder senken, doch sie konnte es einfach nicht. Wer auch immer diese Frau war, sie war mehr als gut gebaut, war schlank und hatte tatsächlich einen ansehnlichen Busen.
Und schließlich kam sie beim Gesicht an und erstarrte. Die Frau, die sie die gesamte Zeit angestarrt hatte, war Velma Kelly. Ihr großes Idol – und sie hatte wundervolle Augen. Roxie war wie gefangen und konnte im ersten Moment überhaupt nicht reagieren. Sie konnte in diesem Moment einfach nur noch mehr starren.
„Du…du bist…Velma Kelly…Ich…ich habe dich gesehen, an dem Tag, als du verhaftet wurdest…“, meinte sie stockend und hätte sich im nächsten Moment am liebsten selbst erschossen. Jetzt konnte diese Frau sie doch nur noch für einen Volltrottel halten.
Roxie war verdammt froh, als Matron Morton weiterlief und sie damit nicht mehr in der Nähe von Velma Kelly sein musste. Das wäre sonst wahrscheinlich noch peinlicher geworden. So gern würde sie sich jetzt einfach noch verkriechen, aber sie konnte von hier nicht einfach fliehen.
Doch gerade als Mama die Tür zu ihrer Zelle schloss, sah sie noch jemanden vorbeigehen. Der junge Mann schenkte allen Insassinnen ein umwerfendes Lächeln und Roxie war sofort gefangen. Er sah gut aus – und war vermutlich Anwalt oder der Mann von einer Insassin.
Was Roxie in diesem Moment noch nicht wusste: dieser Mann würde noch eine ganz besondere Rolle in ihrem Leben spielen. So wie sie es in einem ihrer Songs geschrieben hatte…you can like the Life your living, you can live the Life you like!
Und hier melde ich mich schon wieder mit einem neuen OS. Ich weiß auch nicht, aber mich hat momentan das Chicago-Fieber gepackt - und die Vergangenheit der Figuren hat es mir einfach angetan. Darüber wird ja nur ein bisschen erzählt.
So, um es noch mal deutlich zu machen: ich richte mich eher nach dem Film, da ich den einfach besser finde, als das Musical. Mir geht es dabei besonders einfach um die Schauspieler. Die sind wundervoll!
So, jetzt will ich Euch aber lesen lassen.
LG
Shira
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„Roxanne komm sofort her!“
Roxie verdrehte die Augen, fügte sich aber. Sie wusste, wenn sie nicht auf ihren Vater hörte, würde sie nur wieder Prügel kassieren. Und das wollte sie eigentlich auch nicht. Seufzend hob sie die schwere Milchkanne wieder an und machte sich auf den Weg in das kleine Farmhaus.
Hier lebte sie mit ihrem Vater, ihrer Stiefmutter und den beiden Stiefbrüdern, die sie gern als Punchingball verwendeten. Sie schüttelte den Kopf, nicht mehr lange, dann würde sie vielleicht wirklich von hier verschwinden können. Jedenfalls wurde das Geld unter ihrer Matratze immer mehr. Und bisher hatte es noch niemand gefunden.
Langsam kam sie im Haus an, wo sie auch schon von den strengen Augen ihrer Mutter erwartet wurde. Die harten Augen schienen sie regelrecht zu durchbohren und Roxie duckte sich noch mehr zusammen.
„Was hat da so lange gedauert?“, fragte sie finster.
„Äh…die Kühe…wollten nicht so…“, stotterte Roxie leise.
„Nicht verwunderlich…bei der Hackfresse wird die Milch ja sauer…“, ätzte einer ihrer Stiefbrüder.
„Und bei deiner wird die Butter ranzig!“, schoss Roxie zurück, erhielt dafür aber einen Schlag auf die Wange.
„Roxanne, sollst du so mit deinen Geschwistern sprechen?“, fragte ihre ‚Mutter‘ streng.
„Roxanne, Sofia was ist denn nun schon wieder los?“
Roxies Vater kam mit einer Tasse Kaffee in den Flur und schaute seine leibliche Tochter und seine zweite Frau fragend an.
„Sie kann sich einfach nicht zurückhalten und hat schon wieder Juan beleidigt. Deine Tochter ist wirklich nicht gut erzogen!“
„Roxanne, du solltest dich doch mit deinen Brüder verstehen!“
Ihr Vater schaute sie streng an und Roxie senkte den Kopf. Sie wollte eigentlich, dass er stolz auf sie war, doch es war immer wieder das gleiche. Ihre Brüder stellten irgendetwas an – und sie war die Böse.
„Aber Vater…“, versuchte sie sich zu verteidigen, doch er schnitt ihr das Wort ab.
„Nein, Roxanne. Du gehst jetzt ins Dorf und bezahlst beim Bäcker unsere Schulden und dann holst du noch ein Vollkornbrot?“
„Sicher Vater…“, meinte sie leise.
