Nichts mehr zu retten.
von Neonschwarz
Kurzbeschreibung
"Der letzte auf der Liste ist Olli. Ich will seinen Segen. Und mit genügend Welpenblick und Anspielungen auf meine beschissene Kindheit, meine beschissene Jugend, meine halbbeschissene Zeit in der Schwebe zwischen alt genug und noch nicht alt genug wird er sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischen und mir das Beste wünschen." [komplett überarbeitet in 2022]
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P18 / Gen
Jan Böhmermann
Joachim "Joko" Winterscheidt
Klaas Heufer-Umlauf
OC (Own Character)
Olli Schulz
07.02.2015
19.05.2015
121
145.077
18
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03.05.2015
1.229
Leni
Ich bin alleine und ich weiß es
Und ich find' es sogar cool
Und ihr demonstriert Verbrüderung
Tocotronic - Freiburg
Und ich find' es sogar cool
Und ihr demonstriert Verbrüderung
Tocotronic - Freiburg
Ich möchte aus mehreren Gründen nicht heiraten. Harmloserweise möchte ich meinen Nachnamen nicht aufgeben. Egoistischerweise möchte ich, dass dieser Name mit mir ausstirbt.
Ich glaube nicht an „bis das der Tod uns scheidet“, denn meine Familie hat mich eines Besseren gelehrt. Ich glaube, viele von ihnen haben sich gewünscht, der Tod möge einen Zahn zulegen, aber am Ende war es doch nur ein schnöder Brief, Papiere vom Anwalt, der die Scheidung rechtskräftig werden ließ.
Mit 19 wollte ich unbedingt mit den bösen Typen rumhängen und jung sterben und dieser Lebensentwurf haftet mir noch immer an. Wäre ich nur einmal anders abgebogen, hätte mich anders entschieden, hätte der Verzweiflung nachgegeben, dann wäre ich jetzt nicht hier, Mutter eines Sohnes, Freundin eines komplizierten Mannes, Sorgenkind einer durch die Bank weg bodenständigen Freundesgruppe. Ich hätte es schlechter treffen können, wenn man bedenkt, dass in meinen literarischen Anfängen meine weiblichen Hauptcharaktere meist am Ende starben oder zutiefst depressiv vor der Entscheidung standen: von der Brücke oder vor den Bus?
Ich hätte es schlechter treffen können, wenn man bedenkt, was für eine Selbstaufgabe ich für Typen betrieben habe. Wir sehr ich geliebt, aber gleichzeitig alleine gelassen werden wollte. Jan ist in jedem Fall ein Glückstreffer. Wie viele Jans gibt es wohl auf der Welt? Zu viele und zu wenig gleichzeitig, würde ich meinen.
Und dennoch liebe ich an ihm am meisten seine unberechenbaren Seiten. Das Unvorhersehbare. All das, was normalerweise inakzeptabel wäre, macht ihn nur interessanter. Hätte er mich damals nicht in Berlin sitzen lassen, ich hätte vermutlich keinen Grund gehabt, mich so lange über ihn aufzuregen. Wären wir in einem Film, würde im Trailer Nineteen Hundred and Eighty-Five laufen, während ich ihn anlächle, überblendet, Sonnenlicht, Spätsommer. Hinter ihm würde die Sonne zwischen alten Berliner Häusern untergehen und vielleicht würden wir Fahrrad fahren oder er würde auf dem Dach stehen und eine Palme umtopfen. Wenn wir nicht wir wären, sondern Zoe Deschanel und Adam Driver.
„Wieso willst du nicht heiraten?“, frage ich Jan, als die Gäste gegangen und wir alleine sind. Felix schläft tief und fest im Wohnzimmer, das Übergangskinderzimmer, und ganz Berlin ist in dieser melancholisch weihnachtlichen Stimmung, zu der ich mich nicht völlig bekennen kann. Ich sehe mich immer wieder Kekse backen, am runden Esstisch aus massivem Holz, während Weihnachtslieder laufen, oder das Radio, und dieses Kind, das ich war, wusste nicht, wie furchtbar die kommenden Jahre werden würden und dann sehe ich mein Kind an und denke: was, wenn es wieder passiert? Wenn sich die Geschichte wiederholt? Weihnachten ist eine emotionale Fliegenfalle.
„Wohin führt dieses Gespräch?“, fragt er misstrauisch und hängt sein Hemd fein säuberlich über meinen Schreibtischstuhl.
„Nein, ernsthaft. Warum nicht?“
„Ich will nicht nicht dich heiraten, ich will einfach nicht heiraten.“
„Weich der Frage nicht aus“, verlange ich, „das ist keine Falle. Wieso nicht?“
„Weil ich Angst davor habe, dass es zu langweilig wird.“
Ich habe ihm den Rücken zugewandt, schäle mich aus meinem Kleid und lächle dabei. Ich weiß nicht, welche Antwort ich erwartet habe, aber es ist vielmehr der Umstand eines ernsthaften nicht erpressten Gesprächs, der mich lächeln lässt. Ich drehe mich zu ihm um.
„Und was ist mit dir?“, fragt er, „wartest du noch auf ein besseres Angebot?“
„Ich gebe zu, ich habe mir immer einen ganzkörpertätowierten Typen mit moderner Elvis-Frisur vorgestellt, aber dein Humor wiegt das auf.“
„Das ist eines deiner besseren Kompliment.“
Ich werfe das Kleid in den Wäschekorb und lasse mich aufs Bett fallen.
