Nach so langer Zeit
von Aika86
Kurzbeschreibung
Die Suche nach Antworten. 20 Jahren haben sie sich nicht gesehen. Das letzte Mal war sie noch ein Kleinkind, er war in den Zwanziger. In dieser erneuten Begegnung liegen Freud und Leid, Schmerz und Trost dicht beieinander.
KurzgeschichteFamilie, Tragödie / P12 / Gen
11.07.2015
11.07.2015
1
699
11.07.2015
699
Ein kleines Café irgendwo in einer schönen deutschen Altstadt. Ein Mann mittleren Alters und eine junge Frau, etwa Mitte 20, sitzen auf der sonnigen Terrasse, doch die Sonne kann nicht über die dunkle Schatten des Gesprächs hinwegtäuschen.
„Es war schwer. An jedem einzelnen Tag war es schwer. An einigen Tagen war es nur wie ein kleiner Stein im Schuh, wahrnehmbar da, aber nicht störend, an anderen Tag fühlte es sich an, wie an einem Fels gekettet eine Schlucht hinab zu stürzen. Aber es war jeden Tag da, seit 20 Jahren“, gesteht die junge Frau mit belegter Stimme. Der Mann schweigt, schweigt wie seit jenem Tag im Dezember.
Sie nimmt einen Schluck Kaffee, lässt die heiße bittere Flüssigkeit ihre innere Bitterkeit wegspülen.
„Das schlimmste war, nichts zu wissen. Nicht zu wissen, was war, was hätte sein können, nicht zu wissen, was ich fühlen soll. Ich habe geliebt, gehasst, war dankbar, war verzweifelt, wollte kämpfen, wollte aufgeben. Manchmal alles gleichzeitig.“
Jetzt flüstert sie nur noch. Erst Tränen beginnen sich in ihren Augen zu formen.
Er legt ihr in einer tröstenden Geste die Hand auf den Arm. Auch jetzt weiß sie nicht, was sie fühlen soll, wie sie reagieren soll. Ein Teil von ihr will ihn abschütteln, will ihn fragen, ob das sein Ernst sei. Ein anderer Teil sehnt sich verzweifelt nach jeder Berührung, jeder Interaktion.
Sie muss sich zwingen weiterzusprechen. Die Tränen laufen ihr über das Gesicht.
„Das schlimmste waren die Momente, die mir viel bedeuteten. Mein erster Freund, mein Schulabschluss, mein Studienabschluss. Irgendwann meine Hochzeit, mein erstes Kind. Immer fehlt etwas. Immer trübt dieser kleine Schatten der Vergangenheit alles ein.“
Er reicht ihr wortlos ein Taschentuch. Ohne dass sie es bemerkt, schirmt er sie von den anderen Gästen ab. Schützt sie vor ihren Blicken. Sie muss schluchzen. Mit jedem Wort, was ihren Mund verlässt, reißt die Wunde wieder ein Stück auf, wird der Schmerz wieder spürbar. Lange sitzen sie einfach nur da. Ab und an nimmt einer der beiden einen Schluck Kaffee. Aber sie schauen sich nie in die Augen, aus Angst. Angst, vor dem Schmerz des anderen, Angst vor der Hoffnung, Angst davor die unweigerliche Trennung nicht überleben zu können.
Langsam erlangt sie die Fassung wieder zurück. Als sie weiter spricht ist ihre Stimme rau, um Jahre gealtert und doch viel zu jung.
„Ich habe so viele Fragen. Ich will so viel wissen. Ich würde gerne so viel teilen. Aber die Momente sind vorbei. Alles was ich dir geben kann, sind kalte Erinnerungen aus zweiter Hand.“
Sie lacht kurz auf. Es ist ein so verzweifeltes Lachen, das jedem im Umkreis der Atem stockt.
„Aber mehr hatte ich ja auch nicht. Kalte Erinnerungen aus zweiter Hand und davon auch nur so wenige. Niemand hat jemals die Lücke gefüllt, die damals gerissen wurde. Und ich habe keine Erinnerungen, weil ich zu klein war. Ich habe nur Gefühle. Ein Gefühl der Unvollständigkeit, einer merkwürdigen Einsamkeit.“
Sie weint wieder. Herzzerreißend, wie es nur ein Kind kann. Er nimmt sie in den Arm so fest, wie es nur ein Vater kann. Sie vergräbt sich in ihn. Er umklammert sie fast verzweifelt.
„Papa, warum?“, presst sie unter Tränen hervor.
Jetzt brechen auch bei ihm Tränen aus den Augen, die er so lange mühsam zurückgehalten hat.
„Es tut mir leid, dass ich dir das angetan habe. Ich liebe dich. Habe dich immer geliebt und werde dich immer lieben. Bitte vergib mir.“
Es ist nur ein Flüstern, aber es bedeutet ihr die Welt. Es ist das erste Mal, dass sie die Stimme ihres Vaters hört. Es ist heilsam. Es ist schmerzhaft. So sitzen sie da, halten einander fest. 20 Jahre haben sie darauf gewartet.
„Ich muss jetzt gehen!“, sagt er.
Sie schüttelt verzweifelt den Kopf, will ihn anflehen zu bleiben, aber ihre Stimme versagt. Sie klammert sich an ihn. Er küsst sie auf die Stirn. Es brennt. Wie oft hatte sie sich nach dieser Geste gesehnt, doch jetzt bedeutet sie Schmerz, Abschied. Sie schauen sich in die Augen. Zum ersten Mal seit 20 Jahren. Sie sehen in die Seele des anderen. Finden Trost. Finden Leid.