Nachdem ihre Stiefmutter ihr widerwillig das Geld gegeben hatte, machte Roxie sich auf den Weg in die Stadt. Sie mochte diesen Weg nicht, keiner mochte ihn gern, weswegen ihr Vater auch sie geschickt hatte. Es war jetzt schon unerträglich warm und es würde über den Tag noch schlimmer werden.
Die Straße war staubig und die meisten Pflanzen am Wegrand schon verdorrt. Roxie erinnerte sich, wie sie hier mit ihrem Freund langgerannt war. Das war auch schon eine Weile Vergangenheit, denn nun saß ihr Freund im Knast.
Sie konnte es immer noch nicht recht fassen, dass gerade er ein Schnaps-Schmuggler sein sollte. Aber es war so – und beinahe wäre sie auch noch verdächtig worden. Ihr Glück war es nur gewesen, dass sie so viel auf der Farm arbeiten musste. Sonst würde sie jetzt vermutlich auch im Knast sitzen. Das machte ihr immer noch ein bisschen Angst.
Roxie blickte in den wolkenlosen Himmel, hoffte auf eine kleine Brise, doch selbstverständlich gab es um diese Jahreszeit keine, wie es eigentlich immer der Fall war. Deswegen wurden die Arbeiten immer am Morgen und am Abend gemacht und in der Zeit dazwischen bewegte man sich am besten so gut wie gar nicht.
Doch das galt nicht für sie, sie wurde immer auf den Weg geschickt, wenn es galt etwas im Dorf zu besorgen. Bei dem richtigen Wetter brauchte man nur eine halbe Stunde hinunter, doch an Tagen wie heute, konnte es sich gern mal auf eine Stunde ausdehnen.
Mit einem leisen Keuchen ließ sich Roxie am Rand nieder und atmete erst einmal tief durch. Sie brauchte diese kleine Pause, um nicht auf der Hälfte einfach zusammenzubrechen. Langsam normalisierte sich ihr Puls wieder und sie sah wieder klarer.
Mit neuer Kraft lief sie erneut los. Sie achtete auf den Weg, um nicht von irgendwelchen Indianern oder Wilden angefallen zu werden. Das passierte hier relativ oft, denn die Straße wurde nicht bewacht, oder von Militär frequentiert. Einerseits natürlich negativ, denn hier herrschte kein Schutz, doch damit mussten sie im Hof auch niemanden beherbergen.
Militär machte allen Angst, denn sie konnten machen, was sie wollen.
Endlich kam das Dorf in Sicht, eigentlich mehr eine Häuseransammlung in der Landschaft. Rund herum befanden sich Felder, die in der Sonne golden leuchteten. Doch wenn man näher kam, dann sah man, dass sie verbrannt waren.
Auf den Straßen waren Menschen unterwegs und Roxie huschte schnell zum Bäcker. Sie wollte das Geld loswerden. Es war kein gutes Gefühl mit so viel in den Taschen herumzulaufen. Es kam ihr immer so vor, als wüsste jeder, was sie in der Tasche herumtrug.
„Ach, Miss Heart…schön Sie zu sehen!“, begrüßte sie der Bäcker und Roxie lächelte.
„Hallo…ich bin wegen der Angelegenheit hier…“, meinte sie unsicher und der Bäcker zeigte auf den kleinen Nebenraum. Roxie nickte und ging hinein. Er folgte ihr nur Augenblicke später.
„Das Geld?“
„Sicher. Hier. 10$ für die letzten Wochen!“
„Danke. Und deine Eltern haben mal wieder dich geschickt?“
„Ja, haben sie!“, gab Roxie mit einem Lächeln zurück.
„Möchtest du eine Flasche Wasser haben?“
Sie konnte sich ein hoffnungsvolles Nicken nicht verkneifen. So gern würde sie jetzt etwas trinken, ihre Kehle fühlte sich an wie Schmirgelpapier.
„Na dann komm mal mit, Mädel…“
Er nahm sie zurück mit in den Verkaufsraum, wo ein junger, untersetzter Mann am Tisch saß. Er hatte eine Tasse Kaffee vor sich und war in eine Zeitung vertieft. Sie kannte ihn nicht, was hier recht ungewöhnlich war. Hier kamen selten Fremde her.
Der Bäcker bemerkte ihren Blick und lächelte leicht.
„Er kommt aus Chicago…Amor oder so…weiß nicht mehr so genau…war auf der Durchreise. Keine Ahnung woher…will jetzt aber zurück…“
Roxie schluckte unbemerkte. Chicago, das war ihr ein Ziel – dort würde sie gern hin, oder nach New York, zumindest in den Norden. Und dieser Mann – das könnte ihr Ziel sein…das war vielleicht ihre einzige Chance. Aber sie kannte ihn doch gar nicht. Wie sollte sie…mit ihm ins Gespräch kommen?
