Ein Abend der speziellen Sorte
von Lena Lannister
Kurzbeschreibung
Clarice Starling hat vor zwei Jahren einen Fall angenommen, der ihr sowohl körperlich als auch geistlich einiges abverlangt: Sie soll den entflohenden Doktor Hannibal Lecter dingfest machen. Der hat allerdings eigene Pläne und scheut keine Mühen, diese durchzusetzen. Seht selbst...
GeschichteThriller, Liebesgeschichte / P18 / Gen
Clarice Starling
Hannibal Lecter
Jack Crawford
26.04.2015
11.05.2015
7
14.613
3
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Dieses Kapitel
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26.04.2015
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Es war ein ruhiger Sommerabend, als Dr. Hannibal Lecter am Ufer stand und die untergehende Sonne am Horizont betrachtete. Zusätzlich lauschte er dem Schreien der Möwen. Schreien. Bei diesem Gedanken kam ihm Clarice wieder in den Sinn. Wie es ihr wohl erging? Er hatte sie jetzt gut zehn Jahre nicht mehr gesehen. Allerdings stand sie ab und zu mal in der Zeitung. Mittlerweile war sie Special Agent Starling. Sie entwickelte sich prächtig, fand Hannibal. Und wieder einmal ertappte er sich bei dem Wunsch, ihr das einmal zu sagen. Plötzlich schien das Schreien der Möwen und das rauschen des Wassers am Ufer immer weiter in die Ferne zu rücken. Unbewusst führte er sich Clarice wieder vor Augen. Das zarte, kleine Geschöpf, dass vor seiner Zelle auf dem winzigen Stuhl kauerte und ihn verzweifelt um Unterstützung zum Fall "Buffalo Bill" bat. Ihm kam eine Frage in den Sinn, die sie ihm nie beantwortet hatte. Eine Frage, die er jetzt sofort beantwortet haben wollte...
Zur selben Zeit kam Clarice gerade von einem harten Tag nach Hause. Die Leute vom FBI wurden wirklich immer schlimmer! Nur weil sie auch wirklich für ihre Karriere arbeitete, wurde sie abgestempelt als Arschkriecherin Nummer eins?! Das konnte nicht deren Ernst sein! Und von einem hatte sie wirklich die Nase gestrichen voll: Paul Krendler. Clarice kannte wirklich niemanden, der so sexistisch dachte wie er! Bloß schade, dass er mein Vorgesetzter ist, dachte sie. Sonst würde ich ihm mal die Meinung geigen, dass ihm Hören und Sehen vergeht!
Sie ging in die Küche und holte sich ein Glas und die Flasche Chianti. Dann ging sie in den Keller, in ihr zweites Büro. Dort angekommen, wurde sie gleich von einem durchdringenden Blick zweier eiskalter, blauer Augen bedacht und zuckte kurz zusammen. Es waren die Augen von Dr. Hannibal Lecter. Clarice musste kurz schmunzeln: "Oh nein, nicht schon wieder." Sie nahm das Bild ab und legte es vor sich auf den Schreibtisch zu den anderen und der dicken Akte. Schon seit fast zwei Jahren saß sie an diesem Fall. Jack Crawford hatte sie damals in sein Büro gerufen und gesagt: "Ich vertraue Ihnen diesen Fall an, Starling. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass Sie die letzte waren, die ein vernünftiges Gespräch mit ihm geführt hat." Jeden Tag fluchte sie mindestens einmal deswegen. Dieser Fall war für sie ein echt harter Brocken! Man fängt einen Dr. Hannibal Lecter nicht einfach mal eben so, dachte Clarice. Man bekommt ihn nur, wenn er es so will. Dennoch saß sie fast jeden Abend hier unten und suchte nach ihm. Sie hatte einmal Barney zu Rate gezogen. Dieser hatte ihr Tonbänder überlassen. Aufgenommene Gespräche mit Hannibal. Einige mit Barney, aber einige auch mit Clarice. Dr. Chilton hatte sie heimlich aufgenommen, hatte Barney erzählt.
Clarice saß am Schreibtisch und lauschte Hannibals Stimme: "Wenn ich Ihnen helfen soll, erwarte ich eine Gegenleistung. Quid pro quo, ich erzähle Ihnen etwas, Sie erzählen mir etwas. Aber nicht über diesen Fall, über sich selbst. Quid pro quo, ja oder nein?"
