Nichts mehr zu retten.
von Neonschwarz
Kurzbeschreibung
"Der letzte auf der Liste ist Olli. Ich will seinen Segen. Und mit genügend Welpenblick und Anspielungen auf meine beschissene Kindheit, meine beschissene Jugend, meine halbbeschissene Zeit in der Schwebe zwischen alt genug und noch nicht alt genug wird er sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischen und mir das Beste wünschen." [komplett überarbeitet in 2022]
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P18 / Gen
Jan Böhmermann
Joachim "Joko" Winterscheidt
Klaas Heufer-Umlauf
OC (Own Character)
Olli Schulz
07.02.2015
19.05.2015
121
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02.05.2015
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Leni
„Frohe Weihnachten!“, Joko, Isa, Klaas und Paulina strömen nacheinander in die nach Glühwein duftende Wohnung und hängen ihre Mäntel an die Garderobe, während ich einen Berg aus Geschenken ins Wohnzimmer balanciere und unter dem Baum staple. Dann werde ich vorgestellt. Der Mythos, die Legende. Wir müssen nicht so tun, als hätte Olli nicht gründliche Vorarbeit geleistet.
„Hallo. Paulina“, sie schüttelt mir die Hand und lächelt. Nein, ich habe keinen Zweifel daran, dass Olli sich auf der Stelle in sie verliebt hat. Der Mann ist hoffnungslos romantisch, auch wenn er anderes behaupten würde, und diese Frau anfällig für seinen Mitternachtsspitzen-Charme.
„Leni“, stelle ich mich vor, „es freut mich, dich endlich kennenzulernen. Olli hat ununterbrochen von dir geschwärmt.“
Sie sieht umwerfend aus. In ihrer zarttürkisen Grobstrickjacke, die fabelhaft zu ihren wilden braunen Locken passt und der unaufgeregten Jeans-Shirt-Kombi. Das ist der Spirit, den ich auf meiner Weihnachtsfeier brauche. Das ist überhaupt der Spirit, den wir brauchen. Ein bisschen Erdung. Ein bisschen Ruhe.
„Er redet ständig von dir“, erzählt sie, „von dir und dem Baby, das ich unbedingt kennenlernen will.“
„Oh ja“, sage ich mit einem Grinsen in Richtung Olli, „er redet sehr gerne über mich.“
„Ich möchte Felix auch mal halten“, mischt sich Isa ein, „und Leni, du siehst ganz fantastisch aus.“
„Danke“, sage ich, „ich weiß die Lüge sehr zu schätzen.“
Ich bin so müde, dass diese Müdigkeit mir schon als sowas wie Glow ausgelegt werden könnte. Felix ist ein pflegeleichtes, dankbares Baby, ich bin eine übervorsichtige, ständig wache Mutter.
„Jan wickelt ihn gerade“, sage ich, „setzt euch doch.“
„Das klingt ja nach einem tollen Mann“, lobt Paulina. Ich grinse. Ja, man applaudiere dem Mann, der die Windeln eines Kindes wechselt, für das er nur ein bisschen Spaß haben musste. Das ich aus meinem Körper gepresst habe. Das meinen Körper an sein Maximum gebracht hat.
„Das“, spottet Klaas, „kann wirklich nur von jemandem kommen, der ihn noch nicht kennt.“
„Sprecht ihr über mich?“
Ohne Krawatte und Jackett, dafür mit einem Hemd, das keinen Fleck abbekommen hat, betritt er das Wohnzimmer. Er sieht genauso müde aus wie ich, nur einfach viel besser. Das Vatersein steht ihm unverschämt gut. Und ich in meinem schwarzen schulterfreien Kleid mache tatsächlich eine wenig postschwangere Figur. Eine formende Strumpfhose ist alles, was mich zusammenhält.
„Paulina, das ist Jan. Jan, das ist Paulina. Ollis Freundin.“
Die beiden reichen sich etwas steif die Hand. Felix gluckst. Wir sind alle eine große Familie.
„Das Baby steht dir wirklich gut“, findet Isa, „darf ich ihn mal halten?“
Felix bildet sofort den Mittelpunkt der Party. Ich sehe auf das Baby herunter, auf meinen Sohn, den ich geboren habe, den ich gemacht habe, einen Teil von mir, der außerhalb meines Körpers weiterlebt. Aus ihm wird mal was, aber was, das kann er sich selbst aussuchen. Hauptsache, er bleibt immer gesund und glücklich. Dieser Mensch bin ich jetzt. Solche Gedanken mache ich mir. Manchmal bin ich so erfüllt von Liebe, dass ich nicht weiß, wohin.
Wie in alten Zeiten versammeln sich Olli, Joko, Klaas und ich uns in der Küche, um unsere eigene kleine 10-Minuten-Weihnachtsfeier zu vollziehen. Eine Prozedur, die die Jungs meist verspotten. Trotzdem bin nie ich es, die mit einem Kopfnicken in Richtung Küche den Beginn der Tradition einläutet. Einer von ihnen kommt mir jedes Jahr zuvor.
„Wir müssen uns dieses Jahr das selbe Versprechen geben wie jedes Jahr“, fordere ich. Das ist mein Part. Die Zeremonienmeisterin.
„Unsere Freundschaft wird auch im kommenden Jahr bestehen“, sagt Klaas feierlich.
„Egal, wohin wir gehen. Egal, was wir tun“, fährt Olli fort.
„In guten wie in schlechten Zeiten“, Joko muss sich das Lachen verkneifen.
„Ich liebe euch. Und das ist der einzige Schwur, den ich je ablegen werde“, verspreche ich.
