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Loyalitäten *slow updates*

von Thoronris
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / Gen
Draco Malfoy Harry Potter Hermine Granger Lucius Malfoy Ronald "Ron" Weasley
28.04.2015
04.03.2019
14
38.778
55
Alle Kapitel
69 Reviews
Dieses Kapitel
6 Reviews
 
01.05.2015 3.364
 
Autor-Notiz: Ich habe mir gedacht, da heute der 1. Mai ist und ich ja jeden Monat ein Kapitel veröffentlichen möchte, ist der 1. eines jeden Monats ein guter Termin - und um euch nach dem Prolog schon mal einen Vorgeschmack auf die eigentliche Geschichte zu geben, bekommt ihr also heute bereits das erste richtige Kapitel. Danach aber müsst ihr bis zum 1. Juni warten, ehe es weiter geht. Ich hoffe, ihr werdet das überleben und meine Geschichte nicht aufgeben!

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~O~

Ein Abend im Tropfenden Kessel

~O~


"Bist du sicher, dass du alleine hier bleiben willst?", fragte Harry besorgt.

"Ehrlich, Jungs. Ihr wollt den ganzen Abend über in eurem Zimmer Schach spielen und erwartet, dass ich euch dabei zuschaue? Sicher nicht. Da ist sogar die Einsamkeit hier im Gastraum einladender!", gab Hermine grinsend zurück.

"Wenn du meinst", murmelte Ron eingeschnappt: "Du könntest auch einfach mal probieren, selbst gegen einen von uns zu spielen."

"Danke, kein Bedarf."

Lächelnd schaute Hermine ihren beiden Freunden nach, während diese die Treppe zu den Zimmern hochgingen. Es war ihre Idee gewesen, die letzte Woche der Sommerferien im Tropfenden Kessel zu verbringen, und zu ihrer Freude hatten Harry und Ron dem Plan zugestimmt. Ihre Eltern waren ohne sie in einen späten Sommerurlaub gefahren, entsprechend hätte sie sich zu Hause nur gelangweilt. Ron hatte vorgeschlagen, gemeinsam in das Haus des Ordens zu ziehen, doch Hermine wusste, dass es zu viel für Harry gewesen wäre, überall an seinen toten Patenonkel erinnert zu werden. Hier in der Winkelgasse wiederum gab es so viel Ablenkung, dass kaum Zeit blieb, daran zu denken.

Mit einem Wink bestellte sie bei dem Wirt ein Glas Wein, dann machte sie es sich in ihrem Stuhl gemütlich und sah sich um. Sie wusste nicht genau, warum, doch sie hatte heute Abend das Bedürfnis verspürt, schön zu sein. Es hatte sie schon immer in den Fingern gejuckt, einmal zu testen, wie sie mit glatten Haaren aussehen würde, und heute hatte sie sich endlich hingesetzt und es umgesetzt. Das Ergebnis war erstaunlich gewesen, insbesondere in der Kombination mit dezenter Schminke und ihrer Lieblingsbluse. Natürlich hatte Ron sich eine abfällige Bemerkung nicht verkneifen können, aber Harrys große Augen und sein Lob waren genug gewesen, um Hermine das Selbstvertrauen zu geben, dass sie nicht komisch, sondern im Gegenteil zur Abwechslung einmal gut aussah.

Es war ruhig im Tropfenden Kessel, an einem Montagabend waren nur wenige Gäste anwesend, die meisten offensichtlich Stammgäste, die sich wenig für andere Menschen interessierten. Hermine war darüber nicht traurig, denn so hatte sie die Gelegenheit, in Ruhe über alles, was am Ende des fünften Schuljahres passiert war, nachzudenken. Und über alles, was nun vermutlich vor ihnen lag.

Voldemort hatte sich gezeigt, jeder wusste nun, was Sache war. Das war gleichzeitig gut und schlecht, denn jetzt bestand auch für Voldemort kein Grund mehr, sich vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Die ganzen Ferien über hatte sie in den Zeitung immer wieder Meldungen über Todesserangriffe gelesen, selbst die Muggle hatten mitbekommen, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Entsprechend hatte sie auch ihre Eltern nicht abgehalten, als diese sich dazu entschieden, für zwei Wochen nach Afrika zu reisen. Zwei Wochen Sicherheit für ihre Eltern waren besser als gar nichts.

