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Abschied

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Familie / P12 / Gen
31.05.2015
31.05.2015
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Regen prasselte nieder, auf die kleine, verlassen wirkende Scheune. Doch sie war nicht verlassen. Margaret Langston, ehemals das Familienoberhaupt der Langstons, saß dort und gab sich Mühe nicht zu weinen. Sie war keine Frau, der die Tränen so einfach herauskamen. Vielmehr war Weinen für sie ein Zeichen von Schwäche und Schwäche war etwas, dass sie sich niemals erlaubte. Sie hatte schließlich bereits früh gelernt, stark zu sein, ganz im Gegensatz zu ihrem Vater. Noch gut konnte sie sich an den gebrochenen Mann erinnern, welcher zum Schluss gewesen war. Ein leises Seufzen entglitt ihr.
Wie stark war er ihr noch erschienen, als sie ein kleines Mädchen gewesen war? Wie stark war er Anderen erschienen? Ein einfacher Mann, der sich ganz allein um seine Tochter kümmern musste. Ein Mann, der die Frau bei der Geburt seines einzigen Kindes verloren hatte und der Niemanden hatte, der sich um das Mädchen kümmerte, wenn er arbeiten war. Im Endeffekt war sie in der Fabrik groß geworden, welche später ihr Verhängnis werden sollte. Noch gut erinnerte sie sich an diesen schrecklichen Tag und an die schreckliche Zeit danach. Das Einzige, was sie jemals ein wenig darüber hinweg getröstet hatte, waren ihre Söhne gewesen. Und später Jacob, ihr Enkel. Aber nun? Nun hatte sie nur noch Fred, ihren jüngsten Sohn und auch diesen sah sie kaum noch. Nicht, seit ihr Geheimnis herausgekommen war und man ihr für alles die Schuld gab. Was im Endeffekt auch ihre Schuld war, denn sie hatte alles auf sich genommen, obwohl sie nur ein kleines unschuldiges Mädchen gewesen war. Doch besser man hasste sie, als dass man anfing die ganze Familie, insbesondere den unschuldigen Teil, zu hassen. Sie schloss die Augen, nur um kurz darauf einen erschreckten Schrei loszulassen, als sie merkte, wie die Tür der Scheune aufgerissen wurde und jemand eintrat. Im Dunkeln hatte sie Mühe zu erkennen wer es war, doch die Stimme, welche sie gleich darauf vernahm, beruhigte sie wieder.
„Hier bist du also…“
Henrys Stimme klang kalt und wenig begeistert. Tatsächlich war er nicht freiwillig hergekommen, um nach seiner Mutter zu suchen. Im Gegenteil, er wäre ja persönlich lieber zuhause geblieben, doch sein jüngerer Bruder Fred hatte so besorgt geklungen, dass er sich widerwillig auf die Suche nach ihr gemacht hatte.
„Henry…“, sagte sie leise.
Ein Teil in ihr freute sich darüber, ihren Ältesten wiederzusehen, nachdem er jeglichen Kontakt zu ihr abgebrochen hatte, doch ein anderer Teil fürchtete sich auch davor. Er war wütend, noch immer und sie konnte es ihm leider nicht verübeln. Sie schwieg wieder, während Henry die Arme verschränkte und sie einfach anstarrte.
„Fred hat sich Sorgen gemacht“, erklärte er. „Nur deshalb bin ich hier. Da ich dich nun aber gefunden hab, kann ich wohl auch wieder gehen und ihm mitteilen, wo du steckst. Herrje, du bist wirklich die egoistischste Person, die ich kenne. Hättest du ihm nicht wenigstens eine Nachricht hinterlassen können? Brauchst du wirklich so viel Aufmerksamkeit?“
„Henry, ich…“
Margaret bemühte sich nach Kräften, die Tränen zurück zu behalten. Sie würde nicht vor ihrem Sohn weinen, oh nein, sie nicht! Sie war nicht schwach! Sie würde das schaffen! Irgendwie zumindest…
„Ma, lass es einfach sein“, seufzte Henry. „Ich bin deine Entschuldigungen leid. Ich gehe jetzt. Sieh zu, wie du heim kommst.“

