Blade Runner
von LadyMyra
Kurzbeschreibung
Ein Privatdetektiv will sein Leben zurück. Es gibt auf DVD eine rausgeschnittene Szene, in der Deckard seinen verletzten Kollegen Holden im Krankenhaus besucht.
GeschichteSchmerz/Trost, Sci-Fi / P18 / MaleSlash
02.07.2015
02.07.2015
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02.07.2015
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„Was würden Sie tun, wenn Ihnen versehentlich eine kleine Ratte zuläuft? Würden Sie versuchen, das Tier einzufangen, oder würden Sie es sofort töten?“
Immer dieselben idiotischen Fragen, fluchte Deckard leise in sich hinein.
Er arbeitete in dem futuristischen Los Angeles als Detektiv, aber in Wirklichkeit bestimmte die übermächtige Tyrell Company sein Leben. Einmal im Monat musste er sich hier einfinden und einen Parcours von physischen und psychischen Tests durchlaufen. Dabei ging es um seine Lizenz. Sagten sie jedenfalls.
Als er antwortete, sah sein Gesicht so leer und unschuldig aus wie immer.
„Natürlich würde ich alle Anstrengungen auf mich nehmen, um es unbeschadet einzufangen und es danach bei den entsprechenden Stellen abliefern.“
Falls der Nager sich nicht für viel Geld in der China Town versilbern lassen würde, vollendete er den Satz insgeheim. Echte, lebende Tiere lebten nur noch extrem selten auf dieser inzwischen total verseuchten Welt. Die Reichen in ihren pyramiden-, oder besser gesagt festungsartigen Hochhäusern, umgaben sich gern mit allem möglichen Tierzeugs und blätterten fast jede Summe für diese Dekadenz hin.
„Gut, nächste Frage.“
Holden beugte sich erneut vor das Tischgerät. Der Voight-Kampff-Test galt als einzig sicherer Beweis, um zu erkennen, ob es sich um einen Menschen oder einen menschlichen Androiden handelte. Rein äußerlich, vermochte das niemand mehr, zu unterscheiden. Aber es gab ein paar signifikante, fehlende emotionale Reaktionen, die das kleine, aus einer optischen Sonde bestehende Gerät in den willentlich nicht steuerbaren Veränderungen der Augen erkennen konnte.
Dave Holden überprüfte die neuen Replikanten und war der Beste in der Tyrell Company für diesen Job. Deckards Pupillen hatten auf die ausgesuchten Fragen erwartungsgemäß mit nur minimalen Veränderungen reagiert, aber seine Antworten passten fast erschreckend perfekt in das normale, menschliche Muster.
„Sie finden ein Magazin mit Abbildungen von nackten Frauen. Was machen Sie? Schauen Sie sich die Fotos genauer an?“
Holden beobachtete durch den Sensor Deckards Pupillen. Würden sie sich jetzt vergrößern, wie sie das, bei einem typischen Mann in 95 Prozent aller Fälle, bei der Vorstellung von Pin-up Girls tun würden? Wenigstens ein kleines Bisschen? Oder blieben sie unverändert, wie bei einem Replikanten? Oder… in dem unwahrscheinlichsten Fall, wie bei einem ... Homosexuellen?
Das Gerät schlug nicht an.
„Hey, kommen Sie. Was soll der Scheiß? Ihr seid schlimmer als die Polizei und das will was heißen. Gottverdammt“, schimpfte Deckard von den absurden Fragen zunehmend genervt.
„Okay, wenn Sie sich wieder beruhigt haben, möchte ich gern die nächste Frage stellen“, stoppte ihn Dave Holden kühl.
Eldon Tyrell, der Besitzer der Tyrell Company mit einem Faible für künstlich produzierte Lebewesen, hatte angeordnet, dass Deckard nach diesem letzten Test endgültig auf die Menschheit losgelassen werden würde. Als erster Prototyp einer neuen Generation, als erfolgreich abgeschlossenes Experiment. Aber mit der Überzeugung, ein ganz normaler Mann mit einer üblichen Biografie zu sein.
Die Idee, fremde Erinnerungen mithilfe eines Biochips einzupflanzen, hatte offensichtlich perfekt funktioniert. Damit ließen sie sich viel leichter steuern.
Und wenn alles gut lief – und danach sah es jedenfalls bis jetzt aus – würde jemand wie Deckard nur der Anfang für eine ganze Generation menschlicher Replikanten sein. Natürlich würde die Tyrell Company ihn auch in Zukunft nicht aus den Augen lassen. Ihn immer an der langen Leine halten.
Deckard atmete tief durch. Es hatte keinen Sinn, hier den unbeugsamen Rebellen zu markieren. In diesem überdimensionalen Stadtmoloch zählte jede Chance.
Sein Blick wanderte durch die breiten Säulen auf den zwischen den Hochhäusern durchscheinenden Abendhimmel. Von hier oben sah alles so friedlich aus, weit und lichtdurchflutet, voll reiner Luft. Aber er wusste es besser. Die wirkliche Stadt tief unten ersoff in Dauerregen, Smog und im Gewimmel seiner Milliarden Bewohner aus allen Regionen, die nicht wussten, wie sie den nächsten Tag überstehen sollten.
Deshalb war es ein Privileg, hier einige Stunden verbringen zu können. Verdient mit was auch immer.
„Es tut mir leid, Dave. Stellen Sie ihre nächste Frage. Ich werde antworten. Ich weiß, was ich an Ihnen habe.“ Deckard ging wieder vor dem Gerät in Position.
„Hm“, zögerte der Diagnostiker, etwas von Deckards letzter Feststellung aus dem Konzept geworfen. Der selbst ernannte Detektiv zeigte sich heute verdächtig einsichtig. Er markierte normalerweise immer den harten Kerl, den ungezügelten Kämpfer und das war es auch, was an ihm so anders, so anziehend war.
Holden wünschte, er wüsste, aus welchem Tyrell-Pool Deckards Vorstellungswelt stammte. Und sogar diese kleinen Besonderheiten, die er ihm selbst noch ohne Eldens Tyrells Wissen zusätzlich eingepflanzt hatte, machten Deckard offensichtlich nach außen hin, nur noch menschlicher.
Damit war seine Arbeit eigentlich abgeschlossen. Aber er wollte aus ganz persönlichen Gründen ganz sicher gehen, dass Deckards fehlende Pupillenreaktion bei der Frage zu den Frauen nicht nur daran lag, dass er ein Replikant war.
Die Berichte über Deckards gelegentliche Kontakte zu bekannten schwulen Männern waren ein Indiz, aber noch kein Beweis.
Spontan beschloss er, die Frageroutine etwas zu verändern.
„Sie befinden sich in der Sammeldusche Ihres Sportclubs und plötzlich fällt Ihnen auf, dass Sie interessiert die Genitalien der anderen Männer anschauen. Und es erregt Sie. Was würden Sie von sich selber denken?“
Deckards Minenspiel erstarrte von einer Sekunde auf die andere zu einer eisigen Maske. Dann schluckte er hart und sein Adamsapfel stellte für lange Zeit die einzige Bewegung dar.
„Was zum Teufel! Was ... "Deckard versuchte, sich zu räuspern, aber es kam nur ein trockenes Krächzen zwischen seinen mühsam zusammengepressten Lippen hervor.
„Was wollen Sie wirklich von mir?“, setzte er erneut an. Aufgebracht erhob er sich von seinem Stuhl. Mit beiden Armen stützte er sich von der Tischplatte ab. „Es gibt keine gottverdammte Frage, die mir noch nicht gestellt wurde“, klagte er wütend an. „Aber so etwas Persönliches war bisher noch nicht dabei!“
Deckard beugte sich soweit über den Schreibtisch, dass Dave den nach Whisky riechenden Mundgeruch wahrnehmen konnte. Unbewusst weiteten sich seine Nasenflügel.
„Setzen Sie sich wieder hin, Deckard. Sie vergessen sich“, ordnete er mit harter Stimme an. Aber unter der Tischplatte presste er seine Finger zusammen, um das Zittern in den Griff zu bekommen. Eldon Tyrell, sein übermächtiger Boss, würde ihn sofort und ohne Skrupel feuern, wenn er wüsste, was er mit seinem neuesten Modell eines Menschen versucht hatte.