„Hier…lass mich raten noch ein Brot?“
Der Bäcker riss sie aus ihren Gedanken und sie schaute ihn verwirrt an, bis sie seine Frage verstand.
„Äh…ja genau…“
„Da musste noch nur kurz warten…die sind noch im Ofen!“
„Gut, ich setze mich einen Moment hin!“
Okay, jetzt oder nie, dachte sie sich und setzte sich ihm gegenüber auf den Platz und schaute ihn lächelnd an.
„Hallo…“, meinte sie leise.
„Hallo…“, gab er abwesend zurück, bis er bemerkte, dass sie tatsächlich mit ihm sprach.
„Reden Sie mit mir?“, fragte er scheinbar überrascht.
„Ja, mit wem denn sonst?“, lächelte Roxie.
„Nicht viele Leute reden mit mir. Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Sie kommen aus Chicago?“, fragte Roxie.
„Ja. Mein Name ist übrigens Amos. Amos Hart!“
Roxie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, als sie das hörte. Das schien ja wirklich zu passen.
„Ja, ich weiß, der Name ist seltsam!“
„Nein, das meine ich nicht. Mein Name ist Roxie Heart!“, gab sie zurück und nun lächelte auch Amos.
„Da haben sich wohl zwei gefunden! Kommen Sie von hier, Miss Heart?“
„Bitte, nennen Sie mich Roxie. Und ja, ich komme von hier. Ich wohne mit meiner Familie auf einer Farm ein bisschen außerhalb!“
„Klingt romantisch…“
„Nicht wirklich…meine Familie ist nicht wirklich toll…“, meinte Roxie mit einem traurigen Gesichtsausdruck.
„Das tut mir sehr leid…Roxie, ich weiß, dass kommt ein bisschen plötzlich…aber…ich denke, das nennt sich Liebe auf den ersten Blick…“
Roxie lächelte schüchtern. Bei ihr sicher nicht, aber Amos schien ein netter, schüchterner Mann zu sein und ihre Eltern wollten schon seit langem, dass sie heiratete. Das könnte ihre Chance sein.
„Ich glaube, ich weiß, was Sie meinen Amos…“
„Sollten wir uns dann nicht duzen…“, lächelte er verlegen.
„Es wäre passend…“
Innerlich verdrehte Roxie die Augen, aber es wäre besser, als bei ihrer Familie zu leben. Außerdem mochte sie ihn wirklich irgendwie – es war vielleicht keine Liebe, aber er schien wirklich sehr nett, genau der richtige für ihre Familie.
Ihre Familie war tatsächlich einverstanden, nachdem Amos ihnen erzählt hatte, was er hier tat. Er hatte seine Eltern in L.A. besucht. Dort waren sie hingezogen, nachdem der Vater eine großzügige Abfindung erhalten hatte und sich nicht mehr in Chicago blicken lassen sollte. Nur Amos lebte nun noch da. Einmal im Jahr fuhr er sie besuchen.
Roxies Eltern hatten sogar die Eltern angerufen – gut, ihr Vater hatte das getan. Ihre Mutter stand immer nur mit saurem Gesicht daneben. Ihr schien es nicht zu passen, dass die ihr verhasste Stieftochter nun doch einen Mann bekam, der ihrem Vater gefiel. Damit war sie nämlich auch den Ruf des Dummchens los. Zum Glück hatte sich nicht herausgestellt, dass Amos ein Betrüger war.
Ihre Hochzeit war klein, nur ihre Eltern und der Pfarrer und Roxie war relativ froh darüber. Sie wollte keine besonders große Feier und Amos schien auch damit einverstanden.
Roxie öffnete die Tür des Wagens und schauderte sofort als die kalte Luft sie traf. Ein Mantel legte sich um ihre Schultern, sobald sie stand.
„Tut mir leid, Roxie…hier ist ein bisschen kälter, als bei euch…“
„Nicht so schlimm, Amos. Ist das das Haus?“, fragte sie neugierig.
„Ja, das ist es. Wir wohnen in der zweiten Etage!“
Amos ging in das Haus und Roxie folgte ihm. Es war anders, als bei ihrer Familie, aber hier wurde sie wenigstens nicht herumgeschubst Und sie würde es genießen, denn sie hatte schon gemerkt, dass sie Amos nur groß anschauen musste, um zu bekommen, was sie wollte.