Diese Frage war für Clarice echt schwer gewesen. Und auch jetzt noch bekam sie Bauchschmerzen und fühlte sich innerlich getreten und geschlagen. Warum hatte der Doktor ihr dieses seelische Leid nur angetan? Was brachten ihm ihre Schmerzen? Eines stand fest: Wenn sie ihn eines Tages schnappen sollte, würde sie ihm diese Frage stellen! Und solange bohren, bis sie eine vernünftige Antwort bekam.
Hannibal fuchtelte sich das Handy aus der cremefarbenen Leinenhose. Er hatte sich schon vor einiger Zeit Clarice's Nummer besorgt, das war nicht schwer gewesen. Viel schwerer war es jetzt aber, diese anzuwählen. Warum? Was war mit ihm los? Er runzelte die Stirn. Da war ein Gefühl, das ihm nicht bekannt war. Und irgendwie bekam er dadurch ganz leichte Panik. Diese konnte er allerdings unterdrücken. Es ist doch ein ganz banales Gespräch, dachte Hannibal, schüttelte den Kopf und wählte die Nummer. Er schob sich das Handy ans Ohr und nach dem zweiten Klingeln nahm jemand ab: "Hier ist Starling." Sie war es! Hannibal freute sich, dass er sie wirklich hören konnte: "Ist da Clarice? Ich grüße Sie, Clarice." Stille. Dann ein leises Flüstern: "Dr. Lecter?" "Es hat Ihnen also doch nicht die Sprache verschlagen, Clarice. Ich hatte mir schon ein wenig Sorgen gemacht, ich würde hier eine recht monotone Unterhaltung mit mir selbst führen." "Nein, nein, Dr. Lecter. Ich war nur etwas verwundert, dass Sie mich anrufen. Ihr letzter Anruf liegt nun schon einige Jahre zurück." "Das stimmt allerdings und für diese Unannehmlichkeit muss ich mich bei Ihnen entschuldigen. Aber die Zeit der Muße ist vorbei. Ich muss ins öffentliche Leben zurückkehren, angefangen mit einem Telefonat mit Ihnen, Agentin Starling. Oder sollte ich eher sagen: Special Agent Starling? Ich muss gestehen, ich habe mit großem Interesse Ihren Aufstieg auf der Karriereleiter verfolgt. Ausgezeichnet, Clarice." "Ähm... ja. Ich habe nur meine Arbeit gemacht, Dr. Lecter." "Aber mit einem Enthusiasmus, den die Welt so selten zu sehen bekommt. Mir scheint, ich hatte damals recht, als ich feststellte, dass Sie viel Ehrgeiz besitzen." "Ja. Scheinbar." "Sagen Sie mir Clarice: Halte ich Sie gerade von der Arbeit ab?" "Ganz und gar nicht, Dr. Lecter." Es war ein klickendes Geräusch zu hören. Hannibal runzelte leicht die Stirn: "Sie arbeiten sehr wohl, lügen Sie mich nicht an! Ich hab Ihnen schon damals gesagt, dass ich es sofort merke, wenn ich angelogen werde. Sie arbeiten an meinem Fall, nicht wahr, Special Agent Starling?" "Woher wissen...?" "Ganz simpel. Sie sind ans Telefon gegangen und als Sie meine Stimme gehört haben, erklang in Ihrer Stimme ein Gemisch aus Erleichterung und Erschöpfung. Und dann Ihre Bemerkung, ich würde Sie nicht stören. Wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, Sie versuchen meinen Aufenthaltsort herauszufinden, Sie ungezogenes Mädchen." Wieder einen Moment Stille. Dann eine leise Antwort: "Was denken Sie jetzt, Dr. Lecter?" "Nun Clarice, Sie tun Ihre Arbeit. Und zwar verdammt gut, das muss ich Ihnen lassen. Allerdings werde ich Ihnen heute keinen Triumph gönnen können, so leid es mir auch tut. Und glauben Sie mir, ich würde zu gerne noch etwas länger mit Ihnen plaudern, aber ich muss jetzt los, ich habe noch einen wichtigen Termin." "Dr. Lecter, bitte, ich..." "Oh Clarice, machen Sie es bitte nicht noch schwerer für mich, aufzulegen. Stellen Sie sich darauf ein, dass ich Sie in den kommenden Tagen noch einmal anrufen werde. Ciao." Hannibal legte auf. Er seufzte: "Wie gerne hätte ich noch länger mit Ihnen telefoniert, Clarice." Er ließ das Handy in der Hosentasche verschwinden und ließ ein letztes Mal den Blick über das Meer schweifen. Dann setzten sich seine Füße langsam in Bewegung und er schlenderte nach Hause. Verdammt, dachte er plötzlich verärgert. Jetzt habe ich ihr diese Frage ja doch nicht stellen können! Nun, dann muss ich mir wohl etwas einfallen lassen.
