Nichts mehr zu retten.
von Neonschwarz
Kurzbeschreibung
"Der letzte auf der Liste ist Olli. Ich will seinen Segen. Und mit genügend Welpenblick und Anspielungen auf meine beschissene Kindheit, meine beschissene Jugend, meine halbbeschissene Zeit in der Schwebe zwischen alt genug und noch nicht alt genug wird er sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischen und mir das Beste wünschen." [komplett überarbeitet in 2022]
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P18 / Gen
Jan Böhmermann
Joachim "Joko" Winterscheidt
Klaas Heufer-Umlauf
OC (Own Character)
Olli Schulz
07.02.2015
19.05.2015
121
145.077
18
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Dieses Kapitel
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13.05.2015
1.150
Leni
Ich kann mich noch immer nicht beruhigen, als Jan mit allem, was in eine Reisetasche gepasst hat, die Wohnung verlassen hat. Ohne ein Wort. Das soll es also gewesen sein. Und es soll mein Fehler gewesen sein. Nach allem, was passiert ist. Nach allem, was ich ihm verziehen habe. Nach allen Fehlern und Fehltritten, allen Entfernungen und Näherungen, nach allem, was wir überlebt haben, schaffen wir es jetzt nicht, auch nur zu reden. Wir wiederholen alles nur, ständig, immer wieder und wieder.
Wir sitzen im Wohnzimmer, Olli mit Felix, ich zwischen Joko und Isa.
„Kann jemand von euch heute Nacht hier schlafen?“, frage ich. Ich werde durchdrehen, sobald man mich alleine lässt. Ich bin eine Gefahr für mich selbst. Mein Kopf wird mich niemals in Ruhe lassen.
„Klar“, sagt Joko sofort, „ich bleibe hier.“
Isa macht keinerlei Anstalten, sich aufzudrängen. Stattdessen verabschiedet sie sich wenig später mit einer festen Umarmung diskret und fährt nach Hause. Olli macht sich kurz darauf auf den Weg. Widerwillig zwar, aber mit dem festen Versprechen, immer für mich da zu sein. Für uns. Die Art, wie er Felix ansieht, lässt mich nicht daran zweifeln, dass er alles für ihn tun würde. Und das beruhigt mich.
„Was ist passiert? Wieso das Ganze?“, fragt Joko. Ich streiche über das weiche Köpfchen meines Sohnes. Dann die Beichte. Ich lasse nichts aus. Stelle mich nicht besser dar. Als ich fertig bin, stößt Joko einen Schwall Luft aus und reibt sich über die Augen.
„Woher kam das? Wieso hast du seinen Namen gesagt?“, will er wissen.
„Ich weiß es nicht“, sage ich, „ich stand unter Druck, ich wollte es so sehr richtig machen und alles, was mit Klaas gewesen ist – ich weiß es nicht.“
Ich würde lieber sagen, dass es nichts bedeutet hat, aber das glaube ich nicht.
„Du willst beides“, sagt er, „die Freundschaft retten und die Beziehung zu Jan, aber ich glaube nicht, dass das funktionieren wird.“
Ich bin die Letzte, die diesem Fakt zustimmen muss. Joko hat Recht. Ich habe immer alles gewollt und was habe ich am Ende?
„Das darfst du ihm niemals erzählen“, bitte ich ihn, „das würde alles nur noch komplizierter machen. Ich will ihn nicht noch mehr verletzen und ich will nicht, dass er das jemals gegen Jan verwenden kann.“
„Er wird es nie erfahren.“
Ich kuschle mich enger an Joko, der seinen Kopf an meinen lehnt.
„Kennst du den Film Der talentierte Mr. Ripley?“, fragt er, „lief letztens.“
„Nie gesehen“, antworte ich, „worum geht’s?“
„Alles beginnt mit einer geliehenen Jacke …“
Ich erwache in meinem Bett.
„Felix“, verschlafen taste ich die Decke ab. Die andere Seite des Bettes ist unberührt. Ich springe auf. Aus der Küche schlägt mir der ungewohnte Duft von frischem Kaffee entgegen. Joko sitzt, Felix auf dem Arm, da und lächelt mich an. Das Babyfläschchen steht ihm gut. Mein Sohn strahlt mich überglücklich an.
„Guten Morgen“, sagt Joko gut gelaunt.
Erst jetzt bemerke ich die irrsinnig stechenden Kopfschmerzen. Mein Kater. Ich erwidere sein Lächeln schwach und schenke mir einen Kaffee ein.
„Wie hast du geschlafen?“, fragt mein Übernachtungsgast. Ich zucke mit den Schultern.
„Bescheiden“, antworte ich gedehnt, „Felix hat durchgeschlafen?“
„Er war hundemüde.“
Ich setze mich an den Tisch und starre aus dem Fenster.
