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Nichts mehr zu retten.

Kurzbeschreibung
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P18 / Gen
Jan Böhmermann Joachim "Joko" Winterscheidt Klaas Heufer-Umlauf OC (Own Character) Olli Schulz
07.02.2015
19.05.2015
121
145.077
18
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Dieses Kapitel
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12.05.2015 1.093
 
Leni



„Klaas?“, wiederholt Jan quälend langsam. Wie in Zeitlupe löst er sich von mir. Mein Blut rast. Doch ich bewege mich nicht. Wie gelähmt lehne ich gegen die Wand. Er zieht seine Hose hoch. Hebt die Hand. Ich kenne diesen Blick nicht. Und ich dachte, ich hätte alles an ihm gesehen. Er schlägt Zentimeter von meinem Gesicht gegen die Seitenwand der Kabine. Ich presse meine Handflächen fest gegen die Fliesen.

„He!“, kommt es empört von der gegenüberliegenden Seite. Jan schüttelt seine Faust aus. Dann dreht er sich um und schließt die Tür auf. Klack. Einen Atemzug lang hält er inne.

„Nein, Jan, warte!“

Einer der Kerle an den Urinalen äfft mich spöttisch, und beängstigend treffend, nach.

„Jan! Warte!“, quietscht er unnötig laut.

Jan verlässt die Toilette.

Ich renne ihm mit offenem Kleid hinterher. Die Pfiffe überhöre ich, die Blicke übersehe ich. Es ist viel zu voll und zu laut, als das ich ihn nicht aus den Augen verlieren könnte. Ich laufe Joko in die Arme.

„Was ist los?“, fragt er , „du bist halbnackt, Leni.“

„Wo ist er? Wo ist Jan? Wo ist er?“, schreie ich panisch.

Ich lasse ihn stehen und kämpfe mich weiter durch die Menge. Natürlich folgt er mir. Zusammen mit Isa und Olli. Ich achte nicht auf sie. Ich renne als ginge es um mein Leben. Dabei geht es um ein anderes.
Felix. Ich habe es in Jans Gesicht gesehen. In der kurzen Sekunde, bevor er die Faust geballt hat. Er wollte mich nicht schlagen. Nicht körperlich jedenfalls. Er hat ausgeholt. Ich versuche, ein Taxi zu bekommen. Aber wer will eine betrunkene, heulende, halbnackte Frau auf der Rückbank haben, die weder ihren hochprozentigen Mageninhalt noch ihre tragische Geschichte für sich behalten kann?

„Was tust du denn, Leni?“, schreit Olli über den Straßenlärm hinweg. Autos hupen. Männer brüllen mir aus heruntergelassenen Fenstern zu. Steig ein, Süße!

„Felix! Ich muss Felix holen!“

Die drei starren mich verständnislos an.

„Wieso?“, Isa nähert sich mir behutsam, als habe sie es mit einer labilen Selbstmörderin zutun. Sie streckt ihre Hände aus, als wolle sie ihre nicht vorhandenen Waffen vor mir auf den Boden legen und redet dabei beschwichtigend auf mich ein.

„Ist etwas vorgefallen zwischen dir und Jan?“, fragt sie. Ich habe das Gefühl, mein Brustkorb explodiert.

„Ich muss meinen Sohn abholen! Jetzt sofort!“

„Ja, okay. Das machen wir. Wir alle. Wir kommen mit dir, ja?“

Sie steht jetzt direkt vor mir und knöpft mir liebevoll das Kleid zu. Olli reicht ihr seine Jacke und sie legt sie mir um die Schultern.

„Wir nehmen mein Auto“, sagt Isa, „ich habe nichts getrunken. Ich habe hier gleich um die Ecke geparkt.“

Wir folgen ihr. Ich taumle immer noch vom Alkohol und der lähmenden Angst, aber Olli stützt mich. Er drückt mich an meine Seite, als befürchte er, ich könne mich losreißen und in die Nacht davonstürmen.
Isa missachtet auf mein Flehen hin sämtliche Verkehrsregeln und wir schaffen es in Rekordzeit zu Ollis Wohnung. Die ganze Fahrt über hat niemand etwas gesagt. Wir tragen das unerträgliche zähe Schweigen bis in die Wohnung hinein. Ich bin nur noch ein Nervenbündel. Bibbernd und frierend. Paulina sitzt in ihrem Flanellschlafanzug auf der Couch und macht ein Kreuzworträtsel.