„Ich wette, damit überschreiten Sie hundertprozentig ihre Kompetenzen!“, fluchte Deckard laut.
„Ich teste nur unbewusste, emotionale Reaktionen, wie Sie wissen. Die Art der Frage ist nicht von Bedeutung. Was ist also so schlimm an gerade dieser Frage, Rick?“, gab Holden betont unschuldig zurück.
„Was so schlimm daran ist? Hey, das sollte euch einen Scheiß angehen, auf was ich schaue!“
„Es geht uns auch nichts an, was Sie in ihrer Freizeit treiben“, stimmte Dave schneller zu, als ihm lieb war.
„Das stimmt. Das ist meine Privatsache.“
Deckard musterte den Mann vor ihm. Er war einer dieser glattgesichtigen Anzugtypen, die sich in ihren Büros verschanzten, die den Daumen heben oder senken konnten, aber wenn es darauf ankam, garantiert nichts drauf hatten.
Holden war ihm vor vielen Jahren von Tyrell zugeteilt worden und hatte seitdem viel Psychohokuspokus mit ihm angestellt. Aber er konnte der Person dahinter nicht näher kommen. Die kühle, professionelle Fassade mit immer den gleichen Fragen und die immer gleiche Farbgebung bei der Auswahl der Krawatten hatten es ihm nicht leichter gemacht.
Holden wirkte auf ihn wie einer der künstlichen Menschen, von denen man in den Straßen immer mal flüstern hörte, die aber noch niemand wirklich gesehen hatte. Aber Kooperation war die Eintrittskarte in diese Luxuswelt der Überreichen und daran sollte es nicht scheitern. Wollte er seine Lizenz als Detektiv behalten, das Einzige, dass ihm in dieser Stadt das Überleben sicherte, musste er sich so schnell wie möglich wieder beruhigen.
„Okay, es tut mir leid. Wie lautet die nächste Frage?“, lenkte er ein.
„Es gibt keine Fragen mehr. Aber wie wäre es mit einem Drink zum Abschluss?“
Der Psychodiagnostiker stand plötzlich und ohne auf eine Antwort zu warten ging er zum Sideboard, um zwei eckige Gläser mit etwas Bernsteinfarbigem zu füllen.
Deckard hob ungläubig seinen Kopf von dem Diagnosegerät und beobachtete misstrauisch den für sein psychologisches Profil verantwortlichen Mitarbeiter von Tyrell. Auch das konnte alles noch zu seinem Test gehören.
„Original schottischer Whisky aus dem Jahr 2015.“
Deckard sah wie Holden ein Glas gegen den Abendhimmel hob. Die Strahlen der untergehenden Sonne vermischten sich mit den farbenprächtig brennenden Gasfackeln, die in den Tiefen der Stadt von illegalen Bohrungen zeugten. Die Reflexionen ließen den Alkohol wie heißes, flüssiges Gold aufleuchten.
„Guter Jahrgang“, fügte Holden beiläufig noch hinzu und nahm beide Gläser in die Hand. Als er dann zu dem mit hellem und unvorstellbar wertvollem, weil mit echtem Leder bezogenen Sofa ging und ihn fast leutselig zu sich heran winkte, fühlte sich Deckard so unwirklich wie ein Statist in einem Film.
„Die Tests sind vorbei, Rick. Sie haben die erwarteten Reaktionen gezeigt. Entspannen Sie sich. Sie brauchen nicht mehr zu kommen.“ Deckard konnte voll und ganz als Mensch durchgehen. Die Entwicklung der neuen Generation von Replikanten war geglückt. Aber nur der Himmel wusste, was aus dieser Büchse der Pandora noch kriechen würde.
„Verdammt, was soll das schon wieder? Wollt ihr mich aus dem Nest werfen? So ganz ohne Vorwarnung?“
Deckard blieb unschlüssig im Raum stehen. Vor seinem geistigen Auge sah er sich ohne Lizenz auf der Straße zu enden und bei Gaza, seinem chinesischen Koch in der China Town, um einen Job in der Küche betteln zu müssen. Gruselig.
Aber andererseits war es doch das, was er sich immer gewünscht hatte: Endlich wirklich ganz und gar frei sein.
„Ich dachte, darauf hätten Sie nur gewartet? Sie werden ihre Lizenz natürlich behalten“, erwiderte Dave verwundert. „Wenn es das ist, was Sie beunruhigt.“
„Gut zu wissen.“ Als Deckard den perfekten Maßanzug, die scharfen Bügelfalten, die sicher irgendeine unterbezahlte Reinigungskraft da hineingebügelt hatte, das teure Oberhemd, die absolut dazu passende Krawatte, das perfekt gepflegte Gesicht musterte, spürte er zum ersten Mal einen Anflug von Neid.
So würde er nie aussehen, aber dies alles hier, würde andererseits auch niemals seine Welt sein. Besser also, sich damit abzufinden.
Er war und blieb ein Kind der Straße, nur kurz unter die Fittiche genommen, aber jetzt wurde es Zeit, zu gehen.
„Okay, dann bleibt mir wohl nur noch Danke und Auf Wiedersehen zusagen ...“
„Machen Sie sich um das Finanzielle keine Sorgen. Dafür ist gesorgt. Ausreichend“, unterbrach ihn Dave mit einem Lächeln. „Möchten Sie jetzt ihren Drink im Stehen einnehmen oder setzen Sie sich noch für einen Moment, bevor Sie endgültig verschwinden?“
„Ich hätte nicht gedacht, dass Tyrell mich so einfach aus seinen Krallen lässt“, antworte Deckard unschlüssig.
„Nun ja, als Krallen würde ich das gerade nicht bezeichnen.“
Dave beugte sich weit vor und nahm einen bisher unbeachteten, hellen Umschlag mit einem goldgeprägten TC aus einem kleinen Teller in einer Aussparung der Wandvertäfelung.
„Da, nehmen Sie. Ihre Fahrkarte in ein besseres Leben.“
„Oh“, brachte Deckard mühsam hervor, als er die Summe sah, auf die der Scheck ausgestellt war. Fragend starrte er Dave an. „Unglaublich. Womit habe ich das verdient?“
„Eldon Tyrell liebt seine Kinder, hat er jedenfalls mal gesagt.“ Dave lächelte etwas schief, weil ihm klar war, dass Deckard nie die ganze Bedeutung seiner Worte verstehen würde. „Sie können jetzt gehen, wohin Sie wollen. Vielleicht zu den Außenwelten? Leisten könnten Sie es sich ja jetzt.“
„Wohin sollte ich schon gehen?“ Deckard ließ sich in das Leder fallen. Im Geiste versuchte er bereits, verschiedene Optionen durchzuspielen. Aber die Erde zu verlassen, war bestimmt nicht dabei.
„Ich bin neugierig, werden Sie dabei bleiben, in dieser chinesischen Unterweltspelunke diese fettigen, chinesischen Nudeln zu essen?“, fragte Dave plötzlich mit vertraulich, ironischem Ton. „Oder darf es in Zukunft auch etwas Besseres sein?“
„Machen Sie sich lustig über mich?“ Deckard hielt verblüfft den Atem an, aber dann breitete sich Verstehen über sein Gesicht aus. „Ihr habt mich immer im Visier gehabt. Immer.“
„Du kannst mich duzen. Wir sind ab jetzt privat, sozusagen.“
„Sind wir das?“ Deckard drehte sich zu Dave um und musste laut auflachen. Da saß dieser geschniegelte Intellektuelle und wollte von einem Moment auf den anderen mit ihm ein nettes, ungezwungenes Gespräch führen.
„Was wisst ihr denn sonst noch alles von mir? Ich meine, seid ihr auch bis unter meine Bettedecke gekrochen?“
Deckard grinste, aber als Holden keine Antwort gab, wurde er blass. „Gottverdammt.“
„Mach dir deswegen keine Sorgen.“ Auch Holden legte sich lässig in die Polster. Er war plötzlich wie ausgewechselt und hatte jede Steifheit verloren.