„Wirst du das ganze Hochzeitsthema irgendwann gegen mich verwenden?“, fragt Jan, „wenn du in den Wechseljahren bist oder all deine Freunde unter der Haube?“
„Niemals“, sage ich. Er lässt sich rückwärts aufs Bett fallen und grinst mich an. Wieso läuft es momentan so gut? Ich bin diese Harmonie nicht gewöhnt. Dieses halbwegs stressfreie Dahintreiben. Ich hätte erwartet, dass es mich langweilt. Dass ich mich nach dem Drama sehne. Aber das tue ich nicht. Zur Abwechslung mal ganz nett, aufzuwachen und nicht sofort daran erinnert zu werden, dass das Leben in erster Linie weh tut.
Wochen später haben wir nicht nur die ruhigste, alkoholfreieste und früh endende Silvesterparty Deutschlands gefeiert, nein, wir wohnen auch in unserer eigenen voll renovierten Vier-Zimmer-Wohnung. Das Sonnenflutlicht in weißen Räumen tröstet nur wenig darüber hinweg, dass mein Freundeskreis ein Schicksalsschlag ereilt hat. Zwischen Einzug und Einweihungsparty, zwischen Tür und Kartons, eröffnet Klaas mir seine Zukunftspläne. Ich turne mit von Felix vollgekotztem Shirt und ausgelatschten Hausschuhen zwischen ungespülten Töpfen und halbvollen Colaflaschen ohne Kohlensäure herum und bemühe mich, ihm zuzuhören.
„Jedenfalls ist das in Freiburg.“
„Was? Was ist in Freiburg?“, frage ich über die Schulter hinweg, während ich die Spülmaschine ausräume. Wie können ein Baby und zwei erwachsene Menschen, die nicht kochen können, genug dreckiges Geschirr für zwei Durchläufe pro Tag produzieren? Klaas räuspert sich.
„Sorry, bin sofort wieder bei dir. Gott, ich bin wirklich unfähig einen Haushalt zu führen! Ich bin voll berufstätig, ich kann mich nicht um sowas Banales wie eine Spülmaschine kümmern. Jan sagt, wir könnten uns eine Putzkraft erlauben, aber ich finde nicht, dass man jemanden dafür bezahlen sollte, seinen eigenen Dreck wegzumachen.“
„Du arbeitest nur sonntags, Leni.“
„Aber ich bereite mich die ganze Woche darauf vor“, informiere ich ihn und wuchte einen Stapel warmer Teller in den oberen Schrank.
„Ich ziehe nach Freiburg.“
Fast wären mir die Teller aus der Hand geglitten. Ich knalle die Schranktür zu und drehe mich zu ihm um. Jan ist heute Morgen früh nach Köln aufgebrochen, beruflich, und Olli hat Felix zu einem Spaziergang abgeholt, weil er Paulina zeigen will, dass er mit Kindern umgehen kann. Wir sind alleine. Nur wir und die gerade detonierte Bombe.
„Was?!“
„Ich werde nach Freiburg ziehen“, wiederholt Klaas, „das versuche ich dir seit einer halben Stunde zu sagen.“
„Und wieso zum Teufel wartest du so lange? Man klingelt, steht vor der Tür, ich öffne die Tür und du sagst: Leni, ich muss nach Freiburg ziehen, aber ich kann nicht, weil ich Berlin nicht verlassen werde. Niemals. Und dann ziehst du nicht um. Du ziehst nicht um!“
„Hast du dich bei den Nachbarn schon persönlich vorgestellt?“
„Verdammte Scheiße, Klaas, du ziehst nirgendwo hin! Du kannst nicht wegziehen!“
Du ziehst vielleicht innerhalb deiner Straße ins Nachbarhaus, aber das ist mit Sicherheit das höchste der Gefühle. Und solltest du ernsthaft versuchen, bis nach Freiburg zu kommen, dann lasse ich alle Autobahnen sperren, ich entführe dich, ich entführe deine verdammten sauberen Möbel ...
„Was wird aus Joko? Was wird aus Olli? Was wird aus mir?“, frage ich verzweifelt, „ich meine, du arbeitest doch hier! Was willst du denn in Freiburg? Was will irgendjemand da?“
„Ist was berufliches“, sagt er, „wir drehen einen Film. Und ich bekomme eine eigene Sendung.“
„Nein! Nein. Nein, nein, bitte. Du – für was für eine Sendung musst du wegziehen?“
Er runzelt die Stirn und seufzt.
„Du hast geschworen! An Weihnachten!“, erinnere ich ihn schrill, „du kannst nicht einfach wegziehen.“
„Warum nicht?“
„Es gibt eine Millionen Gründe, Klaas. Wenn nicht noch mehr!“
Endlich darf ich mich wieder aufregen. Kein Baby im Haus, kein Baby im Bauch. Lass der Wut freien Lauf. Das wäre ein guter Song. Auch nicht schlechter, als das, was heutzutage im Radio läuft. Aber der Punkt ist: er wird diese Stadt nicht verlassen. Seine Wohnung nicht verlassen. Er wird mich nicht verlassen.