Der August neigte sich dem Ende zu, in drei Wochen war ihr siebzehnter Geburtstag und sie damit in der Zaubererwelt offiziell volljährig. Sie fühlte sich älter, als sie war. Sie wusste, dass sie mehr erlebt hatte, als ein Jugendlicher in ihrem Alter erlebt haben sollte, insbesondere der Kampf im Ministerium vor einigen Wochen hatte sie endgültig aus dem Traum der Kindheit gerissen und unvermittelt zu einer erwachsenen Frau gemacht. Und obwohl sie es sich nicht anmerken ließen, waren auch Harry und Ron zu anderen Menschen geworden. Sie alle spürten das Damokles-Schwert des zweiten Zaubererkrieges über sich schweben, sie alle wussten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie sich Voldemort und seinen Anhängern in einem offenen Kampf stellen mussten.

Die Tür zum Schankraum öffnete sich und eher aus Gewohnheit denn aus echter Neugier blickte Hermine auf. Sie erstarrte.

Natürlich, die Zeitungen der letzten Woche waren voll davon gewesen: Lucius Malfoy hatte sich gegen eine große Summe Gold aus Azkaban frei gekauft. Wie es ihm gelungen war, trotz der so offensichtlichen Beweise gegen ihn den Antrag durchzubringen, war ihr schleierhaft. Das ungute Gefühl, dass Todesser das Ministerium unterwandert hatten, schien sich mit diesem Ereignis bestätigt zu haben. Doch dass er so arrogant sein würde und sich ausgerechnet hier, in der Winkelgasse, zeigen würde, das war jenseits ihrer Vorstellungskraft.

Er lächelte sie an.

Angewidert und voller Hass starrte sie ihn an, ehe sie ihren Blick senkte. Wollte er sie verspotten? Was erhoffte er sich davon sie anzulächeln, als sei sie eine Dirne auf der Straße? Ihre Hände verkrampften sich um ihr Weinglas. Sie war froh, dass Harry und Ron nicht mehr hier waren, denn deren Reaktion konnte sie sich lebhaft vorstellen. Sie hätten auf der Stelle ihre Zauberstäbe gezogen und ihn am liebsten direkt ins Jenseits befördert. Nicht, dass sie es ihnen verübelt hätte, aber so löste man keine Probleme.

Eine Kellnerin trat mit einem gefüllten Weinglas an ihren Tisch: "Der Herr von dem Tisch dort lässt Ihnen diesen Wein schicken."

Entsetzt folgte Hermine der ausgestreckten Hand der Kellnerin und wurde abermals von einem lächelnden Malfoy begrüßt. Was bezweckte er damit? Sie schaute irritiert zur Kellnerin zurück: "Ist sowas normalerweise eine Einladung, sich zu ihm zu setzen?"

Mit einem verschwörerischen Zwinkern erwiderte die junge Frau: "Aber selbstverständlich ist es das."

"Danke."

Nachdenklich blickte Hermine auf das neue Glas mit Wein. Ihr eigenes war bereits leer und sie hätte sowieso noch ein zweites getrunken. Warum also sollte sie dieses hier nicht annehmen? Und wenn es tatsächlich eine Einladung war, sollte sie diese vermutlich annehmen. Alleine schon, weil sie wissen wollte, warum Lucius Malfoy hier war und sie auf eine Art und Weise anlächelte, die sie unter anderen Umständen eindeutig als Flirterei interpretiert hätte. Was hatte sie auch zu verlieren? Er würde sie gewiss nicht hier vor allen Leuten angreifen, schon gar nicht, nachdem er gerade erst aus Azkaban gekommen war. Und vielleicht war ein Gespräch mit ihm sogar erhellend.

Sie schluckte, atmete tief durch, ergriff ihr Glas und schlenderte so unbekümmert wie möglich zu ihm hinüber.

"Guten Abend, Mr. Malfoy. Verstehe ich dies hier", sie hob ihr Glas, "richtig, wenn ich es als Aufforderung, mich zu Ihnen zu setzen, interpretiere?"

"Ganz Recht, meine Liebe, so war es gemeint", schnurrte Malfoy: "Erweisen Sie mir die Ehre und setzen Sie sich zu mir."