„Sie wissen es“, stellte Deckard erstaunt fest. Er hatte sich immer etwas darauf eingebildet, jeden intimen Kontakt mit anderen Männern äußerst diskret zu handhaben. Besonders, seit er Rachaels sehnsüchtige Blicke gesehen hatte. Eldon Tyrells schöne Tochter – vermutlich war sie seine Tochter, aber das wusste niemand so genau – hatte eindeutig mehr als nur ein Auge auf ihn geworfen. Egal in welche Richtung er es drehen oder wenden würde, das alles konnte nur Ärger bedeuten.
„Nein.“ Dave erlaubte sich ein Lächeln. „Ich habe das nicht weitergegeben. Eldon glaubt immer noch, dass du insgeheim auf Rachael stehst. Er würde es zwar nie zulassen, dass da was zwischen euch läuft. Aber es passt besser in sein Weltbild.“
„Was soll das heißen? Was hast du damit zu tun?“ Deckard starrte Dave fragend an. Hinter der glatten Fassade gab es nicht nur einen Technokraten ohne Eigenleben, nicht nur den Erfüllungsgehilfen seines übermächtigen Chefs. Aber was wurde hier gespielt?
„Willst du mich erpressen?“
„Oh, nein“, wehrte Dave ab.
„Das musst du mir glauben. Ich wollte dir nur Ärger ersparen. Verstehst du?“ Er beugte sich gespielt verschwörerisch vor: „Er mag es nur nicht, wenn etwas außerhalb seiner Kontrolle passiert.“
Deckards Hand schoss vor und umfasste Holdens Kinn. Es fühlte sich weich und zart unter seinen Fingern an. Fast wie ein Kinderpopo. Der Mann musste einen erstklassigen Barbier haben.
„Wirklich? Ausgerechnet du wolltest mir einen Gefallen tun? Und das soll alles sein?“ Er presste seine Finger fest um das Kinn und sah, dass es Dave bereits schmerzte. Aber der Mann zuckte keinen Millimeter zurück.
„Und wer sagt mir, dass du mich nicht gerade verarschst?“
„Bitte, Rick. Ich ...„
„Sag es. Warum hast du etwas über mich verheimlicht? Deinen Job dafür riskiert?“
Deckard hatte in Sekundenschnelle alle Möglichkeiten durchgespielt und am Schluss blieben nur noch wenige Motive übrig. „Spuck es aus. Was willst du von mir?“
„Wirklich, ich wollte dir nur einen Gefallen tun. Eldon ...„
„Scheiß auf Eldon! Du bist ein gottverdammter Heuchler. Sag die Wahrheit. Sei einmal in deinem verlogenen Leben ehrlich, wenigstens zu dir selbst. Du bist scharf auf mich, richtig?“
„Nein, nein“, zuckte Dave kreidebleich zurück. Aber seine unnahbare Fassade bröckelte von ihm ab. „Lass mich sofort los.“
Ohne Vorwarnung beugte sich Deckard plötzlich vor und presste seine Lippen fordernd auf seinen verkniffenen Mund. Der raue Männerkuss ließ sofort einen Schwall von sexueller Erregung durch Daves Eingeweide schießen. Und lieferte ihn von einer Sekunde auf die andere – und hilflos wie ein Baby – seinen körperlichen Empfindungen aus. In der Härte zwischen seinen Beinen vermischten sich pure Lust und schmerzhafte Erregung.
Immer fordernder drang Deckards feuchte Zunge unter seine angespannten Lippen und suchte Einlass in sein Inneres. Dave stöhnte innerlich auf. Es war das eindeutig Erregendste, dass er in den letzten Jahren erlebt hatte. Bei diesen Tests hatte er sich oft vorgestellt, wie es wäre, diesen Mann, den er inzwischen besser als sich selbst zu kennen glaubte, als Lover in sein Bett zu locken. Aber der Realität hatte er nichts entgegen zusetzen.
„Nein, oh“, wehrte er atemlos und mit letzter Kraft ab. Er hatte nur ein wenig mit dem Feuer spielen wollen. Mehr nicht. Mehr durfte einfach nicht sein.
„Was nein?“, widerstrebend löste sich der Detektiv. Der Kuss hatte auch bei ihm Wirkung hinterlassen und fast hätte Deckard die Umgebung, in der er sich befand, vergessen. Wieder einen Mann zu besitzen, sein pures Begehren zu spüren, hatte auch ihn erregt.
„Ich sehe doch, dass du es auch willst. Also, was soll der Scheiß?“
Deckard hielt Daves Arm schmerzhaft fest. „Oder hast du Angst, dass hier jemand unangemeldet reinplatzt?“, fragte er, um sich schauend. „Vielleicht sogar Eldon? Und merkt, was eigentlich mit dir los ist?“ Es wäre doch ein Wunder, wenn es hier keine geheimen Kameras gäbe.
Dave stöhnte auf. Der Detektiv war eindeutig in besserer körperlicher Verfassung, als er selbst.
„Nein, hier kommt keiner unangemeldet rein. Der Raum ist vollkommen ab geschottet. Aber ... "Vorsichtig bewegte er sich von Deckard wieder weg. In seinen Fantasien spielten sich die Dinge immer ganz anders ab. Leicht, spielerisch und ohne Komplikationen.
„Hey, du hast das alles schon im Voraus geplant? Ich hatte ja keine Ahnung, wie sehr du mich willst“, grinste Deckard breit.
„Also, warum zierst du dich noch wie ein junges Mädchen?“ Dann sah er die aufsteigende Angst in Daves Augen.
„Okay, okay, ich will keinen Mann, der mich nicht wirklich will. Vergessen wir das Ganze. Ich nehme meinen Scheck und verschwinde auf Nimmerwiedersehen.“
Mit diesen Worten erhob sich das Schmuddelkind aus der Unterstadt von dem unermesslich teuren Sofa, verließ den Dandy mit den perfekten Bügelfalten und wandte sich in Richtung Tür.
„Nein“, krächzte Dave leise.
„Was nein?“, fragte Deckard und blieb kurz vor der Ausgangstür stehen.
„Bleib noch“, bat Dave. „Nur für einen Moment.“
„Für was soll das gut sein?“ Deckard rührte sich nicht. Sein unvermeidlicher Trenchcoat lag locker über seinem Arm. Und eine Ecke des Briefumschlags leuchtete auffällig weiß und kaum verdeckt von dem rostroten Jackett aus der Brusttasche des dunklen und leicht zerknitterten Oberhemdes. Aber seine braunen Augen durchdrangen mühelos die Distanz bis zum Sofa.
„Sag es mir.“
„Ich möchte, dass du es auch mit mir tust“, flüsterte Dave kaum hörbar, aber Deckard hatte jedes Wort verstanden. Also stimmte es doch.
„Das reicht mir nicht. Und bevor ich hier noch mehr Zeit vergeude, gehe ich lieber gleich“, antworte er leichthin und wandte sich mit einem Grinsen wieder zur Tür. Er wusste, was jetzt unvermeidlich kommen musste.
Sekunden später spürte er erstaunlich kräftige Hände auf seinen Schultern und fühlte sich herumgerissen. Deckard hatte sein leicht arrogantes Lächeln behalten, aber auf Holdens Gesicht spiegelte sich immer noch die Panik, dass er wirklich endgültig verschwinden würde.
„Lass. Mich. Los!“, forderte der Detektiv hart und ohne nachzudenken, senkte Dave seine Arme wieder.
„Aber, ich dachte ...“
„Sag es. Sag, was du von mir willst. Sag, warum du gegen alle Regeln Informationen nicht weitergegeben hast. Deine kostbare Stellung riskiert hast. Mich hier mit deinen Fragen und dem teuren Whisky verführen wolltest. Wie lange geht das schon so?“
Schweratmend packte er Daves hellbraunes Anzugrevers und presste ihn hart gegen die Wand neben der Tür. Er war ihm so nah, dass er den dezenten Duft von edlem Rasierwasser riechen konnte, die leichten Schweißperlen auf der Stirn und die vor Erregung geweiteten Pupillen wahrnahm.
„Sag es mir ins Gesicht!“
„Weil ich dich liebe, schon seit ich dich das erste Mal gesehen habe“, flüsterte Holden rau und fühlte sich sehr verletzlich dabei.