Die Idee ließ nicht lange auf sich warten. Der Termin, den er Clarice als Notlüge aufgetischt hatte, würde sich noch als nützlich erweisen!
Das berühmte kalte, zynische Lächeln trat auf Hannibals Gesicht, während er weiter ging. Ein Termin war es, oh ja. Und Clarice würde sich noch wundern! Sie wollte ihn schnappen? Dann sollte sie die Möglichkeit dazu auch bekommen...
Clarice legte das Telefon weg und seufzte. Dieser Mann raubte ihr noch den letzten Nerv! Sie betrachtete sein Bild, dass immer noch vor ihr auf dem Schreibtisch lag. Sie beugte sich etwas vor und begann vorsichtig mit ihrem Finger die Konturen seines Gesichts nachzuziehen. Dabei suchte ihre andere Hand blind einen Knopf, betätigte diesen und Hannibals Stimme erklang: "Denken Sie, es ist, weil ich Sie ansehe und mir vorstelle, wie gut Sie schmecken würden, Clarice?" Sie ließ den Blick auf sein Bild gerichtet während sie den Stuhl zurückzog und sich setzte. Ihr Finger zog immer noch die Konturen seines Gesichts nach, aber sie merkte es nicht mehr. Sie verlor sich in ihren Gedanken und fand sich vor Lecters Zelle im Verlies wieder: "Wie lautet sein Name, Doktor?" "Wenn ich Ihnen helfen soll, erwarte ich eine Gegenleistung. Quid pro quo, ich erzähle Ihnen etwas, Sie erzählen mir etwas. Aber nicht über diesen Fall, über sich selbst. Quid pro quo, ja oder nein?" "Schießen Sie los, Doktor." Doch er sagte nichts, sondern stand auf und kam ganz dicht zur Glasscheibe: "Ich frage mich, was wohl passieren würde, wenn hier keine Glaswand zwischen uns wäre. Sie auch, Agentin Starling?" "Ja, Doktor, das habe ich mich schon häufiger gefragt." Er legte seine rechte Hand an das Glas und sah Clarice dabei die ganze Zeit fest in die Augen. Seine Augen funkelten und er neigte kaum merklich den Kopf. Ein Zeichen, das sie es ihm gleich tun sollte. So erhob auch sie sich und legte ihre Hand auf das kühle Glas, genau auf die Stelle, wo der Doktor seine platziert hatte: "Schließen Sie die Augen, Clarice." Sie gehorchte. "Und jetzt stellen Sie sich vor, dass es keine Glaswand zwischen uns gibt." Seine Stimme wurde zum Ende hin leiser. Clarice konzentrierte sich, bis die Kühle in ihrer Hand verschwand. Sie nahm an, dass sie das Glas mit ihrer Hand erwärmt hatte. Als sie jedoch die Augen wieder öffnete, musste sie schlucken. Da war keine Glaswand mehr. Und ihre Hand berührte die des Doktors. Sie versuchte, sie wegzuziehen, doch Hannibal bedachte sie mit einem Blick, so intensiv, dass er sie damit sofort in seinen Bann zog: "Oh Clarice..." Seine Stimme wurde bedrohlich leise: "Jetzt ist hier nichts mehr. Keine Barriere, kein Hindernis, das Sie vor mir schützt. Was machen wir jetzt?" Clarice war unfähig, auch nur einen Ton von sich zu geben. Hannibal nahm die Hand hinunter und auch Clarice konnte ihre wieder senken. Nun nahm er ihre Hände in die seinen und flüsterte: "Komm, Clarice. Komm herein." Und er zog sie vorsichtig in seine Zelle. Sie sah ihn die ganze Zeit an und zu ihrem eigenen Entsetzen vertraute sie ihm. Sie ließ sich von ihm zu seiner Pritsche führen und als er sanft seine Hände auf ihre Schultern legte und etwas drückte, setzte sie sich hin. Er nahm dicht neben ihr Platz und so sahen sie sich einige Minuten lang schweigend an. Nach einer Weile strichen Hannibals eiskalte Finger über Clarices Wange. Sie zuckte leicht zusammen und er musste schmunzeln. Er beugte sich etwas zu ihr vor und sie schloss die Augen. Zu Ihrer Verwunderung hörte sie, wie er tief einatmete und sich dann wieder entfernte. Sie öffnete die Augen wieder und er grinste: "Was, dachtest du, würde ich machen?" "Ich weiß es nicht." "Vertraust du mir, Clarice?" Sie nickte nur noch. Er fragte erneut: "Vertraust du mir?" Und sie hauchte tonlos: "Ja. Ich weiß nicht warum, aber es ist so." Er lächelte. Doch diesmal war es nicht das zynische Lächeln, sondern ein anderes. Ein Lächeln voller Wärme. Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und beugte sich wieder leicht vor. Clarice schloss erneut die Augen...