Dann ist ihr Vater, der sich das Leben nahm, als sie ein Kleinkind war, weg. Einfach so.
Sie bleibt zurück. Allein.
„Es war schwer. An jedem einzelnen Tag war es schwer. An einigen Tagen war es nur wie ein kleiner Stein im Schuh, wahrnehmbar da, aber nicht störend, an anderen Tag fühlte es sich an, wie an einem Fels gekettet eine Schlucht hinab zu stürzen. Aber es war jeden Tag da, seit 20 Jahren“, gesteht die junge Frau mit belegter Stimme. Der Mann schweigt, schweigt wie seit jenem Tag im Dezember.
Sie nimmt einen Schluck Kaffee, lässt die heiße bittere Flüssigkeit ihre innere Bitterkeit wegspülen.
„Das schlimmste war, nichts zu wissen. Nicht zu wissen, was war, was hätte sein können, nicht zu wissen, was ich fühlen soll. Ich habe geliebt, gehasst, war dankbar, war verzweifelt, wollte kämpfen, wollte aufgeben. Manchmal alles gleichzeitig.“
Jetzt flüstert sie nur noch. Erst Tränen beginnen sich in ihren Augen zu formen.
Er legt ihr in einer tröstenden Geste die Hand auf den Arm. Auch jetzt weiß sie nicht, was sie fühlen soll, wie sie reagieren soll. Ein Teil von ihr will ihn abschütteln, will ihn fragen, ob das sein Ernst sei. Ein anderer Teil sehnt sich verzweifelt nach jeder Berührung, jeder Interaktion.
Sie muss sich zwingen weiterzusprechen. Die Tränen laufen ihr über das Gesicht.
„Das schlimmste waren die Momente, die mir viel bedeuteten. Mein erster Freund, mein Schulabschluss, mein Studienabschluss. Irgendwann meine Hochzeit, mein erstes Kind. Immer fehlt etwas. Immer trübt dieser kleine Schatten der Vergangenheit alles ein.“
Er reicht ihr wortlos ein Taschentuch. Ohne dass sie es bemerkt, schirmt er sie von den anderen Gästen ab. Schützt sie vor ihren Blicken. Sie muss schluchzen. Mit jedem Wort, was ihren Mund verlässt, reißt die Wunde wieder ein Stück auf, wird der Schmerz wieder spürbar. Lange sitzen sie einfach nur da. Ab und an nimmt einer der beiden einen Schluck Kaffee. Aber sie schauen sich nie in die Augen, aus Angst. Angst, vor dem Schmerz des anderen, Angst vor der Hoffnung, Angst davor die unweigerliche Trennung nicht überleben zu können.
Langsam erlangt sie die Fassung wieder zurück. Als sie weiter spricht ist ihre Stimme rau, um Jahre gealtert und doch viel zu jung.
„Ich habe so viele Fragen. Ich will so viel wissen. Ich würde gerne so viel teilen. Aber die Momente sind vorbei. Alles was ich dir geben kann, sind kalte Erinnerungen aus zweiter Hand.“
Sie lacht kurz auf. Es ist ein so verzweifeltes Lachen, das jedem im Umkreis der Atem stockt.
„Aber mehr hatte ich ja auch nicht. Kalte Erinnerungen aus zweiter Hand und davon auch nur so wenige. Niemand hat jemals die Lücke gefüllt, die damals gerissen wurde. Und ich habe keine Erinnerungen, weil ich zu klein war. Ich habe nur Gefühle. Ein Gefühl der Unvollständigkeit, einer merkwürdigen Einsamkeit.“
Sie weint wieder. Herzzerreißend, wie es nur ein Kind kann. Er nimmt sie in den Arm so fest, wie es nur ein Vater kann. Sie vergräbt sich in ihn. Er umklammert sie fast verzweifelt.
„Papa, warum?“, presst sie unter Tränen hervor.
Jetzt brechen auch bei ihm Tränen aus den Augen, die er so lange mühsam zurückgehalten hat.
„Es tut mir leid, dass ich dir das angetan habe. Ich liebe dich. Habe dich immer geliebt und werde dich immer lieben. Bitte vergib mir.“
Es ist nur ein Flüstern, aber es bedeutet ihr die Welt. Es ist das erste Mal, dass sie die Stimme ihres Vaters hört. Es ist heilsam. Es ist schmerzhaft. So sitzen sie da, halten einander fest. 20 Jahre haben sie darauf gewartet.
„Ich muss jetzt gehen!“, sagt er.
Sie schüttelt verzweifelt den Kopf, will ihn anflehen zu bleiben, aber ihre Stimme versagt. Sie klammert sich an ihn. Er küsst sie auf die Stirn. Es brennt. Wie oft hatte sie sich nach dieser Geste gesehnt, doch jetzt bedeutet sie Schmerz, Abschied. Sie schauen sich in die Augen. Zum ersten Mal seit 20 Jahren. Sie sehen in die Seele des anderen. Finden Trost. Finden Leid.
Dann ist ihr Vater, der sich das Leben nahm, als sie ein Kleinkind war, weg. Einfach so.
Sie bleibt zurück. Allein.