„Was soll der Scheiß!“ Mit der Rückseite seiner Rechten schlug Deckard fest in das Gesicht vor ihm. „Verarsch mich nicht! Wie kann sich denn so einer wie du in mich verlieben!“
Die Hand hinterließ einen sichtbaren Fleck und Holden bebte, aber er hielt sichtlich bemüht den Augenkontakt.
„Es ist wahr. Ich begehre dich. Ich kann an nichts anderes mehr denken. Ich ...“
Seine Stimme versagte, denn Deckard hatte gezielt zwischen seine Beine gefasst und die heraufschießende Erregung nahm ihm fast die Sinne. Mühsam versuchte er, wieder Luft zu bekommen. Der feste Griff ließ seine Knie zittern. Dann näherte sich der Detektiv mit seinem Unterkörper und er spürte durch den teuren, dünnen Stoff Deckards hartes, großes Geschlecht. Dave war sich sicher, dass er jeden Moment seine Sinne verlieren würde.
„Sag es! Was willst du wirklich von mir, Dave“, flüsterte Deckard fordernd. Jetzt war er in seinem Element und die sexuell aufgeladene Atmosphäre ließ auch sein Blut doppelt so schnell durch seine Adern rauschen.
„Nimm mich! Davon habe ich geträumt, seid ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Nimm mich ohne Rücksicht. Ich muss es fühlen.“
Die Worte kamen ohne Zögern, aber am Zittern der Lippen sah Deckard, wie schwer es ihm gefallen war, es auszusprechen. Der Prinz aus dem goldenen Schloss ließ sich auf das Kellerkind herab, glaubte vermutlich, nur hier den Sex zu bekommen, von dem er immer träumte. Schmutzig, roh und ohne Verpflichtung. Nun, das konnte er haben.
Als er zum zweiten Mal versuchte, Daves Mund zu erobern, ließ er keinen Zweifel an seiner Dominanz und fegte sofort jeden Widerstand hinweg.
Dave ergab sich stöhnend seinem fleischgewordenen Traum. Mit seinen freien Armen umfasste er den Detektiv und versuchte, unter dem Hemd ein Stück seiner Haut zu spüren.
„Lass das und dreh dich um“, stoppte ihn Deckard. „Ich will dich sofort.“
Mit bebenden Händen drehte sich Dave um, und kurz darauf spürte er, wie ihm die Hose mit einem Ruck bis über die Knie gezogen wurde. Ein kostbarer Hosenknopf aus Tierbein fiel laut scheppernd auf den geheizten Parkettboden.
Mit hartem Griff drückte ihn Deckard auf die Knie und während er noch seine Hose öffnete, streichelte er schon die hellen und schmalen Hinterbacken des Schreibtischtäters.
„Entspann dich. Ich werde dich jetzt nehmen. Denn das wolltest du doch.“
„Ja, ja, mach es. Nimm keine Rücksicht. Tu was du willst. Jetzt, jetzt, oh ja, komm“, stöhnte Dave laut auf, als das stahlharte Geschlecht des stolzen Prinzen der Straße in ihn eindrang. Es schmerzte, aber in seiner Erregung war es ein süßer, erregender Schmerz und er ließ sich willig auf den von Deckard bestimmten Rhythmus ein.
„Ja, Ja. Fester. Ja. Tiefer. Ja, oh, oh.“
„Jesus, was bist du eng. Ah. Komm. Beweg’ dich. Ja, so. Komm.“
Deckard nahm sich von Daves Körper, was er wollte, was ihm seine eigene Lust diktierte. Das verzückte Stöhnen unter ihm feuerte ihn an, noch härter und tiefer einzudringen. Seine Hüften bewegten sich wie eine Maschine.
Laut klatschend trafen die Körper in einem sich zunehmend beschleunigenden Rhythmus aufeinander, begleitet von atemlosen, kurzen Rufen der Lust.
Als Deckard merkte, wie die Ekstase heranrollte, versuchte er gegenzusteuern. Aber die Willigkeit mit der Dave sich auf jede seiner Bewegungen einstellte, der heiße, männliche Geruch nach Sex und der Anblick des sich vor Erregung windenden Körpers unter ihm schwemmten jeden Widerstand hinweg.
Dave versuchte, mit schweißnassen Händen Halt an der glatten Wand zu finden. So musste es sein, so machten sie es auf den Straßen, fantasierte er und fühlte sich so lebendig, wie schon lange nicht mehr. Seine Knie begannen zu zittern, und er genoss mit allen Sinnen jede Sekunde des immer neuen Eindringens. Sein gesteigertes Lustempfinden verteilte sich vom Zentrum über seinen ganzen Körper und löschte jeden weiteren Gedanken aus. Er fühlte nur noch die Sehnsucht, so viel wie möglich von diesem fremden Fleisch in sich zu spüren. Als sich dann der immer mächtiger werdende Pfahl in seine Eingeweide endgültig einbrannte, kam viel zu schnell die Erlösung aus dieser Gratwanderung zwischen Irrsinn und Ekstase.
Als es dann alles vorbei war, lehnte sich Dave schweratmend mit dem Rücken an die Wand und beobachtete noch ganz benommen, wie Deckard seinen Hosenbund bereits wieder schloss. Im selben Moment wurde ihm schmerzlich klar, dass das nicht der letzte Sex mit Männern vom Schlage Deckards gewesen sein würde.
„Oh, Rick. Ich wollte das alles nicht, aber ich konnte nicht anders. Es tut mir alles so leid, was sie mit dir gemacht haben“, flüsterte er rau und suchte mit zittrigen Fingern nach dem Reisverschluss seiner eigenen hastig hochgezogenen Hose.
Deckard war einen Moment versucht, ihm beruhigend den Kopf zu tätscheln. Auch er hatte den Sex genossen, wie schon lange nicht mehr. Aber irgendetwas an Holdens Worten klang seltsam und doppeldeutig und er ließ den Arm wieder fallen.
„Kein falsches Mitleid. Das habe ich nicht verdient.“ Stolz löste er sich und suchte mit seinen Augen, wo sein Mantel und sein rotes Jackett abgeblieben waren.
„Rick, vergiss niemals, dass ich es immer gut mit dir gemeint habe“, schickte Dave trotzdem hinterher, während er seinen Anzug endgültig in Ordnung brachte. „Und wenn du jemals Hilfe brauchst, komm’ sofort zu mir.“
Deckard räusperte sich. Undefinierbare Gefühle drohten hochzuspülen. Es war höchste Zeit zu gehen.
„Danke Dave. Ich werde es nicht vergessen. Aber ich werde jetzt besser gehen. Wir leben in verschiedenen Welten, wenn du weißt, was ich meine.“
„Natürlich, Rick“, beeilte sich Holden, zu versichern. Er hatte es plötzlich auch eilig, sich von Deckard zu trennen. In seinen Träumen war eine gemeinsame Zukunft mit einem Replikanten nie vorgekommen. Und er würde es auch niemals wagen, ihm diese Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Vielleicht war das aber auch besser so.
Wenige Minuten später hatte sich Deckard im angrenzenden Bad frisch gemacht und verabschiedete sich danach beinahe förmlich von Holden. Nur ein verräterischer Geruch lag noch in der Luft. Aber auch der würde bald von den allgegenwärtigen, überdimensionalen Luftfiltern aufgesogen sein.
Als er wenig später mit dem Fahrstuhl die unendlich vielen Stockwerke der Pyramide heruntersauste, um wieder in den Bauch der futuristischen Metropole einzutauchen, vermischte sich Erleichterung mit einem Hauch des Bedauerns. Ein wichtiger Abschnitt seines Lebens war zu Ende gegangen. Er wusste zwar immer noch nicht, warum die Tyrell Company so viele Jahre derartig intensiv an ihm interessiert gewesen war, aber unter dem Strich hatte er ihnen viel zu verdanken.
Deckard warf einen letzten Blick nach oben. Er war sich sicher, dass Holden aus seinem goldenen Gefängnis auf ihn herunterblickte.
Aber sie würden sich nie mehr begegnen. Vielleicht war das auch besser so.
Unten saß schon seit Stunden der japanischstämmige Gaff in seinem Spinner. In der kleinen Fahrerkabine studierte er, geschützt vor dem allgegenwärtigen Dauerregen, die auf- und abfahrenden Fahrstühle der Tyrell-Company.