Das Telefon riss Clarice wieder in die Gegenwart. Sie schoss in die Höhe und nahm ab: "Starling?" "Starling, hier ist Jack Crawford." Clarice gähnte: "Was gibt's denn, Jack?" "Ich habe mitbekommen, was für fiese Dinge Paul Krendler Ihnen heute wieder an den Kopf geworfen hat." "Das macht mir nichts aus, Jack." "Mir aber. Er ist vielleicht der Vertreter des Justizministeriums. Aber das gibt ihm noch lange nicht das Recht, so mit Ihnen umzugehen!" Jack schien vor Wut richtig zu schäumen. Das wunderte Clarice: "Woher wissen Sie das eigentlich, Jack?" "Nachdem Sie und später auch Paul gegangen waren, verbreitete es sich wie ein Lauffeuer. Und da dachte ich mir, ich rufe Sie an und erkundige mich mal nach Ihrem Wohlergehen." "Also wie ich bereits sagte, Sir: mir geht es gut." "Das freut mich zu hören. Sagen Sie mal, Starling, haben Sie morgen Abend schon was vor?" "Nun ja, ich werde mich weiterhin mit Lecters Akte und seinem Aufenthaltsort beschäftigen. Wieso?" Die Frage hätte sie gar nicht stellen brauchen, denn sie kannte die Antwort bereits: "Weil ich nicht möchte, dass Sie jeden Abend damit verbringen. Viel eher hatte ich daran gedacht, Sie morgen Abend mal auszuführen. Was halten Sie davon?" Was sie davon hielt? Überhaupt nichts! Aber Jack Crawford war einer der wenigen, die nicht auf Krendlers Geschwätz hörten, sondern Clarice noch anerkannten und ihre Arbeit würdigten. Wenn sie das wegwarf, dann war sie beim FBI bald allein. So musste sie das ganze glaubhaft verpacken: "Hören Sie, Jack, ich finde es wirklich nett von Ihnen, dass Sie sich solche Sorgen um mich machen, wirklich. Aber ich glaube nicht, dass es so gut ist, wenn Sie mit mir ausgehen." "Warum nicht, Starling?" Verdammt, dachte Clarice. Jetzt musste schnell ein guter Grund her! Sie fand einen: "Ich finde, es gehört sich einfach nicht. Sie sind immerhin mein Vorgesetzter." "Stimmt, ich bin Ihr Vorgesetzter. Und deshalb befehle ich Ihnen nun: Morgen Abend werden Sie mal nicht über Lecters Akte sitzen, sondern irgendwo außerhalb mit mir! Verstanden?" Verflixt nochmal! Eigentor! Clarice seufzte: "Na gut." "Sehr schön. Ich hole Sie dann morgen um acht Uhr ab. Bis dahin: legen Sie sich jetzt ins Bett! Sie klingen recht erschöpft." "Das bin ich auch, Jack." "Dann gute Nacht. Erholen Sie sich." "Gute Nacht, Jack." Endlich konnte Clarice auflegen. Sie sah sich um. Scheinbar war sie eingeschlafen. Aber der Traum hing noch immer vor ihrem inneren Auge. Davon durfte niemand etwas wissen! Es wäre das Ende ihrer Karriere, wenn das herauskäme. Wenn herauskäme, dass eine FBI-Agentin von einem gesuchten Kannibalen und Soziopathen träumte. Und dann auch noch eine solch anregende Situation. Nein, das ging einfach nicht!
