Nichts mehr zu retten.
von Neonschwarz
Kurzbeschreibung
"Der letzte auf der Liste ist Olli. Ich will seinen Segen. Und mit genügend Welpenblick und Anspielungen auf meine beschissene Kindheit, meine beschissene Jugend, meine halbbeschissene Zeit in der Schwebe zwischen alt genug und noch nicht alt genug wird er sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischen und mir das Beste wünschen." [komplett überarbeitet in 2022]
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P18 / Gen
Jan Böhmermann
Joachim "Joko" Winterscheidt
Klaas Heufer-Umlauf
OC (Own Character)
Olli Schulz
07.02.2015
19.05.2015
121
145.077
18
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Dieses Kapitel
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17.05.2015
1.101
Leni
Wenn mir langweilig ist, male ich mir oft aus, ich sei zu Gast im Schellfischposten und Ina Müller, Königin des Astra, würde mich interviewen. Sie würde fragen „stimmt es eigentlich, ich hab das ja recherchiert, stimmt das, dass du mal drei Wochen mit einem Kerl rumgemacht hast, weil der immer Joints mit hatte und als du keinen Bock mehr hattest, hast du ihn quasi von heute auf morgen ignoriert?“ und ich würde ein wenig beschämt das Gesicht hinter meinen Händen verstecken und grinsen und dann sagen „ja, ich bin immer so schnell gelangweilt“. Und dann würde sie wissen wollen, wie sich das so im Alltag äußert, dieses gelangweilt sein und ich würde antworten: in schlechten Entscheidungen.
Seit sich in meinem Leben viel geändert hat, verändern sich auch die imaginären Fragen, die mir gestellt werden. Während sie sich anfangs um meine Jugendsünden drehten, heißt es jetzt „du warst ja mit dem Vater deines Sohnes nie richtig zusammen, oder?“ und ich müsste die Geschichte erzählen, wie ich mir meiner Sache zum wiederholten Male zu sicher gewesen bin, um sie dann selbst zu zerstören.
Der Vater meines Sohnes, seines Zeichens mehr unzuverlässig als langweilig, entschließt sich zu einem Cameo-Auftritt. Gott sei Dank nachdem Klaas sich nach zwei Tagen in meiner Wohnung auf den Weg zu Olli macht, der auf einen detaillierten Lagebericht wartet. Ich habe sie an den Haaren aus der Disco gezerrt, ihren Kopf in die Spree getunkt und ihr nebenbei auch noch das Rauchen abgewöhnt. Sie isst jetzt wieder Obst und benutzt eine nicht fettende Tagescreme. Es geht ihr besser. Nicht gut, aber wir sind auf einem Weg.
In einem Moment der Verzweiflung klingelt Jan an der Haustür. Die Männer in meinem Leben kommen immer dann, wenn man nicht mit ihnen rechnet. Er muss nach meiner Nachricht fast sofort losgefahren sein, um es in der Zeit geschafft zu haben.
„Hallo“, sage ich. Wann hast du zuletzt geschlafen? Was ist mit deinen Haaren los? Würdest du mich bitte in den Arm nehmen und mir sagen, dass wir es endlich hinkriegen?
„Hallo“, sagt Jan. Und denkt sich seinen Teil. Hast du die letzten Wochen durchgefeiert? Du bist ganz grau. Leblos irgendwie, trist. Was ist mit deinen Haaren los? Und wo ist mein Sohn, wegen dem ich hier bin?
„Komm rein.“
Ihn in seine eigene Wohnung zu bitten fühlt sich falsch an. Er tritt ein und sieht sich um. Ja, nicht aufgeräumt. Was erwartet er denn? Ich stehe noch da, wo er mich stehenlassen hat.
„Er ist in seinem Zimmer“, sage ich, „ich habe ihn gerade hingelegt, aber er ist noch wach.“
Jan verschwindet im Zimmer bei seinem Sohn und ich beginne in Windeseile, jedes Indiz auf Klaas zu vernichten. Hätten wir einen offenen Kamin, ich würde nicht zögern, die Bettwäsche vom Sofa direkt hineinzuwerfen. Schnell in den Schrank knüllen tuts auch. Die Küche auf Vordermann bringen. Fenster aufreißen. Jetzt bloß keinen Fehler machen.