Bryant, sein übergewichtiger Chef des Los Angeles Polizei-Department, mit dem hinterhältigsten Lächeln der Stadt und immer misstrauisch zusammengekniffenen Augen, wartete bereits ungeduldig mit einem ganz speziellen Angebot auf Deckard.
Immer dieselben idiotischen Fragen, fluchte Deckard leise in sich hinein.
Er arbeitete in dem futuristischen Los Angeles als Detektiv, aber in Wirklichkeit bestimmte die übermächtige Tyrell Company sein Leben. Einmal im Monat musste er sich hier einfinden und einen Parcours von physischen und psychischen Tests durchlaufen. Dabei ging es um seine Lizenz. Sagten sie jedenfalls.
Als er antwortete, sah sein Gesicht so leer und unschuldig aus wie immer.
„Natürlich würde ich alle Anstrengungen auf mich nehmen, um es unbeschadet einzufangen und es danach bei den entsprechenden Stellen abliefern.“
Falls der Nager sich nicht für viel Geld in der China Town versilbern lassen würde, vollendete er den Satz insgeheim. Echte, lebende Tiere lebten nur noch extrem selten auf dieser inzwischen total verseuchten Welt. Die Reichen in ihren pyramiden-, oder besser gesagt festungsartigen Hochhäusern, umgaben sich gern mit allem möglichen Tierzeugs und blätterten fast jede Summe für diese Dekadenz hin.
„Gut, nächste Frage.“
Holden beugte sich erneut vor das Tischgerät. Der Voight-Kampff-Test galt als einzig sicherer Beweis, um zu erkennen, ob es sich um einen Menschen oder einen menschlichen Androiden handelte. Rein äußerlich, vermochte das niemand mehr, zu unterscheiden. Aber es gab ein paar signifikante, fehlende emotionale Reaktionen, die das kleine, aus einer optischen Sonde bestehende Gerät in den willentlich nicht steuerbaren Veränderungen der Augen erkennen konnte.
Dave Holden überprüfte die neuen Replikanten und war der Beste in der Tyrell Company für diesen Job. Deckards Pupillen hatten auf die ausgesuchten Fragen erwartungsgemäß mit nur minimalen Veränderungen reagiert, aber seine Antworten passten fast erschreckend perfekt in das normale, menschliche Muster.
„Sie finden ein Magazin mit Abbildungen von nackten Frauen. Was machen Sie? Schauen Sie sich die Fotos genauer an?“
Holden beobachtete durch den Sensor Deckards Pupillen. Würden sie sich jetzt vergrößern, wie sie das, bei einem typischen Mann in 95 Prozent aller Fälle, bei der Vorstellung von Pin-up Girls tun würden? Wenigstens ein kleines Bisschen? Oder blieben sie unverändert, wie bei einem Replikanten? Oder… in dem unwahrscheinlichsten Fall, wie bei einem ... Homosexuellen?
Das Gerät schlug nicht an.
„Hey, kommen Sie. Was soll der Scheiß? Ihr seid schlimmer als die Polizei und das will was heißen. Gottverdammt“, schimpfte Deckard von den absurden Fragen zunehmend genervt.
„Okay, wenn Sie sich wieder beruhigt haben, möchte ich gern die nächste Frage stellen“, stoppte ihn Dave Holden kühl.
Eldon Tyrell, der Besitzer der Tyrell Company mit einem Faible für künstlich produzierte Lebewesen, hatte angeordnet, dass Deckard nach diesem letzten Test endgültig auf die Menschheit losgelassen werden würde. Als erster Prototyp einer neuen Generation, als erfolgreich abgeschlossenes Experiment. Aber mit der Überzeugung, ein ganz normaler Mann mit einer üblichen Biografie zu sein.
Die Idee, fremde Erinnerungen mithilfe eines Biochips einzupflanzen, hatte offensichtlich perfekt funktioniert. Damit ließen sie sich viel leichter steuern.
Und wenn alles gut lief – und danach sah es jedenfalls bis jetzt aus – würde jemand wie Deckard nur der Anfang für eine ganze Generation menschlicher Replikanten sein. Natürlich würde die Tyrell Company ihn auch in Zukunft nicht aus den Augen lassen. Ihn immer an der langen Leine halten.
Deckard atmete tief durch. Es hatte keinen Sinn, hier den unbeugsamen Rebellen zu markieren. In diesem überdimensionalen Stadtmoloch zählte jede Chance.
Sein Blick wanderte durch die breiten Säulen auf den zwischen den Hochhäusern durchscheinenden Abendhimmel. Von hier oben sah alles so friedlich aus, weit und lichtdurchflutet, voll reiner Luft. Aber er wusste es besser. Die wirkliche Stadt tief unten ersoff in Dauerregen, Smog und im Gewimmel seiner Milliarden Bewohner aus allen Regionen, die nicht wussten, wie sie den nächsten Tag überstehen sollten.
Deshalb war es ein Privileg, hier einige Stunden verbringen zu können. Verdient mit was auch immer.
„Es tut mir leid, Dave. Stellen Sie ihre nächste Frage. Ich werde antworten. Ich weiß, was ich an Ihnen habe.“ Deckard ging wieder vor dem Gerät in Position.
„Hm“, zögerte der Diagnostiker, etwas von Deckards letzter Feststellung aus dem Konzept geworfen. Der selbst ernannte Detektiv zeigte sich heute verdächtig einsichtig. Er markierte normalerweise immer den harten Kerl, den ungezügelten Kämpfer und das war es auch, was an ihm so anders, so anziehend war.
Holden wünschte, er wüsste, aus welchem Tyrell-Pool Deckards Vorstellungswelt stammte. Und sogar diese kleinen Besonderheiten, die er ihm selbst noch ohne Eldens Tyrells Wissen zusätzlich eingepflanzt hatte, machten Deckard offensichtlich nach außen hin, nur noch menschlicher.
Damit war seine Arbeit eigentlich abgeschlossen. Aber er wollte aus ganz persönlichen Gründen ganz sicher gehen, dass Deckards fehlende Pupillenreaktion bei der Frage zu den Frauen nicht nur daran lag, dass er ein Replikant war.
Die Berichte über Deckards gelegentliche Kontakte zu bekannten schwulen Männern waren ein Indiz, aber noch kein Beweis.
Spontan beschloss er, die Frageroutine etwas zu verändern.
„Sie befinden sich in der Sammeldusche Ihres Sportclubs und plötzlich fällt Ihnen auf, dass Sie interessiert die Genitalien der anderen Männer anschauen. Und es erregt Sie. Was würden Sie von sich selber denken?“
Deckards Minenspiel erstarrte von einer Sekunde auf die andere zu einer eisigen Maske. Dann schluckte er hart und sein Adamsapfel stellte für lange Zeit die einzige Bewegung dar.
„Was zum Teufel! Was ... "Deckard versuchte, sich zu räuspern, aber es kam nur ein trockenes Krächzen zwischen seinen mühsam zusammengepressten Lippen hervor.
„Was wollen Sie wirklich von mir?“, setzte er erneut an. Aufgebracht erhob er sich von seinem Stuhl. Mit beiden Armen stützte er sich von der Tischplatte ab. „Es gibt keine gottverdammte Frage, die mir noch nicht gestellt wurde“, klagte er wütend an. „Aber so etwas Persönliches war bisher noch nicht dabei!“
Deckard beugte sich soweit über den Schreibtisch, dass Dave den nach Whisky riechenden Mundgeruch wahrnehmen konnte. Unbewusst weiteten sich seine Nasenflügel.
„Setzen Sie sich wieder hin, Deckard. Sie vergessen sich“, ordnete er mit harter Stimme an. Aber unter der Tischplatte presste er seine Finger zusammen, um das Zittern in den Griff zu bekommen. Eldon Tyrell, sein übermächtiger Boss, würde ihn sofort und ohne Skrupel feuern, wenn er wüsste, was er mit seinem neuesten Modell eines Menschen versucht hatte.
„Ich wette, damit überschreiten Sie hundertprozentig ihre Kompetenzen!“, fluchte Deckard laut.