Sie starrte das Telefon an und fragte sich sofort, wie sie reagiert hätte, wenn Dr. Lecter sie darum gebeten hätte, mit ihm auszugehen und nicht Jack Crawford. Hätte sie genauso reagiert? Ein gewisser Teil, ihr Verstand, schrie: "Selbstverständlich!" Aber ein anderer Teil, und sie wusste nicht, wie mächtig dieser Teil bereits war, flüsterte: "Du hättest dich gefreut. Du hättest dich gefreut und sofort zugesagt." Und dieses Flüstern wurde immer lauter...
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Das hier ist meine erste FF. Über Reviews würde ich mich tierisch freuen.
Ich versuche so schnell wie möglich weiter zu schreiben.
LG,
Ilovehannibal
Zur selben Zeit kam Clarice gerade von einem harten Tag nach Hause. Die Leute vom FBI wurden wirklich immer schlimmer! Nur weil sie auch wirklich für ihre Karriere arbeitete, wurde sie abgestempelt als Arschkriecherin Nummer eins?! Das konnte nicht deren Ernst sein! Und von einem hatte sie wirklich die Nase gestrichen voll: Paul Krendler. Clarice kannte wirklich niemanden, der so sexistisch dachte wie er! Bloß schade, dass er mein Vorgesetzter ist, dachte sie. Sonst würde ich ihm mal die Meinung geigen, dass ihm Hören und Sehen vergeht!
Sie ging in die Küche und holte sich ein Glas und die Flasche Chianti. Dann ging sie in den Keller, in ihr zweites Büro. Dort angekommen, wurde sie gleich von einem durchdringenden Blick zweier eiskalter, blauer Augen bedacht und zuckte kurz zusammen. Es waren die Augen von Dr. Hannibal Lecter. Clarice musste kurz schmunzeln: "Oh nein, nicht schon wieder." Sie nahm das Bild ab und legte es vor sich auf den Schreibtisch zu den anderen und der dicken Akte. Schon seit fast zwei Jahren saß sie an diesem Fall. Jack Crawford hatte sie damals in sein Büro gerufen und gesagt: "Ich vertraue Ihnen diesen Fall an, Starling. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass Sie die letzte waren, die ein vernünftiges Gespräch mit ihm geführt hat." Jeden Tag fluchte sie mindestens einmal deswegen. Dieser Fall war für sie ein echt harter Brocken! Man fängt einen Dr. Hannibal Lecter nicht einfach mal eben so, dachte Clarice. Man bekommt ihn nur, wenn er es so will. Dennoch saß sie fast jeden Abend hier unten und suchte nach ihm. Sie hatte einmal Barney zu Rate gezogen. Dieser hatte ihr Tonbänder überlassen. Aufgenommene Gespräche mit Hannibal. Einige mit Barney, aber einige auch mit Clarice. Dr. Chilton hatte sie heimlich aufgenommen, hatte Barney erzählt.
Clarice saß am Schreibtisch und lauschte Hannibals Stimme: "Wenn ich Ihnen helfen soll, erwarte ich eine Gegenleistung. Quid pro quo, ich erzähle Ihnen etwas, Sie erzählen mir etwas. Aber nicht über diesen Fall, über sich selbst. Quid pro quo, ja oder nein?"
Diese Frage war für Clarice echt schwer gewesen. Und auch jetzt noch bekam sie Bauchschmerzen und fühlte sich innerlich getreten und geschlagen. Warum hatte der Doktor ihr dieses seelische Leid nur angetan? Was brachten ihm ihre Schmerzen? Eines stand fest: Wenn sie ihn eines Tages schnappen sollte, würde sie ihm diese Frage stellen! Und solange bohren, bis sie eine vernünftige Antwort bekam.