Ich schnaufe, als ich das Knarren der Tür höre. Der Behutsamkeit nach zu urteilen ist Felix eingeschlafen. Er kommt in die Küche. Zaghaft. Vorsichtig. Wir kennen uns plötzlich gar nicht mehr. Nichts erinnert mehr an den Anfang dieser Beziehung. An auf dem Küchentisch liegen und Dramen auf diversen Hochzeiten. Hotelzimmer. Ich liebe dichs. Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich.
„Wie geht’s?“, frage ich. Und finde das sehr erwachsen. Sowas fragen doch auch Eltern, die sich vorm Scheidungsrichter wiedersehen.
„Okay und dir?“
„Gut“, antworte ich knapp.
„So siehst du nicht aus.“
„Du mich auch“, ich kann das Lächeln nicht aufhalten, es ist da und es will nicht mehr verschwinden, „wo wohnst du? Im Hotel?“
„Bei meiner Geliebten“, antwortet er sofort.
Was er an Aussehen eingebüßt hat, hat er an Humor gleich doppelt mitgebracht. Wenn er wüsste, dass Klaas zeitweilig sein Heim infiltriert hat, dann würde er gehen und wir hätten unsere letzte Chance vertan.
„Wie witzig.“
Wo sind die ganzen Texte hin, die ich innerlich verfasst habe? Das herzergreifende wortgewandte Plädoyer, für das ich, hätte ich es in Filmen gehalten, gleich mit Preisen überschüttet worden wäre? Beste Hauptdarstellerin. Leading Acress in a drama series. Wo ist es hin? Wir müssen ein Gespräch zu Stande kriegen. Wir müssen reden. Ich muss reden. Mit meiner lange fälligen Entschuldigung das Feld von hinten aufräumen.
„Was ich gesagt habe, tut mir leid“, sage ich vage.
„Klaas?“, fragt er.
„Ja, Klaas“, reumütiges Kopfnicken, „ich weiß nicht, was das war. Aber es hat nichts bedeutet. Gar nichts.“
Seine Stirn legt sich in skeptische Falten. Es ist schwammig, ich weiß, aber was soll ich denn sagen? Ich weiß nicht, woher es kam, es war da und es war unglaublich unpassend. Er zuckt mit den Schultern.
„Was soll ich dir sagen, Leni?“
Klaas und er haben das selbe Fragenschema. Nur meine Antwort unterscheidet sich maßgeblich.
„Das wir uns verzeihen.“
Ich will eine letzte Chance. Ich gebe ihnen alle, ich gebe jedem Chancen, mehr als zwei, mehr als zehn, jetzt will ich eine. Meine letzte, von mir aus.
„Dachtest du wirklich, ich würde unseren Sohn entführen?“
„Nein! Ja ... nein! Nein!“, ich schüttle wild den Kopf, „für eine Sekunde vielleicht, weil ich betrunken war und Felix nicht mehr bei Paulina. Und weil du so wütend gewesen bist, ich dachte –“
„Und weil ich Leonard entführt habe.“
„Das auch, ja. Ich kann das nicht einfach vergessen“, gebe ich zu, „vielleicht lernst du ja aus deinen Fehlern? Ausnahmsweise?“
„Ich wollte ihn nicht … das war nicht … ich wollte ihn nicht entführen“, offenbar ist es ihm wichtig, das klar zu stellen, „das war nicht eine Sekunde der Plan.“
„Was war der Plan?“
„Es gab keinen.“
Darin sind wir beide gut. Keinen Plan, aber schlechte Entscheidungen. Es wäre für die Welt besser, wenn wir einander hätten und niemand anderen mit unserem Scheiß belasten würden. Wir passen zueinander. Wir sind Chaos.
„Die Ohrfeigen tun mir auch leid“, schiebe ich hinterher.
„Das bezweifle ich“, er grinst schwach.
„Wir geben uns beiden noch eine letzte Chance“, schlage ich vor, „für Felix. Für uns. Ich meine, oder nicht?“
Weil ich dich will? Und weil wir jetzt alles voneinander wissen? Weil ich dich liebe? Und du mich liebst und unser Sohn uns beide braucht? Aber vor allem, weil ich dich liebe, so sehr, dass ich es nicht in Worte fassen kann? Ich kann nicht fassen, in keiner Einheit, wie sehr man einen Menschen lieben kann.
Wenn mir langweilig ist, male ich mir aus, von Ina Müller interviewt zu werden. Mit einer Flasche Astra in der Hand würde ich auf die Frage „und dann seid ihr richtig fest zusammengekommen nach all dem Drama?“ gerne sagen wollen „oh ja, das sind wir. Und wir sind überglücklich.“