„Ich teste nur unbewusste, emotionale Reaktionen, wie Sie wissen. Die Art der Frage ist nicht von Bedeutung. Was ist also so schlimm an gerade dieser Frage, Rick?“, gab Holden betont unschuldig zurück.
„Was so schlimm daran ist? Hey, das sollte euch einen Scheiß angehen, auf was ich schaue!“
„Es geht uns auch nichts an, was Sie in ihrer Freizeit treiben“, stimmte Dave schneller zu, als ihm lieb war.
„Das stimmt. Das ist meine Privatsache.“
Deckard musterte den Mann vor ihm. Er war einer dieser glattgesichtigen Anzugtypen, die sich in ihren Büros verschanzten, die den Daumen heben oder senken konnten, aber wenn es darauf ankam, garantiert nichts drauf hatten.
Holden war ihm vor vielen Jahren von Tyrell zugeteilt worden und hatte seitdem viel Psychohokuspokus mit ihm angestellt. Aber er konnte der Person dahinter nicht näher kommen. Die kühle, professionelle Fassade mit immer den gleichen Fragen und die immer gleiche Farbgebung bei der Auswahl der Krawatten hatten es ihm nicht leichter gemacht.
Holden wirkte auf ihn wie einer der künstlichen Menschen, von denen man in den Straßen immer mal flüstern hörte, die aber noch niemand wirklich gesehen hatte. Aber Kooperation war die Eintrittskarte in diese Luxuswelt der Überreichen und daran sollte es nicht scheitern. Wollte er seine Lizenz als Detektiv behalten, das Einzige, dass ihm in dieser Stadt das Überleben sicherte, musste er sich so schnell wie möglich wieder beruhigen.
„Okay, es tut mir leid. Wie lautet die nächste Frage?“, lenkte er ein.
„Es gibt keine Fragen mehr. Aber wie wäre es mit einem Drink zum Abschluss?“
Der Psychodiagnostiker stand plötzlich und ohne auf eine Antwort zu warten ging er zum Sideboard, um zwei eckige Gläser mit etwas Bernsteinfarbigem zu füllen.
Deckard hob ungläubig seinen Kopf von dem Diagnosegerät und beobachtete misstrauisch den für sein psychologisches Profil verantwortlichen Mitarbeiter von Tyrell. Auch das konnte alles noch zu seinem Test gehören.
„Original schottischer Whisky aus dem Jahr 2015.“
Deckard sah wie Holden ein Glas gegen den Abendhimmel hob. Die Strahlen der untergehenden Sonne vermischten sich mit den farbenprächtig brennenden Gasfackeln, die in den Tiefen der Stadt von illegalen Bohrungen zeugten. Die Reflexionen ließen den Alkohol wie heißes, flüssiges Gold aufleuchten.
„Guter Jahrgang“, fügte Holden beiläufig noch hinzu und nahm beide Gläser in die Hand. Als er dann zu dem mit hellem und unvorstellbar wertvollem, weil mit echtem Leder bezogenen Sofa ging und ihn fast leutselig zu sich heran winkte, fühlte sich Deckard so unwirklich wie ein Statist in einem Film.
„Die Tests sind vorbei, Rick. Sie haben die erwarteten Reaktionen gezeigt. Entspannen Sie sich. Sie brauchen nicht mehr zu kommen.“ Deckard konnte voll und ganz als Mensch durchgehen. Die Entwicklung der neuen Generation von Replikanten war geglückt. Aber nur der Himmel wusste, was aus dieser Büchse der Pandora noch kriechen würde.
„Verdammt, was soll das schon wieder? Wollt ihr mich aus dem Nest werfen? So ganz ohne Vorwarnung?“
Deckard blieb unschlüssig im Raum stehen. Vor seinem geistigen Auge sah er sich ohne Lizenz auf der Straße zu enden und bei Gaza, seinem chinesischen Koch in der China Town, um einen Job in der Küche betteln zu müssen. Gruselig.
Aber andererseits war es doch das, was er sich immer gewünscht hatte: Endlich wirklich ganz und gar frei sein.
„Ich dachte, darauf hätten Sie nur gewartet? Sie werden ihre Lizenz natürlich behalten“, erwiderte Dave verwundert. „Wenn es das ist, was Sie beunruhigt.“
„Gut zu wissen.“ Als Deckard den perfekten Maßanzug, die scharfen Bügelfalten, die sicher irgendeine unterbezahlte Reinigungskraft da hineingebügelt hatte, das teure Oberhemd, die absolut dazu passende Krawatte, das perfekt gepflegte Gesicht musterte, spürte er zum ersten Mal einen Anflug von Neid.
So würde er nie aussehen, aber dies alles hier, würde andererseits auch niemals seine Welt sein. Besser also, sich damit abzufinden.
Er war und blieb ein Kind der Straße, nur kurz unter die Fittiche genommen, aber jetzt wurde es Zeit, zu gehen.
„Okay, dann bleibt mir wohl nur noch Danke und Auf Wiedersehen zusagen ...“
„Machen Sie sich um das Finanzielle keine Sorgen. Dafür ist gesorgt. Ausreichend“, unterbrach ihn Dave mit einem Lächeln. „Möchten Sie jetzt ihren Drink im Stehen einnehmen oder setzen Sie sich noch für einen Moment, bevor Sie endgültig verschwinden?“
„Ich hätte nicht gedacht, dass Tyrell mich so einfach aus seinen Krallen lässt“, antworte Deckard unschlüssig.
„Nun ja, als Krallen würde ich das gerade nicht bezeichnen.“
Dave beugte sich weit vor und nahm einen bisher unbeachteten, hellen Umschlag mit einem goldgeprägten TC aus einem kleinen Teller in einer Aussparung der Wandvertäfelung.
„Da, nehmen Sie. Ihre Fahrkarte in ein besseres Leben.“
„Oh“, brachte Deckard mühsam hervor, als er die Summe sah, auf die der Scheck ausgestellt war. Fragend starrte er Dave an. „Unglaublich. Womit habe ich das verdient?“
„Eldon Tyrell liebt seine Kinder, hat er jedenfalls mal gesagt.“ Dave lächelte etwas schief, weil ihm klar war, dass Deckard nie die ganze Bedeutung seiner Worte verstehen würde. „Sie können jetzt gehen, wohin Sie wollen. Vielleicht zu den Außenwelten? Leisten könnten Sie es sich ja jetzt.“
„Wohin sollte ich schon gehen?“ Deckard ließ sich in das Leder fallen. Im Geiste versuchte er bereits, verschiedene Optionen durchzuspielen. Aber die Erde zu verlassen, war bestimmt nicht dabei.
„Ich bin neugierig, werden Sie dabei bleiben, in dieser chinesischen Unterweltspelunke diese fettigen, chinesischen Nudeln zu essen?“, fragte Dave plötzlich mit vertraulich, ironischem Ton. „Oder darf es in Zukunft auch etwas Besseres sein?“
„Machen Sie sich lustig über mich?“ Deckard hielt verblüfft den Atem an, aber dann breitete sich Verstehen über sein Gesicht aus. „Ihr habt mich immer im Visier gehabt. Immer.“
„Du kannst mich duzen. Wir sind ab jetzt privat, sozusagen.“
„Sind wir das?“ Deckard drehte sich zu Dave um und musste laut auflachen. Da saß dieser geschniegelte Intellektuelle und wollte von einem Moment auf den anderen mit ihm ein nettes, ungezwungenes Gespräch führen.
„Was wisst ihr denn sonst noch alles von mir? Ich meine, seid ihr auch bis unter meine Bettedecke gekrochen?“
Deckard grinste, aber als Holden keine Antwort gab, wurde er blass. „Gottverdammt.“
„Mach dir deswegen keine Sorgen.“ Auch Holden legte sich lässig in die Polster. Er war plötzlich wie ausgewechselt und hatte jede Steifheit verloren.
„Sie wissen es“, stellte Deckard erstaunt fest. Er hatte sich immer etwas darauf eingebildet, jeden intimen Kontakt mit anderen Männern äußerst diskret zu handhaben. Besonders, seit er Rachaels sehnsüchtige Blicke gesehen hatte. Eldon Tyrells schöne Tochter – vermutlich war sie seine Tochter, aber das wusste niemand so genau – hatte eindeutig mehr als nur ein Auge auf ihn geworfen. Egal in welche Richtung er es drehen oder wenden würde, das alles konnte nur Ärger bedeuten.