Er flirtete mit ihr, daran bestand kein Zweifel. Darum bemüht, ihren Ekel und Hass nicht zu deutlich zu zeigen, ließ Hermine sich auf den Stuhl ihm gegenüber sinken: "Wie kommt es, dass Sie mich an Ihren Tisch laden?"

"Sie sind alleine, ich bin alleine, und ich teile die Gesellschaft einer schönen Frau sehr gerne", erklärte er, ehe er anfügte: "Darf ich Ihren Namen erfahren?"

Überrascht riss Hermine die Augen auf. Er wusste nicht, wer sie war? Aber er kannte sie doch, sie waren sich immerhin nicht nur einmal über den Weg gelaufen. Lag es an ihren glatten Haaren und der Schminke, dass er sie nicht erkannte? Sollte sie ihm sagen, wer sie war, oder sollte sie seine Unwissenheit als Vorteil ausnutzen? Sie entschied sich für letzteres: "Ich bin Jean."

"Welch passender Name. Französisch für Johanna. Und wenn man an eine französische Johanna denkt, denkt man natürlich auch sofort an Jeanne d'Arc. Eine mutige, verehrenswerte Namensvetterin haben Sie da, liebe Jean."

Gegen ihren Willen musste Hermine lächeln. Kaum jemand wusste, dass ihr zweiter Vorname Jean war, und noch weniger wussten, dass ihre Eltern sie tatsächlich nach Johanna von Orléans benannt hatten. Sie mochte den Vergleich. Sie erstarrte. Sie sollte kein Kompliment von Malfoy gut heißen. Angewidert entgegnete sie: "Mut ist viel zu selten heutzutage. Die meisten Menschen lassen sich nur noch vom Streben nach Macht und Reichtum leiten und werden dadurch zu Feiglingen, die jederzeit fürchten, ihr Ansehen zu verlieren."

Sie hatte ihre Worte bewusst so gewählt, dass er nicht anders konnte, als sie auf sich zu beziehen, doch zu ihrem Entsetzen zeigte er sich nicht beleidigt, sondern grinste erfreut: "Touché, meine Liebe. Ich sehe, Sie wissen gut über mich Bescheid."

"Jeder weiß gut über Sie Bescheid!", sagte sie grimmig.

"In der Tat. Und ganz offensichtlich sind Sie kein Fan von mir."

Es war keine Frage. Das Selbstbewusstsein, das in diesem Satz mitschwang, und die fehlende Reue über seine Taten ließen Hermine eine Gänsehaut über den Rücken jagen. Hatte dieser Mann kein Unrechtsbewusstsein?

"Sie sind eine interessante Frau", fuhr Malfoy schmunzelnd fort: "Ich erlebe es selten, dass eine Frau ihre Gefühle so offen zeigt. Sie mögen mich nicht, stimmt's?"

"Wie könnte ich?", knurrte Hermine. Unwillig musste sie zugeben, dass seine Bemerkung über ihre Unfähigkeit, ihre Gefühlsregungen zu verbergen, wie ein Stachel in ihr saß. Sie bewunderte Professor Snape dafür, wie ausdruckslos sein Gesicht jederzeit war, doch egal, wie sehr sie sich bemühte, es wollte ihr nicht gelingen.

"Sie könnten mir die Chance geben, mich näher kennen zu lernen."

Hermine konnte nur Schnauben: "Und was, bitte schön, wollen Sie mir von sich zeigen? Gewisse Einstellungen und Taten sind so wirkmächtig, dass man an ihnen nicht vorbei sehen kann."

Wieder begegnete er ihr nur mit einem Lächeln: "Ich habe auch andere Seiten an mir. Seiten, die ich einer so schönen Frau wie Ihnen gerne zeigen will."

"Danke, ich verzichte", entgegnete Hermine. Wieso flirtete Lucius Malfoy mit ihr? Selbst wenn er nicht wusste, wer sie war, sie war doch offensichtlich ablehnend. Was erhoffte er sich davon? Glaubte er wirklich, sie könnte über seine Zugehörigkeit zu Voldemort hinwegsehen?

"Sie sind unerbittlich. Aber das gefällt mir. Bitte, erzählen Sie mir mehr von sich. Ich bin neugierig."