Hannibal fuchtelte sich das Handy aus der cremefarbenen Leinenhose. Er hatte sich schon vor einiger Zeit Clarice's Nummer besorgt, das war nicht schwer gewesen. Viel schwerer war es jetzt aber, diese anzuwählen. Warum? Was war mit ihm los? Er runzelte die Stirn. Da war ein Gefühl, das ihm nicht bekannt war. Und irgendwie bekam er dadurch ganz leichte Panik. Diese konnte er allerdings unterdrücken. Es ist doch ein ganz banales Gespräch, dachte Hannibal, schüttelte den Kopf und wählte die Nummer. Er schob sich das Handy ans Ohr und nach dem zweiten Klingeln nahm jemand ab: "Hier ist Starling." Sie war es! Hannibal freute sich, dass er sie wirklich hören konnte: "Ist da Clarice? Ich grüße Sie, Clarice." Stille. Dann ein leises Flüstern: "Dr. Lecter?" "Es hat Ihnen also doch nicht die Sprache verschlagen, Clarice. Ich hatte mir schon ein wenig Sorgen gemacht, ich würde hier eine recht monotone Unterhaltung mit mir selbst führen." "Nein, nein, Dr. Lecter. Ich war nur etwas verwundert, dass Sie mich anrufen. Ihr letzter Anruf liegt nun schon einige Jahre zurück." "Das stimmt allerdings und für diese Unannehmlichkeit muss ich mich bei Ihnen entschuldigen. Aber die Zeit der Muße ist vorbei. Ich muss ins öffentliche Leben zurückkehren, angefangen mit einem Telefonat mit Ihnen, Agentin Starling. Oder sollte ich eher sagen: Special Agent Starling? Ich muss gestehen, ich habe mit großem Interesse Ihren Aufstieg auf der Karriereleiter verfolgt. Ausgezeichnet, Clarice." "Ähm... ja. Ich habe nur meine Arbeit gemacht, Dr. Lecter." "Aber mit einem Enthusiasmus, den die Welt so selten zu sehen bekommt. Mir scheint, ich hatte damals recht, als ich feststellte, dass Sie viel Ehrgeiz besitzen." "Ja. Scheinbar." "Sagen Sie mir Clarice: Halte ich Sie gerade von der Arbeit ab?" "Ganz und gar nicht, Dr. Lecter." Es war ein klickendes Geräusch zu hören. Hannibal runzelte leicht die Stirn: "Sie arbeiten sehr wohl, lügen Sie mich nicht an! Ich hab Ihnen schon damals gesagt, dass ich es sofort merke, wenn ich angelogen werde. Sie arbeiten an meinem Fall, nicht wahr, Special Agent Starling?" "Woher wissen...?" "Ganz simpel. Sie sind ans Telefon gegangen und als Sie meine Stimme gehört haben, erklang in Ihrer Stimme ein Gemisch aus Erleichterung und Erschöpfung. Und dann Ihre Bemerkung, ich würde Sie nicht stören. Wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, Sie versuchen meinen Aufenthaltsort herauszufinden, Sie ungezogenes Mädchen." Wieder einen Moment Stille. Dann eine leise Antwort: "Was denken Sie jetzt, Dr. Lecter?" "Nun Clarice, Sie tun Ihre Arbeit. Und zwar verdammt gut, das muss ich Ihnen lassen. Allerdings werde ich Ihnen heute keinen Triumph gönnen können, so leid es mir auch tut. Und glauben Sie mir, ich würde zu gerne noch etwas länger mit Ihnen plaudern, aber ich muss jetzt los, ich habe noch einen wichtigen Termin." "Dr. Lecter, bitte, ich..." "Oh Clarice, machen Sie es bitte nicht noch schwerer für mich, aufzulegen. Stellen Sie sich darauf ein, dass ich Sie in den kommenden Tagen noch einmal anrufen werde. Ciao." Hannibal legte auf. Er seufzte: "Wie gerne hätte ich noch länger mit Ihnen telefoniert, Clarice." Er ließ das Handy in der Hosentasche verschwinden und ließ ein letztes Mal den Blick über das Meer schweifen. Dann setzten sich seine Füße langsam in Bewegung und er schlenderte nach Hause. Verdammt, dachte er plötzlich verärgert. Jetzt habe ich ihr diese Frage ja doch nicht stellen können! Nun, dann muss ich mir wohl etwas einfallen lassen.
Die Idee ließ nicht lange auf sich warten. Der Termin, den er Clarice als Notlüge aufgetischt hatte, würde sich noch als nützlich erweisen!