Er war keine fünf Minuten weg, da kam er auch schon wieder zurück und fluchte. Wütend sah er zu Margaret, als ob es ihre Schuld wäre, dass er noch immer hier war. Unsicher sah sie zu ihm auf.
„Das Unwetter ist zu stark“, brummte er. „Gratuliere Ma. Schätze wir beide werden noch eine ganze Weile hier zusammen sitzen.“
„Tut mir leid“, murmelte Margaret und seufzte leise. Sie lehnte sich zurück, gegen die alte, fast schon morsche Wand und starrte hinauf zur Decke. Die Augen hielt sie geschlossen, kurz zumindest und lauschte dem Klang der Wasserfälle. Diesen konnte selbst der Regen nicht übertönen. Ein selbstvergessenes Lächeln huschte ihr über die Lippen.
„Als kleines Mädchen habe ich die Wasserfälle geliebt“, rutschte es ihr heraus. „Ich bin immer mit diesem Klang im Ohr eingeschlafen… Ich habe sie so vermisst, nachdem ich… ihn geheiratet habe…“
„Ma, ich will das nicht hören“, knurrte Henry gereizt. „Ich will überhaupt nichts von dir hören, haben wir uns verstanden?!“
Leise seufzte Margaret. Okay, gut. Sie hatte Fehler begangen, richtig. Aber wollte er sie jetzt auf ewig hassen? Sie wusste, das würde nicht gut ausgehen. Irgendwie musste sie das mit ihm klären und wenn er nicht bereit war den ersten Schritt zu machen, dann würde sie das tun. Selbst wenn er nicht hören wollte.
„Ich war damals zehn, Henry“, begann sie, ohne auf seine Proteste zu achten. Jetzt würde er ihr zuhören, ob er wollte oder nicht. Doch so langsam ertrug sie es wirklich nicht mehr, als die Böse da zustehen. „Ich war zehn Jahre alt, als diese Männer starben! Willst du mich dafür wirklich auf ewig beschuldigen? Wenn du einen Schuldigen suchst, dann geh zu deinem Großvater! Glaubst du wirklich, ich hätte mich darauf eingelassen um deinen Vater zu heiraten? Diesen jämmerlichen, versoffenen Nichtsnutz?“
„Ma, es reicht“, fuhr Henry auf. „Hör auf so über Dad zu reden! Wenigstens hat er keinen umgebracht!“
„Ich habe diese Menschen nicht freiwillig getötet“, zischte Margaret nun wirklich gefährlich. „Ich war zehn Jahre alt und ich hatte keine andere Wahl! Mein Vater hatte keine andere Wahl! Was glaubst du wohl, hätte der feine Edward Langston, dein Großvater, mit uns gemacht, wenn wir uns verweigert hätten, hm? Denkst du wirklich er hätte das akzeptiert?“
Sie wartete Henrys Antwort nicht ab. Margaret wollte sie nicht einmal abwarten. Alles hatte sich in ihr aufgestaut und sie wollte das jetzt loswerden..
„Barbara… sie ist freiwillig gegangen. Es ist eine Entscheidung, ob man leben will oder nicht. Ich habe ihr nur geholfen. Und ich musste Fred vor ihr beschützen. Sie hätte ihm doch nur wieder das Herz herausgerissen, so wie sie es immer getan hat.“
„Und es ist Freds Leben. Er muss selbst wissen, was er tut und ob er sich auf sie einlässt. Und wie war das mit Rachel und ihrem Baby? Sie wolltest du doch auch umbringen.“
„Ich wollte sie nicht umbringen. Ich wusste dass dieser Priester euch angreifen würde. Ich habe nur versucht zu intervenieren, es zu verhindern! Aber ihr wolltet nicht auf mich hören und weißt du was Henry? Ich habe die Schnauze voll davon, jedermanns Bösewicht zu sein! Die Welt ist nicht schwarz und weiß! Es gibt Graustufen! Jeder macht Fehler und ja, ich habe viele gemacht, doch die hast du auch getan! Ich werde gehen, Henry! Ich ertrage das alles nicht mehr! Darum bin ich auch hier her gekommen. Ich wollte allein sein und mich selbst verschwinden lassen. Und das wollte ich an einem Ort tun, an dem ich glücklich war. Ja, Henry, stell dir vor es gab eine Zeit für mich, da konnte ich noch glücklich sein. Bevor die Langstons in mein Leben traten und danach? Danach war ich erst wieder glücklich, als ich dich in den Armen gehalten habe… Und dann deinen Bruder Fred. Und Jahre später Jacob. Doch davon ist mir nichts geblieben. Du redest nicht mehr mit mir, Jacob redet nicht mehr mit mir und Fred sehe ich höchstens alle paar Wochen. Das Schlimme ist, ich kann euch das nicht einmal übelnehmen… Ich habe zu viele Fehler begangen. Ich… es tut mir leid…“
Henry sah überrascht zu ihr. Mit vielem hatte er gerechnet, aber damit, dass sie sich selbst einfach auslöschen wollte nicht. Dennoch… es würde nichts daran ändern. Er konnte ihr nicht so einfach verzeihen. Aber sie sterben lassen konnte er auch nicht. Er schloss die Augen und seufzte leise, ehe er wieder zu ihr blickte.
„Tu es nicht, Ma“, sagte er leise. „Geh nicht. Nicht so.“
„Warum denn?“, fragte sie leise. „Was hab ich denn zu verlieren? Ich habe schon alles verloren, was ich hätte verlieren können.“
„Das hast du nicht… Wir… wir brauchen nur Zeit, okay?“, seufzte Henry und setzte sich nun neben sie. „Wie wäre es, wenn wir uns treffen? Fred, du und ich? Und dann reden wir noch einmal über alles.“
Margaret sah ihn erstaunt an und nickte leicht. Zwar war sie sich nicht sicher, wohin das führen sollte, doch es war ein Hoffnungsschimmer.
„Okay“, murmelte sie leise.
Lange noch saßen die Beiden nebeneinander, schweigend. Das Gewitter verzog sich langsam. Erleichtert seufzte Henry und stand auf. „Ich werde gehen. Kommst du?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Nein, ich möchte noch ein wenig hier bleiben“, sagte sie leise. „Mich verbinden so viele Erinnerungen mit diesem Ort…“
Schweigend sah sie Henry nach. Schon wieder hatte sie gelogen, doch was hätte sie ihrem Sohn sagen sollen? Nichts, rein gar nichts was er hätte sagen können, hätte sie umgestimmt. Ihre Zeit war längst gekommen, das wusste sie. Leicht lächelte sie, als sie sich darauf konzentrierte, was ihre glücklichste Erinnerung gewesen war, während sie es sich gleichzeitig wieder wegnahm und sich klar machte, dass sie dies ein für alle Mal verloren hatte. Ein fast schon erleichtertes Lächeln huschte ihr über die Lippen, als sie verschwand.
 
 
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