"Manchmal liegen Welten zwischen Theorie und Praxis." - Theorie&Praxis by Bushido feat. JokA


Ich renne.
Mit jedem Schritt vergrößere ich den Abstand zwischen meinem Leben und mir.
Lasse die Probleme einfach in dem Haus, das ich bei einem kurzen Blick über meine Schulter noch immer in der Ferne erkennen kann.

Mit jedem Schritt fühle ich mich freier und so als würde mir plötzliches alles leichter fallen.
Atmen, sehen, laufen, denken.
Ich biege um die Ecke und laufe auf den Waldweg zu.
Der Geruch von nassem Laub schlägt mir entgegen und scheint meine Sinne zu benebeln.
Meine Lunge brennt, mein Herz schlägt wie wild und ich kann das Blut durch meine Adern schießen hören.
Ich bleibe stehen.

Die Welt scheint ebenfalls still zu stehen.
An diesem Ort ist alles perfekt.
Ich verlasse den Waldweg und laufe auf die kleine Lichtung zu, die ich vor einigen Monaten entdeckt habe.
Dort angekommen lege ich mich ins Gras und schließe die Augen.
Hole tief Luft.
Höre die Vögel zwitschern.
Frieden.

Theoretisch gesehen könnte ich hierbleiben.
Für immer.
Sie würden mich sicher eine Weile suchen, aber niemand weiß von diesem Ort.
Ich könnte mir aus Schrott einen kleinen Unterschlupf bauen.
Zu Essen gibt es in der Natur genug, ich kenne mich damit aus und in der Nähe fließt ein kleiner Bach.
Ich könnte hierbleiben.
In Frieden leben.

Allerdings nur theoretisch.
Praktisch gesehen konnte ich das meinem kleinen Bruder nicht antun.
Ihn mit einer schwer Depressiven alleine lassen.
In seinem zarten Alter von sieben Jahren ist er noch nicht reif genug, um das alleine zu überstehen.
Er braucht mich, unsere Mutter braucht mich.
Und irgendwie liebe ich sie beide.
Auch wenn es nicht immer leicht ist.

Seufzend stehe ich auf.
Verlasse meinen Ort des Friedens.
Schlage den Heimweg ein und beschließe meinem Bruder eines Tages diesen Ort zu zeigen.