"Es gibt nichts, was ich Ihnen über mich erzählen will", schnappte Hermine: "Ich muss Sie leider enttäuschen."

"Warum haben Sie sich dann zu mir gesetzt?", hakte Malfoy nach, die Arme vor der Brust verschränkt, aber noch immer entspannt und voller Arroganz. Hermine presste ihre Fäuste auf den Tisch: "Sie haben mir den Wein geschickt und ich wollte wissen, wieso. Und dann dachte ich mir, könnte ich versuchen herauszufinden, warum Sie es überhaupt wagen, sich hier zu zeigen."

Amüsiert lachte er auf und gegen ihren Willen musste Hermine ihm zugestehen, dass es ein angenehmer Laut war. Ebenso, wie er ein attraktiver Mann gewesen wäre, wenn da nicht diese unsäglich Arroganz im Weg wäre. Ganz zu schweigen von seiner zweifelhaften Loyalität.

"Sie sind wahrlich etwas Besonderes, Jean", erklärte er: "Wenige Menschen begegnen mir so offen wie Sie. Und umso bereitwilliger möchte ich meine Gedanken mit Ihnen teilen. Wie Sie gewiss mitbekommen haben, hat meine Frau mich verlassen. Ich kann es ihr nicht verübeln, aber Einsamkeit ist für mich nur schwer auszuhalten."

"Ihr Sohn ist noch bei Ihnen."

"Ach, Draco", seufzte Malfoy schwer: "Er gibt mir deutlich zu verstehen, was er von meinem Versagen hält. Es ist schwer, wenn der eigene Sohn einen verachtet."

"Sie armer Mann", meinte Hermine sarkastisch und zum ersten Mal wirkte Lucius Malfoy unerfreut über ihre Ablehnung: "Lachen Sie nicht über mich! Sie können meine Situation nicht verstehen."

"Es fällt mir tatsächlich schwer, Verständnis für einen Todesser aufzubringen. Und wo wir gerade beim Thema sind - haben Sie keine Angst, sich schmutzig zu machen?"

Er blickte verwirrt drein: "Bitte?"

"Sie kennen mich nicht. Nach allem, was Sie wissen, könnte ich ein Halbblut oder gar ein Schlammblut sein", stellte Hermine herausfordernd in den Raum. Sie war gespannt, wie er darauf reagierte, doch abermals überraschte er sie: "Was kümmert mich das? Ich habe bereits eine reinblütige Ehefrau und einen reinblütigen Erben, ich gedenke nicht, einen weiteren zu zeugen. Und für alles andere ist mir der Blutstatus egal."

Hermine riss die Augen auf: "Aber ... Schlammblüter sind verachtenswerte Kreaturen, die ihre Magie von anderen Zauberern gestohlen haben und es nicht wert sind, mit ihnen auf einer Stufe zu stehen."

Sie schauderte bei ihren eigenen Worten, doch genau diese Vorurteile waren in den letzten Wochen vermehrt in zweifelhaften Publikationen zu lesen gewesen. Die These von der gestohlenen Magie war neu, doch Hermine war sich sicher, dass alle Todesser sich begeistert auf jeden Grund, Muggelgeborene zu hassen, stürzten.

"Das ist Unsinn", erwiderte Malfoy ernst: "Ich weiß nicht, wer zuerst gesagt hat, dass Schlammblüter ihre Magie geklaut hätten, aber das habe ich zuvor noch nie gehört und ich halte es für Unsinn. Was ein Schlammblut von einem Reinblut unterscheidet, ist schlicht die Reinheit der Magie. Ein Schlammblut wird niemals so mächtig sein können wie ein Reinblut. Es ist eine Schande, dass das magische Blut seit Generationen immer mehr verdünnt wird und die magische Gesellschaft als Ganze immer schwächer wird, doch Magie zu stehlen, das ist nicht möglich. Niemand bei klarem Verstand würde so etwas behaupten. Ich jedenfalls werde mich immer dafür einsetzen, dass Zauberer nur andere Zauberer heiraten, damit die Magie nicht noch schwächer wird und irgendwann verschwindet."