Das berühmte kalte, zynische Lächeln trat auf Hannibals Gesicht, während er weiter ging. Ein Termin war es, oh ja. Und Clarice würde sich noch wundern! Sie wollte ihn schnappen? Dann sollte sie die Möglichkeit dazu auch bekommen...
Clarice legte das Telefon weg und seufzte. Dieser Mann raubte ihr noch den letzten Nerv! Sie betrachtete sein Bild, dass immer noch vor ihr auf dem Schreibtisch lag. Sie beugte sich etwas vor und begann vorsichtig mit ihrem Finger die Konturen seines Gesichts nachzuziehen. Dabei suchte ihre andere Hand blind einen Knopf, betätigte diesen und Hannibals Stimme erklang: "Denken Sie, es ist, weil ich Sie ansehe und mir vorstelle, wie gut Sie schmecken würden, Clarice?" Sie ließ den Blick auf sein Bild gerichtet während sie den Stuhl zurückzog und sich setzte. Ihr Finger zog immer noch die Konturen seines Gesichts nach, aber sie merkte es nicht mehr. Sie verlor sich in ihren Gedanken und fand sich vor Lecters Zelle im Verlies wieder: "Wie lautet sein Name, Doktor?" "Wenn ich Ihnen helfen soll, erwarte ich eine Gegenleistung. Quid pro quo, ich erzähle Ihnen etwas, Sie erzählen mir etwas. Aber nicht über diesen Fall, über sich selbst. Quid pro quo, ja oder nein?" "Schießen Sie los, Doktor." Doch er sagte nichts, sondern stand auf und kam ganz dicht zur Glasscheibe: "Ich frage mich, was wohl passieren würde, wenn hier keine Glaswand zwischen uns wäre. Sie auch, Agentin Starling?" "Ja, Doktor, das habe ich mich schon häufiger gefragt." Er legte seine rechte Hand an das Glas und sah Clarice dabei die ganze Zeit fest in die Augen. Seine Augen funkelten und er neigte kaum merklich den Kopf. Ein Zeichen, das sie es ihm gleich tun sollte. So erhob auch sie sich und legte ihre Hand auf das kühle Glas, genau auf die Stelle, wo der Doktor seine platziert hatte: "Schließen Sie die Augen, Clarice." Sie gehorchte. "Und jetzt stellen Sie sich vor, dass es keine Glaswand zwischen uns gibt." Seine Stimme wurde zum Ende hin leiser. Clarice konzentrierte sich, bis die Kühle in ihrer Hand verschwand. Sie nahm an, dass sie das Glas mit ihrer Hand erwärmt hatte. Als sie jedoch die Augen wieder öffnete, musste sie schlucken. Da war keine Glaswand mehr. Und ihre Hand berührte die des Doktors. Sie versuchte, sie wegzuziehen, doch Hannibal bedachte sie mit einem Blick, so intensiv, dass er sie damit sofort in seinen Bann zog: "Oh Clarice..." Seine Stimme wurde bedrohlich leise: "Jetzt ist hier nichts mehr. Keine Barriere, kein Hindernis, das Sie vor mir schützt. Was machen wir jetzt?" Clarice war unfähig, auch nur einen Ton von sich zu geben. Hannibal nahm die Hand hinunter und auch Clarice konnte ihre wieder senken. Nun nahm er ihre Hände in die seinen und flüsterte: "Komm, Clarice. Komm herein." Und er zog sie vorsichtig in seine Zelle. Sie sah ihn die ganze Zeit an und zu ihrem eigenen Entsetzen vertraute sie ihm. Sie ließ sich von ihm zu seiner Pritsche führen und als er sanft seine Hände auf ihre Schultern legte und etwas drückte, setzte sie sich hin. Er nahm dicht neben ihr Platz und so sahen sie sich einige Minuten lang schweigend an. Nach einer Weile strichen Hannibals eiskalte Finger über Clarices Wange. Sie zuckte leicht zusammen und er musste schmunzeln. Er beugte sich etwas zu ihr vor und sie schloss die Augen. Zu Ihrer Verwunderung hörte sie, wie er tief einatmete und sich dann wieder entfernte. Sie öffnete die Augen wieder und er grinste: "Was, dachtest du, würde ich machen?" "Ich weiß es nicht." "Vertraust du mir, Clarice?" Sie nickte nur noch. Er fragte erneut: "Vertraust du mir?" Und sie hauchte tonlos: "Ja. Ich weiß nicht warum, aber es ist so." Er lächelte. Doch diesmal war es nicht das zynische Lächeln, sondern ein anderes. Ein Lächeln voller Wärme. Er strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und beugte sich wieder leicht vor. Clarice schloss erneut die Augen...