„Wo. Ist. Felix?“, frage ich leise. Sie legt die Zeitschrift zur Seite.

„Jan hat Felix vor ... lass es fünfzehn Minuten gewesen sein, abgeholt“, sagt sie überrascht, „war das nicht in Ordnung?“

Mein Handy gleitet mir beinahe aus der Hand, bei dem Versuch, ihn anzurufen. Er geht nicht ran. Drückt mich weg. Zweimal, dreimal, viermal. Ich bin kurz davor, zu kotzen.

„Langsam kriege ich Angst“, sagt Isa leise. Ich kann sie nicht überhören.

„Irre ich mich, oder ist das die zweite Kindesentführung?“, fragt Olli schockiert.

„Olli“, Joko verpasst ihm einen unsanften Stoß in die Rippen, „sei einmal in deinem Leben still.“

Er sagt doch nur, was sie alle denken. Was wir alle denken. Ich zittere. Und versuche immer- und immer wieder, ihn anzurufen. Es hilft mir wenig, dass meine Freunde zunehmend beunruhigter um mich herumschleichen.

„Hab ich was falsch gemacht?“, fragt Paulina bestürzt, „ich dachte –“

„Schon gut“, Olli küsst sie auf die Stirn, „das ist eine lange Geschichte und nicht dein Fehler.“

Ich tigere von einer Ecke in die andere, raufe mir die Haare und werfe mein Handy mit einem Wutschrei auf die Couch.

„Er wird nichts Unüberlegtes tun“, versichert mir Joko.

Ich will alles rausschreien. Ich will nur schreien. Keine Worte. Isa legt mir ihre Hand auf die Schulter.

„Er ist sicher nach Hause gefahren“, mutmaßt sie.

„Und genau da fahren wir jetzt auch hin“, sagt Joko entschlossen. Sie reißen mich mit sich. Ich habe nicht das Gefühl, eine einzige Bewegung aus eigenem Antrieb zu tun. Auch nur Luft zu holen zwischen Ollis und unserer Wohnung. Alles in mir ist auf die Hälfte geschrumpft. Hat sich zusammengezogen.

Wir parken einige Meter entfernt. Ich ertrage das Klappern meiner Absätze auf dem Bürgersteig kaum, würde meine Schuhe am liebsten von mir werfen.

Auf der Treppe vorm Haus sitzt Jan. Neben ihm  im MaxiCosi Felix. Ich komme knapp vor ihm zum stehen, hole aus und verpasse ihm eine schallende Ohrfeige. Und weil ich nicht das Gefühl habe, dass das reicht, schlage ich direkt ein zweites Mal zu. Und ein drittes. Er wehrt sich nicht dagegen. Joko packt mich von hinten und zerrt mich von ihm weg. Isa nimmt den schreienden Felix auf den Arm und wiegt ihn, ein Lied summend, auf und ab.

La Le Lu, nur der Mann im Mond schaut zu, wie sich deine Eltern prügeln,  drum mach' die Augen zu ...

„Das bringt doch nichts, Leni“, raunt Joko tröstend und hält meine Arme nach unten, mit denen ich immer noch wild durch die Luft fuchtele.

„Wieso tust du das? Wie konntest du das tun? WIE KONNTEST DU DAS TUN?“, ich schreie all die Wut raus, „wie konntest du das tun?“

Felix brüllt mittlerweile was das Zeug hält. Isa entfernt sich mit ihm. Jan sieht mich nicht an. Er sieht keinen von uns an. Sieht durch uns hindurch.

Am liebsten würde ich wieder und wieder zuschlagen. Meine ganze Wut, die ganze Angst in eine Ohrfeige packen.

„Du bist völlig irre!“, schreie ich ihm ins Gesicht.

Er reagiert nicht. Joko drückt mich fester an sich und ich gebe den Widerstand auf. Ich lasse mich völlig in seine Umarmung einsinken. Er soll mich nie mehr loslassen.

„Du“, sagt er an Jan gewandt, „gehst jetzt hoch in die Wohnung, packst deine Tasche und suchst dir ein Hotel.“

„Einen Moment noch“, Olli baut sich vor Jan auf. Dann verpasst er ihm die vierte Ohrfeige.
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