Hermine wusste nicht, was sie sagen sollte. Lucius Malfoy war für sie stets der Inbegriff von Arroganz gewesen, jener Mann, der wie kein anderer dafür eintrat, dass muggelgeborene Hexen und Zauberer Abschaum waren, der nicht zu leben verdient hatte. Dass er sich nun als jemand herausstellte, der Muggelgeborene zwar für schwächer hielt und auf die Erhaltung des reinen Blutes pochte, gleichzeitig aber keine allumfassende Ablehnung gegenüber nicht reinblütigen Magiern verspürte, überstieg ihr Fassungsvermögen. Und dass er gar die neue These von der geklauten Magie ablehnte, war vollends zu viel für sie.

"Sie glauben mir nicht", stellte er fest: "Nun, das sollte mich wohl nicht wundern. Aber ich versichere Ihnen, Jean, ich bin kein blinder, dummer Narr. Ich hasse Schlammblüter nicht. Ich halte sie lediglich für weniger mächtig als reinblütige Magier und wehre mich gegen eine Vermischung von Zauberer- und Muggelblut. Wenn es nach mir ginge, sollte man Schlammblüter in der Muggelwelt lassen anstatt sie in Hogwarts und anderen Schulen auszubilden, doch diese Entscheidung habe nicht ich zu treffen. Ich kann Ihnen aber versichern, Sie sind für mich unabhängig von Ihrem Blutstatus interessant. Zuerst fand ich Sie nur äußerlich attraktiv, doch unser Gespräch bis zu diesem Punkt hat darüber hinaus eine selbstbewusste, intelligente Frau enthüllt. Und das lässt Sie für mich nur noch attraktiver werden. Also, lassen wir die Frage Ihres Blutes einfach ruhen, sie spielt keine Rolle für mich, und widmen wir uns wichtigeren Themen.“

Insgeheim fragte Hermine sich, ob er auch dann noch sagen würde, dass ihr Blutstatus keine Rolle spielte, wenn er wüsste, wer sie wirklich war. Sie erinnerte sich nur zu gut an die abschätzigen Blicke, mit denen Malfoy ihre Eltern bedacht hatte, als sie sich damals vor vielen Jahren in dem Buchladen in der Winkelgasse getroffen hatten. Damals hatte er nicht so gewirkt, als würde er Muggeln und allen Angehörigen etwas anderes als Hass entgegen bringen. Oder war es nur die Tatsache gewesen, dass Muggel in die Welt der Magier eingedrungen waren, die ihn gestört hatte? Ihr Kopf schwirrte von allem, was er gesagt hatte, und dass sie inzwischen auch ihr zweites Glas Wein geleert hatte, half nicht gerade weiter.

„Welche wichtigeren Themen meinen Sie denn mit mir besprechen zu wollen?“, fragte sie langsam, während sie angestrengt darüber nachdachte, warum sie sich überhaupt noch diesem Gespräch aussetzte. Lucius Malfoy hatte offensichtlich kein Interesse daran, über seine Einstellungen oder den bevorstehenden Krieg zu reden, entsprechend gab es für sie hier nichts mehr zu holen. Trotzdem. Trotz all ihrer Ablehnung und all dem Hass, den sie für ihn verspürte, war ihre Neugier geweckt. Was, wenn er tatsächlich meinte, was er sagte?

„Da Sie mich ja offensichtlich so gut kennen, könnten Sie mir ein wenig über sich erzählen. Beispielsweise, was Sie beruflich machen“, schlug Malfoy vor. Er wirkte nun wieder vollkommen entspannt, als sei er auf ein Terrain zurückgekehrt, auf dem er sich auskannte und wohlfühlte. Flirtete er oft mit fremden Frauen?

„Witzige Frage“, antwortete Hermine, während sie der Kellnerin mit einem Wink bedeutete, dass sie noch ein weiteres Glas Wein nehmen würde. Der Alkohol gab ihr das beruhigende Gefühl, die Situation unter Kontrolle zu haben und insbesondere die merkwürdigen Annäherungsversuche dieses so viel älteren Mannes aushalten zu können. Mit einem breiten Grinsen fuhr sie fort: „Ich habe keinen Beruf.“

„Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass eine so intelligente Frau wie Sie arbeitslos ist?“, hakte Malfoy sofort nach, eine Augenbraue voller Skepsis hochgezogen. Hermines Grinsen wurde noch breiter. Was der hochgeschätzte Herr Lucius Malfoy wohl dazu sagen würde, wenn er herausfand, dass er sich eine Frau in einem gänzlich unpassenden Alter rausgesucht hatte? Sie würde es ausprobieren: „Das habe ich nicht gesagt. Ich gehe noch zur Schule.“