Das Telefon riss Clarice wieder in die Gegenwart. Sie schoss in die Höhe und nahm ab: "Starling?" "Starling, hier ist Jack Crawford." Clarice gähnte: "Was gibt's denn, Jack?" "Ich habe mitbekommen, was für fiese Dinge Paul Krendler Ihnen heute wieder an den Kopf geworfen hat." "Das macht mir nichts aus, Jack." "Mir aber. Er ist vielleicht der Vertreter des Justizministeriums. Aber das gibt ihm noch lange nicht das Recht, so mit Ihnen umzugehen!" Jack schien vor Wut richtig zu schäumen. Das wunderte Clarice: "Woher wissen Sie das eigentlich, Jack?" "Nachdem Sie und später auch Paul gegangen waren, verbreitete es sich wie ein Lauffeuer. Und da dachte ich mir, ich rufe Sie an und erkundige mich mal nach Ihrem Wohlergehen." "Also wie ich bereits sagte, Sir: mir geht es gut." "Das freut mich zu hören. Sagen Sie mal, Starling, haben Sie morgen Abend schon was vor?" "Nun ja, ich werde mich weiterhin mit Lecters Akte und seinem Aufenthaltsort beschäftigen. Wieso?" Die Frage hätte sie gar nicht stellen brauchen, denn sie kannte die Antwort bereits: "Weil ich nicht möchte, dass Sie jeden Abend damit verbringen. Viel eher hatte ich daran gedacht, Sie morgen Abend mal auszuführen. Was halten Sie davon?" Was sie davon hielt? Überhaupt nichts! Aber Jack Crawford war einer der wenigen, die nicht auf Krendlers Geschwätz hörten, sondern Clarice noch anerkannten und ihre Arbeit würdigten. Wenn sie das wegwarf, dann war sie beim FBI bald allein. So musste sie das ganze glaubhaft verpacken: "Hören Sie, Jack, ich finde es wirklich nett von Ihnen, dass Sie sich solche Sorgen um mich machen, wirklich. Aber ich glaube nicht, dass es so gut ist, wenn Sie mit mir ausgehen." "Warum nicht, Starling?" Verdammt, dachte Clarice. Jetzt musste schnell ein guter Grund her! Sie fand einen: "Ich finde, es gehört sich einfach nicht. Sie sind immerhin mein Vorgesetzter." "Stimmt, ich bin Ihr Vorgesetzter. Und deshalb befehle ich Ihnen nun: Morgen Abend werden Sie mal nicht über Lecters Akte sitzen, sondern irgendwo außerhalb mit mir! Verstanden?" Verflixt nochmal! Eigentor! Clarice seufzte: "Na gut." "Sehr schön. Ich hole Sie dann morgen um acht Uhr ab. Bis dahin: legen Sie sich jetzt ins Bett! Sie klingen recht erschöpft." "Das bin ich auch, Jack." "Dann gute Nacht. Erholen Sie sich." "Gute Nacht, Jack." Endlich konnte Clarice auflegen. Sie sah sich um. Scheinbar war sie eingeschlafen. Aber der Traum hing noch immer vor ihrem inneren Auge. Davon durfte niemand etwas wissen! Es wäre das Ende ihrer Karriere, wenn das herauskäme. Wenn herauskäme, dass eine FBI-Agentin von einem gesuchten Kannibalen und Soziopathen träumte. Und dann auch noch eine solch anregende Situation. Nein, das ging einfach nicht!
Sie starrte das Telefon an und fragte sich sofort, wie sie reagiert hätte, wenn Dr. Lecter sie darum gebeten hätte, mit ihm auszugehen und nicht Jack Crawford. Hätte sie genauso reagiert? Ein gewisser Teil, ihr Verstand, schrie: "Selbstverständlich!" Aber ein anderer Teil, und sie wusste nicht, wie mächtig dieser Teil bereits war, flüsterte: "Du hättest dich gefreut. Du hättest dich gefreut und sofort zugesagt." Und dieses Flüstern wurde immer lauter...
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Das hier ist meine erste FF. Über Reviews würde ich mich tierisch freuen.
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