„Ich könnte Klaas anrufen“, schlägt Joko vor. Ich fasse mir an die Stirn und verziehe das Gesicht als hätte er mit einem Kochlöffel auf einen Topf geschlagen.
„Wieso?“, frage ich lauernd.
„Er wüsste besser, was zu tun ist“, verteidigt er seinen Vorschlag, „Olli und ich sind gut im Ablenken und Klaas findet die Lösungen.“
„Lösungen für was?“
„Du und Jan ... ähm ...“, druckst Joko herum, „also …“
Ich schiele nach meinem Haustürschlüssel. Der rote Anker fällt mir sofort ins Auge.
„Ich muss ganz kurz mal an die frische Luft“, sage ich, „passt du auf ihn auf?“
„Immer. Wenn du mir versprichst, keinen Mist zu bauen?“
„Wann habe ich je Mist gebaut?“, frage ich.
Nein, ich habe nicht vor, Mist zu bauen. Ich weiß nicht, was ich vorhabe. Es ist kalt und neblig. Mein Handy, das ich so achtlos in die Tasche meiner zehn Jahre alten Jogginghose gesteckt habe, zeigt ... Nichts. Gar nichts. Er hat nicht mal versucht, mich zu erreichen. Aber so läuft das nicht. Ich bin dran, Jan. Ich will ihm ins Gesicht schreien. Du redest von Verzeihen! Du redest von Liebe! Aber nutzt die erstbeste Gelegenheit, mich am Boden zu sehen. Ich hasse dich. Und nein, tue ich nicht. Ich hasse es, dass ich es nicht kann. Eine SMS. Nicht von Jan. Von Klaas.
Hey, Olli hat mir 'ne wirre Story erzählt, gehts euch gut? Meld dich. K.
Mitten auf dem Bürgersteig bleibe ich stehen, stütze mich mit den Händen auf meine Oberschenkel und lasse den Kopf hängen als sei ich gerade über die Ziellinie eines Marathons gestolpert.
Und wie all die schlimmen Momente meines Lebens wird mir auch dieser präsentiert von Revolverheld. Ich fühle mich wie in einem mit Holiday-Filter gedrehten Musikvideo. Im Hintergrund dudelt Keine Liebeslieder. Und zwischen den aufkommenden Tränen kann ich nur denken: Wieso ist Johannes Strate so besessen von irgendeinem ach so tollen Sommer in Schweden und wieso glaubt er, er könne sich selbst und mich unter dem absolut albernen Überbegriff „Spinner“ zusammenfassen? Schlimmer ist wirklich nur die Turnhallenband Sportfreunde Stiller.
Ich warte nur darauf, dass jemand neben mir anhält und fragt „gehts Ihnen gut, junge Frau?“, woraufhin ich ihm dann im Ted-Mosby-Style meine ganze Geschichte erzählen würde. Nur endet sie nicht vor dem Traualtar, was sie bei Ted streng genommen auch nicht getan hat, sondern auf einem bepissten Bürgersteig mitten in Berlin. Ich starre auf ein rosafarbenes festgetretenes Kaugummi. Wieder vibriert mein Handy. Altmodisch. Wir rufen uns selten an. Ich nehme den Anruf entgegen ohne etwas zu sagen. Ein Kompromiss. Er kann mich atmen hören, ich lebe also, das muss ausreichen.
„Leni?“, fragt er. Er klingt nervös. Bitte komm zurück nach Berlin. Ich weiß nicht, was du in Freiburg machst, in scheiß Freiburg, aber die brauchen dich dort nicht so sehr wie wir dich brauchen. Mein Leben geht den Bach runter und du bist nicht da, um wenigstens dabei zuzusehen und mich auf ein Bier einzuladen und dann machen wir uns an den Wiederaufbau. Die Lücke, die du hinterlassen hast, bereitet mir körperliche Schmerzen. Berlin ist nur die Hälfte wert, wenn du nicht da bist. Sich am Telefon anzuschweigen passiert auf einer ganz anderen Ebene, als wenn man sich dabei in die Augen sieht. Er sieht Freiburg. Ich Berlin. Scheiß Berlin.
„Auch wenn du nicht mit mir reden möchtest“, sagt er, „falls du deine Meinung änderst, ruf mich an. Jederzeit.“
Ich beende das Gespräch. Entgegen meines so viel besseren Wissens versuche ich, Jan zu erreichen. Freizeichen, eins, zwei ... weggedrückt.
Ich will keine Liebeslieder mehr.
Das ist der Musikvideo-Moment, in dem die Kamera um mich herumfährt, schnell, und der Hintergrund verschwimmt, schneller, und ich einfach nur da stehe. Und stehe. Und stehe.