„Nein.“ Dave erlaubte sich ein Lächeln. „Ich habe das nicht weitergegeben. Eldon glaubt immer noch, dass du insgeheim auf Rachael stehst. Er würde es zwar nie zulassen, dass da was zwischen euch läuft. Aber es passt besser in sein Weltbild.“
„Was soll das heißen? Was hast du damit zu tun?“ Deckard starrte Dave fragend an. Hinter der glatten Fassade gab es nicht nur einen Technokraten ohne Eigenleben, nicht nur den Erfüllungsgehilfen seines übermächtigen Chefs. Aber was wurde hier gespielt?
„Willst du mich erpressen?“
„Oh, nein“, wehrte Dave ab.
„Das musst du mir glauben. Ich wollte dir nur Ärger ersparen. Verstehst du?“ Er beugte sich gespielt verschwörerisch vor: „Er mag es nur nicht, wenn etwas außerhalb seiner Kontrolle passiert.“
Deckards Hand schoss vor und umfasste Holdens Kinn. Es fühlte sich weich und zart unter seinen Fingern an. Fast wie ein Kinderpopo. Der Mann musste einen erstklassigen Barbier haben.
„Wirklich? Ausgerechnet du wolltest mir einen Gefallen tun? Und das soll alles sein?“ Er presste seine Finger fest um das Kinn und sah, dass es Dave bereits schmerzte. Aber der Mann zuckte keinen Millimeter zurück.
„Und wer sagt mir, dass du mich nicht gerade verarschst?“
„Bitte, Rick. Ich ...„
„Sag es. Warum hast du etwas über mich verheimlicht? Deinen Job dafür riskiert?“
Deckard hatte in Sekundenschnelle alle Möglichkeiten durchgespielt und am Schluss blieben nur noch wenige Motive übrig. „Spuck es aus. Was willst du von mir?“
„Wirklich, ich wollte dir nur einen Gefallen tun. Eldon ...„
„Scheiß auf Eldon! Du bist ein gottverdammter Heuchler. Sag die Wahrheit. Sei einmal in deinem verlogenen Leben ehrlich, wenigstens zu dir selbst. Du bist scharf auf mich, richtig?“
„Nein, nein“, zuckte Dave kreidebleich zurück. Aber seine unnahbare Fassade bröckelte von ihm ab. „Lass mich sofort los.“
Ohne Vorwarnung beugte sich Deckard plötzlich vor und presste seine Lippen fordernd auf seinen verkniffenen Mund. Der raue Männerkuss ließ sofort einen Schwall von sexueller Erregung durch Daves Eingeweide schießen. Und lieferte ihn von einer Sekunde auf die andere – und hilflos wie ein Baby – seinen körperlichen Empfindungen aus. In der Härte zwischen seinen Beinen vermischten sich pure Lust und schmerzhafte Erregung.
Immer fordernder drang Deckards feuchte Zunge unter seine angespannten Lippen und suchte Einlass in sein Inneres. Dave stöhnte innerlich auf. Es war das eindeutig Erregendste, dass er in den letzten Jahren erlebt hatte. Bei diesen Tests hatte er sich oft vorgestellt, wie es wäre, diesen Mann, den er inzwischen besser als sich selbst zu kennen glaubte, als Lover in sein Bett zu locken. Aber der Realität hatte er nichts entgegen zusetzen.
„Nein, oh“, wehrte er atemlos und mit letzter Kraft ab. Er hatte nur ein wenig mit dem Feuer spielen wollen. Mehr nicht. Mehr durfte einfach nicht sein.
„Was nein?“, widerstrebend löste sich der Detektiv. Der Kuss hatte auch bei ihm Wirkung hinterlassen und fast hätte Deckard die Umgebung, in der er sich befand, vergessen. Wieder einen Mann zu besitzen, sein pures Begehren zu spüren, hatte auch ihn erregt.
„Ich sehe doch, dass du es auch willst. Also, was soll der Scheiß?“
Deckard hielt Daves Arm schmerzhaft fest. „Oder hast du Angst, dass hier jemand unangemeldet reinplatzt?“, fragte er, um sich schauend. „Vielleicht sogar Eldon? Und merkt, was eigentlich mit dir los ist?“ Es wäre doch ein Wunder, wenn es hier keine geheimen Kameras gäbe.
Dave stöhnte auf. Der Detektiv war eindeutig in besserer körperlicher Verfassung, als er selbst.
„Nein, hier kommt keiner unangemeldet rein. Der Raum ist vollkommen ab geschottet. Aber ... "Vorsichtig bewegte er sich von Deckard wieder weg. In seinen Fantasien spielten sich die Dinge immer ganz anders ab. Leicht, spielerisch und ohne Komplikationen.
„Hey, du hast das alles schon im Voraus geplant? Ich hatte ja keine Ahnung, wie sehr du mich willst“, grinste Deckard breit.
„Also, warum zierst du dich noch wie ein junges Mädchen?“ Dann sah er die aufsteigende Angst in Daves Augen.
„Okay, okay, ich will keinen Mann, der mich nicht wirklich will. Vergessen wir das Ganze. Ich nehme meinen Scheck und verschwinde auf Nimmerwiedersehen.“
Mit diesen Worten erhob sich das Schmuddelkind aus der Unterstadt von dem unermesslich teuren Sofa, verließ den Dandy mit den perfekten Bügelfalten und wandte sich in Richtung Tür.
„Nein“, krächzte Dave leise.
„Was nein?“, fragte Deckard und blieb kurz vor der Ausgangstür stehen.
„Bleib noch“, bat Dave. „Nur für einen Moment.“
„Für was soll das gut sein?“ Deckard rührte sich nicht. Sein unvermeidlicher Trenchcoat lag locker über seinem Arm. Und eine Ecke des Briefumschlags leuchtete auffällig weiß und kaum verdeckt von dem rostroten Jackett aus der Brusttasche des dunklen und leicht zerknitterten Oberhemdes. Aber seine braunen Augen durchdrangen mühelos die Distanz bis zum Sofa.
„Sag es mir.“
„Ich möchte, dass du es auch mit mir tust“, flüsterte Dave kaum hörbar, aber Deckard hatte jedes Wort verstanden. Also stimmte es doch.
„Das reicht mir nicht. Und bevor ich hier noch mehr Zeit vergeude, gehe ich lieber gleich“, antworte er leichthin und wandte sich mit einem Grinsen wieder zur Tür. Er wusste, was jetzt unvermeidlich kommen musste.
Sekunden später spürte er erstaunlich kräftige Hände auf seinen Schultern und fühlte sich herumgerissen. Deckard hatte sein leicht arrogantes Lächeln behalten, aber auf Holdens Gesicht spiegelte sich immer noch die Panik, dass er wirklich endgültig verschwinden würde.
„Lass. Mich. Los!“, forderte der Detektiv hart und ohne nachzudenken, senkte Dave seine Arme wieder.
„Aber, ich dachte ...“
„Sag es. Sag, was du von mir willst. Sag, warum du gegen alle Regeln Informationen nicht weitergegeben hast. Deine kostbare Stellung riskiert hast. Mich hier mit deinen Fragen und dem teuren Whisky verführen wolltest. Wie lange geht das schon so?“
Schweratmend packte er Daves hellbraunes Anzugrevers und presste ihn hart gegen die Wand neben der Tür. Er war ihm so nah, dass er den dezenten Duft von edlem Rasierwasser riechen konnte, die leichten Schweißperlen auf der Stirn und die vor Erregung geweiteten Pupillen wahrnahm.
„Sag es mir ins Gesicht!“
„Weil ich dich liebe, schon seit ich dich das erste Mal gesehen habe“, flüsterte Holden rau und fühlte sich sehr verletzlich dabei.
„Was soll der Scheiß!“ Mit der Rückseite seiner Rechten schlug Deckard fest in das Gesicht vor ihm. „Verarsch mich nicht! Wie kann sich denn so einer wie du in mich verlieben!“
Die Hand hinterließ einen sichtbaren Fleck und Holden bebte, aber er hielt sichtlich bemüht den Augenkontakt.