„Ich werde das nie mehr los, weißt du das?“, beschwert sich Olli, „dieses dämliche Versprechen hat sich in mein Hirn gebrannt. In guten wie in schlechten Zeiten. Das steht doch außer Frage, wieso müssen wir uns das schwören?“
„Weil Leni Angst hat, wir könnten sie von jetzt auf gleich vergessen“, sagt Klaas. Er meint das weder lustig, noch ironisch. Wir wissen alle, dass das ernst ist, dass das ein Problem ist, das ich habe. Und gegen das ich einfach nicht ankomme. Ich brauche dieses Versprechen, so wie ich sie in meinem Leben brauche.
„Du und deine Verlustängste“, Joko legt mir einen Arm um die Schultern, „komm her.“
Er umarmt mich. Ja, meine Verlustängste und ich sind ein eingespieltes Team. Und auch über die Jahre habe ich oft das Bedürfnis, meinen Freunden mitten in der Nacht SMSen zu schreiben, nur um mich zu vergewissern, dass sie mich nicht leid sind. Ein Kind macht das nicht einfacher. Ein Kind macht all diese Ängste schlimmer und wiegt sie mit so viel Gutem auf, dass es aushaltbar ist. Eine sehr empfindliche Waage.
„Möchte uns sonst noch jemand ein Versprechen abnehmen?“, bietet Joko an, „wo wir schon dabei sind.“
„Ich hoffe, ihr nehmt Paulina gut bei uns auf“, sagt Olli vorsichtig.
„Das schwöre ich sehr gerne“, sage ich.
„Ich auch“, schließt Klaas sich mir an, „ich schwöre.“
„Ich schwöre es auch“, sagt Joko, „dasselbe gilt im Übrigen auch für Isa. Hoffe ich.“
Auch das schwören wir.
„Wie stehts mit Jan?“, ich muss einen Versuch wagen und hoffen, dass Felix sie so erweicht hat, dass sie schwören, „ich meine, mir entgeht nicht, dass ihr euch Mühe gebt, aber denkt ihr, wir kriegen es hin, ihn zu integrieren? Wirklich und ernsthaft?“
Zu meinem Erstaunen brauchen sie exakt so lange, wie sie für das vorherige Versprechen gebraucht haben, um mir zu schwören, dass Jan wieder ein unbeschriebenes Blatt ist. Ausradieren, neu anfangen.
Olli und ich haben im Wohnzimmer unseren Dekowahn ausgelebt und kistenweise Weihnachtszeug verteilt. Der kleine, hässliche Weihnachtsbaum ächzt unter drei bis vier Packungen silbernen Kugeln und einer LED-Lichterkette, mit der ich ewig gekämpft habe und auf dem Boden verteilt sich ein beachtlicher Berg Geschenke.
„Euer Traditionsessen ist Fondue?“, fragt Isa überrascht.
„Was ist mehr Tradition als Fondue?“, erwidert Joko.
„Es ist auf jeden Fall sehr true to brand“, findet sie.
Wir grinsen uns an. Dann sitzen wir alle zusammen und essen. Ich nehme mir die Zeit, meine Freunde genauer zu betrachten. Joko und Isa, beide in Weihnachtspullovern mit passenden Rentieren. Olli und Paulina, wie die Eltern die ich nie hatte und noch keiner Woche schon so vertraut, dass man neidisch werden könnte. Jan, der die Finger nicht für eine Minute von Felix lassen kann, der nachts der Erste ist, der aufsteht, wenn er schreit und sich dann mit Olli am Babybett trifft, nur um dann um drei Uhr morgens in der Küche zu sitzen, Kaffee zu trinken und über das Leben zu philosophieren. Klaas, der in seinem dunkelblauen Pullover und mit der gegelten Frisur aussieht wie der brave Schwiegersohn. Alle versammelt um einen Topf heißes Fett.
„Also dieses Jahr hast du dich mit der Auswahl wirklich selbst übertroffen“, lobt Klaas, „wenn das so weiter geht, machst du bald Jamie Oliver Konkurrenz.“
Das möchte ich bezweifeln.
„Wann zieht ihr denn um?“, fragt Paulina. Ich kann sie verstehen. Eine Kleinfamilie in einem Zimmer in der Wohnung ihres Freundes ist wohl nicht die Idealvorstellung.
„Am ersten Februar“, antwortet Jan.
Momentan herrscht in der Wohnung noch Chaos. Jan hat seine Möbel aus Köln herbringen lassen, was ich in der Vorweihnachtszeit für unmöglich gehalten habe. Zu mehr sind wir noch nicht gekommen.
„Nach Silvester geht’s weiter“, sage ich, „also falls ihr beim Streichen helfen wollt, gerne.“
„Ihr rollt das Feld ja eher von hinten auf“, sagt Paulina, „ein Baby, eine gemeinsame Wohnung. Und als nächstes dann die Hochzeit?“
Nervöse Blicke werden quer über den Tisch hinweg ausgetauscht.
„Nee. Wir planen keine Hochzeit“, sage ich und ärgere mich, dass ich es ein wenig wie eine Frage klingen lasse. Nein, natürlich nicht. Ich habe es nie als Teil unserer Beziehung betrachtet, das zu tun, aber jetzt, da Felix da ist, erwische ich mich manchmal dabei, wie ich es doch schön finden würde und das ärgert mich noch mehr. Es würde manche Dinge einfacher machen. Bürokratie ist ein Teufelsgebiet.
„Heiraten ist nichts für uns“, stimmt Jan mir zu. Ich nicke bestätigend. Heiraten wäre einfach zu logisch.