Malfoy, der gerade im Begriff gewesen war, einen leichten Schluck von seinem Wein zu nehmen, erstarrte mitten in der Bewegung: „Zur Schule? Bei Merlin, wie alt sind Sie?“

Immer noch grinsend erwiderte Hermine: „Sechzehn, in wenigen Wochen werde ich siebzehn. Nach den Ferien fängt für mich mein sechstes Jahr in Hogwarts an.“

„Sie sehen älter aus. Ich hätte auf zwanzig getippt“, sagte Malfoy, doch zu Hermines Überraschung wirkte er deutlich gelassener als sie es sich vorgestellt hatte. Beinahe meinte sie, so etwas wie Erleichterung in seinem Gesicht lesen zu können: „Sind Sie froh darüber, dass ich zu jung für Sie bin? Es gibt Ihnen eine gute Ausrede, sich aus dieser unangenehmen Situation zu befreien, ohne das Gesicht zu verlieren.“

Verwirrt schaute er sie an: „Wie kommen Sie auf die Idee, diese Situation könnte unangenehm für mich sein?“

„Kein Mann schätzt eine intelligente Frau, zumindest nicht ernsthaft. Und schon gar nicht, wenn er nur an einer kurzen Affäre interessiert ist“, erklärte Hermine. Sofort bereute sie ihre Worte. Warum unterhielt sie sich mit Lucius Malfoy über solche Dinge? Er musste den bitteren Tonfall in ihrer Stimme gehört haben, der so deutlich machte, dass sie sich als Frau wertlos fühlte. Wieso gab sie ihm so tiefe Einblicke in ihre Gefühlswelt? Verärgert starrte sie auf das halbleere Weinglas in ihrer Hand. Lockerte der Alkohol ihre Zunge so sehr?

„Liebe Jean, Sie sind hier gleich doppelt im Irrtum“, unterbrach Malfoy ihre Gedanken. Mit einem ernsten Gesichtsausdruck beugte er sich vor, faltete seine Hände auf dem Tisch, und blickte ihr direkt in die Augen: „Es mag sein, dass Männer in Ihrem Alter noch nicht gefestigt genug in ihrer Persönlichkeit sind, um eine ebenbürtige oder gar überlegene Frau schätzen zu können. Seien Sie sich sicher, das wird sich ändern. Und Ihr zweiter Irrtum ist anzunehmen, dass ich Sie ob Ihres Alters nicht mehr interessant finde. Ganz im Gegenteil. Dass sie trotz Ihrer jungen Jahre so eine starke Persönlichkeit haben, ist überaus faszinierend.“

Mit großen Augen blickte Hermine den blonden Mann vor sich an. Sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Gegen ihren Willen fühlte sie sich ob all der Komplimente, die er ihr machte, zu ihm hingezogen. Wenn er nur nicht Lucius Malfoy gewesen wäre. Nervös griff sie nach ihrem Weinglas und nahm einen weiteren Schluck, ehe ihr aufging, dass noch mehr Alkohol vermutlich das falscheste war, was sie in ihrer Situation tun konnte. Unsicher blickte sie sich im Raum um. Sie hoffte sehr, dass niemand, den sie kannte, plötzlich zur Tür herein kam – oder gar Harry und Ron von ihrem Zimmer kamen, um sie abzuholen.

Entschlossen richtete sie ihren Blick wieder auf Malfoy, um ihm deutlich zu machen, dass seine Annäherungsversuche bei ihr nicht auf fruchtbaren Boden fielen: „Ich danke Ihnen für Ihr Lob, Sir, aber es ist unerwünscht. Lob von Ihnen ist für mich wahrlich kein Kompliment.“

„Sie können mich nicht täuschen, Jean“, entgegnete er selbstsicher: „Ich kann deutlich sehen, dass Sie sich sehr wohl über meine Aufmerksamkeit freuen.“

Mit diesen Worten griff er über den Tisch nach ihrer Hand und begann, ihren Handrücken ganz sachte mit seinem Daumen zu massieren.
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