„So, hier ist es…“
Sie betrat die Wohnung und schaute sich um. Von der Straße her, hörte sie plötzlich Musik, die sie dazu animieren wollte zu tanzen. Aber sie tat es nicht, sie wollte nicht gleich einen schlechten Eindruck erwecken. Und trotzdem musste sie einfach fragen:
„Was ist das?“
„Das? Die Musik? Nennt sich Jazz…das gab es bei euch sicher noch nicht. Das hört man her dauernd“, erklärte Amos ihr und schloss dann das Fenster. „Du willst sicher hier umdekorieren, nicht wahr?“
„Äh…ja, ich denke schon…“
Roxie dekorierte tatsächlich alles um und Amos ließ ihre freie Hand. Sie liebte ihn nicht, aber sie mochte ihn eigentlich sehr gern. Das Leben mit ihm war einfach, aber für den Anfang akzeptabler. Und Amos versuchte alles, um sie zufrieden zu stellen. Er rackerte sich wirklich ab und Roxie hatten den Tag über Zeit für sich selbst.
In dieser Zeit entdeckte sie den Jazz immer mehr für sich. Die Musik eignete sich bestens zum Tanzen, zum lasziven Tanzen. Amos würde das sicher nicht gern sehen, weswegen sie es vor ihm geheim hielt.
Besonders begeisterte sie sich für Velma Kelly, die einfach alles konnte. So wie sie wollte Roxie so gern sein. Sie wollte sich genauso bewegen können, ihre Beine genauso hoch schmeißen. Die Männer hingen mit den Blicken an ihr, genauso wollte sie auch angehimmelt werden. Amos mochte sie und liebte sie auch, aber er himmelte sie nicht so an, wie sie es gern hätte.
Und so kam sie mit Fred Casley zusammen. Er schien sie regelrecht zu bewundern und er liebte ihre Bewegungen. Doch der wichtigste Grund waren seine Kontakte. An ihrem ersten Date konnte sie sogar Velma Kelly sehen, das überzeugte sie von ihm. Er könnte ihr wirklich helfen auf einer großen Bühne Fuß zu fassen und so zu werden, wie Velma Kelly.
Dann hätte sie es wirklich geschaffte, ihre Vergangenheit wäre vergessen, niemand wüsste mehr, dass sie vom Lande kam und als kleines Dummchen aufgewachsen war.
Doch wie immer kam alles anders. Ein Schuss veränderte Roxies gesamtes Leben und nun war sie hier – in einem Knast voller Frauen, die jemanden umgebracht hatten. Sie fühlte sich unwohl hier unter diesen Mörderinnen, dabei war sie selbst nicht besser. Sie hatte auch einen Mann umgebracht.
Der Staatsanwalt hatte ihr gedroht, dass sie schon bald hängen würde – doch sie wollte noch nicht sterben. Sie wollte doch so gern auf einer Bühne stehen…
Zittrig saß sie zwischen den anderen Frauen, als sie von Mama Morton abgeholt wurde. Sie wusste noch nicht so ganz, ob sie diese Frau mögen sollte oder nicht. Irgendwie war sie seltsam, vor allem als sie einfach Geld annahm, welches ihr geboten wurde.
Zuerst sah Roxie nur den Geldschein, doch dann ließ sie ihren Blick immer weiter nach oben wandern und sah wundervolle Kurven. Eigentlich sollte sie jetzt den Blick wieder senken, doch sie konnte es einfach nicht. Wer auch immer diese Frau war, sie war mehr als gut gebaut, war schlank und hatte tatsächlich einen ansehnlichen Busen.
Und schließlich kam sie beim Gesicht an und erstarrte. Die Frau, die sie die gesamte Zeit angestarrt hatte, war Velma Kelly. Ihr großes Idol – und sie hatte wundervolle Augen. Roxie war wie gefangen und konnte im ersten Moment überhaupt nicht reagieren. Sie konnte in diesem Moment einfach nur noch mehr starren.
„Du…du bist…Velma Kelly…Ich…ich habe dich gesehen, an dem Tag, als du verhaftet wurdest…“, meinte sie stockend und hätte sich im nächsten Moment am liebsten selbst erschossen. Jetzt konnte diese Frau sie doch nur noch für einen Volltrottel halten.
Roxie war verdammt froh, als Matron Morton weiterlief und sie damit nicht mehr in der Nähe von Velma Kelly sein musste. Das wäre sonst wahrscheinlich noch peinlicher geworden. So gern würde sie sich jetzt einfach noch verkriechen, aber sie konnte von hier nicht einfach fliehen.
Doch gerade als Mama die Tür zu ihrer Zelle schloss, sah sie noch jemanden vorbeigehen. Der junge Mann schenkte allen Insassinnen ein umwerfendes Lächeln und Roxie war sofort gefangen. Er sah gut aus – und war vermutlich Anwalt oder der Mann von einer Insassin.
Was Roxie in diesem Moment noch nicht wusste: dieser Mann würde noch eine ganz besondere Rolle in ihrem Leben spielen. So wie sie es in einem ihrer Songs geschrieben hatte…you can like the Life your living, you can live the Life you like!