„Es ist wahr. Ich begehre dich. Ich kann an nichts anderes mehr denken. Ich ...“
Seine Stimme versagte, denn Deckard hatte gezielt zwischen seine Beine gefasst und die heraufschießende Erregung nahm ihm fast die Sinne. Mühsam versuchte er, wieder Luft zu bekommen. Der feste Griff ließ seine Knie zittern. Dann näherte sich der Detektiv mit seinem Unterkörper und er spürte durch den teuren, dünnen Stoff Deckards hartes, großes Geschlecht. Dave war sich sicher, dass er jeden Moment seine Sinne verlieren würde.
„Sag es! Was willst du wirklich von mir, Dave“, flüsterte Deckard fordernd. Jetzt war er in seinem Element und die sexuell aufgeladene Atmosphäre ließ auch sein Blut doppelt so schnell durch seine Adern rauschen.
„Nimm mich! Davon habe ich geträumt, seid ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Nimm mich ohne Rücksicht. Ich muss es fühlen.“
Die Worte kamen ohne Zögern, aber am Zittern der Lippen sah Deckard, wie schwer es ihm gefallen war, es auszusprechen. Der Prinz aus dem goldenen Schloss ließ sich auf das Kellerkind herab, glaubte vermutlich, nur hier den Sex zu bekommen, von dem er immer träumte. Schmutzig, roh und ohne Verpflichtung. Nun, das konnte er haben.
Als er zum zweiten Mal versuchte, Daves Mund zu erobern, ließ er keinen Zweifel an seiner Dominanz und fegte sofort jeden Widerstand hinweg.
Dave ergab sich stöhnend seinem fleischgewordenen Traum. Mit seinen freien Armen umfasste er den Detektiv und versuchte, unter dem Hemd ein Stück seiner Haut zu spüren.
„Lass das und dreh dich um“, stoppte ihn Deckard. „Ich will dich sofort.“
Mit bebenden Händen drehte sich Dave um, und kurz darauf spürte er, wie ihm die Hose mit einem Ruck bis über die Knie gezogen wurde. Ein kostbarer Hosenknopf aus Tierbein fiel laut scheppernd auf den geheizten Parkettboden.
Mit hartem Griff drückte ihn Deckard auf die Knie und während er noch seine Hose öffnete, streichelte er schon die hellen und schmalen Hinterbacken des Schreibtischtäters.
„Entspann dich. Ich werde dich jetzt nehmen. Denn das wolltest du doch.“
„Ja, ja, mach es. Nimm keine Rücksicht. Tu was du willst. Jetzt, jetzt, oh ja, komm“, stöhnte Dave laut auf, als das stahlharte Geschlecht des stolzen Prinzen der Straße in ihn eindrang. Es schmerzte, aber in seiner Erregung war es ein süßer, erregender Schmerz und er ließ sich willig auf den von Deckard bestimmten Rhythmus ein.
„Ja, Ja. Fester. Ja. Tiefer. Ja, oh, oh.“
„Jesus, was bist du eng. Ah. Komm. Beweg’ dich. Ja, so. Komm.“
Deckard nahm sich von Daves Körper, was er wollte, was ihm seine eigene Lust diktierte. Das verzückte Stöhnen unter ihm feuerte ihn an, noch härter und tiefer einzudringen. Seine Hüften bewegten sich wie eine Maschine.
Laut klatschend trafen die Körper in einem sich zunehmend beschleunigenden Rhythmus aufeinander, begleitet von atemlosen, kurzen Rufen der Lust.
Als Deckard merkte, wie die Ekstase heranrollte, versuchte er gegenzusteuern. Aber die Willigkeit mit der Dave sich auf jede seiner Bewegungen einstellte, der heiße, männliche Geruch nach Sex und der Anblick des sich vor Erregung windenden Körpers unter ihm schwemmten jeden Widerstand hinweg.
Dave versuchte, mit schweißnassen Händen Halt an der glatten Wand zu finden. So musste es sein, so machten sie es auf den Straßen, fantasierte er und fühlte sich so lebendig, wie schon lange nicht mehr. Seine Knie begannen zu zittern, und er genoss mit allen Sinnen jede Sekunde des immer neuen Eindringens. Sein gesteigertes Lustempfinden verteilte sich vom Zentrum über seinen ganzen Körper und löschte jeden weiteren Gedanken aus. Er fühlte nur noch die Sehnsucht, so viel wie möglich von diesem fremden Fleisch in sich zu spüren. Als sich dann der immer mächtiger werdende Pfahl in seine Eingeweide endgültig einbrannte, kam viel zu schnell die Erlösung aus dieser Gratwanderung zwischen Irrsinn und Ekstase.
Als es dann alles vorbei war, lehnte sich Dave schweratmend mit dem Rücken an die Wand und beobachtete noch ganz benommen, wie Deckard seinen Hosenbund bereits wieder schloss. Im selben Moment wurde ihm schmerzlich klar, dass das nicht der letzte Sex mit Männern vom Schlage Deckards gewesen sein würde.
„Oh, Rick. Ich wollte das alles nicht, aber ich konnte nicht anders. Es tut mir alles so leid, was sie mit dir gemacht haben“, flüsterte er rau und suchte mit zittrigen Fingern nach dem Reisverschluss seiner eigenen hastig hochgezogenen Hose.
Deckard war einen Moment versucht, ihm beruhigend den Kopf zu tätscheln. Auch er hatte den Sex genossen, wie schon lange nicht mehr. Aber irgendetwas an Holdens Worten klang seltsam und doppeldeutig und er ließ den Arm wieder fallen.
„Kein falsches Mitleid. Das habe ich nicht verdient.“ Stolz löste er sich und suchte mit seinen Augen, wo sein Mantel und sein rotes Jackett abgeblieben waren.
„Rick, vergiss niemals, dass ich es immer gut mit dir gemeint habe“, schickte Dave trotzdem hinterher, während er seinen Anzug endgültig in Ordnung brachte. „Und wenn du jemals Hilfe brauchst, komm’ sofort zu mir.“
Deckard räusperte sich. Undefinierbare Gefühle drohten hochzuspülen. Es war höchste Zeit zu gehen.
„Danke Dave. Ich werde es nicht vergessen. Aber ich werde jetzt besser gehen. Wir leben in verschiedenen Welten, wenn du weißt, was ich meine.“
„Natürlich, Rick“, beeilte sich Holden, zu versichern. Er hatte es plötzlich auch eilig, sich von Deckard zu trennen. In seinen Träumen war eine gemeinsame Zukunft mit einem Replikanten nie vorgekommen. Und er würde es auch niemals wagen, ihm diese Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Vielleicht war das aber auch besser so.
Wenige Minuten später hatte sich Deckard im angrenzenden Bad frisch gemacht und verabschiedete sich danach beinahe förmlich von Holden. Nur ein verräterischer Geruch lag noch in der Luft. Aber auch der würde bald von den allgegenwärtigen, überdimensionalen Luftfiltern aufgesogen sein.
Als er wenig später mit dem Fahrstuhl die unendlich vielen Stockwerke der Pyramide heruntersauste, um wieder in den Bauch der futuristischen Metropole einzutauchen, vermischte sich Erleichterung mit einem Hauch des Bedauerns. Ein wichtiger Abschnitt seines Lebens war zu Ende gegangen. Er wusste zwar immer noch nicht, warum die Tyrell Company so viele Jahre derartig intensiv an ihm interessiert gewesen war, aber unter dem Strich hatte er ihnen viel zu verdanken.
Deckard warf einen letzten Blick nach oben. Er war sich sicher, dass Holden aus seinem goldenen Gefängnis auf ihn herunterblickte.
Aber sie würden sich nie mehr begegnen. Vielleicht war das auch besser so.
Unten saß schon seit Stunden der japanischstämmige Gaff in seinem Spinner. In der kleinen Fahrerkabine studierte er, geschützt vor dem allgegenwärtigen Dauerregen, die auf- und abfahrenden Fahrstühle der Tyrell-Company.
Bryant, sein übergewichtiger Chef des Los Angeles Polizei-Department, mit dem hinterhältigsten Lächeln der Stadt und immer misstrauisch zusammengekniffenen Augen, wartete bereits ungeduldig mit einem ganz speziellen Angebot auf Deckard.